Arbeitsrecht
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass die Verpackung eines Produkts in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht („Mogelpackung“), wenn sie nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist. |
Verbraucherschutzverband klagte
Die Klägerin ist ein Verbraucherschutzverband. Die Beklagte vertreibt Kosmetik- und Körperpflegeprodukte. Die Beklagte bewarb auf ihrer Internetseite ein Herrenwaschgel in einer aus Kunststoff bestehenden Tube mit einer Füllmenge von 100 ml. In der Online-Werbung ist die Tube auf dem Verschlussdeckel stehend abgebildet. Sie ist im unteren Bereich des Verschlussdeckels transparent und gibt den Blick auf den orangefarbigen Inhalt frei. Der darüber befindliche, sich zum Falz der Tube stark verjüngende Bereich ist nicht durchsichtig, sondern silbern eingefärbt. Die Tube ist nur im durchsichtigen Bereich bis zum Beginn des oberen, nicht durchsichtigen Bereichs mit Waschgel befüllt.
Die Klägerin hält diese Werbung für unlauter, weil sie eine tatsächlich nicht gegebene nahezu vollständige Befüllung der Tube mit Waschgel suggeriere, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass die Verpackung zwar dann ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge als vorhanden vortäusche, wenn der Verbraucher sie im Rahmen des Erwerbs im Laden in Originalgröße wahrnehme. Im Fall des hier vorliegenden Online-Vertriebs fehle es jedoch an der Spürbarkeit eines Verstoßes, weil dem Verbraucher die konkrete Größe der Produktverpackung im Zeitpunkt der Beschäftigung mit dem Angebot und dem Erwerb des Produkts verborgen bleibe. Auch eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt der Täuschung über den Hohlraum in der Verpackung liege nicht vor.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH stellte klar: Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Insbesondere täuscht die beanstandete Produktgestaltung ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vor, als in ihr enthalten ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch eine spürbare Interessenbeeinträchtigung vor. Denn der Verkehr soll vor Fehlannahmen über die relative Füllmenge einer Fertigpackung („Mogelpackung“) geschützt werden. Dieser Schutzzweck ist unabhängig vom Vertriebsweg stets betroffen, wenn – wie im Streitfall – eine Fertigpackung ihrer Gestaltung und Befüllung nach in relevanter Weise über ihre relative Füllmenge täuscht.
Der Bundesgerichtshof hat die Beklagte daher zur Unterlassung verurteilt.
Die beanstandete Internetwerbung für das Waschgel verstößt gegen das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG). Eine wettbewerblich relevante Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung liegt unabhängig von dem konkret beanstandeten Werbemedium grundsätzlich vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht. Dies ist hier der Fall, da die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist und weder die Aufmachung der Verpackung das Vortäuschen einer größeren Füllmenge zuverlässig verhindert noch die gegebene Füllmenge auf technischen Erfordernissen beruht.
Quelle | BGH, Urteil vom 29.5.2024, I ZR 43/23, PM 119/24
| Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde mit Wirkung zum 1.1.2024 von 35 Euro auf 50 Euro erhöht. Diese Freigrenze gilt auch umsatzsteuerlich. Daher wurde der Umsatzsteuer-Anwendungserlass angepasst. |
Hintergrund: Für den Vorsteuerabzug kommt es (wie beim Betriebsausgabenabzug) auf die Höhe der Aufwendungen der Geschenke für jeden einzelnen Empfänger im Jahr an. Das bedeutet: Übersteigen die Aufwendungen 50 Euro nicht, ist der Vorsteuerabzug nach den Maßgaben des § 15 Umsatzsteuergesetz zulässig.
Beachten Sie | Sind Unternehmen zum Vorsteuerabzug berechtigt, ist die 50 Euro-Grenze eine Nettogrenze, ohne Vorsteuerabzugsberechtigung handelt es sich um eine Bruttogrenze.
Beispiel
Geschäftsfreund A erhält von der B-GmbH ein Geschenk im Wert von 55 Euro (inklusive 19 % Umsatzsteuer). Ein weiteres Geschenk an A ist für 2024 nicht vorgesehen. Da die B-GmbH zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, sind die Kosten unter den weiteren Voraussetzungen als Betriebsausgaben abzugsfähig (55 Euro/1,19 = 46,22 Euro).
Quelle | BMF-Schreiben vom 12.7.2024, III C 3 - S 7015/23/10002 :001 zur Anpassung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
| In der Versendung einer Gratisbeigabe (hier: Kopfhörer) liegt der Kaufvertragsabschluss über das Hauptprodukt (hier: Smartphone zu 92 Euro aufgrund eines Preisfehlers). So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. |
Im Onlinehandel liegt in der Übersendung einer Gratisbeigabe, deren Versendung einen Kaufvertrag über ein Hauptprodukt voraussetzt, auch die Annahme des Antrags auf Abschluss eines Kaufvertrags über das noch nicht versandte Hauptprodukt. Trotz eines sog. Preisfehlers kann der Kläger die Lieferung von neuen Smartphones zu 92 Euro statt 1.099 Euro laut unverbindlicher Preisempfehlung (UVP) verlangen, bestätigte das OLG.
Das war geschehen
Der Kläger nimmt die Beklagte auf die Lieferung und Übereignung von neun Smartphones in Anspruch. Die Beklagte betreibt den deutschen Onlineshop eines weltweit tätigen Elektronikkonzerns. Laut ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) liegt in einer Kundenbestellung über den Button „jetzt kaufen“ ein bindendes Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags. Die Auftragsbestätigung der Beklagten ist demnach noch keine Annahme dieses Angebots. Ein Kaufvertrag kommt laut AGB zustande, wenn die Beklagte das bestellte Produkt an den Käufer versendet und dies mit einer Versandbestätigung bestätigt. Dabei bezieht sich der Vertrag nur auf die in der Versandbestätigung bestätigten oder gelieferten Produkte.
Durch einen sogenannten Preisfehler bot die Beklagte online Smartphones für 92 Euro an. Der UVP für diese Produkte betrug 1.099 Euro. Zeitgleich bot die Beklagte bei Bestellungen bestimmte Kopfhörer als Gratisbeigabe an. Der Kläger bestellte im Rahmen von drei Bestellungen neun Smartphones sowie vier Gratis-Kopfhörer. Die Kaufpreise zahlte er umgehend. Noch im Laufe des Bestelltags änderte die Beklagte den Angebotspreis auf 928 Euro. Zwei Tage nach den Bestellungen versandte sie die vier Paar Kopfhörer an den Kläger und teilte dies jeweils per Mail mit. Knapp zwei Wochen später stornierte sie die Bestellung unter Verweis auf einen gravierenden Preisfehler. Der Kläger begehrt nun die Lieferung und Übereignung der Smartphones.
Gerichtliche Instanzen sind sich einig
Das Landgericht (LG) hatte der Klage stattgegeben. Diese Auffassung teilte das OLG im Rahmen seines Hinweisbeschlusses, der zur Rücknahme der Berufung führte: Zwischen den Parteien seien Kaufverträge über insgesamt neun Smartphones zustande gekommen. In den automatisiert erstellten Bestellbestätigungen liege zwar noch keine Annahmeerklärung, sondern allein die Bestätigung des Eingangs einer Bestellung.
Mit der Übersendung der Gratis-Kopfhörer habe die Beklagte jedoch den Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags auch in Bezug auf die in der jeweiligen Bestellung enthaltenen Smartphones angenommen: „Denn anders, als wenn in einer Bestellung mehrere kostenpflichtige Artikel zusammengefasst werden, war unbedingte Voraussetzung der kostenlosen Übersendung der Kopfhörer der Erwerb eines Smartphones. Zwischen dem Erwerb des Smartphones und der Übersendung der Kopfhörer bestand ein untrennbarer Zusammenhang dergestalt, dass die kostenlose Übersendung der Kopfhörer das wirksame Zustandekommen eines Kaufvertrags über das Hauptprodukt - das Smartphone – voraussetzt“, begründete das OLG.
Preisfehler ist dem Unternehmen zuzurechnen
Der Kläger habe die Mitteilung, dass sämtliche versprochenen Gratisbeigaben nun verschickt seien, nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte so verstehen dürfen, dass damit auch die Kaufverträge über die Smartphones bestätigt würden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass unstreitig der Preis für die Smartphones bereits am Bestelltag selbst auf 928 Euro korrigiert worden sei. Ab diesem Zeitpunkt sei daher von der Kenntnis von dem Preisfehler im Haus der Beklagten auszugehen. Dies sei ihr insgesamt zuzurechnen.
Quelle | OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 18.4.2024, 9 U 11/23, PM 38/24
| Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat Folgendes entschieden: Ist ein Geschäftsführer einer GmbH nicht am Gesellschaftskapital beteiligt, unterliegt er selbst dann der Sozialversicherungspflicht, wenn er die Geschäfte der Gesellschaft faktisch wie ein Alleininhaber führt. |
Hintergrund: Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Diese Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH.
Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei dem Geschäftsführer einer GmbH in erster Linie danach, ob er nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen.
Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der
- mindestens 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder
- bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag über eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt.
Beachten Sie | Hiervon kann auch bei besonderer Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen nicht abgesehen werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Betroffene faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führt, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hindern, er also „Kopf und Seele“ der Gesellschaft ist. So lautet die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Im Streitfall war der Ehemann als Fremd-Geschäftsführer am Stammkapital der GmbH nicht beteiligt. Alleinige Gesellschafterin war vielmehr seine Ehefrau, deren Weisungsrecht er unterlag. Diese Weisungsgebundenheit war weder aufgehoben noch eingeschränkt. Für das LSG Nordrhein-Westfalen war es unerheblich, dass der Ehemann die Möglichkeit hatte, als Vermieter der Betriebsstätte und wesentlicher Betriebsmittel sowie als Darlehensgeber wirtschaftlichen Druck auf die GmbH auszuüben. Denn dies eröffnet dem Fremd-Geschäftsführer keine erforderliche umfassende Einflussmöglichkeit, die der Stellung eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers entspricht.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.4.2024, L 8 BA 126/23, BSG, Urteil vom 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R
| Für Aussetzungszinsen gilt ein gesetzlicher Zinssatz von 6 % p. a. (0,5 % pro Monat). Diese Höhe hält der Bundesfinanzhof (BFH) fürverfassungswidrig und hat daher das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angerufen. |
Aussetzungszinsen
Ein Einspruch und eine Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: Der Steuerpflichtige muss die festgesetzte Steuer zunächst zahlen.
Beachten Sie | Auf Antrag soll aber eine Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese sogenannte Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist in der Abgabenordnung (§ 361 AO) geregelt.
Für den Steuerpflichtigen bedeutet das, dass er die Steuer zunächst nicht zahlen muss. Es droht aber eine Belastung mit Zinsen, wenn sein Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer „nachträglich“ zahlen muss. Er muss dann nämlich für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat (6 % p. a.) entrichten. Die Höhe dieser Aussetzungszinsen regelt § 237 i. V. mit 238 Abs. 1 S. 1 AO.
Nachzahlungs-/Erstattungszinsen
Es gibt allerdings auch andere Verzinsungstatbestände, z. B.für Steuererstattungen und Steuernachzahlungen. Hier war der Gesetzgeber wegeneines Beschlusses des BVerfG vom 8.7.2021 verpflichtet, den Zinssatz von 0,5 %pro Monat bzw. von 6 % p. a. anzupassen. Da sich der Beschluss des BVerfGallerdings nicht auf die Aussetzungszinsen und andereTeilverzinsungstatbestände erstreckte, wurde der Gesetzgeber nur bei denNachzahlungs- und Erstattungszinsen tätig. Hier beträgt der Zinssatz seit dem1.1.2019 nun lediglich 0,15 % pro Monat bzw. 1,8 % pro Jahr.
Bundesfinanzhof hält6 % AdV-Zinsen p. a. für verfassungswidrig
Nach Auffassung des BFH ist ein Zinssatz i. H. von 6 % p. a. für Aussetzungszinsen im Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist dieser Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen.
Zudem werden Steuerpflichtige, die AdV-Zinsen schulden und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, seit dem 1.1.2019 ungleich behandelt. Diese Zinssatzspreizung ist für den BFH verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Quelle | BFH, Beschluss vom 8.5.2024, VIII R 9/23, BFH, PM Nr. 34/24 vom 22.8.2024; BVerfG, Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17
| Für die Jahre 2022 bis 2026 gilt ab dem 21. Entfernungskilometer eine erhöhte Entfernungspauschale i. H. von 0,38 Euro. Für die ersten 20 Kilometer erfolgte indes keine Anpassung (weiterhin 0,30 Euro). Dagegen hatte ein Arbeitnehmer geklagt. Denn wegen seiner geringen Entfernung (acht Kilometer zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte) partizipierte er von der Erhöhung nicht. Die Klage hatte jedoch keinen Erfolg. Denn das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg hält die Neuregelung nicht fürverfassungswidrig. Das FG hatte jedoch die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Doch sie wurde nicht eingelegt, sodass das Urteil rechtskräftig ist. |
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.3.2024, 16 K 16092/23
| Aufwendungen für Handwerkerleistungen sind bei einer Vorauszahlung nicht steuerbegünstigt, wenn diese im Veranlagungszeitraum vor Ausführung der Handwerkerleistungen eigenmächtig erbracht wird. Dies hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf entschieden. |
Hintergrund: Für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen erhalten Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung in Höhe von 20 % der Aufwendungen (nur Lohnkosten) gemäß Einkommensteuergesetz (§ 35 a Abs. 3 EStG), höchstens jedoch 1.200 Euro im Jahr. Die Steuerermäßigung setzt voraus, dass der Steuerpflichtige eine Rechnung erhält und die Zahlung auf das Konto des Erbringers der Handwerkerleistung erfolgt.
Nach der Entscheidung des FG Düsseldorf genügt eine per E-Mail seitens des Auftraggebers mitgeteilte und eigenmächtig vorgenommene Vorauszahlung dem Rechnungserfordernis (gemäß § 35 a Abs. 5 S. 3 EStG) nicht. Im Streitfall hatte ein Ehepaar in den letzten Tagen des Jahres 2022 einen Abschlagsbetrag – ohne Aufforderung des Handwerksbetriebs – überwiesen, obwohl die Arbeiten erst im Jahr 2023 durchgeführt und auch dann erst in Rechnung gestellt werden sollten.
Vorauszahlungen können nur steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie marktüblich sind. Eine Anzahlung ohne jegliche Aufforderung des Leistungserbringers, mithin letztlich „ins Blaue hinein“, ist weder als marktüblich noch als sonst sachlich begründet anzusehen.
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 18.7.2024, 14 K 1966/23 E
| Der Betrieb eines Weinautomaten auf einem Privatgrundstück darf verboten werden. Das ergibt sich aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Koblenz. |
Verstoß gegen Jugendschutz?
Die Klägerin betreibt einen Automaten, in dem sie selbsterzeugten Wein und Sekt zum Verkauf anbietet. Der Automat steht seit Anfang 2023 auf einem Privatgrundstück; er ist an der Grenze zum öffentlichen Verkehrsraum aufgestellt und nur von der Straße aus zu bedienen. Ende April 2023 gab die Gemeinde der Klägerin gemäß Jugendschutzgesetz auf, den Weinautomaten außer Betrieb zu nehmen. Die Klägerin erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage.
Kein Verkauf in der Öffentlichkeit
Die Klage hatte keinen Erfolg. Die Klägerin, so das VG, dürfe den Weinautomaten aufgrund der Vorschriften des Jugendschutzgesetzes nicht betreiben. Denn danach dürften alkoholische Getränke in der Öffentlichkeit nicht in Automaten angeboten werden. Zwar sehe das Jugendschutzgesetz eine Ausnahme davon u. a. vor, wenn der Weinautomat in einem gewerblich genutzten Raum aufgestellt sei. An dieser Voraussetzung fehle es jedoch, da sich derAutomat auf dem Privatgrundstück der Klägerin befinde. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass Zigarettenautomaten – unabhängig von dem Belegenheitsort – bereits dann aufgestellt werden dürften, wenn eine jugendschutzkonforme Abgabe durch technische Vorrichtungen sichergestellt sei. Die unterschiedliche Behandlung von Zigaretten- und Alkoholautomaten sei aufgrund der verschiedenen Wirkweisen von Nikotin und Alkohol gerechtfertigt.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 27.5.2024, 3 K 972/23.KO, PM 14/24
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Sie erfasst Arbeitnehmer, teilweise sind aber auch Unternehmer versichert oder können sich freiwillig versichern lassen. Voraussetzung des Versicherungsschutzes bei einem Unfall ist dabei, dass dieser bei der versicherten betrieblichen Tätigkeit erfolgt und damit ein Arbeitsunfall ist. Was zur betrieblichen Tätigkeit und was zum privaten Bereich gehört, ist oft strittig und Kernfrage sozialgerichtlicher Verfahren. Einen solchen Fall hatte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zu klären. |
Fahrlehrer suchte passende Strecke
Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls war in einem Fall eines selbstständigen und gesetzlich unfallversicherten Motorrad-Fahrtrainers – dem Kläger – vor dem LSG zu klären. Der Kläger erlitt eine Luxation der linken Schulter, als er im April 2019 bei einer allein unternommenen Fahrt mit ca. 50 km/h in einer Kurve stürzte. Der Unfallort lag etwa 50 km von seinem Wohn- und Unternehmenssitz im Landkreis Tübingen entfernt. Seiner gesetzlichen Unfallversicherung – der Beklagten – teilte er mit, er habe am nächsten Tag einen Schüler mit speziellen Problemen bei Serpentinen gehabt und sei deswegen auf der Suche nach der passenden Strecke für die Schulung gewesen. Er könne sein Fahrtraining nur ordentlich durchführen, wenn er perfekte Orts- und Straßenkenntnisse habe. Umso wichtiger sei dies am Anfang der Saison, da sich über den Winter Straßen oft gravierend verändern würden.
Keine Anerkennung als Arbeitsunfall
Die Beklagte erkannte das Ereignis nicht als Arbeitsunfall an, da es sich um eine unversicherte Vorbereitungshandlung gehandelt habe. Vorbereitende Tätigkeiten wie z. B. eine „Erkundigungsfahrt“ zur Arbeit seien grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. Ausnahmsweise seien Vorbereitungshandlungen u. a. versichert, wenn der jeweilige Versicherungstatbestand nach seinem Schutzzweck auch Vor- und Nachbereitungshandlungen erfasse, die für die versicherte Hauptverrichtung im Einzelfall notwendig sind und in einem sehr engen sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Hier fehle es an einem engen Zusammenhang zwischen der behaupteten Vorbereitungshandlung und der erst am Folgetag vorgesehenen versicherten Tätigkeit.
Erfolg in der Berufung
Nachdem das Sozialgericht (SG) die Klage in erster Instanz abwies, hatte der Kläger mit seiner Berufung Erfolg. Das LSG Baden-Württemberg stellte fest, dass der fragliche Unfall ein Arbeitsunfall gewesen ist.
Landessozialgericht sah versicherte Tätigkeit
Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass die Unfallfahrt zu der versicherten Tätigkeit des Klägers gehört habe. Dieser sei zu seiner unfallbringenden Motorradfahrt allein aus dem Grund aufgebrochen, um für seine am nächsten Tag geplante Trainingsfahrt eine geeignete und sichere Strecke zu testen, was objektiv dem Ziel seines bei der Beklagten versicherten Unternehmens gedient und hierzu auch nicht in einem wirtschaftlichen Missverhältnis gestanden habe. Zwar könne es unwirtschaftlich erscheinen, für ein Fahrsicherheitstraining von ca. einem halben Tag Dauer eine so weit vom Wohnsitz des Klägers entfernte Strecke zu wählen, und diese dann auch noch am Vorabend auf eigene Kosten abzufahren. Insoweit sei aber wiederum der Hinweis des Klägers nachvollziehbar, dass bereits auf der Hinfahrt zu der Strecke der Fahrschüler professionell beobachtet werde. Zudem sei eine solche Erkundungsfahrt auch nach den Einlassungen des Klägers nicht die Regel und sei hier vorrangig dem Beginn der Motorradsaison und den hiermit verbundenen Unwägbarkeiten bezüglich geeigneter Straßenbeläge geschuldet gewesen.
Sofern – wie hier – festzustellen sei, dass eine Tätigkeit selbst als versicherte Tätigkeit anzusehen ist, könne diese nicht mehr als unversicherte Vorbereitungshandlung qualifiziert werden. Es habe zur seriösen Geschäftsausübung des Klägers gehört, dass er Fahrsicherheitstrainings nicht auf Strecken anbot, die nach der Winterpause ein unbekanntes Gefahrenpotential aufwiesen. Das Abfahren der Strecke sei daher objektiv sinnvoll und Teil der den Fahrschülern geschuldeten Hauptleistung als vertragliche Nebenpflicht, durch geeignete Maßnahmen eine Gefährdung der Fahrschüler so weit wie möglich und vertretbar zu reduzieren.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.4.2024, L 3 AS 101/24, PM vom 2.4.2024
| Kauft ein Pfandleihhaus ein Kraftfahrzeug an, um es anschließend an den Verkäufer wieder zu vermieten und beträgt der Marktwert des Fahrzeugs das Fünf- bis Sechsfache des vereinbarten Kaufpreises, sind Kauf- und Mietvertrag wegen Wucher nichtig. Der Verkäufer kann die gezahlten Mieten zurückverlangen, ohne sich den erhaltenen Kaufpreis anrechnen lassen zu müssen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Pfandhaus kauft Fahrzeuge an und vermietet sie wieder
Die Beklagte betreibt bundesweit ein staatlich zugelassenes Pfandleihhaus. Ihr Geschäftsmodell ist darauf gerichtet, Kraftfahrzeuge den Eigentümern abzukaufen und sie ihnen nachfolgend gegen monatliche Zahlungen zu vermieten. Nach Ende der Mietzeit erhält die Beklagte das Fahrzeug zurück und darf es öffentlich versteigern.
Die Klägerin verkaufte ihr Fahrzeug 2020 an die Beklagte für 3.000 Euro. Der Händlereinkaufspreis lag bei rund 15.000 Euro, der objektive Marktwert bei mehr als 18.000 Euro. Anschließend mietete die Klägerin das Fahrzeug für 297 Euro monatlich zurück und übernahm die Kosten für Steuern, Versicherung, Wartung und Reparaturen. Nach Kündigung des Vertrags durch die Beklagte gab die Klägerin das Fahrzeug nicht zurück. Der Beklagten gelang es nicht, das Fahrzeug sicherzustellen.
Klage erfolglos
Auf die Klage hin verurteilte das Landgericht (LG) die Beklagte, die geleistete Miete zurückzuzahlen und stellte fest, dass die Klägerin ihr Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren hat. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Sittenwidrigkeit: Kauf- und Mietvertrag nichtig
Sowohl der Kauf- als auch der Mietvertrag seien nichtig, begründete das OLG seine Entscheidung. Sie seien als wucherähnliche Geschäfte sittenwidrig. Es liege ein grobes und auffälliges Missverhältnis zwischen Marktwert und Kaufpreis vor, da gemäß den überzeugenden sachverständigen Ausführungen der Marktwert des Fahrzeugs über dem fünf- bis sechsfachen des Kaufpreises gelegen habe.
Auf die verwerfliche Gesinnung der Beklagten könne angesichts dieses Missverhältnisses ohne Weiteres geschlossen werden. Angesichts des Geschäftsmodells sei auch davon auszugehen, dass sich die Beklagte den mit Abschluss des Kaufvertrags erzielten Mehrwert endgültig habe einverleiben wollen, auch wenn im Fall der Versteigerung des Fahrzeugs nach Mietende ein etwaiger Mehrerlös dem Verkäufer hätte zugewandt werden müssen. Kauf- und Mietvertrag bildeten dabei ein einheitliches Rechtsgeschäft. Die Klägerin habe das Fahrzeug nur verkaufen wollen, wenn sie es zugleich weiternutzen könne. Der Mietvertrag sei damit ebenfalls nichtig und die gezahlte Miete zurückzuzahlen.
Keine Rückzahlung des Kaufpreises
Obwohl die Klägerin das Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren habe, müsse sie wegen der sittenwidrigen Übervorteilung auch nicht den Kaufpreis an die Beklagte zurückzahlen. Die Beklagte könne den Kaufpreis nicht zurückverlangen, da ihr objektiv ein Sittenverstoß anzulasten sei und sie sich angesichts des auffälligen Missverhältnisses der Rechtswidrigkeit ihres Handelns zumindest leichtfertig verschlossen habe.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.4.2024, 2 U 115/20, PM 26/24
| Das Dach eines Flachdachanbaus einer WEG-Anlage ist selbst dann Gemeinschaftseigentum, wenn alle darunterliegenden Räume zu einer Sondereigentumseinheit gehören. Für die Gültigkeit eines Grundlagenbeschlusses ist es daher nicht erforderlich, dass der Beschlussersetzungsantrag auch die inhaltliche Konkretisierung umfasst. Diese Konkretisierungen können den Eigentümern überlassen werden. So sieht es das Landgericht (LG) Karlsruhe. |
Das Dach sollte instand gesetzt werden
Gestritten wurde um die Instandsetzung des Dachs über einer Gaststättenküche in einer WEG-Anlage, die im Sondereigentum eines Eigentümers steht und ein eigenes Flachdach hat. In der Teilungserklärung ist das Sondereigentum als „Einrichtungen und Anlagen“ definiert, soweit diese nicht dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienen, sondern nur dem Sondereigentümer zu dienen bestimmt sind. Der Eigentümer begehrte durch Beschlussersetzung, dass die Instandsetzung des Dachs beschlossen wird. Die Wohnungseigentümergemeinschaft war der Ansicht, dass der Eigentümer die Instandsetzungskosten allein tragen müsse. Für die Beschlussersetzung fehle es an der sogenannten Ermessensreduzierung auf Null.
Beschluss war ungültig
Das Amtsgericht (AG) hatte der Klage zunächst stattgegeben. Die Berufung vor dem LG hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der Negativbeschluss sei ungültig, so das LG in zweiter Instanz. Die Ablehnung einer positiven Beschlussfassung widerspreche ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn der Anspruch offenkundig und ohne jeden vernünftigen Zweifel gegeben sei. Das habe schon der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.
Ein Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme, die die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums betreffe, bestehe nur, wenn sich das Ermessen der Gemeinschaft im Einzelfall auf Null reduziert habe, sich also jede andere Entscheidung als ermessensfehlerhaft darstellte. Die abgelehnte Sanierung sei dringend erforderlich und stelle eine notwendige Instandsetzungsmaßnahme dar.
Konstruktive Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig
Bei dem Dach handele es sich auch nicht um Sondereigentum.
Das LG hat klargestellt, dass die konstruktiven Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig sind, selbst wenn alle Räume des Gebäudes dem Sondereigentum eines Eigentümers unterliegen. Unerheblich ist eine mögliche widersprechende Regelung in der Teilungserklärung. Denn eine Regelung, die nicht sondereigentumsfähige Gebäudeteile zum Inhalt des Sondereigentums erklärt, ist nichtig.
Zulässig sei es, lediglich einen Grundlagenbeschluss zu treffen, also anzuordnen, dass eine Instandsetzung bestimmter Bauteile zu erfolgen habe, und den Wohnungseigentümern im Übrigen die weitere inhaltliche Konkretisierung (Auswahl des Fachunternehmens, Finanzierung der Maßnahme, etc.) zustehe. Es sei also nicht zu beanstanden, dass der Beschlussersetzungsantrag nur auf das „Ob“ der Instandsetzung, nicht jedoch bereits auf das „Wie“ ziele.
Quelle | LG Karlsruhe, Urteil vom 8.3.2024, 11 S 53/22
| Ein Vermieter muss nicht schon für jede mehr als unerhebliche Beeinträchtigung des bis zur Veränderung der äußeren Umstände gewohnten Nutzens der Mietsache einstehen. Er haftet nur für solche Umfeldveränderungen, die er selber nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 906 BGB) abwehren kann oder nur gegen Ausgleichszahlung hinnehmen muss. Die Freiheit von dahinter zurückbleibenden Einwirkungen auf das Grundstück, die ein Grundstückseigentümer ausgleichslos hinnehmen muss, sind danach gar nicht Gegenstand des vertraglichen Leistungsversprechens des Vermieters und der Gewährleistung. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Vorinstanz: Mieterin hat nicht genug vorgetragen
Die Wohnungsmieterin verlangte von der Vermieterin eine Mietminderung. Sie behauptete, die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung sei durch eine Baustelle auf dem Nachbargrundstück erheblich beeinträchtigt. Vor dem AG hatte sie damit keinen Erfolg. Sie habe nicht schlüssig dargetan, dass der Nutzen der Wohnung durch die Baustelle über das hinzunehmende Maß hinaus beeinträchtigt gewesen sei, so das AG. Darüber hinaus habe die Mieterin zur konkreten Beeinträchtigung des Wohnungsnutzens nicht ausreichend vorgetragen, sondern nur geltend gemacht, dass sie die Mieträume lediglich in Baupausen habe lüften können. Soweit sie die Unbenutzbarkeit des Balkons wegen Lärm und Staub behauptet habe, sei das unschlüssig, weil unklar bleibe, wo sich der Balkon im Verhältnis zur Baustelle auf dem Nachbargrundstück befinde.
Im Berufungsverfahren argumentierte die Mieterin, dass sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ausreichend zu den Auswirkungen der Baumaßnahmen vorgetragen habe; das Gericht müsse sich nun in einer Beweisaufnahme davon überzeugen, ob ein Mangel vorliege oder nicht.
So sah es das Landgericht
Das sah das LG anders und wies die Berufung zurück. Die Baumaßnahmen hätten nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung geführt, die die Vermieterin nicht gemäß § 906 Abs. 2 S. 1 BGB hätte unterbinden können oder gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB nur gegen eine angemessene Ausgleichszahlung hätte dulden müssen.
Beeinträchtigung war durch Dritte verursacht
Das Risiko einer nach Mietvertragsschluss – auch zufällig – eintretenden Verringerung des Nutzens der Mietsache sei nicht dem Vermieter zuzuordnen, da es sich bei einer durch Dritte verursachten Nutzungsbeeinträchtigung aus Sicht beider Vertragsparteien um ein unabwendbares Ereignis handeln könne, für das ein Vermieter erkennbar keine Haftung übernehmen wolle und billigerweise auch nicht übernehmen müsse.
An die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung sei der in der Rechtsprechung entwickelte strenge Maßstab anzulegen, der auch bei der unmittelbaren Anwendung des § 906 BGB im Nachbarschaftsrecht gelte. Andernfalls liefe das Kriterium nicht nur weitgehend leer, sondern der Vermieter wäre Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt, ohne erfolgreich gegen den Grundstücksnachbarn als Verursacher der Störungen vorgehen und diesen gegebenenfalls in Regress nehmen zu können.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 8.2.2024, 64 S 319/21
| Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte die Frage zu entscheiden, ob die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit gegeben ist. |
Der Erblasser, ein kinderloser deutscher Staatsangehöriger, ist im Jahr 2023 in einem Pflegeheim in Polen verstorben. Zuvor lebte er mit seiner (zweiten) Ehefrau sowie in verschiedenen Pflegeheimen in Deutschland. Anfang 2022 machte sich bei ihm eine zunehmende Demenz bemerkbar, die ihn zum Pflegefall machte. Seit April 2023 lebte er in einem Pflegeheim in Polen. Dort hatte er kein Vermögen, er sprach kein polnisch und hatte familiäre sowie soziale Verbindungen allein nach Deutschland. Er wurde gegen bzw. ohne seinen Willen in dem Pflegeheim in Polen untergebracht. Nach dem Tod des Erblassers stellte seine Ehefrau einen Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins beim Nachlassgericht des Amtsgerichts (AG) Singen. Dies hat den Antrag mangels internationaler Zuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.12 (Art. 4 EuErbVO) zurückgewiesen. Der dagegen gerichteten Beschwerde hat das AG nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
Das OLG Karlsruhe hat den Beschluss des Nachlassgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben sei, weil der Erblasser seinen (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe.
Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ sei unionsautonom (gem. Art 23 u. 24 EuErbVO) auszulegen. In objektiver Hinsicht müsse zumindest ein tatsächlicher Aufenthalt („körperliche Anwesenheit“) gegeben sein, auf eine konkrete Dauer oder die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts komme es hingegen nicht an. Unschädlich sei auch eine vorübergehende Abwesenheit, soweit ein Rückkehrwille bestand. In subjektiver Hinsicht sei das Vorliegen eines animus manendi (Bleibewille) erforderlich, also der nach außen manifestierte Wille, seinen Lebensmittelpunkt am Ort des tatsächlichen Aufenthalts auf Dauer zu begründen. Eines rechtsgeschäftlichen Willens bedürfe es insoweit nicht. Werden pflegebedürftige Personen in ausländischen Pflegeheimen untergebracht, komme es ebenfalls grundsätzlich auf deren Bleibewillen an. Könnten diese zum Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels keinen eigenen Willen mehr bilden oder erfolgt die Unterbringung gegen ihren Willen, fehle es an dem für die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts erforderlichen Bleibewillens. Dies sei hier der Fall.
Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.7.2024, 14 W 50/24 Wx
| Im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragte die Antragstellerin B., ungedeckte Heimkosten zu erstatten. B. bezieht verschiedene Renten; weiter hatte sie Mitte 2018 ihr hälftiges Grundstückseigentum sowie darüber hinaus ihren Anteil an der Erbengemeinschaft nach ihrem Mann unentgeltlich an ihre Kinder übertragen. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat den Antrag der B. zurückgewiesen. Sie verfüge sowohl über Einkommen als auch über Vermögen, das sie vorrangig zur Beseitigung ihrer Hilfsbedürftigkeit einsetzen muss. Erst nach dessen Verbrauch könne ein erneuter Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt werden. |
Das Einkommen der B. besteht aus Rentenansprüchen. Neben diesem Einkommen, das vollständig einzusetzen ist, kann (und muss) B. auch über ihr Vermögen verfügen. Dieses besteht in Form eines Schenkungsrückforderungsanspruchs gegenüber ihren Kindern. Denn der Schenker kann von den Beschenkten die Herausgabe des Geschenks verlangen, wenn er nach Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten.
Der Anspruch ist erst ausgeschlossen, wenn zehn Jahre seit der Schenkung vergangen sind. Diese Frist war hier noch nicht abgelaufen. Die Beschenkten können die Herausgabe allerdings durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags abwenden.
Quelle | SG Lüneburg, Beschluss vom 21.5.2024, S 38 SO 23/24 ER
| Der Eigentümer eines denkmalgeschützten Wohngebäudes hat Anspruch auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzaunes auf seinem Grundstück. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks mit einem Wohngebäude, das seit 1998 als Kulturdenkmal unter Schutz gestellt ist. Seinen Antrag auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzauns auf der bestehenden, zwischen einem und 1,60 Meter hohen Einfriedungsmauer entlang der Straße lehnte die beklagte Stadt ab. Seine entsprechende Klage wies das Verwaltungsgericht (VG) ab. Auf seine Berufung hob das OVG das Urteil des VG auf und verpflichtete die Beklagte, ihm die beantragte Genehmigung zu erteilen.
Es stehe außer Frage, dass der Solarzaun einer Genehmigung bedürfe. Diese werde nach dem rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetz (hier: § 13 Abs. 2 DSchG) nur erteilt, wenn entweder (1.) Belange des Denkmalschutzes nicht entgegenstünden oder wenn (2.) andere Erfordernisse des Gemeinwohls oder private Belange diejenigen des Denkmalschutzes überwiegen würden und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne. Zwar sei mit dem VG davon auszugehen, dass Belange des Denkmalschutzes im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 1 DSchG einer Genehmigung entgegen stünden. Das Vorhaben des Klägers erfülle aber die Anforderungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 DSchG, weil andere Erfordernisse des Gemeinwohls vorrangig seien und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne.
Das öffentliche Interesse an der Errichtung des Solarzauns sei vorliegend von solchem Gewicht, dass das Interesse an der unveränderten Erhaltung des Erscheinungsbildes des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes zurückzustehen habe und die Erteilung der Genehmigung geboten erscheine. Dies folge aus § 2 des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz) – EEG. Danach lägen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dienten der öffentlichen Sicherheit. Besondere atypische Umstände, die ein abweichendes Ergebnis der Abwägung nach sich zögen, seien nicht ersichtlich.
Den somit bestehenden überwiegenden Interessen des Gemeinwohls könne auch nicht auf sonstige Weise Rechnung getragen werden. Der Schutzzweck des § 2 EEG stehe einer Prüfung von alternativen Standorten für Anlagen der erneuerbaren Energien an anderen Stellen des klägerischen Grundstücks von vornherein entgegen. Unabhängig davon komme ein Alternativstandort für eine Solaranlage auf dem Grundstück des Klägers auch tatsächlich nicht in Betracht.
Quelle | OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.8.2024, 1 A 10604/23.OVG, PM 14/24
| Ein Landkreis hatte einem Ehepaar untersagt, im Garten ihres Wohngrundstücks Minischweine zu halten. Das Ehepaar klagte dagegen vor dem Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt a. M. – erfolglos. |
Anwohner beschwerten sich
Die Kläger sind Eigentümer eines Wohngrundstücks, das in einem durch Bebauungsplan festgesetzten allgemeinen Wohngebiet liegt. Sie halten im Garten ihres Grundstücks seit 2022 sogenannte Minischweine. Nach Anwohnerbeschwerden forderte der Beklagte die Kläger im November 2023 auf, die beiden Schweine von ihrem Grundstück zu entfernen, da das Halten von Schweinen in allgemeinen Wohngebieten unzulässig sei.
Klage der Eigentümer abgewiesen
Das VG hat die Klage abgewiesen. Das Halten von zwei Minischweinen im Garten ihres in einem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Wohnanwesens sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Der Bebauungsplan weise das Gebiet als allgemeines Wohngebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung (BauNVO) aus. Anlagen zur Tierhaltung gehörten nicht zu den in allgemeinen Wohngebieten zulässigen Anlagen. Allgemeine Wohngebiete dienten vorwiegend dem Wohnen.
Gebietsuntypische Störungen unzulässig
Die gebietstypische Schutzwürdigkeit und Störempfindlichkeit werde in allgemeinen Wohngebieten im Wesentlichen von der störempfindlichen Hauptnutzungsart bestimmt. Das Wohnen dürfe keinen gebietsunüblichen Störungen ausgesetzt werden.
Zwar seien nach der Baunutzungsverordnung (hier: § 14 BauNVO) in Wohngebieten untergeordnete Nebenanlagen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Grundstücke oder des Wohngebiets selbst dienten und die seiner Eigenart nicht widersprächen. Zu diesen untergeordneten Nebenanlagen gehörten auch solche für die Kleintierhaltung. Allerdings ermögliche § 14 BauNVO als Annex zum Wohnen eine Kleintierhaltung nur, wenn sie in dem betreffenden Baugebiet üblich und ungefährlich sei und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprenge.
Ziegen, Schweine, Schafe: Haltung in Wohngebieten heutzutage unüblich
Kleintiere seien Nutztiere ebenso wie Hobbytiere, die zum Schutz, zur Unterhaltung oder zur Ernährung gehalten würden. In den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten dürften nur solche Kleintiere gehalten werden, die der für eine Wohnnutzung charakteristischen Freizeitbeschäftigung entsprächen. Als Kleintiere würden im Allgemeinen etwa Katzen und Hunde angesehen. Dagegen sei in den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten die Haltung von Ziegen, Schafen und Schweinen in der heutigen Zeit nicht mehr üblich und unzulässig. Eine unterschiedliche Behandlung zwischen sogenannten Hausschweinen, Hängebauchschweinen und Minischweinen sei dabei nicht angezeigt. Minischweine könnten bis zu einem Meter lang werden und bis zu 100 kg wiegen.
Geräusch- und Geruchsbelästigungen
Das Halten von Schweinen in einem allgemeinen Wohngebiet führe typischerweise zu Geräusch- und Geruchsbelästigungen, die in Wohngebieten unüblich seien. Von Schweinen, die sich ganzjährig rund um die Uhr hauptsächlich im Freien aufhielten, gingen ungefilterte Gerüche und Geräusche aus, die unmittelbar die Umgebung belasteten. Aufgrund ihrer Größe und Anzahl komme es bei Schweinen zudem zu erheblichen Ausscheidungen, die gebietsuntypische Gerüche verbreiteten.
Ursprünglich dörflicher Charakter der Gemeinde unerheblich
Hieran ändere auch nichts, dass die betreffende Gemeinde ursprünglich einen dörflichen Charakter gehabt habe oder gar mit dem Spruch „Größtes Dorf der Welt“ werbe. Gegenwärtig zeichne sich die unmittelbare Umgebung des streitgegenständlichen Grundstücks - auf die es im vorliegenden Fall allein ankomme - durch weit überwiegende Wohnnutzung aus.
Zwar könne im Einzelfall die Üblichkeit der Kleintierhaltung abweichend von der typisierenden Betrachtung bejaht werden, wenn eine konkrete Betrachtung ergebe, dass in der Nachbarschaft vergleichbare Nutzungen vorhanden seien und sich die Bewohner des Baugebiets damit abgefunden hätten. Letzteres sei hier jedoch nicht der Fall.
Quelle | VG Neustadt a. M., Urteil vom 11.9.2024, 5 K427/24, PM 14/24
| Notdienste eines Kundendiensttechnikers, die dadurch gekennzeichnet sind, dass er sich an einem frei wählbaren Ort aufhalten kann, aber telefonisch erreichbar sein und zu einem Notdiensteinsatz binnen einer Stunde am Einsatzort eintreffen muss, wenn er angefordert wird, sind Rufbereitschaftsdienste und keine Bereitschaftsdienste. Voraussetzung: Unter Berücksichtigung der Anfahrtszeit verbleiben noch 30 Minuten Zeit, bis der Arbeitnehmer aufbrechen muss. Zu diesem Ergebnis kommt das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. |
Notdienst nur sehr selten
Außerdem erläuterte das Gericht, dass das oben Gesagte zumindest dann gelte, wenn eine tatsächliche Anforderung im Notdienst äußerst selten vorkomme – im vorliegenden Fall lediglich in einem Umfang von 0,67 % der Gesamt-Notdienstbereitschaftszeit.
Ruhezeit
Liege arbeitsschutzrechtlich Rufbereitschaft und kein Bereitschaftsdienst vor, handele es sich um Ruhezeit im Sinne desArbeitszeitgesetzes (hier: § 5 ArbZG). Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff folge hier dem arbeitsschutzrechtlichen, sodass – soweit keine gesonderte Regelung im Arbeitsvertrag, in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zur Anwendung gelange – keine Vergütungspflicht bestehe.
Ausgenommen hiervon seien die Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung im Rahmen der Aktivierung aus dem Notdienst heraus, die als Vollarbeit zu vergüten sind.
Mindestlohngesetz
Auch das Mindestlohngesetz knüpfe an geleistete Zeitstunden an und mithin an den vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff. Arbeitsschutzrechtliche Ruhezeit sei weder arbeitsschutz- noch vergütungsrechtlich Arbeitszeit und begründet daher auch keine Mindestlohnansprüche.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.4.2024, 3 SLa 10/24
| Ein Reitverein muss für von ihm angebotenen Reitunterricht Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wenn der Unterricht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung erbracht wird. Hierfür spricht, wenn die Reitlehrerin die vereinseigenen Pferde sowie die Reithalle unentgeltlich nutzen kann und sie kein unternehmerisches Risiko trägt. Dies entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG). |
Reitverein muss Sozialversicherungsbeiträge und -nachforderungen zahlen und klagt
Eine Reitlehrerin unterrichtete Mitglieder eines gemeinnützigen Reitvereins mit den vereinseigenen Schulpferden auf dem Vereinsgelände zwischen 12 und 20 Stunden wöchentlich. In den Jahren 2015 bis 2018 zahlte ihr der Verein pro Reitstunde 18 Euro. Die Deutsche Rentenversicherung prüfte den Betrieb des Reitvereins. Sie stellte fest, dass die Reitlehrerin abhängig beschäftigt ist und forderte von dem Verein Rentenversicherungsbeiträge nach. Der Reitverein wandte hiergegen ein, dass die Reitlehrerin selbstständig tätig sei.
Landessozialgericht bestätigt Beitragspflicht des Reitvereins
Das LSG gab der Rentenversicherung Recht. Die Beitragsnachforderung sei rechtmäßig. Eine abhängige Beschäftigung liege vor. Zwar könne ein nebenberuflicher Übungsleiter oder Trainer in Sportvereinen auch selbstständig tätig sein, wie das Vertragsmuster „Freier-Mitarbeiter-Vertrag Übungsleiter Sport“ der Rentenversicherung belege. Ein solcher Vertrag sei jedoch vorliegend zwischen dem Reitverein und der Reitlehrerin nicht geschlossen worden.
Zudem sprächen im konkreten Einzelfall mehr Anhaltspunkte für das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung. So habe die Reitlehrerin kein unternehmerisches Risiko getragen. Sie habe keine Rechnungen erstellt und ausschließlich die vereinseigenen Pferde einschließlich Sattel und Zaumzeug genutzt, wofür sie - wie auch für die Nutzung der Reithalle - kein Entgelt gezahlt habe. Die Hallenzeiten habe sie mit dem Reitverein abgestimmt. Der Reitverein habe die Stundenvergütung vorgegeben. Die Jahresvergütung von durchschnittlich über 6.500 Euro habe die steuerfreie Aufwandspauschale für Übungsleiter (bis 2020: 2.400 Euro jährlich) weit überschritten. Schließlich habe der Reitverein auf seiner Homepage mit „unsere Reitlehrerin“ geworben und selbst die Verträge über den Reitunterricht mit den Reitschülern geschlossen.
Da die Rentenversicherung nur die über der Aufwandspauschale für Übungsleiter liegenden Einkünfte bei der Beitragsberechnung berücksichtigt habe, sei auch die Höhe der Beitragsforderung zutreffend.
Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.
Quelle | Hessisches LSG, Urteil vom 18.6.2024, L 1 BA 22/23,PM 6/24
| Die gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 3 Nr. 11 c EStG) geregelte Steuerfreiheit der (freiwilligen) Inflationsausgleichsprämie sieht keine Regelung vor, dass die Prämie an alle Arbeitnehmer ausgezahlt werden muss. Somit ist der Arbeitgeber nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen grundsätzlich nicht daran gehindert, die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie an weitere Bedingungen zu knüpfen. |
Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt
Es verstößt nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein Arbeitgeber zur weiteren Bedingung der Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie macht, dass der Beschäftigte Teil seiner „active workforce“ ist, sodass z. B. Beschäftigte in der Passivphase der Altersteilzeit von der Prämie ausgeschlossen sind.
Steuerfreie Inflationsausgleichsprämie bis zu 3.000 Euro
Die freiwillige Inflationsausgleichsprämie kann vom 26.10.2022 bis Ende 2024 gewährt werden. Bei den 3.000 Euro handelt es sich um einen steuerlichen Freibetrag, der auch in mehreren Teilbeträgen ausgezahlt werden kann.
Begünstigt sind auch Zahlungen an Minijobber. Da die Zahlung steuer- und beitragsfrei ist, wird sie nicht auf die Minijobgrenze angerechnet.
Zusätzlich zum Arbeitslohn
Die Zahlungen müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erfolgen. Nach § 8 Abs. 4 EStG werden Leistungen nur dann zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, wenn
- die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
- der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
- die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
- bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.
Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 21.2.2024, 8 Sa 564/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Die Werbung mit einem mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff (hier: „klimaneutral“) ist regelmäßig nur zulässig, wenn in der Werbung selbst erläutert wird, welche konkrete Bedeutung diesem Begriff zukommt. |
Das war geschehen
Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte ist ein Unternehmen, das Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz herstellt. Die Produkte sind im Lebensmitteleinzelhandel, an Kiosken und an Tankstellen erhältlich. Die Beklagte warb in einer Fachzeitung der Lebensmittelbranche mit der Aussage: „Seit 2021 produziert [die Beklagte] alle Produkte klimaneutral“ und einem Logo, das den Begriff „klimaneutral“ zeigt und auf die Internetseite eines „ClimatePartner“ hinweist. Der Herstellungsprozess der Produkte der Beklagten läuft nicht CO2-neutral ab. Die Beklagte unterstützt indes über den „ClimatePartner“ Klimaschutzprojekte.
Irreführend: Herstellungsprozess selbst nicht klimaneutral
Die Klägerin hält die Werbeaussage für irreführend. Die angesprochenen Verkehrskreise verstünden diese so, dass der Herstellungsprozess selbst klimaneutral ablaufe. Zumindest müsse die Werbeaussage dahingehend ergänzt werden, dass die Klimaneutralität erst durch kompensatorische Maßnahmen hergestellt werde. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH hat die Beklagte zur Unterlassung der Werbung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten verurteilt. Die beanstandete Werbung ist irreführend im Sinne des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 UWG).
Die Werbung ist mehrdeutig, weil der Begriff „klimaneutral“ nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen von den Lesern der Fachzeitung – nicht anders als von Verbrauchern – sowohl im Sinne einer Reduktion von CO2 im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO2 verstanden werden kann. Im Bereich der umweltbezogenen Werbung ist – ebenso, wie bei gesundheitsbezogener Werbung – eine Irreführungsgefahr besonders groß und es besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen. Bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff, wie „klimaneutral“, verwendet, muss deshalb zur Vermeidung einer Irreführung regelmäßig bereits in der Werbung selbst erläutert werden, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist. Aufklärende Hinweise außerhalb der umweltbezogenen Werbung sind insoweit nicht ausreichend.
Irreführende Werbung relevant für Kaufentscheidung
Eine Erläuterung des Begriffs „klimaneutral“ war hier insbesondere erforderlich, weil die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität darstellen, sondern die Reduktion gegenüber der Kompensation unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes vorrangig ist. Die Irreführung ist auch wettbewerblich relevant, da die Bewerbung eines Produkts mit einer vermeintlichen Klimaneutralität für die Kaufentscheidung des Verbrauchers von erheblicher Bedeutung ist.
Quelle | BGH, Urteil vom 27.6.2024, I ZR 98/23, PM 138/24
| Die Aufzeichnungspflichten nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 4 Abs. 7 des EStG) für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind bei einem Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt, nur erfüllt, wenn sämtliche Aufwendungen einzeln fortlaufend in einem gesonderten Dokument oder Datensatz aufgezeichnet werden. Eine reine Belegsammlung mit Aufaddieren der Positionen nach Abschluss des Veranlagungszeitraums ist nicht ausreichend. Da der Bundesfinanzhof (BFH) gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Hessen kürzlich die Revision zugelassen hat, ist mit einer weiteren Präzisierung der Rechtsprechungsgrundsätze zu rechnen. |
Hintergrund: § 4 Abs. 5 EStG schränkt den Abzug für gewisse Betriebsausgaben ein. So wirken sich z. B. Aufwendungen für Geschenke an Geschäftspartner und Kunden nur steuermindernd aus, wenn eine Grenze von 50 Euro eingehalten wird. Und auch für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer besteht eine Abzugsbeschränkung.
Aufzeichnungspflichten
Darüber hinaus sind die Aufwendungen i. S. des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 4, 6 b und 7 EStG einzeln und getrennt von den sonstigen Betriebsausgaben aufzuzeichnen. Soweit diese Aufwendungen nicht bereits nach Abs. 5 vom Abzug ausgeschlossen sind, dürfen sie bei der Gewinnermittlung nur berücksichtigt werden, wenn sie besonders aufgezeichnet sind.
Beachten Sie | Bei den Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG handelt es sich um eine zusätzliche materiell-rechtliche Voraussetzung für den Betriebsausgabenabzug. Bei Verstößen droht das Abzugsverbot. Dieses Abzugsverbot wird auch bei einer Gewinnermittlung per Einnahmen-Überschussrechnung so umgesetzt, dass die betroffenen Aufwendungen dem Gewinn als Betriebseinnahmen hinzugerechnet werden.
Finanzierungs- und Energiekosten dürfen geschätzt werden
Nach Ansicht der Finanzverwaltung bestehen keine Bedenken, wenn die auf das Arbeitszimmer anteilig entfallenden Finanzierungskosten im Wege der Schätzung ermittelt werden und nach Ablauf des Wirtschafts- oder Kalenderjahrs eine Aufzeichnung aufgrund der Jahresabrechnung des Kreditinstituts erfolgt. Entsprechendes gilt für die verbrauchsabhängigen Kosten (z. B. Wasser- und Energiekosten). Es reicht aus, Abschreibungsbeträge einmal jährlich – zeitnah nach Ablauf des Kalender- oder Wirtschaftsjahrs – aufzuzeichnen.
Jahrespauschale ausgenommen
Beachten Sie | Beim Abzug der Jahrespauschale (1.260 Euro) bestehen die besonderen Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG nicht.
Quelle | FG Hessen, Urteil vom 13.10.2022, 10 K 1672/19, Rev. BFH: VIII R 6/24, BMF-Schreiben vom 15.8.2023, IV C 6 – S 2145/19/1006 :027, RZ. 25 f.
| Ermittelt ein Steuerpflichtiger seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung, ist die Art und Weise, in der er seine Aufzeichnungen geführt hat, eine Tatsache, die zur Korrektur eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids führen kann, wenn sie dem Finanzamt nachträglich bekannt wird. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. |
Hintergrund: Ist die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat abgelaufen, wird ein Steuerbescheid grundsätzlich bestandskräftig. Allerdings bestehen auch danach Berichtigungs- und Änderungsmöglichkeiten. Eine davon ist § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Hier heißt es: Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Das war geschehen
Ein Einzelhändler ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung. Das Finanzamt veranlagte ihn erklärungsgemäß (ohne Vorbehalt der Nachprüfung). Bei einer späteren Außenprüfung beurteilte das Finanzamt die Aufzeichnungen als formell mangelhaft und nahm eine Hinzuschätzung vor. Die bestandskräftigen Bescheide wurden nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert.
Bareinnahmen: Aufzeichnungen mangelhaft
Die Tatsache, ob und wie der Steuerpflichtige seine Bareinnahmen aufgezeichnet hat, ist rechtserheblich, wenn das Finanzamt bei deren vollständiger Kenntnis bereits im Zeitpunkt der Veranlagung zur Schätzung befugt gewesen wäre und deshalb eine höhere Steuer festgesetzt hätte.
Da eine Schätzungsbefugnis in bestimmten Fällen auch bei (nur) formellen Mängeln der Aufzeichnungen über Bareinnahmen besteht, muss das FG nun im zweiten Rechtsgang prüfen, ob die Unterlagen Mängel aufweisen, die zur Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen führen.
Quelle | BFH, Urteil vom 6.5.2024, III R 14/22, PM 30/24 vom 4.7.2024
| Wer neben dem Bau von Gewächshäusern Pflanzen züchtet und mit ihnen handelt, unterhält nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) Münster unterschiedliche Betriebe. Dies hat zur Folge, dass für Zwecke der Gewerbesteuer Verluste aus der Pflanzenzucht nicht mit Gewinnen aus dem Gewächshausbau verrechnet werden können. |
Unterschied: Betätigung gewerblich oder land- und forstwirtschaftlich
Beim Gewächshausbau handelt es sich nach der Wertung des FG um eine gewerbliche und bei der Pflanzenzucht um eine land- und forstwirtschaftliche Betätigung. Beide Tätigkeiten sind laut FG auch nicht derart miteinander planvoll wirtschaftlich verbunden, dass sie als ein einheitlicher Gewerbebetrieb betrachtet werden können.
Beachten Sie | Die Pflanzenzucht ist auch keine bloße Hilfsbetätigung zum Gewächshausbau und sie ist auch nicht notwendig für die gewerbliche Tätigkeit, da auch Konkurrenzbetriebe nicht stets zusätzlich eine Pflanzenzucht betreiben.
Sachlicher Zusammenhang erforderlich
Die Zusammenfassung mehrerer Betätigungen zu einem einheitlichen Gewerbebetrieb erfordert allgemein einen sachlichen Zusammenhang finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Art zwischen den Betätigungen.
Bei gleichartigen gewerblichen Betätigungen gilt die Vermutung eines einheitlichen Gewerbebetriebs, es sei denn, es sprechen ausnahmsweise besondere Umstände des konkreten Einzelfalls dagegen. Bei ungleichartigen gewerblichen Betätigungen liegt dagegen nur ausnahmsweise ein einheitlicher Gewerbebetrieb vor. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) im Jahr 2020 entschieden.
Dies gilt erst recht beim Zusammentreffen einer gewerblichen mit einer nicht gewerblichen Tätigkeit. Nur ganz ausnahmsweise – bei einem untrennbaren Sachzusammenhang – können auch solche Betätigungen zusammengefasst werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 29.11.2023, 13 K 986/21 G; BFH, Urteil vom 17.6.2020, X R 15/18
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (§ 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen.
Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest. Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R, PM Nr. 7/24
| Wer in der Dunkelheit mit dem Auto auf einen Betonpoller auffährt, muss nicht unbedingt für seinen Schaden selbst aufkommen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig entschieden. |
Das war geschehen
Ein Autofahrer forderte von einer Gemeinde Schadenersatz. Er war bei Dunkelheit mit seinem Fahrzeug in den mittleren von drei etwa 40 Zentimeter hohen Betonpollern hineingefahren. Die Poller hatte die Gemeinde hinter dem Einmündungsbereich einer mit einem Sackgassenschild ausgewiesenen Straße als Durchfahrtssperre aufgestellt. Nur die äußeren beiden Poller waren dabei mit jeweils drei Reflektoren versehen. Das Landgericht (LG) hatte die Gemeinde teilweise zum Schadenersatz verurteilt. Der Autofahrer müsse sich lediglich 25 Prozent Mitverschulden anrechnen lassen.
Verstoß gegen die Straßenverkehrssicherungspflicht
Dies hat das OLG nun bestätigt. Die Gemeinde habe gegen ihre Straßenverkehrssicherungspflicht verstoßen. Sie hätte die der Verkehrsberuhigung dienenden Poller so aufstellen müssen, dass die Benutzer der Straße diese gut sehen könnten, wenn sie entsprechend sorgfältig führen. Dies hätte durch gut sichtbare Markierungen und ausreichende Beleuchtung erfolgen müssen. Das gelte vor allem, weil die Poller nur eine geringe Höhe (ca. 40 cm) hatten. Solche Poller seien aus dem Sichtwinkel eines Autofahrers nur schwer zu erkennen.
Sachverständigengutachten: Poller waren nicht zu erkennen
Das OLG hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt. Danach kam es zu dem Ergebnis, dass jedenfalls der mittlere und der rechte Poller unabhängig von der Geschwindigkeit und selbst bei Tageslicht für einen von rechts in die Straße einbiegenden Kraftfahrzeugfahrer nicht erkennbar waren. Dies habe der Sachverständige anhand von Videosequenzen belegt. Auch dem Sackgassenschild habe ein Autofahrer nicht entnehmen können, dass die Straße durch Poller versperrt sein würde. Die beklagte Gemeinde habe damit in eklatanter Weise gegen ihre Verkehrssicherungspflichten verstoßen.
Quelle | OLG Braunschweig, Urteil vom 10.12.2018, 11 U 54/1
| Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat die Klage eines Nachbarn auf Durchsetzung des „Fensterrechts“ in der Berufungsinstanz abgewiesen. In erster Instanz hatte das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth den vom Kläger gegen die Grundstücksnachbarn geltend gemachten Anspruch zuerkannt, die auf der Grundstücksgrenze befindlichen Fenster großflächig blickdicht zu gestalten und geschlossen zu halten. Das OLG hat nun die Entscheidung geändert. |
Kläger beriefen sich auf Nachbarrecht
Der Kläger verlangte unter Berufung auf die bayerischen Nachbarrechtsvorschriften von den beklagten Nachbarn, die zu seinem Grundstück zugewandten Wohnraumfenster so umzubauen, dass ein Öffnen und ein Durchblicken bis zur Höhe von 1,80 m über dem Boden nicht möglich sind. Er ist Eigentümer eines im Jahr 2017 errichteten Einfamilienhauses, die Beklagten wohnen seit 2019 auf dem Nachbargrundstück. Beide Grundstücke waren zunächst Teil eines größeren Grundstücks. Infolge der Grundstücksteilung im Jahr 2000 wurde das Wohnhaus, in dem die Beklagten wohnen, zu einem Grenzbau. Die Wohnung der Beklagten hat mehrere Fenster sowie eine Balkonfenstertür, deren Abstand zur Grundstücksgrenze des Klägers weniger als 60 Zentimeter beträgt.
Oberlandesgericht machte sich ein eigenes Bild
Das OLG sah die auf das „Fensterrecht“ gestützten Anspruchsvoraussetzungen zwar grundsätzlich als gegeben, erachtete die Durchsetzung des Anspruchs im konkreten Einzelfall in der Gesamtwürdigung aber als unbillige Härte. Es hatte sich in einem Ortstermin ein eigenes Bild von den konkreten Wohnverhältnissen gemacht und die streitgegenständlichen Fenster, insbesondere die etwaig zu verschattenden Fensterflächen, die Lichtverhältnisse in sämtlichen betroffenen Räumen und die Fluchtwege der Wohnung in Augenschein genommen.
Unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten der Wohnung und in Abwägung der jeweiligen Interessen beider Seiten kam das OLG zu dem Ergebnis, dass dem Kläger ein Berufen auf das nachbarrechtliche „Fensterrecht“ im konkreten Einzelfall verwehrt ist. Maßgeblich war aus Sicht des Gerichts zum einen, dass bis zu 80 % der Fensterflächen von der blickdichten Gestaltung betroffen wären und eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr der Wohnung bei Durchsetzung des Anspruchs nicht mehr gewährleistet wäre. Zum anderen hat das Gericht berücksichtigt, dass bei einem dauerhaften Verschließen der Balkontür auch der notwendige zweite Fluchtweg nicht mehr gegeben wäre. In Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände erachtete das Gericht die Ausübung des Fensterrechts daher als unzulässig.
Quelle | OLG Nürnberg, Urteil vom 18.6.2024. 6 U 2481/22, PM 21/24
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit der Frage befasst, ob sich der Verkäufer eines fast 40 Jahre alten Fahrzeugs mit Erfolg auf einen vertraglich vereinbarten allgemeinen Gewährleistungsausschluss berufen kann, wenn er mit dem Käufer zugleich vereinbart hat, dass die in dem Fahrzeug befindliche Klimaanlage einwandfrei funktioniere, und der Käufer nunmehr Mängelrechte wegen eines Defekts der Klimaanlage geltend macht. |
Das war geschehen
Der Kläger erwarb im März 2021 im Rahmen eines Privatverkaufs von dem Beklagten zu einem Kaufpreis von 25.000 Euro einen erstmals im Juli 1981 zugelassenen Mercedes-Benz 380 SL mit einer Laufleistung von rund 150.000 km. In der Verkaufsanzeige des Beklagten auf einer Onlineplattform hieß es unter anderem: „Klimaanlage funktioniert einwandfrei. Der Verkauf erfolgt unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“.
Im Mai 2021 beanstandete der Kläger, dass die Klimaanlage defekt sei. Nachdem der Beklagte etwaige Ansprüche des Klägers zurückgewiesen hatte, ließ dieser die Klimaanlage – im Wesentlichen durch eine Erneuerung des Klimakompressors – instand setzen. Mit der Klage verlangt er von dem Beklagten den Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von rund 1.750 Euro.
So sah es der Bundesgerichtshof
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren erfolgreich weiter. Der BGH hat entschieden, dass der Beklagte sich gegenüber dem hier im Streit stehenden Schadenersatzanspruch des Klägers nicht auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen kann.
Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist in den Fällen einer (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbarten Beschaffenheit ein daneben vereinbarter allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel dahin auszulegen, dass er nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit, sondern nur für sonstige Mängel gelten soll. Eine von diesem Grundsatz abweichende Auslegung des Gewährleistungsausschlusses kommt nicht in Betracht.
Auf den Wortlaut der Internetanzeige kam es an
Der Umstand, dass der Beklagte nicht erst im schriftlichen Kaufvertrag, sondern bereits in seiner Internetanzeige – unmittelbar im Anschluss an die Angabe „Klimaanlage funktioniert einwandfrei“ – erklärt hat, dass der Verkauf „unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“ erfolge, erlaubt es nicht, den vereinbarten Gewährleistungsausschluss dahingehend zu verstehen, dass er sich auf die getroffene Beschaffenheitsvereinbarung über die (einwandfreie) Funktionsfähigkeit der Klimaanlage erstreckt. Denn gerade das – aus Sicht eines verständigen Käufers – gleichrangige Nebeneinanderstehen einer Beschaffenheitsvereinbarung einerseits und eines Ausschlusses der Sachmängelhaftung andererseits gebietet es nach der Rechtsprechung des BGH, den Gewährleistungsausschluss als beschränkt auf etwaige, hier nicht in Rede stehende Sachmängel aufzufassen, da die Beschaffenheitsvereinbarung für den Käufer andernfalls – außer im (hier nicht gegebenen) Fall der Arglist des Verkäufers – ohne Sinn und Wert wäre.
Vereinbarte Beschaffenheit kann nicht im Anschluss wieder ausgeschlossen werden
Insbesondere aber rechtfertigen in einem Fall, in dem – wie hier – die Funktionsfähigkeit eines bestimmten Fahrzeugbauteils den Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung bildet, weder das (hohe) Alter des Fahrzeugs beziehungsweise des betreffenden Bauteils, noch der Umstand, dass dieses Bauteil typischerweise dem Verschleiß unterliegt, die Annahme, dass ein zugleich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss auch für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit gelten soll. Diese Umstände (Alter des Fahrzeugs, Verschleißanfälligkeit eines Bauteils) können zwar für die übliche Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens von Bedeutung sein. Sie spielen jedoch weder für die Frage einer konkret vereinbarten Beschaffenheit noch für die hier maßgebliche Frage eine Rolle, welche Reichweite ein allgemeiner Gewährleistungsausschluss im Fall einer vereinbarten Beschaffenheit hat. Vielmehr findet der Grundsatz, dass ein vertraglich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss die Haftung des Verkäufers für einen auf dem Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit beruhenden Sachmangel unberührt lässt, auch dann uneingeschränkt Anwendung, wenn der Verkäufer die Funktionsfähigkeit eines Verschleißteils eines Gebrauchtwagens zugesagt hat.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.4.2024, VIII ZR 161/23, PM 82/2024
| Ein Hotel mit einem Fußweg von ca. 1,3 Kilometern befindet sich nicht „nur wenige Gehminuten“ von wunderschönen Stränden entfernt. So hat es das Amtsgericht (AG) München jetzt klargestellt. Es läge daher ein Reisemangel vor. |
Es ging um die Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz
Das AG verurteilte einen Reiseveranstalter zur Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit in Höhe von insgesamt 1.795 Euro. Die Klägerin hatte für sich und ihre neunjährige Tochter bei der Beklagten eine Rundreise durch Costa Rica gebucht. Die Rundreise sollte einen Aufenthalt von 4 Nächten in einem Boutique-Hotel an der Pazifikküste beinhalten.
Tatsächlich 25 Gehminuten zum Strand
Die Klägerin bemängelte, das Hotel sei mit den Worten „nur wenige Gehminuten von den besten Restaurants und wunderschönen Stränden [..] entfernt“ beschrieben worden. Dies habe nicht der Realität entsprochen. An der Rezeption sei ihr mitgeteilt worden, dass man ein Taxi nehmen müsse, um den Strand zu erreichen, da dieser 25 Gehminuten entfernt läge. Die Klägerin wandte sich daraufhin an die lokale Ansprechpartnerin der Reiseveranstalterin und buchte in Abstimmung mit dieser über eine Buchungsplattform auf eigene Kosten ein Ersatzhotel. Mit ihrer Klage machte die Klägerin Ersatz der verauslagten Kosten für die Buchung des Ersatzhotels in Höhe von 733 Euro sowie Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit wegen eines verlorenen Urlaubstages aufgrund des Hotelwechsels in Höhe von 1.062 Euro geltend.
Entfernung zugesichert?
Die Beklagte behauptete, es sei nie eine bestimmte Entfernung oder Gehzeit zum Strand zugesichert worden. Tatsächlich sei der Strand in ca. 15 Minuten zu erreichen.
Das AG gab der Klägerin in vollem Umfang Recht und führte in den Entscheidungsgründen aus, dass das Hotel aufgrund seiner Entfernung zum Strand mangelhaft sei. Zwischen den Parteien sei zwar umstritten, wie lange der Fußweg vom Hotel zum Strand dauerte. Es sei allerdings unstreitig, dass der nächstgelegene Strand des Hotels einen Fußweg von 1,3 km entfernt war. Im Rahmen der Auslegung dieses vertraglich vereinbarten Merkmals „wenige Gehminuten“ müsse auch berücksichtigt werden, dass es sich bei der gebuchten Reise um eine Reise im Hochpreissegment handelte, wurden doch für 12 Tage knapp 9.000 Euro ausgegeben – exklusive Flügen. Die Beklagte, die selbst damit wirbt, „unvergessbare Luxusreisen“ anzubieten, müsse sich insofern an ihren eigenen Ansprüchen messen lassen. Nach Überzeugung des Gerichts seien bei einer hochpreisigen Luxusreise „wenige Gehminuten“ eine Zeit, die bei normalem Gehtempo regelmäßig fünf Minuten nicht überschreite.
„Wenige Gehminuten“ = maximal 5 Minuten!
Die unstreitige Entfernung zum Strand von 1,3 km könne jedoch nur dann (noch) in fünf Minuten zurückgelegt werden, wenn eine Gehgeschwindigkeit von etwa 15,6 km/h eingehalten werden würde, was selbst für erfahrene Läufer ein ambitioniertes Tempo darstelle. Vor dem Hintergrund, dass der Beklagten bei der Reiseplanung bekannt war, dass die Klägerin mit einem neunjährigen Kind reiste – passte sie doch ihr Freizeitprogramm kindgerecht an – könne das Einhalten eines solchen Tempos nicht vorausgesetzt werden.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | AG München, Urteil vom 22.11.2023, 242 C 13523/23, PM 20/24
| Das Landgericht (LG) München I hat die Klage einer Kundin gegen einen Outlet-Betreiber auf Schmerzensgeld abgewiesen. Die Kundin hatte sich bei der Kleideranprobe durch ein Preisschild eine Augenverletzung zugezogen. |
Bei der Kleideranprobe am Preisschild verletzt
Im April 2023 probierte die klagende Kundin im Outlet-Store der Beklagten ein T-Shirt. Dabei verletzte sie sich durch ein an diesem T-Shirt angebrachtes Preisschild am rechten Auge.
Schmerzensgeld gefordert
Die Kundin hat gegen den Betreiber des Outlet-Stores deswegen Klage erhoben und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5.000 Euro gefordert. Der Betreiber des Outlet-Stores habe die ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt, da das Preisschild in seiner Ausgestaltung aufgrund fehlender Sicherung und Erkennbarkeit gefährlich gewesen sei. Das Preisschild habe ihr bei der Anprobe ins Auge geschlagen. Sie habe dadurch eine erhebliche Verletzung am rechten Auge erlitten. Es sei erforderlich gewesen, an dem verletzten Auge eine Hornhauttransplantation durchzuführen. Bis heute leide sie unter Schmerzen und sei weiterhin in ihrer Sicht eingeschränkt sowie besonders blendempfindlich.
Preisschilder vorgeschrieben
Der Betreiber des Outlet-Stores hat eingewandt, bei dem verwendeten Preisschild handle es sich um ein übliches Standardpreisschild in der Größe von ca. 9 cm x 5 cm mit abgerundeten Ecken und einer flexiblen Rebschnur. Die Preisschilder seien durch ihre Größe und das Gewicht des Bündels deutlich fühlbar gewesen. Vergleichbare Fälle von aufgetretenen Verletzungen seien ihm nicht bekannt. Zudem sei es gesetzlich vorgeschrieben, entsprechende Preisschilder an den Waren anzubringen.
Amtsgericht weist Klage ab
Das AG hat die Klage abgewiesen. Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt stehe der Kundin ein Anspruch auf Schmerzensgeld gegenüber dem Betreiber des Outlet-Stores zu. Wenn sich im Zuge einer Kleideranprobe in einem Outlet eine Kundin durch ein übliches Preisschild am Auge verletzt, hafte der Betreiber dafür nicht, so das AG.
Zur Begründung hat das AG ausgeführt, sichernde Maßnahmen seien nur in dem Maße geboten, in dem sie ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei müsse der Geschäftsbetreiber nicht für alle denkbar entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es komme vielmehr auch entscheidend darauf an, welche Möglichkeiten der Geschädigte hat, sich vor erkennbaren Gefahrquellen selbst zu schützen.
Im hier entschiedenen Einzelfall habe der Betreiber des Outlet-Stores den an ihn gerichteten Verkehrssicherungspflichten Genüge getan. Für die Kundin sei das Vorhandensein eines Preisschildes erwartbar und das Treffen eigener Sicherheitsvorkehrungen zumutbar gewesen.
Nach allgemeiner Lebenserfahrung werfe ein Kunde bereits vor der Anprobe einen Blick auf das Preisschild und könne daher ohne Weiteres selbst dafür sorgen, dass er sich bei der Anprobe nicht verletze. Die Forderung der Kundin, gesondert auf das Vorhandensein von Preisschildern an der Kleidung hinzuweisen, hielt das Gericht für lebensfremd und nicht zumutbar.
Quelle | LG München I, Urteil vom 28.5.2024, 29 O 13848/23, PM 5/24
| Das Landgericht (LG) Paderborn hat in einem Mietrechtsstreit über Feuchtigkeitserscheinungen in einer Altbauwohnung Klartext gesprochen. Es gab dem Mieter überwiegend recht. |
Baujahr ändert nichts an Mangel
Das LG: Erheblich durchfeuchtete Wände mit sichtbaren Salzausblühungen und feuchtigkeitsbedingt zerbröselndem Putz stellen auch in einer Altbauwohnung aus den 1920er Jahren einen Mietmangel dar. Dabei hat das LG berücksichtigt, dass die Wände teils erst ab einer Höhe von ca. einem Meter über dem Fußboden „normal“ trockene Messwerte zeigen und die Feuchtigkeit ausschließlich bauliche Ursachen hat.
Anspruch auf Beseitigung und Minderung
Der klagenden Mieterin sprach das LG deshalb einen Anspruch gegen ihren Vermieter auf Beseitigung der Feuchtigkeit in den Wohnungswänden zu. Es nahm aufgrund der feuchten Wände und den damit einhergehenden Nachteilen u. a. für Wohnklima und Optik – anders als das erstinstanzliche Gericht – zudem eine erhebliche Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs an und bejahte ein Mietminderungsrecht der Klägerin.
Keinen Mangel sah das LG hingegen im konkreten Fall in den ebenfalls durchfeuchteten Kellerwänden des Mietobjekts. Daher wies es die Berufung der Klägerin insofern zurück.
Quelle | LG Paderborn, Urteil vom 6.3.2024, 1 S 72/222, PM vom 6.3.2024
| Der Vermieter darf, um vom Mieter verursachte Blutlachen im Treppenhaus und Eingangsbereich zu beseitigen, eine – teure – Spezialfirma für die Reinigung eines Tatorts nach Suizid oder Unfall mit den Reinigungsarbeiten beauftragen. Er muss auch nicht zuvor den Mieter beauftragen, um die Kosten gering zu halten, wenn der Mieter nicht über die ausreichende Qualifikation verfügt, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. So hat es das Amtsgericht (AG) Frankfurt/Main entschieden. |
Mieter hatte Blutspuren versuracht
Der Wohnungsmieter stand unter Betreuung. Eines Tages trat er nach einer Verletzung stark blutend aus seiner Wohnung in das Treppenhaus und anschließend durch die Haustür nach draußen. Dabei hinterließ er massive Blutspuren. Daraufhin beauftragte die Vermieterin eine Spezialfirma mit der Reinigung und Desinfektion des Treppenhauses und des Eingangsbereichs. Die Vermieterin stellte dem Mieter über seinen Betreuer die Kosten in Höhe von rd. 1.930 Euro in Rechnung. Der Mieter zahlte nicht, daher klagte die Vermieterin.
Kostenerstattungsanspruch des Vermieters
Mit Erfolg: Die Vermieterin habe gegen den Mieter einen Kostenerstattungsanspruch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 280 Abs. 1 BGB) in Verbindung mit dem Mietvertrag, so das AG. Der Mieter habe dadurch, dass er nach einer Verletzung stark blutend durch das Treppenhaus und durch die Hauseingangstür ging und dabei größere Mengen Blut ungehindert auf den Boden laufen ließ, schuldhaft gegen den Mietvertrag verstoßen. Die Vermieterin war verpflichtet, unverzüglich die Blutspuren beseitigen zu lassen, zum einen, um die Gefahr von Stürzen infolge des Ausrutschens auf den Blutlachen zu vermeiden und zum anderen, um einer Infektionsgefahr bei Kontakt mit dem Blut entgegenzutreten.
Sie habe den Mieter nicht selbst beauftragen können, um die Kosten gering zu halten, da dieser nicht über die ausreichende Qualifikation verfügte, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. Zudem hätte die Entfernung nicht unverzüglich erfolgen können, da der Mieter offenkundig verletzt war. Die Vermieterin habe auch nicht gegen eine ihr obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen, indem sie ein Fachunternehmen für Tatortreinigung beauftragte. Sie war gehalten, sicherzustellen, dass keine Gefahr für Mitbewohner und Besucher bestehen bleibt, was nur durch ein spezialisiertes Reinigungsunternehmen gewährleistet war.
Vergleichsangebote nicht nötig
Es stellt auch keinen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar, dass die Vermieterin keine (drei) Vergleichsangebote eingeholt hat. Denn sie musste unverzüglich tätig werden, um die Gefahrenquelle zu beseitigen.
Qualität der Fachfirma nicht „kriegsentscheidend“
Auch kommt es nicht darauf an, ob die von der Vermieterin beauftragte Fachfirma möglicherweise unsachgemäß oder unwirtschaftlich gearbeitet hat und dadurch höhere Kosten entstanden sind. Denn ein Schädiger muss solche Kosten auch dann ersetzen, wenn den Geschädigten kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft.
Quelle | AG Frankfurt/Main, Urteil vom 10.8.2023, 33 C 1898/23
| Zur Errichtung eines wirksamen gemeinschaftlichen Testaments müssen beide Ehegatten testierfähig sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Das war geschehen
Die beiden Ehegatten hatten sich durch gemeinschaftliches Testament gegenseitig als Alleinerben eingesetzt. Dieses Testament wurde von der Ehefrau eigenhändig geschrieben und unterschrieben sowie vom Erblasser eigenhändig unterschrieben. Mit einer Ergänzung dieses Testaments, errichtet in gleicher Weise, ordneten die Ehegatten später eine Vor- und Nacherbschaft dergestalt an, dass der überlebende Ehegatte befreiter Vorerbe und ihre gemeinsame Tochter Nacherbin sein sollte. Bereits zwei Jahre vor dieser Ergänzung des Testaments wurde die Ehefrau wegen einer Demenzerkrankung in einem Pflegeheim untergebracht. Ein Jahr vor der Ergänzung des gemeinschaftlichen Testaments tötete der Erblasser seine Schwester und wurde in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht, in der er sich das Leben nehmen wollte.
Nach dessen Tod beantragte die überlebende Ehefrau, vertreten durch ihre Tochter, einen Erbschein des Inhalts, dass sie alleinige befreite Vorerbin des Erblassers geworden sei und die Nacherbfolge der Tochter nach ihrem Tod als Vorerbin eintrete. Sie hat sich zur Begründung ihres Antrags auf die beiden letzten gemeinschaftlichen Testamente gestützt. Der gemeinsame Sohn der Ehegatten ist dem Antrag entgegengetreten. Er begründete dies damit, sowohl der Erblasser als auch die Antragstellerin seien zum Zeitpunkt der Errichtung beider Testamente testierunfähig gewesen.
Nachlassgericht deutete Testamente um
Das Nachlassgericht ist nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Überzeugung gelangt, dass die Antragstellerin testierunfähig gewesen ist. Bezogen auf den Erblasser hat sich hingegen nicht die Überzeugung von einer Testierunfähigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung der vorgenannten Testamente gebildet. Die Testamente könnten jeweils in ein Einzeltestament des Erblassers umgedeutet werden, weshalb es die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet hat. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Sohn der Ehegatten mit der Beschwerde und begehrte die Zurückweisung des Erbscheinsantrages.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat den Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückgewiesen und ausgeführt, dass die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen nicht für festgestellt zu erachten seien.
Ein wirksames gemeinschaftliches Ehegattentestament setze voraus, dass beide Ehegatten bei der Testamentserrichtung testierfähig sind. Ein Testament könne nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Da ein gemeinschaftliches Testament vom Willen beider Eheleute getragen sei, erfordere eine wirksame Verfügung von Todes wegen die Testierfähigkeit eines jeden Ehegatten. Daran fehle es bei einem Ehegatten, weshalb der Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückzuweisen sei.
Eine Umdeutung des unwirksamen gemeinschaftlichen Testaments in ein Einzeltestament des Erblassers komme hier nicht in Betracht, weil der Erblasser die getroffenen Anordnungen nicht eigenhändig geschrieben, sondern den von der Antragstellerin geschriebenen Text nur unterschrieben habe. Die Umdeutung als Einzeltestament komme hier nur für den Teil in Betracht, der die Verfügung eigenhändig – hier also die Antragstellerin – niedergelegt habe.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 14.3.2024, 6 W 106/23
| Vertragsfristen können nicht nur bei Abschluss des Bauvertrags, sondern auch während der Bauausführung vereinbart werden. So kann einem gestörten Bauablauf dadurch Rechnung getragen werden, dass überholte oder nicht mehr einhaltbare Fristen durch eine Terminplanfortschreibung einvernehmlich angepasst werden, wobei diese Fortschreibung wiederum Vertragsfristen und unverbindliche Kontrollfristen beinhalten kann. Das hat das Kammergericht (KG) Berlin klargestellt. |
Beachten Sie | Die Entscheidung des KG gilt auch für Planungsterminpläne. Sie ist durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH rechtskräftig geworden.
Quelle | KG Berlin, Urteil vom 24.01.2023, 27 U 154/21, rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 25.10.2023, VII ZR 20/23
| Stichprobenartige Prüfungen von Wärmedämmarbeiten reichen nicht aus, um eine mangelfreie Objektüberwachung zu gewährleisten. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg. |
Im konkreten Fall hatte der Architekt nicht bemerkt, dass nur 8 cm PUR-Dämmung statt der vertraglich geschuldeten 9 cm eingebaut wurden. Das hätte aber sogar eine Stichprobe ergeben müssen, so das OLG. Es machte den Architekten daher für den Austausch der Dämmung haftbar.
Es sprach Klartext: Umfang und Intensität der geschuldeten Überwachung hängen von den Anforderungen der Baumaßnahme sowie den konkreten Umständen ab. Einfache Arbeiten bedürfen keiner Überwachung. Demgegenüber unterliegt die Überwachung von Wärmedämmarbeiten höheren Anforderungen.
Die Entscheidung ist jetzt rechtskräftig.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 8.11.2022, 2 U 10/22
| Die Regelverjährungsfrist beim Werkvertrag für Planung und Bauüberwachung beträgt fünf Jahre. Doch Achtung: Diese Frist kann durch eine sog. Hemmung verlängert werden. Die Folge: Planer und Architekten können länger in der Gewährleistung bleiben und unter Umständen in Anspruch genommen werden. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Ernsthafter Meinungsaustausch erforderlich
Voraussetzung: Die Verjährung hemmende Verhandlungen erfordern einen ernsthaften Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen.
Nicht ausreichend: bloße Erklärungen
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen nicht die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein. Ein solcher Meinungsaustausch hemmt die Verjährung nicht.
Quelle | OLG Köln, Beschluss vom 2.3.2023, 19 U 55/22, rechtskräftig durch BGH, Beschluss vom 8.11.2023, VII ZR 54/23
| Die unterlassene Aufnahme einer Arbeit ist kein sozialwidriges Verhalten, wenn das Jobcenter den Betroffenen „allein lässt“ und nicht die nötige Hilfe leistet. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen entschieden. |
Langzeitarbeitsloser bewarb sich jahrelang erfolglos
Zugrunde lag das Verfahren eines Langzeitarbeitslosen, der bis 2003 als Buchhalter gearbeitet hatte. Hiernach folgten Zeiten der Arbeitslosigkeit und verschiedene Hilfsarbeiten. Der Mann bewarb sich viele Jahre erfolglos als Buchhalter, bis das Jobcenter schließlich ab 2017 keine weiteren Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen übernahm. Es müsse ein Strategiewechsel stattfinden, insbesondere weil Bewerbungen als Buchhalter nach so langer Zeit nicht mehr erfolgversprechend seien. Überraschend erhielt der Mann dennoch 2019 einen Arbeitsvertrag als Buchhalter bei einer Behörde in Düsseldorf. Zur Arbeitsaufnahme kam es jedoch nicht, weil das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution für eine neue Wohnung ablehnte und er deshalb nicht umziehen konnte.
Kein Verschulden des Arbeitslosen
2020 machte das Jobcenter gegenüber dem Mann eine Erstattungsforderung wegen sozialwidrigen Verhaltens geltend, da er nicht zum Einstellungstermin erschienen sei. Er müsse daher Grundsicherungsleistungen von rd. 6.800 Euro erstatten. Hiergegen klagte der Mann. Den Mietvertrag in Düsseldorf habe er nicht unterschrieben, weil er kein Geld für die Kaution gehabt habe und noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen gewesen sei. Das LSG hat die Rechtsauffassung des Klägers bestätigt. Der Nichtantritt einer außerhalb des Tagespendelbereichs gelegenen Arbeitsstelle stelle kein sozialwidriges Verhalten im Sinne eines objektiven Unwerturteils dar, wenn der Arbeitsuchende am künftigen Beschäftigungsort keine Wohnung anmieten könne, weil ihm selbst die Mittel für eine Mietkaution fehlten und das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution abgelehnt habe.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.1.2023, L 11 AS 336/21
| Eine öffentliche Verwaltung kann das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, verbieten, um ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen. Eine solche Regel ist nicht diskriminierend, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf das gesamte Personal dieser Verwaltung angewandt wird und sich auf das absolut Notwendige beschränkt. So sieht es der Europäische Gerichtshof (EuGH). |
Verbot eines islamischen Kopftuchs
Eine belgische Gemeinde hatte einer Bediensteten, die als Büroleiterin ganz überwiegend ohne Publikumskontakt tätig ist, untersagt, am Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen. Anschließend änderte die Gemeinde ihre Arbeitsordnung und schrieb in der Folge ihren Arbeitnehmern strikte Neutralität vor: Das Tragen von auffälligen Zeichen ideologischer oder religiöser Zugehörigkeit verbot sie allen Arbeitnehmern, auch denen ohne Publikumskontakt. Die Büroleiterin fühlte sich diskriminiert und in ihrer Religionsfreiheit verletzt.
Lag Diskriminierung vor?
Dem mit dem Rechtsstreit befassten Arbeitsgericht (ArbG) Lüttich stellt sich die Frage, ob die von der Gemeinde aufgestellte Regel der strikten Neutralität eine gegen das Unionsrecht verstoßende Diskriminierung begründet. Der EuGH antwortete, dass die Politik der strikten Neutralität, die eine öffentliche Verwaltung ihren Arbeitnehmern gegenüber durchsetzen will, um bei sich ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen, als durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt angesehen werden kann.
Wertungsspielraum der Mitgliedsstaaten, wie „Neutralität“ ausgestaltet wird
Ebenso gerechtfertigt ist die Entscheidung einer anderen öffentlichen Verwaltung für eine Politik, die allgemein und undifferenziert das Tragen von sichtbaren Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen, auch bei Publikumskontakt, gestattet, oder ein Verbot des Tragens solcher Zeichen beschränkt auf Situationen, in denen es zu Publikumskontakt kommt. Die Mitgliedsstaaten und die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten verfügen über einen Wertungsspielraum bei der Ausgestaltung der Neutralität des öffentlichen Dienstes, die sie in dem für sie spezifischen Kontext am Arbeitsplatz fördern wollen. Dieses Ziel muss aber in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, und die zu seiner Erreichung getroffenen Maßnahmen müssen sich auf das absolut Notwendige beschränken. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob diese Anforderungen erfüllt sind.
Quelle | EuGH, Urteil vom 28.11.2023, C-148/22
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Aachen hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer Anspruch auf die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung gegenüber seiner Arbeitgeberin hat. Er darf diesen auch im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzen. |
Das war geschehen
Der schwerbehinderte Arbeitnehmer ist seit September 1988 bei der Arbeitgeberin – einem Unternehmen, das Bauelemente herstellt und vertreibt, – als Verkaufs- und Vertriebsleiter tätig. Er ist wegen eines Hirntumors seit April 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und war bis zum 10.4.2024 fahruntüchtig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird nach Erreichen der Regelaltersgrenze des Arbeitnehmers mit dem Ablauf des Monats Oktober 2024 enden. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrte der Arbeitnehmer, ihn ab Mitte März 2024 entsprechend einem ärztlichen Wiedereingliederungsplan nach dem sog. „Hamburger Modell“ zu beschäftigen, um zeitnah an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu können.
Fehlende Fahrtüchtigkeit steht Wiedereingliederung nicht im Weg
Das ArbG gab dem Antrag des schwerbehinderten Arbeitnehmers statt, da die Arbeitgeberin verpflichtet sei, an der stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken. Dem stehe die fehlende Fahrtüchtigkeit des Arbeitnehmers nicht entgegen. Der Arbeitnehmer könne während der Fahruntüchtigkeit zu Beginn der Wiedereingliederung zunächst seinem Aufgabenprofil entsprechende Büroarbeiten erledigen.
Sache ist eilbedürftig
Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung besondere Eilbedürftigkeit ergab sich nach Auffassung des Arbeitsgerichts daraus, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer auf die zeitnahe Wiedereingliederung angewiesen sei. Demgegenüber würde eine Versagung der Wiedereingliederung den Teilhabeanspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers am Erwerbsleben vereiteln oder jedenfalls erheblich erschweren. Auch der nahe Renteneintritt des Arbeitnehmers ändert nach Ansicht des ArbG nichts am Eilbedürfnis.
Quelle | ArbG Aachen, Urteil vom 12.3.2024, 2 Ga 6/24, PM 1/24
| Für Bühnenkünstler gewährt die Rechtsprechung pauschalierten Schadenersatz von bis zu sechs Monatsgagen pro Spielzeit, wenn der Arbeitgeber den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers verletzt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied nun: Dieser Anspruch kann nicht auf den Profimannschaftssport übertragen werden. |
Saisonabbruch in der Corona-Pandemie: Kläger durfte nicht spielen
Der Kläger ist Eishockeyspieler. Er stritt mit seinem Arbeitgeber über einen Schadenersatzanspruch. Sein Arbeitgeber, der Beklagte, hatte ihn in der Saison 2019/2020 nicht beschäftigt, da diese aufgrund der Corona-Pandemie abgebrochen wurde. Bis dahin fungierte er als Kapitän und Leistungsträger der Mannschaft.
Außerordentliche fristlose Kündigung
Die Beklagte sprach eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung aus und bot gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis mit einer verringerten Vergütung fortzusetzen. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen an und erhob eine Änderungsschutzklage. Daraufhin stellte die Beklagte den Kläger vom Mannschaftstraining frei. Durch einstweilige Verfügung erstritt der Kläger die Zulassung zum Trainingsbetrieb. Anschließend erfolgte eine außerordentliche fristlose Kündigung.
Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen und der fristlosen Kündigung fest. Die tatsächliche Teilnahme am Training wurde dem Kläger jedoch durchgängig verweigert. Er ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Schadenersatz aufgrund der Weigerung der Beklagten, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Ihm sei ein Schaden in seinem beruflichen Fortkommen entstanden, da er als Eishockeyprofi seine beruflichen Fertigkeiten nicht im Mannschaftstraining habe weiterentwickeln und verbessern können. Dadurch habe sein Marktwert gelitten, denn ein Profimannschaftssportler bedürfe der ständigen Trainingspraxis. Die Beklagte habe sich ihm gegenüber durchgängig unlauter verhalten. Die Vorinstanzen gaben der Klage in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern statt und wiesen die weitergehende Klageforderung ab.
Kläger blieb vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos
Vor dem BAG blieb der Kläger erfolglos. Er hat keinen Anspruch auf weiteren Schadenersatz wegen der Verletzung seines Beschäftigungsanspruchs. Zwar besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung und damit korrespondierend eine Pflicht des Arbeitgebers, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Die Beklagte hatte den Beschäftigungsanspruch auch schuldhaft verletzt, indem sie ihn vom Mannschaftstraining suspendiert hatte. Dies und die anschließende außerordentliche fristlose Kündigung seien zudem eine Maßregelung gewesen, da der Kläger lediglich in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hatte.
Der Kläger hat aber nicht ausreichend dargelegt, dass ihm infolge der Verletzung der Beschäftigungspflicht ein solcher Schaden entstanden sei. Zudem dürfen, so das BAG, Schadenersatzansprüche von Profimannschaftssportlern nicht in Anlehnung an die Rechtsprechung für andere Berufsgruppen, z. B. Bühnenkünstler, pauschalierend festgesetzt werden. Für die Schätzung des Schadens eines Profimannschaftssportlers bedürfe es greifbarer Tatsachen. Hieran fehlte es vorliegend. Mangels konkreter Anhaltspunkte könnte nur eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens erfolgen, die vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre.
Quelle | BAG, Urteil vom 29.2.2024, 8 AZR 359/22
| Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, sind diese Vorteile steuerfrei, soweit sie den Rabattfreibetrag von 1.080 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)). Das Landesozialgericht (LSG) Bayern musste nun in einem Konzernfall über die Beitragspflicht von Warengutscheinen entscheiden. Dabei hat es herausgestellt, dass hinsichtlich des Arbeitgeberbegriffs keine unterschiedliche Beurteilung nach Steuer- und nach Beitragsrecht veranlasst ist. |
Arbeitgeber kann nur derjenige sein, der die Arbeitsverträge mit den Beschäftigten abgeschlossen hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, den der Bundesfinanzhof (BFH) für das Steuerrecht aufgestellt hat.
Begriff des „Arbeitgebers“: keine Konzernklausel
Der BFH hat es abgelehnt, den Begriff des Arbeitgebers über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen. Im Vorfeld der gesetzlichen Neuregelung wurde eine Konzernklausel ausdrücklich diskutiert.
Da sie aber nicht aufgenommen worden ist, kann daraus geschlossen werden, dass sich die bereits in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Meinung durchgesetzt hat, nach der § 8 Abs. 3 EStG nicht für Waren und Dienstleistungen gelten soll, die nicht im Unternehmen des Arbeitgebers hergestellt, vertrieben oder erbracht werden. Es sollen weder Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften noch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel steuerlich begünstigt werden.
Warengutscheine = Sachbezüge
Nach Ansicht des LSG hat das Unternehmen im Streitfall auch keinen so gewichtigen Beitrag geleistet, als dass es unter Anwendung des „erweiterten Hersteller- bzw. Vertreiberbegriffs“ als Hersteller bzw. Vertreiber der Waren i. S. des § 8 Abs. 3 EStG angesehen werden kann. Deshalb handelt es sich bei den Warengutscheinen um Sachbezüge, für die Beiträge erhoben werden müssen.
Quelle | LSG Bayern, Urteil vom 6.6.2023, L 7 BA 80/22, Abruf-Nr. 240136; unter www.iww.de; BFH, Urteil vom 26.4.2018, VI R39/16
| Mit einem kuriosen Nachbarstreit zwischen einem Restaurantbetreiber und dem Anbieter von Parkraum hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Dem Restaurantbesitzer drohen nun 250.000 Euro Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft. |
Das war geschehen
Der Parkplatzbetreiber hatte die Parkgebühren angehoben und den bislang gewährten Rabatt für die Besucher des Restaurants abgeschafft. Daraufhin positionierte der Restaurantbesitzer gezielt eigene Mitarbeiter an der Parkschranke, um die Autofahrer von der Einfahrt in den Parkplatz abzuhalten und auf andere, kostenfreie Plätze in der Nähe zu verweisen. Dieses Verhalten stellt eine unzulässige Verletzungshandlung dar, die darauf angelegt ist, den Betrieb des Parkraumbewirtschafters zu schädigen, entschied das LG. Es untersagte in einem Eilverfahren entsprechende Aktionen.
Boykottaufruf unverhältnismäßig
Das Argument, über den Rabatt für Restaurantkunden gebe es eine Vereinbarung und die hohen Parkkosten hätten bereits Kunden abgeschreckt und vom Besuch abgehalten, überzeugte das LG nicht. Das Vorgehen des Restaurantbetreibers sei unverhältnismäßig.
Im Bereich der Einfahrt gezielt Parkplatzsuchende anzusprechen, um diese zum anderweitigen Parken zu bewegen, sei eine gegen das Geschäftsmodell des Parkraumanbieters gerichtete verbotene Eigenmacht. Es seien nicht nur Restaurantbesucher, sondern sämtliche Parkplatzsuchende angesprochen und zum Boykott des Parkplatzes aufgerufen worden. Der Restaurantbesitzer müsse seine Kunden auf andere Weise darüber informieren, dass die Parkgebühren nicht mehr übernommen werden und den Streit um den Parkrabatt, wenn nötig, gerichtlich austragen.
„Saftiges“ Ordnungsgeld droht
Für den Fall, dass der Restaurantbetreiber dem Urteil zuwiderhandelt, hat das LG ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro sowie Ordnungshaft angedroht.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 18.1.2024, 5 O46/23, PM vom 30.4.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. |
Der Hintergrund
Amazon ist weltweit u. a. im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27.12.2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd. USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd. USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd. USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio. Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit.
Das war geschehen
Das Bundeskartellamt hatte festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als sog. Torwächter benannt.
Das sagt der Bundesgerichtshof
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt hat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (hier: § 19 a Abs. 1 GWB) zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.
Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Stores) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen.
Das heißt „marktübergreifende Bedeutung“
Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotenzial durch die Vorschrift adressiert wird. § 19 a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen.
Bundeskartellamt: zutreffende Feststellungen
Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von Amazon Web Services, Inc. (AWS). Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.
Die jetzige Geltung der Regelungen des Digital Markets Acts (DMA) und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.
Quelle | BGH, Beschluss vom 23.4.2024, KVB 56/22, PM 97/24
| Durch die Unwetter mit Hochwasser in der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 2024 sind in weiten Teilen Baden-Württembergs beträchtliche Schäden entstanden. Die Beseitigung dieser Schäden wird bei vielen Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Daher möchte das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen entgegenkommen. |
Möglich sind u. a.:
- Anpassung steuerlicher Vorauszahlungen,
- Stundung fälliger Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuerbeträge und
- Aufschub von Vollstreckungen.
Beachten Sie | Auch in anderen Bundesländern sind im Mai und Juni 2024 durch die Unwetter mit Hochwasser Schäden entstanden. Daher wurden auch für Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland Katastrophenerlasse mit steuerlichen Erleichterungen veröffentlicht. Dabei ist zu beachten, dass einige Erlasse bereits aktualisiert wurden.
Quelle | FinMin Baden-Württemberg, Erlass vom 20.6.2024; Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft Saarland, Erlass vom 21.5.2024; Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Erlass vom 25.6.2024; Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, Erlass vom 24.6.2024
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen. Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest.
Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R; BSG, PM Nr. 7/24 vom 22.2.2024
| Der Bundesrat hat dem Postrechtsmodernisierungsgesetz (PostModG) Anfang Juli 2024 zugestimmt. Dadurch werden insbesondere die Laufzeitvorgaben für die Zustellung von Briefen verlängert. Folgerichtig erfolgte auch eine Anpassung der Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (z. B. Steuerbescheiden). |
Einspruchsfrist von einem Monat
Zum Hintergrund: Das Problem, „Recht zu haben, aber es nicht zu bekommen“, ergibt sich immer dann, wenn ein Steuerbescheid zu einer zu hohen Steuerfestsetzung führt, es jedoch versäumt wurde, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat Einspruch einzulegen. Für den fristgerechten Eingang beim Finanzamt kommt es darauf an, wann der Bescheid bekannt gegeben wurde und wann die Einspruchsfrist endet.
Gesetzliche Neuregelung: Vier- statt Dreitagesfiktion
Um die Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach der Abgabenordnung an die verlängerten Laufzeitvorgaben anzupassen, wird aus der bisherigen Dreitages- eine Viertagesfiktion. Damit gelten Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte künftig als am vierten Tag nach deren Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, statt wie bisher nach drei Tagen.
Was unverändert bleibt: Fällt der vierte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, erfolgt die Bekanntgabe am nächstfolgenden Werktag. Die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Samstagen wurde nicht umgesetzt.
Die Neuregelung gilt für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.2024 übermittelt werden.
Neuregelung ab dem Jahr 2025
Beispiel: Das Finanzamt versendet an den Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid. Er gibt den Brief am Dienstag, den 14.1.2025, zur Post. Bekanntgabezeitpunkt ist der 20.1.2025 (Montag), da der 18.1.2025 („vier Tage“) ein Samstag ist.
Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Einspruchsfrist endet somit am 20.2.2025 um 24:00 Uhr.
Beachten Sie | Auch ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt gilt am dritten (ab 2025: vierten) Tag nach der Absendung als bekannt gegeben.
Steuerbescheid später zugegangen oder nicht erhalten
Die Bekanntgabefiktion gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich später oder gar nicht zugegangen ist.
Hier ist wie folgt zu unterscheiden:
- Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang, ist das Finanzamt regelmäßig nicht in der Lage, den Zugang nachzuweisen. Daher ist eine erneute (ordnungsgemäße) Bekanntgabe erforderlich.
- Behauptet der Steuerpflichtige einen späteren Zugang, muss er dies substanziiert darlegen bzw. nachweisen. Dabei stellt eine Abwesenheit wegen Urlaubs regelmäßig keine spätere Bekanntgabe dar.
Quelle | PostModG, BR-Drs. 298/24 (B) vom 5.7.2024; DStV, Mitteilung vom 13.6.2024
| Bei der Erbschaftsteuer zählt ein Parkhaus zum nichtbegünstigten Verwaltungsvermögen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) aktuell entschieden. |
Das war geschehen
Der Steuerpflichtige war testamentarisch eingesetzter Alleinerbe seines im Jahr 2018 verstorbenen Vaters (= Erblasser). Zum Erbe gehörte ein mit einem Parkhaus bebautes Grundstück. Der Erblasser hatte das Parkhaus als Einzelunternehmen ursprünglich selbst betrieben und ab dem Jahr 2000 dann unbefristet an seinen Sohn verpachtet.
Finanzamt: Parkhaus ist Verwaltungsvermögen
Das Finanzamt stellte den Wert des Betriebsvermögens fest und behandelte das Parkhaus dabei als sogenanntes Verwaltungsvermögen, das bei der Erbschaftsteuer nicht begünstigt ist. Das Finanzgericht (FG) und der BFH schlossen sich dieser Auffassung an.
Grundsätzlich wird Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer privilegiert. Das gilt allerdings nicht für bestimmte Gegenstände des Verwaltungsvermögens. Darunter fallen dem Grunde nach auch Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke. Diese können im Rahmen der Erbschaftsteuer zwar auch begünstigt sein, etwa wenn (wie im Streitfall) der Erblasser seinen ursprünglich selbst betriebenen Gewerbebetrieb unbefristet verpachtet und den Pächter testamentarisch als Erben einsetzt.
Keine erbschaftsteuerliche Privilegierung
Eine Ausnahme besteht dabei jedoch für solche Betriebe, die schon vor der Verpachtung nicht die Voraussetzungen der erbschaftsteuerrechtlichen Privilegierung erfüllt haben. Dies ist bei einem Parkhaus der Fall. Denn die dort verfügbaren Parkplätze als Teile des Parkhausgrundstücks wurden schon durch den Erblasser als damaligem Betreiber an die Autofahrer – und somit an Dritte – zur Nutzung überlassen.
Beachten Sie | Zudem handelt es sich dabei auch nicht um die Überlassung von Wohnungen, die der Gesetzgeber wiederum aus Gründen des Gemeinwohls für die Erbschaftsteuer privilegiert hat.
Keine Rolle spielt auch, ob zu der Überlassung der Parkplätze weitere gewerbliche Leistungen (z. B. eine Ein- und Ausfahrtkontrolle und eine Entgeltzahlungsdienstleistung) hinzukommen. Darauf stellt das Erbschaftsteuergesetz nämlich nicht ab.
Der BFH sah auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Grundstücksüberlassungen, wie z. B. im Rahmen des Absatzes eigener Erzeugnisse durch einen Brauereibetrieb oder im Zusammenhang mit einer land- und forstwirtschaftlichen Betriebstätigkeit. Dass der Gesetzgeber solche Betriebe (wie auch die erwähnten Wohnungsunternehmen) als förderungswürdig ansah, ist von seinem weiten Entscheidungsspielraum gedeckt.
Quelle | BFH, Urteil vom 28.2.2024, II R 27/21
| Oft werden private Ausfahrten zugeparkt oder der private Parkplatz von anderen unberechtigt genutzt. Das störende Fahrzeug muss dann abgeschleppt werden und der Berechtigte muss zusehen, wie er etwaig verauslagte Kosten, z. B. Verwahrkosten, erstattet erhält. Hierzu hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) Wissenswertes entschieden. |
Parken trotz Parkverbots
Der auf den Kläger zugelassene Pkw wurde von dessen Schwester im Innenhof eines privaten Gebäudekomplexes abgestellt, der von einer Immobilienverwalterin verwaltet wird. An der Hofeinfahrt war ein Parkverbotsschild mit dem Zusatz „gilt im gesamten Innenhof“ angebracht. Die Verwalterin beauftragte die Beklagte, das Fahrzeug abzuschleppen, es anschließend zu verwahren und vor Wertminderung sowie unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern. Die Beklagte verbrachte das Fahrzeug noch am selben Tag auf ihr Firmengelände. Kurz darauf forderte der Kläger von der Beklagten schriftlich unter Fristsetzung, das Fahrzeug herauszugeben. Auf das Schreiben erfolgte keine Reaktion.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten zunächst die Herausgabe seines Fahrzeugs verlangt. Nach erfolgter Herausgabe während des Prozesses haben die Parteien die Herausgabeklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Gegenstand des Verfahrens war dann nur noch die Frage, wer die Standkosten tragen musste.
Herausgabeverlangen: Auf den Zeitpunkt kommt es an
Die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser entschied: Zu erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters.
Es kommt auch ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät.
Quelle | BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22
| Muss der Verkäufer einer Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze unaufgefordert über den Härtegrad der Matratze aufklären und beraten? Das Amtsgericht (AG) Hannover hat diese Frage verneint. Es hat entschieden, dass ein Verkäufer im Grundsatz nur dann über den Härtegrad einer Matratze aufklären und beraten muss, wenn der Käufer danach fragt. |
Matratze war Käuferin zu hart: Verkäuferin bot Rabatt an
Die Klägerin kaufte im November 2022 bei der Beklagten eine Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze für ihre Tochter, die zuvor für wenige Minuten zur Probe gelegen hatte. Im Kaufvertrag war für die Matratze der Härtegrad H5 angegeben. Nachdem die Möbel im Januar 2023 geliefert worden waren, empfanden die Klägerin und ihre Tochter die Matratze als zu hart. Dies reklamierte die Klägerin bei der Beklagten. Diese bot der Klägerin u. a. einen Rabatt auf zwei neue Matratzen an, verweigerte aber eine Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klägerin erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Rückabwicklung des Kaufvertrags?
Mit der Klage hatte die Käuferin eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Bettes nebst Matratze verlangt. Sie meinte, es sei für den Verkäufer klar erkennbar gewesen, dass das Schlafzimmer für ihre Tochter gewesen sei. Für das Gewicht ihrer Tochter sei aber ein Härtegrad von H2 angemessen.
Die Verkäuferin hatte vorgetragen, dass die Klägerin keine Beratung gewünscht habe. Sie habe es vielmehr sehr eilig gehabt, da sie einen Transporter angemietet habe. Sie habe sich lediglich nach einem Rabatt erkundigt, sonst aber keine Fragen gestellt.
So sah es das Amtsgericht
Das AG hat die Klage abgewiesen. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die erworbene Matratze nicht mangelhaft war. Denn die Klägerin habe genau das bekommen, was vertraglich vereinbart war, nämlich eine Matratze des Härtegrades H5. Zwar habe die Klägerin erwartet, dass der Verkäufer sie unaufgefordert berate. Der Verkäufer habe aber keinen Anlass gehabt, eingehend über den Härtegrad aufzuklären und zu beraten. Denn die Klägerin habe ihre Erwartung einer Beratung nicht geäußert.
Keine Verletzung der Aufklärungspflicht
Zudem sei der Verkäufer erst hinzugezogen worden, als die Klägerin bereits zum Kauf entschlossen gewesen sei. Im Verkaufsgespräch sei es lediglich darum gegangen, die Daten der Klägerin aufzunehmen und über den Preis zu verhandeln. Die Tochter der Klägerin habe sich nach dem Probeliegen auch nicht über den Härtegrad beschwert. Daher habe der Verkäufer auch keine Aufklärungspflicht verletzt, sodass die Klägerin den Vertrag weder anfechten könne noch vom Vertrag zurücktreten könne.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 30.1.2024, 510 C 7814/23, PM vom 4.4.2024
| Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren. Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde am Knöchel infolge eines Leitersturzes erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Schürfwunde anschließend infiziert und ein Geschwür (Ulkus) hervorruft. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entschieden. |
Das war geschehen
Das OLG musste über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe entscheiden. Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Frau des Klägers von der Leiter und zog sich hierbei u. a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Klägers sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Kläger hat dann die Reise storniert und bei der beklagten Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend gemacht.
Landgericht wies Klage ab
Das LG hatte die Klage abgewiesen, denn die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei – so das LG – auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau des Klägers hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat über die Frage der Behandlung der Ehefrau des Klägers am Knöchel vor Vertragsschluss die behandelnden Ärzte als Zeugen vernommen und die Versicherung dann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt.
Es hat die Kenntnis der Ehefrau des Klägers vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss abgelehnt. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.
Argumente der Versicherung ohne Erfolg
Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpfen die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung. Selbst, wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei.
Quelle | Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.3.2024, 16 U 74/23, PM 1/24
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat mit zwei Urteilen die Berufungen der Kläger in zwei Verfahren gegen Straßenreinigungsgebührenbescheide der Hansestadt Lüneburg für das Jahr 2018 zurückgewiesen. |
Die Hansestadt Lüneburg erhob bis Ende 2017 Straßenreinigungsgebühren nach dem sog. Frontmetermaßstab. Mit Wirkung zum 1.1.2018 stellte sie den Maßstab um und erhebt seitdem die Gebühren gemäß ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung nach dem sog. Quadratwurzelmaßstab. Bei diesem wird aus der Grundstücksfläche die Quadratwurzel gezogen. Damit wird gedanklich ein quadratisches Grundstück gebildet, von dem die Länge einer Seite der Gebührenberechnung zugrunde gelegt wird.
Das OVG hat entschieden, dass der Quadratwurzelmaßstab ein rechtmäßiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Bemessung der Straßenreinigungsgebühren ist. Der vormals von der Hansestadt Lüneburg angewandte Frontmetermaßstab sei gegenüber dem Quadratwurzelmaßstab nicht vorrangig anzuwenden.
Darüber hinaus hat das OVG auch die Bestimmungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung über die Heranziehung von mehrfach anliegenden Grundstücken und von Hinterliegergrundstücken als rechtmäßig erachtet. Diese verstießen weder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz oder den Gleichheitssatz noch gegen den Grundsatz der Vollständigkeit.
Quelle | OVG Lüneburg, Urteile vom 24.4.2024, 9 LC 117/20 und 9 LC 138/20, PM vom 25.4.2024
| Im Streit um Ansprüche auf Rückerstattung aus einem Reisevertrag wies das Amtsgericht (AG) München eine Klage auf Zahlung von rund 4.000 Euro ab. |
Reise online storniert
Der Kläger hatte bei der Beklagten zum Preis von über 4.500 Euro eine neuntägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Portugal gebucht. Im Anschluss stornierte der Kläger im Internet auf der Website der Beklagten die Reise. Die Beklagte buchte sodann vom Konto des Klägers Stornierungsgebühren in Höhe von rund 4.000 Euro ab. Der Kläger leitete daraufhin am selben Tag eine E-Mail an die Beklagte weiter, um die Stornierung rückgängig zu machen.
Der Kläger behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe unbeabsichtigt wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten.
Die Beklagte trug vor, der Kläger habe keine genauen Angaben über die besagte Baustelle getroffen. Im Übrigen sei die Buchung wirksam storniert worden. Für die endgültige Stornierung seien mehrere einzelne Schritte erforderlich gewesen. Eine unbeabsichtigte Kündigung sei im System unmöglich. Dem Reiseveranstalter sei durch den Rücktritt des Kunden hingegen ein Schaden entstanden.
So sieht es das Gericht
Das AG wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde vom Kläger wirksam storniert. Eine wirksame Anfechtung der Stornierung aufgrund eines Irrtums in der Erklärungshandlung ist nicht gegeben.
Ein Irrtum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 119 BGB) ist das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Es liegt (nach § 119 Abs. 1 2. Fall BGB) zudem ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist beispielsweise beim Versprechen, Verschreiben oder Vergreifen der Fall. Zwar gab der Kläger an, die Website der Beklagten sei für ihn unübersichtlich gewesen, da diverse Klicks erforderlich gewesen seien.
Fünfmaliges Verklicken unwahrscheinlich
Es kann grundsätzlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs – wie hier der Buchungsstornierung – mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein „Verklicken“, und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll.
Aus der vom Reiseveranstalter vorgelegten Anlage ergibt sich insoweit, dass der Reisende für eine endgültige Stornierung der Reise erst mehrere einzelne Schritte durchführen musste: Zur Auslösung des endgültigen Stornierungsvorgangs musste der Kläger insgesamt viermal aktiv per Mausklick bestätigen, dass er eine Stornierung wünsche.
Dabei musste er bei Schritt 1 zunächst angeben, aus welchem Grund er seine Reise stornieren wollte. Im Anschluss bei Schritt 2 musste der Kläger angeben, was genau er stornieren wollte. Bei dem darauffolgenden Schritt 3 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Auswählen „Buchung stornieren“, die Stornierung durchgeführt, und im Namen des Reisenden eine Rückerstattung beantragt werde. Erst durch Anklicken dieses Feldes gelangte der Kläger zum letzten und 4. Schritt, wo nochmals um Bestätigung gebeten wurde, dass tatsächlich mit der Stornierung fortzufahren sei. […]
Wirksame Stornierung und keine Umbuchung
Dass das Anklicken versehentlich geschah, und nicht dem Willen des Reisenden entsprach, war für das AG nicht nachvollziehbar. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung durch Vertippen sah das AG nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Reisenden bewusst gewesen sein muss, dass er bei Durchführung des gesamten Buchungsvorgangs eine endgültige Stornierung vornahm – und nicht bloß, wie von ihm vorgegeben – eine Umbuchung. Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde somit wirksam storniert.
Verlust von 4.000 Euro
Die Beklagte war zudem berechtigt, aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch den Kläger vor Reisebeginn einen Betrag in Höhe von rund 4.000 Euro als angemessene Entschädigung zu verlangen.
Das AG hob hervor: Die pauschale Behauptung des Reisenden, es habe neben dem Hotel eine Baustelle gegeben, führt nicht zu einer vertraglichen Pflicht des Reiseveranstalters, alternative Lösungen anbieten zu müssen.
Quelle | AG München, Urteil vom 18.4.2024, 275 C 20050/23, PM 15/24
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Einer Mieterin von Wohnraum darf fristlos gekündigt werden, wenn diese – gleich zweimal – die Vermieterin mit Wasser überschüttet. |
Die Vermieterin hatte die Mieterin auf Räumung der Wohnung verklagt, weil diese sie zwei Mal mit Wasser übergossen habe. Unstreitig zwischen den Parteien war zwar, dass die Mieterin jeweils einen Eimer Wasser aus dem Fenster in den Hof gegossen hatte, als sich die Vermieterin in diesem befand. Die Mieterin hatte allerdings bestritten, die Vermieterin getroffen zu haben oder überhaupt treffen zu wollen.
Das AG sah die Kündigung als wirksam an. Denn der vernommene Zeuge bestätigte, dass die Vermieterin beide Male tatsächlich mit dem Wasser aus dem Eimer vollständig übergossen wurde. Diese sei, so der Zeuge,„klitschnass“ gewesen, wie bei einer „Ice-Bucket-Challenge“. Das rechtfertige eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens, so das AG. Selbst, wenn die Mieterin keine direkte Absicht gehabt habe, die Vermieterin zu treffen, habe sie dies angesichts der Situation jedoch zumindest billigend in Kauf genommen. Denn ihr Ziel lag schon nach dem eigenen Vortrag darin, die Vermieterin davon abzuhalten, ihr Fahrrad umzustellen. Es habe auch keiner vorherigen Abmahnung bedurft, zumal die Mieterin, wie sich aus der Beweisaufnahme ergab, bereits weitere derartige Aktionen angekündigt habe.
Quelle | AG Hanau, Beschluss vom 19.2.2024, 34 C 92/23, PM vom 3.5.2024
| Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat sich mit dem Einwand der Testierunfähigkeit eines an Depressionen und Alkoholsucht leidenden Erblassers zu befassen, der sich das Leben nahm. |
Erblasser litt an Persönlichkeitsstörung
Der Erblasser litt an einer psychiatrisch relevanten Persönlichkeitsstörung in Form einer affektiven Störung mit sowohl depressiven als auch manischen Phasen (bipolare Störung) sowie einem Alkoholproblem. Mit eigenhändigem Testament verfügte er, dass seine Ziehtochter seinen gesamten Besitz erben solle. In zwei Abschiedsbriefen begründete er seine Entscheidung zu dem Suizid und tat im Übrigen kund, dass er alle Erbschaftsangelegenheiten regeln wolle.
Die Ziehtochter beantragte einen Erbschein, der ihre Stellung als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesem Antrag trat die Schwester des Erblassers mit der Begründung entgegen, der Erblasser sei aufgrund seiner psychischen Erkrankungen testierunfähig gewesen. Nach Einholen eines Sachverständigengutachtens zum Einwand der Testierunfähigkeit hat das Nachlassgericht einen Feststellungsbeschluss erlassen. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Schwester mit der Beschwerde, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat.
So entschied das Oberlandesgericht
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Eine Testierunfähigkeit habe das Sachverständigengutachten nicht bestätigen können. Zwar habe der Erblasser an den genannten Erkrankungen und an weiteren körperlichen Einschränkungen gelitten, die die Sachverständigen bestätigten. Diese genannten Gründe allerdings ließen für sich allein keinen zwingenden Schluss auf das Vorliegen der Testierunfähigkeit zu.
Nur dann, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursachen, die die freie Willensbestimmung ausschlössen oder zu einer solch starken Bewusstseinsstörung führten, liege auch eine Testierunfähigkeit vor. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Quelle | Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.3.2024, 3 W28/24
| Ein (fördermittelschädlicher) vorzeitiger Maßnahmenbeginn liegt vor, wenn die einschlägige Förderrichtlinie eine klare Linie bei der Leistungsphase 6 zieht und der Mittelempfänger darüber informiert wurde, dass er eingeschaltete Planer vor Erhalt der Förderzusage nur mit Planungs- und Vorbereitungsleistungen bis einschließlich Leistungsphase 6 beauftragen soll. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg entschieden. |
Bauherr verlor Förderung
Das Urteil war für den Bauherrn besonders „bitter“. Denn er verlor die gesamte Förderung in Höhe von 240.000 Euro, weil er den Planer entgegen den Förderbestimmungen schon mit kleinen Leistungen der Leistungsphase 7 beauftragt hatte.
Bauherren informieren!
Konsequenz aus dem Urteil ist u. a.: Planer sollten Bauherren stets darüber informieren, wie streng Fördermittelgeber darauf achten, dass Förderbestimmungen eingehalten werden.
Quelle | VG Magdeburg, Urteil vom 25.3.2024, 3 A 155/21
| Regelt der Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Erschwernisse, um von ihm eine Bauhandwerkersicherungshypothek zu verlangen, ist dies unwirksam. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Anspruch nur beiVerzug?
Der Auftraggeber hatte einen Planer für Technische Gebäudeausrüstung mit Leistungen über knapp 4,7 Mio. Euro beauftragt. In seinen AGB hieß es u. a.: „Einen Anspruch aus § 650 e BGB kann der Auftragnehmer nur geltend machen, wenn sich der Auftraggeber in Verzug befindet und die angemahnte Zahlung trotz Nachfristsetzung innerhalb von zwei Wochen nicht fristgemäß leistet. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 650 e BGB setzt ferner voraus, dass der Auftragnehmer bei Nachfristsetzung oder danach dies mit einer Frist von drei Wochen angekündigt hat.“
Nachdem mehrere Rechnungen nicht bezahlt worden waren, verlangte der Planer erst eine Sicherheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB, Bauhandwerkersicherung). Die brachte der Auftraggeber nicht bei. Daher beantragte der Planer ohne erneute Fristsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des Anspruchs nach § 650 e BGB (Sicherungshypothek an dem Baugrundstück) i. H. v. ca. 340.000 Euro. Der Auftraggeber berief sich auf seine o. g. AGB-Klausel und wollte nicht leisten.
Landgericht gab Planer Recht
Die Klausel im Vertrag war unwirksam, denn sie benachteiligte den Planer als Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie war mit den wesentlichen Grundgedanken des § 650 e BGB nicht vereinbar.
Der Anspruch auf Vormerkung einer Sicherungshypothek soll den vorleistungspflichtigen Unternehmer schützen und gewährt ihm hierzu einen im Eilverfahren zügig durchsetzbaren Anspruch. Diesen Grundgedanken stehen die mit den AGB aufgestellten Anforderungen, Verzug nach Fristsetzung und weitere Ankündigungsfrist, entgegen. Vor allem könnte der Auftraggeber ansonsten versuchen, bis zum Abschluss eines zuvor angekündigten einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Eigentumswechsel herbeizuführen. Das könnte den Anspruch des Unternehmens vereiteln.
Quelle | LG Berlin, Urteil vom 6.7.2023, 19 O 101/23
| Wer mit Verbrauchern einen Architektenvertrag schließt, muss zum einen vermeiden, dass diese ihr Widerrufsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 312 b BGB) ausüben. Zum anderen ist die neue Belehrungspflicht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (hier: § 7 Abs. 2 HOAI 2021) zu beachten. Sonst kann der Architekt maximal das Honorar nach den Basishonorarsätzen der HOAI abrechnen. Dies gilt, selbst wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Das sagt die HOAI zur Form und zum Fehlen einer Vereinbarung
§ 7 HOAI sagt, dass sich das (Architekten-)Honorar nach der Vereinbarung richtet, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart.
Das sagt die HOAI zur Aufklärungspflicht des Architekten
Außerdem schreibt die Norm vor, dass der Auftragnehmer, also der Architekt, den Auftraggeber, falls dieser Verbraucher ist, vor Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung in Textform darauf hinweisen muss, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Folge: Ohne diese (rechtzeitige) Belehrung gilt für die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Grundleistungen anstelle eines höheren Honorars ein Honorar in Höhe des jeweiligen Basishonorarsatzes als vereinbart.
Diese Konsequenzen zog das Oberlandesgericht
Im Fall des OLG gab es diese Aufklärung nicht. Das OLG: Die Aufklärungspflicht gilt auch, wenn ein Zeit- oder Pauschalhonorar vereinbart worden ist. Ohne Belehrung kann der Planer nur den Basishonorarsatz abrechnen.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 8.4.2024, 11 U 215/22
| Widerruft ein Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst seine Einstellungszusage aufgrund eines ärztlichen Attests, ist dies keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |
Einstellungszusage widerrufen
Der an Diabetes erkrankte, schwerbehinderte Kläger bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung im Januar 2023 auf eine von der beklagten Stadt ausgeschriebene Ausbildungsstelle als Straßenwärter. Er erhielt eine Einstellungszusage vorbehaltlich einer noch durchzuführenden ärztlichen Untersuchung. Der Arzt kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger wegen seiner Diabetes-Erkrankung nicht für die vorgesehene Ausbildungsstelle geeignet sei. Die Einstellungszusage wurde daraufhin zurückgenommen. Der Kläger erhob Klage auf Entschädigung wegen einer aus seiner Sicht erfolgten Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch.
Kein Verstoß gegen geltendes Recht
Das ArbG wies die Klage ab. Eine diskriminierende Handlung und ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien nicht erkennbar.
Der Kläger sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung nicht schlechter behandelt worden als vergleichbare nichtbehinderte Bewerber. Die Stadt habe bei der Entscheidung, den Kläger nicht einzustellen, nicht auf seine Behinderung abgestellt. Vielmehr habe man den Kläger ungeachtet seiner Behinderung gerade einstellen wollen und ihm demgemäß eine Einstellungszusage erteilt, diese jedoch vom Ergebnis einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung bzw. seiner Eignung abhängig gemacht.
Diese gesundheitliche Eignung sei dann von dem von ihr beauftragten Arzt verneint worden. Daraufhin habe die Beklagte unter Berufung auf den zum Ausdruck gekommenen Vorbehalt ihre Einstellungszusage zurückgezogen.
Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 20.3.2024, 3 Ca 1654/23, PM 1/24
| In einem Fall vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf ging es im Wesentlichen um angeblich unangemessene Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber Kollegen über Mitarbeitern. Die daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnung hatte keinen Bestand, weil sie zu unbestimmt war. |
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer hatte die Äußerungen bestritten. Auf seine Frage im Personalgespräch, weshalb keine Namen derjenigen Arbeitnehmer genannt würden, die die Vorwürfe an die Personalbetreuung herangetragen hätten, äußerte die Personalreferentin, dass die Arbeitnehmer eingeschüchtert seien und sich lediglich vertraulich an die Vorgesetzten sowie die Personalbetreuung gewandt hätten. Auch in der Abmahnung selbst erfolgte keine namentliche Nennung.
So sah es das Arbeitsgericht
Das ArbG stellte klar: Dieser Vorgang reicht nicht für eine Abmahnung. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich in der ihm vorgeworfenen Art und Weise verhalten habe. Die Abmahnung sei inhaltlich zu unbestimmt. Die „anderen Mitarbeiter“, gegenüber denen er die Äußerungen getätigt haben soll, würden in der Abmahnung nicht benannt, obwohl sie dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abmahnung unstreitig bekannt gewesen seien. Da sich die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientierten, was der Arbeitgeber wissen könne, sei die Abmahnung nicht hinreichend konkret.
Für den Arbeitnehmer als Adressat der Abmahnung diene die konkrete Nennung der Namen der Zeugen auch dazu, zu überprüfen, ob die Abmahnung inhaltlich richtig sei oder nicht; pauschale Vorwürfe ohne die Nennung der Zeugen würden diese Anforderung nicht erfüllen. Der Arbeitgeber sei auch nicht berechtigt, zum Schutz der Zeugen die Namen in der Abmahnung nicht zu nennen. Hierdurch könne zwar ein Konflikt zwischen dem Arbeitnehmer und den Zeugen im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe entstehen. Einen solchen Konflikt müsse ein Arbeitgeber, der den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf ein angebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers vertraue, allerdings hinnehmen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr den Zeugen durch ihre Nennung in der Abmahnung drohe.
Quelle | ArbG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2024, 7 Ca 1347/23
| Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (hier: § 3 Abs. 1 EFZG) dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Voraussetzung: Es muss dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sein, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |
Abzug vom Verdienst nach Covid-Erkrankung
Der Kläger ist als Produktionsmitarbeiter bei der Arbeitgeberin beschäftigt, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Er hatte sich keiner Schutzimpfung gegen das Coronavirus unterzogen und wurde am 26.12.2021 positiv auf das Virus getestet. Für die Zeit vom 27. bis zum 31.12.2021 wurde dem unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen leidenden Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt. Für diese Zeit leistete die Arbeitgeberin Entgeltfortzahlung. Am 29.12.2021 erließ die Gemeinde N. eine Verfügung, nach der für den Kläger bis zum 12.1.2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung angeordnet wurde. Für die Zeit vom 3. bis zum 12.1.2022 lehnte der Arzt die Ausstellung einer Folge-AU mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Mit der Verdienstabrechnung für Januar 2022 nahm die Arbeitgeberin für diese Zeit vom Lohn des Klägers einen Abzug in Höhe von ca. 1.000 Euro brutto vor. Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung des Arbeitnehmers das Urteil des ArbG geändert und die Arbeitgeberin verurteilt, zu zahlen.
Bundesarbeitsgericht gab Arbeitnehmer Recht
Die Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, ohne dass es darauf ankam, ob bei ihm durchgehend Symptome von COVID-19 vorlagen. Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Die Absonderungsanordnung ist keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruht das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion (Monokausalität). Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Absonderungsanordnung. Aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion war es dem Kläger rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
Es konnte auch nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der empfohlenen Corona-Schutzimpfung für die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich war. Das Berufungsgericht hat hierbei zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, dass die Nichtvornahme der Schutzimpfungen einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellte. Jedoch ließen die wöchentlichen Lageberichte des RKI und dessen Einschätzung der Impfeffektivität nicht den Schluss zu, dass Ende Dezember 2021 bzw. Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufgetretene Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte verhindert werden können.
Der Arbeitgeberin stand ein Leistungsverweigerungsrecht wegen nicht vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu. Das LAG hatte richtig erkannt, dass der Kläger der Beklagten durch Vorlage der Ordnungsverfügung der Gemeinde N. in anderer, geeigneter Weise nachgewiesen hat, infolge seiner Corona-Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.
Quelle | BAG, Urteil vom 20.3.2024, 5 AZ R 234/23, PM 8/24
| Eine Bank kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Bank wollte Originalurkunden nicht herausgeben
Ein Mann hatte geltend gemacht, seine – inzwischen getrenntlebende und in Scheidung befindliche – Ehefrau habe auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung unberechtigt seine Unterschriften angebracht. Er hat beantragt, ein Schriftsachverständigengutachten einzuholen. Das Kreditinstitut – eine Bausparkasse – hat die Herausgabe der zur Begutachtung erforderlichen Originalurkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert. Das machte der BGH nicht mit.
Hier gilt ein Zeugnisverweigerungsrecht
Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, sind zur Verweigerung des Zeugnisses der Tatsachen berechtigt, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Dies gilt dann auch für hierauf bezogene Urkunden. Im Fall des BGH hatten die Interessen des Mannes jedoch Vorrang.
Quelle | BGH, Beschluss vom 29.11.2023, XII ZB 141/22
| Unternehmen müssen den Inhalt der Bilanz und der Gewinn-und Verlustrechnung grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung übermitteln. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun das aktualisierte Datenschema der Taxonomien (Version 6.8) als amtlich vorgeschriebenen Datensatz veröffentlicht. Die aktualisierten Taxonomien stehen unter www.esteuer.de zur Ansicht und zum Abruf bereit. |
Beachten Sie | Die neuen Taxonomien sind grundsätzlich für die Bilanzen der Wirtschaftsjahre zu verwenden, die nach dem 31.12.2024 beginnen (Wirtschaftsjahr 2025 oder 2025/2026). Es wird aber nicht beanstandet, wenn diese auch für das Wirtschaftsjahr 2024 oder 2024/2025 verwendet werden.
Die Übermittlungsmöglichkeit mit diesen neuen Taxonomien wird für Testfälle voraussichtlich ab November 2024 gegeben sein, für Echtfälle ab Mai 2025.
Quelle | BMF-Schreiben vom 27.5.2024, IV C 6 - S 2133-b/24/10001 :002
| Nach den statistischen Aufzeichnungen der obersten Finanzbehörden der Länder haben die im Jahr 2023 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen bei der Umsatzsteuer zu einem Mehrergebnis von rund 1,52 Mrd. Euro geführt. Die Ergebnisse aus der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind in diesem Mehrergebnis nicht enthalten. |
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen werden unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im Jahr 2023 wurden 63.282 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt. Im Jahresdurchschnitt waren 1.604 Umsatzsteuer-Sonderprüfer eingesetzt. Jeder Prüfer führte im Durchschnitt 39 Sonderprüfungen durch. Dies bedeutet für jeden eingesetzten Prüfer ein durchschnittliches Mehrergebnis von rund 0,94 Mio. Euro.
Quelle | BMF, Mitteilung vom 25.4.2024
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Er möchte wissen, ob das gesetzliche Aufteilungsgebot für Beherbergungsleistungen rechtmäßig ist. Danach unterliegt die Übernachtungsleistung dem ermäßigten Umsatzsteuersatz i. H. von 7 %. Für Nebenleistungen, die nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, gilt dagegen der Regelsteuersatz (19 %). In den drei Streitfällen ging es um Parkplatzgestellungen, Frühstücksleistungen, die Gestellung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen sowie von W-LAN. |
Für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, greift die Umsatzsteuerermäßigung auf 7 %.
Beachten Sie | Dies gilt nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG) aber nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.
Bisher war der BFH der Ansicht, dass das Aufteilungsgebot in Einklang mit dem Unionsrecht steht und dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung vorgeht, wonach eine (unselbstständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt.
Ganz so sicher ist sich der BFH aber infolge der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht mehr. Deshalb hat er nun beim EuGH angefragt. Es ist zu hoffen, dass sich der EuGH zeitnah und eindeutig äußern wird, damit zu dieser Frage (endlich) Rechtssicherheit besteht.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 10.1.2024, XI R 11/23 (XI R 34/20), XI R 13/23 (XI R 7/21), XI R 14/23 (XI R 22/21)
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. |
Hintergrund: Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt (in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO) einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.
Finanzamt und Finanzgericht lehnten Auskunftsersuchen ab
Im Streitfall verlangte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt die Zurverfügungstellung (elektronischer) Kopien von Verwaltungsakten mit den ihn betreffenden personenbezogenen Daten, was sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (FG) ablehnten.
Bundesfinanzhof widersprach
Der BFH hat nun entschieden, dass ein Steuerpflichtiger vom Finanzamt grundsätzlich Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten verlangen kann – und zwar ungeachtet der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung.
Auskunftsanspruch unabhängig von Art der Steuer
Der Auskunftsanspruch ist auch nicht davon abhängig, für welche Steuerart die Datenverarbeitung erfolgt. Grundsätzlich ist der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch darauf beschränkt, dass der Steuerpflichtige darüber informiert wird, welche ihn betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet werden.
Der Auskunftsanspruch gewährt grundsätzlich aber kein Recht auf die (elektronische) Zurverfügungstellung von Kopien von ganzen Akten bzw. einzelnen Dokumenten mit personenbezogenen Daten. Nur ausnahmsweise, wenn der Steuerpflichtige diese zwingend benötigt, um seine Rechte nach der DS-GVO durchsetzen zu können, sind ihm auch Kopien von Dokumenten mit seinen personenbezogenen Daten (elektronisch) zur Verfügung zu stellen.
Grenzen: unbegründete oder exzessive Auskunftsersuchen
Zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs hat der BFH im Übrigen klargestellt, dass die Finanzverwaltung zwar einen gegen sie gerichteten Auskunftsanspruch nach der DS-GVO zurückweisen kann, falls dieser offenkundig unbegründet oder exzessiv ist. Hierfür muss sie jedoch die Umstände darlegen, die zu einer offenkundigen Unbegründetheit bzw. zu einem Exzess des Auskunftsersuchens führen. Dass der Steuerpflichtige mit seinem Auskunftsersuchen Ziele außerhalb der DS-GVO verfolgt, erlaubt der Finanzverwaltung nicht, die Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten zu verweigern.
Quelle | BFH, Urteil vom 12.3.2024, IX R 35/21, PM Nr. 27/24 vom 20.6.2024
| Die Auszahlung einer Direktversicherung nach Ausübung eines vertraglich eingeräumten Kapitalwahlrechts unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz. Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster ist allerdings die Revision anhängig. |
Das war geschehen
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in Beiträge zu einer Direktversicherung nach dem Betriebsrentengesetz vereinbart. Daraufhin schloss der Arbeitgeber für die Steuerpflichtige eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Es sollte eine lebenslange monatliche Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen.
Im Streitjahr 2019 übte die Steuerpflichtige das Kapitalwahlrecht aus und erhielt ca. 44.500 Euro. Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolglos.
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten können als außerordentliche Einkünfte in Betracht kommen, die ermäßigt zu besteuern sind (Fünftel-Regelung). Da es im Streitfall aber an dem Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit fehlte, kam keine ermäßigte Besteuerung in Betracht.
Höchstrichterliche Rechtsprechung
Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausschließlich auf die vertragliche Vereinbarung an (keine ermäßigte Besteuerung, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war). In späteren Entscheidungen hat es der BFH jedoch vielmehr für maßgeblich gehalten, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material ausgewertet werden muss.
Bundesfinanzhof ist erneut gefragt
Vor diesem Hintergrund hat das FG Münster nun die Revision mit folgendem Wortlaut zugelassen: „Dem Bundesfinanzhof ist Gelegenheit zu geben, über die Ausschärfung der Kriterien zur Bestimmung der Atypik bei Kapitalauszahlungen von Renten erneut zu entscheiden, da er bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist.“
Beachten Sie | Da die Steuerpflichtige die Revision eingelegt hat, können geeignete Fälle mit einem Einspruch bis zur Entscheidung des BFH offen gehalten werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 24.10.2023, 1 K 1990/22 E, Rev. BFH: X R 25/23
| Bei Lohnsteuer-Außenprüfungen stoßen Prüfer immer häufiger auf Sachverhalte, in denen der Arbeitgeber im Rahmen einer Gehaltsumwandlung den Grundlohn abgesenkt und einen nach § 3 Nr. 30 und Nr. 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreien Heimarbeiterzuschlag zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen (z. B. für Miete, Heizung und Beleuchtung der Arbeitsräume) bezahlt hat. Hier ist Vorsicht geboten: Denn in vielen Fällen sind die Voraussetzungen für den steuerfreien Heimarbeiterzuschlag nach dem Heimarbeitsgesetz (HAG) nicht erfüllt. |
Informationen zum Heimarbeiterzuschlag enthält vor allem die Lohnsteuerrichtlinie 9.13. Hier heißt es in Abs. 2: „Lohnzuschläge, die den Heimarbeitern zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen neben dem Grundlohn gezahlt werden, sind insgesamt aus Vereinfachungsgründen nach § 3 Nr. 30 und 50 EStG steuerfrei, soweit sie 10 % des Grundlohns nicht übersteigen.“
Beachten Sie | Die im Einkommensteuergesetz geregelte Steuerfreiheit gilt allerdings nur für Heimarbeiter i. S. des § 2 Abs. 1 HAG. Die steuerfreien Zuschläge können also nicht von Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden, die ihre Tätigkeit seit der Coronapandemie (teilweise) im Homeoffice ausüben.
Quelle | R 9.13 Abs. 2 Lohnsteuerrichtlinien; § 2 Heimarbeitsgesetz
| Schuldet der Vermieter von Wohnraum zum vertragsgemäßen Gebrauch auch die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, stehen Kosten des Vermieters für eine neue Heizungsanlage jedenfalls dann im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zur steuerfreien Vermietung, wenn es sich dabei nicht um Betriebskosten handelt, die der Mieter gesondert zu tragen hat. Die Quintessenz aus dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH): Der Vermieter kann für die Heizungsanlage keinen Vorsteuerabzug beanspruchen. |
Hintergrund: Nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG) ist der Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen ausgeschlossen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
Das Finanzgericht (FG) Münster hatte den Streitfall noch anders beurteilt und auf getrennte Leistungen abgestellt, nämlich einerseits steuerfreie Vermietungsleistungen und andererseits steuerpflichtige Energielieferungen.
Der BFH lehnte den vom Vermieter begehrten Vorsteuerabzug aus dem Heizungsaustausch aber bereits deshalb ab, weil der Vermieter dort entsprechend den mietrechtlichen Rahmenbedingungen die Gestellung einer Wohnung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch – d. h. einschließlich der Gestellung warmen Brauchwassers – schuldete und die diesbezüglichen Zahlungen nicht als dem Mieter gesondert berechenbare Betriebskosten i. S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 556 BGB) anzusehen waren.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.12.2023, V R 15/21
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden. Danach müssen Steuerpflichtige unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Weil deswegen bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt. |
Steuerpflichtige vor Finanzgericht erfolgreich
In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die Bescheide waren auf der Grundlage des neuen Bundesmodells ergangen, das in mehreren Bundesländern (z. B. in Nordrhein-Westfalen) Anwendung findet.
Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1.1.2022 als einheitlichem Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen Vorschriften enthalten nicht zuletzt wegen der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten zahlreiche Typisierungen und Pauschalierungen.
Bundesfinanzhof: Beschwerden des Finanzamts zurückgewiesen
Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die dagegen erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit in Bezug auf Grundsteuerwerte
Nach Ansicht des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Denn die Steuerpflichtigen müssen bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit haben, einen niedrigeren Wert nachzuweisen – auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich geregelt hat.
Übermaßverbot ist zu berücksichtigen
Der Gesetzgeber verfügt gerade in Massenverfahren über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot kann aber verletzt sein, wenn sich der Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt nach der Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt – und dies war infolge der Besonderheiten in den Streitfällen nicht auszuschließen.
Beachten Sie | Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden. Es handelt sich bisher lediglich um Beschlüsse im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV); PM Nr. 26/24 vom 13.6.2024
| Ist ein Fahrzeug mehr als fünf Jahre alt, stuft das Amtsgericht (AG) Aue-Bad Schlema die Nutzungsausfallentschädigung um eine und bei mehr als zehn Jahren um zwei Gruppen ab. |
So rechnete das Amtsgericht
Wenn ein ca. 15 Jahre alter Kleinwagen mit ca. 194.000 km Laufleistung, der ohne Altersabstufung in die Gruppe B gehört, betroffen ist, wird jedoch nur eine Gruppe abgestuft. Denn tiefer geht es nicht. So gab es im vom AG entschiedenen Fall einen Tagessatz von 23 Euro.
Der Versicherer hatte nur minimale Vorhaltekosten erstattet. Das lehnt das Gericht ab. Denn das komme nur in Betracht, wenn ein Fahrzeug nicht nur alt, sondern in einem so schlechten Zustand ist, dass seine Nutzbarkeit deutlich eingeschränkt ist.
Entgangene Fortbewegungsmöglichkeit
Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich hinter den Vorhaltekosten letztlich kaum mehr als die Fixkosten wie Steuern, Versicherung etc. verbergen, es sich hierbei also um einen weitaus geringeren Betrag handelt. Mit zunehmendem Fahrzeugalter spiele letztlich nur die entgangene Fortbewegungs- und Transportmöglichkeit eine Rolle. Allein aufgrund des Alters des Fahrzeugs könne daher nicht ohne Weiteres von einer weiteren Einschränkung des Nutzungswerts bis zum Betrag von Vorhaltekosten ausgegangen werden.
Quelle | AG Aue-Bad Schlema, Urteil vom 28.2.2024, 3 C 241/23
| Ist ein durch eine Verbraucherzentrale geltend gemachter Unterlassungsanspruch begründet, wenn eine Firma die online erklärte Kündigung eines Kunden von einem Bestätigungstelefonat abhängig macht? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz bejaht. |
Zusätzliches Telefonat nötig, damit Online-Kündigung wirksam wird?
Die Beklagte bietet, auch gegenüber Verbrauchern, den Abschluss von Dienstleistungsverträgen über Dauerschuldverhältnisse unter anderem zur Bereitstellung von Webspeicherplatz, E-Mail-Postfächern und Servern an.
Der Kläger, ein eingetragener Verein (Verbraucherzentrale), begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, dass sie auf eine online erklärte Kündigung gegenüber Verbrauchern behauptet, dass zur Wirksamkeit der Kündigung noch ein Telefonat erforderlich sei. Konkret hat ein Kunde seinen Vertrag bei der Beklagten per Internet gekündigt. Der Kunde hat daraufhin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, er möge seine Kündigung binnen 14 Tagen telefonisch bestätigen, ansonsten bleibe das Vertragsverhältnis unverändert bestehen.
Verbraucherzentrale: Telefonat dient zum Umstimmen der Verbraucher
Der Kläger hat daraufhin die Beklagte abgemahnt und erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Er behauptet, im Fall eines Anrufs nach der Kündigung werde seitens der Beklagten – mittels rhetorischer Kunstfertigkeit oder Anbieten anderer Vertragskonditionen – versucht, den Verbraucher zu überzeugen, von seinem Kündigungswillen Abstand zu nehmen. Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten gegenüber Verbrauchern, dass nach einer Kündigung eine Rückbestätigung erfolgen müsse, stelle eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Sie enthalte unwahre Angaben über Rechte des Verbrauchers.
Der Kläger beantragte u. a., der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro zu untersagen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern diesen nach einer der Beklagten zugegangenen Kündigungserklärung eines Dienstleistungsvertrags in Form eines Dauerschuldverhältnisses zu behaupten, die telefonische Bestätigung der erklärten Kündigung sei erforderlich. Die Beklagte meint, ohne telefonische Rückbestätigung der Kündigung bestünde das Risiko, dass unberechtigte Dritte den Vertrag eines Kunden kündigen könnten. Es sei deshalb erforderlich, sich davon zu überzeugen, dass die Kündigung vom Erklärenden stammt. Dabei biete ein Telefonat ein Mehr an Sicherheit verglichen mit einem Bestätigungslink innerhalb einer E-Mail. Es finde keine Irreführung des Verbrauchers statt. Außerdem werde eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst.
So sah es das Landgericht
Das LG hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch zu. Das Vorgehen der Beklagten, den Verbraucher aufzufordern, seine Kündigung innerhalb von 14 Tagen telefonisch zu bestätigen, stelle eine geschäftliche Handlung dar. Dazu gehörten auch Verhaltensweisen, die auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung oder das Verhindern einer Geschäftsbeendigung gerichtet sind. Diese geschäftliche Handlung der Beklagten sei unzulässig, da sie unlauter sei. Unlauter handele, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Bestätigungslink in E-Mail genügt
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch irreführend. Dies sei gegeben, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthalte. Erfasst seien auch irreführende Angaben über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung bestimmter Rechte, zu denen auch das Kündigungsrecht zähle. Auch, wenn die Beklagte nach Auffassung des LG ein grundsätzliches Interesse an einer Authentifizierung haben könne, wäre eine solche vorrangig durch eine Bestätigung über den von dem Verbraucher gewählten Kommunikationskanal zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein an den Verbraucher unter der von ihm hinterlegten E-Mail-Adresse gesendeter Bestätigungslink zur Identifizierung weniger geeignet wäre als ein Telefonat. Auch während eines Telefonats sei es der Beklagten nicht möglich, sich umfassende Gewissheit über die wahre Person ihres Gesprächspartners zu verschaffen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es einem unbefugten Dritten, der sich Zugang zu der Kundennummer, der Vertragsnummer und dem E-Mail-Konto des wahren Vertragspartners verschafft hat, auch gelänge, in einem Telefonat über seine Identität zu täuschen.
Zusätzliche Entscheidung
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beklagte stelle den Verbraucher nach Zugang seiner Kündigung vor die Wahl, seine Kündigung nicht telefonisch zu bestätigen, und in der Folge das Vertragsverhältnis fortzusetzen, oder innerhalb von 14 Tagen telefonisch Kontakt zu der Beklagten aufzunehmen. Es werde dadurch eine zusätzliche Entscheidung des Verbrauchers verlangt, ob er an der Ausübung seines Kündigungsrechts festhalten will. Ohne die irreführende Aufforderung der Beklagten würde der Verbraucher weder die eine noch die andere Entscheidung treffen. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Beklagte eingeräumt habe, dass die beanstandete Vorgehensweise der Beklagten deren übliche Vorgehensweise sei.
Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 27.2.2024, 11 O 12/23
| Das Landgericht (LG) Oldenburg hat den von einer Frau geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz zurückgewiesen. Sie hatte sich an einem Becher Tee verbrüht. |
Warnhinweis auf dem Pappbecher
Die Frau hatte in einem Restaurant einen Tee in einem Einwegbecher gekauft. Auf dem Becher war der Warnhinweis angebracht: „VORSICHT HEISS“. Außerdem enthielt er ein Piktogramm mit einer Tasse mit Dampfschwaden. Der Becher war der Frau mit einem von Hand zu öffnenden Deckel übergeben worden. Er wurde ihr in einer Pappschale ausgehändigt. Wenige Minuten nach dem Kauf hob die Frau den Becher am Deckel aus der Schale. Da passierte es: Der Deckel löste sich. Der Tee ergoss sich auf ihre Oberschenkel. Die Frau erlitt Verbrennungen 1. und 2. Grades. Sie musste sich später einer teuren Behandlung unterziehen.
So sah es die Frau
Die Frau argumentierte vor dem LG, der Tee sei zu heiß gewesen. Folglich seien von ihm unnötige Gesundheitsgefahren ausgegangen. Zudem sei der Deckel nicht fest verschlossen gewesen. Mit diesen beiden Umständen habe sie nicht rechnen müssen.
So sah es das Landgericht
Das LG lehnte den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ab. Es hob hervor: Dass frisch zubereiteter Tee heiß sei (zwischen 90 und 100 Grad), sei allgemein bekannt. Er müsse daher nicht in verzehrfertiger Temperatur übergeben werden. Die Frau sei zudem durch die o. g. Hinweise auf dem Becher ausdrücklich gewarnt worden. Vor einem eventuell losen Deckel habe die Restaurantbesitzerin ebenfalls nicht warnen müssen.
Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 15.3.2024, 16 O 2015/23
| Kosten für eine einem Hotel ähnliche Unterbringung im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung können auch die Aufwendungen für das Mieten eines Wohnmobils sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Haus unbewohnbar – Wohnmobil als Ersatz gemietet
Das Haus eines Versicherungsnehmers war unbewohnbar geworden. Er mietete sich daher für 260 Euro pro Tag ein Wohnmobil und verlangte den Betrag später vom Versicherer zurück. Dieser wollte die Kosten jedoch nicht übernehmen.
Wohnmobil mit Hotel vergleichbar
Das OLG Köln verurteilte den Versicherer schließlich, rund 86.000 Euro an Mietkosten zu übernehmen. Auch die Kosten für das Mieten des Wohnmobils seien Kosten einer einem Hotel ähnlichen Unterbringung i. S. d. Versicherungsbedingungen.
Für Versicherungsnehmer ist Wohnmobil eine dem Hotel ähnliche Unterkunft
Die Auslegung ergebe, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch die stationäre Unterbringung in einem Mietwohnwagen oder Mietwohnmobil als eine einer Hotelunterbringung ähnliche Unterkunft ansehen werde. Denn ebenso wie ein Hotel, eine Ferienwohnung, eine Pension oder Gaststätte mit „Fremdenzimmern“ zeichnet sich ein Wohnmobil bzw. ein Wohnwagen, der zeitweise vermietet wird, dadurch aus, dass wechselnde Gäste darin für eine befristete Zeit wohnen, sei es zu Arbeitsaufenthalten (bspw. Saisonarbeiter, Arbeiter auf Montage) oder zu touristischen Zwecken. Allein der Aspekt der Mobilität des Wohnmobils im Unterschied zur Hotelunterkunft – also der Umstand, dass ein Wohnwagen grundsätzlich mithilfe eines Pkw bzw. ein Wohnmobil aus eigener Motorkraft im Straßenverkehr zum Reisen benutzt und zu wechselnden Standorten bewegt werden kann – steht der Vergleichbarkeit zu einer Hotelunterbringung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht entgegen.
Motorisierung spielt keine Rolle
Das OLG sieht zwar, dass ein Wohnmobil gerade durch die Motorisierung deutlich teurer ist als ein Wohnwagen. Darauf kommt es im Rahmen der Erstattung der Unterbringungskosten aber nicht an.
Der Versicherungsnehmer muss keine dem Wohnungsstandard entsprechende Unterkunft finden. Er ist in der Wahl der Unterkunft grundsätzlich frei und darf sich dabei von persönlichen Bedürfnissen und privaten Befindlichkeiten leiten lassen. Bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Grenzen besteht der zugesagte Versicherungsschutz. Danach sind Kosten für das Mieten eines Wohnmobils als Kosten einer ähnlichen Unterbringung, wie Hotelkosten, grundsätzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung (nach Abschnitt A. § 8 Nr. 1 c VHB 2014) erstattungsfähig.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger das Wohnmobil nicht als Wohnraumersatz, sondern etwa zu Reisezwecken angemietet haben, hat der Versicherer nicht konkret vorgetragen. Sie ergaben sich für das OLG auch nicht aus dem Akteninhalt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 5.12.2023, 9 U 46/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden: Der Versicherer muss die Kosten für die Versorgung mit Medizinal-Cannabis nicht tragen, wenn der Versicherungsnehmer an der Glasknochenkrankheit leidet. |
Konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft?
Der Versicherungsnehmer meinte, dass konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien. Es liege zumindest eine schwere Erkrankung mit wesentlichen Funktionseinschränkungen vor. Daher müsse der Versicherer die medizinisch notwendige Heilbehandlung durch Medizinal-Cannabis übernehmen.
Der Versicherer entgegnete: Bei akut auftretenden Schüben sei Cannabis wegen seiner „Behandlungsträgheit“ nicht geeignet. Das Landgericht (LG) war dem gefolgt und hatte in erster Instanz die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen.
Oberlandesgericht sieht es wie der Versicherer
Das OLG hat dies bestätigt. Der Versicherungsnehmer habe nach dem Versicherungsvertrag einen Leistungsanspruch, wenn es sich bei der Behandlung seiner Beschwerden um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handelt, die entweder von der Schulmedizin überwiegend anerkannt ist oder es sich um eine Methode oder ein Arzneimittel handelt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor.
Zwar leide der Versicherungsnehmer unter einem schweren, multilokulären generalisierten Schmerzsyndrom bei Glasknochenkrankheit und bei entsprechender Symptomatik komme die Erstattung von Medizinal-Cannabis grundsätzlich in Betracht. Wesentliche gelenkarthrotische Veränderungen seien jedoch ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht feststellbar. Weitere Befunde, die den Vortrag zu seinen körperlichen Beschwerden – insbesondere der behaupteten Vielzahl von Brüchen – stützen könnten, habe der darlegungs- und beweisbelastete Versicherungsnehmer ebenfalls nicht vorgelegt.
Die Behandlung der beim Versicherungsnehmer feststellbaren Symptomatik mit Medizinal-Cannabis sei nach heutiger medizinischer Einschätzung und aktuellem Wissensstand nicht als von der Schulmedizin allgemein anerkannte Methode anzusehen. Auch sei sie keine Methode, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt habe wie die Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe ausgeführt, mangels ausreichender Datenlage könne nicht festgestellt werden, dass die Therapie mit Medizinal-Cannabis eine entsprechende Linderung der im Zusammenhang mit der Glasknochenkrankheit stehenden Schmerzsymptomatik verspreche. Schließlich seien schulmedizinisch sowohl nichtmedikamentöse als auch verschiedene medikamentöse Behandlungen verfügbar. Der Versicherungsnehmer habe nicht nachgewiesen, dass diese Behandlungsmethoden bei ihm nicht wirksam seien oder gravierende Nebenwirkungen verursachten.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2023, I-13 U 222/22
| Der Vermieter ist verpflichtet, dem Mieter auf dessen Verlangen Einsicht in die Abrechnungsbelege zu gewähren und diese in einer geordneten Form vorzulegen. Es ist nicht Aufgabe des Mieters, die Belege selbstständig zu ordnen. So entschied es das Amtsgericht (AG) Münster. |
Die Wohnungsmieter hatten Einsicht in die Belege zu den Betriebskostenabrechnungen von 2018 bis 2020 verlangt. Die Vermieterin legte die Unterlagen ungeordnet, weder thematisch noch chronologisch stringent sortiert, vor. Daher weigerten sich die Mieter, die Nachforderungen aus den Abrechnungen auszugleichen.
Die Zahlungsklage der Vermieterin hatte keinen Erfolg. Sie habe keinen Anspruch auf die Nachzahlungen, da den Mietern ein Zurückbehaltungsrecht zustehe. Die Vermieterin habe keine umfassende Belegeinsicht gewährt.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 259 Abs. 1 BGB) bedürfe es einer geordneten Zusammenstellung der Abrechnungsbelege, so das AG. Das umfasse eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung in Abrechnungsposten.
Dabei sei auf einen juristisch und betriebswirtschaftlich ungeschulten Mieter abzustellen. Anderenfalls könne der Mieter sein Prüfungsrecht nicht sinnvoll ausüben. Der Mieter sei nicht verpflichtet, die Belege selbstständig zu ordnen oder Zusammenhänge in den Rechnungen fortlaufender Verträge zu erkennen.
Quelle | AG Münster, Urteil vom 25.10.2023, 38 C 1947/22
| Das Landgericht (LG) Hanau hat entschieden, dass ein Vermieter in einem Gebäude mit nur zwei Wohnungen dem Mieter der zweiten Wohnung nicht ohne besonderen Grund kündigen kann, wenn er selbst die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr nutzt. |
Vermieterin wohnte überwiegend im Ausland
Zwischen der hauptsächlich im Ausland lebenden Vermieterin und den Mietern besteht ein Mietvertrag über eine Wohnung in einem Haus mit nur zwei Wohneinheiten. Sie selbst nutzt die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr. Die Vermieterin hat die Kündigung nach § 573 a BGB ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift kann der Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen jederzeit ohne Grund beenden. Die Mieter halten die Kündigung für unwirksam, weil die Vermieterin die andere Wohnung nicht im Sinne der Vorschrift bewohne. Das Amtsgericht (AG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat die Räumungsklage abgewiesen.
Lebensmittelpunkt erforderlich
Das LG hat die Berufung der Vermieterin zurückgewiesen. Für die erleichterte Kündigung nach § 573 a BGB reiche es nicht aus, dass der Vermieter die zweite Wohnung in dem Haus lediglich zusätzlich nutze, selbst, wenn das vereinzelt, wie für das Jahr 2021 behauptet, insgesamt 40 Wochen seien. Er müsse vielmehr seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung haben. Eine enge Auslegung der Vorschrift sei insbesondere deshalb geboten, weil diese es ermögliche, den Mietvertrag mit dem ansonsten von dem Gesetz erheblich geschützten Wohnraummieter zu beenden, ohne dass der Mieter eine Pflichtverletzung begangen oder der Vermieter sonst ein besonderes Interesse hieran habe.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Hanau, Urteil vom 15.11.2023, 2 S 107/22, PM vom 8.2.2024
| Dass ein Testament nicht zwingend auf einem weißen Blatt Papier entstehen muss, zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg. Es ging letztlich darum, ob jemand Erbe geworden war oder nicht. |
Gastwirt verstarb – Testament auf „Kneipenblock“
Verstorben war ein Gastwirt aus dem Landkreis Ammerland. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte, einen Erbschein zu erteilen. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname einer Person („X“) vermerkt. Auf dem Zettel hieß es lediglich „X bekommt alles“.
Amtsgericht: Testierwille fehlte
Das Amtsgericht (AG) sah die Partnerin nicht als Erbin an. Es war der Auffassung, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille.
Oberlandesgericht: Testament wirksam
Der auf das Erbrecht spezialisierte Senat des OLG gelangte zu einer anderen Bewertung. Der handschriftliche Text auf dem Zettel sei ein wirksames Testament.
Das OLG war aufgrund der Einzelheiten des Verfahrens überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück selbst verfasst hatte und dass er mit dem genannten Spitznamen allein seine Partnerin gemeint habe. Auch, dass der Erblasser mit der handschriftlichen Notiz seinen Nachlass verbindlich regeln wollte, stand für den Senat aufgrund von Zeugenangaben fest.
Dass sich die Notiz auf einer ungewöhnlichen Unterlage befinde, nicht als Testament bezeichnet und zudem hinter der Theke gelagert war, stehe der Einordnung als Testament nicht entgegen. Zum einen sei es eine Eigenart des Erblassers gewesen, für ihn wichtige Dokumente hinter dem Tresen zu lagern. Zum anderen reiche es für die Annahme eines Testaments aus, dass der Testierwille des Erblassers eindeutig zu ermitteln sei und die vom ihm erstellte Notiz seine Unterschrift trage. Das OLG stellte die Partnerin daher als rechtmäßige Erbin fest.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2023, 3 W 96/23, PM 10/24
| Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte der Klägerin eine Altersrente. Einen Grundrentenzuschlag nach dem Sozialgesetzbuch VI (hier: § 76 g SGB VI) für langjährige Versicherung berücksichtigte sie nicht, weil das anzurechnende Einkommen des Ehemannes höher als der Zuschlag war. Zu Recht, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun bestätigte. |
Klägerin rügte Grundrechtsverstoß
Die Klägerin rügte, dass die Einkommensanrechnung gemäß § 97 a Abs. 1 SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße. Verheiratete und unverheiratete Menschen würden ungleich behandelt und durch den Familienstand „verheiratet“ benachteiligt, weil das Gesetz eine Einkommensanrechnung bei unverheirateten Personen nicht vorsehe. Das SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid ab.
Landessozialgericht: kein Grundrechtsverstoß
Die dagegen gerichtete Berufung hat das LSG nun zurückgewiesen. Die von der Beklagten angewandte gesetzliche Regelung sei nicht verfassungswidrig. Der Nachteil der Einkommensanrechnung werde bei Gesamtbetrachtung aller an die Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft anknüpfenden Regelungen sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch in anderen Regelungsbereichen im Ergebnis ausgeglichen.
Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs
Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass das Ziel der Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers neben der Anerkennung der Lebensarbeitsleistung eine bessere finanzielle Versorgung von langjährig Versicherten sei. Dieses Ziel werde erreicht. Dem Grundrentenberechtigten verbleibe bei Einbeziehung des Einkommens des Ehegatten ein Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs. Er stehe besser da als jemand, der wenig oder gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend versichert gearbeitet habe und entsprechend wenig oder gar nicht in diese eingezahlt habe.
Das gelte zwar auch für jemanden, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit jemandem zusammenlebe, der entsprechende Einkünfte habe. Allerdings seien Ehepartner aufgrund der unterhaltsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung wirksamer als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft versorgt.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.1.2024, L 18R 707/22, PM vom 15.3.2024
| Allein mit der Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, kann der Auftraggeber das Architektenhonorar nicht wirksam mindern. Die Bezeichnung „im Allgemeinen erforderlich“ in § 3 Abs. 3 HOAI soll nämlich klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt notwendig sind, um die Vertragsziele zu erreichen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Maßgeblich sind die vertraglichen Vereinbarungen
Maßgeblich sind nach dem OLG nicht die in der HOAI genannten Leistungsbilder, sondern die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Was ein Planer vertraglich schuldet, ergibt sich aus dem Vertrag, in der Regel also aus dem Recht des Werkvertrags. Der Inhalt dieses Vertrags ist nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts zu ermitteln.
Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI geregelten „Leistungsbilder“ sind Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach.
Daraus folgt, dass es sich bei den Vorgaben des § 34 Abs. 3 und Anlage 10.1 HOAI nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe handelt.
Es müssen nicht stets alle Grundleistungen erbracht werden
Die in Anlage 10.1 aufgeführten Grundleistungen sind nicht alle zwingend für einen vollständigen Honoraranspruch zu erbringen, wenn dies für den vereinbarten Leistungsumfang nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 S. 1 HOAI, wonach die in den Leistungsbildern erfassten Grundleistungen im Allgemeinen zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags erforderlich sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht immer alle in der jeweiligen Leistungsphase aufgeführten Grundleistungen zur Lösung der jeweiligen konkreten Planungsaufgabe zwingend erbracht werden müssen. Sind bestimmte Grundleistungen nicht zur Lösung der konkreten Planungsaufgabe erforderlich, führt es nicht zu einer Honorarkürzung, wenn diese – nicht erforderlichen – Leistungen nicht erbracht wurden.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 7.2.2024, 14 U 12/23
| In letzter Zeit häufen sich die Entscheidungen dazu, dass es nicht zu den Aufgaben des Architekten gehört, Rechtsfragen zu bearbeiten. Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt eine neue Variante hinzugefügt und sich klar positioniert. |
Das OLG: Ob eine Nachtragsforderung des bauausführenden Unternehmers berechtigt ist, liegt außerhalb der Fragestellungen, für deren Richtigkeit der Architekt mit seiner Rechnungsprüfung im Verhältnis zum Auftraggeber einzustehen hat.
Quelle | OLG Frankfurt, Beschluss vom 2.3.2023, 21 U 69/21
| Ein Architekt, der bei der Gebäudesanierung seine Kunden nicht nur in technischer Hinsicht berät, sondern auch Ratschläge zum Erhalt von Fördermitteln erteilt, muss für Schäden einstehen, wenn er die Fördervoraussetzungen fehlerhaft einschätzt. So hat es das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Empfehlung des Architekten
Die Frau hatte sich zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann dazu entschlossen, ihr Mehrfamilienhaus energetisch sanieren zu lassen und wollte dafür möglichst auch Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Sie ließ sich dahingehend von einem Architekten beraten, der auch Leistungen im Bereich der Energieberatung anbietet. Dieser empfahl, das Objekt in Wohnungseigentum umzuwandeln, da dies eine Voraussetzung für die Gewährung von KfW-Fördermitteln im Rahmen des Programms „Energieeffizient Sanieren“ sei.
KfW verweigerte Fördermittel
Entsprechend der Beratung des Architekten stellte das Ehepaar den Antrag auf die Fördermittel, noch bevor die Umwandlung des Hauses in Wohnungseigentum vollzogen war. Nachdem die Sanierungsarbeiten durchgeführt und die Umwandlung in Wohnungseigentum abgeschlossen waren, rief das Ehepaar die Fördermittel ab. Die KfW verweigerte jedoch die Auszahlung, da nach den Förderbedingungen nur Eigentümer von bestehenden Eigentumswohnungen antragsberechtigt seien; eine Umwandlung in Wohnungseigentum erst nach Antragstellung genüge dagegen nicht. Die nun entgangenen Vorteile verlangten die Eigentümer von dem Architekten ersetzt.
Architekt erbrachte Rechtsdienstleistung
Das LG gab der Klage statt. Der Architekt habe nicht nur auf technischer Ebene zugearbeitet, sondern mit seiner beratenden Tätigkeit zu den Fördervoraussetzungen der geplanten Sanierungsmaßnahme eine sogenannte Rechtsdienstleistung erbracht. Da die Information über die Voraussetzungen für die KfW-Förderung der geplanten Maßnahme unzureichend gewesen sei, habe er seine Schutzpflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt. Hätten die Eheleute den Antrag erst nach der Umwandlung in Wohnungseigentum gestellt, hätten sie die Fördermittel erhalten. Den daraus entstandenen Schaden muss der Architekt nun erstatten.
Das LG: Der Architekt kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, er arbeite im Rahmen der Energieberatung nur auf technischer Ebene.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 25.1.2024, 7 O 13/23, PM vom 28.3.2024
| Ein ehemaliger Polizist hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit infolge früher wahrgenommener Tätigkeiten u. a. im Streifendienst. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Aachen entschieden. |
Der Kläger begründete, er sei während seiner nahezu 46-jährigen Dienstzeit zu erheblichen Teilen im Außendienst eingesetzt gewesen, ohne dass sein Dienstherr ihm Mittel zum UV-Schutz zur Verfügung gestellt oder auch auf die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen hingewiesen habe. Infolgedessen leide er unter Hautkrebs am Kopf, im Gesicht und an den Unterarmen.
Das VG hat die Ablehnung der Anerkennung als Berufskrankheit bestätigt, denn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall lägen hier nicht vor. Erforderlich ist im Fall von Hautkrebs durch UV-Strahlung, dass der Betroffene bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt ist, d. h. das Erkrankungsrisiko aufgrund der dienstlichen Tätigkeit in entscheidendem Maß höher als das der Allgemeinbevölkerung ist. Davon kann bei Polizeibeamten im Außendienst nicht die Rede sein. Polizisten bewegen sich in unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und nicht nur bei strahlendem Sonnenschein im Freien.
Quelle | VG Aachen, Urteil vom 15.4.2024, 1 K 2399/23, PM vom 15.4.2024
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat entschieden: Eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) scheidet aus, wenn der Bewerber eine klassische kaufmännische Ausbildung hat, die nicht mit der Laufbahn des mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Bundeswehrverwaltung) vergleichbar ist. Hat der Bewerber später nicht entsprechend seiner Qualifikation gearbeitet, sammelt er auch keine Zeiten „hauptberuflicher Tätigkeit“. |
Kläger erhielt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch
Der Kläger bewarb sich auf die o. g. Stelle und wurde nicht eingeladen. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) klagte er auf eine Entschädigung nach dem AGG (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 AGG) und unterlag. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG zurück. Zu Recht habe das VG ausnahmsweise eine Einladung eines schwerbehinderten Menschen durch einen öffentlichen Arbeitgeber als entbehrlich angesehen. Denn die fachliche Eignung fehlte offensichtlich.
Wesentliche Unterschiede in der Ausbildung
Der Kläger hatte eine Ausbildung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft absolviert. Deren Inhalte unterschieden sich wesentlich von denen, die im Vorbereitungsdienst für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst in der Bundeswehrverwaltung vermittelt würden und allein zur Laufbahnbefähigung für den mittleren Dienst führen könnten. Das VG verglich insoweit die Ausbildung des Klägers mit den Anforderungen des fachspezifischen Vorbereitungsdienstes. Er konnte auch nicht nachweisen, dass seine späteren hauptberuflichen Tätigkeiten seiner Qualifikation entsprachen bzw. anzuerkennen seien. Hier wäre ein Zeitraum von mindestens einem Jahr und sechs Monaten notwendig gewesen. Er hatte auf verschiedenen Stellen überwiegend einfache Büro- und Verwaltungsarbeiten ausgeführt, die häufig nicht einmal eine kaufmännische Ausbildung voraussetzten.
Quelle | OVG NRW, Urteil vom 8.5.2023, 1 A 3340/20
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Auch ein Abweichen von dem direkten Arbeitsweg kann unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert sein. Dabei muss aber ein ausreichender Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt gesetzlich etwa für einen vom Arbeitsweg abweichenden Weg in Betracht, um ein Kind wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. In einem solchen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nun eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. |
Begleitung auf dem Schulweg
Die Klägerin hatte ihre Tochter im Grundschulalter zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet, an dem sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg traf. Dieser Sammelpunkt lag, von der Wohnung der Klägerin aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg von dem Sammelpunkt zu ihrer Arbeit, aber noch vor Erreichen des Wegstücks von ihrer Wohnung zur Arbeit, wurde die Klägerin – als sie trotz einer roten Fußgängerampel eine Straße überquerte – von einem PKW erfasst. Sie erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche.
Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, bekam die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart zunächst recht. Sie hatte insbesondere geltend gemacht, dass die Begleitung ihrer Tochter aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen sei.
Landessozialgericht: Kein Arbeitsweg
Auf die Berufung des Unfallversicherungsträgers hat das LSG Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall setze, wie der zuständige Senat klargestellt hat, u. a. voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Klägerin habe sich zwar im Unfallzeitpunkt objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Dies sei aber nicht hinreichend, denn das Überqueren der Straße am Unfallort zum Unfallzeitpunkt sei nicht auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit erfolgt, sodass der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit fehle.
Entscheidend: nicht Umweg, sondern Abweg
Bewege sich der Versicherte – wie vorliegend die Klägerin – nicht auf einem direkten Weg in Richtung seines Ziels, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem fort, handele es sich eben nicht um einen bloßen Umweg, sondern um einen Abweg. Werde der direkte Weg mehr als geringfügig unterbrochen und ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen, also nicht betrieblichen Gründen – ebenfalls wie vorliegend – zurückgelegt, bestehe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe auch bis zum Eintritt des Unfallereignisses die unmittelbare Wegstrecke zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht. Der Wegeunfallversicherungsschutz sei damit zum Unfallzeitpunkt noch nicht erneut begründet worden.
Keine Ausnahme gegeben
Es liege auch kein ausnahmsweise versicherter Abweg vor. Die Klägerin habe ihre Tochter nicht – wie für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz insoweit erforderlich – zum Sammelpunkt begleitet, um ihrer Beschäftigung nachzugehen, sondern allein und ausschließlich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter. Damit fehle vorliegend jeglicher sachlich-inhaltlich kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung der Klägerin und dem Begleiten der Tochter. Denn erfasst würden keine Fälle, in denen das Kind in fremde Obhut unabhängig davon verbracht werde, ob der Versicherte seine Beschäftigung alsbald aufnehmen wolle. Schließlich stelle auch die Begleitung der Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von wo aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg beschritten, schon kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne des Gesetzes dar.
Beachten Sie | Wenn ein Unfall – wie in dem dargestellten Fall – nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst ist, wird Versicherungsschutz typischerweise durch die – gesetzliche oder private – Krankenversicherung gewährleistet. Auch sind Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen während des Schulbesuchs sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022, L 10 U 3232/21, PM vom 19.3.2024
Baurecht
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass die Verpackung eines Produkts in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht („Mogelpackung“), wenn sie nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist. |
Verbraucherschutzverband klagte
Die Klägerin ist ein Verbraucherschutzverband. Die Beklagte vertreibt Kosmetik- und Körperpflegeprodukte. Die Beklagte bewarb auf ihrer Internetseite ein Herrenwaschgel in einer aus Kunststoff bestehenden Tube mit einer Füllmenge von 100 ml. In der Online-Werbung ist die Tube auf dem Verschlussdeckel stehend abgebildet. Sie ist im unteren Bereich des Verschlussdeckels transparent und gibt den Blick auf den orangefarbigen Inhalt frei. Der darüber befindliche, sich zum Falz der Tube stark verjüngende Bereich ist nicht durchsichtig, sondern silbern eingefärbt. Die Tube ist nur im durchsichtigen Bereich bis zum Beginn des oberen, nicht durchsichtigen Bereichs mit Waschgel befüllt.
Die Klägerin hält diese Werbung für unlauter, weil sie eine tatsächlich nicht gegebene nahezu vollständige Befüllung der Tube mit Waschgel suggeriere, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass die Verpackung zwar dann ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge als vorhanden vortäusche, wenn der Verbraucher sie im Rahmen des Erwerbs im Laden in Originalgröße wahrnehme. Im Fall des hier vorliegenden Online-Vertriebs fehle es jedoch an der Spürbarkeit eines Verstoßes, weil dem Verbraucher die konkrete Größe der Produktverpackung im Zeitpunkt der Beschäftigung mit dem Angebot und dem Erwerb des Produkts verborgen bleibe. Auch eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt der Täuschung über den Hohlraum in der Verpackung liege nicht vor.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH stellte klar: Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Insbesondere täuscht die beanstandete Produktgestaltung ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vor, als in ihr enthalten ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch eine spürbare Interessenbeeinträchtigung vor. Denn der Verkehr soll vor Fehlannahmen über die relative Füllmenge einer Fertigpackung („Mogelpackung“) geschützt werden. Dieser Schutzzweck ist unabhängig vom Vertriebsweg stets betroffen, wenn – wie im Streitfall – eine Fertigpackung ihrer Gestaltung und Befüllung nach in relevanter Weise über ihre relative Füllmenge täuscht.
Der Bundesgerichtshof hat die Beklagte daher zur Unterlassung verurteilt.
Die beanstandete Internetwerbung für das Waschgel verstößt gegen das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG). Eine wettbewerblich relevante Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung liegt unabhängig von dem konkret beanstandeten Werbemedium grundsätzlich vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht. Dies ist hier der Fall, da die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist und weder die Aufmachung der Verpackung das Vortäuschen einer größeren Füllmenge zuverlässig verhindert noch die gegebene Füllmenge auf technischen Erfordernissen beruht.
Quelle | BGH, Urteil vom 29.5.2024, I ZR 43/23, PM 119/24
| Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde mit Wirkung zum 1.1.2024 von 35 Euro auf 50 Euro erhöht. Diese Freigrenze gilt auch umsatzsteuerlich. Daher wurde der Umsatzsteuer-Anwendungserlass angepasst. |
Hintergrund: Für den Vorsteuerabzug kommt es (wie beim Betriebsausgabenabzug) auf die Höhe der Aufwendungen der Geschenke für jeden einzelnen Empfänger im Jahr an. Das bedeutet: Übersteigen die Aufwendungen 50 Euro nicht, ist der Vorsteuerabzug nach den Maßgaben des § 15 Umsatzsteuergesetz zulässig.
Beachten Sie | Sind Unternehmen zum Vorsteuerabzug berechtigt, ist die 50 Euro-Grenze eine Nettogrenze, ohne Vorsteuerabzugsberechtigung handelt es sich um eine Bruttogrenze.
Beispiel
Geschäftsfreund A erhält von der B-GmbH ein Geschenk im Wert von 55 Euro (inklusive 19 % Umsatzsteuer). Ein weiteres Geschenk an A ist für 2024 nicht vorgesehen. Da die B-GmbH zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, sind die Kosten unter den weiteren Voraussetzungen als Betriebsausgaben abzugsfähig (55 Euro/1,19 = 46,22 Euro).
Quelle | BMF-Schreiben vom 12.7.2024, III C 3 - S 7015/23/10002 :001 zur Anpassung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
| In der Versendung einer Gratisbeigabe (hier: Kopfhörer) liegt der Kaufvertragsabschluss über das Hauptprodukt (hier: Smartphone zu 92 Euro aufgrund eines Preisfehlers). So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. |
Im Onlinehandel liegt in der Übersendung einer Gratisbeigabe, deren Versendung einen Kaufvertrag über ein Hauptprodukt voraussetzt, auch die Annahme des Antrags auf Abschluss eines Kaufvertrags über das noch nicht versandte Hauptprodukt. Trotz eines sog. Preisfehlers kann der Kläger die Lieferung von neuen Smartphones zu 92 Euro statt 1.099 Euro laut unverbindlicher Preisempfehlung (UVP) verlangen, bestätigte das OLG.
Das war geschehen
Der Kläger nimmt die Beklagte auf die Lieferung und Übereignung von neun Smartphones in Anspruch. Die Beklagte betreibt den deutschen Onlineshop eines weltweit tätigen Elektronikkonzerns. Laut ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) liegt in einer Kundenbestellung über den Button „jetzt kaufen“ ein bindendes Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags. Die Auftragsbestätigung der Beklagten ist demnach noch keine Annahme dieses Angebots. Ein Kaufvertrag kommt laut AGB zustande, wenn die Beklagte das bestellte Produkt an den Käufer versendet und dies mit einer Versandbestätigung bestätigt. Dabei bezieht sich der Vertrag nur auf die in der Versandbestätigung bestätigten oder gelieferten Produkte.
Durch einen sogenannten Preisfehler bot die Beklagte online Smartphones für 92 Euro an. Der UVP für diese Produkte betrug 1.099 Euro. Zeitgleich bot die Beklagte bei Bestellungen bestimmte Kopfhörer als Gratisbeigabe an. Der Kläger bestellte im Rahmen von drei Bestellungen neun Smartphones sowie vier Gratis-Kopfhörer. Die Kaufpreise zahlte er umgehend. Noch im Laufe des Bestelltags änderte die Beklagte den Angebotspreis auf 928 Euro. Zwei Tage nach den Bestellungen versandte sie die vier Paar Kopfhörer an den Kläger und teilte dies jeweils per Mail mit. Knapp zwei Wochen später stornierte sie die Bestellung unter Verweis auf einen gravierenden Preisfehler. Der Kläger begehrt nun die Lieferung und Übereignung der Smartphones.
Gerichtliche Instanzen sind sich einig
Das Landgericht (LG) hatte der Klage stattgegeben. Diese Auffassung teilte das OLG im Rahmen seines Hinweisbeschlusses, der zur Rücknahme der Berufung führte: Zwischen den Parteien seien Kaufverträge über insgesamt neun Smartphones zustande gekommen. In den automatisiert erstellten Bestellbestätigungen liege zwar noch keine Annahmeerklärung, sondern allein die Bestätigung des Eingangs einer Bestellung.
Mit der Übersendung der Gratis-Kopfhörer habe die Beklagte jedoch den Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags auch in Bezug auf die in der jeweiligen Bestellung enthaltenen Smartphones angenommen: „Denn anders, als wenn in einer Bestellung mehrere kostenpflichtige Artikel zusammengefasst werden, war unbedingte Voraussetzung der kostenlosen Übersendung der Kopfhörer der Erwerb eines Smartphones. Zwischen dem Erwerb des Smartphones und der Übersendung der Kopfhörer bestand ein untrennbarer Zusammenhang dergestalt, dass die kostenlose Übersendung der Kopfhörer das wirksame Zustandekommen eines Kaufvertrags über das Hauptprodukt - das Smartphone – voraussetzt“, begründete das OLG.
Preisfehler ist dem Unternehmen zuzurechnen
Der Kläger habe die Mitteilung, dass sämtliche versprochenen Gratisbeigaben nun verschickt seien, nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte so verstehen dürfen, dass damit auch die Kaufverträge über die Smartphones bestätigt würden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass unstreitig der Preis für die Smartphones bereits am Bestelltag selbst auf 928 Euro korrigiert worden sei. Ab diesem Zeitpunkt sei daher von der Kenntnis von dem Preisfehler im Haus der Beklagten auszugehen. Dies sei ihr insgesamt zuzurechnen.
Quelle | OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 18.4.2024, 9 U 11/23, PM 38/24
| Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat Folgendes entschieden: Ist ein Geschäftsführer einer GmbH nicht am Gesellschaftskapital beteiligt, unterliegt er selbst dann der Sozialversicherungspflicht, wenn er die Geschäfte der Gesellschaft faktisch wie ein Alleininhaber führt. |
Hintergrund: Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Diese Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH.
Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei dem Geschäftsführer einer GmbH in erster Linie danach, ob er nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen.
Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der
- mindestens 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder
- bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag über eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt.
Beachten Sie | Hiervon kann auch bei besonderer Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen nicht abgesehen werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Betroffene faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führt, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hindern, er also „Kopf und Seele“ der Gesellschaft ist. So lautet die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Im Streitfall war der Ehemann als Fremd-Geschäftsführer am Stammkapital der GmbH nicht beteiligt. Alleinige Gesellschafterin war vielmehr seine Ehefrau, deren Weisungsrecht er unterlag. Diese Weisungsgebundenheit war weder aufgehoben noch eingeschränkt. Für das LSG Nordrhein-Westfalen war es unerheblich, dass der Ehemann die Möglichkeit hatte, als Vermieter der Betriebsstätte und wesentlicher Betriebsmittel sowie als Darlehensgeber wirtschaftlichen Druck auf die GmbH auszuüben. Denn dies eröffnet dem Fremd-Geschäftsführer keine erforderliche umfassende Einflussmöglichkeit, die der Stellung eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers entspricht.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.4.2024, L 8 BA 126/23, BSG, Urteil vom 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R
| Für Aussetzungszinsen gilt ein gesetzlicher Zinssatz von 6 % p. a. (0,5 % pro Monat). Diese Höhe hält der Bundesfinanzhof (BFH) fürverfassungswidrig und hat daher das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angerufen. |
Aussetzungszinsen
Ein Einspruch und eine Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: Der Steuerpflichtige muss die festgesetzte Steuer zunächst zahlen.
Beachten Sie | Auf Antrag soll aber eine Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese sogenannte Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist in der Abgabenordnung (§ 361 AO) geregelt.
Für den Steuerpflichtigen bedeutet das, dass er die Steuer zunächst nicht zahlen muss. Es droht aber eine Belastung mit Zinsen, wenn sein Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer „nachträglich“ zahlen muss. Er muss dann nämlich für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat (6 % p. a.) entrichten. Die Höhe dieser Aussetzungszinsen regelt § 237 i. V. mit 238 Abs. 1 S. 1 AO.
Nachzahlungs-/Erstattungszinsen
Es gibt allerdings auch andere Verzinsungstatbestände, z. B.für Steuererstattungen und Steuernachzahlungen. Hier war der Gesetzgeber wegeneines Beschlusses des BVerfG vom 8.7.2021 verpflichtet, den Zinssatz von 0,5 %pro Monat bzw. von 6 % p. a. anzupassen. Da sich der Beschluss des BVerfGallerdings nicht auf die Aussetzungszinsen und andereTeilverzinsungstatbestände erstreckte, wurde der Gesetzgeber nur bei denNachzahlungs- und Erstattungszinsen tätig. Hier beträgt der Zinssatz seit dem1.1.2019 nun lediglich 0,15 % pro Monat bzw. 1,8 % pro Jahr.
Bundesfinanzhof hält6 % AdV-Zinsen p. a. für verfassungswidrig
Nach Auffassung des BFH ist ein Zinssatz i. H. von 6 % p. a. für Aussetzungszinsen im Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist dieser Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen.
Zudem werden Steuerpflichtige, die AdV-Zinsen schulden und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, seit dem 1.1.2019 ungleich behandelt. Diese Zinssatzspreizung ist für den BFH verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Quelle | BFH, Beschluss vom 8.5.2024, VIII R 9/23, BFH, PM Nr. 34/24 vom 22.8.2024; BVerfG, Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17
| Für die Jahre 2022 bis 2026 gilt ab dem 21. Entfernungskilometer eine erhöhte Entfernungspauschale i. H. von 0,38 Euro. Für die ersten 20 Kilometer erfolgte indes keine Anpassung (weiterhin 0,30 Euro). Dagegen hatte ein Arbeitnehmer geklagt. Denn wegen seiner geringen Entfernung (acht Kilometer zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte) partizipierte er von der Erhöhung nicht. Die Klage hatte jedoch keinen Erfolg. Denn das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg hält die Neuregelung nicht fürverfassungswidrig. Das FG hatte jedoch die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Doch sie wurde nicht eingelegt, sodass das Urteil rechtskräftig ist. |
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.3.2024, 16 K 16092/23
| Aufwendungen für Handwerkerleistungen sind bei einer Vorauszahlung nicht steuerbegünstigt, wenn diese im Veranlagungszeitraum vor Ausführung der Handwerkerleistungen eigenmächtig erbracht wird. Dies hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf entschieden. |
Hintergrund: Für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen erhalten Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung in Höhe von 20 % der Aufwendungen (nur Lohnkosten) gemäß Einkommensteuergesetz (§ 35 a Abs. 3 EStG), höchstens jedoch 1.200 Euro im Jahr. Die Steuerermäßigung setzt voraus, dass der Steuerpflichtige eine Rechnung erhält und die Zahlung auf das Konto des Erbringers der Handwerkerleistung erfolgt.
Nach der Entscheidung des FG Düsseldorf genügt eine per E-Mail seitens des Auftraggebers mitgeteilte und eigenmächtig vorgenommene Vorauszahlung dem Rechnungserfordernis (gemäß § 35 a Abs. 5 S. 3 EStG) nicht. Im Streitfall hatte ein Ehepaar in den letzten Tagen des Jahres 2022 einen Abschlagsbetrag – ohne Aufforderung des Handwerksbetriebs – überwiesen, obwohl die Arbeiten erst im Jahr 2023 durchgeführt und auch dann erst in Rechnung gestellt werden sollten.
Vorauszahlungen können nur steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie marktüblich sind. Eine Anzahlung ohne jegliche Aufforderung des Leistungserbringers, mithin letztlich „ins Blaue hinein“, ist weder als marktüblich noch als sonst sachlich begründet anzusehen.
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 18.7.2024, 14 K 1966/23 E
| Der Betrieb eines Weinautomaten auf einem Privatgrundstück darf verboten werden. Das ergibt sich aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Koblenz. |
Verstoß gegen Jugendschutz?
Die Klägerin betreibt einen Automaten, in dem sie selbsterzeugten Wein und Sekt zum Verkauf anbietet. Der Automat steht seit Anfang 2023 auf einem Privatgrundstück; er ist an der Grenze zum öffentlichen Verkehrsraum aufgestellt und nur von der Straße aus zu bedienen. Ende April 2023 gab die Gemeinde der Klägerin gemäß Jugendschutzgesetz auf, den Weinautomaten außer Betrieb zu nehmen. Die Klägerin erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage.
Kein Verkauf in der Öffentlichkeit
Die Klage hatte keinen Erfolg. Die Klägerin, so das VG, dürfe den Weinautomaten aufgrund der Vorschriften des Jugendschutzgesetzes nicht betreiben. Denn danach dürften alkoholische Getränke in der Öffentlichkeit nicht in Automaten angeboten werden. Zwar sehe das Jugendschutzgesetz eine Ausnahme davon u. a. vor, wenn der Weinautomat in einem gewerblich genutzten Raum aufgestellt sei. An dieser Voraussetzung fehle es jedoch, da sich derAutomat auf dem Privatgrundstück der Klägerin befinde. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass Zigarettenautomaten – unabhängig von dem Belegenheitsort – bereits dann aufgestellt werden dürften, wenn eine jugendschutzkonforme Abgabe durch technische Vorrichtungen sichergestellt sei. Die unterschiedliche Behandlung von Zigaretten- und Alkoholautomaten sei aufgrund der verschiedenen Wirkweisen von Nikotin und Alkohol gerechtfertigt.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 27.5.2024, 3 K 972/23.KO, PM 14/24
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Sie erfasst Arbeitnehmer, teilweise sind aber auch Unternehmer versichert oder können sich freiwillig versichern lassen. Voraussetzung des Versicherungsschutzes bei einem Unfall ist dabei, dass dieser bei der versicherten betrieblichen Tätigkeit erfolgt und damit ein Arbeitsunfall ist. Was zur betrieblichen Tätigkeit und was zum privaten Bereich gehört, ist oft strittig und Kernfrage sozialgerichtlicher Verfahren. Einen solchen Fall hatte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zu klären. |
Fahrlehrer suchte passende Strecke
Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls war in einem Fall eines selbstständigen und gesetzlich unfallversicherten Motorrad-Fahrtrainers – dem Kläger – vor dem LSG zu klären. Der Kläger erlitt eine Luxation der linken Schulter, als er im April 2019 bei einer allein unternommenen Fahrt mit ca. 50 km/h in einer Kurve stürzte. Der Unfallort lag etwa 50 km von seinem Wohn- und Unternehmenssitz im Landkreis Tübingen entfernt. Seiner gesetzlichen Unfallversicherung – der Beklagten – teilte er mit, er habe am nächsten Tag einen Schüler mit speziellen Problemen bei Serpentinen gehabt und sei deswegen auf der Suche nach der passenden Strecke für die Schulung gewesen. Er könne sein Fahrtraining nur ordentlich durchführen, wenn er perfekte Orts- und Straßenkenntnisse habe. Umso wichtiger sei dies am Anfang der Saison, da sich über den Winter Straßen oft gravierend verändern würden.
Keine Anerkennung als Arbeitsunfall
Die Beklagte erkannte das Ereignis nicht als Arbeitsunfall an, da es sich um eine unversicherte Vorbereitungshandlung gehandelt habe. Vorbereitende Tätigkeiten wie z. B. eine „Erkundigungsfahrt“ zur Arbeit seien grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. Ausnahmsweise seien Vorbereitungshandlungen u. a. versichert, wenn der jeweilige Versicherungstatbestand nach seinem Schutzzweck auch Vor- und Nachbereitungshandlungen erfasse, die für die versicherte Hauptverrichtung im Einzelfall notwendig sind und in einem sehr engen sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Hier fehle es an einem engen Zusammenhang zwischen der behaupteten Vorbereitungshandlung und der erst am Folgetag vorgesehenen versicherten Tätigkeit.
Erfolg in der Berufung
Nachdem das Sozialgericht (SG) die Klage in erster Instanz abwies, hatte der Kläger mit seiner Berufung Erfolg. Das LSG Baden-Württemberg stellte fest, dass der fragliche Unfall ein Arbeitsunfall gewesen ist.
Landessozialgericht sah versicherte Tätigkeit
Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass die Unfallfahrt zu der versicherten Tätigkeit des Klägers gehört habe. Dieser sei zu seiner unfallbringenden Motorradfahrt allein aus dem Grund aufgebrochen, um für seine am nächsten Tag geplante Trainingsfahrt eine geeignete und sichere Strecke zu testen, was objektiv dem Ziel seines bei der Beklagten versicherten Unternehmens gedient und hierzu auch nicht in einem wirtschaftlichen Missverhältnis gestanden habe. Zwar könne es unwirtschaftlich erscheinen, für ein Fahrsicherheitstraining von ca. einem halben Tag Dauer eine so weit vom Wohnsitz des Klägers entfernte Strecke zu wählen, und diese dann auch noch am Vorabend auf eigene Kosten abzufahren. Insoweit sei aber wiederum der Hinweis des Klägers nachvollziehbar, dass bereits auf der Hinfahrt zu der Strecke der Fahrschüler professionell beobachtet werde. Zudem sei eine solche Erkundungsfahrt auch nach den Einlassungen des Klägers nicht die Regel und sei hier vorrangig dem Beginn der Motorradsaison und den hiermit verbundenen Unwägbarkeiten bezüglich geeigneter Straßenbeläge geschuldet gewesen.
Sofern – wie hier – festzustellen sei, dass eine Tätigkeit selbst als versicherte Tätigkeit anzusehen ist, könne diese nicht mehr als unversicherte Vorbereitungshandlung qualifiziert werden. Es habe zur seriösen Geschäftsausübung des Klägers gehört, dass er Fahrsicherheitstrainings nicht auf Strecken anbot, die nach der Winterpause ein unbekanntes Gefahrenpotential aufwiesen. Das Abfahren der Strecke sei daher objektiv sinnvoll und Teil der den Fahrschülern geschuldeten Hauptleistung als vertragliche Nebenpflicht, durch geeignete Maßnahmen eine Gefährdung der Fahrschüler so weit wie möglich und vertretbar zu reduzieren.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.4.2024, L 3 AS 101/24, PM vom 2.4.2024
| Kauft ein Pfandleihhaus ein Kraftfahrzeug an, um es anschließend an den Verkäufer wieder zu vermieten und beträgt der Marktwert des Fahrzeugs das Fünf- bis Sechsfache des vereinbarten Kaufpreises, sind Kauf- und Mietvertrag wegen Wucher nichtig. Der Verkäufer kann die gezahlten Mieten zurückverlangen, ohne sich den erhaltenen Kaufpreis anrechnen lassen zu müssen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Pfandhaus kauft Fahrzeuge an und vermietet sie wieder
Die Beklagte betreibt bundesweit ein staatlich zugelassenes Pfandleihhaus. Ihr Geschäftsmodell ist darauf gerichtet, Kraftfahrzeuge den Eigentümern abzukaufen und sie ihnen nachfolgend gegen monatliche Zahlungen zu vermieten. Nach Ende der Mietzeit erhält die Beklagte das Fahrzeug zurück und darf es öffentlich versteigern.
Die Klägerin verkaufte ihr Fahrzeug 2020 an die Beklagte für 3.000 Euro. Der Händlereinkaufspreis lag bei rund 15.000 Euro, der objektive Marktwert bei mehr als 18.000 Euro. Anschließend mietete die Klägerin das Fahrzeug für 297 Euro monatlich zurück und übernahm die Kosten für Steuern, Versicherung, Wartung und Reparaturen. Nach Kündigung des Vertrags durch die Beklagte gab die Klägerin das Fahrzeug nicht zurück. Der Beklagten gelang es nicht, das Fahrzeug sicherzustellen.
Klage erfolglos
Auf die Klage hin verurteilte das Landgericht (LG) die Beklagte, die geleistete Miete zurückzuzahlen und stellte fest, dass die Klägerin ihr Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren hat. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Sittenwidrigkeit: Kauf- und Mietvertrag nichtig
Sowohl der Kauf- als auch der Mietvertrag seien nichtig, begründete das OLG seine Entscheidung. Sie seien als wucherähnliche Geschäfte sittenwidrig. Es liege ein grobes und auffälliges Missverhältnis zwischen Marktwert und Kaufpreis vor, da gemäß den überzeugenden sachverständigen Ausführungen der Marktwert des Fahrzeugs über dem fünf- bis sechsfachen des Kaufpreises gelegen habe.
Auf die verwerfliche Gesinnung der Beklagten könne angesichts dieses Missverhältnisses ohne Weiteres geschlossen werden. Angesichts des Geschäftsmodells sei auch davon auszugehen, dass sich die Beklagte den mit Abschluss des Kaufvertrags erzielten Mehrwert endgültig habe einverleiben wollen, auch wenn im Fall der Versteigerung des Fahrzeugs nach Mietende ein etwaiger Mehrerlös dem Verkäufer hätte zugewandt werden müssen. Kauf- und Mietvertrag bildeten dabei ein einheitliches Rechtsgeschäft. Die Klägerin habe das Fahrzeug nur verkaufen wollen, wenn sie es zugleich weiternutzen könne. Der Mietvertrag sei damit ebenfalls nichtig und die gezahlte Miete zurückzuzahlen.
Keine Rückzahlung des Kaufpreises
Obwohl die Klägerin das Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren habe, müsse sie wegen der sittenwidrigen Übervorteilung auch nicht den Kaufpreis an die Beklagte zurückzahlen. Die Beklagte könne den Kaufpreis nicht zurückverlangen, da ihr objektiv ein Sittenverstoß anzulasten sei und sie sich angesichts des auffälligen Missverhältnisses der Rechtswidrigkeit ihres Handelns zumindest leichtfertig verschlossen habe.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.4.2024, 2 U 115/20, PM 26/24
| Das Dach eines Flachdachanbaus einer WEG-Anlage ist selbst dann Gemeinschaftseigentum, wenn alle darunterliegenden Räume zu einer Sondereigentumseinheit gehören. Für die Gültigkeit eines Grundlagenbeschlusses ist es daher nicht erforderlich, dass der Beschlussersetzungsantrag auch die inhaltliche Konkretisierung umfasst. Diese Konkretisierungen können den Eigentümern überlassen werden. So sieht es das Landgericht (LG) Karlsruhe. |
Das Dach sollte instand gesetzt werden
Gestritten wurde um die Instandsetzung des Dachs über einer Gaststättenküche in einer WEG-Anlage, die im Sondereigentum eines Eigentümers steht und ein eigenes Flachdach hat. In der Teilungserklärung ist das Sondereigentum als „Einrichtungen und Anlagen“ definiert, soweit diese nicht dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienen, sondern nur dem Sondereigentümer zu dienen bestimmt sind. Der Eigentümer begehrte durch Beschlussersetzung, dass die Instandsetzung des Dachs beschlossen wird. Die Wohnungseigentümergemeinschaft war der Ansicht, dass der Eigentümer die Instandsetzungskosten allein tragen müsse. Für die Beschlussersetzung fehle es an der sogenannten Ermessensreduzierung auf Null.
Beschluss war ungültig
Das Amtsgericht (AG) hatte der Klage zunächst stattgegeben. Die Berufung vor dem LG hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der Negativbeschluss sei ungültig, so das LG in zweiter Instanz. Die Ablehnung einer positiven Beschlussfassung widerspreche ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn der Anspruch offenkundig und ohne jeden vernünftigen Zweifel gegeben sei. Das habe schon der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.
Ein Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme, die die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums betreffe, bestehe nur, wenn sich das Ermessen der Gemeinschaft im Einzelfall auf Null reduziert habe, sich also jede andere Entscheidung als ermessensfehlerhaft darstellte. Die abgelehnte Sanierung sei dringend erforderlich und stelle eine notwendige Instandsetzungsmaßnahme dar.
Konstruktive Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig
Bei dem Dach handele es sich auch nicht um Sondereigentum.
Das LG hat klargestellt, dass die konstruktiven Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig sind, selbst wenn alle Räume des Gebäudes dem Sondereigentum eines Eigentümers unterliegen. Unerheblich ist eine mögliche widersprechende Regelung in der Teilungserklärung. Denn eine Regelung, die nicht sondereigentumsfähige Gebäudeteile zum Inhalt des Sondereigentums erklärt, ist nichtig.
Zulässig sei es, lediglich einen Grundlagenbeschluss zu treffen, also anzuordnen, dass eine Instandsetzung bestimmter Bauteile zu erfolgen habe, und den Wohnungseigentümern im Übrigen die weitere inhaltliche Konkretisierung (Auswahl des Fachunternehmens, Finanzierung der Maßnahme, etc.) zustehe. Es sei also nicht zu beanstanden, dass der Beschlussersetzungsantrag nur auf das „Ob“ der Instandsetzung, nicht jedoch bereits auf das „Wie“ ziele.
Quelle | LG Karlsruhe, Urteil vom 8.3.2024, 11 S 53/22
| Ein Vermieter muss nicht schon für jede mehr als unerhebliche Beeinträchtigung des bis zur Veränderung der äußeren Umstände gewohnten Nutzens der Mietsache einstehen. Er haftet nur für solche Umfeldveränderungen, die er selber nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 906 BGB) abwehren kann oder nur gegen Ausgleichszahlung hinnehmen muss. Die Freiheit von dahinter zurückbleibenden Einwirkungen auf das Grundstück, die ein Grundstückseigentümer ausgleichslos hinnehmen muss, sind danach gar nicht Gegenstand des vertraglichen Leistungsversprechens des Vermieters und der Gewährleistung. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Vorinstanz: Mieterin hat nicht genug vorgetragen
Die Wohnungsmieterin verlangte von der Vermieterin eine Mietminderung. Sie behauptete, die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung sei durch eine Baustelle auf dem Nachbargrundstück erheblich beeinträchtigt. Vor dem AG hatte sie damit keinen Erfolg. Sie habe nicht schlüssig dargetan, dass der Nutzen der Wohnung durch die Baustelle über das hinzunehmende Maß hinaus beeinträchtigt gewesen sei, so das AG. Darüber hinaus habe die Mieterin zur konkreten Beeinträchtigung des Wohnungsnutzens nicht ausreichend vorgetragen, sondern nur geltend gemacht, dass sie die Mieträume lediglich in Baupausen habe lüften können. Soweit sie die Unbenutzbarkeit des Balkons wegen Lärm und Staub behauptet habe, sei das unschlüssig, weil unklar bleibe, wo sich der Balkon im Verhältnis zur Baustelle auf dem Nachbargrundstück befinde.
Im Berufungsverfahren argumentierte die Mieterin, dass sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ausreichend zu den Auswirkungen der Baumaßnahmen vorgetragen habe; das Gericht müsse sich nun in einer Beweisaufnahme davon überzeugen, ob ein Mangel vorliege oder nicht.
So sah es das Landgericht
Das sah das LG anders und wies die Berufung zurück. Die Baumaßnahmen hätten nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung geführt, die die Vermieterin nicht gemäß § 906 Abs. 2 S. 1 BGB hätte unterbinden können oder gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB nur gegen eine angemessene Ausgleichszahlung hätte dulden müssen.
Beeinträchtigung war durch Dritte verursacht
Das Risiko einer nach Mietvertragsschluss – auch zufällig – eintretenden Verringerung des Nutzens der Mietsache sei nicht dem Vermieter zuzuordnen, da es sich bei einer durch Dritte verursachten Nutzungsbeeinträchtigung aus Sicht beider Vertragsparteien um ein unabwendbares Ereignis handeln könne, für das ein Vermieter erkennbar keine Haftung übernehmen wolle und billigerweise auch nicht übernehmen müsse.
An die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung sei der in der Rechtsprechung entwickelte strenge Maßstab anzulegen, der auch bei der unmittelbaren Anwendung des § 906 BGB im Nachbarschaftsrecht gelte. Andernfalls liefe das Kriterium nicht nur weitgehend leer, sondern der Vermieter wäre Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt, ohne erfolgreich gegen den Grundstücksnachbarn als Verursacher der Störungen vorgehen und diesen gegebenenfalls in Regress nehmen zu können.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 8.2.2024, 64 S 319/21
| Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte die Frage zu entscheiden, ob die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit gegeben ist. |
Der Erblasser, ein kinderloser deutscher Staatsangehöriger, ist im Jahr 2023 in einem Pflegeheim in Polen verstorben. Zuvor lebte er mit seiner (zweiten) Ehefrau sowie in verschiedenen Pflegeheimen in Deutschland. Anfang 2022 machte sich bei ihm eine zunehmende Demenz bemerkbar, die ihn zum Pflegefall machte. Seit April 2023 lebte er in einem Pflegeheim in Polen. Dort hatte er kein Vermögen, er sprach kein polnisch und hatte familiäre sowie soziale Verbindungen allein nach Deutschland. Er wurde gegen bzw. ohne seinen Willen in dem Pflegeheim in Polen untergebracht. Nach dem Tod des Erblassers stellte seine Ehefrau einen Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins beim Nachlassgericht des Amtsgerichts (AG) Singen. Dies hat den Antrag mangels internationaler Zuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.12 (Art. 4 EuErbVO) zurückgewiesen. Der dagegen gerichteten Beschwerde hat das AG nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
Das OLG Karlsruhe hat den Beschluss des Nachlassgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben sei, weil der Erblasser seinen (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe.
Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ sei unionsautonom (gem. Art 23 u. 24 EuErbVO) auszulegen. In objektiver Hinsicht müsse zumindest ein tatsächlicher Aufenthalt („körperliche Anwesenheit“) gegeben sein, auf eine konkrete Dauer oder die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts komme es hingegen nicht an. Unschädlich sei auch eine vorübergehende Abwesenheit, soweit ein Rückkehrwille bestand. In subjektiver Hinsicht sei das Vorliegen eines animus manendi (Bleibewille) erforderlich, also der nach außen manifestierte Wille, seinen Lebensmittelpunkt am Ort des tatsächlichen Aufenthalts auf Dauer zu begründen. Eines rechtsgeschäftlichen Willens bedürfe es insoweit nicht. Werden pflegebedürftige Personen in ausländischen Pflegeheimen untergebracht, komme es ebenfalls grundsätzlich auf deren Bleibewillen an. Könnten diese zum Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels keinen eigenen Willen mehr bilden oder erfolgt die Unterbringung gegen ihren Willen, fehle es an dem für die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts erforderlichen Bleibewillens. Dies sei hier der Fall.
Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.7.2024, 14 W 50/24 Wx
| Im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragte die Antragstellerin B., ungedeckte Heimkosten zu erstatten. B. bezieht verschiedene Renten; weiter hatte sie Mitte 2018 ihr hälftiges Grundstückseigentum sowie darüber hinaus ihren Anteil an der Erbengemeinschaft nach ihrem Mann unentgeltlich an ihre Kinder übertragen. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat den Antrag der B. zurückgewiesen. Sie verfüge sowohl über Einkommen als auch über Vermögen, das sie vorrangig zur Beseitigung ihrer Hilfsbedürftigkeit einsetzen muss. Erst nach dessen Verbrauch könne ein erneuter Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt werden. |
Das Einkommen der B. besteht aus Rentenansprüchen. Neben diesem Einkommen, das vollständig einzusetzen ist, kann (und muss) B. auch über ihr Vermögen verfügen. Dieses besteht in Form eines Schenkungsrückforderungsanspruchs gegenüber ihren Kindern. Denn der Schenker kann von den Beschenkten die Herausgabe des Geschenks verlangen, wenn er nach Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten.
Der Anspruch ist erst ausgeschlossen, wenn zehn Jahre seit der Schenkung vergangen sind. Diese Frist war hier noch nicht abgelaufen. Die Beschenkten können die Herausgabe allerdings durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags abwenden.
Quelle | SG Lüneburg, Beschluss vom 21.5.2024, S 38 SO 23/24 ER
| Der Eigentümer eines denkmalgeschützten Wohngebäudes hat Anspruch auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzaunes auf seinem Grundstück. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks mit einem Wohngebäude, das seit 1998 als Kulturdenkmal unter Schutz gestellt ist. Seinen Antrag auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzauns auf der bestehenden, zwischen einem und 1,60 Meter hohen Einfriedungsmauer entlang der Straße lehnte die beklagte Stadt ab. Seine entsprechende Klage wies das Verwaltungsgericht (VG) ab. Auf seine Berufung hob das OVG das Urteil des VG auf und verpflichtete die Beklagte, ihm die beantragte Genehmigung zu erteilen.
Es stehe außer Frage, dass der Solarzaun einer Genehmigung bedürfe. Diese werde nach dem rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetz (hier: § 13 Abs. 2 DSchG) nur erteilt, wenn entweder (1.) Belange des Denkmalschutzes nicht entgegenstünden oder wenn (2.) andere Erfordernisse des Gemeinwohls oder private Belange diejenigen des Denkmalschutzes überwiegen würden und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne. Zwar sei mit dem VG davon auszugehen, dass Belange des Denkmalschutzes im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 1 DSchG einer Genehmigung entgegen stünden. Das Vorhaben des Klägers erfülle aber die Anforderungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 DSchG, weil andere Erfordernisse des Gemeinwohls vorrangig seien und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne.
Das öffentliche Interesse an der Errichtung des Solarzauns sei vorliegend von solchem Gewicht, dass das Interesse an der unveränderten Erhaltung des Erscheinungsbildes des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes zurückzustehen habe und die Erteilung der Genehmigung geboten erscheine. Dies folge aus § 2 des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz) – EEG. Danach lägen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dienten der öffentlichen Sicherheit. Besondere atypische Umstände, die ein abweichendes Ergebnis der Abwägung nach sich zögen, seien nicht ersichtlich.
Den somit bestehenden überwiegenden Interessen des Gemeinwohls könne auch nicht auf sonstige Weise Rechnung getragen werden. Der Schutzzweck des § 2 EEG stehe einer Prüfung von alternativen Standorten für Anlagen der erneuerbaren Energien an anderen Stellen des klägerischen Grundstücks von vornherein entgegen. Unabhängig davon komme ein Alternativstandort für eine Solaranlage auf dem Grundstück des Klägers auch tatsächlich nicht in Betracht.
Quelle | OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.8.2024, 1 A 10604/23.OVG, PM 14/24
| Ein Landkreis hatte einem Ehepaar untersagt, im Garten ihres Wohngrundstücks Minischweine zu halten. Das Ehepaar klagte dagegen vor dem Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt a. M. – erfolglos. |
Anwohner beschwerten sich
Die Kläger sind Eigentümer eines Wohngrundstücks, das in einem durch Bebauungsplan festgesetzten allgemeinen Wohngebiet liegt. Sie halten im Garten ihres Grundstücks seit 2022 sogenannte Minischweine. Nach Anwohnerbeschwerden forderte der Beklagte die Kläger im November 2023 auf, die beiden Schweine von ihrem Grundstück zu entfernen, da das Halten von Schweinen in allgemeinen Wohngebieten unzulässig sei.
Klage der Eigentümer abgewiesen
Das VG hat die Klage abgewiesen. Das Halten von zwei Minischweinen im Garten ihres in einem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Wohnanwesens sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Der Bebauungsplan weise das Gebiet als allgemeines Wohngebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung (BauNVO) aus. Anlagen zur Tierhaltung gehörten nicht zu den in allgemeinen Wohngebieten zulässigen Anlagen. Allgemeine Wohngebiete dienten vorwiegend dem Wohnen.
Gebietsuntypische Störungen unzulässig
Die gebietstypische Schutzwürdigkeit und Störempfindlichkeit werde in allgemeinen Wohngebieten im Wesentlichen von der störempfindlichen Hauptnutzungsart bestimmt. Das Wohnen dürfe keinen gebietsunüblichen Störungen ausgesetzt werden.
Zwar seien nach der Baunutzungsverordnung (hier: § 14 BauNVO) in Wohngebieten untergeordnete Nebenanlagen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Grundstücke oder des Wohngebiets selbst dienten und die seiner Eigenart nicht widersprächen. Zu diesen untergeordneten Nebenanlagen gehörten auch solche für die Kleintierhaltung. Allerdings ermögliche § 14 BauNVO als Annex zum Wohnen eine Kleintierhaltung nur, wenn sie in dem betreffenden Baugebiet üblich und ungefährlich sei und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprenge.
Ziegen, Schweine, Schafe: Haltung in Wohngebieten heutzutage unüblich
Kleintiere seien Nutztiere ebenso wie Hobbytiere, die zum Schutz, zur Unterhaltung oder zur Ernährung gehalten würden. In den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten dürften nur solche Kleintiere gehalten werden, die der für eine Wohnnutzung charakteristischen Freizeitbeschäftigung entsprächen. Als Kleintiere würden im Allgemeinen etwa Katzen und Hunde angesehen. Dagegen sei in den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten die Haltung von Ziegen, Schafen und Schweinen in der heutigen Zeit nicht mehr üblich und unzulässig. Eine unterschiedliche Behandlung zwischen sogenannten Hausschweinen, Hängebauchschweinen und Minischweinen sei dabei nicht angezeigt. Minischweine könnten bis zu einem Meter lang werden und bis zu 100 kg wiegen.
Geräusch- und Geruchsbelästigungen
Das Halten von Schweinen in einem allgemeinen Wohngebiet führe typischerweise zu Geräusch- und Geruchsbelästigungen, die in Wohngebieten unüblich seien. Von Schweinen, die sich ganzjährig rund um die Uhr hauptsächlich im Freien aufhielten, gingen ungefilterte Gerüche und Geräusche aus, die unmittelbar die Umgebung belasteten. Aufgrund ihrer Größe und Anzahl komme es bei Schweinen zudem zu erheblichen Ausscheidungen, die gebietsuntypische Gerüche verbreiteten.
Ursprünglich dörflicher Charakter der Gemeinde unerheblich
Hieran ändere auch nichts, dass die betreffende Gemeinde ursprünglich einen dörflichen Charakter gehabt habe oder gar mit dem Spruch „Größtes Dorf der Welt“ werbe. Gegenwärtig zeichne sich die unmittelbare Umgebung des streitgegenständlichen Grundstücks - auf die es im vorliegenden Fall allein ankomme - durch weit überwiegende Wohnnutzung aus.
Zwar könne im Einzelfall die Üblichkeit der Kleintierhaltung abweichend von der typisierenden Betrachtung bejaht werden, wenn eine konkrete Betrachtung ergebe, dass in der Nachbarschaft vergleichbare Nutzungen vorhanden seien und sich die Bewohner des Baugebiets damit abgefunden hätten. Letzteres sei hier jedoch nicht der Fall.
Quelle | VG Neustadt a. M., Urteil vom 11.9.2024, 5 K427/24, PM 14/24
| Notdienste eines Kundendiensttechnikers, die dadurch gekennzeichnet sind, dass er sich an einem frei wählbaren Ort aufhalten kann, aber telefonisch erreichbar sein und zu einem Notdiensteinsatz binnen einer Stunde am Einsatzort eintreffen muss, wenn er angefordert wird, sind Rufbereitschaftsdienste und keine Bereitschaftsdienste. Voraussetzung: Unter Berücksichtigung der Anfahrtszeit verbleiben noch 30 Minuten Zeit, bis der Arbeitnehmer aufbrechen muss. Zu diesem Ergebnis kommt das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. |
Notdienst nur sehr selten
Außerdem erläuterte das Gericht, dass das oben Gesagte zumindest dann gelte, wenn eine tatsächliche Anforderung im Notdienst äußerst selten vorkomme – im vorliegenden Fall lediglich in einem Umfang von 0,67 % der Gesamt-Notdienstbereitschaftszeit.
Ruhezeit
Liege arbeitsschutzrechtlich Rufbereitschaft und kein Bereitschaftsdienst vor, handele es sich um Ruhezeit im Sinne desArbeitszeitgesetzes (hier: § 5 ArbZG). Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff folge hier dem arbeitsschutzrechtlichen, sodass – soweit keine gesonderte Regelung im Arbeitsvertrag, in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zur Anwendung gelange – keine Vergütungspflicht bestehe.
Ausgenommen hiervon seien die Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung im Rahmen der Aktivierung aus dem Notdienst heraus, die als Vollarbeit zu vergüten sind.
Mindestlohngesetz
Auch das Mindestlohngesetz knüpfe an geleistete Zeitstunden an und mithin an den vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff. Arbeitsschutzrechtliche Ruhezeit sei weder arbeitsschutz- noch vergütungsrechtlich Arbeitszeit und begründet daher auch keine Mindestlohnansprüche.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.4.2024, 3 SLa 10/24
| Ein Reitverein muss für von ihm angebotenen Reitunterricht Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wenn der Unterricht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung erbracht wird. Hierfür spricht, wenn die Reitlehrerin die vereinseigenen Pferde sowie die Reithalle unentgeltlich nutzen kann und sie kein unternehmerisches Risiko trägt. Dies entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG). |
Reitverein muss Sozialversicherungsbeiträge und -nachforderungen zahlen und klagt
Eine Reitlehrerin unterrichtete Mitglieder eines gemeinnützigen Reitvereins mit den vereinseigenen Schulpferden auf dem Vereinsgelände zwischen 12 und 20 Stunden wöchentlich. In den Jahren 2015 bis 2018 zahlte ihr der Verein pro Reitstunde 18 Euro. Die Deutsche Rentenversicherung prüfte den Betrieb des Reitvereins. Sie stellte fest, dass die Reitlehrerin abhängig beschäftigt ist und forderte von dem Verein Rentenversicherungsbeiträge nach. Der Reitverein wandte hiergegen ein, dass die Reitlehrerin selbstständig tätig sei.
Landessozialgericht bestätigt Beitragspflicht des Reitvereins
Das LSG gab der Rentenversicherung Recht. Die Beitragsnachforderung sei rechtmäßig. Eine abhängige Beschäftigung liege vor. Zwar könne ein nebenberuflicher Übungsleiter oder Trainer in Sportvereinen auch selbstständig tätig sein, wie das Vertragsmuster „Freier-Mitarbeiter-Vertrag Übungsleiter Sport“ der Rentenversicherung belege. Ein solcher Vertrag sei jedoch vorliegend zwischen dem Reitverein und der Reitlehrerin nicht geschlossen worden.
Zudem sprächen im konkreten Einzelfall mehr Anhaltspunkte für das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung. So habe die Reitlehrerin kein unternehmerisches Risiko getragen. Sie habe keine Rechnungen erstellt und ausschließlich die vereinseigenen Pferde einschließlich Sattel und Zaumzeug genutzt, wofür sie - wie auch für die Nutzung der Reithalle - kein Entgelt gezahlt habe. Die Hallenzeiten habe sie mit dem Reitverein abgestimmt. Der Reitverein habe die Stundenvergütung vorgegeben. Die Jahresvergütung von durchschnittlich über 6.500 Euro habe die steuerfreie Aufwandspauschale für Übungsleiter (bis 2020: 2.400 Euro jährlich) weit überschritten. Schließlich habe der Reitverein auf seiner Homepage mit „unsere Reitlehrerin“ geworben und selbst die Verträge über den Reitunterricht mit den Reitschülern geschlossen.
Da die Rentenversicherung nur die über der Aufwandspauschale für Übungsleiter liegenden Einkünfte bei der Beitragsberechnung berücksichtigt habe, sei auch die Höhe der Beitragsforderung zutreffend.
Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.
Quelle | Hessisches LSG, Urteil vom 18.6.2024, L 1 BA 22/23,PM 6/24
| Die gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 3 Nr. 11 c EStG) geregelte Steuerfreiheit der (freiwilligen) Inflationsausgleichsprämie sieht keine Regelung vor, dass die Prämie an alle Arbeitnehmer ausgezahlt werden muss. Somit ist der Arbeitgeber nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen grundsätzlich nicht daran gehindert, die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie an weitere Bedingungen zu knüpfen. |
Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt
Es verstößt nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein Arbeitgeber zur weiteren Bedingung der Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie macht, dass der Beschäftigte Teil seiner „active workforce“ ist, sodass z. B. Beschäftigte in der Passivphase der Altersteilzeit von der Prämie ausgeschlossen sind.
Steuerfreie Inflationsausgleichsprämie bis zu 3.000 Euro
Die freiwillige Inflationsausgleichsprämie kann vom 26.10.2022 bis Ende 2024 gewährt werden. Bei den 3.000 Euro handelt es sich um einen steuerlichen Freibetrag, der auch in mehreren Teilbeträgen ausgezahlt werden kann.
Begünstigt sind auch Zahlungen an Minijobber. Da die Zahlung steuer- und beitragsfrei ist, wird sie nicht auf die Minijobgrenze angerechnet.
Zusätzlich zum Arbeitslohn
Die Zahlungen müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erfolgen. Nach § 8 Abs. 4 EStG werden Leistungen nur dann zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, wenn
- die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
- der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
- die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
- bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.
Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 21.2.2024, 8 Sa 564/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Die Werbung mit einem mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff (hier: „klimaneutral“) ist regelmäßig nur zulässig, wenn in der Werbung selbst erläutert wird, welche konkrete Bedeutung diesem Begriff zukommt. |
Das war geschehen
Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte ist ein Unternehmen, das Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz herstellt. Die Produkte sind im Lebensmitteleinzelhandel, an Kiosken und an Tankstellen erhältlich. Die Beklagte warb in einer Fachzeitung der Lebensmittelbranche mit der Aussage: „Seit 2021 produziert [die Beklagte] alle Produkte klimaneutral“ und einem Logo, das den Begriff „klimaneutral“ zeigt und auf die Internetseite eines „ClimatePartner“ hinweist. Der Herstellungsprozess der Produkte der Beklagten läuft nicht CO2-neutral ab. Die Beklagte unterstützt indes über den „ClimatePartner“ Klimaschutzprojekte.
Irreführend: Herstellungsprozess selbst nicht klimaneutral
Die Klägerin hält die Werbeaussage für irreführend. Die angesprochenen Verkehrskreise verstünden diese so, dass der Herstellungsprozess selbst klimaneutral ablaufe. Zumindest müsse die Werbeaussage dahingehend ergänzt werden, dass die Klimaneutralität erst durch kompensatorische Maßnahmen hergestellt werde. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH hat die Beklagte zur Unterlassung der Werbung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten verurteilt. Die beanstandete Werbung ist irreführend im Sinne des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 UWG).
Die Werbung ist mehrdeutig, weil der Begriff „klimaneutral“ nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen von den Lesern der Fachzeitung – nicht anders als von Verbrauchern – sowohl im Sinne einer Reduktion von CO2 im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO2 verstanden werden kann. Im Bereich der umweltbezogenen Werbung ist – ebenso, wie bei gesundheitsbezogener Werbung – eine Irreführungsgefahr besonders groß und es besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen. Bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff, wie „klimaneutral“, verwendet, muss deshalb zur Vermeidung einer Irreführung regelmäßig bereits in der Werbung selbst erläutert werden, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist. Aufklärende Hinweise außerhalb der umweltbezogenen Werbung sind insoweit nicht ausreichend.
Irreführende Werbung relevant für Kaufentscheidung
Eine Erläuterung des Begriffs „klimaneutral“ war hier insbesondere erforderlich, weil die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität darstellen, sondern die Reduktion gegenüber der Kompensation unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes vorrangig ist. Die Irreführung ist auch wettbewerblich relevant, da die Bewerbung eines Produkts mit einer vermeintlichen Klimaneutralität für die Kaufentscheidung des Verbrauchers von erheblicher Bedeutung ist.
Quelle | BGH, Urteil vom 27.6.2024, I ZR 98/23, PM 138/24
| Die Aufzeichnungspflichten nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 4 Abs. 7 des EStG) für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind bei einem Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt, nur erfüllt, wenn sämtliche Aufwendungen einzeln fortlaufend in einem gesonderten Dokument oder Datensatz aufgezeichnet werden. Eine reine Belegsammlung mit Aufaddieren der Positionen nach Abschluss des Veranlagungszeitraums ist nicht ausreichend. Da der Bundesfinanzhof (BFH) gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Hessen kürzlich die Revision zugelassen hat, ist mit einer weiteren Präzisierung der Rechtsprechungsgrundsätze zu rechnen. |
Hintergrund: § 4 Abs. 5 EStG schränkt den Abzug für gewisse Betriebsausgaben ein. So wirken sich z. B. Aufwendungen für Geschenke an Geschäftspartner und Kunden nur steuermindernd aus, wenn eine Grenze von 50 Euro eingehalten wird. Und auch für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer besteht eine Abzugsbeschränkung.
Aufzeichnungspflichten
Darüber hinaus sind die Aufwendungen i. S. des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 4, 6 b und 7 EStG einzeln und getrennt von den sonstigen Betriebsausgaben aufzuzeichnen. Soweit diese Aufwendungen nicht bereits nach Abs. 5 vom Abzug ausgeschlossen sind, dürfen sie bei der Gewinnermittlung nur berücksichtigt werden, wenn sie besonders aufgezeichnet sind.
Beachten Sie | Bei den Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG handelt es sich um eine zusätzliche materiell-rechtliche Voraussetzung für den Betriebsausgabenabzug. Bei Verstößen droht das Abzugsverbot. Dieses Abzugsverbot wird auch bei einer Gewinnermittlung per Einnahmen-Überschussrechnung so umgesetzt, dass die betroffenen Aufwendungen dem Gewinn als Betriebseinnahmen hinzugerechnet werden.
Finanzierungs- und Energiekosten dürfen geschätzt werden
Nach Ansicht der Finanzverwaltung bestehen keine Bedenken, wenn die auf das Arbeitszimmer anteilig entfallenden Finanzierungskosten im Wege der Schätzung ermittelt werden und nach Ablauf des Wirtschafts- oder Kalenderjahrs eine Aufzeichnung aufgrund der Jahresabrechnung des Kreditinstituts erfolgt. Entsprechendes gilt für die verbrauchsabhängigen Kosten (z. B. Wasser- und Energiekosten). Es reicht aus, Abschreibungsbeträge einmal jährlich – zeitnah nach Ablauf des Kalender- oder Wirtschaftsjahrs – aufzuzeichnen.
Jahrespauschale ausgenommen
Beachten Sie | Beim Abzug der Jahrespauschale (1.260 Euro) bestehen die besonderen Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG nicht.
Quelle | FG Hessen, Urteil vom 13.10.2022, 10 K 1672/19, Rev. BFH: VIII R 6/24, BMF-Schreiben vom 15.8.2023, IV C 6 – S 2145/19/1006 :027, RZ. 25 f.
| Ermittelt ein Steuerpflichtiger seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung, ist die Art und Weise, in der er seine Aufzeichnungen geführt hat, eine Tatsache, die zur Korrektur eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids führen kann, wenn sie dem Finanzamt nachträglich bekannt wird. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. |
Hintergrund: Ist die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat abgelaufen, wird ein Steuerbescheid grundsätzlich bestandskräftig. Allerdings bestehen auch danach Berichtigungs- und Änderungsmöglichkeiten. Eine davon ist § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Hier heißt es: Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Das war geschehen
Ein Einzelhändler ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung. Das Finanzamt veranlagte ihn erklärungsgemäß (ohne Vorbehalt der Nachprüfung). Bei einer späteren Außenprüfung beurteilte das Finanzamt die Aufzeichnungen als formell mangelhaft und nahm eine Hinzuschätzung vor. Die bestandskräftigen Bescheide wurden nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert.
Bareinnahmen: Aufzeichnungen mangelhaft
Die Tatsache, ob und wie der Steuerpflichtige seine Bareinnahmen aufgezeichnet hat, ist rechtserheblich, wenn das Finanzamt bei deren vollständiger Kenntnis bereits im Zeitpunkt der Veranlagung zur Schätzung befugt gewesen wäre und deshalb eine höhere Steuer festgesetzt hätte.
Da eine Schätzungsbefugnis in bestimmten Fällen auch bei (nur) formellen Mängeln der Aufzeichnungen über Bareinnahmen besteht, muss das FG nun im zweiten Rechtsgang prüfen, ob die Unterlagen Mängel aufweisen, die zur Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen führen.
Quelle | BFH, Urteil vom 6.5.2024, III R 14/22, PM 30/24 vom 4.7.2024
| Wer neben dem Bau von Gewächshäusern Pflanzen züchtet und mit ihnen handelt, unterhält nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) Münster unterschiedliche Betriebe. Dies hat zur Folge, dass für Zwecke der Gewerbesteuer Verluste aus der Pflanzenzucht nicht mit Gewinnen aus dem Gewächshausbau verrechnet werden können. |
Unterschied: Betätigung gewerblich oder land- und forstwirtschaftlich
Beim Gewächshausbau handelt es sich nach der Wertung des FG um eine gewerbliche und bei der Pflanzenzucht um eine land- und forstwirtschaftliche Betätigung. Beide Tätigkeiten sind laut FG auch nicht derart miteinander planvoll wirtschaftlich verbunden, dass sie als ein einheitlicher Gewerbebetrieb betrachtet werden können.
Beachten Sie | Die Pflanzenzucht ist auch keine bloße Hilfsbetätigung zum Gewächshausbau und sie ist auch nicht notwendig für die gewerbliche Tätigkeit, da auch Konkurrenzbetriebe nicht stets zusätzlich eine Pflanzenzucht betreiben.
Sachlicher Zusammenhang erforderlich
Die Zusammenfassung mehrerer Betätigungen zu einem einheitlichen Gewerbebetrieb erfordert allgemein einen sachlichen Zusammenhang finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Art zwischen den Betätigungen.
Bei gleichartigen gewerblichen Betätigungen gilt die Vermutung eines einheitlichen Gewerbebetriebs, es sei denn, es sprechen ausnahmsweise besondere Umstände des konkreten Einzelfalls dagegen. Bei ungleichartigen gewerblichen Betätigungen liegt dagegen nur ausnahmsweise ein einheitlicher Gewerbebetrieb vor. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) im Jahr 2020 entschieden.
Dies gilt erst recht beim Zusammentreffen einer gewerblichen mit einer nicht gewerblichen Tätigkeit. Nur ganz ausnahmsweise – bei einem untrennbaren Sachzusammenhang – können auch solche Betätigungen zusammengefasst werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 29.11.2023, 13 K 986/21 G; BFH, Urteil vom 17.6.2020, X R 15/18
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (§ 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen.
Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest. Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R, PM Nr. 7/24
| Wer in der Dunkelheit mit dem Auto auf einen Betonpoller auffährt, muss nicht unbedingt für seinen Schaden selbst aufkommen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig entschieden. |
Das war geschehen
Ein Autofahrer forderte von einer Gemeinde Schadenersatz. Er war bei Dunkelheit mit seinem Fahrzeug in den mittleren von drei etwa 40 Zentimeter hohen Betonpollern hineingefahren. Die Poller hatte die Gemeinde hinter dem Einmündungsbereich einer mit einem Sackgassenschild ausgewiesenen Straße als Durchfahrtssperre aufgestellt. Nur die äußeren beiden Poller waren dabei mit jeweils drei Reflektoren versehen. Das Landgericht (LG) hatte die Gemeinde teilweise zum Schadenersatz verurteilt. Der Autofahrer müsse sich lediglich 25 Prozent Mitverschulden anrechnen lassen.
Verstoß gegen die Straßenverkehrssicherungspflicht
Dies hat das OLG nun bestätigt. Die Gemeinde habe gegen ihre Straßenverkehrssicherungspflicht verstoßen. Sie hätte die der Verkehrsberuhigung dienenden Poller so aufstellen müssen, dass die Benutzer der Straße diese gut sehen könnten, wenn sie entsprechend sorgfältig führen. Dies hätte durch gut sichtbare Markierungen und ausreichende Beleuchtung erfolgen müssen. Das gelte vor allem, weil die Poller nur eine geringe Höhe (ca. 40 cm) hatten. Solche Poller seien aus dem Sichtwinkel eines Autofahrers nur schwer zu erkennen.
Sachverständigengutachten: Poller waren nicht zu erkennen
Das OLG hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt. Danach kam es zu dem Ergebnis, dass jedenfalls der mittlere und der rechte Poller unabhängig von der Geschwindigkeit und selbst bei Tageslicht für einen von rechts in die Straße einbiegenden Kraftfahrzeugfahrer nicht erkennbar waren. Dies habe der Sachverständige anhand von Videosequenzen belegt. Auch dem Sackgassenschild habe ein Autofahrer nicht entnehmen können, dass die Straße durch Poller versperrt sein würde. Die beklagte Gemeinde habe damit in eklatanter Weise gegen ihre Verkehrssicherungspflichten verstoßen.
Quelle | OLG Braunschweig, Urteil vom 10.12.2018, 11 U 54/1
| Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat die Klage eines Nachbarn auf Durchsetzung des „Fensterrechts“ in der Berufungsinstanz abgewiesen. In erster Instanz hatte das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth den vom Kläger gegen die Grundstücksnachbarn geltend gemachten Anspruch zuerkannt, die auf der Grundstücksgrenze befindlichen Fenster großflächig blickdicht zu gestalten und geschlossen zu halten. Das OLG hat nun die Entscheidung geändert. |
Kläger beriefen sich auf Nachbarrecht
Der Kläger verlangte unter Berufung auf die bayerischen Nachbarrechtsvorschriften von den beklagten Nachbarn, die zu seinem Grundstück zugewandten Wohnraumfenster so umzubauen, dass ein Öffnen und ein Durchblicken bis zur Höhe von 1,80 m über dem Boden nicht möglich sind. Er ist Eigentümer eines im Jahr 2017 errichteten Einfamilienhauses, die Beklagten wohnen seit 2019 auf dem Nachbargrundstück. Beide Grundstücke waren zunächst Teil eines größeren Grundstücks. Infolge der Grundstücksteilung im Jahr 2000 wurde das Wohnhaus, in dem die Beklagten wohnen, zu einem Grenzbau. Die Wohnung der Beklagten hat mehrere Fenster sowie eine Balkonfenstertür, deren Abstand zur Grundstücksgrenze des Klägers weniger als 60 Zentimeter beträgt.
Oberlandesgericht machte sich ein eigenes Bild
Das OLG sah die auf das „Fensterrecht“ gestützten Anspruchsvoraussetzungen zwar grundsätzlich als gegeben, erachtete die Durchsetzung des Anspruchs im konkreten Einzelfall in der Gesamtwürdigung aber als unbillige Härte. Es hatte sich in einem Ortstermin ein eigenes Bild von den konkreten Wohnverhältnissen gemacht und die streitgegenständlichen Fenster, insbesondere die etwaig zu verschattenden Fensterflächen, die Lichtverhältnisse in sämtlichen betroffenen Räumen und die Fluchtwege der Wohnung in Augenschein genommen.
Unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten der Wohnung und in Abwägung der jeweiligen Interessen beider Seiten kam das OLG zu dem Ergebnis, dass dem Kläger ein Berufen auf das nachbarrechtliche „Fensterrecht“ im konkreten Einzelfall verwehrt ist. Maßgeblich war aus Sicht des Gerichts zum einen, dass bis zu 80 % der Fensterflächen von der blickdichten Gestaltung betroffen wären und eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr der Wohnung bei Durchsetzung des Anspruchs nicht mehr gewährleistet wäre. Zum anderen hat das Gericht berücksichtigt, dass bei einem dauerhaften Verschließen der Balkontür auch der notwendige zweite Fluchtweg nicht mehr gegeben wäre. In Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände erachtete das Gericht die Ausübung des Fensterrechts daher als unzulässig.
Quelle | OLG Nürnberg, Urteil vom 18.6.2024. 6 U 2481/22, PM 21/24
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit der Frage befasst, ob sich der Verkäufer eines fast 40 Jahre alten Fahrzeugs mit Erfolg auf einen vertraglich vereinbarten allgemeinen Gewährleistungsausschluss berufen kann, wenn er mit dem Käufer zugleich vereinbart hat, dass die in dem Fahrzeug befindliche Klimaanlage einwandfrei funktioniere, und der Käufer nunmehr Mängelrechte wegen eines Defekts der Klimaanlage geltend macht. |
Das war geschehen
Der Kläger erwarb im März 2021 im Rahmen eines Privatverkaufs von dem Beklagten zu einem Kaufpreis von 25.000 Euro einen erstmals im Juli 1981 zugelassenen Mercedes-Benz 380 SL mit einer Laufleistung von rund 150.000 km. In der Verkaufsanzeige des Beklagten auf einer Onlineplattform hieß es unter anderem: „Klimaanlage funktioniert einwandfrei. Der Verkauf erfolgt unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“.
Im Mai 2021 beanstandete der Kläger, dass die Klimaanlage defekt sei. Nachdem der Beklagte etwaige Ansprüche des Klägers zurückgewiesen hatte, ließ dieser die Klimaanlage – im Wesentlichen durch eine Erneuerung des Klimakompressors – instand setzen. Mit der Klage verlangt er von dem Beklagten den Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von rund 1.750 Euro.
So sah es der Bundesgerichtshof
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren erfolgreich weiter. Der BGH hat entschieden, dass der Beklagte sich gegenüber dem hier im Streit stehenden Schadenersatzanspruch des Klägers nicht auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen kann.
Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist in den Fällen einer (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbarten Beschaffenheit ein daneben vereinbarter allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel dahin auszulegen, dass er nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit, sondern nur für sonstige Mängel gelten soll. Eine von diesem Grundsatz abweichende Auslegung des Gewährleistungsausschlusses kommt nicht in Betracht.
Auf den Wortlaut der Internetanzeige kam es an
Der Umstand, dass der Beklagte nicht erst im schriftlichen Kaufvertrag, sondern bereits in seiner Internetanzeige – unmittelbar im Anschluss an die Angabe „Klimaanlage funktioniert einwandfrei“ – erklärt hat, dass der Verkauf „unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“ erfolge, erlaubt es nicht, den vereinbarten Gewährleistungsausschluss dahingehend zu verstehen, dass er sich auf die getroffene Beschaffenheitsvereinbarung über die (einwandfreie) Funktionsfähigkeit der Klimaanlage erstreckt. Denn gerade das – aus Sicht eines verständigen Käufers – gleichrangige Nebeneinanderstehen einer Beschaffenheitsvereinbarung einerseits und eines Ausschlusses der Sachmängelhaftung andererseits gebietet es nach der Rechtsprechung des BGH, den Gewährleistungsausschluss als beschränkt auf etwaige, hier nicht in Rede stehende Sachmängel aufzufassen, da die Beschaffenheitsvereinbarung für den Käufer andernfalls – außer im (hier nicht gegebenen) Fall der Arglist des Verkäufers – ohne Sinn und Wert wäre.
Vereinbarte Beschaffenheit kann nicht im Anschluss wieder ausgeschlossen werden
Insbesondere aber rechtfertigen in einem Fall, in dem – wie hier – die Funktionsfähigkeit eines bestimmten Fahrzeugbauteils den Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung bildet, weder das (hohe) Alter des Fahrzeugs beziehungsweise des betreffenden Bauteils, noch der Umstand, dass dieses Bauteil typischerweise dem Verschleiß unterliegt, die Annahme, dass ein zugleich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss auch für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit gelten soll. Diese Umstände (Alter des Fahrzeugs, Verschleißanfälligkeit eines Bauteils) können zwar für die übliche Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens von Bedeutung sein. Sie spielen jedoch weder für die Frage einer konkret vereinbarten Beschaffenheit noch für die hier maßgebliche Frage eine Rolle, welche Reichweite ein allgemeiner Gewährleistungsausschluss im Fall einer vereinbarten Beschaffenheit hat. Vielmehr findet der Grundsatz, dass ein vertraglich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss die Haftung des Verkäufers für einen auf dem Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit beruhenden Sachmangel unberührt lässt, auch dann uneingeschränkt Anwendung, wenn der Verkäufer die Funktionsfähigkeit eines Verschleißteils eines Gebrauchtwagens zugesagt hat.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.4.2024, VIII ZR 161/23, PM 82/2024
| Ein Hotel mit einem Fußweg von ca. 1,3 Kilometern befindet sich nicht „nur wenige Gehminuten“ von wunderschönen Stränden entfernt. So hat es das Amtsgericht (AG) München jetzt klargestellt. Es läge daher ein Reisemangel vor. |
Es ging um die Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz
Das AG verurteilte einen Reiseveranstalter zur Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit in Höhe von insgesamt 1.795 Euro. Die Klägerin hatte für sich und ihre neunjährige Tochter bei der Beklagten eine Rundreise durch Costa Rica gebucht. Die Rundreise sollte einen Aufenthalt von 4 Nächten in einem Boutique-Hotel an der Pazifikküste beinhalten.
Tatsächlich 25 Gehminuten zum Strand
Die Klägerin bemängelte, das Hotel sei mit den Worten „nur wenige Gehminuten von den besten Restaurants und wunderschönen Stränden [..] entfernt“ beschrieben worden. Dies habe nicht der Realität entsprochen. An der Rezeption sei ihr mitgeteilt worden, dass man ein Taxi nehmen müsse, um den Strand zu erreichen, da dieser 25 Gehminuten entfernt läge. Die Klägerin wandte sich daraufhin an die lokale Ansprechpartnerin der Reiseveranstalterin und buchte in Abstimmung mit dieser über eine Buchungsplattform auf eigene Kosten ein Ersatzhotel. Mit ihrer Klage machte die Klägerin Ersatz der verauslagten Kosten für die Buchung des Ersatzhotels in Höhe von 733 Euro sowie Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit wegen eines verlorenen Urlaubstages aufgrund des Hotelwechsels in Höhe von 1.062 Euro geltend.
Entfernung zugesichert?
Die Beklagte behauptete, es sei nie eine bestimmte Entfernung oder Gehzeit zum Strand zugesichert worden. Tatsächlich sei der Strand in ca. 15 Minuten zu erreichen.
Das AG gab der Klägerin in vollem Umfang Recht und führte in den Entscheidungsgründen aus, dass das Hotel aufgrund seiner Entfernung zum Strand mangelhaft sei. Zwischen den Parteien sei zwar umstritten, wie lange der Fußweg vom Hotel zum Strand dauerte. Es sei allerdings unstreitig, dass der nächstgelegene Strand des Hotels einen Fußweg von 1,3 km entfernt war. Im Rahmen der Auslegung dieses vertraglich vereinbarten Merkmals „wenige Gehminuten“ müsse auch berücksichtigt werden, dass es sich bei der gebuchten Reise um eine Reise im Hochpreissegment handelte, wurden doch für 12 Tage knapp 9.000 Euro ausgegeben – exklusive Flügen. Die Beklagte, die selbst damit wirbt, „unvergessbare Luxusreisen“ anzubieten, müsse sich insofern an ihren eigenen Ansprüchen messen lassen. Nach Überzeugung des Gerichts seien bei einer hochpreisigen Luxusreise „wenige Gehminuten“ eine Zeit, die bei normalem Gehtempo regelmäßig fünf Minuten nicht überschreite.
„Wenige Gehminuten“ = maximal 5 Minuten!
Die unstreitige Entfernung zum Strand von 1,3 km könne jedoch nur dann (noch) in fünf Minuten zurückgelegt werden, wenn eine Gehgeschwindigkeit von etwa 15,6 km/h eingehalten werden würde, was selbst für erfahrene Läufer ein ambitioniertes Tempo darstelle. Vor dem Hintergrund, dass der Beklagten bei der Reiseplanung bekannt war, dass die Klägerin mit einem neunjährigen Kind reiste – passte sie doch ihr Freizeitprogramm kindgerecht an – könne das Einhalten eines solchen Tempos nicht vorausgesetzt werden.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | AG München, Urteil vom 22.11.2023, 242 C 13523/23, PM 20/24
| Das Landgericht (LG) München I hat die Klage einer Kundin gegen einen Outlet-Betreiber auf Schmerzensgeld abgewiesen. Die Kundin hatte sich bei der Kleideranprobe durch ein Preisschild eine Augenverletzung zugezogen. |
Bei der Kleideranprobe am Preisschild verletzt
Im April 2023 probierte die klagende Kundin im Outlet-Store der Beklagten ein T-Shirt. Dabei verletzte sie sich durch ein an diesem T-Shirt angebrachtes Preisschild am rechten Auge.
Schmerzensgeld gefordert
Die Kundin hat gegen den Betreiber des Outlet-Stores deswegen Klage erhoben und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5.000 Euro gefordert. Der Betreiber des Outlet-Stores habe die ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt, da das Preisschild in seiner Ausgestaltung aufgrund fehlender Sicherung und Erkennbarkeit gefährlich gewesen sei. Das Preisschild habe ihr bei der Anprobe ins Auge geschlagen. Sie habe dadurch eine erhebliche Verletzung am rechten Auge erlitten. Es sei erforderlich gewesen, an dem verletzten Auge eine Hornhauttransplantation durchzuführen. Bis heute leide sie unter Schmerzen und sei weiterhin in ihrer Sicht eingeschränkt sowie besonders blendempfindlich.
Preisschilder vorgeschrieben
Der Betreiber des Outlet-Stores hat eingewandt, bei dem verwendeten Preisschild handle es sich um ein übliches Standardpreisschild in der Größe von ca. 9 cm x 5 cm mit abgerundeten Ecken und einer flexiblen Rebschnur. Die Preisschilder seien durch ihre Größe und das Gewicht des Bündels deutlich fühlbar gewesen. Vergleichbare Fälle von aufgetretenen Verletzungen seien ihm nicht bekannt. Zudem sei es gesetzlich vorgeschrieben, entsprechende Preisschilder an den Waren anzubringen.
Amtsgericht weist Klage ab
Das AG hat die Klage abgewiesen. Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt stehe der Kundin ein Anspruch auf Schmerzensgeld gegenüber dem Betreiber des Outlet-Stores zu. Wenn sich im Zuge einer Kleideranprobe in einem Outlet eine Kundin durch ein übliches Preisschild am Auge verletzt, hafte der Betreiber dafür nicht, so das AG.
Zur Begründung hat das AG ausgeführt, sichernde Maßnahmen seien nur in dem Maße geboten, in dem sie ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei müsse der Geschäftsbetreiber nicht für alle denkbar entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es komme vielmehr auch entscheidend darauf an, welche Möglichkeiten der Geschädigte hat, sich vor erkennbaren Gefahrquellen selbst zu schützen.
Im hier entschiedenen Einzelfall habe der Betreiber des Outlet-Stores den an ihn gerichteten Verkehrssicherungspflichten Genüge getan. Für die Kundin sei das Vorhandensein eines Preisschildes erwartbar und das Treffen eigener Sicherheitsvorkehrungen zumutbar gewesen.
Nach allgemeiner Lebenserfahrung werfe ein Kunde bereits vor der Anprobe einen Blick auf das Preisschild und könne daher ohne Weiteres selbst dafür sorgen, dass er sich bei der Anprobe nicht verletze. Die Forderung der Kundin, gesondert auf das Vorhandensein von Preisschildern an der Kleidung hinzuweisen, hielt das Gericht für lebensfremd und nicht zumutbar.
Quelle | LG München I, Urteil vom 28.5.2024, 29 O 13848/23, PM 5/24
| Das Landgericht (LG) Paderborn hat in einem Mietrechtsstreit über Feuchtigkeitserscheinungen in einer Altbauwohnung Klartext gesprochen. Es gab dem Mieter überwiegend recht. |
Baujahr ändert nichts an Mangel
Das LG: Erheblich durchfeuchtete Wände mit sichtbaren Salzausblühungen und feuchtigkeitsbedingt zerbröselndem Putz stellen auch in einer Altbauwohnung aus den 1920er Jahren einen Mietmangel dar. Dabei hat das LG berücksichtigt, dass die Wände teils erst ab einer Höhe von ca. einem Meter über dem Fußboden „normal“ trockene Messwerte zeigen und die Feuchtigkeit ausschließlich bauliche Ursachen hat.
Anspruch auf Beseitigung und Minderung
Der klagenden Mieterin sprach das LG deshalb einen Anspruch gegen ihren Vermieter auf Beseitigung der Feuchtigkeit in den Wohnungswänden zu. Es nahm aufgrund der feuchten Wände und den damit einhergehenden Nachteilen u. a. für Wohnklima und Optik – anders als das erstinstanzliche Gericht – zudem eine erhebliche Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs an und bejahte ein Mietminderungsrecht der Klägerin.
Keinen Mangel sah das LG hingegen im konkreten Fall in den ebenfalls durchfeuchteten Kellerwänden des Mietobjekts. Daher wies es die Berufung der Klägerin insofern zurück.
Quelle | LG Paderborn, Urteil vom 6.3.2024, 1 S 72/222, PM vom 6.3.2024
| Der Vermieter darf, um vom Mieter verursachte Blutlachen im Treppenhaus und Eingangsbereich zu beseitigen, eine – teure – Spezialfirma für die Reinigung eines Tatorts nach Suizid oder Unfall mit den Reinigungsarbeiten beauftragen. Er muss auch nicht zuvor den Mieter beauftragen, um die Kosten gering zu halten, wenn der Mieter nicht über die ausreichende Qualifikation verfügt, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. So hat es das Amtsgericht (AG) Frankfurt/Main entschieden. |
Mieter hatte Blutspuren versuracht
Der Wohnungsmieter stand unter Betreuung. Eines Tages trat er nach einer Verletzung stark blutend aus seiner Wohnung in das Treppenhaus und anschließend durch die Haustür nach draußen. Dabei hinterließ er massive Blutspuren. Daraufhin beauftragte die Vermieterin eine Spezialfirma mit der Reinigung und Desinfektion des Treppenhauses und des Eingangsbereichs. Die Vermieterin stellte dem Mieter über seinen Betreuer die Kosten in Höhe von rd. 1.930 Euro in Rechnung. Der Mieter zahlte nicht, daher klagte die Vermieterin.
Kostenerstattungsanspruch des Vermieters
Mit Erfolg: Die Vermieterin habe gegen den Mieter einen Kostenerstattungsanspruch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 280 Abs. 1 BGB) in Verbindung mit dem Mietvertrag, so das AG. Der Mieter habe dadurch, dass er nach einer Verletzung stark blutend durch das Treppenhaus und durch die Hauseingangstür ging und dabei größere Mengen Blut ungehindert auf den Boden laufen ließ, schuldhaft gegen den Mietvertrag verstoßen. Die Vermieterin war verpflichtet, unverzüglich die Blutspuren beseitigen zu lassen, zum einen, um die Gefahr von Stürzen infolge des Ausrutschens auf den Blutlachen zu vermeiden und zum anderen, um einer Infektionsgefahr bei Kontakt mit dem Blut entgegenzutreten.
Sie habe den Mieter nicht selbst beauftragen können, um die Kosten gering zu halten, da dieser nicht über die ausreichende Qualifikation verfügte, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. Zudem hätte die Entfernung nicht unverzüglich erfolgen können, da der Mieter offenkundig verletzt war. Die Vermieterin habe auch nicht gegen eine ihr obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen, indem sie ein Fachunternehmen für Tatortreinigung beauftragte. Sie war gehalten, sicherzustellen, dass keine Gefahr für Mitbewohner und Besucher bestehen bleibt, was nur durch ein spezialisiertes Reinigungsunternehmen gewährleistet war.
Vergleichsangebote nicht nötig
Es stellt auch keinen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar, dass die Vermieterin keine (drei) Vergleichsangebote eingeholt hat. Denn sie musste unverzüglich tätig werden, um die Gefahrenquelle zu beseitigen.
Qualität der Fachfirma nicht „kriegsentscheidend“
Auch kommt es nicht darauf an, ob die von der Vermieterin beauftragte Fachfirma möglicherweise unsachgemäß oder unwirtschaftlich gearbeitet hat und dadurch höhere Kosten entstanden sind. Denn ein Schädiger muss solche Kosten auch dann ersetzen, wenn den Geschädigten kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft.
Quelle | AG Frankfurt/Main, Urteil vom 10.8.2023, 33 C 1898/23
| Zur Errichtung eines wirksamen gemeinschaftlichen Testaments müssen beide Ehegatten testierfähig sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Das war geschehen
Die beiden Ehegatten hatten sich durch gemeinschaftliches Testament gegenseitig als Alleinerben eingesetzt. Dieses Testament wurde von der Ehefrau eigenhändig geschrieben und unterschrieben sowie vom Erblasser eigenhändig unterschrieben. Mit einer Ergänzung dieses Testaments, errichtet in gleicher Weise, ordneten die Ehegatten später eine Vor- und Nacherbschaft dergestalt an, dass der überlebende Ehegatte befreiter Vorerbe und ihre gemeinsame Tochter Nacherbin sein sollte. Bereits zwei Jahre vor dieser Ergänzung des Testaments wurde die Ehefrau wegen einer Demenzerkrankung in einem Pflegeheim untergebracht. Ein Jahr vor der Ergänzung des gemeinschaftlichen Testaments tötete der Erblasser seine Schwester und wurde in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht, in der er sich das Leben nehmen wollte.
Nach dessen Tod beantragte die überlebende Ehefrau, vertreten durch ihre Tochter, einen Erbschein des Inhalts, dass sie alleinige befreite Vorerbin des Erblassers geworden sei und die Nacherbfolge der Tochter nach ihrem Tod als Vorerbin eintrete. Sie hat sich zur Begründung ihres Antrags auf die beiden letzten gemeinschaftlichen Testamente gestützt. Der gemeinsame Sohn der Ehegatten ist dem Antrag entgegengetreten. Er begründete dies damit, sowohl der Erblasser als auch die Antragstellerin seien zum Zeitpunkt der Errichtung beider Testamente testierunfähig gewesen.
Nachlassgericht deutete Testamente um
Das Nachlassgericht ist nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Überzeugung gelangt, dass die Antragstellerin testierunfähig gewesen ist. Bezogen auf den Erblasser hat sich hingegen nicht die Überzeugung von einer Testierunfähigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung der vorgenannten Testamente gebildet. Die Testamente könnten jeweils in ein Einzeltestament des Erblassers umgedeutet werden, weshalb es die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet hat. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Sohn der Ehegatten mit der Beschwerde und begehrte die Zurückweisung des Erbscheinsantrages.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat den Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückgewiesen und ausgeführt, dass die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen nicht für festgestellt zu erachten seien.
Ein wirksames gemeinschaftliches Ehegattentestament setze voraus, dass beide Ehegatten bei der Testamentserrichtung testierfähig sind. Ein Testament könne nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Da ein gemeinschaftliches Testament vom Willen beider Eheleute getragen sei, erfordere eine wirksame Verfügung von Todes wegen die Testierfähigkeit eines jeden Ehegatten. Daran fehle es bei einem Ehegatten, weshalb der Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückzuweisen sei.
Eine Umdeutung des unwirksamen gemeinschaftlichen Testaments in ein Einzeltestament des Erblassers komme hier nicht in Betracht, weil der Erblasser die getroffenen Anordnungen nicht eigenhändig geschrieben, sondern den von der Antragstellerin geschriebenen Text nur unterschrieben habe. Die Umdeutung als Einzeltestament komme hier nur für den Teil in Betracht, der die Verfügung eigenhändig – hier also die Antragstellerin – niedergelegt habe.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 14.3.2024, 6 W 106/23
| Vertragsfristen können nicht nur bei Abschluss des Bauvertrags, sondern auch während der Bauausführung vereinbart werden. So kann einem gestörten Bauablauf dadurch Rechnung getragen werden, dass überholte oder nicht mehr einhaltbare Fristen durch eine Terminplanfortschreibung einvernehmlich angepasst werden, wobei diese Fortschreibung wiederum Vertragsfristen und unverbindliche Kontrollfristen beinhalten kann. Das hat das Kammergericht (KG) Berlin klargestellt. |
Beachten Sie | Die Entscheidung des KG gilt auch für Planungsterminpläne. Sie ist durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH rechtskräftig geworden.
Quelle | KG Berlin, Urteil vom 24.01.2023, 27 U 154/21, rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 25.10.2023, VII ZR 20/23
| Stichprobenartige Prüfungen von Wärmedämmarbeiten reichen nicht aus, um eine mangelfreie Objektüberwachung zu gewährleisten. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg. |
Im konkreten Fall hatte der Architekt nicht bemerkt, dass nur 8 cm PUR-Dämmung statt der vertraglich geschuldeten 9 cm eingebaut wurden. Das hätte aber sogar eine Stichprobe ergeben müssen, so das OLG. Es machte den Architekten daher für den Austausch der Dämmung haftbar.
Es sprach Klartext: Umfang und Intensität der geschuldeten Überwachung hängen von den Anforderungen der Baumaßnahme sowie den konkreten Umständen ab. Einfache Arbeiten bedürfen keiner Überwachung. Demgegenüber unterliegt die Überwachung von Wärmedämmarbeiten höheren Anforderungen.
Die Entscheidung ist jetzt rechtskräftig.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 8.11.2022, 2 U 10/22
| Die Regelverjährungsfrist beim Werkvertrag für Planung und Bauüberwachung beträgt fünf Jahre. Doch Achtung: Diese Frist kann durch eine sog. Hemmung verlängert werden. Die Folge: Planer und Architekten können länger in der Gewährleistung bleiben und unter Umständen in Anspruch genommen werden. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Ernsthafter Meinungsaustausch erforderlich
Voraussetzung: Die Verjährung hemmende Verhandlungen erfordern einen ernsthaften Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen.
Nicht ausreichend: bloße Erklärungen
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen nicht die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein. Ein solcher Meinungsaustausch hemmt die Verjährung nicht.
Quelle | OLG Köln, Beschluss vom 2.3.2023, 19 U 55/22, rechtskräftig durch BGH, Beschluss vom 8.11.2023, VII ZR 54/23
| Die unterlassene Aufnahme einer Arbeit ist kein sozialwidriges Verhalten, wenn das Jobcenter den Betroffenen „allein lässt“ und nicht die nötige Hilfe leistet. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen entschieden. |
Langzeitarbeitsloser bewarb sich jahrelang erfolglos
Zugrunde lag das Verfahren eines Langzeitarbeitslosen, der bis 2003 als Buchhalter gearbeitet hatte. Hiernach folgten Zeiten der Arbeitslosigkeit und verschiedene Hilfsarbeiten. Der Mann bewarb sich viele Jahre erfolglos als Buchhalter, bis das Jobcenter schließlich ab 2017 keine weiteren Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen übernahm. Es müsse ein Strategiewechsel stattfinden, insbesondere weil Bewerbungen als Buchhalter nach so langer Zeit nicht mehr erfolgversprechend seien. Überraschend erhielt der Mann dennoch 2019 einen Arbeitsvertrag als Buchhalter bei einer Behörde in Düsseldorf. Zur Arbeitsaufnahme kam es jedoch nicht, weil das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution für eine neue Wohnung ablehnte und er deshalb nicht umziehen konnte.
Kein Verschulden des Arbeitslosen
2020 machte das Jobcenter gegenüber dem Mann eine Erstattungsforderung wegen sozialwidrigen Verhaltens geltend, da er nicht zum Einstellungstermin erschienen sei. Er müsse daher Grundsicherungsleistungen von rd. 6.800 Euro erstatten. Hiergegen klagte der Mann. Den Mietvertrag in Düsseldorf habe er nicht unterschrieben, weil er kein Geld für die Kaution gehabt habe und noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen gewesen sei. Das LSG hat die Rechtsauffassung des Klägers bestätigt. Der Nichtantritt einer außerhalb des Tagespendelbereichs gelegenen Arbeitsstelle stelle kein sozialwidriges Verhalten im Sinne eines objektiven Unwerturteils dar, wenn der Arbeitsuchende am künftigen Beschäftigungsort keine Wohnung anmieten könne, weil ihm selbst die Mittel für eine Mietkaution fehlten und das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution abgelehnt habe.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.1.2023, L 11 AS 336/21
| Eine öffentliche Verwaltung kann das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, verbieten, um ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen. Eine solche Regel ist nicht diskriminierend, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf das gesamte Personal dieser Verwaltung angewandt wird und sich auf das absolut Notwendige beschränkt. So sieht es der Europäische Gerichtshof (EuGH). |
Verbot eines islamischen Kopftuchs
Eine belgische Gemeinde hatte einer Bediensteten, die als Büroleiterin ganz überwiegend ohne Publikumskontakt tätig ist, untersagt, am Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen. Anschließend änderte die Gemeinde ihre Arbeitsordnung und schrieb in der Folge ihren Arbeitnehmern strikte Neutralität vor: Das Tragen von auffälligen Zeichen ideologischer oder religiöser Zugehörigkeit verbot sie allen Arbeitnehmern, auch denen ohne Publikumskontakt. Die Büroleiterin fühlte sich diskriminiert und in ihrer Religionsfreiheit verletzt.
Lag Diskriminierung vor?
Dem mit dem Rechtsstreit befassten Arbeitsgericht (ArbG) Lüttich stellt sich die Frage, ob die von der Gemeinde aufgestellte Regel der strikten Neutralität eine gegen das Unionsrecht verstoßende Diskriminierung begründet. Der EuGH antwortete, dass die Politik der strikten Neutralität, die eine öffentliche Verwaltung ihren Arbeitnehmern gegenüber durchsetzen will, um bei sich ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen, als durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt angesehen werden kann.
Wertungsspielraum der Mitgliedsstaaten, wie „Neutralität“ ausgestaltet wird
Ebenso gerechtfertigt ist die Entscheidung einer anderen öffentlichen Verwaltung für eine Politik, die allgemein und undifferenziert das Tragen von sichtbaren Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen, auch bei Publikumskontakt, gestattet, oder ein Verbot des Tragens solcher Zeichen beschränkt auf Situationen, in denen es zu Publikumskontakt kommt. Die Mitgliedsstaaten und die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten verfügen über einen Wertungsspielraum bei der Ausgestaltung der Neutralität des öffentlichen Dienstes, die sie in dem für sie spezifischen Kontext am Arbeitsplatz fördern wollen. Dieses Ziel muss aber in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, und die zu seiner Erreichung getroffenen Maßnahmen müssen sich auf das absolut Notwendige beschränken. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob diese Anforderungen erfüllt sind.
Quelle | EuGH, Urteil vom 28.11.2023, C-148/22
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Aachen hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer Anspruch auf die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung gegenüber seiner Arbeitgeberin hat. Er darf diesen auch im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzen. |
Das war geschehen
Der schwerbehinderte Arbeitnehmer ist seit September 1988 bei der Arbeitgeberin – einem Unternehmen, das Bauelemente herstellt und vertreibt, – als Verkaufs- und Vertriebsleiter tätig. Er ist wegen eines Hirntumors seit April 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und war bis zum 10.4.2024 fahruntüchtig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird nach Erreichen der Regelaltersgrenze des Arbeitnehmers mit dem Ablauf des Monats Oktober 2024 enden. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrte der Arbeitnehmer, ihn ab Mitte März 2024 entsprechend einem ärztlichen Wiedereingliederungsplan nach dem sog. „Hamburger Modell“ zu beschäftigen, um zeitnah an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu können.
Fehlende Fahrtüchtigkeit steht Wiedereingliederung nicht im Weg
Das ArbG gab dem Antrag des schwerbehinderten Arbeitnehmers statt, da die Arbeitgeberin verpflichtet sei, an der stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken. Dem stehe die fehlende Fahrtüchtigkeit des Arbeitnehmers nicht entgegen. Der Arbeitnehmer könne während der Fahruntüchtigkeit zu Beginn der Wiedereingliederung zunächst seinem Aufgabenprofil entsprechende Büroarbeiten erledigen.
Sache ist eilbedürftig
Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung besondere Eilbedürftigkeit ergab sich nach Auffassung des Arbeitsgerichts daraus, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer auf die zeitnahe Wiedereingliederung angewiesen sei. Demgegenüber würde eine Versagung der Wiedereingliederung den Teilhabeanspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers am Erwerbsleben vereiteln oder jedenfalls erheblich erschweren. Auch der nahe Renteneintritt des Arbeitnehmers ändert nach Ansicht des ArbG nichts am Eilbedürfnis.
Quelle | ArbG Aachen, Urteil vom 12.3.2024, 2 Ga 6/24, PM 1/24
| Für Bühnenkünstler gewährt die Rechtsprechung pauschalierten Schadenersatz von bis zu sechs Monatsgagen pro Spielzeit, wenn der Arbeitgeber den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers verletzt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied nun: Dieser Anspruch kann nicht auf den Profimannschaftssport übertragen werden. |
Saisonabbruch in der Corona-Pandemie: Kläger durfte nicht spielen
Der Kläger ist Eishockeyspieler. Er stritt mit seinem Arbeitgeber über einen Schadenersatzanspruch. Sein Arbeitgeber, der Beklagte, hatte ihn in der Saison 2019/2020 nicht beschäftigt, da diese aufgrund der Corona-Pandemie abgebrochen wurde. Bis dahin fungierte er als Kapitän und Leistungsträger der Mannschaft.
Außerordentliche fristlose Kündigung
Die Beklagte sprach eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung aus und bot gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis mit einer verringerten Vergütung fortzusetzen. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen an und erhob eine Änderungsschutzklage. Daraufhin stellte die Beklagte den Kläger vom Mannschaftstraining frei. Durch einstweilige Verfügung erstritt der Kläger die Zulassung zum Trainingsbetrieb. Anschließend erfolgte eine außerordentliche fristlose Kündigung.
Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen und der fristlosen Kündigung fest. Die tatsächliche Teilnahme am Training wurde dem Kläger jedoch durchgängig verweigert. Er ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Schadenersatz aufgrund der Weigerung der Beklagten, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Ihm sei ein Schaden in seinem beruflichen Fortkommen entstanden, da er als Eishockeyprofi seine beruflichen Fertigkeiten nicht im Mannschaftstraining habe weiterentwickeln und verbessern können. Dadurch habe sein Marktwert gelitten, denn ein Profimannschaftssportler bedürfe der ständigen Trainingspraxis. Die Beklagte habe sich ihm gegenüber durchgängig unlauter verhalten. Die Vorinstanzen gaben der Klage in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern statt und wiesen die weitergehende Klageforderung ab.
Kläger blieb vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos
Vor dem BAG blieb der Kläger erfolglos. Er hat keinen Anspruch auf weiteren Schadenersatz wegen der Verletzung seines Beschäftigungsanspruchs. Zwar besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung und damit korrespondierend eine Pflicht des Arbeitgebers, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Die Beklagte hatte den Beschäftigungsanspruch auch schuldhaft verletzt, indem sie ihn vom Mannschaftstraining suspendiert hatte. Dies und die anschließende außerordentliche fristlose Kündigung seien zudem eine Maßregelung gewesen, da der Kläger lediglich in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hatte.
Der Kläger hat aber nicht ausreichend dargelegt, dass ihm infolge der Verletzung der Beschäftigungspflicht ein solcher Schaden entstanden sei. Zudem dürfen, so das BAG, Schadenersatzansprüche von Profimannschaftssportlern nicht in Anlehnung an die Rechtsprechung für andere Berufsgruppen, z. B. Bühnenkünstler, pauschalierend festgesetzt werden. Für die Schätzung des Schadens eines Profimannschaftssportlers bedürfe es greifbarer Tatsachen. Hieran fehlte es vorliegend. Mangels konkreter Anhaltspunkte könnte nur eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens erfolgen, die vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre.
Quelle | BAG, Urteil vom 29.2.2024, 8 AZR 359/22
| Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, sind diese Vorteile steuerfrei, soweit sie den Rabattfreibetrag von 1.080 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)). Das Landesozialgericht (LSG) Bayern musste nun in einem Konzernfall über die Beitragspflicht von Warengutscheinen entscheiden. Dabei hat es herausgestellt, dass hinsichtlich des Arbeitgeberbegriffs keine unterschiedliche Beurteilung nach Steuer- und nach Beitragsrecht veranlasst ist. |
Arbeitgeber kann nur derjenige sein, der die Arbeitsverträge mit den Beschäftigten abgeschlossen hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, den der Bundesfinanzhof (BFH) für das Steuerrecht aufgestellt hat.
Begriff des „Arbeitgebers“: keine Konzernklausel
Der BFH hat es abgelehnt, den Begriff des Arbeitgebers über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen. Im Vorfeld der gesetzlichen Neuregelung wurde eine Konzernklausel ausdrücklich diskutiert.
Da sie aber nicht aufgenommen worden ist, kann daraus geschlossen werden, dass sich die bereits in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Meinung durchgesetzt hat, nach der § 8 Abs. 3 EStG nicht für Waren und Dienstleistungen gelten soll, die nicht im Unternehmen des Arbeitgebers hergestellt, vertrieben oder erbracht werden. Es sollen weder Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften noch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel steuerlich begünstigt werden.
Warengutscheine = Sachbezüge
Nach Ansicht des LSG hat das Unternehmen im Streitfall auch keinen so gewichtigen Beitrag geleistet, als dass es unter Anwendung des „erweiterten Hersteller- bzw. Vertreiberbegriffs“ als Hersteller bzw. Vertreiber der Waren i. S. des § 8 Abs. 3 EStG angesehen werden kann. Deshalb handelt es sich bei den Warengutscheinen um Sachbezüge, für die Beiträge erhoben werden müssen.
Quelle | LSG Bayern, Urteil vom 6.6.2023, L 7 BA 80/22, Abruf-Nr. 240136; unter www.iww.de; BFH, Urteil vom 26.4.2018, VI R39/16
| Mit einem kuriosen Nachbarstreit zwischen einem Restaurantbetreiber und dem Anbieter von Parkraum hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Dem Restaurantbesitzer drohen nun 250.000 Euro Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft. |
Das war geschehen
Der Parkplatzbetreiber hatte die Parkgebühren angehoben und den bislang gewährten Rabatt für die Besucher des Restaurants abgeschafft. Daraufhin positionierte der Restaurantbesitzer gezielt eigene Mitarbeiter an der Parkschranke, um die Autofahrer von der Einfahrt in den Parkplatz abzuhalten und auf andere, kostenfreie Plätze in der Nähe zu verweisen. Dieses Verhalten stellt eine unzulässige Verletzungshandlung dar, die darauf angelegt ist, den Betrieb des Parkraumbewirtschafters zu schädigen, entschied das LG. Es untersagte in einem Eilverfahren entsprechende Aktionen.
Boykottaufruf unverhältnismäßig
Das Argument, über den Rabatt für Restaurantkunden gebe es eine Vereinbarung und die hohen Parkkosten hätten bereits Kunden abgeschreckt und vom Besuch abgehalten, überzeugte das LG nicht. Das Vorgehen des Restaurantbetreibers sei unverhältnismäßig.
Im Bereich der Einfahrt gezielt Parkplatzsuchende anzusprechen, um diese zum anderweitigen Parken zu bewegen, sei eine gegen das Geschäftsmodell des Parkraumanbieters gerichtete verbotene Eigenmacht. Es seien nicht nur Restaurantbesucher, sondern sämtliche Parkplatzsuchende angesprochen und zum Boykott des Parkplatzes aufgerufen worden. Der Restaurantbesitzer müsse seine Kunden auf andere Weise darüber informieren, dass die Parkgebühren nicht mehr übernommen werden und den Streit um den Parkrabatt, wenn nötig, gerichtlich austragen.
„Saftiges“ Ordnungsgeld droht
Für den Fall, dass der Restaurantbetreiber dem Urteil zuwiderhandelt, hat das LG ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro sowie Ordnungshaft angedroht.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 18.1.2024, 5 O46/23, PM vom 30.4.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. |
Der Hintergrund
Amazon ist weltweit u. a. im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27.12.2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd. USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd. USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd. USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio. Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit.
Das war geschehen
Das Bundeskartellamt hatte festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als sog. Torwächter benannt.
Das sagt der Bundesgerichtshof
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt hat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (hier: § 19 a Abs. 1 GWB) zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.
Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Stores) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen.
Das heißt „marktübergreifende Bedeutung“
Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotenzial durch die Vorschrift adressiert wird. § 19 a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen.
Bundeskartellamt: zutreffende Feststellungen
Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von Amazon Web Services, Inc. (AWS). Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.
Die jetzige Geltung der Regelungen des Digital Markets Acts (DMA) und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.
Quelle | BGH, Beschluss vom 23.4.2024, KVB 56/22, PM 97/24
| Durch die Unwetter mit Hochwasser in der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 2024 sind in weiten Teilen Baden-Württembergs beträchtliche Schäden entstanden. Die Beseitigung dieser Schäden wird bei vielen Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Daher möchte das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen entgegenkommen. |
Möglich sind u. a.:
- Anpassung steuerlicher Vorauszahlungen,
- Stundung fälliger Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuerbeträge und
- Aufschub von Vollstreckungen.
Beachten Sie | Auch in anderen Bundesländern sind im Mai und Juni 2024 durch die Unwetter mit Hochwasser Schäden entstanden. Daher wurden auch für Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland Katastrophenerlasse mit steuerlichen Erleichterungen veröffentlicht. Dabei ist zu beachten, dass einige Erlasse bereits aktualisiert wurden.
Quelle | FinMin Baden-Württemberg, Erlass vom 20.6.2024; Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft Saarland, Erlass vom 21.5.2024; Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Erlass vom 25.6.2024; Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, Erlass vom 24.6.2024
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen. Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest.
Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R; BSG, PM Nr. 7/24 vom 22.2.2024
| Der Bundesrat hat dem Postrechtsmodernisierungsgesetz (PostModG) Anfang Juli 2024 zugestimmt. Dadurch werden insbesondere die Laufzeitvorgaben für die Zustellung von Briefen verlängert. Folgerichtig erfolgte auch eine Anpassung der Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (z. B. Steuerbescheiden). |
Einspruchsfrist von einem Monat
Zum Hintergrund: Das Problem, „Recht zu haben, aber es nicht zu bekommen“, ergibt sich immer dann, wenn ein Steuerbescheid zu einer zu hohen Steuerfestsetzung führt, es jedoch versäumt wurde, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat Einspruch einzulegen. Für den fristgerechten Eingang beim Finanzamt kommt es darauf an, wann der Bescheid bekannt gegeben wurde und wann die Einspruchsfrist endet.
Gesetzliche Neuregelung: Vier- statt Dreitagesfiktion
Um die Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach der Abgabenordnung an die verlängerten Laufzeitvorgaben anzupassen, wird aus der bisherigen Dreitages- eine Viertagesfiktion. Damit gelten Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte künftig als am vierten Tag nach deren Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, statt wie bisher nach drei Tagen.
Was unverändert bleibt: Fällt der vierte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, erfolgt die Bekanntgabe am nächstfolgenden Werktag. Die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Samstagen wurde nicht umgesetzt.
Die Neuregelung gilt für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.2024 übermittelt werden.
Neuregelung ab dem Jahr 2025
Beispiel: Das Finanzamt versendet an den Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid. Er gibt den Brief am Dienstag, den 14.1.2025, zur Post. Bekanntgabezeitpunkt ist der 20.1.2025 (Montag), da der 18.1.2025 („vier Tage“) ein Samstag ist.
Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Einspruchsfrist endet somit am 20.2.2025 um 24:00 Uhr.
Beachten Sie | Auch ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt gilt am dritten (ab 2025: vierten) Tag nach der Absendung als bekannt gegeben.
Steuerbescheid später zugegangen oder nicht erhalten
Die Bekanntgabefiktion gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich später oder gar nicht zugegangen ist.
Hier ist wie folgt zu unterscheiden:
- Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang, ist das Finanzamt regelmäßig nicht in der Lage, den Zugang nachzuweisen. Daher ist eine erneute (ordnungsgemäße) Bekanntgabe erforderlich.
- Behauptet der Steuerpflichtige einen späteren Zugang, muss er dies substanziiert darlegen bzw. nachweisen. Dabei stellt eine Abwesenheit wegen Urlaubs regelmäßig keine spätere Bekanntgabe dar.
Quelle | PostModG, BR-Drs. 298/24 (B) vom 5.7.2024; DStV, Mitteilung vom 13.6.2024
| Bei der Erbschaftsteuer zählt ein Parkhaus zum nichtbegünstigten Verwaltungsvermögen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) aktuell entschieden. |
Das war geschehen
Der Steuerpflichtige war testamentarisch eingesetzter Alleinerbe seines im Jahr 2018 verstorbenen Vaters (= Erblasser). Zum Erbe gehörte ein mit einem Parkhaus bebautes Grundstück. Der Erblasser hatte das Parkhaus als Einzelunternehmen ursprünglich selbst betrieben und ab dem Jahr 2000 dann unbefristet an seinen Sohn verpachtet.
Finanzamt: Parkhaus ist Verwaltungsvermögen
Das Finanzamt stellte den Wert des Betriebsvermögens fest und behandelte das Parkhaus dabei als sogenanntes Verwaltungsvermögen, das bei der Erbschaftsteuer nicht begünstigt ist. Das Finanzgericht (FG) und der BFH schlossen sich dieser Auffassung an.
Grundsätzlich wird Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer privilegiert. Das gilt allerdings nicht für bestimmte Gegenstände des Verwaltungsvermögens. Darunter fallen dem Grunde nach auch Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke. Diese können im Rahmen der Erbschaftsteuer zwar auch begünstigt sein, etwa wenn (wie im Streitfall) der Erblasser seinen ursprünglich selbst betriebenen Gewerbebetrieb unbefristet verpachtet und den Pächter testamentarisch als Erben einsetzt.
Keine erbschaftsteuerliche Privilegierung
Eine Ausnahme besteht dabei jedoch für solche Betriebe, die schon vor der Verpachtung nicht die Voraussetzungen der erbschaftsteuerrechtlichen Privilegierung erfüllt haben. Dies ist bei einem Parkhaus der Fall. Denn die dort verfügbaren Parkplätze als Teile des Parkhausgrundstücks wurden schon durch den Erblasser als damaligem Betreiber an die Autofahrer – und somit an Dritte – zur Nutzung überlassen.
Beachten Sie | Zudem handelt es sich dabei auch nicht um die Überlassung von Wohnungen, die der Gesetzgeber wiederum aus Gründen des Gemeinwohls für die Erbschaftsteuer privilegiert hat.
Keine Rolle spielt auch, ob zu der Überlassung der Parkplätze weitere gewerbliche Leistungen (z. B. eine Ein- und Ausfahrtkontrolle und eine Entgeltzahlungsdienstleistung) hinzukommen. Darauf stellt das Erbschaftsteuergesetz nämlich nicht ab.
Der BFH sah auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Grundstücksüberlassungen, wie z. B. im Rahmen des Absatzes eigener Erzeugnisse durch einen Brauereibetrieb oder im Zusammenhang mit einer land- und forstwirtschaftlichen Betriebstätigkeit. Dass der Gesetzgeber solche Betriebe (wie auch die erwähnten Wohnungsunternehmen) als förderungswürdig ansah, ist von seinem weiten Entscheidungsspielraum gedeckt.
Quelle | BFH, Urteil vom 28.2.2024, II R 27/21
| Oft werden private Ausfahrten zugeparkt oder der private Parkplatz von anderen unberechtigt genutzt. Das störende Fahrzeug muss dann abgeschleppt werden und der Berechtigte muss zusehen, wie er etwaig verauslagte Kosten, z. B. Verwahrkosten, erstattet erhält. Hierzu hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) Wissenswertes entschieden. |
Parken trotz Parkverbots
Der auf den Kläger zugelassene Pkw wurde von dessen Schwester im Innenhof eines privaten Gebäudekomplexes abgestellt, der von einer Immobilienverwalterin verwaltet wird. An der Hofeinfahrt war ein Parkverbotsschild mit dem Zusatz „gilt im gesamten Innenhof“ angebracht. Die Verwalterin beauftragte die Beklagte, das Fahrzeug abzuschleppen, es anschließend zu verwahren und vor Wertminderung sowie unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern. Die Beklagte verbrachte das Fahrzeug noch am selben Tag auf ihr Firmengelände. Kurz darauf forderte der Kläger von der Beklagten schriftlich unter Fristsetzung, das Fahrzeug herauszugeben. Auf das Schreiben erfolgte keine Reaktion.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten zunächst die Herausgabe seines Fahrzeugs verlangt. Nach erfolgter Herausgabe während des Prozesses haben die Parteien die Herausgabeklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Gegenstand des Verfahrens war dann nur noch die Frage, wer die Standkosten tragen musste.
Herausgabeverlangen: Auf den Zeitpunkt kommt es an
Die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser entschied: Zu erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters.
Es kommt auch ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät.
Quelle | BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22
| Muss der Verkäufer einer Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze unaufgefordert über den Härtegrad der Matratze aufklären und beraten? Das Amtsgericht (AG) Hannover hat diese Frage verneint. Es hat entschieden, dass ein Verkäufer im Grundsatz nur dann über den Härtegrad einer Matratze aufklären und beraten muss, wenn der Käufer danach fragt. |
Matratze war Käuferin zu hart: Verkäuferin bot Rabatt an
Die Klägerin kaufte im November 2022 bei der Beklagten eine Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze für ihre Tochter, die zuvor für wenige Minuten zur Probe gelegen hatte. Im Kaufvertrag war für die Matratze der Härtegrad H5 angegeben. Nachdem die Möbel im Januar 2023 geliefert worden waren, empfanden die Klägerin und ihre Tochter die Matratze als zu hart. Dies reklamierte die Klägerin bei der Beklagten. Diese bot der Klägerin u. a. einen Rabatt auf zwei neue Matratzen an, verweigerte aber eine Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klägerin erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Rückabwicklung des Kaufvertrags?
Mit der Klage hatte die Käuferin eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Bettes nebst Matratze verlangt. Sie meinte, es sei für den Verkäufer klar erkennbar gewesen, dass das Schlafzimmer für ihre Tochter gewesen sei. Für das Gewicht ihrer Tochter sei aber ein Härtegrad von H2 angemessen.
Die Verkäuferin hatte vorgetragen, dass die Klägerin keine Beratung gewünscht habe. Sie habe es vielmehr sehr eilig gehabt, da sie einen Transporter angemietet habe. Sie habe sich lediglich nach einem Rabatt erkundigt, sonst aber keine Fragen gestellt.
So sah es das Amtsgericht
Das AG hat die Klage abgewiesen. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die erworbene Matratze nicht mangelhaft war. Denn die Klägerin habe genau das bekommen, was vertraglich vereinbart war, nämlich eine Matratze des Härtegrades H5. Zwar habe die Klägerin erwartet, dass der Verkäufer sie unaufgefordert berate. Der Verkäufer habe aber keinen Anlass gehabt, eingehend über den Härtegrad aufzuklären und zu beraten. Denn die Klägerin habe ihre Erwartung einer Beratung nicht geäußert.
Keine Verletzung der Aufklärungspflicht
Zudem sei der Verkäufer erst hinzugezogen worden, als die Klägerin bereits zum Kauf entschlossen gewesen sei. Im Verkaufsgespräch sei es lediglich darum gegangen, die Daten der Klägerin aufzunehmen und über den Preis zu verhandeln. Die Tochter der Klägerin habe sich nach dem Probeliegen auch nicht über den Härtegrad beschwert. Daher habe der Verkäufer auch keine Aufklärungspflicht verletzt, sodass die Klägerin den Vertrag weder anfechten könne noch vom Vertrag zurücktreten könne.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 30.1.2024, 510 C 7814/23, PM vom 4.4.2024
| Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren. Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde am Knöchel infolge eines Leitersturzes erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Schürfwunde anschließend infiziert und ein Geschwür (Ulkus) hervorruft. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entschieden. |
Das war geschehen
Das OLG musste über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe entscheiden. Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Frau des Klägers von der Leiter und zog sich hierbei u. a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Klägers sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Kläger hat dann die Reise storniert und bei der beklagten Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend gemacht.
Landgericht wies Klage ab
Das LG hatte die Klage abgewiesen, denn die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei – so das LG – auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau des Klägers hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat über die Frage der Behandlung der Ehefrau des Klägers am Knöchel vor Vertragsschluss die behandelnden Ärzte als Zeugen vernommen und die Versicherung dann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt.
Es hat die Kenntnis der Ehefrau des Klägers vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss abgelehnt. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.
Argumente der Versicherung ohne Erfolg
Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpfen die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung. Selbst, wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei.
Quelle | Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.3.2024, 16 U 74/23, PM 1/24
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat mit zwei Urteilen die Berufungen der Kläger in zwei Verfahren gegen Straßenreinigungsgebührenbescheide der Hansestadt Lüneburg für das Jahr 2018 zurückgewiesen. |
Die Hansestadt Lüneburg erhob bis Ende 2017 Straßenreinigungsgebühren nach dem sog. Frontmetermaßstab. Mit Wirkung zum 1.1.2018 stellte sie den Maßstab um und erhebt seitdem die Gebühren gemäß ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung nach dem sog. Quadratwurzelmaßstab. Bei diesem wird aus der Grundstücksfläche die Quadratwurzel gezogen. Damit wird gedanklich ein quadratisches Grundstück gebildet, von dem die Länge einer Seite der Gebührenberechnung zugrunde gelegt wird.
Das OVG hat entschieden, dass der Quadratwurzelmaßstab ein rechtmäßiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Bemessung der Straßenreinigungsgebühren ist. Der vormals von der Hansestadt Lüneburg angewandte Frontmetermaßstab sei gegenüber dem Quadratwurzelmaßstab nicht vorrangig anzuwenden.
Darüber hinaus hat das OVG auch die Bestimmungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung über die Heranziehung von mehrfach anliegenden Grundstücken und von Hinterliegergrundstücken als rechtmäßig erachtet. Diese verstießen weder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz oder den Gleichheitssatz noch gegen den Grundsatz der Vollständigkeit.
Quelle | OVG Lüneburg, Urteile vom 24.4.2024, 9 LC 117/20 und 9 LC 138/20, PM vom 25.4.2024
| Im Streit um Ansprüche auf Rückerstattung aus einem Reisevertrag wies das Amtsgericht (AG) München eine Klage auf Zahlung von rund 4.000 Euro ab. |
Reise online storniert
Der Kläger hatte bei der Beklagten zum Preis von über 4.500 Euro eine neuntägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Portugal gebucht. Im Anschluss stornierte der Kläger im Internet auf der Website der Beklagten die Reise. Die Beklagte buchte sodann vom Konto des Klägers Stornierungsgebühren in Höhe von rund 4.000 Euro ab. Der Kläger leitete daraufhin am selben Tag eine E-Mail an die Beklagte weiter, um die Stornierung rückgängig zu machen.
Der Kläger behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe unbeabsichtigt wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten.
Die Beklagte trug vor, der Kläger habe keine genauen Angaben über die besagte Baustelle getroffen. Im Übrigen sei die Buchung wirksam storniert worden. Für die endgültige Stornierung seien mehrere einzelne Schritte erforderlich gewesen. Eine unbeabsichtigte Kündigung sei im System unmöglich. Dem Reiseveranstalter sei durch den Rücktritt des Kunden hingegen ein Schaden entstanden.
So sieht es das Gericht
Das AG wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde vom Kläger wirksam storniert. Eine wirksame Anfechtung der Stornierung aufgrund eines Irrtums in der Erklärungshandlung ist nicht gegeben.
Ein Irrtum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 119 BGB) ist das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Es liegt (nach § 119 Abs. 1 2. Fall BGB) zudem ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist beispielsweise beim Versprechen, Verschreiben oder Vergreifen der Fall. Zwar gab der Kläger an, die Website der Beklagten sei für ihn unübersichtlich gewesen, da diverse Klicks erforderlich gewesen seien.
Fünfmaliges Verklicken unwahrscheinlich
Es kann grundsätzlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs – wie hier der Buchungsstornierung – mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein „Verklicken“, und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll.
Aus der vom Reiseveranstalter vorgelegten Anlage ergibt sich insoweit, dass der Reisende für eine endgültige Stornierung der Reise erst mehrere einzelne Schritte durchführen musste: Zur Auslösung des endgültigen Stornierungsvorgangs musste der Kläger insgesamt viermal aktiv per Mausklick bestätigen, dass er eine Stornierung wünsche.
Dabei musste er bei Schritt 1 zunächst angeben, aus welchem Grund er seine Reise stornieren wollte. Im Anschluss bei Schritt 2 musste der Kläger angeben, was genau er stornieren wollte. Bei dem darauffolgenden Schritt 3 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Auswählen „Buchung stornieren“, die Stornierung durchgeführt, und im Namen des Reisenden eine Rückerstattung beantragt werde. Erst durch Anklicken dieses Feldes gelangte der Kläger zum letzten und 4. Schritt, wo nochmals um Bestätigung gebeten wurde, dass tatsächlich mit der Stornierung fortzufahren sei. […]
Wirksame Stornierung und keine Umbuchung
Dass das Anklicken versehentlich geschah, und nicht dem Willen des Reisenden entsprach, war für das AG nicht nachvollziehbar. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung durch Vertippen sah das AG nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Reisenden bewusst gewesen sein muss, dass er bei Durchführung des gesamten Buchungsvorgangs eine endgültige Stornierung vornahm – und nicht bloß, wie von ihm vorgegeben – eine Umbuchung. Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde somit wirksam storniert.
Verlust von 4.000 Euro
Die Beklagte war zudem berechtigt, aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch den Kläger vor Reisebeginn einen Betrag in Höhe von rund 4.000 Euro als angemessene Entschädigung zu verlangen.
Das AG hob hervor: Die pauschale Behauptung des Reisenden, es habe neben dem Hotel eine Baustelle gegeben, führt nicht zu einer vertraglichen Pflicht des Reiseveranstalters, alternative Lösungen anbieten zu müssen.
Quelle | AG München, Urteil vom 18.4.2024, 275 C 20050/23, PM 15/24
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Einer Mieterin von Wohnraum darf fristlos gekündigt werden, wenn diese – gleich zweimal – die Vermieterin mit Wasser überschüttet. |
Die Vermieterin hatte die Mieterin auf Räumung der Wohnung verklagt, weil diese sie zwei Mal mit Wasser übergossen habe. Unstreitig zwischen den Parteien war zwar, dass die Mieterin jeweils einen Eimer Wasser aus dem Fenster in den Hof gegossen hatte, als sich die Vermieterin in diesem befand. Die Mieterin hatte allerdings bestritten, die Vermieterin getroffen zu haben oder überhaupt treffen zu wollen.
Das AG sah die Kündigung als wirksam an. Denn der vernommene Zeuge bestätigte, dass die Vermieterin beide Male tatsächlich mit dem Wasser aus dem Eimer vollständig übergossen wurde. Diese sei, so der Zeuge,„klitschnass“ gewesen, wie bei einer „Ice-Bucket-Challenge“. Das rechtfertige eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens, so das AG. Selbst, wenn die Mieterin keine direkte Absicht gehabt habe, die Vermieterin zu treffen, habe sie dies angesichts der Situation jedoch zumindest billigend in Kauf genommen. Denn ihr Ziel lag schon nach dem eigenen Vortrag darin, die Vermieterin davon abzuhalten, ihr Fahrrad umzustellen. Es habe auch keiner vorherigen Abmahnung bedurft, zumal die Mieterin, wie sich aus der Beweisaufnahme ergab, bereits weitere derartige Aktionen angekündigt habe.
Quelle | AG Hanau, Beschluss vom 19.2.2024, 34 C 92/23, PM vom 3.5.2024
| Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat sich mit dem Einwand der Testierunfähigkeit eines an Depressionen und Alkoholsucht leidenden Erblassers zu befassen, der sich das Leben nahm. |
Erblasser litt an Persönlichkeitsstörung
Der Erblasser litt an einer psychiatrisch relevanten Persönlichkeitsstörung in Form einer affektiven Störung mit sowohl depressiven als auch manischen Phasen (bipolare Störung) sowie einem Alkoholproblem. Mit eigenhändigem Testament verfügte er, dass seine Ziehtochter seinen gesamten Besitz erben solle. In zwei Abschiedsbriefen begründete er seine Entscheidung zu dem Suizid und tat im Übrigen kund, dass er alle Erbschaftsangelegenheiten regeln wolle.
Die Ziehtochter beantragte einen Erbschein, der ihre Stellung als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesem Antrag trat die Schwester des Erblassers mit der Begründung entgegen, der Erblasser sei aufgrund seiner psychischen Erkrankungen testierunfähig gewesen. Nach Einholen eines Sachverständigengutachtens zum Einwand der Testierunfähigkeit hat das Nachlassgericht einen Feststellungsbeschluss erlassen. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Schwester mit der Beschwerde, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat.
So entschied das Oberlandesgericht
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Eine Testierunfähigkeit habe das Sachverständigengutachten nicht bestätigen können. Zwar habe der Erblasser an den genannten Erkrankungen und an weiteren körperlichen Einschränkungen gelitten, die die Sachverständigen bestätigten. Diese genannten Gründe allerdings ließen für sich allein keinen zwingenden Schluss auf das Vorliegen der Testierunfähigkeit zu.
Nur dann, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursachen, die die freie Willensbestimmung ausschlössen oder zu einer solch starken Bewusstseinsstörung führten, liege auch eine Testierunfähigkeit vor. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Quelle | Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.3.2024, 3 W28/24
| Ein (fördermittelschädlicher) vorzeitiger Maßnahmenbeginn liegt vor, wenn die einschlägige Förderrichtlinie eine klare Linie bei der Leistungsphase 6 zieht und der Mittelempfänger darüber informiert wurde, dass er eingeschaltete Planer vor Erhalt der Förderzusage nur mit Planungs- und Vorbereitungsleistungen bis einschließlich Leistungsphase 6 beauftragen soll. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg entschieden. |
Bauherr verlor Förderung
Das Urteil war für den Bauherrn besonders „bitter“. Denn er verlor die gesamte Förderung in Höhe von 240.000 Euro, weil er den Planer entgegen den Förderbestimmungen schon mit kleinen Leistungen der Leistungsphase 7 beauftragt hatte.
Bauherren informieren!
Konsequenz aus dem Urteil ist u. a.: Planer sollten Bauherren stets darüber informieren, wie streng Fördermittelgeber darauf achten, dass Förderbestimmungen eingehalten werden.
Quelle | VG Magdeburg, Urteil vom 25.3.2024, 3 A 155/21
| Regelt der Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Erschwernisse, um von ihm eine Bauhandwerkersicherungshypothek zu verlangen, ist dies unwirksam. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Anspruch nur beiVerzug?
Der Auftraggeber hatte einen Planer für Technische Gebäudeausrüstung mit Leistungen über knapp 4,7 Mio. Euro beauftragt. In seinen AGB hieß es u. a.: „Einen Anspruch aus § 650 e BGB kann der Auftragnehmer nur geltend machen, wenn sich der Auftraggeber in Verzug befindet und die angemahnte Zahlung trotz Nachfristsetzung innerhalb von zwei Wochen nicht fristgemäß leistet. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 650 e BGB setzt ferner voraus, dass der Auftragnehmer bei Nachfristsetzung oder danach dies mit einer Frist von drei Wochen angekündigt hat.“
Nachdem mehrere Rechnungen nicht bezahlt worden waren, verlangte der Planer erst eine Sicherheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB, Bauhandwerkersicherung). Die brachte der Auftraggeber nicht bei. Daher beantragte der Planer ohne erneute Fristsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des Anspruchs nach § 650 e BGB (Sicherungshypothek an dem Baugrundstück) i. H. v. ca. 340.000 Euro. Der Auftraggeber berief sich auf seine o. g. AGB-Klausel und wollte nicht leisten.
Landgericht gab Planer Recht
Die Klausel im Vertrag war unwirksam, denn sie benachteiligte den Planer als Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie war mit den wesentlichen Grundgedanken des § 650 e BGB nicht vereinbar.
Der Anspruch auf Vormerkung einer Sicherungshypothek soll den vorleistungspflichtigen Unternehmer schützen und gewährt ihm hierzu einen im Eilverfahren zügig durchsetzbaren Anspruch. Diesen Grundgedanken stehen die mit den AGB aufgestellten Anforderungen, Verzug nach Fristsetzung und weitere Ankündigungsfrist, entgegen. Vor allem könnte der Auftraggeber ansonsten versuchen, bis zum Abschluss eines zuvor angekündigten einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Eigentumswechsel herbeizuführen. Das könnte den Anspruch des Unternehmens vereiteln.
Quelle | LG Berlin, Urteil vom 6.7.2023, 19 O 101/23
| Wer mit Verbrauchern einen Architektenvertrag schließt, muss zum einen vermeiden, dass diese ihr Widerrufsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 312 b BGB) ausüben. Zum anderen ist die neue Belehrungspflicht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (hier: § 7 Abs. 2 HOAI 2021) zu beachten. Sonst kann der Architekt maximal das Honorar nach den Basishonorarsätzen der HOAI abrechnen. Dies gilt, selbst wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Das sagt die HOAI zur Form und zum Fehlen einer Vereinbarung
§ 7 HOAI sagt, dass sich das (Architekten-)Honorar nach der Vereinbarung richtet, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart.
Das sagt die HOAI zur Aufklärungspflicht des Architekten
Außerdem schreibt die Norm vor, dass der Auftragnehmer, also der Architekt, den Auftraggeber, falls dieser Verbraucher ist, vor Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung in Textform darauf hinweisen muss, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Folge: Ohne diese (rechtzeitige) Belehrung gilt für die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Grundleistungen anstelle eines höheren Honorars ein Honorar in Höhe des jeweiligen Basishonorarsatzes als vereinbart.
Diese Konsequenzen zog das Oberlandesgericht
Im Fall des OLG gab es diese Aufklärung nicht. Das OLG: Die Aufklärungspflicht gilt auch, wenn ein Zeit- oder Pauschalhonorar vereinbart worden ist. Ohne Belehrung kann der Planer nur den Basishonorarsatz abrechnen.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 8.4.2024, 11 U 215/22
| Widerruft ein Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst seine Einstellungszusage aufgrund eines ärztlichen Attests, ist dies keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |
Einstellungszusage widerrufen
Der an Diabetes erkrankte, schwerbehinderte Kläger bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung im Januar 2023 auf eine von der beklagten Stadt ausgeschriebene Ausbildungsstelle als Straßenwärter. Er erhielt eine Einstellungszusage vorbehaltlich einer noch durchzuführenden ärztlichen Untersuchung. Der Arzt kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger wegen seiner Diabetes-Erkrankung nicht für die vorgesehene Ausbildungsstelle geeignet sei. Die Einstellungszusage wurde daraufhin zurückgenommen. Der Kläger erhob Klage auf Entschädigung wegen einer aus seiner Sicht erfolgten Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch.
Kein Verstoß gegen geltendes Recht
Das ArbG wies die Klage ab. Eine diskriminierende Handlung und ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien nicht erkennbar.
Der Kläger sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung nicht schlechter behandelt worden als vergleichbare nichtbehinderte Bewerber. Die Stadt habe bei der Entscheidung, den Kläger nicht einzustellen, nicht auf seine Behinderung abgestellt. Vielmehr habe man den Kläger ungeachtet seiner Behinderung gerade einstellen wollen und ihm demgemäß eine Einstellungszusage erteilt, diese jedoch vom Ergebnis einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung bzw. seiner Eignung abhängig gemacht.
Diese gesundheitliche Eignung sei dann von dem von ihr beauftragten Arzt verneint worden. Daraufhin habe die Beklagte unter Berufung auf den zum Ausdruck gekommenen Vorbehalt ihre Einstellungszusage zurückgezogen.
Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 20.3.2024, 3 Ca 1654/23, PM 1/24
| In einem Fall vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf ging es im Wesentlichen um angeblich unangemessene Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber Kollegen über Mitarbeitern. Die daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnung hatte keinen Bestand, weil sie zu unbestimmt war. |
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer hatte die Äußerungen bestritten. Auf seine Frage im Personalgespräch, weshalb keine Namen derjenigen Arbeitnehmer genannt würden, die die Vorwürfe an die Personalbetreuung herangetragen hätten, äußerte die Personalreferentin, dass die Arbeitnehmer eingeschüchtert seien und sich lediglich vertraulich an die Vorgesetzten sowie die Personalbetreuung gewandt hätten. Auch in der Abmahnung selbst erfolgte keine namentliche Nennung.
So sah es das Arbeitsgericht
Das ArbG stellte klar: Dieser Vorgang reicht nicht für eine Abmahnung. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich in der ihm vorgeworfenen Art und Weise verhalten habe. Die Abmahnung sei inhaltlich zu unbestimmt. Die „anderen Mitarbeiter“, gegenüber denen er die Äußerungen getätigt haben soll, würden in der Abmahnung nicht benannt, obwohl sie dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abmahnung unstreitig bekannt gewesen seien. Da sich die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientierten, was der Arbeitgeber wissen könne, sei die Abmahnung nicht hinreichend konkret.
Für den Arbeitnehmer als Adressat der Abmahnung diene die konkrete Nennung der Namen der Zeugen auch dazu, zu überprüfen, ob die Abmahnung inhaltlich richtig sei oder nicht; pauschale Vorwürfe ohne die Nennung der Zeugen würden diese Anforderung nicht erfüllen. Der Arbeitgeber sei auch nicht berechtigt, zum Schutz der Zeugen die Namen in der Abmahnung nicht zu nennen. Hierdurch könne zwar ein Konflikt zwischen dem Arbeitnehmer und den Zeugen im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe entstehen. Einen solchen Konflikt müsse ein Arbeitgeber, der den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf ein angebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers vertraue, allerdings hinnehmen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr den Zeugen durch ihre Nennung in der Abmahnung drohe.
Quelle | ArbG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2024, 7 Ca 1347/23
| Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (hier: § 3 Abs. 1 EFZG) dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Voraussetzung: Es muss dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sein, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |
Abzug vom Verdienst nach Covid-Erkrankung
Der Kläger ist als Produktionsmitarbeiter bei der Arbeitgeberin beschäftigt, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Er hatte sich keiner Schutzimpfung gegen das Coronavirus unterzogen und wurde am 26.12.2021 positiv auf das Virus getestet. Für die Zeit vom 27. bis zum 31.12.2021 wurde dem unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen leidenden Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt. Für diese Zeit leistete die Arbeitgeberin Entgeltfortzahlung. Am 29.12.2021 erließ die Gemeinde N. eine Verfügung, nach der für den Kläger bis zum 12.1.2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung angeordnet wurde. Für die Zeit vom 3. bis zum 12.1.2022 lehnte der Arzt die Ausstellung einer Folge-AU mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Mit der Verdienstabrechnung für Januar 2022 nahm die Arbeitgeberin für diese Zeit vom Lohn des Klägers einen Abzug in Höhe von ca. 1.000 Euro brutto vor. Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung des Arbeitnehmers das Urteil des ArbG geändert und die Arbeitgeberin verurteilt, zu zahlen.
Bundesarbeitsgericht gab Arbeitnehmer Recht
Die Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, ohne dass es darauf ankam, ob bei ihm durchgehend Symptome von COVID-19 vorlagen. Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Die Absonderungsanordnung ist keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruht das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion (Monokausalität). Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Absonderungsanordnung. Aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion war es dem Kläger rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
Es konnte auch nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der empfohlenen Corona-Schutzimpfung für die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich war. Das Berufungsgericht hat hierbei zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, dass die Nichtvornahme der Schutzimpfungen einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellte. Jedoch ließen die wöchentlichen Lageberichte des RKI und dessen Einschätzung der Impfeffektivität nicht den Schluss zu, dass Ende Dezember 2021 bzw. Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufgetretene Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte verhindert werden können.
Der Arbeitgeberin stand ein Leistungsverweigerungsrecht wegen nicht vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu. Das LAG hatte richtig erkannt, dass der Kläger der Beklagten durch Vorlage der Ordnungsverfügung der Gemeinde N. in anderer, geeigneter Weise nachgewiesen hat, infolge seiner Corona-Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.
Quelle | BAG, Urteil vom 20.3.2024, 5 AZ R 234/23, PM 8/24
| Eine Bank kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Bank wollte Originalurkunden nicht herausgeben
Ein Mann hatte geltend gemacht, seine – inzwischen getrenntlebende und in Scheidung befindliche – Ehefrau habe auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung unberechtigt seine Unterschriften angebracht. Er hat beantragt, ein Schriftsachverständigengutachten einzuholen. Das Kreditinstitut – eine Bausparkasse – hat die Herausgabe der zur Begutachtung erforderlichen Originalurkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert. Das machte der BGH nicht mit.
Hier gilt ein Zeugnisverweigerungsrecht
Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, sind zur Verweigerung des Zeugnisses der Tatsachen berechtigt, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Dies gilt dann auch für hierauf bezogene Urkunden. Im Fall des BGH hatten die Interessen des Mannes jedoch Vorrang.
Quelle | BGH, Beschluss vom 29.11.2023, XII ZB 141/22
| Unternehmen müssen den Inhalt der Bilanz und der Gewinn-und Verlustrechnung grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung übermitteln. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun das aktualisierte Datenschema der Taxonomien (Version 6.8) als amtlich vorgeschriebenen Datensatz veröffentlicht. Die aktualisierten Taxonomien stehen unter www.esteuer.de zur Ansicht und zum Abruf bereit. |
Beachten Sie | Die neuen Taxonomien sind grundsätzlich für die Bilanzen der Wirtschaftsjahre zu verwenden, die nach dem 31.12.2024 beginnen (Wirtschaftsjahr 2025 oder 2025/2026). Es wird aber nicht beanstandet, wenn diese auch für das Wirtschaftsjahr 2024 oder 2024/2025 verwendet werden.
Die Übermittlungsmöglichkeit mit diesen neuen Taxonomien wird für Testfälle voraussichtlich ab November 2024 gegeben sein, für Echtfälle ab Mai 2025.
Quelle | BMF-Schreiben vom 27.5.2024, IV C 6 - S 2133-b/24/10001 :002
| Nach den statistischen Aufzeichnungen der obersten Finanzbehörden der Länder haben die im Jahr 2023 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen bei der Umsatzsteuer zu einem Mehrergebnis von rund 1,52 Mrd. Euro geführt. Die Ergebnisse aus der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind in diesem Mehrergebnis nicht enthalten. |
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen werden unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im Jahr 2023 wurden 63.282 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt. Im Jahresdurchschnitt waren 1.604 Umsatzsteuer-Sonderprüfer eingesetzt. Jeder Prüfer führte im Durchschnitt 39 Sonderprüfungen durch. Dies bedeutet für jeden eingesetzten Prüfer ein durchschnittliches Mehrergebnis von rund 0,94 Mio. Euro.
Quelle | BMF, Mitteilung vom 25.4.2024
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Er möchte wissen, ob das gesetzliche Aufteilungsgebot für Beherbergungsleistungen rechtmäßig ist. Danach unterliegt die Übernachtungsleistung dem ermäßigten Umsatzsteuersatz i. H. von 7 %. Für Nebenleistungen, die nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, gilt dagegen der Regelsteuersatz (19 %). In den drei Streitfällen ging es um Parkplatzgestellungen, Frühstücksleistungen, die Gestellung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen sowie von W-LAN. |
Für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, greift die Umsatzsteuerermäßigung auf 7 %.
Beachten Sie | Dies gilt nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG) aber nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.
Bisher war der BFH der Ansicht, dass das Aufteilungsgebot in Einklang mit dem Unionsrecht steht und dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung vorgeht, wonach eine (unselbstständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt.
Ganz so sicher ist sich der BFH aber infolge der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht mehr. Deshalb hat er nun beim EuGH angefragt. Es ist zu hoffen, dass sich der EuGH zeitnah und eindeutig äußern wird, damit zu dieser Frage (endlich) Rechtssicherheit besteht.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 10.1.2024, XI R 11/23 (XI R 34/20), XI R 13/23 (XI R 7/21), XI R 14/23 (XI R 22/21)
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. |
Hintergrund: Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt (in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO) einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.
Finanzamt und Finanzgericht lehnten Auskunftsersuchen ab
Im Streitfall verlangte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt die Zurverfügungstellung (elektronischer) Kopien von Verwaltungsakten mit den ihn betreffenden personenbezogenen Daten, was sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (FG) ablehnten.
Bundesfinanzhof widersprach
Der BFH hat nun entschieden, dass ein Steuerpflichtiger vom Finanzamt grundsätzlich Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten verlangen kann – und zwar ungeachtet der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung.
Auskunftsanspruch unabhängig von Art der Steuer
Der Auskunftsanspruch ist auch nicht davon abhängig, für welche Steuerart die Datenverarbeitung erfolgt. Grundsätzlich ist der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch darauf beschränkt, dass der Steuerpflichtige darüber informiert wird, welche ihn betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet werden.
Der Auskunftsanspruch gewährt grundsätzlich aber kein Recht auf die (elektronische) Zurverfügungstellung von Kopien von ganzen Akten bzw. einzelnen Dokumenten mit personenbezogenen Daten. Nur ausnahmsweise, wenn der Steuerpflichtige diese zwingend benötigt, um seine Rechte nach der DS-GVO durchsetzen zu können, sind ihm auch Kopien von Dokumenten mit seinen personenbezogenen Daten (elektronisch) zur Verfügung zu stellen.
Grenzen: unbegründete oder exzessive Auskunftsersuchen
Zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs hat der BFH im Übrigen klargestellt, dass die Finanzverwaltung zwar einen gegen sie gerichteten Auskunftsanspruch nach der DS-GVO zurückweisen kann, falls dieser offenkundig unbegründet oder exzessiv ist. Hierfür muss sie jedoch die Umstände darlegen, die zu einer offenkundigen Unbegründetheit bzw. zu einem Exzess des Auskunftsersuchens führen. Dass der Steuerpflichtige mit seinem Auskunftsersuchen Ziele außerhalb der DS-GVO verfolgt, erlaubt der Finanzverwaltung nicht, die Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten zu verweigern.
Quelle | BFH, Urteil vom 12.3.2024, IX R 35/21, PM Nr. 27/24 vom 20.6.2024
| Die Auszahlung einer Direktversicherung nach Ausübung eines vertraglich eingeräumten Kapitalwahlrechts unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz. Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster ist allerdings die Revision anhängig. |
Das war geschehen
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in Beiträge zu einer Direktversicherung nach dem Betriebsrentengesetz vereinbart. Daraufhin schloss der Arbeitgeber für die Steuerpflichtige eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Es sollte eine lebenslange monatliche Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen.
Im Streitjahr 2019 übte die Steuerpflichtige das Kapitalwahlrecht aus und erhielt ca. 44.500 Euro. Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolglos.
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten können als außerordentliche Einkünfte in Betracht kommen, die ermäßigt zu besteuern sind (Fünftel-Regelung). Da es im Streitfall aber an dem Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit fehlte, kam keine ermäßigte Besteuerung in Betracht.
Höchstrichterliche Rechtsprechung
Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausschließlich auf die vertragliche Vereinbarung an (keine ermäßigte Besteuerung, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war). In späteren Entscheidungen hat es der BFH jedoch vielmehr für maßgeblich gehalten, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material ausgewertet werden muss.
Bundesfinanzhof ist erneut gefragt
Vor diesem Hintergrund hat das FG Münster nun die Revision mit folgendem Wortlaut zugelassen: „Dem Bundesfinanzhof ist Gelegenheit zu geben, über die Ausschärfung der Kriterien zur Bestimmung der Atypik bei Kapitalauszahlungen von Renten erneut zu entscheiden, da er bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist.“
Beachten Sie | Da die Steuerpflichtige die Revision eingelegt hat, können geeignete Fälle mit einem Einspruch bis zur Entscheidung des BFH offen gehalten werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 24.10.2023, 1 K 1990/22 E, Rev. BFH: X R 25/23
| Bei Lohnsteuer-Außenprüfungen stoßen Prüfer immer häufiger auf Sachverhalte, in denen der Arbeitgeber im Rahmen einer Gehaltsumwandlung den Grundlohn abgesenkt und einen nach § 3 Nr. 30 und Nr. 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreien Heimarbeiterzuschlag zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen (z. B. für Miete, Heizung und Beleuchtung der Arbeitsräume) bezahlt hat. Hier ist Vorsicht geboten: Denn in vielen Fällen sind die Voraussetzungen für den steuerfreien Heimarbeiterzuschlag nach dem Heimarbeitsgesetz (HAG) nicht erfüllt. |
Informationen zum Heimarbeiterzuschlag enthält vor allem die Lohnsteuerrichtlinie 9.13. Hier heißt es in Abs. 2: „Lohnzuschläge, die den Heimarbeitern zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen neben dem Grundlohn gezahlt werden, sind insgesamt aus Vereinfachungsgründen nach § 3 Nr. 30 und 50 EStG steuerfrei, soweit sie 10 % des Grundlohns nicht übersteigen.“
Beachten Sie | Die im Einkommensteuergesetz geregelte Steuerfreiheit gilt allerdings nur für Heimarbeiter i. S. des § 2 Abs. 1 HAG. Die steuerfreien Zuschläge können also nicht von Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden, die ihre Tätigkeit seit der Coronapandemie (teilweise) im Homeoffice ausüben.
Quelle | R 9.13 Abs. 2 Lohnsteuerrichtlinien; § 2 Heimarbeitsgesetz
| Schuldet der Vermieter von Wohnraum zum vertragsgemäßen Gebrauch auch die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, stehen Kosten des Vermieters für eine neue Heizungsanlage jedenfalls dann im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zur steuerfreien Vermietung, wenn es sich dabei nicht um Betriebskosten handelt, die der Mieter gesondert zu tragen hat. Die Quintessenz aus dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH): Der Vermieter kann für die Heizungsanlage keinen Vorsteuerabzug beanspruchen. |
Hintergrund: Nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG) ist der Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen ausgeschlossen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
Das Finanzgericht (FG) Münster hatte den Streitfall noch anders beurteilt und auf getrennte Leistungen abgestellt, nämlich einerseits steuerfreie Vermietungsleistungen und andererseits steuerpflichtige Energielieferungen.
Der BFH lehnte den vom Vermieter begehrten Vorsteuerabzug aus dem Heizungsaustausch aber bereits deshalb ab, weil der Vermieter dort entsprechend den mietrechtlichen Rahmenbedingungen die Gestellung einer Wohnung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch – d. h. einschließlich der Gestellung warmen Brauchwassers – schuldete und die diesbezüglichen Zahlungen nicht als dem Mieter gesondert berechenbare Betriebskosten i. S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 556 BGB) anzusehen waren.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.12.2023, V R 15/21
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden. Danach müssen Steuerpflichtige unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Weil deswegen bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt. |
Steuerpflichtige vor Finanzgericht erfolgreich
In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die Bescheide waren auf der Grundlage des neuen Bundesmodells ergangen, das in mehreren Bundesländern (z. B. in Nordrhein-Westfalen) Anwendung findet.
Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1.1.2022 als einheitlichem Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen Vorschriften enthalten nicht zuletzt wegen der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten zahlreiche Typisierungen und Pauschalierungen.
Bundesfinanzhof: Beschwerden des Finanzamts zurückgewiesen
Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die dagegen erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit in Bezug auf Grundsteuerwerte
Nach Ansicht des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Denn die Steuerpflichtigen müssen bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit haben, einen niedrigeren Wert nachzuweisen – auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich geregelt hat.
Übermaßverbot ist zu berücksichtigen
Der Gesetzgeber verfügt gerade in Massenverfahren über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot kann aber verletzt sein, wenn sich der Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt nach der Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt – und dies war infolge der Besonderheiten in den Streitfällen nicht auszuschließen.
Beachten Sie | Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden. Es handelt sich bisher lediglich um Beschlüsse im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV); PM Nr. 26/24 vom 13.6.2024
| Ist ein Fahrzeug mehr als fünf Jahre alt, stuft das Amtsgericht (AG) Aue-Bad Schlema die Nutzungsausfallentschädigung um eine und bei mehr als zehn Jahren um zwei Gruppen ab. |
So rechnete das Amtsgericht
Wenn ein ca. 15 Jahre alter Kleinwagen mit ca. 194.000 km Laufleistung, der ohne Altersabstufung in die Gruppe B gehört, betroffen ist, wird jedoch nur eine Gruppe abgestuft. Denn tiefer geht es nicht. So gab es im vom AG entschiedenen Fall einen Tagessatz von 23 Euro.
Der Versicherer hatte nur minimale Vorhaltekosten erstattet. Das lehnt das Gericht ab. Denn das komme nur in Betracht, wenn ein Fahrzeug nicht nur alt, sondern in einem so schlechten Zustand ist, dass seine Nutzbarkeit deutlich eingeschränkt ist.
Entgangene Fortbewegungsmöglichkeit
Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich hinter den Vorhaltekosten letztlich kaum mehr als die Fixkosten wie Steuern, Versicherung etc. verbergen, es sich hierbei also um einen weitaus geringeren Betrag handelt. Mit zunehmendem Fahrzeugalter spiele letztlich nur die entgangene Fortbewegungs- und Transportmöglichkeit eine Rolle. Allein aufgrund des Alters des Fahrzeugs könne daher nicht ohne Weiteres von einer weiteren Einschränkung des Nutzungswerts bis zum Betrag von Vorhaltekosten ausgegangen werden.
Quelle | AG Aue-Bad Schlema, Urteil vom 28.2.2024, 3 C 241/23
| Ist ein durch eine Verbraucherzentrale geltend gemachter Unterlassungsanspruch begründet, wenn eine Firma die online erklärte Kündigung eines Kunden von einem Bestätigungstelefonat abhängig macht? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz bejaht. |
Zusätzliches Telefonat nötig, damit Online-Kündigung wirksam wird?
Die Beklagte bietet, auch gegenüber Verbrauchern, den Abschluss von Dienstleistungsverträgen über Dauerschuldverhältnisse unter anderem zur Bereitstellung von Webspeicherplatz, E-Mail-Postfächern und Servern an.
Der Kläger, ein eingetragener Verein (Verbraucherzentrale), begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, dass sie auf eine online erklärte Kündigung gegenüber Verbrauchern behauptet, dass zur Wirksamkeit der Kündigung noch ein Telefonat erforderlich sei. Konkret hat ein Kunde seinen Vertrag bei der Beklagten per Internet gekündigt. Der Kunde hat daraufhin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, er möge seine Kündigung binnen 14 Tagen telefonisch bestätigen, ansonsten bleibe das Vertragsverhältnis unverändert bestehen.
Verbraucherzentrale: Telefonat dient zum Umstimmen der Verbraucher
Der Kläger hat daraufhin die Beklagte abgemahnt und erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Er behauptet, im Fall eines Anrufs nach der Kündigung werde seitens der Beklagten – mittels rhetorischer Kunstfertigkeit oder Anbieten anderer Vertragskonditionen – versucht, den Verbraucher zu überzeugen, von seinem Kündigungswillen Abstand zu nehmen. Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten gegenüber Verbrauchern, dass nach einer Kündigung eine Rückbestätigung erfolgen müsse, stelle eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Sie enthalte unwahre Angaben über Rechte des Verbrauchers.
Der Kläger beantragte u. a., der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro zu untersagen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern diesen nach einer der Beklagten zugegangenen Kündigungserklärung eines Dienstleistungsvertrags in Form eines Dauerschuldverhältnisses zu behaupten, die telefonische Bestätigung der erklärten Kündigung sei erforderlich. Die Beklagte meint, ohne telefonische Rückbestätigung der Kündigung bestünde das Risiko, dass unberechtigte Dritte den Vertrag eines Kunden kündigen könnten. Es sei deshalb erforderlich, sich davon zu überzeugen, dass die Kündigung vom Erklärenden stammt. Dabei biete ein Telefonat ein Mehr an Sicherheit verglichen mit einem Bestätigungslink innerhalb einer E-Mail. Es finde keine Irreführung des Verbrauchers statt. Außerdem werde eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst.
So sah es das Landgericht
Das LG hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch zu. Das Vorgehen der Beklagten, den Verbraucher aufzufordern, seine Kündigung innerhalb von 14 Tagen telefonisch zu bestätigen, stelle eine geschäftliche Handlung dar. Dazu gehörten auch Verhaltensweisen, die auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung oder das Verhindern einer Geschäftsbeendigung gerichtet sind. Diese geschäftliche Handlung der Beklagten sei unzulässig, da sie unlauter sei. Unlauter handele, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Bestätigungslink in E-Mail genügt
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch irreführend. Dies sei gegeben, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthalte. Erfasst seien auch irreführende Angaben über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung bestimmter Rechte, zu denen auch das Kündigungsrecht zähle. Auch, wenn die Beklagte nach Auffassung des LG ein grundsätzliches Interesse an einer Authentifizierung haben könne, wäre eine solche vorrangig durch eine Bestätigung über den von dem Verbraucher gewählten Kommunikationskanal zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein an den Verbraucher unter der von ihm hinterlegten E-Mail-Adresse gesendeter Bestätigungslink zur Identifizierung weniger geeignet wäre als ein Telefonat. Auch während eines Telefonats sei es der Beklagten nicht möglich, sich umfassende Gewissheit über die wahre Person ihres Gesprächspartners zu verschaffen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es einem unbefugten Dritten, der sich Zugang zu der Kundennummer, der Vertragsnummer und dem E-Mail-Konto des wahren Vertragspartners verschafft hat, auch gelänge, in einem Telefonat über seine Identität zu täuschen.
Zusätzliche Entscheidung
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beklagte stelle den Verbraucher nach Zugang seiner Kündigung vor die Wahl, seine Kündigung nicht telefonisch zu bestätigen, und in der Folge das Vertragsverhältnis fortzusetzen, oder innerhalb von 14 Tagen telefonisch Kontakt zu der Beklagten aufzunehmen. Es werde dadurch eine zusätzliche Entscheidung des Verbrauchers verlangt, ob er an der Ausübung seines Kündigungsrechts festhalten will. Ohne die irreführende Aufforderung der Beklagten würde der Verbraucher weder die eine noch die andere Entscheidung treffen. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Beklagte eingeräumt habe, dass die beanstandete Vorgehensweise der Beklagten deren übliche Vorgehensweise sei.
Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 27.2.2024, 11 O 12/23
| Das Landgericht (LG) Oldenburg hat den von einer Frau geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz zurückgewiesen. Sie hatte sich an einem Becher Tee verbrüht. |
Warnhinweis auf dem Pappbecher
Die Frau hatte in einem Restaurant einen Tee in einem Einwegbecher gekauft. Auf dem Becher war der Warnhinweis angebracht: „VORSICHT HEISS“. Außerdem enthielt er ein Piktogramm mit einer Tasse mit Dampfschwaden. Der Becher war der Frau mit einem von Hand zu öffnenden Deckel übergeben worden. Er wurde ihr in einer Pappschale ausgehändigt. Wenige Minuten nach dem Kauf hob die Frau den Becher am Deckel aus der Schale. Da passierte es: Der Deckel löste sich. Der Tee ergoss sich auf ihre Oberschenkel. Die Frau erlitt Verbrennungen 1. und 2. Grades. Sie musste sich später einer teuren Behandlung unterziehen.
So sah es die Frau
Die Frau argumentierte vor dem LG, der Tee sei zu heiß gewesen. Folglich seien von ihm unnötige Gesundheitsgefahren ausgegangen. Zudem sei der Deckel nicht fest verschlossen gewesen. Mit diesen beiden Umständen habe sie nicht rechnen müssen.
So sah es das Landgericht
Das LG lehnte den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ab. Es hob hervor: Dass frisch zubereiteter Tee heiß sei (zwischen 90 und 100 Grad), sei allgemein bekannt. Er müsse daher nicht in verzehrfertiger Temperatur übergeben werden. Die Frau sei zudem durch die o. g. Hinweise auf dem Becher ausdrücklich gewarnt worden. Vor einem eventuell losen Deckel habe die Restaurantbesitzerin ebenfalls nicht warnen müssen.
Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 15.3.2024, 16 O 2015/23
| Kosten für eine einem Hotel ähnliche Unterbringung im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung können auch die Aufwendungen für das Mieten eines Wohnmobils sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Haus unbewohnbar – Wohnmobil als Ersatz gemietet
Das Haus eines Versicherungsnehmers war unbewohnbar geworden. Er mietete sich daher für 260 Euro pro Tag ein Wohnmobil und verlangte den Betrag später vom Versicherer zurück. Dieser wollte die Kosten jedoch nicht übernehmen.
Wohnmobil mit Hotel vergleichbar
Das OLG Köln verurteilte den Versicherer schließlich, rund 86.000 Euro an Mietkosten zu übernehmen. Auch die Kosten für das Mieten des Wohnmobils seien Kosten einer einem Hotel ähnlichen Unterbringung i. S. d. Versicherungsbedingungen.
Für Versicherungsnehmer ist Wohnmobil eine dem Hotel ähnliche Unterkunft
Die Auslegung ergebe, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch die stationäre Unterbringung in einem Mietwohnwagen oder Mietwohnmobil als eine einer Hotelunterbringung ähnliche Unterkunft ansehen werde. Denn ebenso wie ein Hotel, eine Ferienwohnung, eine Pension oder Gaststätte mit „Fremdenzimmern“ zeichnet sich ein Wohnmobil bzw. ein Wohnwagen, der zeitweise vermietet wird, dadurch aus, dass wechselnde Gäste darin für eine befristete Zeit wohnen, sei es zu Arbeitsaufenthalten (bspw. Saisonarbeiter, Arbeiter auf Montage) oder zu touristischen Zwecken. Allein der Aspekt der Mobilität des Wohnmobils im Unterschied zur Hotelunterkunft – also der Umstand, dass ein Wohnwagen grundsätzlich mithilfe eines Pkw bzw. ein Wohnmobil aus eigener Motorkraft im Straßenverkehr zum Reisen benutzt und zu wechselnden Standorten bewegt werden kann – steht der Vergleichbarkeit zu einer Hotelunterbringung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht entgegen.
Motorisierung spielt keine Rolle
Das OLG sieht zwar, dass ein Wohnmobil gerade durch die Motorisierung deutlich teurer ist als ein Wohnwagen. Darauf kommt es im Rahmen der Erstattung der Unterbringungskosten aber nicht an.
Der Versicherungsnehmer muss keine dem Wohnungsstandard entsprechende Unterkunft finden. Er ist in der Wahl der Unterkunft grundsätzlich frei und darf sich dabei von persönlichen Bedürfnissen und privaten Befindlichkeiten leiten lassen. Bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Grenzen besteht der zugesagte Versicherungsschutz. Danach sind Kosten für das Mieten eines Wohnmobils als Kosten einer ähnlichen Unterbringung, wie Hotelkosten, grundsätzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung (nach Abschnitt A. § 8 Nr. 1 c VHB 2014) erstattungsfähig.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger das Wohnmobil nicht als Wohnraumersatz, sondern etwa zu Reisezwecken angemietet haben, hat der Versicherer nicht konkret vorgetragen. Sie ergaben sich für das OLG auch nicht aus dem Akteninhalt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 5.12.2023, 9 U 46/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden: Der Versicherer muss die Kosten für die Versorgung mit Medizinal-Cannabis nicht tragen, wenn der Versicherungsnehmer an der Glasknochenkrankheit leidet. |
Konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft?
Der Versicherungsnehmer meinte, dass konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien. Es liege zumindest eine schwere Erkrankung mit wesentlichen Funktionseinschränkungen vor. Daher müsse der Versicherer die medizinisch notwendige Heilbehandlung durch Medizinal-Cannabis übernehmen.
Der Versicherer entgegnete: Bei akut auftretenden Schüben sei Cannabis wegen seiner „Behandlungsträgheit“ nicht geeignet. Das Landgericht (LG) war dem gefolgt und hatte in erster Instanz die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen.
Oberlandesgericht sieht es wie der Versicherer
Das OLG hat dies bestätigt. Der Versicherungsnehmer habe nach dem Versicherungsvertrag einen Leistungsanspruch, wenn es sich bei der Behandlung seiner Beschwerden um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handelt, die entweder von der Schulmedizin überwiegend anerkannt ist oder es sich um eine Methode oder ein Arzneimittel handelt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor.
Zwar leide der Versicherungsnehmer unter einem schweren, multilokulären generalisierten Schmerzsyndrom bei Glasknochenkrankheit und bei entsprechender Symptomatik komme die Erstattung von Medizinal-Cannabis grundsätzlich in Betracht. Wesentliche gelenkarthrotische Veränderungen seien jedoch ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht feststellbar. Weitere Befunde, die den Vortrag zu seinen körperlichen Beschwerden – insbesondere der behaupteten Vielzahl von Brüchen – stützen könnten, habe der darlegungs- und beweisbelastete Versicherungsnehmer ebenfalls nicht vorgelegt.
Die Behandlung der beim Versicherungsnehmer feststellbaren Symptomatik mit Medizinal-Cannabis sei nach heutiger medizinischer Einschätzung und aktuellem Wissensstand nicht als von der Schulmedizin allgemein anerkannte Methode anzusehen. Auch sei sie keine Methode, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt habe wie die Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe ausgeführt, mangels ausreichender Datenlage könne nicht festgestellt werden, dass die Therapie mit Medizinal-Cannabis eine entsprechende Linderung der im Zusammenhang mit der Glasknochenkrankheit stehenden Schmerzsymptomatik verspreche. Schließlich seien schulmedizinisch sowohl nichtmedikamentöse als auch verschiedene medikamentöse Behandlungen verfügbar. Der Versicherungsnehmer habe nicht nachgewiesen, dass diese Behandlungsmethoden bei ihm nicht wirksam seien oder gravierende Nebenwirkungen verursachten.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2023, I-13 U 222/22
| Der Vermieter ist verpflichtet, dem Mieter auf dessen Verlangen Einsicht in die Abrechnungsbelege zu gewähren und diese in einer geordneten Form vorzulegen. Es ist nicht Aufgabe des Mieters, die Belege selbstständig zu ordnen. So entschied es das Amtsgericht (AG) Münster. |
Die Wohnungsmieter hatten Einsicht in die Belege zu den Betriebskostenabrechnungen von 2018 bis 2020 verlangt. Die Vermieterin legte die Unterlagen ungeordnet, weder thematisch noch chronologisch stringent sortiert, vor. Daher weigerten sich die Mieter, die Nachforderungen aus den Abrechnungen auszugleichen.
Die Zahlungsklage der Vermieterin hatte keinen Erfolg. Sie habe keinen Anspruch auf die Nachzahlungen, da den Mietern ein Zurückbehaltungsrecht zustehe. Die Vermieterin habe keine umfassende Belegeinsicht gewährt.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 259 Abs. 1 BGB) bedürfe es einer geordneten Zusammenstellung der Abrechnungsbelege, so das AG. Das umfasse eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung in Abrechnungsposten.
Dabei sei auf einen juristisch und betriebswirtschaftlich ungeschulten Mieter abzustellen. Anderenfalls könne der Mieter sein Prüfungsrecht nicht sinnvoll ausüben. Der Mieter sei nicht verpflichtet, die Belege selbstständig zu ordnen oder Zusammenhänge in den Rechnungen fortlaufender Verträge zu erkennen.
Quelle | AG Münster, Urteil vom 25.10.2023, 38 C 1947/22
| Das Landgericht (LG) Hanau hat entschieden, dass ein Vermieter in einem Gebäude mit nur zwei Wohnungen dem Mieter der zweiten Wohnung nicht ohne besonderen Grund kündigen kann, wenn er selbst die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr nutzt. |
Vermieterin wohnte überwiegend im Ausland
Zwischen der hauptsächlich im Ausland lebenden Vermieterin und den Mietern besteht ein Mietvertrag über eine Wohnung in einem Haus mit nur zwei Wohneinheiten. Sie selbst nutzt die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr. Die Vermieterin hat die Kündigung nach § 573 a BGB ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift kann der Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen jederzeit ohne Grund beenden. Die Mieter halten die Kündigung für unwirksam, weil die Vermieterin die andere Wohnung nicht im Sinne der Vorschrift bewohne. Das Amtsgericht (AG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat die Räumungsklage abgewiesen.
Lebensmittelpunkt erforderlich
Das LG hat die Berufung der Vermieterin zurückgewiesen. Für die erleichterte Kündigung nach § 573 a BGB reiche es nicht aus, dass der Vermieter die zweite Wohnung in dem Haus lediglich zusätzlich nutze, selbst, wenn das vereinzelt, wie für das Jahr 2021 behauptet, insgesamt 40 Wochen seien. Er müsse vielmehr seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung haben. Eine enge Auslegung der Vorschrift sei insbesondere deshalb geboten, weil diese es ermögliche, den Mietvertrag mit dem ansonsten von dem Gesetz erheblich geschützten Wohnraummieter zu beenden, ohne dass der Mieter eine Pflichtverletzung begangen oder der Vermieter sonst ein besonderes Interesse hieran habe.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Hanau, Urteil vom 15.11.2023, 2 S 107/22, PM vom 8.2.2024
| Dass ein Testament nicht zwingend auf einem weißen Blatt Papier entstehen muss, zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg. Es ging letztlich darum, ob jemand Erbe geworden war oder nicht. |
Gastwirt verstarb – Testament auf „Kneipenblock“
Verstorben war ein Gastwirt aus dem Landkreis Ammerland. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte, einen Erbschein zu erteilen. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname einer Person („X“) vermerkt. Auf dem Zettel hieß es lediglich „X bekommt alles“.
Amtsgericht: Testierwille fehlte
Das Amtsgericht (AG) sah die Partnerin nicht als Erbin an. Es war der Auffassung, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille.
Oberlandesgericht: Testament wirksam
Der auf das Erbrecht spezialisierte Senat des OLG gelangte zu einer anderen Bewertung. Der handschriftliche Text auf dem Zettel sei ein wirksames Testament.
Das OLG war aufgrund der Einzelheiten des Verfahrens überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück selbst verfasst hatte und dass er mit dem genannten Spitznamen allein seine Partnerin gemeint habe. Auch, dass der Erblasser mit der handschriftlichen Notiz seinen Nachlass verbindlich regeln wollte, stand für den Senat aufgrund von Zeugenangaben fest.
Dass sich die Notiz auf einer ungewöhnlichen Unterlage befinde, nicht als Testament bezeichnet und zudem hinter der Theke gelagert war, stehe der Einordnung als Testament nicht entgegen. Zum einen sei es eine Eigenart des Erblassers gewesen, für ihn wichtige Dokumente hinter dem Tresen zu lagern. Zum anderen reiche es für die Annahme eines Testaments aus, dass der Testierwille des Erblassers eindeutig zu ermitteln sei und die vom ihm erstellte Notiz seine Unterschrift trage. Das OLG stellte die Partnerin daher als rechtmäßige Erbin fest.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2023, 3 W 96/23, PM 10/24
| Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte der Klägerin eine Altersrente. Einen Grundrentenzuschlag nach dem Sozialgesetzbuch VI (hier: § 76 g SGB VI) für langjährige Versicherung berücksichtigte sie nicht, weil das anzurechnende Einkommen des Ehemannes höher als der Zuschlag war. Zu Recht, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun bestätigte. |
Klägerin rügte Grundrechtsverstoß
Die Klägerin rügte, dass die Einkommensanrechnung gemäß § 97 a Abs. 1 SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße. Verheiratete und unverheiratete Menschen würden ungleich behandelt und durch den Familienstand „verheiratet“ benachteiligt, weil das Gesetz eine Einkommensanrechnung bei unverheirateten Personen nicht vorsehe. Das SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid ab.
Landessozialgericht: kein Grundrechtsverstoß
Die dagegen gerichtete Berufung hat das LSG nun zurückgewiesen. Die von der Beklagten angewandte gesetzliche Regelung sei nicht verfassungswidrig. Der Nachteil der Einkommensanrechnung werde bei Gesamtbetrachtung aller an die Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft anknüpfenden Regelungen sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch in anderen Regelungsbereichen im Ergebnis ausgeglichen.
Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs
Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass das Ziel der Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers neben der Anerkennung der Lebensarbeitsleistung eine bessere finanzielle Versorgung von langjährig Versicherten sei. Dieses Ziel werde erreicht. Dem Grundrentenberechtigten verbleibe bei Einbeziehung des Einkommens des Ehegatten ein Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs. Er stehe besser da als jemand, der wenig oder gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend versichert gearbeitet habe und entsprechend wenig oder gar nicht in diese eingezahlt habe.
Das gelte zwar auch für jemanden, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit jemandem zusammenlebe, der entsprechende Einkünfte habe. Allerdings seien Ehepartner aufgrund der unterhaltsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung wirksamer als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft versorgt.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.1.2024, L 18R 707/22, PM vom 15.3.2024
| Allein mit der Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, kann der Auftraggeber das Architektenhonorar nicht wirksam mindern. Die Bezeichnung „im Allgemeinen erforderlich“ in § 3 Abs. 3 HOAI soll nämlich klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt notwendig sind, um die Vertragsziele zu erreichen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Maßgeblich sind die vertraglichen Vereinbarungen
Maßgeblich sind nach dem OLG nicht die in der HOAI genannten Leistungsbilder, sondern die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Was ein Planer vertraglich schuldet, ergibt sich aus dem Vertrag, in der Regel also aus dem Recht des Werkvertrags. Der Inhalt dieses Vertrags ist nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts zu ermitteln.
Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI geregelten „Leistungsbilder“ sind Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach.
Daraus folgt, dass es sich bei den Vorgaben des § 34 Abs. 3 und Anlage 10.1 HOAI nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe handelt.
Es müssen nicht stets alle Grundleistungen erbracht werden
Die in Anlage 10.1 aufgeführten Grundleistungen sind nicht alle zwingend für einen vollständigen Honoraranspruch zu erbringen, wenn dies für den vereinbarten Leistungsumfang nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 S. 1 HOAI, wonach die in den Leistungsbildern erfassten Grundleistungen im Allgemeinen zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags erforderlich sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht immer alle in der jeweiligen Leistungsphase aufgeführten Grundleistungen zur Lösung der jeweiligen konkreten Planungsaufgabe zwingend erbracht werden müssen. Sind bestimmte Grundleistungen nicht zur Lösung der konkreten Planungsaufgabe erforderlich, führt es nicht zu einer Honorarkürzung, wenn diese – nicht erforderlichen – Leistungen nicht erbracht wurden.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 7.2.2024, 14 U 12/23
| In letzter Zeit häufen sich die Entscheidungen dazu, dass es nicht zu den Aufgaben des Architekten gehört, Rechtsfragen zu bearbeiten. Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt eine neue Variante hinzugefügt und sich klar positioniert. |
Das OLG: Ob eine Nachtragsforderung des bauausführenden Unternehmers berechtigt ist, liegt außerhalb der Fragestellungen, für deren Richtigkeit der Architekt mit seiner Rechnungsprüfung im Verhältnis zum Auftraggeber einzustehen hat.
Quelle | OLG Frankfurt, Beschluss vom 2.3.2023, 21 U 69/21
| Ein Architekt, der bei der Gebäudesanierung seine Kunden nicht nur in technischer Hinsicht berät, sondern auch Ratschläge zum Erhalt von Fördermitteln erteilt, muss für Schäden einstehen, wenn er die Fördervoraussetzungen fehlerhaft einschätzt. So hat es das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Empfehlung des Architekten
Die Frau hatte sich zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann dazu entschlossen, ihr Mehrfamilienhaus energetisch sanieren zu lassen und wollte dafür möglichst auch Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Sie ließ sich dahingehend von einem Architekten beraten, der auch Leistungen im Bereich der Energieberatung anbietet. Dieser empfahl, das Objekt in Wohnungseigentum umzuwandeln, da dies eine Voraussetzung für die Gewährung von KfW-Fördermitteln im Rahmen des Programms „Energieeffizient Sanieren“ sei.
KfW verweigerte Fördermittel
Entsprechend der Beratung des Architekten stellte das Ehepaar den Antrag auf die Fördermittel, noch bevor die Umwandlung des Hauses in Wohnungseigentum vollzogen war. Nachdem die Sanierungsarbeiten durchgeführt und die Umwandlung in Wohnungseigentum abgeschlossen waren, rief das Ehepaar die Fördermittel ab. Die KfW verweigerte jedoch die Auszahlung, da nach den Förderbedingungen nur Eigentümer von bestehenden Eigentumswohnungen antragsberechtigt seien; eine Umwandlung in Wohnungseigentum erst nach Antragstellung genüge dagegen nicht. Die nun entgangenen Vorteile verlangten die Eigentümer von dem Architekten ersetzt.
Architekt erbrachte Rechtsdienstleistung
Das LG gab der Klage statt. Der Architekt habe nicht nur auf technischer Ebene zugearbeitet, sondern mit seiner beratenden Tätigkeit zu den Fördervoraussetzungen der geplanten Sanierungsmaßnahme eine sogenannte Rechtsdienstleistung erbracht. Da die Information über die Voraussetzungen für die KfW-Förderung der geplanten Maßnahme unzureichend gewesen sei, habe er seine Schutzpflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt. Hätten die Eheleute den Antrag erst nach der Umwandlung in Wohnungseigentum gestellt, hätten sie die Fördermittel erhalten. Den daraus entstandenen Schaden muss der Architekt nun erstatten.
Das LG: Der Architekt kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, er arbeite im Rahmen der Energieberatung nur auf technischer Ebene.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 25.1.2024, 7 O 13/23, PM vom 28.3.2024
| Ein ehemaliger Polizist hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit infolge früher wahrgenommener Tätigkeiten u. a. im Streifendienst. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Aachen entschieden. |
Der Kläger begründete, er sei während seiner nahezu 46-jährigen Dienstzeit zu erheblichen Teilen im Außendienst eingesetzt gewesen, ohne dass sein Dienstherr ihm Mittel zum UV-Schutz zur Verfügung gestellt oder auch auf die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen hingewiesen habe. Infolgedessen leide er unter Hautkrebs am Kopf, im Gesicht und an den Unterarmen.
Das VG hat die Ablehnung der Anerkennung als Berufskrankheit bestätigt, denn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall lägen hier nicht vor. Erforderlich ist im Fall von Hautkrebs durch UV-Strahlung, dass der Betroffene bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt ist, d. h. das Erkrankungsrisiko aufgrund der dienstlichen Tätigkeit in entscheidendem Maß höher als das der Allgemeinbevölkerung ist. Davon kann bei Polizeibeamten im Außendienst nicht die Rede sein. Polizisten bewegen sich in unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und nicht nur bei strahlendem Sonnenschein im Freien.
Quelle | VG Aachen, Urteil vom 15.4.2024, 1 K 2399/23, PM vom 15.4.2024
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat entschieden: Eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) scheidet aus, wenn der Bewerber eine klassische kaufmännische Ausbildung hat, die nicht mit der Laufbahn des mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Bundeswehrverwaltung) vergleichbar ist. Hat der Bewerber später nicht entsprechend seiner Qualifikation gearbeitet, sammelt er auch keine Zeiten „hauptberuflicher Tätigkeit“. |
Kläger erhielt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch
Der Kläger bewarb sich auf die o. g. Stelle und wurde nicht eingeladen. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) klagte er auf eine Entschädigung nach dem AGG (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 AGG) und unterlag. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG zurück. Zu Recht habe das VG ausnahmsweise eine Einladung eines schwerbehinderten Menschen durch einen öffentlichen Arbeitgeber als entbehrlich angesehen. Denn die fachliche Eignung fehlte offensichtlich.
Wesentliche Unterschiede in der Ausbildung
Der Kläger hatte eine Ausbildung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft absolviert. Deren Inhalte unterschieden sich wesentlich von denen, die im Vorbereitungsdienst für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst in der Bundeswehrverwaltung vermittelt würden und allein zur Laufbahnbefähigung für den mittleren Dienst führen könnten. Das VG verglich insoweit die Ausbildung des Klägers mit den Anforderungen des fachspezifischen Vorbereitungsdienstes. Er konnte auch nicht nachweisen, dass seine späteren hauptberuflichen Tätigkeiten seiner Qualifikation entsprachen bzw. anzuerkennen seien. Hier wäre ein Zeitraum von mindestens einem Jahr und sechs Monaten notwendig gewesen. Er hatte auf verschiedenen Stellen überwiegend einfache Büro- und Verwaltungsarbeiten ausgeführt, die häufig nicht einmal eine kaufmännische Ausbildung voraussetzten.
Quelle | OVG NRW, Urteil vom 8.5.2023, 1 A 3340/20
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Auch ein Abweichen von dem direkten Arbeitsweg kann unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert sein. Dabei muss aber ein ausreichender Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt gesetzlich etwa für einen vom Arbeitsweg abweichenden Weg in Betracht, um ein Kind wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. In einem solchen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nun eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. |
Begleitung auf dem Schulweg
Die Klägerin hatte ihre Tochter im Grundschulalter zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet, an dem sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg traf. Dieser Sammelpunkt lag, von der Wohnung der Klägerin aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg von dem Sammelpunkt zu ihrer Arbeit, aber noch vor Erreichen des Wegstücks von ihrer Wohnung zur Arbeit, wurde die Klägerin – als sie trotz einer roten Fußgängerampel eine Straße überquerte – von einem PKW erfasst. Sie erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche.
Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, bekam die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart zunächst recht. Sie hatte insbesondere geltend gemacht, dass die Begleitung ihrer Tochter aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen sei.
Landessozialgericht: Kein Arbeitsweg
Auf die Berufung des Unfallversicherungsträgers hat das LSG Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall setze, wie der zuständige Senat klargestellt hat, u. a. voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Klägerin habe sich zwar im Unfallzeitpunkt objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Dies sei aber nicht hinreichend, denn das Überqueren der Straße am Unfallort zum Unfallzeitpunkt sei nicht auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit erfolgt, sodass der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit fehle.
Entscheidend: nicht Umweg, sondern Abweg
Bewege sich der Versicherte – wie vorliegend die Klägerin – nicht auf einem direkten Weg in Richtung seines Ziels, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem fort, handele es sich eben nicht um einen bloßen Umweg, sondern um einen Abweg. Werde der direkte Weg mehr als geringfügig unterbrochen und ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen, also nicht betrieblichen Gründen – ebenfalls wie vorliegend – zurückgelegt, bestehe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe auch bis zum Eintritt des Unfallereignisses die unmittelbare Wegstrecke zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht. Der Wegeunfallversicherungsschutz sei damit zum Unfallzeitpunkt noch nicht erneut begründet worden.
Keine Ausnahme gegeben
Es liege auch kein ausnahmsweise versicherter Abweg vor. Die Klägerin habe ihre Tochter nicht – wie für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz insoweit erforderlich – zum Sammelpunkt begleitet, um ihrer Beschäftigung nachzugehen, sondern allein und ausschließlich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter. Damit fehle vorliegend jeglicher sachlich-inhaltlich kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung der Klägerin und dem Begleiten der Tochter. Denn erfasst würden keine Fälle, in denen das Kind in fremde Obhut unabhängig davon verbracht werde, ob der Versicherte seine Beschäftigung alsbald aufnehmen wolle. Schließlich stelle auch die Begleitung der Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von wo aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg beschritten, schon kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne des Gesetzes dar.
Beachten Sie | Wenn ein Unfall – wie in dem dargestellten Fall – nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst ist, wird Versicherungsschutz typischerweise durch die – gesetzliche oder private – Krankenversicherung gewährleistet. Auch sind Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen während des Schulbesuchs sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022, L 10 U 3232/21, PM vom 19.3.2024
Erbrecht
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass die Verpackung eines Produkts in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht („Mogelpackung“), wenn sie nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist. |
Verbraucherschutzverband klagte
Die Klägerin ist ein Verbraucherschutzverband. Die Beklagte vertreibt Kosmetik- und Körperpflegeprodukte. Die Beklagte bewarb auf ihrer Internetseite ein Herrenwaschgel in einer aus Kunststoff bestehenden Tube mit einer Füllmenge von 100 ml. In der Online-Werbung ist die Tube auf dem Verschlussdeckel stehend abgebildet. Sie ist im unteren Bereich des Verschlussdeckels transparent und gibt den Blick auf den orangefarbigen Inhalt frei. Der darüber befindliche, sich zum Falz der Tube stark verjüngende Bereich ist nicht durchsichtig, sondern silbern eingefärbt. Die Tube ist nur im durchsichtigen Bereich bis zum Beginn des oberen, nicht durchsichtigen Bereichs mit Waschgel befüllt.
Die Klägerin hält diese Werbung für unlauter, weil sie eine tatsächlich nicht gegebene nahezu vollständige Befüllung der Tube mit Waschgel suggeriere, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass die Verpackung zwar dann ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge als vorhanden vortäusche, wenn der Verbraucher sie im Rahmen des Erwerbs im Laden in Originalgröße wahrnehme. Im Fall des hier vorliegenden Online-Vertriebs fehle es jedoch an der Spürbarkeit eines Verstoßes, weil dem Verbraucher die konkrete Größe der Produktverpackung im Zeitpunkt der Beschäftigung mit dem Angebot und dem Erwerb des Produkts verborgen bleibe. Auch eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt der Täuschung über den Hohlraum in der Verpackung liege nicht vor.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH stellte klar: Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Insbesondere täuscht die beanstandete Produktgestaltung ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vor, als in ihr enthalten ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch eine spürbare Interessenbeeinträchtigung vor. Denn der Verkehr soll vor Fehlannahmen über die relative Füllmenge einer Fertigpackung („Mogelpackung“) geschützt werden. Dieser Schutzzweck ist unabhängig vom Vertriebsweg stets betroffen, wenn – wie im Streitfall – eine Fertigpackung ihrer Gestaltung und Befüllung nach in relevanter Weise über ihre relative Füllmenge täuscht.
Der Bundesgerichtshof hat die Beklagte daher zur Unterlassung verurteilt.
Die beanstandete Internetwerbung für das Waschgel verstößt gegen das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG). Eine wettbewerblich relevante Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung liegt unabhängig von dem konkret beanstandeten Werbemedium grundsätzlich vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht. Dies ist hier der Fall, da die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist und weder die Aufmachung der Verpackung das Vortäuschen einer größeren Füllmenge zuverlässig verhindert noch die gegebene Füllmenge auf technischen Erfordernissen beruht.
Quelle | BGH, Urteil vom 29.5.2024, I ZR 43/23, PM 119/24
| Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde mit Wirkung zum 1.1.2024 von 35 Euro auf 50 Euro erhöht. Diese Freigrenze gilt auch umsatzsteuerlich. Daher wurde der Umsatzsteuer-Anwendungserlass angepasst. |
Hintergrund: Für den Vorsteuerabzug kommt es (wie beim Betriebsausgabenabzug) auf die Höhe der Aufwendungen der Geschenke für jeden einzelnen Empfänger im Jahr an. Das bedeutet: Übersteigen die Aufwendungen 50 Euro nicht, ist der Vorsteuerabzug nach den Maßgaben des § 15 Umsatzsteuergesetz zulässig.
Beachten Sie | Sind Unternehmen zum Vorsteuerabzug berechtigt, ist die 50 Euro-Grenze eine Nettogrenze, ohne Vorsteuerabzugsberechtigung handelt es sich um eine Bruttogrenze.
Beispiel
Geschäftsfreund A erhält von der B-GmbH ein Geschenk im Wert von 55 Euro (inklusive 19 % Umsatzsteuer). Ein weiteres Geschenk an A ist für 2024 nicht vorgesehen. Da die B-GmbH zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, sind die Kosten unter den weiteren Voraussetzungen als Betriebsausgaben abzugsfähig (55 Euro/1,19 = 46,22 Euro).
Quelle | BMF-Schreiben vom 12.7.2024, III C 3 - S 7015/23/10002 :001 zur Anpassung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
| In der Versendung einer Gratisbeigabe (hier: Kopfhörer) liegt der Kaufvertragsabschluss über das Hauptprodukt (hier: Smartphone zu 92 Euro aufgrund eines Preisfehlers). So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. |
Im Onlinehandel liegt in der Übersendung einer Gratisbeigabe, deren Versendung einen Kaufvertrag über ein Hauptprodukt voraussetzt, auch die Annahme des Antrags auf Abschluss eines Kaufvertrags über das noch nicht versandte Hauptprodukt. Trotz eines sog. Preisfehlers kann der Kläger die Lieferung von neuen Smartphones zu 92 Euro statt 1.099 Euro laut unverbindlicher Preisempfehlung (UVP) verlangen, bestätigte das OLG.
Das war geschehen
Der Kläger nimmt die Beklagte auf die Lieferung und Übereignung von neun Smartphones in Anspruch. Die Beklagte betreibt den deutschen Onlineshop eines weltweit tätigen Elektronikkonzerns. Laut ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) liegt in einer Kundenbestellung über den Button „jetzt kaufen“ ein bindendes Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags. Die Auftragsbestätigung der Beklagten ist demnach noch keine Annahme dieses Angebots. Ein Kaufvertrag kommt laut AGB zustande, wenn die Beklagte das bestellte Produkt an den Käufer versendet und dies mit einer Versandbestätigung bestätigt. Dabei bezieht sich der Vertrag nur auf die in der Versandbestätigung bestätigten oder gelieferten Produkte.
Durch einen sogenannten Preisfehler bot die Beklagte online Smartphones für 92 Euro an. Der UVP für diese Produkte betrug 1.099 Euro. Zeitgleich bot die Beklagte bei Bestellungen bestimmte Kopfhörer als Gratisbeigabe an. Der Kläger bestellte im Rahmen von drei Bestellungen neun Smartphones sowie vier Gratis-Kopfhörer. Die Kaufpreise zahlte er umgehend. Noch im Laufe des Bestelltags änderte die Beklagte den Angebotspreis auf 928 Euro. Zwei Tage nach den Bestellungen versandte sie die vier Paar Kopfhörer an den Kläger und teilte dies jeweils per Mail mit. Knapp zwei Wochen später stornierte sie die Bestellung unter Verweis auf einen gravierenden Preisfehler. Der Kläger begehrt nun die Lieferung und Übereignung der Smartphones.
Gerichtliche Instanzen sind sich einig
Das Landgericht (LG) hatte der Klage stattgegeben. Diese Auffassung teilte das OLG im Rahmen seines Hinweisbeschlusses, der zur Rücknahme der Berufung führte: Zwischen den Parteien seien Kaufverträge über insgesamt neun Smartphones zustande gekommen. In den automatisiert erstellten Bestellbestätigungen liege zwar noch keine Annahmeerklärung, sondern allein die Bestätigung des Eingangs einer Bestellung.
Mit der Übersendung der Gratis-Kopfhörer habe die Beklagte jedoch den Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags auch in Bezug auf die in der jeweiligen Bestellung enthaltenen Smartphones angenommen: „Denn anders, als wenn in einer Bestellung mehrere kostenpflichtige Artikel zusammengefasst werden, war unbedingte Voraussetzung der kostenlosen Übersendung der Kopfhörer der Erwerb eines Smartphones. Zwischen dem Erwerb des Smartphones und der Übersendung der Kopfhörer bestand ein untrennbarer Zusammenhang dergestalt, dass die kostenlose Übersendung der Kopfhörer das wirksame Zustandekommen eines Kaufvertrags über das Hauptprodukt - das Smartphone – voraussetzt“, begründete das OLG.
Preisfehler ist dem Unternehmen zuzurechnen
Der Kläger habe die Mitteilung, dass sämtliche versprochenen Gratisbeigaben nun verschickt seien, nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte so verstehen dürfen, dass damit auch die Kaufverträge über die Smartphones bestätigt würden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass unstreitig der Preis für die Smartphones bereits am Bestelltag selbst auf 928 Euro korrigiert worden sei. Ab diesem Zeitpunkt sei daher von der Kenntnis von dem Preisfehler im Haus der Beklagten auszugehen. Dies sei ihr insgesamt zuzurechnen.
Quelle | OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 18.4.2024, 9 U 11/23, PM 38/24
| Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat Folgendes entschieden: Ist ein Geschäftsführer einer GmbH nicht am Gesellschaftskapital beteiligt, unterliegt er selbst dann der Sozialversicherungspflicht, wenn er die Geschäfte der Gesellschaft faktisch wie ein Alleininhaber führt. |
Hintergrund: Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Diese Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH.
Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei dem Geschäftsführer einer GmbH in erster Linie danach, ob er nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen.
Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der
- mindestens 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder
- bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag über eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt.
Beachten Sie | Hiervon kann auch bei besonderer Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen nicht abgesehen werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Betroffene faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führt, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hindern, er also „Kopf und Seele“ der Gesellschaft ist. So lautet die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Im Streitfall war der Ehemann als Fremd-Geschäftsführer am Stammkapital der GmbH nicht beteiligt. Alleinige Gesellschafterin war vielmehr seine Ehefrau, deren Weisungsrecht er unterlag. Diese Weisungsgebundenheit war weder aufgehoben noch eingeschränkt. Für das LSG Nordrhein-Westfalen war es unerheblich, dass der Ehemann die Möglichkeit hatte, als Vermieter der Betriebsstätte und wesentlicher Betriebsmittel sowie als Darlehensgeber wirtschaftlichen Druck auf die GmbH auszuüben. Denn dies eröffnet dem Fremd-Geschäftsführer keine erforderliche umfassende Einflussmöglichkeit, die der Stellung eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers entspricht.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.4.2024, L 8 BA 126/23, BSG, Urteil vom 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R
| Für Aussetzungszinsen gilt ein gesetzlicher Zinssatz von 6 % p. a. (0,5 % pro Monat). Diese Höhe hält der Bundesfinanzhof (BFH) fürverfassungswidrig und hat daher das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angerufen. |
Aussetzungszinsen
Ein Einspruch und eine Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: Der Steuerpflichtige muss die festgesetzte Steuer zunächst zahlen.
Beachten Sie | Auf Antrag soll aber eine Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese sogenannte Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist in der Abgabenordnung (§ 361 AO) geregelt.
Für den Steuerpflichtigen bedeutet das, dass er die Steuer zunächst nicht zahlen muss. Es droht aber eine Belastung mit Zinsen, wenn sein Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer „nachträglich“ zahlen muss. Er muss dann nämlich für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat (6 % p. a.) entrichten. Die Höhe dieser Aussetzungszinsen regelt § 237 i. V. mit 238 Abs. 1 S. 1 AO.
Nachzahlungs-/Erstattungszinsen
Es gibt allerdings auch andere Verzinsungstatbestände, z. B.für Steuererstattungen und Steuernachzahlungen. Hier war der Gesetzgeber wegeneines Beschlusses des BVerfG vom 8.7.2021 verpflichtet, den Zinssatz von 0,5 %pro Monat bzw. von 6 % p. a. anzupassen. Da sich der Beschluss des BVerfGallerdings nicht auf die Aussetzungszinsen und andereTeilverzinsungstatbestände erstreckte, wurde der Gesetzgeber nur bei denNachzahlungs- und Erstattungszinsen tätig. Hier beträgt der Zinssatz seit dem1.1.2019 nun lediglich 0,15 % pro Monat bzw. 1,8 % pro Jahr.
Bundesfinanzhof hält6 % AdV-Zinsen p. a. für verfassungswidrig
Nach Auffassung des BFH ist ein Zinssatz i. H. von 6 % p. a. für Aussetzungszinsen im Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist dieser Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen.
Zudem werden Steuerpflichtige, die AdV-Zinsen schulden und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, seit dem 1.1.2019 ungleich behandelt. Diese Zinssatzspreizung ist für den BFH verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Quelle | BFH, Beschluss vom 8.5.2024, VIII R 9/23, BFH, PM Nr. 34/24 vom 22.8.2024; BVerfG, Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17
| Für die Jahre 2022 bis 2026 gilt ab dem 21. Entfernungskilometer eine erhöhte Entfernungspauschale i. H. von 0,38 Euro. Für die ersten 20 Kilometer erfolgte indes keine Anpassung (weiterhin 0,30 Euro). Dagegen hatte ein Arbeitnehmer geklagt. Denn wegen seiner geringen Entfernung (acht Kilometer zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte) partizipierte er von der Erhöhung nicht. Die Klage hatte jedoch keinen Erfolg. Denn das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg hält die Neuregelung nicht fürverfassungswidrig. Das FG hatte jedoch die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Doch sie wurde nicht eingelegt, sodass das Urteil rechtskräftig ist. |
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.3.2024, 16 K 16092/23
| Aufwendungen für Handwerkerleistungen sind bei einer Vorauszahlung nicht steuerbegünstigt, wenn diese im Veranlagungszeitraum vor Ausführung der Handwerkerleistungen eigenmächtig erbracht wird. Dies hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf entschieden. |
Hintergrund: Für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen erhalten Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung in Höhe von 20 % der Aufwendungen (nur Lohnkosten) gemäß Einkommensteuergesetz (§ 35 a Abs. 3 EStG), höchstens jedoch 1.200 Euro im Jahr. Die Steuerermäßigung setzt voraus, dass der Steuerpflichtige eine Rechnung erhält und die Zahlung auf das Konto des Erbringers der Handwerkerleistung erfolgt.
Nach der Entscheidung des FG Düsseldorf genügt eine per E-Mail seitens des Auftraggebers mitgeteilte und eigenmächtig vorgenommene Vorauszahlung dem Rechnungserfordernis (gemäß § 35 a Abs. 5 S. 3 EStG) nicht. Im Streitfall hatte ein Ehepaar in den letzten Tagen des Jahres 2022 einen Abschlagsbetrag – ohne Aufforderung des Handwerksbetriebs – überwiesen, obwohl die Arbeiten erst im Jahr 2023 durchgeführt und auch dann erst in Rechnung gestellt werden sollten.
Vorauszahlungen können nur steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie marktüblich sind. Eine Anzahlung ohne jegliche Aufforderung des Leistungserbringers, mithin letztlich „ins Blaue hinein“, ist weder als marktüblich noch als sonst sachlich begründet anzusehen.
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 18.7.2024, 14 K 1966/23 E
| Der Betrieb eines Weinautomaten auf einem Privatgrundstück darf verboten werden. Das ergibt sich aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Koblenz. |
Verstoß gegen Jugendschutz?
Die Klägerin betreibt einen Automaten, in dem sie selbsterzeugten Wein und Sekt zum Verkauf anbietet. Der Automat steht seit Anfang 2023 auf einem Privatgrundstück; er ist an der Grenze zum öffentlichen Verkehrsraum aufgestellt und nur von der Straße aus zu bedienen. Ende April 2023 gab die Gemeinde der Klägerin gemäß Jugendschutzgesetz auf, den Weinautomaten außer Betrieb zu nehmen. Die Klägerin erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage.
Kein Verkauf in der Öffentlichkeit
Die Klage hatte keinen Erfolg. Die Klägerin, so das VG, dürfe den Weinautomaten aufgrund der Vorschriften des Jugendschutzgesetzes nicht betreiben. Denn danach dürften alkoholische Getränke in der Öffentlichkeit nicht in Automaten angeboten werden. Zwar sehe das Jugendschutzgesetz eine Ausnahme davon u. a. vor, wenn der Weinautomat in einem gewerblich genutzten Raum aufgestellt sei. An dieser Voraussetzung fehle es jedoch, da sich derAutomat auf dem Privatgrundstück der Klägerin befinde. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass Zigarettenautomaten – unabhängig von dem Belegenheitsort – bereits dann aufgestellt werden dürften, wenn eine jugendschutzkonforme Abgabe durch technische Vorrichtungen sichergestellt sei. Die unterschiedliche Behandlung von Zigaretten- und Alkoholautomaten sei aufgrund der verschiedenen Wirkweisen von Nikotin und Alkohol gerechtfertigt.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 27.5.2024, 3 K 972/23.KO, PM 14/24
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Sie erfasst Arbeitnehmer, teilweise sind aber auch Unternehmer versichert oder können sich freiwillig versichern lassen. Voraussetzung des Versicherungsschutzes bei einem Unfall ist dabei, dass dieser bei der versicherten betrieblichen Tätigkeit erfolgt und damit ein Arbeitsunfall ist. Was zur betrieblichen Tätigkeit und was zum privaten Bereich gehört, ist oft strittig und Kernfrage sozialgerichtlicher Verfahren. Einen solchen Fall hatte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zu klären. |
Fahrlehrer suchte passende Strecke
Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls war in einem Fall eines selbstständigen und gesetzlich unfallversicherten Motorrad-Fahrtrainers – dem Kläger – vor dem LSG zu klären. Der Kläger erlitt eine Luxation der linken Schulter, als er im April 2019 bei einer allein unternommenen Fahrt mit ca. 50 km/h in einer Kurve stürzte. Der Unfallort lag etwa 50 km von seinem Wohn- und Unternehmenssitz im Landkreis Tübingen entfernt. Seiner gesetzlichen Unfallversicherung – der Beklagten – teilte er mit, er habe am nächsten Tag einen Schüler mit speziellen Problemen bei Serpentinen gehabt und sei deswegen auf der Suche nach der passenden Strecke für die Schulung gewesen. Er könne sein Fahrtraining nur ordentlich durchführen, wenn er perfekte Orts- und Straßenkenntnisse habe. Umso wichtiger sei dies am Anfang der Saison, da sich über den Winter Straßen oft gravierend verändern würden.
Keine Anerkennung als Arbeitsunfall
Die Beklagte erkannte das Ereignis nicht als Arbeitsunfall an, da es sich um eine unversicherte Vorbereitungshandlung gehandelt habe. Vorbereitende Tätigkeiten wie z. B. eine „Erkundigungsfahrt“ zur Arbeit seien grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. Ausnahmsweise seien Vorbereitungshandlungen u. a. versichert, wenn der jeweilige Versicherungstatbestand nach seinem Schutzzweck auch Vor- und Nachbereitungshandlungen erfasse, die für die versicherte Hauptverrichtung im Einzelfall notwendig sind und in einem sehr engen sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Hier fehle es an einem engen Zusammenhang zwischen der behaupteten Vorbereitungshandlung und der erst am Folgetag vorgesehenen versicherten Tätigkeit.
Erfolg in der Berufung
Nachdem das Sozialgericht (SG) die Klage in erster Instanz abwies, hatte der Kläger mit seiner Berufung Erfolg. Das LSG Baden-Württemberg stellte fest, dass der fragliche Unfall ein Arbeitsunfall gewesen ist.
Landessozialgericht sah versicherte Tätigkeit
Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass die Unfallfahrt zu der versicherten Tätigkeit des Klägers gehört habe. Dieser sei zu seiner unfallbringenden Motorradfahrt allein aus dem Grund aufgebrochen, um für seine am nächsten Tag geplante Trainingsfahrt eine geeignete und sichere Strecke zu testen, was objektiv dem Ziel seines bei der Beklagten versicherten Unternehmens gedient und hierzu auch nicht in einem wirtschaftlichen Missverhältnis gestanden habe. Zwar könne es unwirtschaftlich erscheinen, für ein Fahrsicherheitstraining von ca. einem halben Tag Dauer eine so weit vom Wohnsitz des Klägers entfernte Strecke zu wählen, und diese dann auch noch am Vorabend auf eigene Kosten abzufahren. Insoweit sei aber wiederum der Hinweis des Klägers nachvollziehbar, dass bereits auf der Hinfahrt zu der Strecke der Fahrschüler professionell beobachtet werde. Zudem sei eine solche Erkundungsfahrt auch nach den Einlassungen des Klägers nicht die Regel und sei hier vorrangig dem Beginn der Motorradsaison und den hiermit verbundenen Unwägbarkeiten bezüglich geeigneter Straßenbeläge geschuldet gewesen.
Sofern – wie hier – festzustellen sei, dass eine Tätigkeit selbst als versicherte Tätigkeit anzusehen ist, könne diese nicht mehr als unversicherte Vorbereitungshandlung qualifiziert werden. Es habe zur seriösen Geschäftsausübung des Klägers gehört, dass er Fahrsicherheitstrainings nicht auf Strecken anbot, die nach der Winterpause ein unbekanntes Gefahrenpotential aufwiesen. Das Abfahren der Strecke sei daher objektiv sinnvoll und Teil der den Fahrschülern geschuldeten Hauptleistung als vertragliche Nebenpflicht, durch geeignete Maßnahmen eine Gefährdung der Fahrschüler so weit wie möglich und vertretbar zu reduzieren.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.4.2024, L 3 AS 101/24, PM vom 2.4.2024
| Kauft ein Pfandleihhaus ein Kraftfahrzeug an, um es anschließend an den Verkäufer wieder zu vermieten und beträgt der Marktwert des Fahrzeugs das Fünf- bis Sechsfache des vereinbarten Kaufpreises, sind Kauf- und Mietvertrag wegen Wucher nichtig. Der Verkäufer kann die gezahlten Mieten zurückverlangen, ohne sich den erhaltenen Kaufpreis anrechnen lassen zu müssen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Pfandhaus kauft Fahrzeuge an und vermietet sie wieder
Die Beklagte betreibt bundesweit ein staatlich zugelassenes Pfandleihhaus. Ihr Geschäftsmodell ist darauf gerichtet, Kraftfahrzeuge den Eigentümern abzukaufen und sie ihnen nachfolgend gegen monatliche Zahlungen zu vermieten. Nach Ende der Mietzeit erhält die Beklagte das Fahrzeug zurück und darf es öffentlich versteigern.
Die Klägerin verkaufte ihr Fahrzeug 2020 an die Beklagte für 3.000 Euro. Der Händlereinkaufspreis lag bei rund 15.000 Euro, der objektive Marktwert bei mehr als 18.000 Euro. Anschließend mietete die Klägerin das Fahrzeug für 297 Euro monatlich zurück und übernahm die Kosten für Steuern, Versicherung, Wartung und Reparaturen. Nach Kündigung des Vertrags durch die Beklagte gab die Klägerin das Fahrzeug nicht zurück. Der Beklagten gelang es nicht, das Fahrzeug sicherzustellen.
Klage erfolglos
Auf die Klage hin verurteilte das Landgericht (LG) die Beklagte, die geleistete Miete zurückzuzahlen und stellte fest, dass die Klägerin ihr Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren hat. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Sittenwidrigkeit: Kauf- und Mietvertrag nichtig
Sowohl der Kauf- als auch der Mietvertrag seien nichtig, begründete das OLG seine Entscheidung. Sie seien als wucherähnliche Geschäfte sittenwidrig. Es liege ein grobes und auffälliges Missverhältnis zwischen Marktwert und Kaufpreis vor, da gemäß den überzeugenden sachverständigen Ausführungen der Marktwert des Fahrzeugs über dem fünf- bis sechsfachen des Kaufpreises gelegen habe.
Auf die verwerfliche Gesinnung der Beklagten könne angesichts dieses Missverhältnisses ohne Weiteres geschlossen werden. Angesichts des Geschäftsmodells sei auch davon auszugehen, dass sich die Beklagte den mit Abschluss des Kaufvertrags erzielten Mehrwert endgültig habe einverleiben wollen, auch wenn im Fall der Versteigerung des Fahrzeugs nach Mietende ein etwaiger Mehrerlös dem Verkäufer hätte zugewandt werden müssen. Kauf- und Mietvertrag bildeten dabei ein einheitliches Rechtsgeschäft. Die Klägerin habe das Fahrzeug nur verkaufen wollen, wenn sie es zugleich weiternutzen könne. Der Mietvertrag sei damit ebenfalls nichtig und die gezahlte Miete zurückzuzahlen.
Keine Rückzahlung des Kaufpreises
Obwohl die Klägerin das Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren habe, müsse sie wegen der sittenwidrigen Übervorteilung auch nicht den Kaufpreis an die Beklagte zurückzahlen. Die Beklagte könne den Kaufpreis nicht zurückverlangen, da ihr objektiv ein Sittenverstoß anzulasten sei und sie sich angesichts des auffälligen Missverhältnisses der Rechtswidrigkeit ihres Handelns zumindest leichtfertig verschlossen habe.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.4.2024, 2 U 115/20, PM 26/24
| Das Dach eines Flachdachanbaus einer WEG-Anlage ist selbst dann Gemeinschaftseigentum, wenn alle darunterliegenden Räume zu einer Sondereigentumseinheit gehören. Für die Gültigkeit eines Grundlagenbeschlusses ist es daher nicht erforderlich, dass der Beschlussersetzungsantrag auch die inhaltliche Konkretisierung umfasst. Diese Konkretisierungen können den Eigentümern überlassen werden. So sieht es das Landgericht (LG) Karlsruhe. |
Das Dach sollte instand gesetzt werden
Gestritten wurde um die Instandsetzung des Dachs über einer Gaststättenküche in einer WEG-Anlage, die im Sondereigentum eines Eigentümers steht und ein eigenes Flachdach hat. In der Teilungserklärung ist das Sondereigentum als „Einrichtungen und Anlagen“ definiert, soweit diese nicht dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienen, sondern nur dem Sondereigentümer zu dienen bestimmt sind. Der Eigentümer begehrte durch Beschlussersetzung, dass die Instandsetzung des Dachs beschlossen wird. Die Wohnungseigentümergemeinschaft war der Ansicht, dass der Eigentümer die Instandsetzungskosten allein tragen müsse. Für die Beschlussersetzung fehle es an der sogenannten Ermessensreduzierung auf Null.
Beschluss war ungültig
Das Amtsgericht (AG) hatte der Klage zunächst stattgegeben. Die Berufung vor dem LG hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der Negativbeschluss sei ungültig, so das LG in zweiter Instanz. Die Ablehnung einer positiven Beschlussfassung widerspreche ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn der Anspruch offenkundig und ohne jeden vernünftigen Zweifel gegeben sei. Das habe schon der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.
Ein Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme, die die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums betreffe, bestehe nur, wenn sich das Ermessen der Gemeinschaft im Einzelfall auf Null reduziert habe, sich also jede andere Entscheidung als ermessensfehlerhaft darstellte. Die abgelehnte Sanierung sei dringend erforderlich und stelle eine notwendige Instandsetzungsmaßnahme dar.
Konstruktive Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig
Bei dem Dach handele es sich auch nicht um Sondereigentum.
Das LG hat klargestellt, dass die konstruktiven Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig sind, selbst wenn alle Räume des Gebäudes dem Sondereigentum eines Eigentümers unterliegen. Unerheblich ist eine mögliche widersprechende Regelung in der Teilungserklärung. Denn eine Regelung, die nicht sondereigentumsfähige Gebäudeteile zum Inhalt des Sondereigentums erklärt, ist nichtig.
Zulässig sei es, lediglich einen Grundlagenbeschluss zu treffen, also anzuordnen, dass eine Instandsetzung bestimmter Bauteile zu erfolgen habe, und den Wohnungseigentümern im Übrigen die weitere inhaltliche Konkretisierung (Auswahl des Fachunternehmens, Finanzierung der Maßnahme, etc.) zustehe. Es sei also nicht zu beanstanden, dass der Beschlussersetzungsantrag nur auf das „Ob“ der Instandsetzung, nicht jedoch bereits auf das „Wie“ ziele.
Quelle | LG Karlsruhe, Urteil vom 8.3.2024, 11 S 53/22
| Ein Vermieter muss nicht schon für jede mehr als unerhebliche Beeinträchtigung des bis zur Veränderung der äußeren Umstände gewohnten Nutzens der Mietsache einstehen. Er haftet nur für solche Umfeldveränderungen, die er selber nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 906 BGB) abwehren kann oder nur gegen Ausgleichszahlung hinnehmen muss. Die Freiheit von dahinter zurückbleibenden Einwirkungen auf das Grundstück, die ein Grundstückseigentümer ausgleichslos hinnehmen muss, sind danach gar nicht Gegenstand des vertraglichen Leistungsversprechens des Vermieters und der Gewährleistung. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Vorinstanz: Mieterin hat nicht genug vorgetragen
Die Wohnungsmieterin verlangte von der Vermieterin eine Mietminderung. Sie behauptete, die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung sei durch eine Baustelle auf dem Nachbargrundstück erheblich beeinträchtigt. Vor dem AG hatte sie damit keinen Erfolg. Sie habe nicht schlüssig dargetan, dass der Nutzen der Wohnung durch die Baustelle über das hinzunehmende Maß hinaus beeinträchtigt gewesen sei, so das AG. Darüber hinaus habe die Mieterin zur konkreten Beeinträchtigung des Wohnungsnutzens nicht ausreichend vorgetragen, sondern nur geltend gemacht, dass sie die Mieträume lediglich in Baupausen habe lüften können. Soweit sie die Unbenutzbarkeit des Balkons wegen Lärm und Staub behauptet habe, sei das unschlüssig, weil unklar bleibe, wo sich der Balkon im Verhältnis zur Baustelle auf dem Nachbargrundstück befinde.
Im Berufungsverfahren argumentierte die Mieterin, dass sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ausreichend zu den Auswirkungen der Baumaßnahmen vorgetragen habe; das Gericht müsse sich nun in einer Beweisaufnahme davon überzeugen, ob ein Mangel vorliege oder nicht.
So sah es das Landgericht
Das sah das LG anders und wies die Berufung zurück. Die Baumaßnahmen hätten nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung geführt, die die Vermieterin nicht gemäß § 906 Abs. 2 S. 1 BGB hätte unterbinden können oder gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB nur gegen eine angemessene Ausgleichszahlung hätte dulden müssen.
Beeinträchtigung war durch Dritte verursacht
Das Risiko einer nach Mietvertragsschluss – auch zufällig – eintretenden Verringerung des Nutzens der Mietsache sei nicht dem Vermieter zuzuordnen, da es sich bei einer durch Dritte verursachten Nutzungsbeeinträchtigung aus Sicht beider Vertragsparteien um ein unabwendbares Ereignis handeln könne, für das ein Vermieter erkennbar keine Haftung übernehmen wolle und billigerweise auch nicht übernehmen müsse.
An die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung sei der in der Rechtsprechung entwickelte strenge Maßstab anzulegen, der auch bei der unmittelbaren Anwendung des § 906 BGB im Nachbarschaftsrecht gelte. Andernfalls liefe das Kriterium nicht nur weitgehend leer, sondern der Vermieter wäre Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt, ohne erfolgreich gegen den Grundstücksnachbarn als Verursacher der Störungen vorgehen und diesen gegebenenfalls in Regress nehmen zu können.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 8.2.2024, 64 S 319/21
| Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte die Frage zu entscheiden, ob die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit gegeben ist. |
Der Erblasser, ein kinderloser deutscher Staatsangehöriger, ist im Jahr 2023 in einem Pflegeheim in Polen verstorben. Zuvor lebte er mit seiner (zweiten) Ehefrau sowie in verschiedenen Pflegeheimen in Deutschland. Anfang 2022 machte sich bei ihm eine zunehmende Demenz bemerkbar, die ihn zum Pflegefall machte. Seit April 2023 lebte er in einem Pflegeheim in Polen. Dort hatte er kein Vermögen, er sprach kein polnisch und hatte familiäre sowie soziale Verbindungen allein nach Deutschland. Er wurde gegen bzw. ohne seinen Willen in dem Pflegeheim in Polen untergebracht. Nach dem Tod des Erblassers stellte seine Ehefrau einen Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins beim Nachlassgericht des Amtsgerichts (AG) Singen. Dies hat den Antrag mangels internationaler Zuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.12 (Art. 4 EuErbVO) zurückgewiesen. Der dagegen gerichteten Beschwerde hat das AG nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
Das OLG Karlsruhe hat den Beschluss des Nachlassgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben sei, weil der Erblasser seinen (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe.
Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ sei unionsautonom (gem. Art 23 u. 24 EuErbVO) auszulegen. In objektiver Hinsicht müsse zumindest ein tatsächlicher Aufenthalt („körperliche Anwesenheit“) gegeben sein, auf eine konkrete Dauer oder die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts komme es hingegen nicht an. Unschädlich sei auch eine vorübergehende Abwesenheit, soweit ein Rückkehrwille bestand. In subjektiver Hinsicht sei das Vorliegen eines animus manendi (Bleibewille) erforderlich, also der nach außen manifestierte Wille, seinen Lebensmittelpunkt am Ort des tatsächlichen Aufenthalts auf Dauer zu begründen. Eines rechtsgeschäftlichen Willens bedürfe es insoweit nicht. Werden pflegebedürftige Personen in ausländischen Pflegeheimen untergebracht, komme es ebenfalls grundsätzlich auf deren Bleibewillen an. Könnten diese zum Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels keinen eigenen Willen mehr bilden oder erfolgt die Unterbringung gegen ihren Willen, fehle es an dem für die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts erforderlichen Bleibewillens. Dies sei hier der Fall.
Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.7.2024, 14 W 50/24 Wx
| Im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragte die Antragstellerin B., ungedeckte Heimkosten zu erstatten. B. bezieht verschiedene Renten; weiter hatte sie Mitte 2018 ihr hälftiges Grundstückseigentum sowie darüber hinaus ihren Anteil an der Erbengemeinschaft nach ihrem Mann unentgeltlich an ihre Kinder übertragen. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat den Antrag der B. zurückgewiesen. Sie verfüge sowohl über Einkommen als auch über Vermögen, das sie vorrangig zur Beseitigung ihrer Hilfsbedürftigkeit einsetzen muss. Erst nach dessen Verbrauch könne ein erneuter Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt werden. |
Das Einkommen der B. besteht aus Rentenansprüchen. Neben diesem Einkommen, das vollständig einzusetzen ist, kann (und muss) B. auch über ihr Vermögen verfügen. Dieses besteht in Form eines Schenkungsrückforderungsanspruchs gegenüber ihren Kindern. Denn der Schenker kann von den Beschenkten die Herausgabe des Geschenks verlangen, wenn er nach Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten.
Der Anspruch ist erst ausgeschlossen, wenn zehn Jahre seit der Schenkung vergangen sind. Diese Frist war hier noch nicht abgelaufen. Die Beschenkten können die Herausgabe allerdings durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags abwenden.
Quelle | SG Lüneburg, Beschluss vom 21.5.2024, S 38 SO 23/24 ER
| Der Eigentümer eines denkmalgeschützten Wohngebäudes hat Anspruch auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzaunes auf seinem Grundstück. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks mit einem Wohngebäude, das seit 1998 als Kulturdenkmal unter Schutz gestellt ist. Seinen Antrag auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzauns auf der bestehenden, zwischen einem und 1,60 Meter hohen Einfriedungsmauer entlang der Straße lehnte die beklagte Stadt ab. Seine entsprechende Klage wies das Verwaltungsgericht (VG) ab. Auf seine Berufung hob das OVG das Urteil des VG auf und verpflichtete die Beklagte, ihm die beantragte Genehmigung zu erteilen.
Es stehe außer Frage, dass der Solarzaun einer Genehmigung bedürfe. Diese werde nach dem rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetz (hier: § 13 Abs. 2 DSchG) nur erteilt, wenn entweder (1.) Belange des Denkmalschutzes nicht entgegenstünden oder wenn (2.) andere Erfordernisse des Gemeinwohls oder private Belange diejenigen des Denkmalschutzes überwiegen würden und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne. Zwar sei mit dem VG davon auszugehen, dass Belange des Denkmalschutzes im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 1 DSchG einer Genehmigung entgegen stünden. Das Vorhaben des Klägers erfülle aber die Anforderungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 DSchG, weil andere Erfordernisse des Gemeinwohls vorrangig seien und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne.
Das öffentliche Interesse an der Errichtung des Solarzauns sei vorliegend von solchem Gewicht, dass das Interesse an der unveränderten Erhaltung des Erscheinungsbildes des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes zurückzustehen habe und die Erteilung der Genehmigung geboten erscheine. Dies folge aus § 2 des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz) – EEG. Danach lägen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dienten der öffentlichen Sicherheit. Besondere atypische Umstände, die ein abweichendes Ergebnis der Abwägung nach sich zögen, seien nicht ersichtlich.
Den somit bestehenden überwiegenden Interessen des Gemeinwohls könne auch nicht auf sonstige Weise Rechnung getragen werden. Der Schutzzweck des § 2 EEG stehe einer Prüfung von alternativen Standorten für Anlagen der erneuerbaren Energien an anderen Stellen des klägerischen Grundstücks von vornherein entgegen. Unabhängig davon komme ein Alternativstandort für eine Solaranlage auf dem Grundstück des Klägers auch tatsächlich nicht in Betracht.
Quelle | OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.8.2024, 1 A 10604/23.OVG, PM 14/24
| Ein Landkreis hatte einem Ehepaar untersagt, im Garten ihres Wohngrundstücks Minischweine zu halten. Das Ehepaar klagte dagegen vor dem Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt a. M. – erfolglos. |
Anwohner beschwerten sich
Die Kläger sind Eigentümer eines Wohngrundstücks, das in einem durch Bebauungsplan festgesetzten allgemeinen Wohngebiet liegt. Sie halten im Garten ihres Grundstücks seit 2022 sogenannte Minischweine. Nach Anwohnerbeschwerden forderte der Beklagte die Kläger im November 2023 auf, die beiden Schweine von ihrem Grundstück zu entfernen, da das Halten von Schweinen in allgemeinen Wohngebieten unzulässig sei.
Klage der Eigentümer abgewiesen
Das VG hat die Klage abgewiesen. Das Halten von zwei Minischweinen im Garten ihres in einem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Wohnanwesens sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Der Bebauungsplan weise das Gebiet als allgemeines Wohngebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung (BauNVO) aus. Anlagen zur Tierhaltung gehörten nicht zu den in allgemeinen Wohngebieten zulässigen Anlagen. Allgemeine Wohngebiete dienten vorwiegend dem Wohnen.
Gebietsuntypische Störungen unzulässig
Die gebietstypische Schutzwürdigkeit und Störempfindlichkeit werde in allgemeinen Wohngebieten im Wesentlichen von der störempfindlichen Hauptnutzungsart bestimmt. Das Wohnen dürfe keinen gebietsunüblichen Störungen ausgesetzt werden.
Zwar seien nach der Baunutzungsverordnung (hier: § 14 BauNVO) in Wohngebieten untergeordnete Nebenanlagen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Grundstücke oder des Wohngebiets selbst dienten und die seiner Eigenart nicht widersprächen. Zu diesen untergeordneten Nebenanlagen gehörten auch solche für die Kleintierhaltung. Allerdings ermögliche § 14 BauNVO als Annex zum Wohnen eine Kleintierhaltung nur, wenn sie in dem betreffenden Baugebiet üblich und ungefährlich sei und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprenge.
Ziegen, Schweine, Schafe: Haltung in Wohngebieten heutzutage unüblich
Kleintiere seien Nutztiere ebenso wie Hobbytiere, die zum Schutz, zur Unterhaltung oder zur Ernährung gehalten würden. In den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten dürften nur solche Kleintiere gehalten werden, die der für eine Wohnnutzung charakteristischen Freizeitbeschäftigung entsprächen. Als Kleintiere würden im Allgemeinen etwa Katzen und Hunde angesehen. Dagegen sei in den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten die Haltung von Ziegen, Schafen und Schweinen in der heutigen Zeit nicht mehr üblich und unzulässig. Eine unterschiedliche Behandlung zwischen sogenannten Hausschweinen, Hängebauchschweinen und Minischweinen sei dabei nicht angezeigt. Minischweine könnten bis zu einem Meter lang werden und bis zu 100 kg wiegen.
Geräusch- und Geruchsbelästigungen
Das Halten von Schweinen in einem allgemeinen Wohngebiet führe typischerweise zu Geräusch- und Geruchsbelästigungen, die in Wohngebieten unüblich seien. Von Schweinen, die sich ganzjährig rund um die Uhr hauptsächlich im Freien aufhielten, gingen ungefilterte Gerüche und Geräusche aus, die unmittelbar die Umgebung belasteten. Aufgrund ihrer Größe und Anzahl komme es bei Schweinen zudem zu erheblichen Ausscheidungen, die gebietsuntypische Gerüche verbreiteten.
Ursprünglich dörflicher Charakter der Gemeinde unerheblich
Hieran ändere auch nichts, dass die betreffende Gemeinde ursprünglich einen dörflichen Charakter gehabt habe oder gar mit dem Spruch „Größtes Dorf der Welt“ werbe. Gegenwärtig zeichne sich die unmittelbare Umgebung des streitgegenständlichen Grundstücks - auf die es im vorliegenden Fall allein ankomme - durch weit überwiegende Wohnnutzung aus.
Zwar könne im Einzelfall die Üblichkeit der Kleintierhaltung abweichend von der typisierenden Betrachtung bejaht werden, wenn eine konkrete Betrachtung ergebe, dass in der Nachbarschaft vergleichbare Nutzungen vorhanden seien und sich die Bewohner des Baugebiets damit abgefunden hätten. Letzteres sei hier jedoch nicht der Fall.
Quelle | VG Neustadt a. M., Urteil vom 11.9.2024, 5 K427/24, PM 14/24
| Notdienste eines Kundendiensttechnikers, die dadurch gekennzeichnet sind, dass er sich an einem frei wählbaren Ort aufhalten kann, aber telefonisch erreichbar sein und zu einem Notdiensteinsatz binnen einer Stunde am Einsatzort eintreffen muss, wenn er angefordert wird, sind Rufbereitschaftsdienste und keine Bereitschaftsdienste. Voraussetzung: Unter Berücksichtigung der Anfahrtszeit verbleiben noch 30 Minuten Zeit, bis der Arbeitnehmer aufbrechen muss. Zu diesem Ergebnis kommt das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. |
Notdienst nur sehr selten
Außerdem erläuterte das Gericht, dass das oben Gesagte zumindest dann gelte, wenn eine tatsächliche Anforderung im Notdienst äußerst selten vorkomme – im vorliegenden Fall lediglich in einem Umfang von 0,67 % der Gesamt-Notdienstbereitschaftszeit.
Ruhezeit
Liege arbeitsschutzrechtlich Rufbereitschaft und kein Bereitschaftsdienst vor, handele es sich um Ruhezeit im Sinne desArbeitszeitgesetzes (hier: § 5 ArbZG). Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff folge hier dem arbeitsschutzrechtlichen, sodass – soweit keine gesonderte Regelung im Arbeitsvertrag, in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zur Anwendung gelange – keine Vergütungspflicht bestehe.
Ausgenommen hiervon seien die Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung im Rahmen der Aktivierung aus dem Notdienst heraus, die als Vollarbeit zu vergüten sind.
Mindestlohngesetz
Auch das Mindestlohngesetz knüpfe an geleistete Zeitstunden an und mithin an den vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff. Arbeitsschutzrechtliche Ruhezeit sei weder arbeitsschutz- noch vergütungsrechtlich Arbeitszeit und begründet daher auch keine Mindestlohnansprüche.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.4.2024, 3 SLa 10/24
| Ein Reitverein muss für von ihm angebotenen Reitunterricht Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wenn der Unterricht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung erbracht wird. Hierfür spricht, wenn die Reitlehrerin die vereinseigenen Pferde sowie die Reithalle unentgeltlich nutzen kann und sie kein unternehmerisches Risiko trägt. Dies entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG). |
Reitverein muss Sozialversicherungsbeiträge und -nachforderungen zahlen und klagt
Eine Reitlehrerin unterrichtete Mitglieder eines gemeinnützigen Reitvereins mit den vereinseigenen Schulpferden auf dem Vereinsgelände zwischen 12 und 20 Stunden wöchentlich. In den Jahren 2015 bis 2018 zahlte ihr der Verein pro Reitstunde 18 Euro. Die Deutsche Rentenversicherung prüfte den Betrieb des Reitvereins. Sie stellte fest, dass die Reitlehrerin abhängig beschäftigt ist und forderte von dem Verein Rentenversicherungsbeiträge nach. Der Reitverein wandte hiergegen ein, dass die Reitlehrerin selbstständig tätig sei.
Landessozialgericht bestätigt Beitragspflicht des Reitvereins
Das LSG gab der Rentenversicherung Recht. Die Beitragsnachforderung sei rechtmäßig. Eine abhängige Beschäftigung liege vor. Zwar könne ein nebenberuflicher Übungsleiter oder Trainer in Sportvereinen auch selbstständig tätig sein, wie das Vertragsmuster „Freier-Mitarbeiter-Vertrag Übungsleiter Sport“ der Rentenversicherung belege. Ein solcher Vertrag sei jedoch vorliegend zwischen dem Reitverein und der Reitlehrerin nicht geschlossen worden.
Zudem sprächen im konkreten Einzelfall mehr Anhaltspunkte für das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung. So habe die Reitlehrerin kein unternehmerisches Risiko getragen. Sie habe keine Rechnungen erstellt und ausschließlich die vereinseigenen Pferde einschließlich Sattel und Zaumzeug genutzt, wofür sie - wie auch für die Nutzung der Reithalle - kein Entgelt gezahlt habe. Die Hallenzeiten habe sie mit dem Reitverein abgestimmt. Der Reitverein habe die Stundenvergütung vorgegeben. Die Jahresvergütung von durchschnittlich über 6.500 Euro habe die steuerfreie Aufwandspauschale für Übungsleiter (bis 2020: 2.400 Euro jährlich) weit überschritten. Schließlich habe der Reitverein auf seiner Homepage mit „unsere Reitlehrerin“ geworben und selbst die Verträge über den Reitunterricht mit den Reitschülern geschlossen.
Da die Rentenversicherung nur die über der Aufwandspauschale für Übungsleiter liegenden Einkünfte bei der Beitragsberechnung berücksichtigt habe, sei auch die Höhe der Beitragsforderung zutreffend.
Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.
Quelle | Hessisches LSG, Urteil vom 18.6.2024, L 1 BA 22/23,PM 6/24
| Die gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 3 Nr. 11 c EStG) geregelte Steuerfreiheit der (freiwilligen) Inflationsausgleichsprämie sieht keine Regelung vor, dass die Prämie an alle Arbeitnehmer ausgezahlt werden muss. Somit ist der Arbeitgeber nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen grundsätzlich nicht daran gehindert, die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie an weitere Bedingungen zu knüpfen. |
Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt
Es verstößt nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein Arbeitgeber zur weiteren Bedingung der Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie macht, dass der Beschäftigte Teil seiner „active workforce“ ist, sodass z. B. Beschäftigte in der Passivphase der Altersteilzeit von der Prämie ausgeschlossen sind.
Steuerfreie Inflationsausgleichsprämie bis zu 3.000 Euro
Die freiwillige Inflationsausgleichsprämie kann vom 26.10.2022 bis Ende 2024 gewährt werden. Bei den 3.000 Euro handelt es sich um einen steuerlichen Freibetrag, der auch in mehreren Teilbeträgen ausgezahlt werden kann.
Begünstigt sind auch Zahlungen an Minijobber. Da die Zahlung steuer- und beitragsfrei ist, wird sie nicht auf die Minijobgrenze angerechnet.
Zusätzlich zum Arbeitslohn
Die Zahlungen müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erfolgen. Nach § 8 Abs. 4 EStG werden Leistungen nur dann zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, wenn
- die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
- der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
- die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
- bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.
Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 21.2.2024, 8 Sa 564/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Die Werbung mit einem mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff (hier: „klimaneutral“) ist regelmäßig nur zulässig, wenn in der Werbung selbst erläutert wird, welche konkrete Bedeutung diesem Begriff zukommt. |
Das war geschehen
Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte ist ein Unternehmen, das Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz herstellt. Die Produkte sind im Lebensmitteleinzelhandel, an Kiosken und an Tankstellen erhältlich. Die Beklagte warb in einer Fachzeitung der Lebensmittelbranche mit der Aussage: „Seit 2021 produziert [die Beklagte] alle Produkte klimaneutral“ und einem Logo, das den Begriff „klimaneutral“ zeigt und auf die Internetseite eines „ClimatePartner“ hinweist. Der Herstellungsprozess der Produkte der Beklagten läuft nicht CO2-neutral ab. Die Beklagte unterstützt indes über den „ClimatePartner“ Klimaschutzprojekte.
Irreführend: Herstellungsprozess selbst nicht klimaneutral
Die Klägerin hält die Werbeaussage für irreführend. Die angesprochenen Verkehrskreise verstünden diese so, dass der Herstellungsprozess selbst klimaneutral ablaufe. Zumindest müsse die Werbeaussage dahingehend ergänzt werden, dass die Klimaneutralität erst durch kompensatorische Maßnahmen hergestellt werde. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH hat die Beklagte zur Unterlassung der Werbung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten verurteilt. Die beanstandete Werbung ist irreführend im Sinne des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 UWG).
Die Werbung ist mehrdeutig, weil der Begriff „klimaneutral“ nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen von den Lesern der Fachzeitung – nicht anders als von Verbrauchern – sowohl im Sinne einer Reduktion von CO2 im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO2 verstanden werden kann. Im Bereich der umweltbezogenen Werbung ist – ebenso, wie bei gesundheitsbezogener Werbung – eine Irreführungsgefahr besonders groß und es besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen. Bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff, wie „klimaneutral“, verwendet, muss deshalb zur Vermeidung einer Irreführung regelmäßig bereits in der Werbung selbst erläutert werden, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist. Aufklärende Hinweise außerhalb der umweltbezogenen Werbung sind insoweit nicht ausreichend.
Irreführende Werbung relevant für Kaufentscheidung
Eine Erläuterung des Begriffs „klimaneutral“ war hier insbesondere erforderlich, weil die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität darstellen, sondern die Reduktion gegenüber der Kompensation unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes vorrangig ist. Die Irreführung ist auch wettbewerblich relevant, da die Bewerbung eines Produkts mit einer vermeintlichen Klimaneutralität für die Kaufentscheidung des Verbrauchers von erheblicher Bedeutung ist.
Quelle | BGH, Urteil vom 27.6.2024, I ZR 98/23, PM 138/24
| Die Aufzeichnungspflichten nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 4 Abs. 7 des EStG) für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind bei einem Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt, nur erfüllt, wenn sämtliche Aufwendungen einzeln fortlaufend in einem gesonderten Dokument oder Datensatz aufgezeichnet werden. Eine reine Belegsammlung mit Aufaddieren der Positionen nach Abschluss des Veranlagungszeitraums ist nicht ausreichend. Da der Bundesfinanzhof (BFH) gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Hessen kürzlich die Revision zugelassen hat, ist mit einer weiteren Präzisierung der Rechtsprechungsgrundsätze zu rechnen. |
Hintergrund: § 4 Abs. 5 EStG schränkt den Abzug für gewisse Betriebsausgaben ein. So wirken sich z. B. Aufwendungen für Geschenke an Geschäftspartner und Kunden nur steuermindernd aus, wenn eine Grenze von 50 Euro eingehalten wird. Und auch für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer besteht eine Abzugsbeschränkung.
Aufzeichnungspflichten
Darüber hinaus sind die Aufwendungen i. S. des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 4, 6 b und 7 EStG einzeln und getrennt von den sonstigen Betriebsausgaben aufzuzeichnen. Soweit diese Aufwendungen nicht bereits nach Abs. 5 vom Abzug ausgeschlossen sind, dürfen sie bei der Gewinnermittlung nur berücksichtigt werden, wenn sie besonders aufgezeichnet sind.
Beachten Sie | Bei den Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG handelt es sich um eine zusätzliche materiell-rechtliche Voraussetzung für den Betriebsausgabenabzug. Bei Verstößen droht das Abzugsverbot. Dieses Abzugsverbot wird auch bei einer Gewinnermittlung per Einnahmen-Überschussrechnung so umgesetzt, dass die betroffenen Aufwendungen dem Gewinn als Betriebseinnahmen hinzugerechnet werden.
Finanzierungs- und Energiekosten dürfen geschätzt werden
Nach Ansicht der Finanzverwaltung bestehen keine Bedenken, wenn die auf das Arbeitszimmer anteilig entfallenden Finanzierungskosten im Wege der Schätzung ermittelt werden und nach Ablauf des Wirtschafts- oder Kalenderjahrs eine Aufzeichnung aufgrund der Jahresabrechnung des Kreditinstituts erfolgt. Entsprechendes gilt für die verbrauchsabhängigen Kosten (z. B. Wasser- und Energiekosten). Es reicht aus, Abschreibungsbeträge einmal jährlich – zeitnah nach Ablauf des Kalender- oder Wirtschaftsjahrs – aufzuzeichnen.
Jahrespauschale ausgenommen
Beachten Sie | Beim Abzug der Jahrespauschale (1.260 Euro) bestehen die besonderen Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG nicht.
Quelle | FG Hessen, Urteil vom 13.10.2022, 10 K 1672/19, Rev. BFH: VIII R 6/24, BMF-Schreiben vom 15.8.2023, IV C 6 – S 2145/19/1006 :027, RZ. 25 f.
| Ermittelt ein Steuerpflichtiger seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung, ist die Art und Weise, in der er seine Aufzeichnungen geführt hat, eine Tatsache, die zur Korrektur eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids führen kann, wenn sie dem Finanzamt nachträglich bekannt wird. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. |
Hintergrund: Ist die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat abgelaufen, wird ein Steuerbescheid grundsätzlich bestandskräftig. Allerdings bestehen auch danach Berichtigungs- und Änderungsmöglichkeiten. Eine davon ist § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Hier heißt es: Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Das war geschehen
Ein Einzelhändler ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung. Das Finanzamt veranlagte ihn erklärungsgemäß (ohne Vorbehalt der Nachprüfung). Bei einer späteren Außenprüfung beurteilte das Finanzamt die Aufzeichnungen als formell mangelhaft und nahm eine Hinzuschätzung vor. Die bestandskräftigen Bescheide wurden nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert.
Bareinnahmen: Aufzeichnungen mangelhaft
Die Tatsache, ob und wie der Steuerpflichtige seine Bareinnahmen aufgezeichnet hat, ist rechtserheblich, wenn das Finanzamt bei deren vollständiger Kenntnis bereits im Zeitpunkt der Veranlagung zur Schätzung befugt gewesen wäre und deshalb eine höhere Steuer festgesetzt hätte.
Da eine Schätzungsbefugnis in bestimmten Fällen auch bei (nur) formellen Mängeln der Aufzeichnungen über Bareinnahmen besteht, muss das FG nun im zweiten Rechtsgang prüfen, ob die Unterlagen Mängel aufweisen, die zur Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen führen.
Quelle | BFH, Urteil vom 6.5.2024, III R 14/22, PM 30/24 vom 4.7.2024
| Wer neben dem Bau von Gewächshäusern Pflanzen züchtet und mit ihnen handelt, unterhält nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) Münster unterschiedliche Betriebe. Dies hat zur Folge, dass für Zwecke der Gewerbesteuer Verluste aus der Pflanzenzucht nicht mit Gewinnen aus dem Gewächshausbau verrechnet werden können. |
Unterschied: Betätigung gewerblich oder land- und forstwirtschaftlich
Beim Gewächshausbau handelt es sich nach der Wertung des FG um eine gewerbliche und bei der Pflanzenzucht um eine land- und forstwirtschaftliche Betätigung. Beide Tätigkeiten sind laut FG auch nicht derart miteinander planvoll wirtschaftlich verbunden, dass sie als ein einheitlicher Gewerbebetrieb betrachtet werden können.
Beachten Sie | Die Pflanzenzucht ist auch keine bloße Hilfsbetätigung zum Gewächshausbau und sie ist auch nicht notwendig für die gewerbliche Tätigkeit, da auch Konkurrenzbetriebe nicht stets zusätzlich eine Pflanzenzucht betreiben.
Sachlicher Zusammenhang erforderlich
Die Zusammenfassung mehrerer Betätigungen zu einem einheitlichen Gewerbebetrieb erfordert allgemein einen sachlichen Zusammenhang finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Art zwischen den Betätigungen.
Bei gleichartigen gewerblichen Betätigungen gilt die Vermutung eines einheitlichen Gewerbebetriebs, es sei denn, es sprechen ausnahmsweise besondere Umstände des konkreten Einzelfalls dagegen. Bei ungleichartigen gewerblichen Betätigungen liegt dagegen nur ausnahmsweise ein einheitlicher Gewerbebetrieb vor. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) im Jahr 2020 entschieden.
Dies gilt erst recht beim Zusammentreffen einer gewerblichen mit einer nicht gewerblichen Tätigkeit. Nur ganz ausnahmsweise – bei einem untrennbaren Sachzusammenhang – können auch solche Betätigungen zusammengefasst werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 29.11.2023, 13 K 986/21 G; BFH, Urteil vom 17.6.2020, X R 15/18
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (§ 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen.
Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest. Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R, PM Nr. 7/24
| Wer in der Dunkelheit mit dem Auto auf einen Betonpoller auffährt, muss nicht unbedingt für seinen Schaden selbst aufkommen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig entschieden. |
Das war geschehen
Ein Autofahrer forderte von einer Gemeinde Schadenersatz. Er war bei Dunkelheit mit seinem Fahrzeug in den mittleren von drei etwa 40 Zentimeter hohen Betonpollern hineingefahren. Die Poller hatte die Gemeinde hinter dem Einmündungsbereich einer mit einem Sackgassenschild ausgewiesenen Straße als Durchfahrtssperre aufgestellt. Nur die äußeren beiden Poller waren dabei mit jeweils drei Reflektoren versehen. Das Landgericht (LG) hatte die Gemeinde teilweise zum Schadenersatz verurteilt. Der Autofahrer müsse sich lediglich 25 Prozent Mitverschulden anrechnen lassen.
Verstoß gegen die Straßenverkehrssicherungspflicht
Dies hat das OLG nun bestätigt. Die Gemeinde habe gegen ihre Straßenverkehrssicherungspflicht verstoßen. Sie hätte die der Verkehrsberuhigung dienenden Poller so aufstellen müssen, dass die Benutzer der Straße diese gut sehen könnten, wenn sie entsprechend sorgfältig führen. Dies hätte durch gut sichtbare Markierungen und ausreichende Beleuchtung erfolgen müssen. Das gelte vor allem, weil die Poller nur eine geringe Höhe (ca. 40 cm) hatten. Solche Poller seien aus dem Sichtwinkel eines Autofahrers nur schwer zu erkennen.
Sachverständigengutachten: Poller waren nicht zu erkennen
Das OLG hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt. Danach kam es zu dem Ergebnis, dass jedenfalls der mittlere und der rechte Poller unabhängig von der Geschwindigkeit und selbst bei Tageslicht für einen von rechts in die Straße einbiegenden Kraftfahrzeugfahrer nicht erkennbar waren. Dies habe der Sachverständige anhand von Videosequenzen belegt. Auch dem Sackgassenschild habe ein Autofahrer nicht entnehmen können, dass die Straße durch Poller versperrt sein würde. Die beklagte Gemeinde habe damit in eklatanter Weise gegen ihre Verkehrssicherungspflichten verstoßen.
Quelle | OLG Braunschweig, Urteil vom 10.12.2018, 11 U 54/1
| Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat die Klage eines Nachbarn auf Durchsetzung des „Fensterrechts“ in der Berufungsinstanz abgewiesen. In erster Instanz hatte das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth den vom Kläger gegen die Grundstücksnachbarn geltend gemachten Anspruch zuerkannt, die auf der Grundstücksgrenze befindlichen Fenster großflächig blickdicht zu gestalten und geschlossen zu halten. Das OLG hat nun die Entscheidung geändert. |
Kläger beriefen sich auf Nachbarrecht
Der Kläger verlangte unter Berufung auf die bayerischen Nachbarrechtsvorschriften von den beklagten Nachbarn, die zu seinem Grundstück zugewandten Wohnraumfenster so umzubauen, dass ein Öffnen und ein Durchblicken bis zur Höhe von 1,80 m über dem Boden nicht möglich sind. Er ist Eigentümer eines im Jahr 2017 errichteten Einfamilienhauses, die Beklagten wohnen seit 2019 auf dem Nachbargrundstück. Beide Grundstücke waren zunächst Teil eines größeren Grundstücks. Infolge der Grundstücksteilung im Jahr 2000 wurde das Wohnhaus, in dem die Beklagten wohnen, zu einem Grenzbau. Die Wohnung der Beklagten hat mehrere Fenster sowie eine Balkonfenstertür, deren Abstand zur Grundstücksgrenze des Klägers weniger als 60 Zentimeter beträgt.
Oberlandesgericht machte sich ein eigenes Bild
Das OLG sah die auf das „Fensterrecht“ gestützten Anspruchsvoraussetzungen zwar grundsätzlich als gegeben, erachtete die Durchsetzung des Anspruchs im konkreten Einzelfall in der Gesamtwürdigung aber als unbillige Härte. Es hatte sich in einem Ortstermin ein eigenes Bild von den konkreten Wohnverhältnissen gemacht und die streitgegenständlichen Fenster, insbesondere die etwaig zu verschattenden Fensterflächen, die Lichtverhältnisse in sämtlichen betroffenen Räumen und die Fluchtwege der Wohnung in Augenschein genommen.
Unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten der Wohnung und in Abwägung der jeweiligen Interessen beider Seiten kam das OLG zu dem Ergebnis, dass dem Kläger ein Berufen auf das nachbarrechtliche „Fensterrecht“ im konkreten Einzelfall verwehrt ist. Maßgeblich war aus Sicht des Gerichts zum einen, dass bis zu 80 % der Fensterflächen von der blickdichten Gestaltung betroffen wären und eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr der Wohnung bei Durchsetzung des Anspruchs nicht mehr gewährleistet wäre. Zum anderen hat das Gericht berücksichtigt, dass bei einem dauerhaften Verschließen der Balkontür auch der notwendige zweite Fluchtweg nicht mehr gegeben wäre. In Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände erachtete das Gericht die Ausübung des Fensterrechts daher als unzulässig.
Quelle | OLG Nürnberg, Urteil vom 18.6.2024. 6 U 2481/22, PM 21/24
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit der Frage befasst, ob sich der Verkäufer eines fast 40 Jahre alten Fahrzeugs mit Erfolg auf einen vertraglich vereinbarten allgemeinen Gewährleistungsausschluss berufen kann, wenn er mit dem Käufer zugleich vereinbart hat, dass die in dem Fahrzeug befindliche Klimaanlage einwandfrei funktioniere, und der Käufer nunmehr Mängelrechte wegen eines Defekts der Klimaanlage geltend macht. |
Das war geschehen
Der Kläger erwarb im März 2021 im Rahmen eines Privatverkaufs von dem Beklagten zu einem Kaufpreis von 25.000 Euro einen erstmals im Juli 1981 zugelassenen Mercedes-Benz 380 SL mit einer Laufleistung von rund 150.000 km. In der Verkaufsanzeige des Beklagten auf einer Onlineplattform hieß es unter anderem: „Klimaanlage funktioniert einwandfrei. Der Verkauf erfolgt unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“.
Im Mai 2021 beanstandete der Kläger, dass die Klimaanlage defekt sei. Nachdem der Beklagte etwaige Ansprüche des Klägers zurückgewiesen hatte, ließ dieser die Klimaanlage – im Wesentlichen durch eine Erneuerung des Klimakompressors – instand setzen. Mit der Klage verlangt er von dem Beklagten den Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von rund 1.750 Euro.
So sah es der Bundesgerichtshof
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren erfolgreich weiter. Der BGH hat entschieden, dass der Beklagte sich gegenüber dem hier im Streit stehenden Schadenersatzanspruch des Klägers nicht auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen kann.
Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist in den Fällen einer (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbarten Beschaffenheit ein daneben vereinbarter allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel dahin auszulegen, dass er nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit, sondern nur für sonstige Mängel gelten soll. Eine von diesem Grundsatz abweichende Auslegung des Gewährleistungsausschlusses kommt nicht in Betracht.
Auf den Wortlaut der Internetanzeige kam es an
Der Umstand, dass der Beklagte nicht erst im schriftlichen Kaufvertrag, sondern bereits in seiner Internetanzeige – unmittelbar im Anschluss an die Angabe „Klimaanlage funktioniert einwandfrei“ – erklärt hat, dass der Verkauf „unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“ erfolge, erlaubt es nicht, den vereinbarten Gewährleistungsausschluss dahingehend zu verstehen, dass er sich auf die getroffene Beschaffenheitsvereinbarung über die (einwandfreie) Funktionsfähigkeit der Klimaanlage erstreckt. Denn gerade das – aus Sicht eines verständigen Käufers – gleichrangige Nebeneinanderstehen einer Beschaffenheitsvereinbarung einerseits und eines Ausschlusses der Sachmängelhaftung andererseits gebietet es nach der Rechtsprechung des BGH, den Gewährleistungsausschluss als beschränkt auf etwaige, hier nicht in Rede stehende Sachmängel aufzufassen, da die Beschaffenheitsvereinbarung für den Käufer andernfalls – außer im (hier nicht gegebenen) Fall der Arglist des Verkäufers – ohne Sinn und Wert wäre.
Vereinbarte Beschaffenheit kann nicht im Anschluss wieder ausgeschlossen werden
Insbesondere aber rechtfertigen in einem Fall, in dem – wie hier – die Funktionsfähigkeit eines bestimmten Fahrzeugbauteils den Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung bildet, weder das (hohe) Alter des Fahrzeugs beziehungsweise des betreffenden Bauteils, noch der Umstand, dass dieses Bauteil typischerweise dem Verschleiß unterliegt, die Annahme, dass ein zugleich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss auch für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit gelten soll. Diese Umstände (Alter des Fahrzeugs, Verschleißanfälligkeit eines Bauteils) können zwar für die übliche Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens von Bedeutung sein. Sie spielen jedoch weder für die Frage einer konkret vereinbarten Beschaffenheit noch für die hier maßgebliche Frage eine Rolle, welche Reichweite ein allgemeiner Gewährleistungsausschluss im Fall einer vereinbarten Beschaffenheit hat. Vielmehr findet der Grundsatz, dass ein vertraglich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss die Haftung des Verkäufers für einen auf dem Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit beruhenden Sachmangel unberührt lässt, auch dann uneingeschränkt Anwendung, wenn der Verkäufer die Funktionsfähigkeit eines Verschleißteils eines Gebrauchtwagens zugesagt hat.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.4.2024, VIII ZR 161/23, PM 82/2024
| Ein Hotel mit einem Fußweg von ca. 1,3 Kilometern befindet sich nicht „nur wenige Gehminuten“ von wunderschönen Stränden entfernt. So hat es das Amtsgericht (AG) München jetzt klargestellt. Es läge daher ein Reisemangel vor. |
Es ging um die Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz
Das AG verurteilte einen Reiseveranstalter zur Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit in Höhe von insgesamt 1.795 Euro. Die Klägerin hatte für sich und ihre neunjährige Tochter bei der Beklagten eine Rundreise durch Costa Rica gebucht. Die Rundreise sollte einen Aufenthalt von 4 Nächten in einem Boutique-Hotel an der Pazifikküste beinhalten.
Tatsächlich 25 Gehminuten zum Strand
Die Klägerin bemängelte, das Hotel sei mit den Worten „nur wenige Gehminuten von den besten Restaurants und wunderschönen Stränden [..] entfernt“ beschrieben worden. Dies habe nicht der Realität entsprochen. An der Rezeption sei ihr mitgeteilt worden, dass man ein Taxi nehmen müsse, um den Strand zu erreichen, da dieser 25 Gehminuten entfernt läge. Die Klägerin wandte sich daraufhin an die lokale Ansprechpartnerin der Reiseveranstalterin und buchte in Abstimmung mit dieser über eine Buchungsplattform auf eigene Kosten ein Ersatzhotel. Mit ihrer Klage machte die Klägerin Ersatz der verauslagten Kosten für die Buchung des Ersatzhotels in Höhe von 733 Euro sowie Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit wegen eines verlorenen Urlaubstages aufgrund des Hotelwechsels in Höhe von 1.062 Euro geltend.
Entfernung zugesichert?
Die Beklagte behauptete, es sei nie eine bestimmte Entfernung oder Gehzeit zum Strand zugesichert worden. Tatsächlich sei der Strand in ca. 15 Minuten zu erreichen.
Das AG gab der Klägerin in vollem Umfang Recht und führte in den Entscheidungsgründen aus, dass das Hotel aufgrund seiner Entfernung zum Strand mangelhaft sei. Zwischen den Parteien sei zwar umstritten, wie lange der Fußweg vom Hotel zum Strand dauerte. Es sei allerdings unstreitig, dass der nächstgelegene Strand des Hotels einen Fußweg von 1,3 km entfernt war. Im Rahmen der Auslegung dieses vertraglich vereinbarten Merkmals „wenige Gehminuten“ müsse auch berücksichtigt werden, dass es sich bei der gebuchten Reise um eine Reise im Hochpreissegment handelte, wurden doch für 12 Tage knapp 9.000 Euro ausgegeben – exklusive Flügen. Die Beklagte, die selbst damit wirbt, „unvergessbare Luxusreisen“ anzubieten, müsse sich insofern an ihren eigenen Ansprüchen messen lassen. Nach Überzeugung des Gerichts seien bei einer hochpreisigen Luxusreise „wenige Gehminuten“ eine Zeit, die bei normalem Gehtempo regelmäßig fünf Minuten nicht überschreite.
„Wenige Gehminuten“ = maximal 5 Minuten!
Die unstreitige Entfernung zum Strand von 1,3 km könne jedoch nur dann (noch) in fünf Minuten zurückgelegt werden, wenn eine Gehgeschwindigkeit von etwa 15,6 km/h eingehalten werden würde, was selbst für erfahrene Läufer ein ambitioniertes Tempo darstelle. Vor dem Hintergrund, dass der Beklagten bei der Reiseplanung bekannt war, dass die Klägerin mit einem neunjährigen Kind reiste – passte sie doch ihr Freizeitprogramm kindgerecht an – könne das Einhalten eines solchen Tempos nicht vorausgesetzt werden.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | AG München, Urteil vom 22.11.2023, 242 C 13523/23, PM 20/24
| Das Landgericht (LG) München I hat die Klage einer Kundin gegen einen Outlet-Betreiber auf Schmerzensgeld abgewiesen. Die Kundin hatte sich bei der Kleideranprobe durch ein Preisschild eine Augenverletzung zugezogen. |
Bei der Kleideranprobe am Preisschild verletzt
Im April 2023 probierte die klagende Kundin im Outlet-Store der Beklagten ein T-Shirt. Dabei verletzte sie sich durch ein an diesem T-Shirt angebrachtes Preisschild am rechten Auge.
Schmerzensgeld gefordert
Die Kundin hat gegen den Betreiber des Outlet-Stores deswegen Klage erhoben und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5.000 Euro gefordert. Der Betreiber des Outlet-Stores habe die ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt, da das Preisschild in seiner Ausgestaltung aufgrund fehlender Sicherung und Erkennbarkeit gefährlich gewesen sei. Das Preisschild habe ihr bei der Anprobe ins Auge geschlagen. Sie habe dadurch eine erhebliche Verletzung am rechten Auge erlitten. Es sei erforderlich gewesen, an dem verletzten Auge eine Hornhauttransplantation durchzuführen. Bis heute leide sie unter Schmerzen und sei weiterhin in ihrer Sicht eingeschränkt sowie besonders blendempfindlich.
Preisschilder vorgeschrieben
Der Betreiber des Outlet-Stores hat eingewandt, bei dem verwendeten Preisschild handle es sich um ein übliches Standardpreisschild in der Größe von ca. 9 cm x 5 cm mit abgerundeten Ecken und einer flexiblen Rebschnur. Die Preisschilder seien durch ihre Größe und das Gewicht des Bündels deutlich fühlbar gewesen. Vergleichbare Fälle von aufgetretenen Verletzungen seien ihm nicht bekannt. Zudem sei es gesetzlich vorgeschrieben, entsprechende Preisschilder an den Waren anzubringen.
Amtsgericht weist Klage ab
Das AG hat die Klage abgewiesen. Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt stehe der Kundin ein Anspruch auf Schmerzensgeld gegenüber dem Betreiber des Outlet-Stores zu. Wenn sich im Zuge einer Kleideranprobe in einem Outlet eine Kundin durch ein übliches Preisschild am Auge verletzt, hafte der Betreiber dafür nicht, so das AG.
Zur Begründung hat das AG ausgeführt, sichernde Maßnahmen seien nur in dem Maße geboten, in dem sie ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei müsse der Geschäftsbetreiber nicht für alle denkbar entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es komme vielmehr auch entscheidend darauf an, welche Möglichkeiten der Geschädigte hat, sich vor erkennbaren Gefahrquellen selbst zu schützen.
Im hier entschiedenen Einzelfall habe der Betreiber des Outlet-Stores den an ihn gerichteten Verkehrssicherungspflichten Genüge getan. Für die Kundin sei das Vorhandensein eines Preisschildes erwartbar und das Treffen eigener Sicherheitsvorkehrungen zumutbar gewesen.
Nach allgemeiner Lebenserfahrung werfe ein Kunde bereits vor der Anprobe einen Blick auf das Preisschild und könne daher ohne Weiteres selbst dafür sorgen, dass er sich bei der Anprobe nicht verletze. Die Forderung der Kundin, gesondert auf das Vorhandensein von Preisschildern an der Kleidung hinzuweisen, hielt das Gericht für lebensfremd und nicht zumutbar.
Quelle | LG München I, Urteil vom 28.5.2024, 29 O 13848/23, PM 5/24
| Das Landgericht (LG) Paderborn hat in einem Mietrechtsstreit über Feuchtigkeitserscheinungen in einer Altbauwohnung Klartext gesprochen. Es gab dem Mieter überwiegend recht. |
Baujahr ändert nichts an Mangel
Das LG: Erheblich durchfeuchtete Wände mit sichtbaren Salzausblühungen und feuchtigkeitsbedingt zerbröselndem Putz stellen auch in einer Altbauwohnung aus den 1920er Jahren einen Mietmangel dar. Dabei hat das LG berücksichtigt, dass die Wände teils erst ab einer Höhe von ca. einem Meter über dem Fußboden „normal“ trockene Messwerte zeigen und die Feuchtigkeit ausschließlich bauliche Ursachen hat.
Anspruch auf Beseitigung und Minderung
Der klagenden Mieterin sprach das LG deshalb einen Anspruch gegen ihren Vermieter auf Beseitigung der Feuchtigkeit in den Wohnungswänden zu. Es nahm aufgrund der feuchten Wände und den damit einhergehenden Nachteilen u. a. für Wohnklima und Optik – anders als das erstinstanzliche Gericht – zudem eine erhebliche Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs an und bejahte ein Mietminderungsrecht der Klägerin.
Keinen Mangel sah das LG hingegen im konkreten Fall in den ebenfalls durchfeuchteten Kellerwänden des Mietobjekts. Daher wies es die Berufung der Klägerin insofern zurück.
Quelle | LG Paderborn, Urteil vom 6.3.2024, 1 S 72/222, PM vom 6.3.2024
| Der Vermieter darf, um vom Mieter verursachte Blutlachen im Treppenhaus und Eingangsbereich zu beseitigen, eine – teure – Spezialfirma für die Reinigung eines Tatorts nach Suizid oder Unfall mit den Reinigungsarbeiten beauftragen. Er muss auch nicht zuvor den Mieter beauftragen, um die Kosten gering zu halten, wenn der Mieter nicht über die ausreichende Qualifikation verfügt, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. So hat es das Amtsgericht (AG) Frankfurt/Main entschieden. |
Mieter hatte Blutspuren versuracht
Der Wohnungsmieter stand unter Betreuung. Eines Tages trat er nach einer Verletzung stark blutend aus seiner Wohnung in das Treppenhaus und anschließend durch die Haustür nach draußen. Dabei hinterließ er massive Blutspuren. Daraufhin beauftragte die Vermieterin eine Spezialfirma mit der Reinigung und Desinfektion des Treppenhauses und des Eingangsbereichs. Die Vermieterin stellte dem Mieter über seinen Betreuer die Kosten in Höhe von rd. 1.930 Euro in Rechnung. Der Mieter zahlte nicht, daher klagte die Vermieterin.
Kostenerstattungsanspruch des Vermieters
Mit Erfolg: Die Vermieterin habe gegen den Mieter einen Kostenerstattungsanspruch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 280 Abs. 1 BGB) in Verbindung mit dem Mietvertrag, so das AG. Der Mieter habe dadurch, dass er nach einer Verletzung stark blutend durch das Treppenhaus und durch die Hauseingangstür ging und dabei größere Mengen Blut ungehindert auf den Boden laufen ließ, schuldhaft gegen den Mietvertrag verstoßen. Die Vermieterin war verpflichtet, unverzüglich die Blutspuren beseitigen zu lassen, zum einen, um die Gefahr von Stürzen infolge des Ausrutschens auf den Blutlachen zu vermeiden und zum anderen, um einer Infektionsgefahr bei Kontakt mit dem Blut entgegenzutreten.
Sie habe den Mieter nicht selbst beauftragen können, um die Kosten gering zu halten, da dieser nicht über die ausreichende Qualifikation verfügte, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. Zudem hätte die Entfernung nicht unverzüglich erfolgen können, da der Mieter offenkundig verletzt war. Die Vermieterin habe auch nicht gegen eine ihr obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen, indem sie ein Fachunternehmen für Tatortreinigung beauftragte. Sie war gehalten, sicherzustellen, dass keine Gefahr für Mitbewohner und Besucher bestehen bleibt, was nur durch ein spezialisiertes Reinigungsunternehmen gewährleistet war.
Vergleichsangebote nicht nötig
Es stellt auch keinen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar, dass die Vermieterin keine (drei) Vergleichsangebote eingeholt hat. Denn sie musste unverzüglich tätig werden, um die Gefahrenquelle zu beseitigen.
Qualität der Fachfirma nicht „kriegsentscheidend“
Auch kommt es nicht darauf an, ob die von der Vermieterin beauftragte Fachfirma möglicherweise unsachgemäß oder unwirtschaftlich gearbeitet hat und dadurch höhere Kosten entstanden sind. Denn ein Schädiger muss solche Kosten auch dann ersetzen, wenn den Geschädigten kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft.
Quelle | AG Frankfurt/Main, Urteil vom 10.8.2023, 33 C 1898/23
| Zur Errichtung eines wirksamen gemeinschaftlichen Testaments müssen beide Ehegatten testierfähig sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Das war geschehen
Die beiden Ehegatten hatten sich durch gemeinschaftliches Testament gegenseitig als Alleinerben eingesetzt. Dieses Testament wurde von der Ehefrau eigenhändig geschrieben und unterschrieben sowie vom Erblasser eigenhändig unterschrieben. Mit einer Ergänzung dieses Testaments, errichtet in gleicher Weise, ordneten die Ehegatten später eine Vor- und Nacherbschaft dergestalt an, dass der überlebende Ehegatte befreiter Vorerbe und ihre gemeinsame Tochter Nacherbin sein sollte. Bereits zwei Jahre vor dieser Ergänzung des Testaments wurde die Ehefrau wegen einer Demenzerkrankung in einem Pflegeheim untergebracht. Ein Jahr vor der Ergänzung des gemeinschaftlichen Testaments tötete der Erblasser seine Schwester und wurde in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht, in der er sich das Leben nehmen wollte.
Nach dessen Tod beantragte die überlebende Ehefrau, vertreten durch ihre Tochter, einen Erbschein des Inhalts, dass sie alleinige befreite Vorerbin des Erblassers geworden sei und die Nacherbfolge der Tochter nach ihrem Tod als Vorerbin eintrete. Sie hat sich zur Begründung ihres Antrags auf die beiden letzten gemeinschaftlichen Testamente gestützt. Der gemeinsame Sohn der Ehegatten ist dem Antrag entgegengetreten. Er begründete dies damit, sowohl der Erblasser als auch die Antragstellerin seien zum Zeitpunkt der Errichtung beider Testamente testierunfähig gewesen.
Nachlassgericht deutete Testamente um
Das Nachlassgericht ist nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Überzeugung gelangt, dass die Antragstellerin testierunfähig gewesen ist. Bezogen auf den Erblasser hat sich hingegen nicht die Überzeugung von einer Testierunfähigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung der vorgenannten Testamente gebildet. Die Testamente könnten jeweils in ein Einzeltestament des Erblassers umgedeutet werden, weshalb es die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet hat. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Sohn der Ehegatten mit der Beschwerde und begehrte die Zurückweisung des Erbscheinsantrages.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat den Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückgewiesen und ausgeführt, dass die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen nicht für festgestellt zu erachten seien.
Ein wirksames gemeinschaftliches Ehegattentestament setze voraus, dass beide Ehegatten bei der Testamentserrichtung testierfähig sind. Ein Testament könne nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Da ein gemeinschaftliches Testament vom Willen beider Eheleute getragen sei, erfordere eine wirksame Verfügung von Todes wegen die Testierfähigkeit eines jeden Ehegatten. Daran fehle es bei einem Ehegatten, weshalb der Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückzuweisen sei.
Eine Umdeutung des unwirksamen gemeinschaftlichen Testaments in ein Einzeltestament des Erblassers komme hier nicht in Betracht, weil der Erblasser die getroffenen Anordnungen nicht eigenhändig geschrieben, sondern den von der Antragstellerin geschriebenen Text nur unterschrieben habe. Die Umdeutung als Einzeltestament komme hier nur für den Teil in Betracht, der die Verfügung eigenhändig – hier also die Antragstellerin – niedergelegt habe.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 14.3.2024, 6 W 106/23
| Vertragsfristen können nicht nur bei Abschluss des Bauvertrags, sondern auch während der Bauausführung vereinbart werden. So kann einem gestörten Bauablauf dadurch Rechnung getragen werden, dass überholte oder nicht mehr einhaltbare Fristen durch eine Terminplanfortschreibung einvernehmlich angepasst werden, wobei diese Fortschreibung wiederum Vertragsfristen und unverbindliche Kontrollfristen beinhalten kann. Das hat das Kammergericht (KG) Berlin klargestellt. |
Beachten Sie | Die Entscheidung des KG gilt auch für Planungsterminpläne. Sie ist durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH rechtskräftig geworden.
Quelle | KG Berlin, Urteil vom 24.01.2023, 27 U 154/21, rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 25.10.2023, VII ZR 20/23
| Stichprobenartige Prüfungen von Wärmedämmarbeiten reichen nicht aus, um eine mangelfreie Objektüberwachung zu gewährleisten. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg. |
Im konkreten Fall hatte der Architekt nicht bemerkt, dass nur 8 cm PUR-Dämmung statt der vertraglich geschuldeten 9 cm eingebaut wurden. Das hätte aber sogar eine Stichprobe ergeben müssen, so das OLG. Es machte den Architekten daher für den Austausch der Dämmung haftbar.
Es sprach Klartext: Umfang und Intensität der geschuldeten Überwachung hängen von den Anforderungen der Baumaßnahme sowie den konkreten Umständen ab. Einfache Arbeiten bedürfen keiner Überwachung. Demgegenüber unterliegt die Überwachung von Wärmedämmarbeiten höheren Anforderungen.
Die Entscheidung ist jetzt rechtskräftig.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 8.11.2022, 2 U 10/22
| Die Regelverjährungsfrist beim Werkvertrag für Planung und Bauüberwachung beträgt fünf Jahre. Doch Achtung: Diese Frist kann durch eine sog. Hemmung verlängert werden. Die Folge: Planer und Architekten können länger in der Gewährleistung bleiben und unter Umständen in Anspruch genommen werden. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Ernsthafter Meinungsaustausch erforderlich
Voraussetzung: Die Verjährung hemmende Verhandlungen erfordern einen ernsthaften Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen.
Nicht ausreichend: bloße Erklärungen
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen nicht die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein. Ein solcher Meinungsaustausch hemmt die Verjährung nicht.
Quelle | OLG Köln, Beschluss vom 2.3.2023, 19 U 55/22, rechtskräftig durch BGH, Beschluss vom 8.11.2023, VII ZR 54/23
| Die unterlassene Aufnahme einer Arbeit ist kein sozialwidriges Verhalten, wenn das Jobcenter den Betroffenen „allein lässt“ und nicht die nötige Hilfe leistet. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen entschieden. |
Langzeitarbeitsloser bewarb sich jahrelang erfolglos
Zugrunde lag das Verfahren eines Langzeitarbeitslosen, der bis 2003 als Buchhalter gearbeitet hatte. Hiernach folgten Zeiten der Arbeitslosigkeit und verschiedene Hilfsarbeiten. Der Mann bewarb sich viele Jahre erfolglos als Buchhalter, bis das Jobcenter schließlich ab 2017 keine weiteren Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen übernahm. Es müsse ein Strategiewechsel stattfinden, insbesondere weil Bewerbungen als Buchhalter nach so langer Zeit nicht mehr erfolgversprechend seien. Überraschend erhielt der Mann dennoch 2019 einen Arbeitsvertrag als Buchhalter bei einer Behörde in Düsseldorf. Zur Arbeitsaufnahme kam es jedoch nicht, weil das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution für eine neue Wohnung ablehnte und er deshalb nicht umziehen konnte.
Kein Verschulden des Arbeitslosen
2020 machte das Jobcenter gegenüber dem Mann eine Erstattungsforderung wegen sozialwidrigen Verhaltens geltend, da er nicht zum Einstellungstermin erschienen sei. Er müsse daher Grundsicherungsleistungen von rd. 6.800 Euro erstatten. Hiergegen klagte der Mann. Den Mietvertrag in Düsseldorf habe er nicht unterschrieben, weil er kein Geld für die Kaution gehabt habe und noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen gewesen sei. Das LSG hat die Rechtsauffassung des Klägers bestätigt. Der Nichtantritt einer außerhalb des Tagespendelbereichs gelegenen Arbeitsstelle stelle kein sozialwidriges Verhalten im Sinne eines objektiven Unwerturteils dar, wenn der Arbeitsuchende am künftigen Beschäftigungsort keine Wohnung anmieten könne, weil ihm selbst die Mittel für eine Mietkaution fehlten und das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution abgelehnt habe.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.1.2023, L 11 AS 336/21
| Eine öffentliche Verwaltung kann das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, verbieten, um ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen. Eine solche Regel ist nicht diskriminierend, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf das gesamte Personal dieser Verwaltung angewandt wird und sich auf das absolut Notwendige beschränkt. So sieht es der Europäische Gerichtshof (EuGH). |
Verbot eines islamischen Kopftuchs
Eine belgische Gemeinde hatte einer Bediensteten, die als Büroleiterin ganz überwiegend ohne Publikumskontakt tätig ist, untersagt, am Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen. Anschließend änderte die Gemeinde ihre Arbeitsordnung und schrieb in der Folge ihren Arbeitnehmern strikte Neutralität vor: Das Tragen von auffälligen Zeichen ideologischer oder religiöser Zugehörigkeit verbot sie allen Arbeitnehmern, auch denen ohne Publikumskontakt. Die Büroleiterin fühlte sich diskriminiert und in ihrer Religionsfreiheit verletzt.
Lag Diskriminierung vor?
Dem mit dem Rechtsstreit befassten Arbeitsgericht (ArbG) Lüttich stellt sich die Frage, ob die von der Gemeinde aufgestellte Regel der strikten Neutralität eine gegen das Unionsrecht verstoßende Diskriminierung begründet. Der EuGH antwortete, dass die Politik der strikten Neutralität, die eine öffentliche Verwaltung ihren Arbeitnehmern gegenüber durchsetzen will, um bei sich ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen, als durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt angesehen werden kann.
Wertungsspielraum der Mitgliedsstaaten, wie „Neutralität“ ausgestaltet wird
Ebenso gerechtfertigt ist die Entscheidung einer anderen öffentlichen Verwaltung für eine Politik, die allgemein und undifferenziert das Tragen von sichtbaren Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen, auch bei Publikumskontakt, gestattet, oder ein Verbot des Tragens solcher Zeichen beschränkt auf Situationen, in denen es zu Publikumskontakt kommt. Die Mitgliedsstaaten und die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten verfügen über einen Wertungsspielraum bei der Ausgestaltung der Neutralität des öffentlichen Dienstes, die sie in dem für sie spezifischen Kontext am Arbeitsplatz fördern wollen. Dieses Ziel muss aber in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, und die zu seiner Erreichung getroffenen Maßnahmen müssen sich auf das absolut Notwendige beschränken. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob diese Anforderungen erfüllt sind.
Quelle | EuGH, Urteil vom 28.11.2023, C-148/22
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Aachen hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer Anspruch auf die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung gegenüber seiner Arbeitgeberin hat. Er darf diesen auch im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzen. |
Das war geschehen
Der schwerbehinderte Arbeitnehmer ist seit September 1988 bei der Arbeitgeberin – einem Unternehmen, das Bauelemente herstellt und vertreibt, – als Verkaufs- und Vertriebsleiter tätig. Er ist wegen eines Hirntumors seit April 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und war bis zum 10.4.2024 fahruntüchtig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird nach Erreichen der Regelaltersgrenze des Arbeitnehmers mit dem Ablauf des Monats Oktober 2024 enden. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrte der Arbeitnehmer, ihn ab Mitte März 2024 entsprechend einem ärztlichen Wiedereingliederungsplan nach dem sog. „Hamburger Modell“ zu beschäftigen, um zeitnah an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu können.
Fehlende Fahrtüchtigkeit steht Wiedereingliederung nicht im Weg
Das ArbG gab dem Antrag des schwerbehinderten Arbeitnehmers statt, da die Arbeitgeberin verpflichtet sei, an der stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken. Dem stehe die fehlende Fahrtüchtigkeit des Arbeitnehmers nicht entgegen. Der Arbeitnehmer könne während der Fahruntüchtigkeit zu Beginn der Wiedereingliederung zunächst seinem Aufgabenprofil entsprechende Büroarbeiten erledigen.
Sache ist eilbedürftig
Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung besondere Eilbedürftigkeit ergab sich nach Auffassung des Arbeitsgerichts daraus, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer auf die zeitnahe Wiedereingliederung angewiesen sei. Demgegenüber würde eine Versagung der Wiedereingliederung den Teilhabeanspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers am Erwerbsleben vereiteln oder jedenfalls erheblich erschweren. Auch der nahe Renteneintritt des Arbeitnehmers ändert nach Ansicht des ArbG nichts am Eilbedürfnis.
Quelle | ArbG Aachen, Urteil vom 12.3.2024, 2 Ga 6/24, PM 1/24
| Für Bühnenkünstler gewährt die Rechtsprechung pauschalierten Schadenersatz von bis zu sechs Monatsgagen pro Spielzeit, wenn der Arbeitgeber den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers verletzt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied nun: Dieser Anspruch kann nicht auf den Profimannschaftssport übertragen werden. |
Saisonabbruch in der Corona-Pandemie: Kläger durfte nicht spielen
Der Kläger ist Eishockeyspieler. Er stritt mit seinem Arbeitgeber über einen Schadenersatzanspruch. Sein Arbeitgeber, der Beklagte, hatte ihn in der Saison 2019/2020 nicht beschäftigt, da diese aufgrund der Corona-Pandemie abgebrochen wurde. Bis dahin fungierte er als Kapitän und Leistungsträger der Mannschaft.
Außerordentliche fristlose Kündigung
Die Beklagte sprach eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung aus und bot gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis mit einer verringerten Vergütung fortzusetzen. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen an und erhob eine Änderungsschutzklage. Daraufhin stellte die Beklagte den Kläger vom Mannschaftstraining frei. Durch einstweilige Verfügung erstritt der Kläger die Zulassung zum Trainingsbetrieb. Anschließend erfolgte eine außerordentliche fristlose Kündigung.
Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen und der fristlosen Kündigung fest. Die tatsächliche Teilnahme am Training wurde dem Kläger jedoch durchgängig verweigert. Er ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Schadenersatz aufgrund der Weigerung der Beklagten, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Ihm sei ein Schaden in seinem beruflichen Fortkommen entstanden, da er als Eishockeyprofi seine beruflichen Fertigkeiten nicht im Mannschaftstraining habe weiterentwickeln und verbessern können. Dadurch habe sein Marktwert gelitten, denn ein Profimannschaftssportler bedürfe der ständigen Trainingspraxis. Die Beklagte habe sich ihm gegenüber durchgängig unlauter verhalten. Die Vorinstanzen gaben der Klage in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern statt und wiesen die weitergehende Klageforderung ab.
Kläger blieb vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos
Vor dem BAG blieb der Kläger erfolglos. Er hat keinen Anspruch auf weiteren Schadenersatz wegen der Verletzung seines Beschäftigungsanspruchs. Zwar besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung und damit korrespondierend eine Pflicht des Arbeitgebers, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Die Beklagte hatte den Beschäftigungsanspruch auch schuldhaft verletzt, indem sie ihn vom Mannschaftstraining suspendiert hatte. Dies und die anschließende außerordentliche fristlose Kündigung seien zudem eine Maßregelung gewesen, da der Kläger lediglich in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hatte.
Der Kläger hat aber nicht ausreichend dargelegt, dass ihm infolge der Verletzung der Beschäftigungspflicht ein solcher Schaden entstanden sei. Zudem dürfen, so das BAG, Schadenersatzansprüche von Profimannschaftssportlern nicht in Anlehnung an die Rechtsprechung für andere Berufsgruppen, z. B. Bühnenkünstler, pauschalierend festgesetzt werden. Für die Schätzung des Schadens eines Profimannschaftssportlers bedürfe es greifbarer Tatsachen. Hieran fehlte es vorliegend. Mangels konkreter Anhaltspunkte könnte nur eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens erfolgen, die vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre.
Quelle | BAG, Urteil vom 29.2.2024, 8 AZR 359/22
| Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, sind diese Vorteile steuerfrei, soweit sie den Rabattfreibetrag von 1.080 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)). Das Landesozialgericht (LSG) Bayern musste nun in einem Konzernfall über die Beitragspflicht von Warengutscheinen entscheiden. Dabei hat es herausgestellt, dass hinsichtlich des Arbeitgeberbegriffs keine unterschiedliche Beurteilung nach Steuer- und nach Beitragsrecht veranlasst ist. |
Arbeitgeber kann nur derjenige sein, der die Arbeitsverträge mit den Beschäftigten abgeschlossen hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, den der Bundesfinanzhof (BFH) für das Steuerrecht aufgestellt hat.
Begriff des „Arbeitgebers“: keine Konzernklausel
Der BFH hat es abgelehnt, den Begriff des Arbeitgebers über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen. Im Vorfeld der gesetzlichen Neuregelung wurde eine Konzernklausel ausdrücklich diskutiert.
Da sie aber nicht aufgenommen worden ist, kann daraus geschlossen werden, dass sich die bereits in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Meinung durchgesetzt hat, nach der § 8 Abs. 3 EStG nicht für Waren und Dienstleistungen gelten soll, die nicht im Unternehmen des Arbeitgebers hergestellt, vertrieben oder erbracht werden. Es sollen weder Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften noch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel steuerlich begünstigt werden.
Warengutscheine = Sachbezüge
Nach Ansicht des LSG hat das Unternehmen im Streitfall auch keinen so gewichtigen Beitrag geleistet, als dass es unter Anwendung des „erweiterten Hersteller- bzw. Vertreiberbegriffs“ als Hersteller bzw. Vertreiber der Waren i. S. des § 8 Abs. 3 EStG angesehen werden kann. Deshalb handelt es sich bei den Warengutscheinen um Sachbezüge, für die Beiträge erhoben werden müssen.
Quelle | LSG Bayern, Urteil vom 6.6.2023, L 7 BA 80/22, Abruf-Nr. 240136; unter www.iww.de; BFH, Urteil vom 26.4.2018, VI R39/16
| Mit einem kuriosen Nachbarstreit zwischen einem Restaurantbetreiber und dem Anbieter von Parkraum hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Dem Restaurantbesitzer drohen nun 250.000 Euro Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft. |
Das war geschehen
Der Parkplatzbetreiber hatte die Parkgebühren angehoben und den bislang gewährten Rabatt für die Besucher des Restaurants abgeschafft. Daraufhin positionierte der Restaurantbesitzer gezielt eigene Mitarbeiter an der Parkschranke, um die Autofahrer von der Einfahrt in den Parkplatz abzuhalten und auf andere, kostenfreie Plätze in der Nähe zu verweisen. Dieses Verhalten stellt eine unzulässige Verletzungshandlung dar, die darauf angelegt ist, den Betrieb des Parkraumbewirtschafters zu schädigen, entschied das LG. Es untersagte in einem Eilverfahren entsprechende Aktionen.
Boykottaufruf unverhältnismäßig
Das Argument, über den Rabatt für Restaurantkunden gebe es eine Vereinbarung und die hohen Parkkosten hätten bereits Kunden abgeschreckt und vom Besuch abgehalten, überzeugte das LG nicht. Das Vorgehen des Restaurantbetreibers sei unverhältnismäßig.
Im Bereich der Einfahrt gezielt Parkplatzsuchende anzusprechen, um diese zum anderweitigen Parken zu bewegen, sei eine gegen das Geschäftsmodell des Parkraumanbieters gerichtete verbotene Eigenmacht. Es seien nicht nur Restaurantbesucher, sondern sämtliche Parkplatzsuchende angesprochen und zum Boykott des Parkplatzes aufgerufen worden. Der Restaurantbesitzer müsse seine Kunden auf andere Weise darüber informieren, dass die Parkgebühren nicht mehr übernommen werden und den Streit um den Parkrabatt, wenn nötig, gerichtlich austragen.
„Saftiges“ Ordnungsgeld droht
Für den Fall, dass der Restaurantbetreiber dem Urteil zuwiderhandelt, hat das LG ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro sowie Ordnungshaft angedroht.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 18.1.2024, 5 O46/23, PM vom 30.4.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. |
Der Hintergrund
Amazon ist weltweit u. a. im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27.12.2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd. USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd. USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd. USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio. Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit.
Das war geschehen
Das Bundeskartellamt hatte festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als sog. Torwächter benannt.
Das sagt der Bundesgerichtshof
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt hat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (hier: § 19 a Abs. 1 GWB) zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.
Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Stores) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen.
Das heißt „marktübergreifende Bedeutung“
Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotenzial durch die Vorschrift adressiert wird. § 19 a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen.
Bundeskartellamt: zutreffende Feststellungen
Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von Amazon Web Services, Inc. (AWS). Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.
Die jetzige Geltung der Regelungen des Digital Markets Acts (DMA) und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.
Quelle | BGH, Beschluss vom 23.4.2024, KVB 56/22, PM 97/24
| Durch die Unwetter mit Hochwasser in der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 2024 sind in weiten Teilen Baden-Württembergs beträchtliche Schäden entstanden. Die Beseitigung dieser Schäden wird bei vielen Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Daher möchte das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen entgegenkommen. |
Möglich sind u. a.:
- Anpassung steuerlicher Vorauszahlungen,
- Stundung fälliger Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuerbeträge und
- Aufschub von Vollstreckungen.
Beachten Sie | Auch in anderen Bundesländern sind im Mai und Juni 2024 durch die Unwetter mit Hochwasser Schäden entstanden. Daher wurden auch für Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland Katastrophenerlasse mit steuerlichen Erleichterungen veröffentlicht. Dabei ist zu beachten, dass einige Erlasse bereits aktualisiert wurden.
Quelle | FinMin Baden-Württemberg, Erlass vom 20.6.2024; Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft Saarland, Erlass vom 21.5.2024; Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Erlass vom 25.6.2024; Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, Erlass vom 24.6.2024
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen. Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest.
Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R; BSG, PM Nr. 7/24 vom 22.2.2024
| Der Bundesrat hat dem Postrechtsmodernisierungsgesetz (PostModG) Anfang Juli 2024 zugestimmt. Dadurch werden insbesondere die Laufzeitvorgaben für die Zustellung von Briefen verlängert. Folgerichtig erfolgte auch eine Anpassung der Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (z. B. Steuerbescheiden). |
Einspruchsfrist von einem Monat
Zum Hintergrund: Das Problem, „Recht zu haben, aber es nicht zu bekommen“, ergibt sich immer dann, wenn ein Steuerbescheid zu einer zu hohen Steuerfestsetzung führt, es jedoch versäumt wurde, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat Einspruch einzulegen. Für den fristgerechten Eingang beim Finanzamt kommt es darauf an, wann der Bescheid bekannt gegeben wurde und wann die Einspruchsfrist endet.
Gesetzliche Neuregelung: Vier- statt Dreitagesfiktion
Um die Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach der Abgabenordnung an die verlängerten Laufzeitvorgaben anzupassen, wird aus der bisherigen Dreitages- eine Viertagesfiktion. Damit gelten Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte künftig als am vierten Tag nach deren Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, statt wie bisher nach drei Tagen.
Was unverändert bleibt: Fällt der vierte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, erfolgt die Bekanntgabe am nächstfolgenden Werktag. Die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Samstagen wurde nicht umgesetzt.
Die Neuregelung gilt für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.2024 übermittelt werden.
Neuregelung ab dem Jahr 2025
Beispiel: Das Finanzamt versendet an den Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid. Er gibt den Brief am Dienstag, den 14.1.2025, zur Post. Bekanntgabezeitpunkt ist der 20.1.2025 (Montag), da der 18.1.2025 („vier Tage“) ein Samstag ist.
Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Einspruchsfrist endet somit am 20.2.2025 um 24:00 Uhr.
Beachten Sie | Auch ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt gilt am dritten (ab 2025: vierten) Tag nach der Absendung als bekannt gegeben.
Steuerbescheid später zugegangen oder nicht erhalten
Die Bekanntgabefiktion gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich später oder gar nicht zugegangen ist.
Hier ist wie folgt zu unterscheiden:
- Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang, ist das Finanzamt regelmäßig nicht in der Lage, den Zugang nachzuweisen. Daher ist eine erneute (ordnungsgemäße) Bekanntgabe erforderlich.
- Behauptet der Steuerpflichtige einen späteren Zugang, muss er dies substanziiert darlegen bzw. nachweisen. Dabei stellt eine Abwesenheit wegen Urlaubs regelmäßig keine spätere Bekanntgabe dar.
Quelle | PostModG, BR-Drs. 298/24 (B) vom 5.7.2024; DStV, Mitteilung vom 13.6.2024
| Bei der Erbschaftsteuer zählt ein Parkhaus zum nichtbegünstigten Verwaltungsvermögen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) aktuell entschieden. |
Das war geschehen
Der Steuerpflichtige war testamentarisch eingesetzter Alleinerbe seines im Jahr 2018 verstorbenen Vaters (= Erblasser). Zum Erbe gehörte ein mit einem Parkhaus bebautes Grundstück. Der Erblasser hatte das Parkhaus als Einzelunternehmen ursprünglich selbst betrieben und ab dem Jahr 2000 dann unbefristet an seinen Sohn verpachtet.
Finanzamt: Parkhaus ist Verwaltungsvermögen
Das Finanzamt stellte den Wert des Betriebsvermögens fest und behandelte das Parkhaus dabei als sogenanntes Verwaltungsvermögen, das bei der Erbschaftsteuer nicht begünstigt ist. Das Finanzgericht (FG) und der BFH schlossen sich dieser Auffassung an.
Grundsätzlich wird Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer privilegiert. Das gilt allerdings nicht für bestimmte Gegenstände des Verwaltungsvermögens. Darunter fallen dem Grunde nach auch Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke. Diese können im Rahmen der Erbschaftsteuer zwar auch begünstigt sein, etwa wenn (wie im Streitfall) der Erblasser seinen ursprünglich selbst betriebenen Gewerbebetrieb unbefristet verpachtet und den Pächter testamentarisch als Erben einsetzt.
Keine erbschaftsteuerliche Privilegierung
Eine Ausnahme besteht dabei jedoch für solche Betriebe, die schon vor der Verpachtung nicht die Voraussetzungen der erbschaftsteuerrechtlichen Privilegierung erfüllt haben. Dies ist bei einem Parkhaus der Fall. Denn die dort verfügbaren Parkplätze als Teile des Parkhausgrundstücks wurden schon durch den Erblasser als damaligem Betreiber an die Autofahrer – und somit an Dritte – zur Nutzung überlassen.
Beachten Sie | Zudem handelt es sich dabei auch nicht um die Überlassung von Wohnungen, die der Gesetzgeber wiederum aus Gründen des Gemeinwohls für die Erbschaftsteuer privilegiert hat.
Keine Rolle spielt auch, ob zu der Überlassung der Parkplätze weitere gewerbliche Leistungen (z. B. eine Ein- und Ausfahrtkontrolle und eine Entgeltzahlungsdienstleistung) hinzukommen. Darauf stellt das Erbschaftsteuergesetz nämlich nicht ab.
Der BFH sah auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Grundstücksüberlassungen, wie z. B. im Rahmen des Absatzes eigener Erzeugnisse durch einen Brauereibetrieb oder im Zusammenhang mit einer land- und forstwirtschaftlichen Betriebstätigkeit. Dass der Gesetzgeber solche Betriebe (wie auch die erwähnten Wohnungsunternehmen) als förderungswürdig ansah, ist von seinem weiten Entscheidungsspielraum gedeckt.
Quelle | BFH, Urteil vom 28.2.2024, II R 27/21
| Oft werden private Ausfahrten zugeparkt oder der private Parkplatz von anderen unberechtigt genutzt. Das störende Fahrzeug muss dann abgeschleppt werden und der Berechtigte muss zusehen, wie er etwaig verauslagte Kosten, z. B. Verwahrkosten, erstattet erhält. Hierzu hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) Wissenswertes entschieden. |
Parken trotz Parkverbots
Der auf den Kläger zugelassene Pkw wurde von dessen Schwester im Innenhof eines privaten Gebäudekomplexes abgestellt, der von einer Immobilienverwalterin verwaltet wird. An der Hofeinfahrt war ein Parkverbotsschild mit dem Zusatz „gilt im gesamten Innenhof“ angebracht. Die Verwalterin beauftragte die Beklagte, das Fahrzeug abzuschleppen, es anschließend zu verwahren und vor Wertminderung sowie unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern. Die Beklagte verbrachte das Fahrzeug noch am selben Tag auf ihr Firmengelände. Kurz darauf forderte der Kläger von der Beklagten schriftlich unter Fristsetzung, das Fahrzeug herauszugeben. Auf das Schreiben erfolgte keine Reaktion.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten zunächst die Herausgabe seines Fahrzeugs verlangt. Nach erfolgter Herausgabe während des Prozesses haben die Parteien die Herausgabeklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Gegenstand des Verfahrens war dann nur noch die Frage, wer die Standkosten tragen musste.
Herausgabeverlangen: Auf den Zeitpunkt kommt es an
Die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser entschied: Zu erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters.
Es kommt auch ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät.
Quelle | BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22
| Muss der Verkäufer einer Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze unaufgefordert über den Härtegrad der Matratze aufklären und beraten? Das Amtsgericht (AG) Hannover hat diese Frage verneint. Es hat entschieden, dass ein Verkäufer im Grundsatz nur dann über den Härtegrad einer Matratze aufklären und beraten muss, wenn der Käufer danach fragt. |
Matratze war Käuferin zu hart: Verkäuferin bot Rabatt an
Die Klägerin kaufte im November 2022 bei der Beklagten eine Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze für ihre Tochter, die zuvor für wenige Minuten zur Probe gelegen hatte. Im Kaufvertrag war für die Matratze der Härtegrad H5 angegeben. Nachdem die Möbel im Januar 2023 geliefert worden waren, empfanden die Klägerin und ihre Tochter die Matratze als zu hart. Dies reklamierte die Klägerin bei der Beklagten. Diese bot der Klägerin u. a. einen Rabatt auf zwei neue Matratzen an, verweigerte aber eine Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klägerin erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Rückabwicklung des Kaufvertrags?
Mit der Klage hatte die Käuferin eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Bettes nebst Matratze verlangt. Sie meinte, es sei für den Verkäufer klar erkennbar gewesen, dass das Schlafzimmer für ihre Tochter gewesen sei. Für das Gewicht ihrer Tochter sei aber ein Härtegrad von H2 angemessen.
Die Verkäuferin hatte vorgetragen, dass die Klägerin keine Beratung gewünscht habe. Sie habe es vielmehr sehr eilig gehabt, da sie einen Transporter angemietet habe. Sie habe sich lediglich nach einem Rabatt erkundigt, sonst aber keine Fragen gestellt.
So sah es das Amtsgericht
Das AG hat die Klage abgewiesen. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die erworbene Matratze nicht mangelhaft war. Denn die Klägerin habe genau das bekommen, was vertraglich vereinbart war, nämlich eine Matratze des Härtegrades H5. Zwar habe die Klägerin erwartet, dass der Verkäufer sie unaufgefordert berate. Der Verkäufer habe aber keinen Anlass gehabt, eingehend über den Härtegrad aufzuklären und zu beraten. Denn die Klägerin habe ihre Erwartung einer Beratung nicht geäußert.
Keine Verletzung der Aufklärungspflicht
Zudem sei der Verkäufer erst hinzugezogen worden, als die Klägerin bereits zum Kauf entschlossen gewesen sei. Im Verkaufsgespräch sei es lediglich darum gegangen, die Daten der Klägerin aufzunehmen und über den Preis zu verhandeln. Die Tochter der Klägerin habe sich nach dem Probeliegen auch nicht über den Härtegrad beschwert. Daher habe der Verkäufer auch keine Aufklärungspflicht verletzt, sodass die Klägerin den Vertrag weder anfechten könne noch vom Vertrag zurücktreten könne.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 30.1.2024, 510 C 7814/23, PM vom 4.4.2024
| Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren. Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde am Knöchel infolge eines Leitersturzes erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Schürfwunde anschließend infiziert und ein Geschwür (Ulkus) hervorruft. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entschieden. |
Das war geschehen
Das OLG musste über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe entscheiden. Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Frau des Klägers von der Leiter und zog sich hierbei u. a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Klägers sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Kläger hat dann die Reise storniert und bei der beklagten Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend gemacht.
Landgericht wies Klage ab
Das LG hatte die Klage abgewiesen, denn die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei – so das LG – auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau des Klägers hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat über die Frage der Behandlung der Ehefrau des Klägers am Knöchel vor Vertragsschluss die behandelnden Ärzte als Zeugen vernommen und die Versicherung dann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt.
Es hat die Kenntnis der Ehefrau des Klägers vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss abgelehnt. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.
Argumente der Versicherung ohne Erfolg
Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpfen die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung. Selbst, wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei.
Quelle | Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.3.2024, 16 U 74/23, PM 1/24
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat mit zwei Urteilen die Berufungen der Kläger in zwei Verfahren gegen Straßenreinigungsgebührenbescheide der Hansestadt Lüneburg für das Jahr 2018 zurückgewiesen. |
Die Hansestadt Lüneburg erhob bis Ende 2017 Straßenreinigungsgebühren nach dem sog. Frontmetermaßstab. Mit Wirkung zum 1.1.2018 stellte sie den Maßstab um und erhebt seitdem die Gebühren gemäß ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung nach dem sog. Quadratwurzelmaßstab. Bei diesem wird aus der Grundstücksfläche die Quadratwurzel gezogen. Damit wird gedanklich ein quadratisches Grundstück gebildet, von dem die Länge einer Seite der Gebührenberechnung zugrunde gelegt wird.
Das OVG hat entschieden, dass der Quadratwurzelmaßstab ein rechtmäßiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Bemessung der Straßenreinigungsgebühren ist. Der vormals von der Hansestadt Lüneburg angewandte Frontmetermaßstab sei gegenüber dem Quadratwurzelmaßstab nicht vorrangig anzuwenden.
Darüber hinaus hat das OVG auch die Bestimmungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung über die Heranziehung von mehrfach anliegenden Grundstücken und von Hinterliegergrundstücken als rechtmäßig erachtet. Diese verstießen weder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz oder den Gleichheitssatz noch gegen den Grundsatz der Vollständigkeit.
Quelle | OVG Lüneburg, Urteile vom 24.4.2024, 9 LC 117/20 und 9 LC 138/20, PM vom 25.4.2024
| Im Streit um Ansprüche auf Rückerstattung aus einem Reisevertrag wies das Amtsgericht (AG) München eine Klage auf Zahlung von rund 4.000 Euro ab. |
Reise online storniert
Der Kläger hatte bei der Beklagten zum Preis von über 4.500 Euro eine neuntägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Portugal gebucht. Im Anschluss stornierte der Kläger im Internet auf der Website der Beklagten die Reise. Die Beklagte buchte sodann vom Konto des Klägers Stornierungsgebühren in Höhe von rund 4.000 Euro ab. Der Kläger leitete daraufhin am selben Tag eine E-Mail an die Beklagte weiter, um die Stornierung rückgängig zu machen.
Der Kläger behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe unbeabsichtigt wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten.
Die Beklagte trug vor, der Kläger habe keine genauen Angaben über die besagte Baustelle getroffen. Im Übrigen sei die Buchung wirksam storniert worden. Für die endgültige Stornierung seien mehrere einzelne Schritte erforderlich gewesen. Eine unbeabsichtigte Kündigung sei im System unmöglich. Dem Reiseveranstalter sei durch den Rücktritt des Kunden hingegen ein Schaden entstanden.
So sieht es das Gericht
Das AG wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde vom Kläger wirksam storniert. Eine wirksame Anfechtung der Stornierung aufgrund eines Irrtums in der Erklärungshandlung ist nicht gegeben.
Ein Irrtum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 119 BGB) ist das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Es liegt (nach § 119 Abs. 1 2. Fall BGB) zudem ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist beispielsweise beim Versprechen, Verschreiben oder Vergreifen der Fall. Zwar gab der Kläger an, die Website der Beklagten sei für ihn unübersichtlich gewesen, da diverse Klicks erforderlich gewesen seien.
Fünfmaliges Verklicken unwahrscheinlich
Es kann grundsätzlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs – wie hier der Buchungsstornierung – mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein „Verklicken“, und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll.
Aus der vom Reiseveranstalter vorgelegten Anlage ergibt sich insoweit, dass der Reisende für eine endgültige Stornierung der Reise erst mehrere einzelne Schritte durchführen musste: Zur Auslösung des endgültigen Stornierungsvorgangs musste der Kläger insgesamt viermal aktiv per Mausklick bestätigen, dass er eine Stornierung wünsche.
Dabei musste er bei Schritt 1 zunächst angeben, aus welchem Grund er seine Reise stornieren wollte. Im Anschluss bei Schritt 2 musste der Kläger angeben, was genau er stornieren wollte. Bei dem darauffolgenden Schritt 3 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Auswählen „Buchung stornieren“, die Stornierung durchgeführt, und im Namen des Reisenden eine Rückerstattung beantragt werde. Erst durch Anklicken dieses Feldes gelangte der Kläger zum letzten und 4. Schritt, wo nochmals um Bestätigung gebeten wurde, dass tatsächlich mit der Stornierung fortzufahren sei. […]
Wirksame Stornierung und keine Umbuchung
Dass das Anklicken versehentlich geschah, und nicht dem Willen des Reisenden entsprach, war für das AG nicht nachvollziehbar. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung durch Vertippen sah das AG nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Reisenden bewusst gewesen sein muss, dass er bei Durchführung des gesamten Buchungsvorgangs eine endgültige Stornierung vornahm – und nicht bloß, wie von ihm vorgegeben – eine Umbuchung. Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde somit wirksam storniert.
Verlust von 4.000 Euro
Die Beklagte war zudem berechtigt, aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch den Kläger vor Reisebeginn einen Betrag in Höhe von rund 4.000 Euro als angemessene Entschädigung zu verlangen.
Das AG hob hervor: Die pauschale Behauptung des Reisenden, es habe neben dem Hotel eine Baustelle gegeben, führt nicht zu einer vertraglichen Pflicht des Reiseveranstalters, alternative Lösungen anbieten zu müssen.
Quelle | AG München, Urteil vom 18.4.2024, 275 C 20050/23, PM 15/24
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Einer Mieterin von Wohnraum darf fristlos gekündigt werden, wenn diese – gleich zweimal – die Vermieterin mit Wasser überschüttet. |
Die Vermieterin hatte die Mieterin auf Räumung der Wohnung verklagt, weil diese sie zwei Mal mit Wasser übergossen habe. Unstreitig zwischen den Parteien war zwar, dass die Mieterin jeweils einen Eimer Wasser aus dem Fenster in den Hof gegossen hatte, als sich die Vermieterin in diesem befand. Die Mieterin hatte allerdings bestritten, die Vermieterin getroffen zu haben oder überhaupt treffen zu wollen.
Das AG sah die Kündigung als wirksam an. Denn der vernommene Zeuge bestätigte, dass die Vermieterin beide Male tatsächlich mit dem Wasser aus dem Eimer vollständig übergossen wurde. Diese sei, so der Zeuge,„klitschnass“ gewesen, wie bei einer „Ice-Bucket-Challenge“. Das rechtfertige eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens, so das AG. Selbst, wenn die Mieterin keine direkte Absicht gehabt habe, die Vermieterin zu treffen, habe sie dies angesichts der Situation jedoch zumindest billigend in Kauf genommen. Denn ihr Ziel lag schon nach dem eigenen Vortrag darin, die Vermieterin davon abzuhalten, ihr Fahrrad umzustellen. Es habe auch keiner vorherigen Abmahnung bedurft, zumal die Mieterin, wie sich aus der Beweisaufnahme ergab, bereits weitere derartige Aktionen angekündigt habe.
Quelle | AG Hanau, Beschluss vom 19.2.2024, 34 C 92/23, PM vom 3.5.2024
| Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat sich mit dem Einwand der Testierunfähigkeit eines an Depressionen und Alkoholsucht leidenden Erblassers zu befassen, der sich das Leben nahm. |
Erblasser litt an Persönlichkeitsstörung
Der Erblasser litt an einer psychiatrisch relevanten Persönlichkeitsstörung in Form einer affektiven Störung mit sowohl depressiven als auch manischen Phasen (bipolare Störung) sowie einem Alkoholproblem. Mit eigenhändigem Testament verfügte er, dass seine Ziehtochter seinen gesamten Besitz erben solle. In zwei Abschiedsbriefen begründete er seine Entscheidung zu dem Suizid und tat im Übrigen kund, dass er alle Erbschaftsangelegenheiten regeln wolle.
Die Ziehtochter beantragte einen Erbschein, der ihre Stellung als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesem Antrag trat die Schwester des Erblassers mit der Begründung entgegen, der Erblasser sei aufgrund seiner psychischen Erkrankungen testierunfähig gewesen. Nach Einholen eines Sachverständigengutachtens zum Einwand der Testierunfähigkeit hat das Nachlassgericht einen Feststellungsbeschluss erlassen. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Schwester mit der Beschwerde, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat.
So entschied das Oberlandesgericht
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Eine Testierunfähigkeit habe das Sachverständigengutachten nicht bestätigen können. Zwar habe der Erblasser an den genannten Erkrankungen und an weiteren körperlichen Einschränkungen gelitten, die die Sachverständigen bestätigten. Diese genannten Gründe allerdings ließen für sich allein keinen zwingenden Schluss auf das Vorliegen der Testierunfähigkeit zu.
Nur dann, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursachen, die die freie Willensbestimmung ausschlössen oder zu einer solch starken Bewusstseinsstörung führten, liege auch eine Testierunfähigkeit vor. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Quelle | Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.3.2024, 3 W28/24
| Ein (fördermittelschädlicher) vorzeitiger Maßnahmenbeginn liegt vor, wenn die einschlägige Förderrichtlinie eine klare Linie bei der Leistungsphase 6 zieht und der Mittelempfänger darüber informiert wurde, dass er eingeschaltete Planer vor Erhalt der Förderzusage nur mit Planungs- und Vorbereitungsleistungen bis einschließlich Leistungsphase 6 beauftragen soll. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg entschieden. |
Bauherr verlor Förderung
Das Urteil war für den Bauherrn besonders „bitter“. Denn er verlor die gesamte Förderung in Höhe von 240.000 Euro, weil er den Planer entgegen den Förderbestimmungen schon mit kleinen Leistungen der Leistungsphase 7 beauftragt hatte.
Bauherren informieren!
Konsequenz aus dem Urteil ist u. a.: Planer sollten Bauherren stets darüber informieren, wie streng Fördermittelgeber darauf achten, dass Förderbestimmungen eingehalten werden.
Quelle | VG Magdeburg, Urteil vom 25.3.2024, 3 A 155/21
| Regelt der Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Erschwernisse, um von ihm eine Bauhandwerkersicherungshypothek zu verlangen, ist dies unwirksam. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Anspruch nur beiVerzug?
Der Auftraggeber hatte einen Planer für Technische Gebäudeausrüstung mit Leistungen über knapp 4,7 Mio. Euro beauftragt. In seinen AGB hieß es u. a.: „Einen Anspruch aus § 650 e BGB kann der Auftragnehmer nur geltend machen, wenn sich der Auftraggeber in Verzug befindet und die angemahnte Zahlung trotz Nachfristsetzung innerhalb von zwei Wochen nicht fristgemäß leistet. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 650 e BGB setzt ferner voraus, dass der Auftragnehmer bei Nachfristsetzung oder danach dies mit einer Frist von drei Wochen angekündigt hat.“
Nachdem mehrere Rechnungen nicht bezahlt worden waren, verlangte der Planer erst eine Sicherheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB, Bauhandwerkersicherung). Die brachte der Auftraggeber nicht bei. Daher beantragte der Planer ohne erneute Fristsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des Anspruchs nach § 650 e BGB (Sicherungshypothek an dem Baugrundstück) i. H. v. ca. 340.000 Euro. Der Auftraggeber berief sich auf seine o. g. AGB-Klausel und wollte nicht leisten.
Landgericht gab Planer Recht
Die Klausel im Vertrag war unwirksam, denn sie benachteiligte den Planer als Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie war mit den wesentlichen Grundgedanken des § 650 e BGB nicht vereinbar.
Der Anspruch auf Vormerkung einer Sicherungshypothek soll den vorleistungspflichtigen Unternehmer schützen und gewährt ihm hierzu einen im Eilverfahren zügig durchsetzbaren Anspruch. Diesen Grundgedanken stehen die mit den AGB aufgestellten Anforderungen, Verzug nach Fristsetzung und weitere Ankündigungsfrist, entgegen. Vor allem könnte der Auftraggeber ansonsten versuchen, bis zum Abschluss eines zuvor angekündigten einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Eigentumswechsel herbeizuführen. Das könnte den Anspruch des Unternehmens vereiteln.
Quelle | LG Berlin, Urteil vom 6.7.2023, 19 O 101/23
| Wer mit Verbrauchern einen Architektenvertrag schließt, muss zum einen vermeiden, dass diese ihr Widerrufsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 312 b BGB) ausüben. Zum anderen ist die neue Belehrungspflicht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (hier: § 7 Abs. 2 HOAI 2021) zu beachten. Sonst kann der Architekt maximal das Honorar nach den Basishonorarsätzen der HOAI abrechnen. Dies gilt, selbst wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Das sagt die HOAI zur Form und zum Fehlen einer Vereinbarung
§ 7 HOAI sagt, dass sich das (Architekten-)Honorar nach der Vereinbarung richtet, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart.
Das sagt die HOAI zur Aufklärungspflicht des Architekten
Außerdem schreibt die Norm vor, dass der Auftragnehmer, also der Architekt, den Auftraggeber, falls dieser Verbraucher ist, vor Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung in Textform darauf hinweisen muss, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Folge: Ohne diese (rechtzeitige) Belehrung gilt für die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Grundleistungen anstelle eines höheren Honorars ein Honorar in Höhe des jeweiligen Basishonorarsatzes als vereinbart.
Diese Konsequenzen zog das Oberlandesgericht
Im Fall des OLG gab es diese Aufklärung nicht. Das OLG: Die Aufklärungspflicht gilt auch, wenn ein Zeit- oder Pauschalhonorar vereinbart worden ist. Ohne Belehrung kann der Planer nur den Basishonorarsatz abrechnen.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 8.4.2024, 11 U 215/22
| Widerruft ein Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst seine Einstellungszusage aufgrund eines ärztlichen Attests, ist dies keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |
Einstellungszusage widerrufen
Der an Diabetes erkrankte, schwerbehinderte Kläger bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung im Januar 2023 auf eine von der beklagten Stadt ausgeschriebene Ausbildungsstelle als Straßenwärter. Er erhielt eine Einstellungszusage vorbehaltlich einer noch durchzuführenden ärztlichen Untersuchung. Der Arzt kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger wegen seiner Diabetes-Erkrankung nicht für die vorgesehene Ausbildungsstelle geeignet sei. Die Einstellungszusage wurde daraufhin zurückgenommen. Der Kläger erhob Klage auf Entschädigung wegen einer aus seiner Sicht erfolgten Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch.
Kein Verstoß gegen geltendes Recht
Das ArbG wies die Klage ab. Eine diskriminierende Handlung und ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien nicht erkennbar.
Der Kläger sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung nicht schlechter behandelt worden als vergleichbare nichtbehinderte Bewerber. Die Stadt habe bei der Entscheidung, den Kläger nicht einzustellen, nicht auf seine Behinderung abgestellt. Vielmehr habe man den Kläger ungeachtet seiner Behinderung gerade einstellen wollen und ihm demgemäß eine Einstellungszusage erteilt, diese jedoch vom Ergebnis einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung bzw. seiner Eignung abhängig gemacht.
Diese gesundheitliche Eignung sei dann von dem von ihr beauftragten Arzt verneint worden. Daraufhin habe die Beklagte unter Berufung auf den zum Ausdruck gekommenen Vorbehalt ihre Einstellungszusage zurückgezogen.
Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 20.3.2024, 3 Ca 1654/23, PM 1/24
| In einem Fall vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf ging es im Wesentlichen um angeblich unangemessene Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber Kollegen über Mitarbeitern. Die daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnung hatte keinen Bestand, weil sie zu unbestimmt war. |
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer hatte die Äußerungen bestritten. Auf seine Frage im Personalgespräch, weshalb keine Namen derjenigen Arbeitnehmer genannt würden, die die Vorwürfe an die Personalbetreuung herangetragen hätten, äußerte die Personalreferentin, dass die Arbeitnehmer eingeschüchtert seien und sich lediglich vertraulich an die Vorgesetzten sowie die Personalbetreuung gewandt hätten. Auch in der Abmahnung selbst erfolgte keine namentliche Nennung.
So sah es das Arbeitsgericht
Das ArbG stellte klar: Dieser Vorgang reicht nicht für eine Abmahnung. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich in der ihm vorgeworfenen Art und Weise verhalten habe. Die Abmahnung sei inhaltlich zu unbestimmt. Die „anderen Mitarbeiter“, gegenüber denen er die Äußerungen getätigt haben soll, würden in der Abmahnung nicht benannt, obwohl sie dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abmahnung unstreitig bekannt gewesen seien. Da sich die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientierten, was der Arbeitgeber wissen könne, sei die Abmahnung nicht hinreichend konkret.
Für den Arbeitnehmer als Adressat der Abmahnung diene die konkrete Nennung der Namen der Zeugen auch dazu, zu überprüfen, ob die Abmahnung inhaltlich richtig sei oder nicht; pauschale Vorwürfe ohne die Nennung der Zeugen würden diese Anforderung nicht erfüllen. Der Arbeitgeber sei auch nicht berechtigt, zum Schutz der Zeugen die Namen in der Abmahnung nicht zu nennen. Hierdurch könne zwar ein Konflikt zwischen dem Arbeitnehmer und den Zeugen im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe entstehen. Einen solchen Konflikt müsse ein Arbeitgeber, der den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf ein angebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers vertraue, allerdings hinnehmen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr den Zeugen durch ihre Nennung in der Abmahnung drohe.
Quelle | ArbG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2024, 7 Ca 1347/23
| Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (hier: § 3 Abs. 1 EFZG) dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Voraussetzung: Es muss dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sein, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |
Abzug vom Verdienst nach Covid-Erkrankung
Der Kläger ist als Produktionsmitarbeiter bei der Arbeitgeberin beschäftigt, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Er hatte sich keiner Schutzimpfung gegen das Coronavirus unterzogen und wurde am 26.12.2021 positiv auf das Virus getestet. Für die Zeit vom 27. bis zum 31.12.2021 wurde dem unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen leidenden Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt. Für diese Zeit leistete die Arbeitgeberin Entgeltfortzahlung. Am 29.12.2021 erließ die Gemeinde N. eine Verfügung, nach der für den Kläger bis zum 12.1.2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung angeordnet wurde. Für die Zeit vom 3. bis zum 12.1.2022 lehnte der Arzt die Ausstellung einer Folge-AU mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Mit der Verdienstabrechnung für Januar 2022 nahm die Arbeitgeberin für diese Zeit vom Lohn des Klägers einen Abzug in Höhe von ca. 1.000 Euro brutto vor. Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung des Arbeitnehmers das Urteil des ArbG geändert und die Arbeitgeberin verurteilt, zu zahlen.
Bundesarbeitsgericht gab Arbeitnehmer Recht
Die Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, ohne dass es darauf ankam, ob bei ihm durchgehend Symptome von COVID-19 vorlagen. Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Die Absonderungsanordnung ist keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruht das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion (Monokausalität). Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Absonderungsanordnung. Aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion war es dem Kläger rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
Es konnte auch nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der empfohlenen Corona-Schutzimpfung für die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich war. Das Berufungsgericht hat hierbei zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, dass die Nichtvornahme der Schutzimpfungen einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellte. Jedoch ließen die wöchentlichen Lageberichte des RKI und dessen Einschätzung der Impfeffektivität nicht den Schluss zu, dass Ende Dezember 2021 bzw. Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufgetretene Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte verhindert werden können.
Der Arbeitgeberin stand ein Leistungsverweigerungsrecht wegen nicht vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu. Das LAG hatte richtig erkannt, dass der Kläger der Beklagten durch Vorlage der Ordnungsverfügung der Gemeinde N. in anderer, geeigneter Weise nachgewiesen hat, infolge seiner Corona-Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.
Quelle | BAG, Urteil vom 20.3.2024, 5 AZ R 234/23, PM 8/24
| Eine Bank kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Bank wollte Originalurkunden nicht herausgeben
Ein Mann hatte geltend gemacht, seine – inzwischen getrenntlebende und in Scheidung befindliche – Ehefrau habe auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung unberechtigt seine Unterschriften angebracht. Er hat beantragt, ein Schriftsachverständigengutachten einzuholen. Das Kreditinstitut – eine Bausparkasse – hat die Herausgabe der zur Begutachtung erforderlichen Originalurkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert. Das machte der BGH nicht mit.
Hier gilt ein Zeugnisverweigerungsrecht
Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, sind zur Verweigerung des Zeugnisses der Tatsachen berechtigt, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Dies gilt dann auch für hierauf bezogene Urkunden. Im Fall des BGH hatten die Interessen des Mannes jedoch Vorrang.
Quelle | BGH, Beschluss vom 29.11.2023, XII ZB 141/22
| Unternehmen müssen den Inhalt der Bilanz und der Gewinn-und Verlustrechnung grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung übermitteln. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun das aktualisierte Datenschema der Taxonomien (Version 6.8) als amtlich vorgeschriebenen Datensatz veröffentlicht. Die aktualisierten Taxonomien stehen unter www.esteuer.de zur Ansicht und zum Abruf bereit. |
Beachten Sie | Die neuen Taxonomien sind grundsätzlich für die Bilanzen der Wirtschaftsjahre zu verwenden, die nach dem 31.12.2024 beginnen (Wirtschaftsjahr 2025 oder 2025/2026). Es wird aber nicht beanstandet, wenn diese auch für das Wirtschaftsjahr 2024 oder 2024/2025 verwendet werden.
Die Übermittlungsmöglichkeit mit diesen neuen Taxonomien wird für Testfälle voraussichtlich ab November 2024 gegeben sein, für Echtfälle ab Mai 2025.
Quelle | BMF-Schreiben vom 27.5.2024, IV C 6 - S 2133-b/24/10001 :002
| Nach den statistischen Aufzeichnungen der obersten Finanzbehörden der Länder haben die im Jahr 2023 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen bei der Umsatzsteuer zu einem Mehrergebnis von rund 1,52 Mrd. Euro geführt. Die Ergebnisse aus der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind in diesem Mehrergebnis nicht enthalten. |
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen werden unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im Jahr 2023 wurden 63.282 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt. Im Jahresdurchschnitt waren 1.604 Umsatzsteuer-Sonderprüfer eingesetzt. Jeder Prüfer führte im Durchschnitt 39 Sonderprüfungen durch. Dies bedeutet für jeden eingesetzten Prüfer ein durchschnittliches Mehrergebnis von rund 0,94 Mio. Euro.
Quelle | BMF, Mitteilung vom 25.4.2024
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Er möchte wissen, ob das gesetzliche Aufteilungsgebot für Beherbergungsleistungen rechtmäßig ist. Danach unterliegt die Übernachtungsleistung dem ermäßigten Umsatzsteuersatz i. H. von 7 %. Für Nebenleistungen, die nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, gilt dagegen der Regelsteuersatz (19 %). In den drei Streitfällen ging es um Parkplatzgestellungen, Frühstücksleistungen, die Gestellung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen sowie von W-LAN. |
Für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, greift die Umsatzsteuerermäßigung auf 7 %.
Beachten Sie | Dies gilt nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG) aber nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.
Bisher war der BFH der Ansicht, dass das Aufteilungsgebot in Einklang mit dem Unionsrecht steht und dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung vorgeht, wonach eine (unselbstständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt.
Ganz so sicher ist sich der BFH aber infolge der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht mehr. Deshalb hat er nun beim EuGH angefragt. Es ist zu hoffen, dass sich der EuGH zeitnah und eindeutig äußern wird, damit zu dieser Frage (endlich) Rechtssicherheit besteht.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 10.1.2024, XI R 11/23 (XI R 34/20), XI R 13/23 (XI R 7/21), XI R 14/23 (XI R 22/21)
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. |
Hintergrund: Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt (in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO) einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.
Finanzamt und Finanzgericht lehnten Auskunftsersuchen ab
Im Streitfall verlangte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt die Zurverfügungstellung (elektronischer) Kopien von Verwaltungsakten mit den ihn betreffenden personenbezogenen Daten, was sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (FG) ablehnten.
Bundesfinanzhof widersprach
Der BFH hat nun entschieden, dass ein Steuerpflichtiger vom Finanzamt grundsätzlich Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten verlangen kann – und zwar ungeachtet der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung.
Auskunftsanspruch unabhängig von Art der Steuer
Der Auskunftsanspruch ist auch nicht davon abhängig, für welche Steuerart die Datenverarbeitung erfolgt. Grundsätzlich ist der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch darauf beschränkt, dass der Steuerpflichtige darüber informiert wird, welche ihn betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet werden.
Der Auskunftsanspruch gewährt grundsätzlich aber kein Recht auf die (elektronische) Zurverfügungstellung von Kopien von ganzen Akten bzw. einzelnen Dokumenten mit personenbezogenen Daten. Nur ausnahmsweise, wenn der Steuerpflichtige diese zwingend benötigt, um seine Rechte nach der DS-GVO durchsetzen zu können, sind ihm auch Kopien von Dokumenten mit seinen personenbezogenen Daten (elektronisch) zur Verfügung zu stellen.
Grenzen: unbegründete oder exzessive Auskunftsersuchen
Zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs hat der BFH im Übrigen klargestellt, dass die Finanzverwaltung zwar einen gegen sie gerichteten Auskunftsanspruch nach der DS-GVO zurückweisen kann, falls dieser offenkundig unbegründet oder exzessiv ist. Hierfür muss sie jedoch die Umstände darlegen, die zu einer offenkundigen Unbegründetheit bzw. zu einem Exzess des Auskunftsersuchens führen. Dass der Steuerpflichtige mit seinem Auskunftsersuchen Ziele außerhalb der DS-GVO verfolgt, erlaubt der Finanzverwaltung nicht, die Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten zu verweigern.
Quelle | BFH, Urteil vom 12.3.2024, IX R 35/21, PM Nr. 27/24 vom 20.6.2024
| Die Auszahlung einer Direktversicherung nach Ausübung eines vertraglich eingeräumten Kapitalwahlrechts unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz. Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster ist allerdings die Revision anhängig. |
Das war geschehen
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in Beiträge zu einer Direktversicherung nach dem Betriebsrentengesetz vereinbart. Daraufhin schloss der Arbeitgeber für die Steuerpflichtige eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Es sollte eine lebenslange monatliche Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen.
Im Streitjahr 2019 übte die Steuerpflichtige das Kapitalwahlrecht aus und erhielt ca. 44.500 Euro. Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolglos.
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten können als außerordentliche Einkünfte in Betracht kommen, die ermäßigt zu besteuern sind (Fünftel-Regelung). Da es im Streitfall aber an dem Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit fehlte, kam keine ermäßigte Besteuerung in Betracht.
Höchstrichterliche Rechtsprechung
Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausschließlich auf die vertragliche Vereinbarung an (keine ermäßigte Besteuerung, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war). In späteren Entscheidungen hat es der BFH jedoch vielmehr für maßgeblich gehalten, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material ausgewertet werden muss.
Bundesfinanzhof ist erneut gefragt
Vor diesem Hintergrund hat das FG Münster nun die Revision mit folgendem Wortlaut zugelassen: „Dem Bundesfinanzhof ist Gelegenheit zu geben, über die Ausschärfung der Kriterien zur Bestimmung der Atypik bei Kapitalauszahlungen von Renten erneut zu entscheiden, da er bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist.“
Beachten Sie | Da die Steuerpflichtige die Revision eingelegt hat, können geeignete Fälle mit einem Einspruch bis zur Entscheidung des BFH offen gehalten werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 24.10.2023, 1 K 1990/22 E, Rev. BFH: X R 25/23
| Bei Lohnsteuer-Außenprüfungen stoßen Prüfer immer häufiger auf Sachverhalte, in denen der Arbeitgeber im Rahmen einer Gehaltsumwandlung den Grundlohn abgesenkt und einen nach § 3 Nr. 30 und Nr. 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreien Heimarbeiterzuschlag zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen (z. B. für Miete, Heizung und Beleuchtung der Arbeitsräume) bezahlt hat. Hier ist Vorsicht geboten: Denn in vielen Fällen sind die Voraussetzungen für den steuerfreien Heimarbeiterzuschlag nach dem Heimarbeitsgesetz (HAG) nicht erfüllt. |
Informationen zum Heimarbeiterzuschlag enthält vor allem die Lohnsteuerrichtlinie 9.13. Hier heißt es in Abs. 2: „Lohnzuschläge, die den Heimarbeitern zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen neben dem Grundlohn gezahlt werden, sind insgesamt aus Vereinfachungsgründen nach § 3 Nr. 30 und 50 EStG steuerfrei, soweit sie 10 % des Grundlohns nicht übersteigen.“
Beachten Sie | Die im Einkommensteuergesetz geregelte Steuerfreiheit gilt allerdings nur für Heimarbeiter i. S. des § 2 Abs. 1 HAG. Die steuerfreien Zuschläge können also nicht von Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden, die ihre Tätigkeit seit der Coronapandemie (teilweise) im Homeoffice ausüben.
Quelle | R 9.13 Abs. 2 Lohnsteuerrichtlinien; § 2 Heimarbeitsgesetz
| Schuldet der Vermieter von Wohnraum zum vertragsgemäßen Gebrauch auch die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, stehen Kosten des Vermieters für eine neue Heizungsanlage jedenfalls dann im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zur steuerfreien Vermietung, wenn es sich dabei nicht um Betriebskosten handelt, die der Mieter gesondert zu tragen hat. Die Quintessenz aus dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH): Der Vermieter kann für die Heizungsanlage keinen Vorsteuerabzug beanspruchen. |
Hintergrund: Nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG) ist der Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen ausgeschlossen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
Das Finanzgericht (FG) Münster hatte den Streitfall noch anders beurteilt und auf getrennte Leistungen abgestellt, nämlich einerseits steuerfreie Vermietungsleistungen und andererseits steuerpflichtige Energielieferungen.
Der BFH lehnte den vom Vermieter begehrten Vorsteuerabzug aus dem Heizungsaustausch aber bereits deshalb ab, weil der Vermieter dort entsprechend den mietrechtlichen Rahmenbedingungen die Gestellung einer Wohnung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch – d. h. einschließlich der Gestellung warmen Brauchwassers – schuldete und die diesbezüglichen Zahlungen nicht als dem Mieter gesondert berechenbare Betriebskosten i. S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 556 BGB) anzusehen waren.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.12.2023, V R 15/21
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden. Danach müssen Steuerpflichtige unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Weil deswegen bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt. |
Steuerpflichtige vor Finanzgericht erfolgreich
In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die Bescheide waren auf der Grundlage des neuen Bundesmodells ergangen, das in mehreren Bundesländern (z. B. in Nordrhein-Westfalen) Anwendung findet.
Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1.1.2022 als einheitlichem Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen Vorschriften enthalten nicht zuletzt wegen der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten zahlreiche Typisierungen und Pauschalierungen.
Bundesfinanzhof: Beschwerden des Finanzamts zurückgewiesen
Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die dagegen erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit in Bezug auf Grundsteuerwerte
Nach Ansicht des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Denn die Steuerpflichtigen müssen bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit haben, einen niedrigeren Wert nachzuweisen – auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich geregelt hat.
Übermaßverbot ist zu berücksichtigen
Der Gesetzgeber verfügt gerade in Massenverfahren über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot kann aber verletzt sein, wenn sich der Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt nach der Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt – und dies war infolge der Besonderheiten in den Streitfällen nicht auszuschließen.
Beachten Sie | Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden. Es handelt sich bisher lediglich um Beschlüsse im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV); PM Nr. 26/24 vom 13.6.2024
| Ist ein Fahrzeug mehr als fünf Jahre alt, stuft das Amtsgericht (AG) Aue-Bad Schlema die Nutzungsausfallentschädigung um eine und bei mehr als zehn Jahren um zwei Gruppen ab. |
So rechnete das Amtsgericht
Wenn ein ca. 15 Jahre alter Kleinwagen mit ca. 194.000 km Laufleistung, der ohne Altersabstufung in die Gruppe B gehört, betroffen ist, wird jedoch nur eine Gruppe abgestuft. Denn tiefer geht es nicht. So gab es im vom AG entschiedenen Fall einen Tagessatz von 23 Euro.
Der Versicherer hatte nur minimale Vorhaltekosten erstattet. Das lehnt das Gericht ab. Denn das komme nur in Betracht, wenn ein Fahrzeug nicht nur alt, sondern in einem so schlechten Zustand ist, dass seine Nutzbarkeit deutlich eingeschränkt ist.
Entgangene Fortbewegungsmöglichkeit
Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich hinter den Vorhaltekosten letztlich kaum mehr als die Fixkosten wie Steuern, Versicherung etc. verbergen, es sich hierbei also um einen weitaus geringeren Betrag handelt. Mit zunehmendem Fahrzeugalter spiele letztlich nur die entgangene Fortbewegungs- und Transportmöglichkeit eine Rolle. Allein aufgrund des Alters des Fahrzeugs könne daher nicht ohne Weiteres von einer weiteren Einschränkung des Nutzungswerts bis zum Betrag von Vorhaltekosten ausgegangen werden.
Quelle | AG Aue-Bad Schlema, Urteil vom 28.2.2024, 3 C 241/23
| Ist ein durch eine Verbraucherzentrale geltend gemachter Unterlassungsanspruch begründet, wenn eine Firma die online erklärte Kündigung eines Kunden von einem Bestätigungstelefonat abhängig macht? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz bejaht. |
Zusätzliches Telefonat nötig, damit Online-Kündigung wirksam wird?
Die Beklagte bietet, auch gegenüber Verbrauchern, den Abschluss von Dienstleistungsverträgen über Dauerschuldverhältnisse unter anderem zur Bereitstellung von Webspeicherplatz, E-Mail-Postfächern und Servern an.
Der Kläger, ein eingetragener Verein (Verbraucherzentrale), begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, dass sie auf eine online erklärte Kündigung gegenüber Verbrauchern behauptet, dass zur Wirksamkeit der Kündigung noch ein Telefonat erforderlich sei. Konkret hat ein Kunde seinen Vertrag bei der Beklagten per Internet gekündigt. Der Kunde hat daraufhin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, er möge seine Kündigung binnen 14 Tagen telefonisch bestätigen, ansonsten bleibe das Vertragsverhältnis unverändert bestehen.
Verbraucherzentrale: Telefonat dient zum Umstimmen der Verbraucher
Der Kläger hat daraufhin die Beklagte abgemahnt und erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Er behauptet, im Fall eines Anrufs nach der Kündigung werde seitens der Beklagten – mittels rhetorischer Kunstfertigkeit oder Anbieten anderer Vertragskonditionen – versucht, den Verbraucher zu überzeugen, von seinem Kündigungswillen Abstand zu nehmen. Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten gegenüber Verbrauchern, dass nach einer Kündigung eine Rückbestätigung erfolgen müsse, stelle eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Sie enthalte unwahre Angaben über Rechte des Verbrauchers.
Der Kläger beantragte u. a., der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro zu untersagen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern diesen nach einer der Beklagten zugegangenen Kündigungserklärung eines Dienstleistungsvertrags in Form eines Dauerschuldverhältnisses zu behaupten, die telefonische Bestätigung der erklärten Kündigung sei erforderlich. Die Beklagte meint, ohne telefonische Rückbestätigung der Kündigung bestünde das Risiko, dass unberechtigte Dritte den Vertrag eines Kunden kündigen könnten. Es sei deshalb erforderlich, sich davon zu überzeugen, dass die Kündigung vom Erklärenden stammt. Dabei biete ein Telefonat ein Mehr an Sicherheit verglichen mit einem Bestätigungslink innerhalb einer E-Mail. Es finde keine Irreführung des Verbrauchers statt. Außerdem werde eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst.
So sah es das Landgericht
Das LG hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch zu. Das Vorgehen der Beklagten, den Verbraucher aufzufordern, seine Kündigung innerhalb von 14 Tagen telefonisch zu bestätigen, stelle eine geschäftliche Handlung dar. Dazu gehörten auch Verhaltensweisen, die auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung oder das Verhindern einer Geschäftsbeendigung gerichtet sind. Diese geschäftliche Handlung der Beklagten sei unzulässig, da sie unlauter sei. Unlauter handele, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Bestätigungslink in E-Mail genügt
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch irreführend. Dies sei gegeben, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthalte. Erfasst seien auch irreführende Angaben über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung bestimmter Rechte, zu denen auch das Kündigungsrecht zähle. Auch, wenn die Beklagte nach Auffassung des LG ein grundsätzliches Interesse an einer Authentifizierung haben könne, wäre eine solche vorrangig durch eine Bestätigung über den von dem Verbraucher gewählten Kommunikationskanal zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein an den Verbraucher unter der von ihm hinterlegten E-Mail-Adresse gesendeter Bestätigungslink zur Identifizierung weniger geeignet wäre als ein Telefonat. Auch während eines Telefonats sei es der Beklagten nicht möglich, sich umfassende Gewissheit über die wahre Person ihres Gesprächspartners zu verschaffen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es einem unbefugten Dritten, der sich Zugang zu der Kundennummer, der Vertragsnummer und dem E-Mail-Konto des wahren Vertragspartners verschafft hat, auch gelänge, in einem Telefonat über seine Identität zu täuschen.
Zusätzliche Entscheidung
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beklagte stelle den Verbraucher nach Zugang seiner Kündigung vor die Wahl, seine Kündigung nicht telefonisch zu bestätigen, und in der Folge das Vertragsverhältnis fortzusetzen, oder innerhalb von 14 Tagen telefonisch Kontakt zu der Beklagten aufzunehmen. Es werde dadurch eine zusätzliche Entscheidung des Verbrauchers verlangt, ob er an der Ausübung seines Kündigungsrechts festhalten will. Ohne die irreführende Aufforderung der Beklagten würde der Verbraucher weder die eine noch die andere Entscheidung treffen. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Beklagte eingeräumt habe, dass die beanstandete Vorgehensweise der Beklagten deren übliche Vorgehensweise sei.
Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 27.2.2024, 11 O 12/23
| Das Landgericht (LG) Oldenburg hat den von einer Frau geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz zurückgewiesen. Sie hatte sich an einem Becher Tee verbrüht. |
Warnhinweis auf dem Pappbecher
Die Frau hatte in einem Restaurant einen Tee in einem Einwegbecher gekauft. Auf dem Becher war der Warnhinweis angebracht: „VORSICHT HEISS“. Außerdem enthielt er ein Piktogramm mit einer Tasse mit Dampfschwaden. Der Becher war der Frau mit einem von Hand zu öffnenden Deckel übergeben worden. Er wurde ihr in einer Pappschale ausgehändigt. Wenige Minuten nach dem Kauf hob die Frau den Becher am Deckel aus der Schale. Da passierte es: Der Deckel löste sich. Der Tee ergoss sich auf ihre Oberschenkel. Die Frau erlitt Verbrennungen 1. und 2. Grades. Sie musste sich später einer teuren Behandlung unterziehen.
So sah es die Frau
Die Frau argumentierte vor dem LG, der Tee sei zu heiß gewesen. Folglich seien von ihm unnötige Gesundheitsgefahren ausgegangen. Zudem sei der Deckel nicht fest verschlossen gewesen. Mit diesen beiden Umständen habe sie nicht rechnen müssen.
So sah es das Landgericht
Das LG lehnte den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ab. Es hob hervor: Dass frisch zubereiteter Tee heiß sei (zwischen 90 und 100 Grad), sei allgemein bekannt. Er müsse daher nicht in verzehrfertiger Temperatur übergeben werden. Die Frau sei zudem durch die o. g. Hinweise auf dem Becher ausdrücklich gewarnt worden. Vor einem eventuell losen Deckel habe die Restaurantbesitzerin ebenfalls nicht warnen müssen.
Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 15.3.2024, 16 O 2015/23
| Kosten für eine einem Hotel ähnliche Unterbringung im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung können auch die Aufwendungen für das Mieten eines Wohnmobils sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Haus unbewohnbar – Wohnmobil als Ersatz gemietet
Das Haus eines Versicherungsnehmers war unbewohnbar geworden. Er mietete sich daher für 260 Euro pro Tag ein Wohnmobil und verlangte den Betrag später vom Versicherer zurück. Dieser wollte die Kosten jedoch nicht übernehmen.
Wohnmobil mit Hotel vergleichbar
Das OLG Köln verurteilte den Versicherer schließlich, rund 86.000 Euro an Mietkosten zu übernehmen. Auch die Kosten für das Mieten des Wohnmobils seien Kosten einer einem Hotel ähnlichen Unterbringung i. S. d. Versicherungsbedingungen.
Für Versicherungsnehmer ist Wohnmobil eine dem Hotel ähnliche Unterkunft
Die Auslegung ergebe, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch die stationäre Unterbringung in einem Mietwohnwagen oder Mietwohnmobil als eine einer Hotelunterbringung ähnliche Unterkunft ansehen werde. Denn ebenso wie ein Hotel, eine Ferienwohnung, eine Pension oder Gaststätte mit „Fremdenzimmern“ zeichnet sich ein Wohnmobil bzw. ein Wohnwagen, der zeitweise vermietet wird, dadurch aus, dass wechselnde Gäste darin für eine befristete Zeit wohnen, sei es zu Arbeitsaufenthalten (bspw. Saisonarbeiter, Arbeiter auf Montage) oder zu touristischen Zwecken. Allein der Aspekt der Mobilität des Wohnmobils im Unterschied zur Hotelunterkunft – also der Umstand, dass ein Wohnwagen grundsätzlich mithilfe eines Pkw bzw. ein Wohnmobil aus eigener Motorkraft im Straßenverkehr zum Reisen benutzt und zu wechselnden Standorten bewegt werden kann – steht der Vergleichbarkeit zu einer Hotelunterbringung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht entgegen.
Motorisierung spielt keine Rolle
Das OLG sieht zwar, dass ein Wohnmobil gerade durch die Motorisierung deutlich teurer ist als ein Wohnwagen. Darauf kommt es im Rahmen der Erstattung der Unterbringungskosten aber nicht an.
Der Versicherungsnehmer muss keine dem Wohnungsstandard entsprechende Unterkunft finden. Er ist in der Wahl der Unterkunft grundsätzlich frei und darf sich dabei von persönlichen Bedürfnissen und privaten Befindlichkeiten leiten lassen. Bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Grenzen besteht der zugesagte Versicherungsschutz. Danach sind Kosten für das Mieten eines Wohnmobils als Kosten einer ähnlichen Unterbringung, wie Hotelkosten, grundsätzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung (nach Abschnitt A. § 8 Nr. 1 c VHB 2014) erstattungsfähig.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger das Wohnmobil nicht als Wohnraumersatz, sondern etwa zu Reisezwecken angemietet haben, hat der Versicherer nicht konkret vorgetragen. Sie ergaben sich für das OLG auch nicht aus dem Akteninhalt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 5.12.2023, 9 U 46/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden: Der Versicherer muss die Kosten für die Versorgung mit Medizinal-Cannabis nicht tragen, wenn der Versicherungsnehmer an der Glasknochenkrankheit leidet. |
Konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft?
Der Versicherungsnehmer meinte, dass konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien. Es liege zumindest eine schwere Erkrankung mit wesentlichen Funktionseinschränkungen vor. Daher müsse der Versicherer die medizinisch notwendige Heilbehandlung durch Medizinal-Cannabis übernehmen.
Der Versicherer entgegnete: Bei akut auftretenden Schüben sei Cannabis wegen seiner „Behandlungsträgheit“ nicht geeignet. Das Landgericht (LG) war dem gefolgt und hatte in erster Instanz die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen.
Oberlandesgericht sieht es wie der Versicherer
Das OLG hat dies bestätigt. Der Versicherungsnehmer habe nach dem Versicherungsvertrag einen Leistungsanspruch, wenn es sich bei der Behandlung seiner Beschwerden um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handelt, die entweder von der Schulmedizin überwiegend anerkannt ist oder es sich um eine Methode oder ein Arzneimittel handelt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor.
Zwar leide der Versicherungsnehmer unter einem schweren, multilokulären generalisierten Schmerzsyndrom bei Glasknochenkrankheit und bei entsprechender Symptomatik komme die Erstattung von Medizinal-Cannabis grundsätzlich in Betracht. Wesentliche gelenkarthrotische Veränderungen seien jedoch ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht feststellbar. Weitere Befunde, die den Vortrag zu seinen körperlichen Beschwerden – insbesondere der behaupteten Vielzahl von Brüchen – stützen könnten, habe der darlegungs- und beweisbelastete Versicherungsnehmer ebenfalls nicht vorgelegt.
Die Behandlung der beim Versicherungsnehmer feststellbaren Symptomatik mit Medizinal-Cannabis sei nach heutiger medizinischer Einschätzung und aktuellem Wissensstand nicht als von der Schulmedizin allgemein anerkannte Methode anzusehen. Auch sei sie keine Methode, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt habe wie die Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe ausgeführt, mangels ausreichender Datenlage könne nicht festgestellt werden, dass die Therapie mit Medizinal-Cannabis eine entsprechende Linderung der im Zusammenhang mit der Glasknochenkrankheit stehenden Schmerzsymptomatik verspreche. Schließlich seien schulmedizinisch sowohl nichtmedikamentöse als auch verschiedene medikamentöse Behandlungen verfügbar. Der Versicherungsnehmer habe nicht nachgewiesen, dass diese Behandlungsmethoden bei ihm nicht wirksam seien oder gravierende Nebenwirkungen verursachten.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2023, I-13 U 222/22
| Der Vermieter ist verpflichtet, dem Mieter auf dessen Verlangen Einsicht in die Abrechnungsbelege zu gewähren und diese in einer geordneten Form vorzulegen. Es ist nicht Aufgabe des Mieters, die Belege selbstständig zu ordnen. So entschied es das Amtsgericht (AG) Münster. |
Die Wohnungsmieter hatten Einsicht in die Belege zu den Betriebskostenabrechnungen von 2018 bis 2020 verlangt. Die Vermieterin legte die Unterlagen ungeordnet, weder thematisch noch chronologisch stringent sortiert, vor. Daher weigerten sich die Mieter, die Nachforderungen aus den Abrechnungen auszugleichen.
Die Zahlungsklage der Vermieterin hatte keinen Erfolg. Sie habe keinen Anspruch auf die Nachzahlungen, da den Mietern ein Zurückbehaltungsrecht zustehe. Die Vermieterin habe keine umfassende Belegeinsicht gewährt.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 259 Abs. 1 BGB) bedürfe es einer geordneten Zusammenstellung der Abrechnungsbelege, so das AG. Das umfasse eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung in Abrechnungsposten.
Dabei sei auf einen juristisch und betriebswirtschaftlich ungeschulten Mieter abzustellen. Anderenfalls könne der Mieter sein Prüfungsrecht nicht sinnvoll ausüben. Der Mieter sei nicht verpflichtet, die Belege selbstständig zu ordnen oder Zusammenhänge in den Rechnungen fortlaufender Verträge zu erkennen.
Quelle | AG Münster, Urteil vom 25.10.2023, 38 C 1947/22
| Das Landgericht (LG) Hanau hat entschieden, dass ein Vermieter in einem Gebäude mit nur zwei Wohnungen dem Mieter der zweiten Wohnung nicht ohne besonderen Grund kündigen kann, wenn er selbst die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr nutzt. |
Vermieterin wohnte überwiegend im Ausland
Zwischen der hauptsächlich im Ausland lebenden Vermieterin und den Mietern besteht ein Mietvertrag über eine Wohnung in einem Haus mit nur zwei Wohneinheiten. Sie selbst nutzt die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr. Die Vermieterin hat die Kündigung nach § 573 a BGB ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift kann der Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen jederzeit ohne Grund beenden. Die Mieter halten die Kündigung für unwirksam, weil die Vermieterin die andere Wohnung nicht im Sinne der Vorschrift bewohne. Das Amtsgericht (AG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat die Räumungsklage abgewiesen.
Lebensmittelpunkt erforderlich
Das LG hat die Berufung der Vermieterin zurückgewiesen. Für die erleichterte Kündigung nach § 573 a BGB reiche es nicht aus, dass der Vermieter die zweite Wohnung in dem Haus lediglich zusätzlich nutze, selbst, wenn das vereinzelt, wie für das Jahr 2021 behauptet, insgesamt 40 Wochen seien. Er müsse vielmehr seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung haben. Eine enge Auslegung der Vorschrift sei insbesondere deshalb geboten, weil diese es ermögliche, den Mietvertrag mit dem ansonsten von dem Gesetz erheblich geschützten Wohnraummieter zu beenden, ohne dass der Mieter eine Pflichtverletzung begangen oder der Vermieter sonst ein besonderes Interesse hieran habe.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Hanau, Urteil vom 15.11.2023, 2 S 107/22, PM vom 8.2.2024
| Dass ein Testament nicht zwingend auf einem weißen Blatt Papier entstehen muss, zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg. Es ging letztlich darum, ob jemand Erbe geworden war oder nicht. |
Gastwirt verstarb – Testament auf „Kneipenblock“
Verstorben war ein Gastwirt aus dem Landkreis Ammerland. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte, einen Erbschein zu erteilen. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname einer Person („X“) vermerkt. Auf dem Zettel hieß es lediglich „X bekommt alles“.
Amtsgericht: Testierwille fehlte
Das Amtsgericht (AG) sah die Partnerin nicht als Erbin an. Es war der Auffassung, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille.
Oberlandesgericht: Testament wirksam
Der auf das Erbrecht spezialisierte Senat des OLG gelangte zu einer anderen Bewertung. Der handschriftliche Text auf dem Zettel sei ein wirksames Testament.
Das OLG war aufgrund der Einzelheiten des Verfahrens überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück selbst verfasst hatte und dass er mit dem genannten Spitznamen allein seine Partnerin gemeint habe. Auch, dass der Erblasser mit der handschriftlichen Notiz seinen Nachlass verbindlich regeln wollte, stand für den Senat aufgrund von Zeugenangaben fest.
Dass sich die Notiz auf einer ungewöhnlichen Unterlage befinde, nicht als Testament bezeichnet und zudem hinter der Theke gelagert war, stehe der Einordnung als Testament nicht entgegen. Zum einen sei es eine Eigenart des Erblassers gewesen, für ihn wichtige Dokumente hinter dem Tresen zu lagern. Zum anderen reiche es für die Annahme eines Testaments aus, dass der Testierwille des Erblassers eindeutig zu ermitteln sei und die vom ihm erstellte Notiz seine Unterschrift trage. Das OLG stellte die Partnerin daher als rechtmäßige Erbin fest.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2023, 3 W 96/23, PM 10/24
| Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte der Klägerin eine Altersrente. Einen Grundrentenzuschlag nach dem Sozialgesetzbuch VI (hier: § 76 g SGB VI) für langjährige Versicherung berücksichtigte sie nicht, weil das anzurechnende Einkommen des Ehemannes höher als der Zuschlag war. Zu Recht, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun bestätigte. |
Klägerin rügte Grundrechtsverstoß
Die Klägerin rügte, dass die Einkommensanrechnung gemäß § 97 a Abs. 1 SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße. Verheiratete und unverheiratete Menschen würden ungleich behandelt und durch den Familienstand „verheiratet“ benachteiligt, weil das Gesetz eine Einkommensanrechnung bei unverheirateten Personen nicht vorsehe. Das SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid ab.
Landessozialgericht: kein Grundrechtsverstoß
Die dagegen gerichtete Berufung hat das LSG nun zurückgewiesen. Die von der Beklagten angewandte gesetzliche Regelung sei nicht verfassungswidrig. Der Nachteil der Einkommensanrechnung werde bei Gesamtbetrachtung aller an die Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft anknüpfenden Regelungen sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch in anderen Regelungsbereichen im Ergebnis ausgeglichen.
Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs
Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass das Ziel der Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers neben der Anerkennung der Lebensarbeitsleistung eine bessere finanzielle Versorgung von langjährig Versicherten sei. Dieses Ziel werde erreicht. Dem Grundrentenberechtigten verbleibe bei Einbeziehung des Einkommens des Ehegatten ein Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs. Er stehe besser da als jemand, der wenig oder gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend versichert gearbeitet habe und entsprechend wenig oder gar nicht in diese eingezahlt habe.
Das gelte zwar auch für jemanden, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit jemandem zusammenlebe, der entsprechende Einkünfte habe. Allerdings seien Ehepartner aufgrund der unterhaltsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung wirksamer als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft versorgt.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.1.2024, L 18R 707/22, PM vom 15.3.2024
| Allein mit der Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, kann der Auftraggeber das Architektenhonorar nicht wirksam mindern. Die Bezeichnung „im Allgemeinen erforderlich“ in § 3 Abs. 3 HOAI soll nämlich klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt notwendig sind, um die Vertragsziele zu erreichen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Maßgeblich sind die vertraglichen Vereinbarungen
Maßgeblich sind nach dem OLG nicht die in der HOAI genannten Leistungsbilder, sondern die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Was ein Planer vertraglich schuldet, ergibt sich aus dem Vertrag, in der Regel also aus dem Recht des Werkvertrags. Der Inhalt dieses Vertrags ist nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts zu ermitteln.
Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI geregelten „Leistungsbilder“ sind Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach.
Daraus folgt, dass es sich bei den Vorgaben des § 34 Abs. 3 und Anlage 10.1 HOAI nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe handelt.
Es müssen nicht stets alle Grundleistungen erbracht werden
Die in Anlage 10.1 aufgeführten Grundleistungen sind nicht alle zwingend für einen vollständigen Honoraranspruch zu erbringen, wenn dies für den vereinbarten Leistungsumfang nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 S. 1 HOAI, wonach die in den Leistungsbildern erfassten Grundleistungen im Allgemeinen zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags erforderlich sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht immer alle in der jeweiligen Leistungsphase aufgeführten Grundleistungen zur Lösung der jeweiligen konkreten Planungsaufgabe zwingend erbracht werden müssen. Sind bestimmte Grundleistungen nicht zur Lösung der konkreten Planungsaufgabe erforderlich, führt es nicht zu einer Honorarkürzung, wenn diese – nicht erforderlichen – Leistungen nicht erbracht wurden.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 7.2.2024, 14 U 12/23
| In letzter Zeit häufen sich die Entscheidungen dazu, dass es nicht zu den Aufgaben des Architekten gehört, Rechtsfragen zu bearbeiten. Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt eine neue Variante hinzugefügt und sich klar positioniert. |
Das OLG: Ob eine Nachtragsforderung des bauausführenden Unternehmers berechtigt ist, liegt außerhalb der Fragestellungen, für deren Richtigkeit der Architekt mit seiner Rechnungsprüfung im Verhältnis zum Auftraggeber einzustehen hat.
Quelle | OLG Frankfurt, Beschluss vom 2.3.2023, 21 U 69/21
| Ein Architekt, der bei der Gebäudesanierung seine Kunden nicht nur in technischer Hinsicht berät, sondern auch Ratschläge zum Erhalt von Fördermitteln erteilt, muss für Schäden einstehen, wenn er die Fördervoraussetzungen fehlerhaft einschätzt. So hat es das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Empfehlung des Architekten
Die Frau hatte sich zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann dazu entschlossen, ihr Mehrfamilienhaus energetisch sanieren zu lassen und wollte dafür möglichst auch Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Sie ließ sich dahingehend von einem Architekten beraten, der auch Leistungen im Bereich der Energieberatung anbietet. Dieser empfahl, das Objekt in Wohnungseigentum umzuwandeln, da dies eine Voraussetzung für die Gewährung von KfW-Fördermitteln im Rahmen des Programms „Energieeffizient Sanieren“ sei.
KfW verweigerte Fördermittel
Entsprechend der Beratung des Architekten stellte das Ehepaar den Antrag auf die Fördermittel, noch bevor die Umwandlung des Hauses in Wohnungseigentum vollzogen war. Nachdem die Sanierungsarbeiten durchgeführt und die Umwandlung in Wohnungseigentum abgeschlossen waren, rief das Ehepaar die Fördermittel ab. Die KfW verweigerte jedoch die Auszahlung, da nach den Förderbedingungen nur Eigentümer von bestehenden Eigentumswohnungen antragsberechtigt seien; eine Umwandlung in Wohnungseigentum erst nach Antragstellung genüge dagegen nicht. Die nun entgangenen Vorteile verlangten die Eigentümer von dem Architekten ersetzt.
Architekt erbrachte Rechtsdienstleistung
Das LG gab der Klage statt. Der Architekt habe nicht nur auf technischer Ebene zugearbeitet, sondern mit seiner beratenden Tätigkeit zu den Fördervoraussetzungen der geplanten Sanierungsmaßnahme eine sogenannte Rechtsdienstleistung erbracht. Da die Information über die Voraussetzungen für die KfW-Förderung der geplanten Maßnahme unzureichend gewesen sei, habe er seine Schutzpflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt. Hätten die Eheleute den Antrag erst nach der Umwandlung in Wohnungseigentum gestellt, hätten sie die Fördermittel erhalten. Den daraus entstandenen Schaden muss der Architekt nun erstatten.
Das LG: Der Architekt kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, er arbeite im Rahmen der Energieberatung nur auf technischer Ebene.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 25.1.2024, 7 O 13/23, PM vom 28.3.2024
| Ein ehemaliger Polizist hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit infolge früher wahrgenommener Tätigkeiten u. a. im Streifendienst. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Aachen entschieden. |
Der Kläger begründete, er sei während seiner nahezu 46-jährigen Dienstzeit zu erheblichen Teilen im Außendienst eingesetzt gewesen, ohne dass sein Dienstherr ihm Mittel zum UV-Schutz zur Verfügung gestellt oder auch auf die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen hingewiesen habe. Infolgedessen leide er unter Hautkrebs am Kopf, im Gesicht und an den Unterarmen.
Das VG hat die Ablehnung der Anerkennung als Berufskrankheit bestätigt, denn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall lägen hier nicht vor. Erforderlich ist im Fall von Hautkrebs durch UV-Strahlung, dass der Betroffene bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt ist, d. h. das Erkrankungsrisiko aufgrund der dienstlichen Tätigkeit in entscheidendem Maß höher als das der Allgemeinbevölkerung ist. Davon kann bei Polizeibeamten im Außendienst nicht die Rede sein. Polizisten bewegen sich in unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und nicht nur bei strahlendem Sonnenschein im Freien.
Quelle | VG Aachen, Urteil vom 15.4.2024, 1 K 2399/23, PM vom 15.4.2024
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat entschieden: Eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) scheidet aus, wenn der Bewerber eine klassische kaufmännische Ausbildung hat, die nicht mit der Laufbahn des mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Bundeswehrverwaltung) vergleichbar ist. Hat der Bewerber später nicht entsprechend seiner Qualifikation gearbeitet, sammelt er auch keine Zeiten „hauptberuflicher Tätigkeit“. |
Kläger erhielt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch
Der Kläger bewarb sich auf die o. g. Stelle und wurde nicht eingeladen. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) klagte er auf eine Entschädigung nach dem AGG (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 AGG) und unterlag. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG zurück. Zu Recht habe das VG ausnahmsweise eine Einladung eines schwerbehinderten Menschen durch einen öffentlichen Arbeitgeber als entbehrlich angesehen. Denn die fachliche Eignung fehlte offensichtlich.
Wesentliche Unterschiede in der Ausbildung
Der Kläger hatte eine Ausbildung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft absolviert. Deren Inhalte unterschieden sich wesentlich von denen, die im Vorbereitungsdienst für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst in der Bundeswehrverwaltung vermittelt würden und allein zur Laufbahnbefähigung für den mittleren Dienst führen könnten. Das VG verglich insoweit die Ausbildung des Klägers mit den Anforderungen des fachspezifischen Vorbereitungsdienstes. Er konnte auch nicht nachweisen, dass seine späteren hauptberuflichen Tätigkeiten seiner Qualifikation entsprachen bzw. anzuerkennen seien. Hier wäre ein Zeitraum von mindestens einem Jahr und sechs Monaten notwendig gewesen. Er hatte auf verschiedenen Stellen überwiegend einfache Büro- und Verwaltungsarbeiten ausgeführt, die häufig nicht einmal eine kaufmännische Ausbildung voraussetzten.
Quelle | OVG NRW, Urteil vom 8.5.2023, 1 A 3340/20
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Auch ein Abweichen von dem direkten Arbeitsweg kann unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert sein. Dabei muss aber ein ausreichender Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt gesetzlich etwa für einen vom Arbeitsweg abweichenden Weg in Betracht, um ein Kind wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. In einem solchen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nun eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. |
Begleitung auf dem Schulweg
Die Klägerin hatte ihre Tochter im Grundschulalter zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet, an dem sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg traf. Dieser Sammelpunkt lag, von der Wohnung der Klägerin aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg von dem Sammelpunkt zu ihrer Arbeit, aber noch vor Erreichen des Wegstücks von ihrer Wohnung zur Arbeit, wurde die Klägerin – als sie trotz einer roten Fußgängerampel eine Straße überquerte – von einem PKW erfasst. Sie erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche.
Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, bekam die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart zunächst recht. Sie hatte insbesondere geltend gemacht, dass die Begleitung ihrer Tochter aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen sei.
Landessozialgericht: Kein Arbeitsweg
Auf die Berufung des Unfallversicherungsträgers hat das LSG Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall setze, wie der zuständige Senat klargestellt hat, u. a. voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Klägerin habe sich zwar im Unfallzeitpunkt objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Dies sei aber nicht hinreichend, denn das Überqueren der Straße am Unfallort zum Unfallzeitpunkt sei nicht auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit erfolgt, sodass der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit fehle.
Entscheidend: nicht Umweg, sondern Abweg
Bewege sich der Versicherte – wie vorliegend die Klägerin – nicht auf einem direkten Weg in Richtung seines Ziels, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem fort, handele es sich eben nicht um einen bloßen Umweg, sondern um einen Abweg. Werde der direkte Weg mehr als geringfügig unterbrochen und ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen, also nicht betrieblichen Gründen – ebenfalls wie vorliegend – zurückgelegt, bestehe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe auch bis zum Eintritt des Unfallereignisses die unmittelbare Wegstrecke zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht. Der Wegeunfallversicherungsschutz sei damit zum Unfallzeitpunkt noch nicht erneut begründet worden.
Keine Ausnahme gegeben
Es liege auch kein ausnahmsweise versicherter Abweg vor. Die Klägerin habe ihre Tochter nicht – wie für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz insoweit erforderlich – zum Sammelpunkt begleitet, um ihrer Beschäftigung nachzugehen, sondern allein und ausschließlich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter. Damit fehle vorliegend jeglicher sachlich-inhaltlich kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung der Klägerin und dem Begleiten der Tochter. Denn erfasst würden keine Fälle, in denen das Kind in fremde Obhut unabhängig davon verbracht werde, ob der Versicherte seine Beschäftigung alsbald aufnehmen wolle. Schließlich stelle auch die Begleitung der Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von wo aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg beschritten, schon kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne des Gesetzes dar.
Beachten Sie | Wenn ein Unfall – wie in dem dargestellten Fall – nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst ist, wird Versicherungsschutz typischerweise durch die – gesetzliche oder private – Krankenversicherung gewährleistet. Auch sind Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen während des Schulbesuchs sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022, L 10 U 3232/21, PM vom 19.3.2024
Mietrecht
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass die Verpackung eines Produkts in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht („Mogelpackung“), wenn sie nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist. |
Verbraucherschutzverband klagte
Die Klägerin ist ein Verbraucherschutzverband. Die Beklagte vertreibt Kosmetik- und Körperpflegeprodukte. Die Beklagte bewarb auf ihrer Internetseite ein Herrenwaschgel in einer aus Kunststoff bestehenden Tube mit einer Füllmenge von 100 ml. In der Online-Werbung ist die Tube auf dem Verschlussdeckel stehend abgebildet. Sie ist im unteren Bereich des Verschlussdeckels transparent und gibt den Blick auf den orangefarbigen Inhalt frei. Der darüber befindliche, sich zum Falz der Tube stark verjüngende Bereich ist nicht durchsichtig, sondern silbern eingefärbt. Die Tube ist nur im durchsichtigen Bereich bis zum Beginn des oberen, nicht durchsichtigen Bereichs mit Waschgel befüllt.
Die Klägerin hält diese Werbung für unlauter, weil sie eine tatsächlich nicht gegebene nahezu vollständige Befüllung der Tube mit Waschgel suggeriere, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass die Verpackung zwar dann ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge als vorhanden vortäusche, wenn der Verbraucher sie im Rahmen des Erwerbs im Laden in Originalgröße wahrnehme. Im Fall des hier vorliegenden Online-Vertriebs fehle es jedoch an der Spürbarkeit eines Verstoßes, weil dem Verbraucher die konkrete Größe der Produktverpackung im Zeitpunkt der Beschäftigung mit dem Angebot und dem Erwerb des Produkts verborgen bleibe. Auch eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt der Täuschung über den Hohlraum in der Verpackung liege nicht vor.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH stellte klar: Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Insbesondere täuscht die beanstandete Produktgestaltung ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vor, als in ihr enthalten ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch eine spürbare Interessenbeeinträchtigung vor. Denn der Verkehr soll vor Fehlannahmen über die relative Füllmenge einer Fertigpackung („Mogelpackung“) geschützt werden. Dieser Schutzzweck ist unabhängig vom Vertriebsweg stets betroffen, wenn – wie im Streitfall – eine Fertigpackung ihrer Gestaltung und Befüllung nach in relevanter Weise über ihre relative Füllmenge täuscht.
Der Bundesgerichtshof hat die Beklagte daher zur Unterlassung verurteilt.
Die beanstandete Internetwerbung für das Waschgel verstößt gegen das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG). Eine wettbewerblich relevante Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung liegt unabhängig von dem konkret beanstandeten Werbemedium grundsätzlich vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht. Dies ist hier der Fall, da die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist und weder die Aufmachung der Verpackung das Vortäuschen einer größeren Füllmenge zuverlässig verhindert noch die gegebene Füllmenge auf technischen Erfordernissen beruht.
Quelle | BGH, Urteil vom 29.5.2024, I ZR 43/23, PM 119/24
| Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde mit Wirkung zum 1.1.2024 von 35 Euro auf 50 Euro erhöht. Diese Freigrenze gilt auch umsatzsteuerlich. Daher wurde der Umsatzsteuer-Anwendungserlass angepasst. |
Hintergrund: Für den Vorsteuerabzug kommt es (wie beim Betriebsausgabenabzug) auf die Höhe der Aufwendungen der Geschenke für jeden einzelnen Empfänger im Jahr an. Das bedeutet: Übersteigen die Aufwendungen 50 Euro nicht, ist der Vorsteuerabzug nach den Maßgaben des § 15 Umsatzsteuergesetz zulässig.
Beachten Sie | Sind Unternehmen zum Vorsteuerabzug berechtigt, ist die 50 Euro-Grenze eine Nettogrenze, ohne Vorsteuerabzugsberechtigung handelt es sich um eine Bruttogrenze.
Beispiel
Geschäftsfreund A erhält von der B-GmbH ein Geschenk im Wert von 55 Euro (inklusive 19 % Umsatzsteuer). Ein weiteres Geschenk an A ist für 2024 nicht vorgesehen. Da die B-GmbH zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, sind die Kosten unter den weiteren Voraussetzungen als Betriebsausgaben abzugsfähig (55 Euro/1,19 = 46,22 Euro).
Quelle | BMF-Schreiben vom 12.7.2024, III C 3 - S 7015/23/10002 :001 zur Anpassung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
| In der Versendung einer Gratisbeigabe (hier: Kopfhörer) liegt der Kaufvertragsabschluss über das Hauptprodukt (hier: Smartphone zu 92 Euro aufgrund eines Preisfehlers). So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. |
Im Onlinehandel liegt in der Übersendung einer Gratisbeigabe, deren Versendung einen Kaufvertrag über ein Hauptprodukt voraussetzt, auch die Annahme des Antrags auf Abschluss eines Kaufvertrags über das noch nicht versandte Hauptprodukt. Trotz eines sog. Preisfehlers kann der Kläger die Lieferung von neuen Smartphones zu 92 Euro statt 1.099 Euro laut unverbindlicher Preisempfehlung (UVP) verlangen, bestätigte das OLG.
Das war geschehen
Der Kläger nimmt die Beklagte auf die Lieferung und Übereignung von neun Smartphones in Anspruch. Die Beklagte betreibt den deutschen Onlineshop eines weltweit tätigen Elektronikkonzerns. Laut ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) liegt in einer Kundenbestellung über den Button „jetzt kaufen“ ein bindendes Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags. Die Auftragsbestätigung der Beklagten ist demnach noch keine Annahme dieses Angebots. Ein Kaufvertrag kommt laut AGB zustande, wenn die Beklagte das bestellte Produkt an den Käufer versendet und dies mit einer Versandbestätigung bestätigt. Dabei bezieht sich der Vertrag nur auf die in der Versandbestätigung bestätigten oder gelieferten Produkte.
Durch einen sogenannten Preisfehler bot die Beklagte online Smartphones für 92 Euro an. Der UVP für diese Produkte betrug 1.099 Euro. Zeitgleich bot die Beklagte bei Bestellungen bestimmte Kopfhörer als Gratisbeigabe an. Der Kläger bestellte im Rahmen von drei Bestellungen neun Smartphones sowie vier Gratis-Kopfhörer. Die Kaufpreise zahlte er umgehend. Noch im Laufe des Bestelltags änderte die Beklagte den Angebotspreis auf 928 Euro. Zwei Tage nach den Bestellungen versandte sie die vier Paar Kopfhörer an den Kläger und teilte dies jeweils per Mail mit. Knapp zwei Wochen später stornierte sie die Bestellung unter Verweis auf einen gravierenden Preisfehler. Der Kläger begehrt nun die Lieferung und Übereignung der Smartphones.
Gerichtliche Instanzen sind sich einig
Das Landgericht (LG) hatte der Klage stattgegeben. Diese Auffassung teilte das OLG im Rahmen seines Hinweisbeschlusses, der zur Rücknahme der Berufung führte: Zwischen den Parteien seien Kaufverträge über insgesamt neun Smartphones zustande gekommen. In den automatisiert erstellten Bestellbestätigungen liege zwar noch keine Annahmeerklärung, sondern allein die Bestätigung des Eingangs einer Bestellung.
Mit der Übersendung der Gratis-Kopfhörer habe die Beklagte jedoch den Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags auch in Bezug auf die in der jeweiligen Bestellung enthaltenen Smartphones angenommen: „Denn anders, als wenn in einer Bestellung mehrere kostenpflichtige Artikel zusammengefasst werden, war unbedingte Voraussetzung der kostenlosen Übersendung der Kopfhörer der Erwerb eines Smartphones. Zwischen dem Erwerb des Smartphones und der Übersendung der Kopfhörer bestand ein untrennbarer Zusammenhang dergestalt, dass die kostenlose Übersendung der Kopfhörer das wirksame Zustandekommen eines Kaufvertrags über das Hauptprodukt - das Smartphone – voraussetzt“, begründete das OLG.
Preisfehler ist dem Unternehmen zuzurechnen
Der Kläger habe die Mitteilung, dass sämtliche versprochenen Gratisbeigaben nun verschickt seien, nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte so verstehen dürfen, dass damit auch die Kaufverträge über die Smartphones bestätigt würden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass unstreitig der Preis für die Smartphones bereits am Bestelltag selbst auf 928 Euro korrigiert worden sei. Ab diesem Zeitpunkt sei daher von der Kenntnis von dem Preisfehler im Haus der Beklagten auszugehen. Dies sei ihr insgesamt zuzurechnen.
Quelle | OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 18.4.2024, 9 U 11/23, PM 38/24
| Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat Folgendes entschieden: Ist ein Geschäftsführer einer GmbH nicht am Gesellschaftskapital beteiligt, unterliegt er selbst dann der Sozialversicherungspflicht, wenn er die Geschäfte der Gesellschaft faktisch wie ein Alleininhaber führt. |
Hintergrund: Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Diese Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH.
Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei dem Geschäftsführer einer GmbH in erster Linie danach, ob er nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen.
Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der
- mindestens 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder
- bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag über eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt.
Beachten Sie | Hiervon kann auch bei besonderer Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen nicht abgesehen werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Betroffene faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führt, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hindern, er also „Kopf und Seele“ der Gesellschaft ist. So lautet die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Im Streitfall war der Ehemann als Fremd-Geschäftsführer am Stammkapital der GmbH nicht beteiligt. Alleinige Gesellschafterin war vielmehr seine Ehefrau, deren Weisungsrecht er unterlag. Diese Weisungsgebundenheit war weder aufgehoben noch eingeschränkt. Für das LSG Nordrhein-Westfalen war es unerheblich, dass der Ehemann die Möglichkeit hatte, als Vermieter der Betriebsstätte und wesentlicher Betriebsmittel sowie als Darlehensgeber wirtschaftlichen Druck auf die GmbH auszuüben. Denn dies eröffnet dem Fremd-Geschäftsführer keine erforderliche umfassende Einflussmöglichkeit, die der Stellung eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers entspricht.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.4.2024, L 8 BA 126/23, BSG, Urteil vom 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R
| Für Aussetzungszinsen gilt ein gesetzlicher Zinssatz von 6 % p. a. (0,5 % pro Monat). Diese Höhe hält der Bundesfinanzhof (BFH) fürverfassungswidrig und hat daher das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angerufen. |
Aussetzungszinsen
Ein Einspruch und eine Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: Der Steuerpflichtige muss die festgesetzte Steuer zunächst zahlen.
Beachten Sie | Auf Antrag soll aber eine Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese sogenannte Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist in der Abgabenordnung (§ 361 AO) geregelt.
Für den Steuerpflichtigen bedeutet das, dass er die Steuer zunächst nicht zahlen muss. Es droht aber eine Belastung mit Zinsen, wenn sein Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer „nachträglich“ zahlen muss. Er muss dann nämlich für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat (6 % p. a.) entrichten. Die Höhe dieser Aussetzungszinsen regelt § 237 i. V. mit 238 Abs. 1 S. 1 AO.
Nachzahlungs-/Erstattungszinsen
Es gibt allerdings auch andere Verzinsungstatbestände, z. B.für Steuererstattungen und Steuernachzahlungen. Hier war der Gesetzgeber wegeneines Beschlusses des BVerfG vom 8.7.2021 verpflichtet, den Zinssatz von 0,5 %pro Monat bzw. von 6 % p. a. anzupassen. Da sich der Beschluss des BVerfGallerdings nicht auf die Aussetzungszinsen und andereTeilverzinsungstatbestände erstreckte, wurde der Gesetzgeber nur bei denNachzahlungs- und Erstattungszinsen tätig. Hier beträgt der Zinssatz seit dem1.1.2019 nun lediglich 0,15 % pro Monat bzw. 1,8 % pro Jahr.
Bundesfinanzhof hält6 % AdV-Zinsen p. a. für verfassungswidrig
Nach Auffassung des BFH ist ein Zinssatz i. H. von 6 % p. a. für Aussetzungszinsen im Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist dieser Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen.
Zudem werden Steuerpflichtige, die AdV-Zinsen schulden und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, seit dem 1.1.2019 ungleich behandelt. Diese Zinssatzspreizung ist für den BFH verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Quelle | BFH, Beschluss vom 8.5.2024, VIII R 9/23, BFH, PM Nr. 34/24 vom 22.8.2024; BVerfG, Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17
| Für die Jahre 2022 bis 2026 gilt ab dem 21. Entfernungskilometer eine erhöhte Entfernungspauschale i. H. von 0,38 Euro. Für die ersten 20 Kilometer erfolgte indes keine Anpassung (weiterhin 0,30 Euro). Dagegen hatte ein Arbeitnehmer geklagt. Denn wegen seiner geringen Entfernung (acht Kilometer zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte) partizipierte er von der Erhöhung nicht. Die Klage hatte jedoch keinen Erfolg. Denn das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg hält die Neuregelung nicht fürverfassungswidrig. Das FG hatte jedoch die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Doch sie wurde nicht eingelegt, sodass das Urteil rechtskräftig ist. |
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.3.2024, 16 K 16092/23
| Aufwendungen für Handwerkerleistungen sind bei einer Vorauszahlung nicht steuerbegünstigt, wenn diese im Veranlagungszeitraum vor Ausführung der Handwerkerleistungen eigenmächtig erbracht wird. Dies hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf entschieden. |
Hintergrund: Für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen erhalten Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung in Höhe von 20 % der Aufwendungen (nur Lohnkosten) gemäß Einkommensteuergesetz (§ 35 a Abs. 3 EStG), höchstens jedoch 1.200 Euro im Jahr. Die Steuerermäßigung setzt voraus, dass der Steuerpflichtige eine Rechnung erhält und die Zahlung auf das Konto des Erbringers der Handwerkerleistung erfolgt.
Nach der Entscheidung des FG Düsseldorf genügt eine per E-Mail seitens des Auftraggebers mitgeteilte und eigenmächtig vorgenommene Vorauszahlung dem Rechnungserfordernis (gemäß § 35 a Abs. 5 S. 3 EStG) nicht. Im Streitfall hatte ein Ehepaar in den letzten Tagen des Jahres 2022 einen Abschlagsbetrag – ohne Aufforderung des Handwerksbetriebs – überwiesen, obwohl die Arbeiten erst im Jahr 2023 durchgeführt und auch dann erst in Rechnung gestellt werden sollten.
Vorauszahlungen können nur steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie marktüblich sind. Eine Anzahlung ohne jegliche Aufforderung des Leistungserbringers, mithin letztlich „ins Blaue hinein“, ist weder als marktüblich noch als sonst sachlich begründet anzusehen.
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 18.7.2024, 14 K 1966/23 E
| Der Betrieb eines Weinautomaten auf einem Privatgrundstück darf verboten werden. Das ergibt sich aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Koblenz. |
Verstoß gegen Jugendschutz?
Die Klägerin betreibt einen Automaten, in dem sie selbsterzeugten Wein und Sekt zum Verkauf anbietet. Der Automat steht seit Anfang 2023 auf einem Privatgrundstück; er ist an der Grenze zum öffentlichen Verkehrsraum aufgestellt und nur von der Straße aus zu bedienen. Ende April 2023 gab die Gemeinde der Klägerin gemäß Jugendschutzgesetz auf, den Weinautomaten außer Betrieb zu nehmen. Die Klägerin erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage.
Kein Verkauf in der Öffentlichkeit
Die Klage hatte keinen Erfolg. Die Klägerin, so das VG, dürfe den Weinautomaten aufgrund der Vorschriften des Jugendschutzgesetzes nicht betreiben. Denn danach dürften alkoholische Getränke in der Öffentlichkeit nicht in Automaten angeboten werden. Zwar sehe das Jugendschutzgesetz eine Ausnahme davon u. a. vor, wenn der Weinautomat in einem gewerblich genutzten Raum aufgestellt sei. An dieser Voraussetzung fehle es jedoch, da sich derAutomat auf dem Privatgrundstück der Klägerin befinde. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass Zigarettenautomaten – unabhängig von dem Belegenheitsort – bereits dann aufgestellt werden dürften, wenn eine jugendschutzkonforme Abgabe durch technische Vorrichtungen sichergestellt sei. Die unterschiedliche Behandlung von Zigaretten- und Alkoholautomaten sei aufgrund der verschiedenen Wirkweisen von Nikotin und Alkohol gerechtfertigt.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 27.5.2024, 3 K 972/23.KO, PM 14/24
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Sie erfasst Arbeitnehmer, teilweise sind aber auch Unternehmer versichert oder können sich freiwillig versichern lassen. Voraussetzung des Versicherungsschutzes bei einem Unfall ist dabei, dass dieser bei der versicherten betrieblichen Tätigkeit erfolgt und damit ein Arbeitsunfall ist. Was zur betrieblichen Tätigkeit und was zum privaten Bereich gehört, ist oft strittig und Kernfrage sozialgerichtlicher Verfahren. Einen solchen Fall hatte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zu klären. |
Fahrlehrer suchte passende Strecke
Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls war in einem Fall eines selbstständigen und gesetzlich unfallversicherten Motorrad-Fahrtrainers – dem Kläger – vor dem LSG zu klären. Der Kläger erlitt eine Luxation der linken Schulter, als er im April 2019 bei einer allein unternommenen Fahrt mit ca. 50 km/h in einer Kurve stürzte. Der Unfallort lag etwa 50 km von seinem Wohn- und Unternehmenssitz im Landkreis Tübingen entfernt. Seiner gesetzlichen Unfallversicherung – der Beklagten – teilte er mit, er habe am nächsten Tag einen Schüler mit speziellen Problemen bei Serpentinen gehabt und sei deswegen auf der Suche nach der passenden Strecke für die Schulung gewesen. Er könne sein Fahrtraining nur ordentlich durchführen, wenn er perfekte Orts- und Straßenkenntnisse habe. Umso wichtiger sei dies am Anfang der Saison, da sich über den Winter Straßen oft gravierend verändern würden.
Keine Anerkennung als Arbeitsunfall
Die Beklagte erkannte das Ereignis nicht als Arbeitsunfall an, da es sich um eine unversicherte Vorbereitungshandlung gehandelt habe. Vorbereitende Tätigkeiten wie z. B. eine „Erkundigungsfahrt“ zur Arbeit seien grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. Ausnahmsweise seien Vorbereitungshandlungen u. a. versichert, wenn der jeweilige Versicherungstatbestand nach seinem Schutzzweck auch Vor- und Nachbereitungshandlungen erfasse, die für die versicherte Hauptverrichtung im Einzelfall notwendig sind und in einem sehr engen sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Hier fehle es an einem engen Zusammenhang zwischen der behaupteten Vorbereitungshandlung und der erst am Folgetag vorgesehenen versicherten Tätigkeit.
Erfolg in der Berufung
Nachdem das Sozialgericht (SG) die Klage in erster Instanz abwies, hatte der Kläger mit seiner Berufung Erfolg. Das LSG Baden-Württemberg stellte fest, dass der fragliche Unfall ein Arbeitsunfall gewesen ist.
Landessozialgericht sah versicherte Tätigkeit
Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass die Unfallfahrt zu der versicherten Tätigkeit des Klägers gehört habe. Dieser sei zu seiner unfallbringenden Motorradfahrt allein aus dem Grund aufgebrochen, um für seine am nächsten Tag geplante Trainingsfahrt eine geeignete und sichere Strecke zu testen, was objektiv dem Ziel seines bei der Beklagten versicherten Unternehmens gedient und hierzu auch nicht in einem wirtschaftlichen Missverhältnis gestanden habe. Zwar könne es unwirtschaftlich erscheinen, für ein Fahrsicherheitstraining von ca. einem halben Tag Dauer eine so weit vom Wohnsitz des Klägers entfernte Strecke zu wählen, und diese dann auch noch am Vorabend auf eigene Kosten abzufahren. Insoweit sei aber wiederum der Hinweis des Klägers nachvollziehbar, dass bereits auf der Hinfahrt zu der Strecke der Fahrschüler professionell beobachtet werde. Zudem sei eine solche Erkundungsfahrt auch nach den Einlassungen des Klägers nicht die Regel und sei hier vorrangig dem Beginn der Motorradsaison und den hiermit verbundenen Unwägbarkeiten bezüglich geeigneter Straßenbeläge geschuldet gewesen.
Sofern – wie hier – festzustellen sei, dass eine Tätigkeit selbst als versicherte Tätigkeit anzusehen ist, könne diese nicht mehr als unversicherte Vorbereitungshandlung qualifiziert werden. Es habe zur seriösen Geschäftsausübung des Klägers gehört, dass er Fahrsicherheitstrainings nicht auf Strecken anbot, die nach der Winterpause ein unbekanntes Gefahrenpotential aufwiesen. Das Abfahren der Strecke sei daher objektiv sinnvoll und Teil der den Fahrschülern geschuldeten Hauptleistung als vertragliche Nebenpflicht, durch geeignete Maßnahmen eine Gefährdung der Fahrschüler so weit wie möglich und vertretbar zu reduzieren.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.4.2024, L 3 AS 101/24, PM vom 2.4.2024
| Kauft ein Pfandleihhaus ein Kraftfahrzeug an, um es anschließend an den Verkäufer wieder zu vermieten und beträgt der Marktwert des Fahrzeugs das Fünf- bis Sechsfache des vereinbarten Kaufpreises, sind Kauf- und Mietvertrag wegen Wucher nichtig. Der Verkäufer kann die gezahlten Mieten zurückverlangen, ohne sich den erhaltenen Kaufpreis anrechnen lassen zu müssen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Pfandhaus kauft Fahrzeuge an und vermietet sie wieder
Die Beklagte betreibt bundesweit ein staatlich zugelassenes Pfandleihhaus. Ihr Geschäftsmodell ist darauf gerichtet, Kraftfahrzeuge den Eigentümern abzukaufen und sie ihnen nachfolgend gegen monatliche Zahlungen zu vermieten. Nach Ende der Mietzeit erhält die Beklagte das Fahrzeug zurück und darf es öffentlich versteigern.
Die Klägerin verkaufte ihr Fahrzeug 2020 an die Beklagte für 3.000 Euro. Der Händlereinkaufspreis lag bei rund 15.000 Euro, der objektive Marktwert bei mehr als 18.000 Euro. Anschließend mietete die Klägerin das Fahrzeug für 297 Euro monatlich zurück und übernahm die Kosten für Steuern, Versicherung, Wartung und Reparaturen. Nach Kündigung des Vertrags durch die Beklagte gab die Klägerin das Fahrzeug nicht zurück. Der Beklagten gelang es nicht, das Fahrzeug sicherzustellen.
Klage erfolglos
Auf die Klage hin verurteilte das Landgericht (LG) die Beklagte, die geleistete Miete zurückzuzahlen und stellte fest, dass die Klägerin ihr Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren hat. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Sittenwidrigkeit: Kauf- und Mietvertrag nichtig
Sowohl der Kauf- als auch der Mietvertrag seien nichtig, begründete das OLG seine Entscheidung. Sie seien als wucherähnliche Geschäfte sittenwidrig. Es liege ein grobes und auffälliges Missverhältnis zwischen Marktwert und Kaufpreis vor, da gemäß den überzeugenden sachverständigen Ausführungen der Marktwert des Fahrzeugs über dem fünf- bis sechsfachen des Kaufpreises gelegen habe.
Auf die verwerfliche Gesinnung der Beklagten könne angesichts dieses Missverhältnisses ohne Weiteres geschlossen werden. Angesichts des Geschäftsmodells sei auch davon auszugehen, dass sich die Beklagte den mit Abschluss des Kaufvertrags erzielten Mehrwert endgültig habe einverleiben wollen, auch wenn im Fall der Versteigerung des Fahrzeugs nach Mietende ein etwaiger Mehrerlös dem Verkäufer hätte zugewandt werden müssen. Kauf- und Mietvertrag bildeten dabei ein einheitliches Rechtsgeschäft. Die Klägerin habe das Fahrzeug nur verkaufen wollen, wenn sie es zugleich weiternutzen könne. Der Mietvertrag sei damit ebenfalls nichtig und die gezahlte Miete zurückzuzahlen.
Keine Rückzahlung des Kaufpreises
Obwohl die Klägerin das Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren habe, müsse sie wegen der sittenwidrigen Übervorteilung auch nicht den Kaufpreis an die Beklagte zurückzahlen. Die Beklagte könne den Kaufpreis nicht zurückverlangen, da ihr objektiv ein Sittenverstoß anzulasten sei und sie sich angesichts des auffälligen Missverhältnisses der Rechtswidrigkeit ihres Handelns zumindest leichtfertig verschlossen habe.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.4.2024, 2 U 115/20, PM 26/24
| Das Dach eines Flachdachanbaus einer WEG-Anlage ist selbst dann Gemeinschaftseigentum, wenn alle darunterliegenden Räume zu einer Sondereigentumseinheit gehören. Für die Gültigkeit eines Grundlagenbeschlusses ist es daher nicht erforderlich, dass der Beschlussersetzungsantrag auch die inhaltliche Konkretisierung umfasst. Diese Konkretisierungen können den Eigentümern überlassen werden. So sieht es das Landgericht (LG) Karlsruhe. |
Das Dach sollte instand gesetzt werden
Gestritten wurde um die Instandsetzung des Dachs über einer Gaststättenküche in einer WEG-Anlage, die im Sondereigentum eines Eigentümers steht und ein eigenes Flachdach hat. In der Teilungserklärung ist das Sondereigentum als „Einrichtungen und Anlagen“ definiert, soweit diese nicht dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienen, sondern nur dem Sondereigentümer zu dienen bestimmt sind. Der Eigentümer begehrte durch Beschlussersetzung, dass die Instandsetzung des Dachs beschlossen wird. Die Wohnungseigentümergemeinschaft war der Ansicht, dass der Eigentümer die Instandsetzungskosten allein tragen müsse. Für die Beschlussersetzung fehle es an der sogenannten Ermessensreduzierung auf Null.
Beschluss war ungültig
Das Amtsgericht (AG) hatte der Klage zunächst stattgegeben. Die Berufung vor dem LG hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der Negativbeschluss sei ungültig, so das LG in zweiter Instanz. Die Ablehnung einer positiven Beschlussfassung widerspreche ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn der Anspruch offenkundig und ohne jeden vernünftigen Zweifel gegeben sei. Das habe schon der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.
Ein Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme, die die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums betreffe, bestehe nur, wenn sich das Ermessen der Gemeinschaft im Einzelfall auf Null reduziert habe, sich also jede andere Entscheidung als ermessensfehlerhaft darstellte. Die abgelehnte Sanierung sei dringend erforderlich und stelle eine notwendige Instandsetzungsmaßnahme dar.
Konstruktive Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig
Bei dem Dach handele es sich auch nicht um Sondereigentum.
Das LG hat klargestellt, dass die konstruktiven Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig sind, selbst wenn alle Räume des Gebäudes dem Sondereigentum eines Eigentümers unterliegen. Unerheblich ist eine mögliche widersprechende Regelung in der Teilungserklärung. Denn eine Regelung, die nicht sondereigentumsfähige Gebäudeteile zum Inhalt des Sondereigentums erklärt, ist nichtig.
Zulässig sei es, lediglich einen Grundlagenbeschluss zu treffen, also anzuordnen, dass eine Instandsetzung bestimmter Bauteile zu erfolgen habe, und den Wohnungseigentümern im Übrigen die weitere inhaltliche Konkretisierung (Auswahl des Fachunternehmens, Finanzierung der Maßnahme, etc.) zustehe. Es sei also nicht zu beanstanden, dass der Beschlussersetzungsantrag nur auf das „Ob“ der Instandsetzung, nicht jedoch bereits auf das „Wie“ ziele.
Quelle | LG Karlsruhe, Urteil vom 8.3.2024, 11 S 53/22
| Ein Vermieter muss nicht schon für jede mehr als unerhebliche Beeinträchtigung des bis zur Veränderung der äußeren Umstände gewohnten Nutzens der Mietsache einstehen. Er haftet nur für solche Umfeldveränderungen, die er selber nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 906 BGB) abwehren kann oder nur gegen Ausgleichszahlung hinnehmen muss. Die Freiheit von dahinter zurückbleibenden Einwirkungen auf das Grundstück, die ein Grundstückseigentümer ausgleichslos hinnehmen muss, sind danach gar nicht Gegenstand des vertraglichen Leistungsversprechens des Vermieters und der Gewährleistung. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Vorinstanz: Mieterin hat nicht genug vorgetragen
Die Wohnungsmieterin verlangte von der Vermieterin eine Mietminderung. Sie behauptete, die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung sei durch eine Baustelle auf dem Nachbargrundstück erheblich beeinträchtigt. Vor dem AG hatte sie damit keinen Erfolg. Sie habe nicht schlüssig dargetan, dass der Nutzen der Wohnung durch die Baustelle über das hinzunehmende Maß hinaus beeinträchtigt gewesen sei, so das AG. Darüber hinaus habe die Mieterin zur konkreten Beeinträchtigung des Wohnungsnutzens nicht ausreichend vorgetragen, sondern nur geltend gemacht, dass sie die Mieträume lediglich in Baupausen habe lüften können. Soweit sie die Unbenutzbarkeit des Balkons wegen Lärm und Staub behauptet habe, sei das unschlüssig, weil unklar bleibe, wo sich der Balkon im Verhältnis zur Baustelle auf dem Nachbargrundstück befinde.
Im Berufungsverfahren argumentierte die Mieterin, dass sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ausreichend zu den Auswirkungen der Baumaßnahmen vorgetragen habe; das Gericht müsse sich nun in einer Beweisaufnahme davon überzeugen, ob ein Mangel vorliege oder nicht.
So sah es das Landgericht
Das sah das LG anders und wies die Berufung zurück. Die Baumaßnahmen hätten nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung geführt, die die Vermieterin nicht gemäß § 906 Abs. 2 S. 1 BGB hätte unterbinden können oder gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB nur gegen eine angemessene Ausgleichszahlung hätte dulden müssen.
Beeinträchtigung war durch Dritte verursacht
Das Risiko einer nach Mietvertragsschluss – auch zufällig – eintretenden Verringerung des Nutzens der Mietsache sei nicht dem Vermieter zuzuordnen, da es sich bei einer durch Dritte verursachten Nutzungsbeeinträchtigung aus Sicht beider Vertragsparteien um ein unabwendbares Ereignis handeln könne, für das ein Vermieter erkennbar keine Haftung übernehmen wolle und billigerweise auch nicht übernehmen müsse.
An die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung sei der in der Rechtsprechung entwickelte strenge Maßstab anzulegen, der auch bei der unmittelbaren Anwendung des § 906 BGB im Nachbarschaftsrecht gelte. Andernfalls liefe das Kriterium nicht nur weitgehend leer, sondern der Vermieter wäre Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt, ohne erfolgreich gegen den Grundstücksnachbarn als Verursacher der Störungen vorgehen und diesen gegebenenfalls in Regress nehmen zu können.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 8.2.2024, 64 S 319/21
| Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte die Frage zu entscheiden, ob die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit gegeben ist. |
Der Erblasser, ein kinderloser deutscher Staatsangehöriger, ist im Jahr 2023 in einem Pflegeheim in Polen verstorben. Zuvor lebte er mit seiner (zweiten) Ehefrau sowie in verschiedenen Pflegeheimen in Deutschland. Anfang 2022 machte sich bei ihm eine zunehmende Demenz bemerkbar, die ihn zum Pflegefall machte. Seit April 2023 lebte er in einem Pflegeheim in Polen. Dort hatte er kein Vermögen, er sprach kein polnisch und hatte familiäre sowie soziale Verbindungen allein nach Deutschland. Er wurde gegen bzw. ohne seinen Willen in dem Pflegeheim in Polen untergebracht. Nach dem Tod des Erblassers stellte seine Ehefrau einen Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins beim Nachlassgericht des Amtsgerichts (AG) Singen. Dies hat den Antrag mangels internationaler Zuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.12 (Art. 4 EuErbVO) zurückgewiesen. Der dagegen gerichteten Beschwerde hat das AG nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
Das OLG Karlsruhe hat den Beschluss des Nachlassgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben sei, weil der Erblasser seinen (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe.
Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ sei unionsautonom (gem. Art 23 u. 24 EuErbVO) auszulegen. In objektiver Hinsicht müsse zumindest ein tatsächlicher Aufenthalt („körperliche Anwesenheit“) gegeben sein, auf eine konkrete Dauer oder die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts komme es hingegen nicht an. Unschädlich sei auch eine vorübergehende Abwesenheit, soweit ein Rückkehrwille bestand. In subjektiver Hinsicht sei das Vorliegen eines animus manendi (Bleibewille) erforderlich, also der nach außen manifestierte Wille, seinen Lebensmittelpunkt am Ort des tatsächlichen Aufenthalts auf Dauer zu begründen. Eines rechtsgeschäftlichen Willens bedürfe es insoweit nicht. Werden pflegebedürftige Personen in ausländischen Pflegeheimen untergebracht, komme es ebenfalls grundsätzlich auf deren Bleibewillen an. Könnten diese zum Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels keinen eigenen Willen mehr bilden oder erfolgt die Unterbringung gegen ihren Willen, fehle es an dem für die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts erforderlichen Bleibewillens. Dies sei hier der Fall.
Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.7.2024, 14 W 50/24 Wx
| Im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragte die Antragstellerin B., ungedeckte Heimkosten zu erstatten. B. bezieht verschiedene Renten; weiter hatte sie Mitte 2018 ihr hälftiges Grundstückseigentum sowie darüber hinaus ihren Anteil an der Erbengemeinschaft nach ihrem Mann unentgeltlich an ihre Kinder übertragen. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat den Antrag der B. zurückgewiesen. Sie verfüge sowohl über Einkommen als auch über Vermögen, das sie vorrangig zur Beseitigung ihrer Hilfsbedürftigkeit einsetzen muss. Erst nach dessen Verbrauch könne ein erneuter Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt werden. |
Das Einkommen der B. besteht aus Rentenansprüchen. Neben diesem Einkommen, das vollständig einzusetzen ist, kann (und muss) B. auch über ihr Vermögen verfügen. Dieses besteht in Form eines Schenkungsrückforderungsanspruchs gegenüber ihren Kindern. Denn der Schenker kann von den Beschenkten die Herausgabe des Geschenks verlangen, wenn er nach Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten.
Der Anspruch ist erst ausgeschlossen, wenn zehn Jahre seit der Schenkung vergangen sind. Diese Frist war hier noch nicht abgelaufen. Die Beschenkten können die Herausgabe allerdings durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags abwenden.
Quelle | SG Lüneburg, Beschluss vom 21.5.2024, S 38 SO 23/24 ER
| Der Eigentümer eines denkmalgeschützten Wohngebäudes hat Anspruch auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzaunes auf seinem Grundstück. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks mit einem Wohngebäude, das seit 1998 als Kulturdenkmal unter Schutz gestellt ist. Seinen Antrag auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzauns auf der bestehenden, zwischen einem und 1,60 Meter hohen Einfriedungsmauer entlang der Straße lehnte die beklagte Stadt ab. Seine entsprechende Klage wies das Verwaltungsgericht (VG) ab. Auf seine Berufung hob das OVG das Urteil des VG auf und verpflichtete die Beklagte, ihm die beantragte Genehmigung zu erteilen.
Es stehe außer Frage, dass der Solarzaun einer Genehmigung bedürfe. Diese werde nach dem rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetz (hier: § 13 Abs. 2 DSchG) nur erteilt, wenn entweder (1.) Belange des Denkmalschutzes nicht entgegenstünden oder wenn (2.) andere Erfordernisse des Gemeinwohls oder private Belange diejenigen des Denkmalschutzes überwiegen würden und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne. Zwar sei mit dem VG davon auszugehen, dass Belange des Denkmalschutzes im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 1 DSchG einer Genehmigung entgegen stünden. Das Vorhaben des Klägers erfülle aber die Anforderungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 DSchG, weil andere Erfordernisse des Gemeinwohls vorrangig seien und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne.
Das öffentliche Interesse an der Errichtung des Solarzauns sei vorliegend von solchem Gewicht, dass das Interesse an der unveränderten Erhaltung des Erscheinungsbildes des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes zurückzustehen habe und die Erteilung der Genehmigung geboten erscheine. Dies folge aus § 2 des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz) – EEG. Danach lägen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dienten der öffentlichen Sicherheit. Besondere atypische Umstände, die ein abweichendes Ergebnis der Abwägung nach sich zögen, seien nicht ersichtlich.
Den somit bestehenden überwiegenden Interessen des Gemeinwohls könne auch nicht auf sonstige Weise Rechnung getragen werden. Der Schutzzweck des § 2 EEG stehe einer Prüfung von alternativen Standorten für Anlagen der erneuerbaren Energien an anderen Stellen des klägerischen Grundstücks von vornherein entgegen. Unabhängig davon komme ein Alternativstandort für eine Solaranlage auf dem Grundstück des Klägers auch tatsächlich nicht in Betracht.
Quelle | OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.8.2024, 1 A 10604/23.OVG, PM 14/24
| Ein Landkreis hatte einem Ehepaar untersagt, im Garten ihres Wohngrundstücks Minischweine zu halten. Das Ehepaar klagte dagegen vor dem Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt a. M. – erfolglos. |
Anwohner beschwerten sich
Die Kläger sind Eigentümer eines Wohngrundstücks, das in einem durch Bebauungsplan festgesetzten allgemeinen Wohngebiet liegt. Sie halten im Garten ihres Grundstücks seit 2022 sogenannte Minischweine. Nach Anwohnerbeschwerden forderte der Beklagte die Kläger im November 2023 auf, die beiden Schweine von ihrem Grundstück zu entfernen, da das Halten von Schweinen in allgemeinen Wohngebieten unzulässig sei.
Klage der Eigentümer abgewiesen
Das VG hat die Klage abgewiesen. Das Halten von zwei Minischweinen im Garten ihres in einem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Wohnanwesens sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Der Bebauungsplan weise das Gebiet als allgemeines Wohngebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung (BauNVO) aus. Anlagen zur Tierhaltung gehörten nicht zu den in allgemeinen Wohngebieten zulässigen Anlagen. Allgemeine Wohngebiete dienten vorwiegend dem Wohnen.
Gebietsuntypische Störungen unzulässig
Die gebietstypische Schutzwürdigkeit und Störempfindlichkeit werde in allgemeinen Wohngebieten im Wesentlichen von der störempfindlichen Hauptnutzungsart bestimmt. Das Wohnen dürfe keinen gebietsunüblichen Störungen ausgesetzt werden.
Zwar seien nach der Baunutzungsverordnung (hier: § 14 BauNVO) in Wohngebieten untergeordnete Nebenanlagen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Grundstücke oder des Wohngebiets selbst dienten und die seiner Eigenart nicht widersprächen. Zu diesen untergeordneten Nebenanlagen gehörten auch solche für die Kleintierhaltung. Allerdings ermögliche § 14 BauNVO als Annex zum Wohnen eine Kleintierhaltung nur, wenn sie in dem betreffenden Baugebiet üblich und ungefährlich sei und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprenge.
Ziegen, Schweine, Schafe: Haltung in Wohngebieten heutzutage unüblich
Kleintiere seien Nutztiere ebenso wie Hobbytiere, die zum Schutz, zur Unterhaltung oder zur Ernährung gehalten würden. In den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten dürften nur solche Kleintiere gehalten werden, die der für eine Wohnnutzung charakteristischen Freizeitbeschäftigung entsprächen. Als Kleintiere würden im Allgemeinen etwa Katzen und Hunde angesehen. Dagegen sei in den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten die Haltung von Ziegen, Schafen und Schweinen in der heutigen Zeit nicht mehr üblich und unzulässig. Eine unterschiedliche Behandlung zwischen sogenannten Hausschweinen, Hängebauchschweinen und Minischweinen sei dabei nicht angezeigt. Minischweine könnten bis zu einem Meter lang werden und bis zu 100 kg wiegen.
Geräusch- und Geruchsbelästigungen
Das Halten von Schweinen in einem allgemeinen Wohngebiet führe typischerweise zu Geräusch- und Geruchsbelästigungen, die in Wohngebieten unüblich seien. Von Schweinen, die sich ganzjährig rund um die Uhr hauptsächlich im Freien aufhielten, gingen ungefilterte Gerüche und Geräusche aus, die unmittelbar die Umgebung belasteten. Aufgrund ihrer Größe und Anzahl komme es bei Schweinen zudem zu erheblichen Ausscheidungen, die gebietsuntypische Gerüche verbreiteten.
Ursprünglich dörflicher Charakter der Gemeinde unerheblich
Hieran ändere auch nichts, dass die betreffende Gemeinde ursprünglich einen dörflichen Charakter gehabt habe oder gar mit dem Spruch „Größtes Dorf der Welt“ werbe. Gegenwärtig zeichne sich die unmittelbare Umgebung des streitgegenständlichen Grundstücks - auf die es im vorliegenden Fall allein ankomme - durch weit überwiegende Wohnnutzung aus.
Zwar könne im Einzelfall die Üblichkeit der Kleintierhaltung abweichend von der typisierenden Betrachtung bejaht werden, wenn eine konkrete Betrachtung ergebe, dass in der Nachbarschaft vergleichbare Nutzungen vorhanden seien und sich die Bewohner des Baugebiets damit abgefunden hätten. Letzteres sei hier jedoch nicht der Fall.
Quelle | VG Neustadt a. M., Urteil vom 11.9.2024, 5 K427/24, PM 14/24
| Notdienste eines Kundendiensttechnikers, die dadurch gekennzeichnet sind, dass er sich an einem frei wählbaren Ort aufhalten kann, aber telefonisch erreichbar sein und zu einem Notdiensteinsatz binnen einer Stunde am Einsatzort eintreffen muss, wenn er angefordert wird, sind Rufbereitschaftsdienste und keine Bereitschaftsdienste. Voraussetzung: Unter Berücksichtigung der Anfahrtszeit verbleiben noch 30 Minuten Zeit, bis der Arbeitnehmer aufbrechen muss. Zu diesem Ergebnis kommt das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. |
Notdienst nur sehr selten
Außerdem erläuterte das Gericht, dass das oben Gesagte zumindest dann gelte, wenn eine tatsächliche Anforderung im Notdienst äußerst selten vorkomme – im vorliegenden Fall lediglich in einem Umfang von 0,67 % der Gesamt-Notdienstbereitschaftszeit.
Ruhezeit
Liege arbeitsschutzrechtlich Rufbereitschaft und kein Bereitschaftsdienst vor, handele es sich um Ruhezeit im Sinne desArbeitszeitgesetzes (hier: § 5 ArbZG). Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff folge hier dem arbeitsschutzrechtlichen, sodass – soweit keine gesonderte Regelung im Arbeitsvertrag, in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zur Anwendung gelange – keine Vergütungspflicht bestehe.
Ausgenommen hiervon seien die Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung im Rahmen der Aktivierung aus dem Notdienst heraus, die als Vollarbeit zu vergüten sind.
Mindestlohngesetz
Auch das Mindestlohngesetz knüpfe an geleistete Zeitstunden an und mithin an den vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff. Arbeitsschutzrechtliche Ruhezeit sei weder arbeitsschutz- noch vergütungsrechtlich Arbeitszeit und begründet daher auch keine Mindestlohnansprüche.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.4.2024, 3 SLa 10/24
| Ein Reitverein muss für von ihm angebotenen Reitunterricht Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wenn der Unterricht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung erbracht wird. Hierfür spricht, wenn die Reitlehrerin die vereinseigenen Pferde sowie die Reithalle unentgeltlich nutzen kann und sie kein unternehmerisches Risiko trägt. Dies entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG). |
Reitverein muss Sozialversicherungsbeiträge und -nachforderungen zahlen und klagt
Eine Reitlehrerin unterrichtete Mitglieder eines gemeinnützigen Reitvereins mit den vereinseigenen Schulpferden auf dem Vereinsgelände zwischen 12 und 20 Stunden wöchentlich. In den Jahren 2015 bis 2018 zahlte ihr der Verein pro Reitstunde 18 Euro. Die Deutsche Rentenversicherung prüfte den Betrieb des Reitvereins. Sie stellte fest, dass die Reitlehrerin abhängig beschäftigt ist und forderte von dem Verein Rentenversicherungsbeiträge nach. Der Reitverein wandte hiergegen ein, dass die Reitlehrerin selbstständig tätig sei.
Landessozialgericht bestätigt Beitragspflicht des Reitvereins
Das LSG gab der Rentenversicherung Recht. Die Beitragsnachforderung sei rechtmäßig. Eine abhängige Beschäftigung liege vor. Zwar könne ein nebenberuflicher Übungsleiter oder Trainer in Sportvereinen auch selbstständig tätig sein, wie das Vertragsmuster „Freier-Mitarbeiter-Vertrag Übungsleiter Sport“ der Rentenversicherung belege. Ein solcher Vertrag sei jedoch vorliegend zwischen dem Reitverein und der Reitlehrerin nicht geschlossen worden.
Zudem sprächen im konkreten Einzelfall mehr Anhaltspunkte für das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung. So habe die Reitlehrerin kein unternehmerisches Risiko getragen. Sie habe keine Rechnungen erstellt und ausschließlich die vereinseigenen Pferde einschließlich Sattel und Zaumzeug genutzt, wofür sie - wie auch für die Nutzung der Reithalle - kein Entgelt gezahlt habe. Die Hallenzeiten habe sie mit dem Reitverein abgestimmt. Der Reitverein habe die Stundenvergütung vorgegeben. Die Jahresvergütung von durchschnittlich über 6.500 Euro habe die steuerfreie Aufwandspauschale für Übungsleiter (bis 2020: 2.400 Euro jährlich) weit überschritten. Schließlich habe der Reitverein auf seiner Homepage mit „unsere Reitlehrerin“ geworben und selbst die Verträge über den Reitunterricht mit den Reitschülern geschlossen.
Da die Rentenversicherung nur die über der Aufwandspauschale für Übungsleiter liegenden Einkünfte bei der Beitragsberechnung berücksichtigt habe, sei auch die Höhe der Beitragsforderung zutreffend.
Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.
Quelle | Hessisches LSG, Urteil vom 18.6.2024, L 1 BA 22/23,PM 6/24
| Die gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 3 Nr. 11 c EStG) geregelte Steuerfreiheit der (freiwilligen) Inflationsausgleichsprämie sieht keine Regelung vor, dass die Prämie an alle Arbeitnehmer ausgezahlt werden muss. Somit ist der Arbeitgeber nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen grundsätzlich nicht daran gehindert, die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie an weitere Bedingungen zu knüpfen. |
Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt
Es verstößt nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein Arbeitgeber zur weiteren Bedingung der Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie macht, dass der Beschäftigte Teil seiner „active workforce“ ist, sodass z. B. Beschäftigte in der Passivphase der Altersteilzeit von der Prämie ausgeschlossen sind.
Steuerfreie Inflationsausgleichsprämie bis zu 3.000 Euro
Die freiwillige Inflationsausgleichsprämie kann vom 26.10.2022 bis Ende 2024 gewährt werden. Bei den 3.000 Euro handelt es sich um einen steuerlichen Freibetrag, der auch in mehreren Teilbeträgen ausgezahlt werden kann.
Begünstigt sind auch Zahlungen an Minijobber. Da die Zahlung steuer- und beitragsfrei ist, wird sie nicht auf die Minijobgrenze angerechnet.
Zusätzlich zum Arbeitslohn
Die Zahlungen müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erfolgen. Nach § 8 Abs. 4 EStG werden Leistungen nur dann zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, wenn
- die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
- der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
- die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
- bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.
Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 21.2.2024, 8 Sa 564/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Die Werbung mit einem mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff (hier: „klimaneutral“) ist regelmäßig nur zulässig, wenn in der Werbung selbst erläutert wird, welche konkrete Bedeutung diesem Begriff zukommt. |
Das war geschehen
Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte ist ein Unternehmen, das Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz herstellt. Die Produkte sind im Lebensmitteleinzelhandel, an Kiosken und an Tankstellen erhältlich. Die Beklagte warb in einer Fachzeitung der Lebensmittelbranche mit der Aussage: „Seit 2021 produziert [die Beklagte] alle Produkte klimaneutral“ und einem Logo, das den Begriff „klimaneutral“ zeigt und auf die Internetseite eines „ClimatePartner“ hinweist. Der Herstellungsprozess der Produkte der Beklagten läuft nicht CO2-neutral ab. Die Beklagte unterstützt indes über den „ClimatePartner“ Klimaschutzprojekte.
Irreführend: Herstellungsprozess selbst nicht klimaneutral
Die Klägerin hält die Werbeaussage für irreführend. Die angesprochenen Verkehrskreise verstünden diese so, dass der Herstellungsprozess selbst klimaneutral ablaufe. Zumindest müsse die Werbeaussage dahingehend ergänzt werden, dass die Klimaneutralität erst durch kompensatorische Maßnahmen hergestellt werde. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH hat die Beklagte zur Unterlassung der Werbung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten verurteilt. Die beanstandete Werbung ist irreführend im Sinne des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 UWG).
Die Werbung ist mehrdeutig, weil der Begriff „klimaneutral“ nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen von den Lesern der Fachzeitung – nicht anders als von Verbrauchern – sowohl im Sinne einer Reduktion von CO2 im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO2 verstanden werden kann. Im Bereich der umweltbezogenen Werbung ist – ebenso, wie bei gesundheitsbezogener Werbung – eine Irreführungsgefahr besonders groß und es besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen. Bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff, wie „klimaneutral“, verwendet, muss deshalb zur Vermeidung einer Irreführung regelmäßig bereits in der Werbung selbst erläutert werden, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist. Aufklärende Hinweise außerhalb der umweltbezogenen Werbung sind insoweit nicht ausreichend.
Irreführende Werbung relevant für Kaufentscheidung
Eine Erläuterung des Begriffs „klimaneutral“ war hier insbesondere erforderlich, weil die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität darstellen, sondern die Reduktion gegenüber der Kompensation unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes vorrangig ist. Die Irreführung ist auch wettbewerblich relevant, da die Bewerbung eines Produkts mit einer vermeintlichen Klimaneutralität für die Kaufentscheidung des Verbrauchers von erheblicher Bedeutung ist.
Quelle | BGH, Urteil vom 27.6.2024, I ZR 98/23, PM 138/24
| Die Aufzeichnungspflichten nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 4 Abs. 7 des EStG) für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind bei einem Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt, nur erfüllt, wenn sämtliche Aufwendungen einzeln fortlaufend in einem gesonderten Dokument oder Datensatz aufgezeichnet werden. Eine reine Belegsammlung mit Aufaddieren der Positionen nach Abschluss des Veranlagungszeitraums ist nicht ausreichend. Da der Bundesfinanzhof (BFH) gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Hessen kürzlich die Revision zugelassen hat, ist mit einer weiteren Präzisierung der Rechtsprechungsgrundsätze zu rechnen. |
Hintergrund: § 4 Abs. 5 EStG schränkt den Abzug für gewisse Betriebsausgaben ein. So wirken sich z. B. Aufwendungen für Geschenke an Geschäftspartner und Kunden nur steuermindernd aus, wenn eine Grenze von 50 Euro eingehalten wird. Und auch für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer besteht eine Abzugsbeschränkung.
Aufzeichnungspflichten
Darüber hinaus sind die Aufwendungen i. S. des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 4, 6 b und 7 EStG einzeln und getrennt von den sonstigen Betriebsausgaben aufzuzeichnen. Soweit diese Aufwendungen nicht bereits nach Abs. 5 vom Abzug ausgeschlossen sind, dürfen sie bei der Gewinnermittlung nur berücksichtigt werden, wenn sie besonders aufgezeichnet sind.
Beachten Sie | Bei den Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG handelt es sich um eine zusätzliche materiell-rechtliche Voraussetzung für den Betriebsausgabenabzug. Bei Verstößen droht das Abzugsverbot. Dieses Abzugsverbot wird auch bei einer Gewinnermittlung per Einnahmen-Überschussrechnung so umgesetzt, dass die betroffenen Aufwendungen dem Gewinn als Betriebseinnahmen hinzugerechnet werden.
Finanzierungs- und Energiekosten dürfen geschätzt werden
Nach Ansicht der Finanzverwaltung bestehen keine Bedenken, wenn die auf das Arbeitszimmer anteilig entfallenden Finanzierungskosten im Wege der Schätzung ermittelt werden und nach Ablauf des Wirtschafts- oder Kalenderjahrs eine Aufzeichnung aufgrund der Jahresabrechnung des Kreditinstituts erfolgt. Entsprechendes gilt für die verbrauchsabhängigen Kosten (z. B. Wasser- und Energiekosten). Es reicht aus, Abschreibungsbeträge einmal jährlich – zeitnah nach Ablauf des Kalender- oder Wirtschaftsjahrs – aufzuzeichnen.
Jahrespauschale ausgenommen
Beachten Sie | Beim Abzug der Jahrespauschale (1.260 Euro) bestehen die besonderen Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG nicht.
Quelle | FG Hessen, Urteil vom 13.10.2022, 10 K 1672/19, Rev. BFH: VIII R 6/24, BMF-Schreiben vom 15.8.2023, IV C 6 – S 2145/19/1006 :027, RZ. 25 f.
| Ermittelt ein Steuerpflichtiger seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung, ist die Art und Weise, in der er seine Aufzeichnungen geführt hat, eine Tatsache, die zur Korrektur eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids führen kann, wenn sie dem Finanzamt nachträglich bekannt wird. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. |
Hintergrund: Ist die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat abgelaufen, wird ein Steuerbescheid grundsätzlich bestandskräftig. Allerdings bestehen auch danach Berichtigungs- und Änderungsmöglichkeiten. Eine davon ist § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Hier heißt es: Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Das war geschehen
Ein Einzelhändler ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung. Das Finanzamt veranlagte ihn erklärungsgemäß (ohne Vorbehalt der Nachprüfung). Bei einer späteren Außenprüfung beurteilte das Finanzamt die Aufzeichnungen als formell mangelhaft und nahm eine Hinzuschätzung vor. Die bestandskräftigen Bescheide wurden nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert.
Bareinnahmen: Aufzeichnungen mangelhaft
Die Tatsache, ob und wie der Steuerpflichtige seine Bareinnahmen aufgezeichnet hat, ist rechtserheblich, wenn das Finanzamt bei deren vollständiger Kenntnis bereits im Zeitpunkt der Veranlagung zur Schätzung befugt gewesen wäre und deshalb eine höhere Steuer festgesetzt hätte.
Da eine Schätzungsbefugnis in bestimmten Fällen auch bei (nur) formellen Mängeln der Aufzeichnungen über Bareinnahmen besteht, muss das FG nun im zweiten Rechtsgang prüfen, ob die Unterlagen Mängel aufweisen, die zur Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen führen.
Quelle | BFH, Urteil vom 6.5.2024, III R 14/22, PM 30/24 vom 4.7.2024
| Wer neben dem Bau von Gewächshäusern Pflanzen züchtet und mit ihnen handelt, unterhält nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) Münster unterschiedliche Betriebe. Dies hat zur Folge, dass für Zwecke der Gewerbesteuer Verluste aus der Pflanzenzucht nicht mit Gewinnen aus dem Gewächshausbau verrechnet werden können. |
Unterschied: Betätigung gewerblich oder land- und forstwirtschaftlich
Beim Gewächshausbau handelt es sich nach der Wertung des FG um eine gewerbliche und bei der Pflanzenzucht um eine land- und forstwirtschaftliche Betätigung. Beide Tätigkeiten sind laut FG auch nicht derart miteinander planvoll wirtschaftlich verbunden, dass sie als ein einheitlicher Gewerbebetrieb betrachtet werden können.
Beachten Sie | Die Pflanzenzucht ist auch keine bloße Hilfsbetätigung zum Gewächshausbau und sie ist auch nicht notwendig für die gewerbliche Tätigkeit, da auch Konkurrenzbetriebe nicht stets zusätzlich eine Pflanzenzucht betreiben.
Sachlicher Zusammenhang erforderlich
Die Zusammenfassung mehrerer Betätigungen zu einem einheitlichen Gewerbebetrieb erfordert allgemein einen sachlichen Zusammenhang finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Art zwischen den Betätigungen.
Bei gleichartigen gewerblichen Betätigungen gilt die Vermutung eines einheitlichen Gewerbebetriebs, es sei denn, es sprechen ausnahmsweise besondere Umstände des konkreten Einzelfalls dagegen. Bei ungleichartigen gewerblichen Betätigungen liegt dagegen nur ausnahmsweise ein einheitlicher Gewerbebetrieb vor. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) im Jahr 2020 entschieden.
Dies gilt erst recht beim Zusammentreffen einer gewerblichen mit einer nicht gewerblichen Tätigkeit. Nur ganz ausnahmsweise – bei einem untrennbaren Sachzusammenhang – können auch solche Betätigungen zusammengefasst werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 29.11.2023, 13 K 986/21 G; BFH, Urteil vom 17.6.2020, X R 15/18
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (§ 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen.
Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest. Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R, PM Nr. 7/24
| Wer in der Dunkelheit mit dem Auto auf einen Betonpoller auffährt, muss nicht unbedingt für seinen Schaden selbst aufkommen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig entschieden. |
Das war geschehen
Ein Autofahrer forderte von einer Gemeinde Schadenersatz. Er war bei Dunkelheit mit seinem Fahrzeug in den mittleren von drei etwa 40 Zentimeter hohen Betonpollern hineingefahren. Die Poller hatte die Gemeinde hinter dem Einmündungsbereich einer mit einem Sackgassenschild ausgewiesenen Straße als Durchfahrtssperre aufgestellt. Nur die äußeren beiden Poller waren dabei mit jeweils drei Reflektoren versehen. Das Landgericht (LG) hatte die Gemeinde teilweise zum Schadenersatz verurteilt. Der Autofahrer müsse sich lediglich 25 Prozent Mitverschulden anrechnen lassen.
Verstoß gegen die Straßenverkehrssicherungspflicht
Dies hat das OLG nun bestätigt. Die Gemeinde habe gegen ihre Straßenverkehrssicherungspflicht verstoßen. Sie hätte die der Verkehrsberuhigung dienenden Poller so aufstellen müssen, dass die Benutzer der Straße diese gut sehen könnten, wenn sie entsprechend sorgfältig führen. Dies hätte durch gut sichtbare Markierungen und ausreichende Beleuchtung erfolgen müssen. Das gelte vor allem, weil die Poller nur eine geringe Höhe (ca. 40 cm) hatten. Solche Poller seien aus dem Sichtwinkel eines Autofahrers nur schwer zu erkennen.
Sachverständigengutachten: Poller waren nicht zu erkennen
Das OLG hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt. Danach kam es zu dem Ergebnis, dass jedenfalls der mittlere und der rechte Poller unabhängig von der Geschwindigkeit und selbst bei Tageslicht für einen von rechts in die Straße einbiegenden Kraftfahrzeugfahrer nicht erkennbar waren. Dies habe der Sachverständige anhand von Videosequenzen belegt. Auch dem Sackgassenschild habe ein Autofahrer nicht entnehmen können, dass die Straße durch Poller versperrt sein würde. Die beklagte Gemeinde habe damit in eklatanter Weise gegen ihre Verkehrssicherungspflichten verstoßen.
Quelle | OLG Braunschweig, Urteil vom 10.12.2018, 11 U 54/1
| Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat die Klage eines Nachbarn auf Durchsetzung des „Fensterrechts“ in der Berufungsinstanz abgewiesen. In erster Instanz hatte das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth den vom Kläger gegen die Grundstücksnachbarn geltend gemachten Anspruch zuerkannt, die auf der Grundstücksgrenze befindlichen Fenster großflächig blickdicht zu gestalten und geschlossen zu halten. Das OLG hat nun die Entscheidung geändert. |
Kläger beriefen sich auf Nachbarrecht
Der Kläger verlangte unter Berufung auf die bayerischen Nachbarrechtsvorschriften von den beklagten Nachbarn, die zu seinem Grundstück zugewandten Wohnraumfenster so umzubauen, dass ein Öffnen und ein Durchblicken bis zur Höhe von 1,80 m über dem Boden nicht möglich sind. Er ist Eigentümer eines im Jahr 2017 errichteten Einfamilienhauses, die Beklagten wohnen seit 2019 auf dem Nachbargrundstück. Beide Grundstücke waren zunächst Teil eines größeren Grundstücks. Infolge der Grundstücksteilung im Jahr 2000 wurde das Wohnhaus, in dem die Beklagten wohnen, zu einem Grenzbau. Die Wohnung der Beklagten hat mehrere Fenster sowie eine Balkonfenstertür, deren Abstand zur Grundstücksgrenze des Klägers weniger als 60 Zentimeter beträgt.
Oberlandesgericht machte sich ein eigenes Bild
Das OLG sah die auf das „Fensterrecht“ gestützten Anspruchsvoraussetzungen zwar grundsätzlich als gegeben, erachtete die Durchsetzung des Anspruchs im konkreten Einzelfall in der Gesamtwürdigung aber als unbillige Härte. Es hatte sich in einem Ortstermin ein eigenes Bild von den konkreten Wohnverhältnissen gemacht und die streitgegenständlichen Fenster, insbesondere die etwaig zu verschattenden Fensterflächen, die Lichtverhältnisse in sämtlichen betroffenen Räumen und die Fluchtwege der Wohnung in Augenschein genommen.
Unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten der Wohnung und in Abwägung der jeweiligen Interessen beider Seiten kam das OLG zu dem Ergebnis, dass dem Kläger ein Berufen auf das nachbarrechtliche „Fensterrecht“ im konkreten Einzelfall verwehrt ist. Maßgeblich war aus Sicht des Gerichts zum einen, dass bis zu 80 % der Fensterflächen von der blickdichten Gestaltung betroffen wären und eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr der Wohnung bei Durchsetzung des Anspruchs nicht mehr gewährleistet wäre. Zum anderen hat das Gericht berücksichtigt, dass bei einem dauerhaften Verschließen der Balkontür auch der notwendige zweite Fluchtweg nicht mehr gegeben wäre. In Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände erachtete das Gericht die Ausübung des Fensterrechts daher als unzulässig.
Quelle | OLG Nürnberg, Urteil vom 18.6.2024. 6 U 2481/22, PM 21/24
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit der Frage befasst, ob sich der Verkäufer eines fast 40 Jahre alten Fahrzeugs mit Erfolg auf einen vertraglich vereinbarten allgemeinen Gewährleistungsausschluss berufen kann, wenn er mit dem Käufer zugleich vereinbart hat, dass die in dem Fahrzeug befindliche Klimaanlage einwandfrei funktioniere, und der Käufer nunmehr Mängelrechte wegen eines Defekts der Klimaanlage geltend macht. |
Das war geschehen
Der Kläger erwarb im März 2021 im Rahmen eines Privatverkaufs von dem Beklagten zu einem Kaufpreis von 25.000 Euro einen erstmals im Juli 1981 zugelassenen Mercedes-Benz 380 SL mit einer Laufleistung von rund 150.000 km. In der Verkaufsanzeige des Beklagten auf einer Onlineplattform hieß es unter anderem: „Klimaanlage funktioniert einwandfrei. Der Verkauf erfolgt unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“.
Im Mai 2021 beanstandete der Kläger, dass die Klimaanlage defekt sei. Nachdem der Beklagte etwaige Ansprüche des Klägers zurückgewiesen hatte, ließ dieser die Klimaanlage – im Wesentlichen durch eine Erneuerung des Klimakompressors – instand setzen. Mit der Klage verlangt er von dem Beklagten den Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von rund 1.750 Euro.
So sah es der Bundesgerichtshof
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren erfolgreich weiter. Der BGH hat entschieden, dass der Beklagte sich gegenüber dem hier im Streit stehenden Schadenersatzanspruch des Klägers nicht auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen kann.
Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist in den Fällen einer (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbarten Beschaffenheit ein daneben vereinbarter allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel dahin auszulegen, dass er nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit, sondern nur für sonstige Mängel gelten soll. Eine von diesem Grundsatz abweichende Auslegung des Gewährleistungsausschlusses kommt nicht in Betracht.
Auf den Wortlaut der Internetanzeige kam es an
Der Umstand, dass der Beklagte nicht erst im schriftlichen Kaufvertrag, sondern bereits in seiner Internetanzeige – unmittelbar im Anschluss an die Angabe „Klimaanlage funktioniert einwandfrei“ – erklärt hat, dass der Verkauf „unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“ erfolge, erlaubt es nicht, den vereinbarten Gewährleistungsausschluss dahingehend zu verstehen, dass er sich auf die getroffene Beschaffenheitsvereinbarung über die (einwandfreie) Funktionsfähigkeit der Klimaanlage erstreckt. Denn gerade das – aus Sicht eines verständigen Käufers – gleichrangige Nebeneinanderstehen einer Beschaffenheitsvereinbarung einerseits und eines Ausschlusses der Sachmängelhaftung andererseits gebietet es nach der Rechtsprechung des BGH, den Gewährleistungsausschluss als beschränkt auf etwaige, hier nicht in Rede stehende Sachmängel aufzufassen, da die Beschaffenheitsvereinbarung für den Käufer andernfalls – außer im (hier nicht gegebenen) Fall der Arglist des Verkäufers – ohne Sinn und Wert wäre.
Vereinbarte Beschaffenheit kann nicht im Anschluss wieder ausgeschlossen werden
Insbesondere aber rechtfertigen in einem Fall, in dem – wie hier – die Funktionsfähigkeit eines bestimmten Fahrzeugbauteils den Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung bildet, weder das (hohe) Alter des Fahrzeugs beziehungsweise des betreffenden Bauteils, noch der Umstand, dass dieses Bauteil typischerweise dem Verschleiß unterliegt, die Annahme, dass ein zugleich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss auch für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit gelten soll. Diese Umstände (Alter des Fahrzeugs, Verschleißanfälligkeit eines Bauteils) können zwar für die übliche Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens von Bedeutung sein. Sie spielen jedoch weder für die Frage einer konkret vereinbarten Beschaffenheit noch für die hier maßgebliche Frage eine Rolle, welche Reichweite ein allgemeiner Gewährleistungsausschluss im Fall einer vereinbarten Beschaffenheit hat. Vielmehr findet der Grundsatz, dass ein vertraglich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss die Haftung des Verkäufers für einen auf dem Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit beruhenden Sachmangel unberührt lässt, auch dann uneingeschränkt Anwendung, wenn der Verkäufer die Funktionsfähigkeit eines Verschleißteils eines Gebrauchtwagens zugesagt hat.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.4.2024, VIII ZR 161/23, PM 82/2024
| Ein Hotel mit einem Fußweg von ca. 1,3 Kilometern befindet sich nicht „nur wenige Gehminuten“ von wunderschönen Stränden entfernt. So hat es das Amtsgericht (AG) München jetzt klargestellt. Es läge daher ein Reisemangel vor. |
Es ging um die Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz
Das AG verurteilte einen Reiseveranstalter zur Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit in Höhe von insgesamt 1.795 Euro. Die Klägerin hatte für sich und ihre neunjährige Tochter bei der Beklagten eine Rundreise durch Costa Rica gebucht. Die Rundreise sollte einen Aufenthalt von 4 Nächten in einem Boutique-Hotel an der Pazifikküste beinhalten.
Tatsächlich 25 Gehminuten zum Strand
Die Klägerin bemängelte, das Hotel sei mit den Worten „nur wenige Gehminuten von den besten Restaurants und wunderschönen Stränden [..] entfernt“ beschrieben worden. Dies habe nicht der Realität entsprochen. An der Rezeption sei ihr mitgeteilt worden, dass man ein Taxi nehmen müsse, um den Strand zu erreichen, da dieser 25 Gehminuten entfernt läge. Die Klägerin wandte sich daraufhin an die lokale Ansprechpartnerin der Reiseveranstalterin und buchte in Abstimmung mit dieser über eine Buchungsplattform auf eigene Kosten ein Ersatzhotel. Mit ihrer Klage machte die Klägerin Ersatz der verauslagten Kosten für die Buchung des Ersatzhotels in Höhe von 733 Euro sowie Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit wegen eines verlorenen Urlaubstages aufgrund des Hotelwechsels in Höhe von 1.062 Euro geltend.
Entfernung zugesichert?
Die Beklagte behauptete, es sei nie eine bestimmte Entfernung oder Gehzeit zum Strand zugesichert worden. Tatsächlich sei der Strand in ca. 15 Minuten zu erreichen.
Das AG gab der Klägerin in vollem Umfang Recht und führte in den Entscheidungsgründen aus, dass das Hotel aufgrund seiner Entfernung zum Strand mangelhaft sei. Zwischen den Parteien sei zwar umstritten, wie lange der Fußweg vom Hotel zum Strand dauerte. Es sei allerdings unstreitig, dass der nächstgelegene Strand des Hotels einen Fußweg von 1,3 km entfernt war. Im Rahmen der Auslegung dieses vertraglich vereinbarten Merkmals „wenige Gehminuten“ müsse auch berücksichtigt werden, dass es sich bei der gebuchten Reise um eine Reise im Hochpreissegment handelte, wurden doch für 12 Tage knapp 9.000 Euro ausgegeben – exklusive Flügen. Die Beklagte, die selbst damit wirbt, „unvergessbare Luxusreisen“ anzubieten, müsse sich insofern an ihren eigenen Ansprüchen messen lassen. Nach Überzeugung des Gerichts seien bei einer hochpreisigen Luxusreise „wenige Gehminuten“ eine Zeit, die bei normalem Gehtempo regelmäßig fünf Minuten nicht überschreite.
„Wenige Gehminuten“ = maximal 5 Minuten!
Die unstreitige Entfernung zum Strand von 1,3 km könne jedoch nur dann (noch) in fünf Minuten zurückgelegt werden, wenn eine Gehgeschwindigkeit von etwa 15,6 km/h eingehalten werden würde, was selbst für erfahrene Läufer ein ambitioniertes Tempo darstelle. Vor dem Hintergrund, dass der Beklagten bei der Reiseplanung bekannt war, dass die Klägerin mit einem neunjährigen Kind reiste – passte sie doch ihr Freizeitprogramm kindgerecht an – könne das Einhalten eines solchen Tempos nicht vorausgesetzt werden.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | AG München, Urteil vom 22.11.2023, 242 C 13523/23, PM 20/24
| Das Landgericht (LG) München I hat die Klage einer Kundin gegen einen Outlet-Betreiber auf Schmerzensgeld abgewiesen. Die Kundin hatte sich bei der Kleideranprobe durch ein Preisschild eine Augenverletzung zugezogen. |
Bei der Kleideranprobe am Preisschild verletzt
Im April 2023 probierte die klagende Kundin im Outlet-Store der Beklagten ein T-Shirt. Dabei verletzte sie sich durch ein an diesem T-Shirt angebrachtes Preisschild am rechten Auge.
Schmerzensgeld gefordert
Die Kundin hat gegen den Betreiber des Outlet-Stores deswegen Klage erhoben und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5.000 Euro gefordert. Der Betreiber des Outlet-Stores habe die ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt, da das Preisschild in seiner Ausgestaltung aufgrund fehlender Sicherung und Erkennbarkeit gefährlich gewesen sei. Das Preisschild habe ihr bei der Anprobe ins Auge geschlagen. Sie habe dadurch eine erhebliche Verletzung am rechten Auge erlitten. Es sei erforderlich gewesen, an dem verletzten Auge eine Hornhauttransplantation durchzuführen. Bis heute leide sie unter Schmerzen und sei weiterhin in ihrer Sicht eingeschränkt sowie besonders blendempfindlich.
Preisschilder vorgeschrieben
Der Betreiber des Outlet-Stores hat eingewandt, bei dem verwendeten Preisschild handle es sich um ein übliches Standardpreisschild in der Größe von ca. 9 cm x 5 cm mit abgerundeten Ecken und einer flexiblen Rebschnur. Die Preisschilder seien durch ihre Größe und das Gewicht des Bündels deutlich fühlbar gewesen. Vergleichbare Fälle von aufgetretenen Verletzungen seien ihm nicht bekannt. Zudem sei es gesetzlich vorgeschrieben, entsprechende Preisschilder an den Waren anzubringen.
Amtsgericht weist Klage ab
Das AG hat die Klage abgewiesen. Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt stehe der Kundin ein Anspruch auf Schmerzensgeld gegenüber dem Betreiber des Outlet-Stores zu. Wenn sich im Zuge einer Kleideranprobe in einem Outlet eine Kundin durch ein übliches Preisschild am Auge verletzt, hafte der Betreiber dafür nicht, so das AG.
Zur Begründung hat das AG ausgeführt, sichernde Maßnahmen seien nur in dem Maße geboten, in dem sie ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei müsse der Geschäftsbetreiber nicht für alle denkbar entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es komme vielmehr auch entscheidend darauf an, welche Möglichkeiten der Geschädigte hat, sich vor erkennbaren Gefahrquellen selbst zu schützen.
Im hier entschiedenen Einzelfall habe der Betreiber des Outlet-Stores den an ihn gerichteten Verkehrssicherungspflichten Genüge getan. Für die Kundin sei das Vorhandensein eines Preisschildes erwartbar und das Treffen eigener Sicherheitsvorkehrungen zumutbar gewesen.
Nach allgemeiner Lebenserfahrung werfe ein Kunde bereits vor der Anprobe einen Blick auf das Preisschild und könne daher ohne Weiteres selbst dafür sorgen, dass er sich bei der Anprobe nicht verletze. Die Forderung der Kundin, gesondert auf das Vorhandensein von Preisschildern an der Kleidung hinzuweisen, hielt das Gericht für lebensfremd und nicht zumutbar.
Quelle | LG München I, Urteil vom 28.5.2024, 29 O 13848/23, PM 5/24
| Das Landgericht (LG) Paderborn hat in einem Mietrechtsstreit über Feuchtigkeitserscheinungen in einer Altbauwohnung Klartext gesprochen. Es gab dem Mieter überwiegend recht. |
Baujahr ändert nichts an Mangel
Das LG: Erheblich durchfeuchtete Wände mit sichtbaren Salzausblühungen und feuchtigkeitsbedingt zerbröselndem Putz stellen auch in einer Altbauwohnung aus den 1920er Jahren einen Mietmangel dar. Dabei hat das LG berücksichtigt, dass die Wände teils erst ab einer Höhe von ca. einem Meter über dem Fußboden „normal“ trockene Messwerte zeigen und die Feuchtigkeit ausschließlich bauliche Ursachen hat.
Anspruch auf Beseitigung und Minderung
Der klagenden Mieterin sprach das LG deshalb einen Anspruch gegen ihren Vermieter auf Beseitigung der Feuchtigkeit in den Wohnungswänden zu. Es nahm aufgrund der feuchten Wände und den damit einhergehenden Nachteilen u. a. für Wohnklima und Optik – anders als das erstinstanzliche Gericht – zudem eine erhebliche Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs an und bejahte ein Mietminderungsrecht der Klägerin.
Keinen Mangel sah das LG hingegen im konkreten Fall in den ebenfalls durchfeuchteten Kellerwänden des Mietobjekts. Daher wies es die Berufung der Klägerin insofern zurück.
Quelle | LG Paderborn, Urteil vom 6.3.2024, 1 S 72/222, PM vom 6.3.2024
| Der Vermieter darf, um vom Mieter verursachte Blutlachen im Treppenhaus und Eingangsbereich zu beseitigen, eine – teure – Spezialfirma für die Reinigung eines Tatorts nach Suizid oder Unfall mit den Reinigungsarbeiten beauftragen. Er muss auch nicht zuvor den Mieter beauftragen, um die Kosten gering zu halten, wenn der Mieter nicht über die ausreichende Qualifikation verfügt, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. So hat es das Amtsgericht (AG) Frankfurt/Main entschieden. |
Mieter hatte Blutspuren versuracht
Der Wohnungsmieter stand unter Betreuung. Eines Tages trat er nach einer Verletzung stark blutend aus seiner Wohnung in das Treppenhaus und anschließend durch die Haustür nach draußen. Dabei hinterließ er massive Blutspuren. Daraufhin beauftragte die Vermieterin eine Spezialfirma mit der Reinigung und Desinfektion des Treppenhauses und des Eingangsbereichs. Die Vermieterin stellte dem Mieter über seinen Betreuer die Kosten in Höhe von rd. 1.930 Euro in Rechnung. Der Mieter zahlte nicht, daher klagte die Vermieterin.
Kostenerstattungsanspruch des Vermieters
Mit Erfolg: Die Vermieterin habe gegen den Mieter einen Kostenerstattungsanspruch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 280 Abs. 1 BGB) in Verbindung mit dem Mietvertrag, so das AG. Der Mieter habe dadurch, dass er nach einer Verletzung stark blutend durch das Treppenhaus und durch die Hauseingangstür ging und dabei größere Mengen Blut ungehindert auf den Boden laufen ließ, schuldhaft gegen den Mietvertrag verstoßen. Die Vermieterin war verpflichtet, unverzüglich die Blutspuren beseitigen zu lassen, zum einen, um die Gefahr von Stürzen infolge des Ausrutschens auf den Blutlachen zu vermeiden und zum anderen, um einer Infektionsgefahr bei Kontakt mit dem Blut entgegenzutreten.
Sie habe den Mieter nicht selbst beauftragen können, um die Kosten gering zu halten, da dieser nicht über die ausreichende Qualifikation verfügte, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. Zudem hätte die Entfernung nicht unverzüglich erfolgen können, da der Mieter offenkundig verletzt war. Die Vermieterin habe auch nicht gegen eine ihr obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen, indem sie ein Fachunternehmen für Tatortreinigung beauftragte. Sie war gehalten, sicherzustellen, dass keine Gefahr für Mitbewohner und Besucher bestehen bleibt, was nur durch ein spezialisiertes Reinigungsunternehmen gewährleistet war.
Vergleichsangebote nicht nötig
Es stellt auch keinen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar, dass die Vermieterin keine (drei) Vergleichsangebote eingeholt hat. Denn sie musste unverzüglich tätig werden, um die Gefahrenquelle zu beseitigen.
Qualität der Fachfirma nicht „kriegsentscheidend“
Auch kommt es nicht darauf an, ob die von der Vermieterin beauftragte Fachfirma möglicherweise unsachgemäß oder unwirtschaftlich gearbeitet hat und dadurch höhere Kosten entstanden sind. Denn ein Schädiger muss solche Kosten auch dann ersetzen, wenn den Geschädigten kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft.
Quelle | AG Frankfurt/Main, Urteil vom 10.8.2023, 33 C 1898/23
| Zur Errichtung eines wirksamen gemeinschaftlichen Testaments müssen beide Ehegatten testierfähig sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Das war geschehen
Die beiden Ehegatten hatten sich durch gemeinschaftliches Testament gegenseitig als Alleinerben eingesetzt. Dieses Testament wurde von der Ehefrau eigenhändig geschrieben und unterschrieben sowie vom Erblasser eigenhändig unterschrieben. Mit einer Ergänzung dieses Testaments, errichtet in gleicher Weise, ordneten die Ehegatten später eine Vor- und Nacherbschaft dergestalt an, dass der überlebende Ehegatte befreiter Vorerbe und ihre gemeinsame Tochter Nacherbin sein sollte. Bereits zwei Jahre vor dieser Ergänzung des Testaments wurde die Ehefrau wegen einer Demenzerkrankung in einem Pflegeheim untergebracht. Ein Jahr vor der Ergänzung des gemeinschaftlichen Testaments tötete der Erblasser seine Schwester und wurde in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht, in der er sich das Leben nehmen wollte.
Nach dessen Tod beantragte die überlebende Ehefrau, vertreten durch ihre Tochter, einen Erbschein des Inhalts, dass sie alleinige befreite Vorerbin des Erblassers geworden sei und die Nacherbfolge der Tochter nach ihrem Tod als Vorerbin eintrete. Sie hat sich zur Begründung ihres Antrags auf die beiden letzten gemeinschaftlichen Testamente gestützt. Der gemeinsame Sohn der Ehegatten ist dem Antrag entgegengetreten. Er begründete dies damit, sowohl der Erblasser als auch die Antragstellerin seien zum Zeitpunkt der Errichtung beider Testamente testierunfähig gewesen.
Nachlassgericht deutete Testamente um
Das Nachlassgericht ist nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Überzeugung gelangt, dass die Antragstellerin testierunfähig gewesen ist. Bezogen auf den Erblasser hat sich hingegen nicht die Überzeugung von einer Testierunfähigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung der vorgenannten Testamente gebildet. Die Testamente könnten jeweils in ein Einzeltestament des Erblassers umgedeutet werden, weshalb es die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet hat. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Sohn der Ehegatten mit der Beschwerde und begehrte die Zurückweisung des Erbscheinsantrages.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat den Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückgewiesen und ausgeführt, dass die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen nicht für festgestellt zu erachten seien.
Ein wirksames gemeinschaftliches Ehegattentestament setze voraus, dass beide Ehegatten bei der Testamentserrichtung testierfähig sind. Ein Testament könne nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Da ein gemeinschaftliches Testament vom Willen beider Eheleute getragen sei, erfordere eine wirksame Verfügung von Todes wegen die Testierfähigkeit eines jeden Ehegatten. Daran fehle es bei einem Ehegatten, weshalb der Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückzuweisen sei.
Eine Umdeutung des unwirksamen gemeinschaftlichen Testaments in ein Einzeltestament des Erblassers komme hier nicht in Betracht, weil der Erblasser die getroffenen Anordnungen nicht eigenhändig geschrieben, sondern den von der Antragstellerin geschriebenen Text nur unterschrieben habe. Die Umdeutung als Einzeltestament komme hier nur für den Teil in Betracht, der die Verfügung eigenhändig – hier also die Antragstellerin – niedergelegt habe.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 14.3.2024, 6 W 106/23
| Vertragsfristen können nicht nur bei Abschluss des Bauvertrags, sondern auch während der Bauausführung vereinbart werden. So kann einem gestörten Bauablauf dadurch Rechnung getragen werden, dass überholte oder nicht mehr einhaltbare Fristen durch eine Terminplanfortschreibung einvernehmlich angepasst werden, wobei diese Fortschreibung wiederum Vertragsfristen und unverbindliche Kontrollfristen beinhalten kann. Das hat das Kammergericht (KG) Berlin klargestellt. |
Beachten Sie | Die Entscheidung des KG gilt auch für Planungsterminpläne. Sie ist durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH rechtskräftig geworden.
Quelle | KG Berlin, Urteil vom 24.01.2023, 27 U 154/21, rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 25.10.2023, VII ZR 20/23
| Stichprobenartige Prüfungen von Wärmedämmarbeiten reichen nicht aus, um eine mangelfreie Objektüberwachung zu gewährleisten. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg. |
Im konkreten Fall hatte der Architekt nicht bemerkt, dass nur 8 cm PUR-Dämmung statt der vertraglich geschuldeten 9 cm eingebaut wurden. Das hätte aber sogar eine Stichprobe ergeben müssen, so das OLG. Es machte den Architekten daher für den Austausch der Dämmung haftbar.
Es sprach Klartext: Umfang und Intensität der geschuldeten Überwachung hängen von den Anforderungen der Baumaßnahme sowie den konkreten Umständen ab. Einfache Arbeiten bedürfen keiner Überwachung. Demgegenüber unterliegt die Überwachung von Wärmedämmarbeiten höheren Anforderungen.
Die Entscheidung ist jetzt rechtskräftig.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 8.11.2022, 2 U 10/22
| Die Regelverjährungsfrist beim Werkvertrag für Planung und Bauüberwachung beträgt fünf Jahre. Doch Achtung: Diese Frist kann durch eine sog. Hemmung verlängert werden. Die Folge: Planer und Architekten können länger in der Gewährleistung bleiben und unter Umständen in Anspruch genommen werden. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Ernsthafter Meinungsaustausch erforderlich
Voraussetzung: Die Verjährung hemmende Verhandlungen erfordern einen ernsthaften Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen.
Nicht ausreichend: bloße Erklärungen
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen nicht die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein. Ein solcher Meinungsaustausch hemmt die Verjährung nicht.
Quelle | OLG Köln, Beschluss vom 2.3.2023, 19 U 55/22, rechtskräftig durch BGH, Beschluss vom 8.11.2023, VII ZR 54/23
| Die unterlassene Aufnahme einer Arbeit ist kein sozialwidriges Verhalten, wenn das Jobcenter den Betroffenen „allein lässt“ und nicht die nötige Hilfe leistet. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen entschieden. |
Langzeitarbeitsloser bewarb sich jahrelang erfolglos
Zugrunde lag das Verfahren eines Langzeitarbeitslosen, der bis 2003 als Buchhalter gearbeitet hatte. Hiernach folgten Zeiten der Arbeitslosigkeit und verschiedene Hilfsarbeiten. Der Mann bewarb sich viele Jahre erfolglos als Buchhalter, bis das Jobcenter schließlich ab 2017 keine weiteren Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen übernahm. Es müsse ein Strategiewechsel stattfinden, insbesondere weil Bewerbungen als Buchhalter nach so langer Zeit nicht mehr erfolgversprechend seien. Überraschend erhielt der Mann dennoch 2019 einen Arbeitsvertrag als Buchhalter bei einer Behörde in Düsseldorf. Zur Arbeitsaufnahme kam es jedoch nicht, weil das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution für eine neue Wohnung ablehnte und er deshalb nicht umziehen konnte.
Kein Verschulden des Arbeitslosen
2020 machte das Jobcenter gegenüber dem Mann eine Erstattungsforderung wegen sozialwidrigen Verhaltens geltend, da er nicht zum Einstellungstermin erschienen sei. Er müsse daher Grundsicherungsleistungen von rd. 6.800 Euro erstatten. Hiergegen klagte der Mann. Den Mietvertrag in Düsseldorf habe er nicht unterschrieben, weil er kein Geld für die Kaution gehabt habe und noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen gewesen sei. Das LSG hat die Rechtsauffassung des Klägers bestätigt. Der Nichtantritt einer außerhalb des Tagespendelbereichs gelegenen Arbeitsstelle stelle kein sozialwidriges Verhalten im Sinne eines objektiven Unwerturteils dar, wenn der Arbeitsuchende am künftigen Beschäftigungsort keine Wohnung anmieten könne, weil ihm selbst die Mittel für eine Mietkaution fehlten und das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution abgelehnt habe.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.1.2023, L 11 AS 336/21
| Eine öffentliche Verwaltung kann das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, verbieten, um ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen. Eine solche Regel ist nicht diskriminierend, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf das gesamte Personal dieser Verwaltung angewandt wird und sich auf das absolut Notwendige beschränkt. So sieht es der Europäische Gerichtshof (EuGH). |
Verbot eines islamischen Kopftuchs
Eine belgische Gemeinde hatte einer Bediensteten, die als Büroleiterin ganz überwiegend ohne Publikumskontakt tätig ist, untersagt, am Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen. Anschließend änderte die Gemeinde ihre Arbeitsordnung und schrieb in der Folge ihren Arbeitnehmern strikte Neutralität vor: Das Tragen von auffälligen Zeichen ideologischer oder religiöser Zugehörigkeit verbot sie allen Arbeitnehmern, auch denen ohne Publikumskontakt. Die Büroleiterin fühlte sich diskriminiert und in ihrer Religionsfreiheit verletzt.
Lag Diskriminierung vor?
Dem mit dem Rechtsstreit befassten Arbeitsgericht (ArbG) Lüttich stellt sich die Frage, ob die von der Gemeinde aufgestellte Regel der strikten Neutralität eine gegen das Unionsrecht verstoßende Diskriminierung begründet. Der EuGH antwortete, dass die Politik der strikten Neutralität, die eine öffentliche Verwaltung ihren Arbeitnehmern gegenüber durchsetzen will, um bei sich ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen, als durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt angesehen werden kann.
Wertungsspielraum der Mitgliedsstaaten, wie „Neutralität“ ausgestaltet wird
Ebenso gerechtfertigt ist die Entscheidung einer anderen öffentlichen Verwaltung für eine Politik, die allgemein und undifferenziert das Tragen von sichtbaren Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen, auch bei Publikumskontakt, gestattet, oder ein Verbot des Tragens solcher Zeichen beschränkt auf Situationen, in denen es zu Publikumskontakt kommt. Die Mitgliedsstaaten und die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten verfügen über einen Wertungsspielraum bei der Ausgestaltung der Neutralität des öffentlichen Dienstes, die sie in dem für sie spezifischen Kontext am Arbeitsplatz fördern wollen. Dieses Ziel muss aber in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, und die zu seiner Erreichung getroffenen Maßnahmen müssen sich auf das absolut Notwendige beschränken. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob diese Anforderungen erfüllt sind.
Quelle | EuGH, Urteil vom 28.11.2023, C-148/22
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Aachen hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer Anspruch auf die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung gegenüber seiner Arbeitgeberin hat. Er darf diesen auch im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzen. |
Das war geschehen
Der schwerbehinderte Arbeitnehmer ist seit September 1988 bei der Arbeitgeberin – einem Unternehmen, das Bauelemente herstellt und vertreibt, – als Verkaufs- und Vertriebsleiter tätig. Er ist wegen eines Hirntumors seit April 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und war bis zum 10.4.2024 fahruntüchtig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird nach Erreichen der Regelaltersgrenze des Arbeitnehmers mit dem Ablauf des Monats Oktober 2024 enden. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrte der Arbeitnehmer, ihn ab Mitte März 2024 entsprechend einem ärztlichen Wiedereingliederungsplan nach dem sog. „Hamburger Modell“ zu beschäftigen, um zeitnah an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu können.
Fehlende Fahrtüchtigkeit steht Wiedereingliederung nicht im Weg
Das ArbG gab dem Antrag des schwerbehinderten Arbeitnehmers statt, da die Arbeitgeberin verpflichtet sei, an der stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken. Dem stehe die fehlende Fahrtüchtigkeit des Arbeitnehmers nicht entgegen. Der Arbeitnehmer könne während der Fahruntüchtigkeit zu Beginn der Wiedereingliederung zunächst seinem Aufgabenprofil entsprechende Büroarbeiten erledigen.
Sache ist eilbedürftig
Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung besondere Eilbedürftigkeit ergab sich nach Auffassung des Arbeitsgerichts daraus, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer auf die zeitnahe Wiedereingliederung angewiesen sei. Demgegenüber würde eine Versagung der Wiedereingliederung den Teilhabeanspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers am Erwerbsleben vereiteln oder jedenfalls erheblich erschweren. Auch der nahe Renteneintritt des Arbeitnehmers ändert nach Ansicht des ArbG nichts am Eilbedürfnis.
Quelle | ArbG Aachen, Urteil vom 12.3.2024, 2 Ga 6/24, PM 1/24
| Für Bühnenkünstler gewährt die Rechtsprechung pauschalierten Schadenersatz von bis zu sechs Monatsgagen pro Spielzeit, wenn der Arbeitgeber den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers verletzt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied nun: Dieser Anspruch kann nicht auf den Profimannschaftssport übertragen werden. |
Saisonabbruch in der Corona-Pandemie: Kläger durfte nicht spielen
Der Kläger ist Eishockeyspieler. Er stritt mit seinem Arbeitgeber über einen Schadenersatzanspruch. Sein Arbeitgeber, der Beklagte, hatte ihn in der Saison 2019/2020 nicht beschäftigt, da diese aufgrund der Corona-Pandemie abgebrochen wurde. Bis dahin fungierte er als Kapitän und Leistungsträger der Mannschaft.
Außerordentliche fristlose Kündigung
Die Beklagte sprach eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung aus und bot gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis mit einer verringerten Vergütung fortzusetzen. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen an und erhob eine Änderungsschutzklage. Daraufhin stellte die Beklagte den Kläger vom Mannschaftstraining frei. Durch einstweilige Verfügung erstritt der Kläger die Zulassung zum Trainingsbetrieb. Anschließend erfolgte eine außerordentliche fristlose Kündigung.
Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen und der fristlosen Kündigung fest. Die tatsächliche Teilnahme am Training wurde dem Kläger jedoch durchgängig verweigert. Er ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Schadenersatz aufgrund der Weigerung der Beklagten, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Ihm sei ein Schaden in seinem beruflichen Fortkommen entstanden, da er als Eishockeyprofi seine beruflichen Fertigkeiten nicht im Mannschaftstraining habe weiterentwickeln und verbessern können. Dadurch habe sein Marktwert gelitten, denn ein Profimannschaftssportler bedürfe der ständigen Trainingspraxis. Die Beklagte habe sich ihm gegenüber durchgängig unlauter verhalten. Die Vorinstanzen gaben der Klage in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern statt und wiesen die weitergehende Klageforderung ab.
Kläger blieb vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos
Vor dem BAG blieb der Kläger erfolglos. Er hat keinen Anspruch auf weiteren Schadenersatz wegen der Verletzung seines Beschäftigungsanspruchs. Zwar besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung und damit korrespondierend eine Pflicht des Arbeitgebers, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Die Beklagte hatte den Beschäftigungsanspruch auch schuldhaft verletzt, indem sie ihn vom Mannschaftstraining suspendiert hatte. Dies und die anschließende außerordentliche fristlose Kündigung seien zudem eine Maßregelung gewesen, da der Kläger lediglich in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hatte.
Der Kläger hat aber nicht ausreichend dargelegt, dass ihm infolge der Verletzung der Beschäftigungspflicht ein solcher Schaden entstanden sei. Zudem dürfen, so das BAG, Schadenersatzansprüche von Profimannschaftssportlern nicht in Anlehnung an die Rechtsprechung für andere Berufsgruppen, z. B. Bühnenkünstler, pauschalierend festgesetzt werden. Für die Schätzung des Schadens eines Profimannschaftssportlers bedürfe es greifbarer Tatsachen. Hieran fehlte es vorliegend. Mangels konkreter Anhaltspunkte könnte nur eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens erfolgen, die vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre.
Quelle | BAG, Urteil vom 29.2.2024, 8 AZR 359/22
| Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, sind diese Vorteile steuerfrei, soweit sie den Rabattfreibetrag von 1.080 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)). Das Landesozialgericht (LSG) Bayern musste nun in einem Konzernfall über die Beitragspflicht von Warengutscheinen entscheiden. Dabei hat es herausgestellt, dass hinsichtlich des Arbeitgeberbegriffs keine unterschiedliche Beurteilung nach Steuer- und nach Beitragsrecht veranlasst ist. |
Arbeitgeber kann nur derjenige sein, der die Arbeitsverträge mit den Beschäftigten abgeschlossen hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, den der Bundesfinanzhof (BFH) für das Steuerrecht aufgestellt hat.
Begriff des „Arbeitgebers“: keine Konzernklausel
Der BFH hat es abgelehnt, den Begriff des Arbeitgebers über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen. Im Vorfeld der gesetzlichen Neuregelung wurde eine Konzernklausel ausdrücklich diskutiert.
Da sie aber nicht aufgenommen worden ist, kann daraus geschlossen werden, dass sich die bereits in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Meinung durchgesetzt hat, nach der § 8 Abs. 3 EStG nicht für Waren und Dienstleistungen gelten soll, die nicht im Unternehmen des Arbeitgebers hergestellt, vertrieben oder erbracht werden. Es sollen weder Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften noch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel steuerlich begünstigt werden.
Warengutscheine = Sachbezüge
Nach Ansicht des LSG hat das Unternehmen im Streitfall auch keinen so gewichtigen Beitrag geleistet, als dass es unter Anwendung des „erweiterten Hersteller- bzw. Vertreiberbegriffs“ als Hersteller bzw. Vertreiber der Waren i. S. des § 8 Abs. 3 EStG angesehen werden kann. Deshalb handelt es sich bei den Warengutscheinen um Sachbezüge, für die Beiträge erhoben werden müssen.
Quelle | LSG Bayern, Urteil vom 6.6.2023, L 7 BA 80/22, Abruf-Nr. 240136; unter www.iww.de; BFH, Urteil vom 26.4.2018, VI R39/16
| Mit einem kuriosen Nachbarstreit zwischen einem Restaurantbetreiber und dem Anbieter von Parkraum hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Dem Restaurantbesitzer drohen nun 250.000 Euro Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft. |
Das war geschehen
Der Parkplatzbetreiber hatte die Parkgebühren angehoben und den bislang gewährten Rabatt für die Besucher des Restaurants abgeschafft. Daraufhin positionierte der Restaurantbesitzer gezielt eigene Mitarbeiter an der Parkschranke, um die Autofahrer von der Einfahrt in den Parkplatz abzuhalten und auf andere, kostenfreie Plätze in der Nähe zu verweisen. Dieses Verhalten stellt eine unzulässige Verletzungshandlung dar, die darauf angelegt ist, den Betrieb des Parkraumbewirtschafters zu schädigen, entschied das LG. Es untersagte in einem Eilverfahren entsprechende Aktionen.
Boykottaufruf unverhältnismäßig
Das Argument, über den Rabatt für Restaurantkunden gebe es eine Vereinbarung und die hohen Parkkosten hätten bereits Kunden abgeschreckt und vom Besuch abgehalten, überzeugte das LG nicht. Das Vorgehen des Restaurantbetreibers sei unverhältnismäßig.
Im Bereich der Einfahrt gezielt Parkplatzsuchende anzusprechen, um diese zum anderweitigen Parken zu bewegen, sei eine gegen das Geschäftsmodell des Parkraumanbieters gerichtete verbotene Eigenmacht. Es seien nicht nur Restaurantbesucher, sondern sämtliche Parkplatzsuchende angesprochen und zum Boykott des Parkplatzes aufgerufen worden. Der Restaurantbesitzer müsse seine Kunden auf andere Weise darüber informieren, dass die Parkgebühren nicht mehr übernommen werden und den Streit um den Parkrabatt, wenn nötig, gerichtlich austragen.
„Saftiges“ Ordnungsgeld droht
Für den Fall, dass der Restaurantbetreiber dem Urteil zuwiderhandelt, hat das LG ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro sowie Ordnungshaft angedroht.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 18.1.2024, 5 O46/23, PM vom 30.4.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. |
Der Hintergrund
Amazon ist weltweit u. a. im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27.12.2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd. USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd. USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd. USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio. Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit.
Das war geschehen
Das Bundeskartellamt hatte festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als sog. Torwächter benannt.
Das sagt der Bundesgerichtshof
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt hat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (hier: § 19 a Abs. 1 GWB) zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.
Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Stores) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen.
Das heißt „marktübergreifende Bedeutung“
Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotenzial durch die Vorschrift adressiert wird. § 19 a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen.
Bundeskartellamt: zutreffende Feststellungen
Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von Amazon Web Services, Inc. (AWS). Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.
Die jetzige Geltung der Regelungen des Digital Markets Acts (DMA) und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.
Quelle | BGH, Beschluss vom 23.4.2024, KVB 56/22, PM 97/24
| Durch die Unwetter mit Hochwasser in der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 2024 sind in weiten Teilen Baden-Württembergs beträchtliche Schäden entstanden. Die Beseitigung dieser Schäden wird bei vielen Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Daher möchte das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen entgegenkommen. |
Möglich sind u. a.:
- Anpassung steuerlicher Vorauszahlungen,
- Stundung fälliger Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuerbeträge und
- Aufschub von Vollstreckungen.
Beachten Sie | Auch in anderen Bundesländern sind im Mai und Juni 2024 durch die Unwetter mit Hochwasser Schäden entstanden. Daher wurden auch für Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland Katastrophenerlasse mit steuerlichen Erleichterungen veröffentlicht. Dabei ist zu beachten, dass einige Erlasse bereits aktualisiert wurden.
Quelle | FinMin Baden-Württemberg, Erlass vom 20.6.2024; Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft Saarland, Erlass vom 21.5.2024; Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Erlass vom 25.6.2024; Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, Erlass vom 24.6.2024
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen. Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest.
Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R; BSG, PM Nr. 7/24 vom 22.2.2024
| Der Bundesrat hat dem Postrechtsmodernisierungsgesetz (PostModG) Anfang Juli 2024 zugestimmt. Dadurch werden insbesondere die Laufzeitvorgaben für die Zustellung von Briefen verlängert. Folgerichtig erfolgte auch eine Anpassung der Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (z. B. Steuerbescheiden). |
Einspruchsfrist von einem Monat
Zum Hintergrund: Das Problem, „Recht zu haben, aber es nicht zu bekommen“, ergibt sich immer dann, wenn ein Steuerbescheid zu einer zu hohen Steuerfestsetzung führt, es jedoch versäumt wurde, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat Einspruch einzulegen. Für den fristgerechten Eingang beim Finanzamt kommt es darauf an, wann der Bescheid bekannt gegeben wurde und wann die Einspruchsfrist endet.
Gesetzliche Neuregelung: Vier- statt Dreitagesfiktion
Um die Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach der Abgabenordnung an die verlängerten Laufzeitvorgaben anzupassen, wird aus der bisherigen Dreitages- eine Viertagesfiktion. Damit gelten Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte künftig als am vierten Tag nach deren Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, statt wie bisher nach drei Tagen.
Was unverändert bleibt: Fällt der vierte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, erfolgt die Bekanntgabe am nächstfolgenden Werktag. Die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Samstagen wurde nicht umgesetzt.
Die Neuregelung gilt für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.2024 übermittelt werden.
Neuregelung ab dem Jahr 2025
Beispiel: Das Finanzamt versendet an den Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid. Er gibt den Brief am Dienstag, den 14.1.2025, zur Post. Bekanntgabezeitpunkt ist der 20.1.2025 (Montag), da der 18.1.2025 („vier Tage“) ein Samstag ist.
Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Einspruchsfrist endet somit am 20.2.2025 um 24:00 Uhr.
Beachten Sie | Auch ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt gilt am dritten (ab 2025: vierten) Tag nach der Absendung als bekannt gegeben.
Steuerbescheid später zugegangen oder nicht erhalten
Die Bekanntgabefiktion gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich später oder gar nicht zugegangen ist.
Hier ist wie folgt zu unterscheiden:
- Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang, ist das Finanzamt regelmäßig nicht in der Lage, den Zugang nachzuweisen. Daher ist eine erneute (ordnungsgemäße) Bekanntgabe erforderlich.
- Behauptet der Steuerpflichtige einen späteren Zugang, muss er dies substanziiert darlegen bzw. nachweisen. Dabei stellt eine Abwesenheit wegen Urlaubs regelmäßig keine spätere Bekanntgabe dar.
Quelle | PostModG, BR-Drs. 298/24 (B) vom 5.7.2024; DStV, Mitteilung vom 13.6.2024
| Bei der Erbschaftsteuer zählt ein Parkhaus zum nichtbegünstigten Verwaltungsvermögen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) aktuell entschieden. |
Das war geschehen
Der Steuerpflichtige war testamentarisch eingesetzter Alleinerbe seines im Jahr 2018 verstorbenen Vaters (= Erblasser). Zum Erbe gehörte ein mit einem Parkhaus bebautes Grundstück. Der Erblasser hatte das Parkhaus als Einzelunternehmen ursprünglich selbst betrieben und ab dem Jahr 2000 dann unbefristet an seinen Sohn verpachtet.
Finanzamt: Parkhaus ist Verwaltungsvermögen
Das Finanzamt stellte den Wert des Betriebsvermögens fest und behandelte das Parkhaus dabei als sogenanntes Verwaltungsvermögen, das bei der Erbschaftsteuer nicht begünstigt ist. Das Finanzgericht (FG) und der BFH schlossen sich dieser Auffassung an.
Grundsätzlich wird Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer privilegiert. Das gilt allerdings nicht für bestimmte Gegenstände des Verwaltungsvermögens. Darunter fallen dem Grunde nach auch Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke. Diese können im Rahmen der Erbschaftsteuer zwar auch begünstigt sein, etwa wenn (wie im Streitfall) der Erblasser seinen ursprünglich selbst betriebenen Gewerbebetrieb unbefristet verpachtet und den Pächter testamentarisch als Erben einsetzt.
Keine erbschaftsteuerliche Privilegierung
Eine Ausnahme besteht dabei jedoch für solche Betriebe, die schon vor der Verpachtung nicht die Voraussetzungen der erbschaftsteuerrechtlichen Privilegierung erfüllt haben. Dies ist bei einem Parkhaus der Fall. Denn die dort verfügbaren Parkplätze als Teile des Parkhausgrundstücks wurden schon durch den Erblasser als damaligem Betreiber an die Autofahrer – und somit an Dritte – zur Nutzung überlassen.
Beachten Sie | Zudem handelt es sich dabei auch nicht um die Überlassung von Wohnungen, die der Gesetzgeber wiederum aus Gründen des Gemeinwohls für die Erbschaftsteuer privilegiert hat.
Keine Rolle spielt auch, ob zu der Überlassung der Parkplätze weitere gewerbliche Leistungen (z. B. eine Ein- und Ausfahrtkontrolle und eine Entgeltzahlungsdienstleistung) hinzukommen. Darauf stellt das Erbschaftsteuergesetz nämlich nicht ab.
Der BFH sah auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Grundstücksüberlassungen, wie z. B. im Rahmen des Absatzes eigener Erzeugnisse durch einen Brauereibetrieb oder im Zusammenhang mit einer land- und forstwirtschaftlichen Betriebstätigkeit. Dass der Gesetzgeber solche Betriebe (wie auch die erwähnten Wohnungsunternehmen) als förderungswürdig ansah, ist von seinem weiten Entscheidungsspielraum gedeckt.
Quelle | BFH, Urteil vom 28.2.2024, II R 27/21
| Oft werden private Ausfahrten zugeparkt oder der private Parkplatz von anderen unberechtigt genutzt. Das störende Fahrzeug muss dann abgeschleppt werden und der Berechtigte muss zusehen, wie er etwaig verauslagte Kosten, z. B. Verwahrkosten, erstattet erhält. Hierzu hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) Wissenswertes entschieden. |
Parken trotz Parkverbots
Der auf den Kläger zugelassene Pkw wurde von dessen Schwester im Innenhof eines privaten Gebäudekomplexes abgestellt, der von einer Immobilienverwalterin verwaltet wird. An der Hofeinfahrt war ein Parkverbotsschild mit dem Zusatz „gilt im gesamten Innenhof“ angebracht. Die Verwalterin beauftragte die Beklagte, das Fahrzeug abzuschleppen, es anschließend zu verwahren und vor Wertminderung sowie unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern. Die Beklagte verbrachte das Fahrzeug noch am selben Tag auf ihr Firmengelände. Kurz darauf forderte der Kläger von der Beklagten schriftlich unter Fristsetzung, das Fahrzeug herauszugeben. Auf das Schreiben erfolgte keine Reaktion.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten zunächst die Herausgabe seines Fahrzeugs verlangt. Nach erfolgter Herausgabe während des Prozesses haben die Parteien die Herausgabeklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Gegenstand des Verfahrens war dann nur noch die Frage, wer die Standkosten tragen musste.
Herausgabeverlangen: Auf den Zeitpunkt kommt es an
Die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser entschied: Zu erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters.
Es kommt auch ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät.
Quelle | BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22
| Muss der Verkäufer einer Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze unaufgefordert über den Härtegrad der Matratze aufklären und beraten? Das Amtsgericht (AG) Hannover hat diese Frage verneint. Es hat entschieden, dass ein Verkäufer im Grundsatz nur dann über den Härtegrad einer Matratze aufklären und beraten muss, wenn der Käufer danach fragt. |
Matratze war Käuferin zu hart: Verkäuferin bot Rabatt an
Die Klägerin kaufte im November 2022 bei der Beklagten eine Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze für ihre Tochter, die zuvor für wenige Minuten zur Probe gelegen hatte. Im Kaufvertrag war für die Matratze der Härtegrad H5 angegeben. Nachdem die Möbel im Januar 2023 geliefert worden waren, empfanden die Klägerin und ihre Tochter die Matratze als zu hart. Dies reklamierte die Klägerin bei der Beklagten. Diese bot der Klägerin u. a. einen Rabatt auf zwei neue Matratzen an, verweigerte aber eine Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klägerin erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Rückabwicklung des Kaufvertrags?
Mit der Klage hatte die Käuferin eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Bettes nebst Matratze verlangt. Sie meinte, es sei für den Verkäufer klar erkennbar gewesen, dass das Schlafzimmer für ihre Tochter gewesen sei. Für das Gewicht ihrer Tochter sei aber ein Härtegrad von H2 angemessen.
Die Verkäuferin hatte vorgetragen, dass die Klägerin keine Beratung gewünscht habe. Sie habe es vielmehr sehr eilig gehabt, da sie einen Transporter angemietet habe. Sie habe sich lediglich nach einem Rabatt erkundigt, sonst aber keine Fragen gestellt.
So sah es das Amtsgericht
Das AG hat die Klage abgewiesen. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die erworbene Matratze nicht mangelhaft war. Denn die Klägerin habe genau das bekommen, was vertraglich vereinbart war, nämlich eine Matratze des Härtegrades H5. Zwar habe die Klägerin erwartet, dass der Verkäufer sie unaufgefordert berate. Der Verkäufer habe aber keinen Anlass gehabt, eingehend über den Härtegrad aufzuklären und zu beraten. Denn die Klägerin habe ihre Erwartung einer Beratung nicht geäußert.
Keine Verletzung der Aufklärungspflicht
Zudem sei der Verkäufer erst hinzugezogen worden, als die Klägerin bereits zum Kauf entschlossen gewesen sei. Im Verkaufsgespräch sei es lediglich darum gegangen, die Daten der Klägerin aufzunehmen und über den Preis zu verhandeln. Die Tochter der Klägerin habe sich nach dem Probeliegen auch nicht über den Härtegrad beschwert. Daher habe der Verkäufer auch keine Aufklärungspflicht verletzt, sodass die Klägerin den Vertrag weder anfechten könne noch vom Vertrag zurücktreten könne.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 30.1.2024, 510 C 7814/23, PM vom 4.4.2024
| Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren. Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde am Knöchel infolge eines Leitersturzes erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Schürfwunde anschließend infiziert und ein Geschwür (Ulkus) hervorruft. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entschieden. |
Das war geschehen
Das OLG musste über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe entscheiden. Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Frau des Klägers von der Leiter und zog sich hierbei u. a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Klägers sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Kläger hat dann die Reise storniert und bei der beklagten Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend gemacht.
Landgericht wies Klage ab
Das LG hatte die Klage abgewiesen, denn die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei – so das LG – auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau des Klägers hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat über die Frage der Behandlung der Ehefrau des Klägers am Knöchel vor Vertragsschluss die behandelnden Ärzte als Zeugen vernommen und die Versicherung dann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt.
Es hat die Kenntnis der Ehefrau des Klägers vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss abgelehnt. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.
Argumente der Versicherung ohne Erfolg
Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpfen die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung. Selbst, wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei.
Quelle | Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.3.2024, 16 U 74/23, PM 1/24
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat mit zwei Urteilen die Berufungen der Kläger in zwei Verfahren gegen Straßenreinigungsgebührenbescheide der Hansestadt Lüneburg für das Jahr 2018 zurückgewiesen. |
Die Hansestadt Lüneburg erhob bis Ende 2017 Straßenreinigungsgebühren nach dem sog. Frontmetermaßstab. Mit Wirkung zum 1.1.2018 stellte sie den Maßstab um und erhebt seitdem die Gebühren gemäß ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung nach dem sog. Quadratwurzelmaßstab. Bei diesem wird aus der Grundstücksfläche die Quadratwurzel gezogen. Damit wird gedanklich ein quadratisches Grundstück gebildet, von dem die Länge einer Seite der Gebührenberechnung zugrunde gelegt wird.
Das OVG hat entschieden, dass der Quadratwurzelmaßstab ein rechtmäßiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Bemessung der Straßenreinigungsgebühren ist. Der vormals von der Hansestadt Lüneburg angewandte Frontmetermaßstab sei gegenüber dem Quadratwurzelmaßstab nicht vorrangig anzuwenden.
Darüber hinaus hat das OVG auch die Bestimmungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung über die Heranziehung von mehrfach anliegenden Grundstücken und von Hinterliegergrundstücken als rechtmäßig erachtet. Diese verstießen weder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz oder den Gleichheitssatz noch gegen den Grundsatz der Vollständigkeit.
Quelle | OVG Lüneburg, Urteile vom 24.4.2024, 9 LC 117/20 und 9 LC 138/20, PM vom 25.4.2024
| Im Streit um Ansprüche auf Rückerstattung aus einem Reisevertrag wies das Amtsgericht (AG) München eine Klage auf Zahlung von rund 4.000 Euro ab. |
Reise online storniert
Der Kläger hatte bei der Beklagten zum Preis von über 4.500 Euro eine neuntägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Portugal gebucht. Im Anschluss stornierte der Kläger im Internet auf der Website der Beklagten die Reise. Die Beklagte buchte sodann vom Konto des Klägers Stornierungsgebühren in Höhe von rund 4.000 Euro ab. Der Kläger leitete daraufhin am selben Tag eine E-Mail an die Beklagte weiter, um die Stornierung rückgängig zu machen.
Der Kläger behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe unbeabsichtigt wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten.
Die Beklagte trug vor, der Kläger habe keine genauen Angaben über die besagte Baustelle getroffen. Im Übrigen sei die Buchung wirksam storniert worden. Für die endgültige Stornierung seien mehrere einzelne Schritte erforderlich gewesen. Eine unbeabsichtigte Kündigung sei im System unmöglich. Dem Reiseveranstalter sei durch den Rücktritt des Kunden hingegen ein Schaden entstanden.
So sieht es das Gericht
Das AG wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde vom Kläger wirksam storniert. Eine wirksame Anfechtung der Stornierung aufgrund eines Irrtums in der Erklärungshandlung ist nicht gegeben.
Ein Irrtum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 119 BGB) ist das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Es liegt (nach § 119 Abs. 1 2. Fall BGB) zudem ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist beispielsweise beim Versprechen, Verschreiben oder Vergreifen der Fall. Zwar gab der Kläger an, die Website der Beklagten sei für ihn unübersichtlich gewesen, da diverse Klicks erforderlich gewesen seien.
Fünfmaliges Verklicken unwahrscheinlich
Es kann grundsätzlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs – wie hier der Buchungsstornierung – mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein „Verklicken“, und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll.
Aus der vom Reiseveranstalter vorgelegten Anlage ergibt sich insoweit, dass der Reisende für eine endgültige Stornierung der Reise erst mehrere einzelne Schritte durchführen musste: Zur Auslösung des endgültigen Stornierungsvorgangs musste der Kläger insgesamt viermal aktiv per Mausklick bestätigen, dass er eine Stornierung wünsche.
Dabei musste er bei Schritt 1 zunächst angeben, aus welchem Grund er seine Reise stornieren wollte. Im Anschluss bei Schritt 2 musste der Kläger angeben, was genau er stornieren wollte. Bei dem darauffolgenden Schritt 3 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Auswählen „Buchung stornieren“, die Stornierung durchgeführt, und im Namen des Reisenden eine Rückerstattung beantragt werde. Erst durch Anklicken dieses Feldes gelangte der Kläger zum letzten und 4. Schritt, wo nochmals um Bestätigung gebeten wurde, dass tatsächlich mit der Stornierung fortzufahren sei. […]
Wirksame Stornierung und keine Umbuchung
Dass das Anklicken versehentlich geschah, und nicht dem Willen des Reisenden entsprach, war für das AG nicht nachvollziehbar. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung durch Vertippen sah das AG nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Reisenden bewusst gewesen sein muss, dass er bei Durchführung des gesamten Buchungsvorgangs eine endgültige Stornierung vornahm – und nicht bloß, wie von ihm vorgegeben – eine Umbuchung. Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde somit wirksam storniert.
Verlust von 4.000 Euro
Die Beklagte war zudem berechtigt, aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch den Kläger vor Reisebeginn einen Betrag in Höhe von rund 4.000 Euro als angemessene Entschädigung zu verlangen.
Das AG hob hervor: Die pauschale Behauptung des Reisenden, es habe neben dem Hotel eine Baustelle gegeben, führt nicht zu einer vertraglichen Pflicht des Reiseveranstalters, alternative Lösungen anbieten zu müssen.
Quelle | AG München, Urteil vom 18.4.2024, 275 C 20050/23, PM 15/24
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Einer Mieterin von Wohnraum darf fristlos gekündigt werden, wenn diese – gleich zweimal – die Vermieterin mit Wasser überschüttet. |
Die Vermieterin hatte die Mieterin auf Räumung der Wohnung verklagt, weil diese sie zwei Mal mit Wasser übergossen habe. Unstreitig zwischen den Parteien war zwar, dass die Mieterin jeweils einen Eimer Wasser aus dem Fenster in den Hof gegossen hatte, als sich die Vermieterin in diesem befand. Die Mieterin hatte allerdings bestritten, die Vermieterin getroffen zu haben oder überhaupt treffen zu wollen.
Das AG sah die Kündigung als wirksam an. Denn der vernommene Zeuge bestätigte, dass die Vermieterin beide Male tatsächlich mit dem Wasser aus dem Eimer vollständig übergossen wurde. Diese sei, so der Zeuge,„klitschnass“ gewesen, wie bei einer „Ice-Bucket-Challenge“. Das rechtfertige eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens, so das AG. Selbst, wenn die Mieterin keine direkte Absicht gehabt habe, die Vermieterin zu treffen, habe sie dies angesichts der Situation jedoch zumindest billigend in Kauf genommen. Denn ihr Ziel lag schon nach dem eigenen Vortrag darin, die Vermieterin davon abzuhalten, ihr Fahrrad umzustellen. Es habe auch keiner vorherigen Abmahnung bedurft, zumal die Mieterin, wie sich aus der Beweisaufnahme ergab, bereits weitere derartige Aktionen angekündigt habe.
Quelle | AG Hanau, Beschluss vom 19.2.2024, 34 C 92/23, PM vom 3.5.2024
| Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat sich mit dem Einwand der Testierunfähigkeit eines an Depressionen und Alkoholsucht leidenden Erblassers zu befassen, der sich das Leben nahm. |
Erblasser litt an Persönlichkeitsstörung
Der Erblasser litt an einer psychiatrisch relevanten Persönlichkeitsstörung in Form einer affektiven Störung mit sowohl depressiven als auch manischen Phasen (bipolare Störung) sowie einem Alkoholproblem. Mit eigenhändigem Testament verfügte er, dass seine Ziehtochter seinen gesamten Besitz erben solle. In zwei Abschiedsbriefen begründete er seine Entscheidung zu dem Suizid und tat im Übrigen kund, dass er alle Erbschaftsangelegenheiten regeln wolle.
Die Ziehtochter beantragte einen Erbschein, der ihre Stellung als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesem Antrag trat die Schwester des Erblassers mit der Begründung entgegen, der Erblasser sei aufgrund seiner psychischen Erkrankungen testierunfähig gewesen. Nach Einholen eines Sachverständigengutachtens zum Einwand der Testierunfähigkeit hat das Nachlassgericht einen Feststellungsbeschluss erlassen. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Schwester mit der Beschwerde, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat.
So entschied das Oberlandesgericht
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Eine Testierunfähigkeit habe das Sachverständigengutachten nicht bestätigen können. Zwar habe der Erblasser an den genannten Erkrankungen und an weiteren körperlichen Einschränkungen gelitten, die die Sachverständigen bestätigten. Diese genannten Gründe allerdings ließen für sich allein keinen zwingenden Schluss auf das Vorliegen der Testierunfähigkeit zu.
Nur dann, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursachen, die die freie Willensbestimmung ausschlössen oder zu einer solch starken Bewusstseinsstörung führten, liege auch eine Testierunfähigkeit vor. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Quelle | Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.3.2024, 3 W28/24
| Ein (fördermittelschädlicher) vorzeitiger Maßnahmenbeginn liegt vor, wenn die einschlägige Förderrichtlinie eine klare Linie bei der Leistungsphase 6 zieht und der Mittelempfänger darüber informiert wurde, dass er eingeschaltete Planer vor Erhalt der Förderzusage nur mit Planungs- und Vorbereitungsleistungen bis einschließlich Leistungsphase 6 beauftragen soll. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg entschieden. |
Bauherr verlor Förderung
Das Urteil war für den Bauherrn besonders „bitter“. Denn er verlor die gesamte Förderung in Höhe von 240.000 Euro, weil er den Planer entgegen den Förderbestimmungen schon mit kleinen Leistungen der Leistungsphase 7 beauftragt hatte.
Bauherren informieren!
Konsequenz aus dem Urteil ist u. a.: Planer sollten Bauherren stets darüber informieren, wie streng Fördermittelgeber darauf achten, dass Förderbestimmungen eingehalten werden.
Quelle | VG Magdeburg, Urteil vom 25.3.2024, 3 A 155/21
| Regelt der Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Erschwernisse, um von ihm eine Bauhandwerkersicherungshypothek zu verlangen, ist dies unwirksam. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Anspruch nur beiVerzug?
Der Auftraggeber hatte einen Planer für Technische Gebäudeausrüstung mit Leistungen über knapp 4,7 Mio. Euro beauftragt. In seinen AGB hieß es u. a.: „Einen Anspruch aus § 650 e BGB kann der Auftragnehmer nur geltend machen, wenn sich der Auftraggeber in Verzug befindet und die angemahnte Zahlung trotz Nachfristsetzung innerhalb von zwei Wochen nicht fristgemäß leistet. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 650 e BGB setzt ferner voraus, dass der Auftragnehmer bei Nachfristsetzung oder danach dies mit einer Frist von drei Wochen angekündigt hat.“
Nachdem mehrere Rechnungen nicht bezahlt worden waren, verlangte der Planer erst eine Sicherheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB, Bauhandwerkersicherung). Die brachte der Auftraggeber nicht bei. Daher beantragte der Planer ohne erneute Fristsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des Anspruchs nach § 650 e BGB (Sicherungshypothek an dem Baugrundstück) i. H. v. ca. 340.000 Euro. Der Auftraggeber berief sich auf seine o. g. AGB-Klausel und wollte nicht leisten.
Landgericht gab Planer Recht
Die Klausel im Vertrag war unwirksam, denn sie benachteiligte den Planer als Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie war mit den wesentlichen Grundgedanken des § 650 e BGB nicht vereinbar.
Der Anspruch auf Vormerkung einer Sicherungshypothek soll den vorleistungspflichtigen Unternehmer schützen und gewährt ihm hierzu einen im Eilverfahren zügig durchsetzbaren Anspruch. Diesen Grundgedanken stehen die mit den AGB aufgestellten Anforderungen, Verzug nach Fristsetzung und weitere Ankündigungsfrist, entgegen. Vor allem könnte der Auftraggeber ansonsten versuchen, bis zum Abschluss eines zuvor angekündigten einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Eigentumswechsel herbeizuführen. Das könnte den Anspruch des Unternehmens vereiteln.
Quelle | LG Berlin, Urteil vom 6.7.2023, 19 O 101/23
| Wer mit Verbrauchern einen Architektenvertrag schließt, muss zum einen vermeiden, dass diese ihr Widerrufsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 312 b BGB) ausüben. Zum anderen ist die neue Belehrungspflicht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (hier: § 7 Abs. 2 HOAI 2021) zu beachten. Sonst kann der Architekt maximal das Honorar nach den Basishonorarsätzen der HOAI abrechnen. Dies gilt, selbst wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Das sagt die HOAI zur Form und zum Fehlen einer Vereinbarung
§ 7 HOAI sagt, dass sich das (Architekten-)Honorar nach der Vereinbarung richtet, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart.
Das sagt die HOAI zur Aufklärungspflicht des Architekten
Außerdem schreibt die Norm vor, dass der Auftragnehmer, also der Architekt, den Auftraggeber, falls dieser Verbraucher ist, vor Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung in Textform darauf hinweisen muss, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Folge: Ohne diese (rechtzeitige) Belehrung gilt für die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Grundleistungen anstelle eines höheren Honorars ein Honorar in Höhe des jeweiligen Basishonorarsatzes als vereinbart.
Diese Konsequenzen zog das Oberlandesgericht
Im Fall des OLG gab es diese Aufklärung nicht. Das OLG: Die Aufklärungspflicht gilt auch, wenn ein Zeit- oder Pauschalhonorar vereinbart worden ist. Ohne Belehrung kann der Planer nur den Basishonorarsatz abrechnen.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 8.4.2024, 11 U 215/22
| Widerruft ein Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst seine Einstellungszusage aufgrund eines ärztlichen Attests, ist dies keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |
Einstellungszusage widerrufen
Der an Diabetes erkrankte, schwerbehinderte Kläger bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung im Januar 2023 auf eine von der beklagten Stadt ausgeschriebene Ausbildungsstelle als Straßenwärter. Er erhielt eine Einstellungszusage vorbehaltlich einer noch durchzuführenden ärztlichen Untersuchung. Der Arzt kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger wegen seiner Diabetes-Erkrankung nicht für die vorgesehene Ausbildungsstelle geeignet sei. Die Einstellungszusage wurde daraufhin zurückgenommen. Der Kläger erhob Klage auf Entschädigung wegen einer aus seiner Sicht erfolgten Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch.
Kein Verstoß gegen geltendes Recht
Das ArbG wies die Klage ab. Eine diskriminierende Handlung und ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien nicht erkennbar.
Der Kläger sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung nicht schlechter behandelt worden als vergleichbare nichtbehinderte Bewerber. Die Stadt habe bei der Entscheidung, den Kläger nicht einzustellen, nicht auf seine Behinderung abgestellt. Vielmehr habe man den Kläger ungeachtet seiner Behinderung gerade einstellen wollen und ihm demgemäß eine Einstellungszusage erteilt, diese jedoch vom Ergebnis einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung bzw. seiner Eignung abhängig gemacht.
Diese gesundheitliche Eignung sei dann von dem von ihr beauftragten Arzt verneint worden. Daraufhin habe die Beklagte unter Berufung auf den zum Ausdruck gekommenen Vorbehalt ihre Einstellungszusage zurückgezogen.
Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 20.3.2024, 3 Ca 1654/23, PM 1/24
| In einem Fall vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf ging es im Wesentlichen um angeblich unangemessene Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber Kollegen über Mitarbeitern. Die daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnung hatte keinen Bestand, weil sie zu unbestimmt war. |
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer hatte die Äußerungen bestritten. Auf seine Frage im Personalgespräch, weshalb keine Namen derjenigen Arbeitnehmer genannt würden, die die Vorwürfe an die Personalbetreuung herangetragen hätten, äußerte die Personalreferentin, dass die Arbeitnehmer eingeschüchtert seien und sich lediglich vertraulich an die Vorgesetzten sowie die Personalbetreuung gewandt hätten. Auch in der Abmahnung selbst erfolgte keine namentliche Nennung.
So sah es das Arbeitsgericht
Das ArbG stellte klar: Dieser Vorgang reicht nicht für eine Abmahnung. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich in der ihm vorgeworfenen Art und Weise verhalten habe. Die Abmahnung sei inhaltlich zu unbestimmt. Die „anderen Mitarbeiter“, gegenüber denen er die Äußerungen getätigt haben soll, würden in der Abmahnung nicht benannt, obwohl sie dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abmahnung unstreitig bekannt gewesen seien. Da sich die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientierten, was der Arbeitgeber wissen könne, sei die Abmahnung nicht hinreichend konkret.
Für den Arbeitnehmer als Adressat der Abmahnung diene die konkrete Nennung der Namen der Zeugen auch dazu, zu überprüfen, ob die Abmahnung inhaltlich richtig sei oder nicht; pauschale Vorwürfe ohne die Nennung der Zeugen würden diese Anforderung nicht erfüllen. Der Arbeitgeber sei auch nicht berechtigt, zum Schutz der Zeugen die Namen in der Abmahnung nicht zu nennen. Hierdurch könne zwar ein Konflikt zwischen dem Arbeitnehmer und den Zeugen im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe entstehen. Einen solchen Konflikt müsse ein Arbeitgeber, der den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf ein angebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers vertraue, allerdings hinnehmen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr den Zeugen durch ihre Nennung in der Abmahnung drohe.
Quelle | ArbG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2024, 7 Ca 1347/23
| Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (hier: § 3 Abs. 1 EFZG) dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Voraussetzung: Es muss dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sein, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |
Abzug vom Verdienst nach Covid-Erkrankung
Der Kläger ist als Produktionsmitarbeiter bei der Arbeitgeberin beschäftigt, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Er hatte sich keiner Schutzimpfung gegen das Coronavirus unterzogen und wurde am 26.12.2021 positiv auf das Virus getestet. Für die Zeit vom 27. bis zum 31.12.2021 wurde dem unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen leidenden Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt. Für diese Zeit leistete die Arbeitgeberin Entgeltfortzahlung. Am 29.12.2021 erließ die Gemeinde N. eine Verfügung, nach der für den Kläger bis zum 12.1.2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung angeordnet wurde. Für die Zeit vom 3. bis zum 12.1.2022 lehnte der Arzt die Ausstellung einer Folge-AU mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Mit der Verdienstabrechnung für Januar 2022 nahm die Arbeitgeberin für diese Zeit vom Lohn des Klägers einen Abzug in Höhe von ca. 1.000 Euro brutto vor. Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung des Arbeitnehmers das Urteil des ArbG geändert und die Arbeitgeberin verurteilt, zu zahlen.
Bundesarbeitsgericht gab Arbeitnehmer Recht
Die Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, ohne dass es darauf ankam, ob bei ihm durchgehend Symptome von COVID-19 vorlagen. Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Die Absonderungsanordnung ist keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruht das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion (Monokausalität). Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Absonderungsanordnung. Aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion war es dem Kläger rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
Es konnte auch nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der empfohlenen Corona-Schutzimpfung für die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich war. Das Berufungsgericht hat hierbei zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, dass die Nichtvornahme der Schutzimpfungen einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellte. Jedoch ließen die wöchentlichen Lageberichte des RKI und dessen Einschätzung der Impfeffektivität nicht den Schluss zu, dass Ende Dezember 2021 bzw. Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufgetretene Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte verhindert werden können.
Der Arbeitgeberin stand ein Leistungsverweigerungsrecht wegen nicht vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu. Das LAG hatte richtig erkannt, dass der Kläger der Beklagten durch Vorlage der Ordnungsverfügung der Gemeinde N. in anderer, geeigneter Weise nachgewiesen hat, infolge seiner Corona-Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.
Quelle | BAG, Urteil vom 20.3.2024, 5 AZ R 234/23, PM 8/24
| Eine Bank kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Bank wollte Originalurkunden nicht herausgeben
Ein Mann hatte geltend gemacht, seine – inzwischen getrenntlebende und in Scheidung befindliche – Ehefrau habe auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung unberechtigt seine Unterschriften angebracht. Er hat beantragt, ein Schriftsachverständigengutachten einzuholen. Das Kreditinstitut – eine Bausparkasse – hat die Herausgabe der zur Begutachtung erforderlichen Originalurkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert. Das machte der BGH nicht mit.
Hier gilt ein Zeugnisverweigerungsrecht
Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, sind zur Verweigerung des Zeugnisses der Tatsachen berechtigt, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Dies gilt dann auch für hierauf bezogene Urkunden. Im Fall des BGH hatten die Interessen des Mannes jedoch Vorrang.
Quelle | BGH, Beschluss vom 29.11.2023, XII ZB 141/22
| Unternehmen müssen den Inhalt der Bilanz und der Gewinn-und Verlustrechnung grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung übermitteln. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun das aktualisierte Datenschema der Taxonomien (Version 6.8) als amtlich vorgeschriebenen Datensatz veröffentlicht. Die aktualisierten Taxonomien stehen unter www.esteuer.de zur Ansicht und zum Abruf bereit. |
Beachten Sie | Die neuen Taxonomien sind grundsätzlich für die Bilanzen der Wirtschaftsjahre zu verwenden, die nach dem 31.12.2024 beginnen (Wirtschaftsjahr 2025 oder 2025/2026). Es wird aber nicht beanstandet, wenn diese auch für das Wirtschaftsjahr 2024 oder 2024/2025 verwendet werden.
Die Übermittlungsmöglichkeit mit diesen neuen Taxonomien wird für Testfälle voraussichtlich ab November 2024 gegeben sein, für Echtfälle ab Mai 2025.
Quelle | BMF-Schreiben vom 27.5.2024, IV C 6 - S 2133-b/24/10001 :002
| Nach den statistischen Aufzeichnungen der obersten Finanzbehörden der Länder haben die im Jahr 2023 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen bei der Umsatzsteuer zu einem Mehrergebnis von rund 1,52 Mrd. Euro geführt. Die Ergebnisse aus der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind in diesem Mehrergebnis nicht enthalten. |
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen werden unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im Jahr 2023 wurden 63.282 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt. Im Jahresdurchschnitt waren 1.604 Umsatzsteuer-Sonderprüfer eingesetzt. Jeder Prüfer führte im Durchschnitt 39 Sonderprüfungen durch. Dies bedeutet für jeden eingesetzten Prüfer ein durchschnittliches Mehrergebnis von rund 0,94 Mio. Euro.
Quelle | BMF, Mitteilung vom 25.4.2024
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Er möchte wissen, ob das gesetzliche Aufteilungsgebot für Beherbergungsleistungen rechtmäßig ist. Danach unterliegt die Übernachtungsleistung dem ermäßigten Umsatzsteuersatz i. H. von 7 %. Für Nebenleistungen, die nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, gilt dagegen der Regelsteuersatz (19 %). In den drei Streitfällen ging es um Parkplatzgestellungen, Frühstücksleistungen, die Gestellung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen sowie von W-LAN. |
Für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, greift die Umsatzsteuerermäßigung auf 7 %.
Beachten Sie | Dies gilt nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG) aber nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.
Bisher war der BFH der Ansicht, dass das Aufteilungsgebot in Einklang mit dem Unionsrecht steht und dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung vorgeht, wonach eine (unselbstständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt.
Ganz so sicher ist sich der BFH aber infolge der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht mehr. Deshalb hat er nun beim EuGH angefragt. Es ist zu hoffen, dass sich der EuGH zeitnah und eindeutig äußern wird, damit zu dieser Frage (endlich) Rechtssicherheit besteht.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 10.1.2024, XI R 11/23 (XI R 34/20), XI R 13/23 (XI R 7/21), XI R 14/23 (XI R 22/21)
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. |
Hintergrund: Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt (in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO) einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.
Finanzamt und Finanzgericht lehnten Auskunftsersuchen ab
Im Streitfall verlangte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt die Zurverfügungstellung (elektronischer) Kopien von Verwaltungsakten mit den ihn betreffenden personenbezogenen Daten, was sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (FG) ablehnten.
Bundesfinanzhof widersprach
Der BFH hat nun entschieden, dass ein Steuerpflichtiger vom Finanzamt grundsätzlich Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten verlangen kann – und zwar ungeachtet der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung.
Auskunftsanspruch unabhängig von Art der Steuer
Der Auskunftsanspruch ist auch nicht davon abhängig, für welche Steuerart die Datenverarbeitung erfolgt. Grundsätzlich ist der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch darauf beschränkt, dass der Steuerpflichtige darüber informiert wird, welche ihn betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet werden.
Der Auskunftsanspruch gewährt grundsätzlich aber kein Recht auf die (elektronische) Zurverfügungstellung von Kopien von ganzen Akten bzw. einzelnen Dokumenten mit personenbezogenen Daten. Nur ausnahmsweise, wenn der Steuerpflichtige diese zwingend benötigt, um seine Rechte nach der DS-GVO durchsetzen zu können, sind ihm auch Kopien von Dokumenten mit seinen personenbezogenen Daten (elektronisch) zur Verfügung zu stellen.
Grenzen: unbegründete oder exzessive Auskunftsersuchen
Zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs hat der BFH im Übrigen klargestellt, dass die Finanzverwaltung zwar einen gegen sie gerichteten Auskunftsanspruch nach der DS-GVO zurückweisen kann, falls dieser offenkundig unbegründet oder exzessiv ist. Hierfür muss sie jedoch die Umstände darlegen, die zu einer offenkundigen Unbegründetheit bzw. zu einem Exzess des Auskunftsersuchens führen. Dass der Steuerpflichtige mit seinem Auskunftsersuchen Ziele außerhalb der DS-GVO verfolgt, erlaubt der Finanzverwaltung nicht, die Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten zu verweigern.
Quelle | BFH, Urteil vom 12.3.2024, IX R 35/21, PM Nr. 27/24 vom 20.6.2024
| Die Auszahlung einer Direktversicherung nach Ausübung eines vertraglich eingeräumten Kapitalwahlrechts unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz. Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster ist allerdings die Revision anhängig. |
Das war geschehen
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in Beiträge zu einer Direktversicherung nach dem Betriebsrentengesetz vereinbart. Daraufhin schloss der Arbeitgeber für die Steuerpflichtige eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Es sollte eine lebenslange monatliche Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen.
Im Streitjahr 2019 übte die Steuerpflichtige das Kapitalwahlrecht aus und erhielt ca. 44.500 Euro. Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolglos.
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten können als außerordentliche Einkünfte in Betracht kommen, die ermäßigt zu besteuern sind (Fünftel-Regelung). Da es im Streitfall aber an dem Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit fehlte, kam keine ermäßigte Besteuerung in Betracht.
Höchstrichterliche Rechtsprechung
Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausschließlich auf die vertragliche Vereinbarung an (keine ermäßigte Besteuerung, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war). In späteren Entscheidungen hat es der BFH jedoch vielmehr für maßgeblich gehalten, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material ausgewertet werden muss.
Bundesfinanzhof ist erneut gefragt
Vor diesem Hintergrund hat das FG Münster nun die Revision mit folgendem Wortlaut zugelassen: „Dem Bundesfinanzhof ist Gelegenheit zu geben, über die Ausschärfung der Kriterien zur Bestimmung der Atypik bei Kapitalauszahlungen von Renten erneut zu entscheiden, da er bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist.“
Beachten Sie | Da die Steuerpflichtige die Revision eingelegt hat, können geeignete Fälle mit einem Einspruch bis zur Entscheidung des BFH offen gehalten werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 24.10.2023, 1 K 1990/22 E, Rev. BFH: X R 25/23
| Bei Lohnsteuer-Außenprüfungen stoßen Prüfer immer häufiger auf Sachverhalte, in denen der Arbeitgeber im Rahmen einer Gehaltsumwandlung den Grundlohn abgesenkt und einen nach § 3 Nr. 30 und Nr. 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreien Heimarbeiterzuschlag zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen (z. B. für Miete, Heizung und Beleuchtung der Arbeitsräume) bezahlt hat. Hier ist Vorsicht geboten: Denn in vielen Fällen sind die Voraussetzungen für den steuerfreien Heimarbeiterzuschlag nach dem Heimarbeitsgesetz (HAG) nicht erfüllt. |
Informationen zum Heimarbeiterzuschlag enthält vor allem die Lohnsteuerrichtlinie 9.13. Hier heißt es in Abs. 2: „Lohnzuschläge, die den Heimarbeitern zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen neben dem Grundlohn gezahlt werden, sind insgesamt aus Vereinfachungsgründen nach § 3 Nr. 30 und 50 EStG steuerfrei, soweit sie 10 % des Grundlohns nicht übersteigen.“
Beachten Sie | Die im Einkommensteuergesetz geregelte Steuerfreiheit gilt allerdings nur für Heimarbeiter i. S. des § 2 Abs. 1 HAG. Die steuerfreien Zuschläge können also nicht von Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden, die ihre Tätigkeit seit der Coronapandemie (teilweise) im Homeoffice ausüben.
Quelle | R 9.13 Abs. 2 Lohnsteuerrichtlinien; § 2 Heimarbeitsgesetz
| Schuldet der Vermieter von Wohnraum zum vertragsgemäßen Gebrauch auch die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, stehen Kosten des Vermieters für eine neue Heizungsanlage jedenfalls dann im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zur steuerfreien Vermietung, wenn es sich dabei nicht um Betriebskosten handelt, die der Mieter gesondert zu tragen hat. Die Quintessenz aus dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH): Der Vermieter kann für die Heizungsanlage keinen Vorsteuerabzug beanspruchen. |
Hintergrund: Nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG) ist der Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen ausgeschlossen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
Das Finanzgericht (FG) Münster hatte den Streitfall noch anders beurteilt und auf getrennte Leistungen abgestellt, nämlich einerseits steuerfreie Vermietungsleistungen und andererseits steuerpflichtige Energielieferungen.
Der BFH lehnte den vom Vermieter begehrten Vorsteuerabzug aus dem Heizungsaustausch aber bereits deshalb ab, weil der Vermieter dort entsprechend den mietrechtlichen Rahmenbedingungen die Gestellung einer Wohnung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch – d. h. einschließlich der Gestellung warmen Brauchwassers – schuldete und die diesbezüglichen Zahlungen nicht als dem Mieter gesondert berechenbare Betriebskosten i. S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 556 BGB) anzusehen waren.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.12.2023, V R 15/21
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden. Danach müssen Steuerpflichtige unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Weil deswegen bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt. |
Steuerpflichtige vor Finanzgericht erfolgreich
In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die Bescheide waren auf der Grundlage des neuen Bundesmodells ergangen, das in mehreren Bundesländern (z. B. in Nordrhein-Westfalen) Anwendung findet.
Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1.1.2022 als einheitlichem Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen Vorschriften enthalten nicht zuletzt wegen der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten zahlreiche Typisierungen und Pauschalierungen.
Bundesfinanzhof: Beschwerden des Finanzamts zurückgewiesen
Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die dagegen erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit in Bezug auf Grundsteuerwerte
Nach Ansicht des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Denn die Steuerpflichtigen müssen bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit haben, einen niedrigeren Wert nachzuweisen – auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich geregelt hat.
Übermaßverbot ist zu berücksichtigen
Der Gesetzgeber verfügt gerade in Massenverfahren über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot kann aber verletzt sein, wenn sich der Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt nach der Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt – und dies war infolge der Besonderheiten in den Streitfällen nicht auszuschließen.
Beachten Sie | Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden. Es handelt sich bisher lediglich um Beschlüsse im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV); PM Nr. 26/24 vom 13.6.2024
| Ist ein Fahrzeug mehr als fünf Jahre alt, stuft das Amtsgericht (AG) Aue-Bad Schlema die Nutzungsausfallentschädigung um eine und bei mehr als zehn Jahren um zwei Gruppen ab. |
So rechnete das Amtsgericht
Wenn ein ca. 15 Jahre alter Kleinwagen mit ca. 194.000 km Laufleistung, der ohne Altersabstufung in die Gruppe B gehört, betroffen ist, wird jedoch nur eine Gruppe abgestuft. Denn tiefer geht es nicht. So gab es im vom AG entschiedenen Fall einen Tagessatz von 23 Euro.
Der Versicherer hatte nur minimale Vorhaltekosten erstattet. Das lehnt das Gericht ab. Denn das komme nur in Betracht, wenn ein Fahrzeug nicht nur alt, sondern in einem so schlechten Zustand ist, dass seine Nutzbarkeit deutlich eingeschränkt ist.
Entgangene Fortbewegungsmöglichkeit
Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich hinter den Vorhaltekosten letztlich kaum mehr als die Fixkosten wie Steuern, Versicherung etc. verbergen, es sich hierbei also um einen weitaus geringeren Betrag handelt. Mit zunehmendem Fahrzeugalter spiele letztlich nur die entgangene Fortbewegungs- und Transportmöglichkeit eine Rolle. Allein aufgrund des Alters des Fahrzeugs könne daher nicht ohne Weiteres von einer weiteren Einschränkung des Nutzungswerts bis zum Betrag von Vorhaltekosten ausgegangen werden.
Quelle | AG Aue-Bad Schlema, Urteil vom 28.2.2024, 3 C 241/23
| Ist ein durch eine Verbraucherzentrale geltend gemachter Unterlassungsanspruch begründet, wenn eine Firma die online erklärte Kündigung eines Kunden von einem Bestätigungstelefonat abhängig macht? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz bejaht. |
Zusätzliches Telefonat nötig, damit Online-Kündigung wirksam wird?
Die Beklagte bietet, auch gegenüber Verbrauchern, den Abschluss von Dienstleistungsverträgen über Dauerschuldverhältnisse unter anderem zur Bereitstellung von Webspeicherplatz, E-Mail-Postfächern und Servern an.
Der Kläger, ein eingetragener Verein (Verbraucherzentrale), begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, dass sie auf eine online erklärte Kündigung gegenüber Verbrauchern behauptet, dass zur Wirksamkeit der Kündigung noch ein Telefonat erforderlich sei. Konkret hat ein Kunde seinen Vertrag bei der Beklagten per Internet gekündigt. Der Kunde hat daraufhin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, er möge seine Kündigung binnen 14 Tagen telefonisch bestätigen, ansonsten bleibe das Vertragsverhältnis unverändert bestehen.
Verbraucherzentrale: Telefonat dient zum Umstimmen der Verbraucher
Der Kläger hat daraufhin die Beklagte abgemahnt und erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Er behauptet, im Fall eines Anrufs nach der Kündigung werde seitens der Beklagten – mittels rhetorischer Kunstfertigkeit oder Anbieten anderer Vertragskonditionen – versucht, den Verbraucher zu überzeugen, von seinem Kündigungswillen Abstand zu nehmen. Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten gegenüber Verbrauchern, dass nach einer Kündigung eine Rückbestätigung erfolgen müsse, stelle eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Sie enthalte unwahre Angaben über Rechte des Verbrauchers.
Der Kläger beantragte u. a., der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro zu untersagen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern diesen nach einer der Beklagten zugegangenen Kündigungserklärung eines Dienstleistungsvertrags in Form eines Dauerschuldverhältnisses zu behaupten, die telefonische Bestätigung der erklärten Kündigung sei erforderlich. Die Beklagte meint, ohne telefonische Rückbestätigung der Kündigung bestünde das Risiko, dass unberechtigte Dritte den Vertrag eines Kunden kündigen könnten. Es sei deshalb erforderlich, sich davon zu überzeugen, dass die Kündigung vom Erklärenden stammt. Dabei biete ein Telefonat ein Mehr an Sicherheit verglichen mit einem Bestätigungslink innerhalb einer E-Mail. Es finde keine Irreführung des Verbrauchers statt. Außerdem werde eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst.
So sah es das Landgericht
Das LG hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch zu. Das Vorgehen der Beklagten, den Verbraucher aufzufordern, seine Kündigung innerhalb von 14 Tagen telefonisch zu bestätigen, stelle eine geschäftliche Handlung dar. Dazu gehörten auch Verhaltensweisen, die auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung oder das Verhindern einer Geschäftsbeendigung gerichtet sind. Diese geschäftliche Handlung der Beklagten sei unzulässig, da sie unlauter sei. Unlauter handele, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Bestätigungslink in E-Mail genügt
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch irreführend. Dies sei gegeben, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthalte. Erfasst seien auch irreführende Angaben über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung bestimmter Rechte, zu denen auch das Kündigungsrecht zähle. Auch, wenn die Beklagte nach Auffassung des LG ein grundsätzliches Interesse an einer Authentifizierung haben könne, wäre eine solche vorrangig durch eine Bestätigung über den von dem Verbraucher gewählten Kommunikationskanal zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein an den Verbraucher unter der von ihm hinterlegten E-Mail-Adresse gesendeter Bestätigungslink zur Identifizierung weniger geeignet wäre als ein Telefonat. Auch während eines Telefonats sei es der Beklagten nicht möglich, sich umfassende Gewissheit über die wahre Person ihres Gesprächspartners zu verschaffen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es einem unbefugten Dritten, der sich Zugang zu der Kundennummer, der Vertragsnummer und dem E-Mail-Konto des wahren Vertragspartners verschafft hat, auch gelänge, in einem Telefonat über seine Identität zu täuschen.
Zusätzliche Entscheidung
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beklagte stelle den Verbraucher nach Zugang seiner Kündigung vor die Wahl, seine Kündigung nicht telefonisch zu bestätigen, und in der Folge das Vertragsverhältnis fortzusetzen, oder innerhalb von 14 Tagen telefonisch Kontakt zu der Beklagten aufzunehmen. Es werde dadurch eine zusätzliche Entscheidung des Verbrauchers verlangt, ob er an der Ausübung seines Kündigungsrechts festhalten will. Ohne die irreführende Aufforderung der Beklagten würde der Verbraucher weder die eine noch die andere Entscheidung treffen. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Beklagte eingeräumt habe, dass die beanstandete Vorgehensweise der Beklagten deren übliche Vorgehensweise sei.
Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 27.2.2024, 11 O 12/23
| Das Landgericht (LG) Oldenburg hat den von einer Frau geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz zurückgewiesen. Sie hatte sich an einem Becher Tee verbrüht. |
Warnhinweis auf dem Pappbecher
Die Frau hatte in einem Restaurant einen Tee in einem Einwegbecher gekauft. Auf dem Becher war der Warnhinweis angebracht: „VORSICHT HEISS“. Außerdem enthielt er ein Piktogramm mit einer Tasse mit Dampfschwaden. Der Becher war der Frau mit einem von Hand zu öffnenden Deckel übergeben worden. Er wurde ihr in einer Pappschale ausgehändigt. Wenige Minuten nach dem Kauf hob die Frau den Becher am Deckel aus der Schale. Da passierte es: Der Deckel löste sich. Der Tee ergoss sich auf ihre Oberschenkel. Die Frau erlitt Verbrennungen 1. und 2. Grades. Sie musste sich später einer teuren Behandlung unterziehen.
So sah es die Frau
Die Frau argumentierte vor dem LG, der Tee sei zu heiß gewesen. Folglich seien von ihm unnötige Gesundheitsgefahren ausgegangen. Zudem sei der Deckel nicht fest verschlossen gewesen. Mit diesen beiden Umständen habe sie nicht rechnen müssen.
So sah es das Landgericht
Das LG lehnte den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ab. Es hob hervor: Dass frisch zubereiteter Tee heiß sei (zwischen 90 und 100 Grad), sei allgemein bekannt. Er müsse daher nicht in verzehrfertiger Temperatur übergeben werden. Die Frau sei zudem durch die o. g. Hinweise auf dem Becher ausdrücklich gewarnt worden. Vor einem eventuell losen Deckel habe die Restaurantbesitzerin ebenfalls nicht warnen müssen.
Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 15.3.2024, 16 O 2015/23
| Kosten für eine einem Hotel ähnliche Unterbringung im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung können auch die Aufwendungen für das Mieten eines Wohnmobils sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Haus unbewohnbar – Wohnmobil als Ersatz gemietet
Das Haus eines Versicherungsnehmers war unbewohnbar geworden. Er mietete sich daher für 260 Euro pro Tag ein Wohnmobil und verlangte den Betrag später vom Versicherer zurück. Dieser wollte die Kosten jedoch nicht übernehmen.
Wohnmobil mit Hotel vergleichbar
Das OLG Köln verurteilte den Versicherer schließlich, rund 86.000 Euro an Mietkosten zu übernehmen. Auch die Kosten für das Mieten des Wohnmobils seien Kosten einer einem Hotel ähnlichen Unterbringung i. S. d. Versicherungsbedingungen.
Für Versicherungsnehmer ist Wohnmobil eine dem Hotel ähnliche Unterkunft
Die Auslegung ergebe, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch die stationäre Unterbringung in einem Mietwohnwagen oder Mietwohnmobil als eine einer Hotelunterbringung ähnliche Unterkunft ansehen werde. Denn ebenso wie ein Hotel, eine Ferienwohnung, eine Pension oder Gaststätte mit „Fremdenzimmern“ zeichnet sich ein Wohnmobil bzw. ein Wohnwagen, der zeitweise vermietet wird, dadurch aus, dass wechselnde Gäste darin für eine befristete Zeit wohnen, sei es zu Arbeitsaufenthalten (bspw. Saisonarbeiter, Arbeiter auf Montage) oder zu touristischen Zwecken. Allein der Aspekt der Mobilität des Wohnmobils im Unterschied zur Hotelunterkunft – also der Umstand, dass ein Wohnwagen grundsätzlich mithilfe eines Pkw bzw. ein Wohnmobil aus eigener Motorkraft im Straßenverkehr zum Reisen benutzt und zu wechselnden Standorten bewegt werden kann – steht der Vergleichbarkeit zu einer Hotelunterbringung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht entgegen.
Motorisierung spielt keine Rolle
Das OLG sieht zwar, dass ein Wohnmobil gerade durch die Motorisierung deutlich teurer ist als ein Wohnwagen. Darauf kommt es im Rahmen der Erstattung der Unterbringungskosten aber nicht an.
Der Versicherungsnehmer muss keine dem Wohnungsstandard entsprechende Unterkunft finden. Er ist in der Wahl der Unterkunft grundsätzlich frei und darf sich dabei von persönlichen Bedürfnissen und privaten Befindlichkeiten leiten lassen. Bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Grenzen besteht der zugesagte Versicherungsschutz. Danach sind Kosten für das Mieten eines Wohnmobils als Kosten einer ähnlichen Unterbringung, wie Hotelkosten, grundsätzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung (nach Abschnitt A. § 8 Nr. 1 c VHB 2014) erstattungsfähig.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger das Wohnmobil nicht als Wohnraumersatz, sondern etwa zu Reisezwecken angemietet haben, hat der Versicherer nicht konkret vorgetragen. Sie ergaben sich für das OLG auch nicht aus dem Akteninhalt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 5.12.2023, 9 U 46/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden: Der Versicherer muss die Kosten für die Versorgung mit Medizinal-Cannabis nicht tragen, wenn der Versicherungsnehmer an der Glasknochenkrankheit leidet. |
Konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft?
Der Versicherungsnehmer meinte, dass konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien. Es liege zumindest eine schwere Erkrankung mit wesentlichen Funktionseinschränkungen vor. Daher müsse der Versicherer die medizinisch notwendige Heilbehandlung durch Medizinal-Cannabis übernehmen.
Der Versicherer entgegnete: Bei akut auftretenden Schüben sei Cannabis wegen seiner „Behandlungsträgheit“ nicht geeignet. Das Landgericht (LG) war dem gefolgt und hatte in erster Instanz die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen.
Oberlandesgericht sieht es wie der Versicherer
Das OLG hat dies bestätigt. Der Versicherungsnehmer habe nach dem Versicherungsvertrag einen Leistungsanspruch, wenn es sich bei der Behandlung seiner Beschwerden um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handelt, die entweder von der Schulmedizin überwiegend anerkannt ist oder es sich um eine Methode oder ein Arzneimittel handelt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor.
Zwar leide der Versicherungsnehmer unter einem schweren, multilokulären generalisierten Schmerzsyndrom bei Glasknochenkrankheit und bei entsprechender Symptomatik komme die Erstattung von Medizinal-Cannabis grundsätzlich in Betracht. Wesentliche gelenkarthrotische Veränderungen seien jedoch ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht feststellbar. Weitere Befunde, die den Vortrag zu seinen körperlichen Beschwerden – insbesondere der behaupteten Vielzahl von Brüchen – stützen könnten, habe der darlegungs- und beweisbelastete Versicherungsnehmer ebenfalls nicht vorgelegt.
Die Behandlung der beim Versicherungsnehmer feststellbaren Symptomatik mit Medizinal-Cannabis sei nach heutiger medizinischer Einschätzung und aktuellem Wissensstand nicht als von der Schulmedizin allgemein anerkannte Methode anzusehen. Auch sei sie keine Methode, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt habe wie die Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe ausgeführt, mangels ausreichender Datenlage könne nicht festgestellt werden, dass die Therapie mit Medizinal-Cannabis eine entsprechende Linderung der im Zusammenhang mit der Glasknochenkrankheit stehenden Schmerzsymptomatik verspreche. Schließlich seien schulmedizinisch sowohl nichtmedikamentöse als auch verschiedene medikamentöse Behandlungen verfügbar. Der Versicherungsnehmer habe nicht nachgewiesen, dass diese Behandlungsmethoden bei ihm nicht wirksam seien oder gravierende Nebenwirkungen verursachten.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2023, I-13 U 222/22
| Der Vermieter ist verpflichtet, dem Mieter auf dessen Verlangen Einsicht in die Abrechnungsbelege zu gewähren und diese in einer geordneten Form vorzulegen. Es ist nicht Aufgabe des Mieters, die Belege selbstständig zu ordnen. So entschied es das Amtsgericht (AG) Münster. |
Die Wohnungsmieter hatten Einsicht in die Belege zu den Betriebskostenabrechnungen von 2018 bis 2020 verlangt. Die Vermieterin legte die Unterlagen ungeordnet, weder thematisch noch chronologisch stringent sortiert, vor. Daher weigerten sich die Mieter, die Nachforderungen aus den Abrechnungen auszugleichen.
Die Zahlungsklage der Vermieterin hatte keinen Erfolg. Sie habe keinen Anspruch auf die Nachzahlungen, da den Mietern ein Zurückbehaltungsrecht zustehe. Die Vermieterin habe keine umfassende Belegeinsicht gewährt.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 259 Abs. 1 BGB) bedürfe es einer geordneten Zusammenstellung der Abrechnungsbelege, so das AG. Das umfasse eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung in Abrechnungsposten.
Dabei sei auf einen juristisch und betriebswirtschaftlich ungeschulten Mieter abzustellen. Anderenfalls könne der Mieter sein Prüfungsrecht nicht sinnvoll ausüben. Der Mieter sei nicht verpflichtet, die Belege selbstständig zu ordnen oder Zusammenhänge in den Rechnungen fortlaufender Verträge zu erkennen.
Quelle | AG Münster, Urteil vom 25.10.2023, 38 C 1947/22
| Das Landgericht (LG) Hanau hat entschieden, dass ein Vermieter in einem Gebäude mit nur zwei Wohnungen dem Mieter der zweiten Wohnung nicht ohne besonderen Grund kündigen kann, wenn er selbst die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr nutzt. |
Vermieterin wohnte überwiegend im Ausland
Zwischen der hauptsächlich im Ausland lebenden Vermieterin und den Mietern besteht ein Mietvertrag über eine Wohnung in einem Haus mit nur zwei Wohneinheiten. Sie selbst nutzt die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr. Die Vermieterin hat die Kündigung nach § 573 a BGB ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift kann der Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen jederzeit ohne Grund beenden. Die Mieter halten die Kündigung für unwirksam, weil die Vermieterin die andere Wohnung nicht im Sinne der Vorschrift bewohne. Das Amtsgericht (AG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat die Räumungsklage abgewiesen.
Lebensmittelpunkt erforderlich
Das LG hat die Berufung der Vermieterin zurückgewiesen. Für die erleichterte Kündigung nach § 573 a BGB reiche es nicht aus, dass der Vermieter die zweite Wohnung in dem Haus lediglich zusätzlich nutze, selbst, wenn das vereinzelt, wie für das Jahr 2021 behauptet, insgesamt 40 Wochen seien. Er müsse vielmehr seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung haben. Eine enge Auslegung der Vorschrift sei insbesondere deshalb geboten, weil diese es ermögliche, den Mietvertrag mit dem ansonsten von dem Gesetz erheblich geschützten Wohnraummieter zu beenden, ohne dass der Mieter eine Pflichtverletzung begangen oder der Vermieter sonst ein besonderes Interesse hieran habe.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Hanau, Urteil vom 15.11.2023, 2 S 107/22, PM vom 8.2.2024
| Dass ein Testament nicht zwingend auf einem weißen Blatt Papier entstehen muss, zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg. Es ging letztlich darum, ob jemand Erbe geworden war oder nicht. |
Gastwirt verstarb – Testament auf „Kneipenblock“
Verstorben war ein Gastwirt aus dem Landkreis Ammerland. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte, einen Erbschein zu erteilen. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname einer Person („X“) vermerkt. Auf dem Zettel hieß es lediglich „X bekommt alles“.
Amtsgericht: Testierwille fehlte
Das Amtsgericht (AG) sah die Partnerin nicht als Erbin an. Es war der Auffassung, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille.
Oberlandesgericht: Testament wirksam
Der auf das Erbrecht spezialisierte Senat des OLG gelangte zu einer anderen Bewertung. Der handschriftliche Text auf dem Zettel sei ein wirksames Testament.
Das OLG war aufgrund der Einzelheiten des Verfahrens überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück selbst verfasst hatte und dass er mit dem genannten Spitznamen allein seine Partnerin gemeint habe. Auch, dass der Erblasser mit der handschriftlichen Notiz seinen Nachlass verbindlich regeln wollte, stand für den Senat aufgrund von Zeugenangaben fest.
Dass sich die Notiz auf einer ungewöhnlichen Unterlage befinde, nicht als Testament bezeichnet und zudem hinter der Theke gelagert war, stehe der Einordnung als Testament nicht entgegen. Zum einen sei es eine Eigenart des Erblassers gewesen, für ihn wichtige Dokumente hinter dem Tresen zu lagern. Zum anderen reiche es für die Annahme eines Testaments aus, dass der Testierwille des Erblassers eindeutig zu ermitteln sei und die vom ihm erstellte Notiz seine Unterschrift trage. Das OLG stellte die Partnerin daher als rechtmäßige Erbin fest.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2023, 3 W 96/23, PM 10/24
| Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte der Klägerin eine Altersrente. Einen Grundrentenzuschlag nach dem Sozialgesetzbuch VI (hier: § 76 g SGB VI) für langjährige Versicherung berücksichtigte sie nicht, weil das anzurechnende Einkommen des Ehemannes höher als der Zuschlag war. Zu Recht, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun bestätigte. |
Klägerin rügte Grundrechtsverstoß
Die Klägerin rügte, dass die Einkommensanrechnung gemäß § 97 a Abs. 1 SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße. Verheiratete und unverheiratete Menschen würden ungleich behandelt und durch den Familienstand „verheiratet“ benachteiligt, weil das Gesetz eine Einkommensanrechnung bei unverheirateten Personen nicht vorsehe. Das SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid ab.
Landessozialgericht: kein Grundrechtsverstoß
Die dagegen gerichtete Berufung hat das LSG nun zurückgewiesen. Die von der Beklagten angewandte gesetzliche Regelung sei nicht verfassungswidrig. Der Nachteil der Einkommensanrechnung werde bei Gesamtbetrachtung aller an die Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft anknüpfenden Regelungen sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch in anderen Regelungsbereichen im Ergebnis ausgeglichen.
Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs
Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass das Ziel der Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers neben der Anerkennung der Lebensarbeitsleistung eine bessere finanzielle Versorgung von langjährig Versicherten sei. Dieses Ziel werde erreicht. Dem Grundrentenberechtigten verbleibe bei Einbeziehung des Einkommens des Ehegatten ein Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs. Er stehe besser da als jemand, der wenig oder gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend versichert gearbeitet habe und entsprechend wenig oder gar nicht in diese eingezahlt habe.
Das gelte zwar auch für jemanden, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit jemandem zusammenlebe, der entsprechende Einkünfte habe. Allerdings seien Ehepartner aufgrund der unterhaltsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung wirksamer als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft versorgt.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.1.2024, L 18R 707/22, PM vom 15.3.2024
| Allein mit der Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, kann der Auftraggeber das Architektenhonorar nicht wirksam mindern. Die Bezeichnung „im Allgemeinen erforderlich“ in § 3 Abs. 3 HOAI soll nämlich klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt notwendig sind, um die Vertragsziele zu erreichen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Maßgeblich sind die vertraglichen Vereinbarungen
Maßgeblich sind nach dem OLG nicht die in der HOAI genannten Leistungsbilder, sondern die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Was ein Planer vertraglich schuldet, ergibt sich aus dem Vertrag, in der Regel also aus dem Recht des Werkvertrags. Der Inhalt dieses Vertrags ist nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts zu ermitteln.
Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI geregelten „Leistungsbilder“ sind Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach.
Daraus folgt, dass es sich bei den Vorgaben des § 34 Abs. 3 und Anlage 10.1 HOAI nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe handelt.
Es müssen nicht stets alle Grundleistungen erbracht werden
Die in Anlage 10.1 aufgeführten Grundleistungen sind nicht alle zwingend für einen vollständigen Honoraranspruch zu erbringen, wenn dies für den vereinbarten Leistungsumfang nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 S. 1 HOAI, wonach die in den Leistungsbildern erfassten Grundleistungen im Allgemeinen zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags erforderlich sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht immer alle in der jeweiligen Leistungsphase aufgeführten Grundleistungen zur Lösung der jeweiligen konkreten Planungsaufgabe zwingend erbracht werden müssen. Sind bestimmte Grundleistungen nicht zur Lösung der konkreten Planungsaufgabe erforderlich, führt es nicht zu einer Honorarkürzung, wenn diese – nicht erforderlichen – Leistungen nicht erbracht wurden.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 7.2.2024, 14 U 12/23
| In letzter Zeit häufen sich die Entscheidungen dazu, dass es nicht zu den Aufgaben des Architekten gehört, Rechtsfragen zu bearbeiten. Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt eine neue Variante hinzugefügt und sich klar positioniert. |
Das OLG: Ob eine Nachtragsforderung des bauausführenden Unternehmers berechtigt ist, liegt außerhalb der Fragestellungen, für deren Richtigkeit der Architekt mit seiner Rechnungsprüfung im Verhältnis zum Auftraggeber einzustehen hat.
Quelle | OLG Frankfurt, Beschluss vom 2.3.2023, 21 U 69/21
| Ein Architekt, der bei der Gebäudesanierung seine Kunden nicht nur in technischer Hinsicht berät, sondern auch Ratschläge zum Erhalt von Fördermitteln erteilt, muss für Schäden einstehen, wenn er die Fördervoraussetzungen fehlerhaft einschätzt. So hat es das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Empfehlung des Architekten
Die Frau hatte sich zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann dazu entschlossen, ihr Mehrfamilienhaus energetisch sanieren zu lassen und wollte dafür möglichst auch Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Sie ließ sich dahingehend von einem Architekten beraten, der auch Leistungen im Bereich der Energieberatung anbietet. Dieser empfahl, das Objekt in Wohnungseigentum umzuwandeln, da dies eine Voraussetzung für die Gewährung von KfW-Fördermitteln im Rahmen des Programms „Energieeffizient Sanieren“ sei.
KfW verweigerte Fördermittel
Entsprechend der Beratung des Architekten stellte das Ehepaar den Antrag auf die Fördermittel, noch bevor die Umwandlung des Hauses in Wohnungseigentum vollzogen war. Nachdem die Sanierungsarbeiten durchgeführt und die Umwandlung in Wohnungseigentum abgeschlossen waren, rief das Ehepaar die Fördermittel ab. Die KfW verweigerte jedoch die Auszahlung, da nach den Förderbedingungen nur Eigentümer von bestehenden Eigentumswohnungen antragsberechtigt seien; eine Umwandlung in Wohnungseigentum erst nach Antragstellung genüge dagegen nicht. Die nun entgangenen Vorteile verlangten die Eigentümer von dem Architekten ersetzt.
Architekt erbrachte Rechtsdienstleistung
Das LG gab der Klage statt. Der Architekt habe nicht nur auf technischer Ebene zugearbeitet, sondern mit seiner beratenden Tätigkeit zu den Fördervoraussetzungen der geplanten Sanierungsmaßnahme eine sogenannte Rechtsdienstleistung erbracht. Da die Information über die Voraussetzungen für die KfW-Förderung der geplanten Maßnahme unzureichend gewesen sei, habe er seine Schutzpflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt. Hätten die Eheleute den Antrag erst nach der Umwandlung in Wohnungseigentum gestellt, hätten sie die Fördermittel erhalten. Den daraus entstandenen Schaden muss der Architekt nun erstatten.
Das LG: Der Architekt kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, er arbeite im Rahmen der Energieberatung nur auf technischer Ebene.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 25.1.2024, 7 O 13/23, PM vom 28.3.2024
| Ein ehemaliger Polizist hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit infolge früher wahrgenommener Tätigkeiten u. a. im Streifendienst. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Aachen entschieden. |
Der Kläger begründete, er sei während seiner nahezu 46-jährigen Dienstzeit zu erheblichen Teilen im Außendienst eingesetzt gewesen, ohne dass sein Dienstherr ihm Mittel zum UV-Schutz zur Verfügung gestellt oder auch auf die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen hingewiesen habe. Infolgedessen leide er unter Hautkrebs am Kopf, im Gesicht und an den Unterarmen.
Das VG hat die Ablehnung der Anerkennung als Berufskrankheit bestätigt, denn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall lägen hier nicht vor. Erforderlich ist im Fall von Hautkrebs durch UV-Strahlung, dass der Betroffene bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt ist, d. h. das Erkrankungsrisiko aufgrund der dienstlichen Tätigkeit in entscheidendem Maß höher als das der Allgemeinbevölkerung ist. Davon kann bei Polizeibeamten im Außendienst nicht die Rede sein. Polizisten bewegen sich in unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und nicht nur bei strahlendem Sonnenschein im Freien.
Quelle | VG Aachen, Urteil vom 15.4.2024, 1 K 2399/23, PM vom 15.4.2024
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat entschieden: Eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) scheidet aus, wenn der Bewerber eine klassische kaufmännische Ausbildung hat, die nicht mit der Laufbahn des mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Bundeswehrverwaltung) vergleichbar ist. Hat der Bewerber später nicht entsprechend seiner Qualifikation gearbeitet, sammelt er auch keine Zeiten „hauptberuflicher Tätigkeit“. |
Kläger erhielt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch
Der Kläger bewarb sich auf die o. g. Stelle und wurde nicht eingeladen. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) klagte er auf eine Entschädigung nach dem AGG (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 AGG) und unterlag. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG zurück. Zu Recht habe das VG ausnahmsweise eine Einladung eines schwerbehinderten Menschen durch einen öffentlichen Arbeitgeber als entbehrlich angesehen. Denn die fachliche Eignung fehlte offensichtlich.
Wesentliche Unterschiede in der Ausbildung
Der Kläger hatte eine Ausbildung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft absolviert. Deren Inhalte unterschieden sich wesentlich von denen, die im Vorbereitungsdienst für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst in der Bundeswehrverwaltung vermittelt würden und allein zur Laufbahnbefähigung für den mittleren Dienst führen könnten. Das VG verglich insoweit die Ausbildung des Klägers mit den Anforderungen des fachspezifischen Vorbereitungsdienstes. Er konnte auch nicht nachweisen, dass seine späteren hauptberuflichen Tätigkeiten seiner Qualifikation entsprachen bzw. anzuerkennen seien. Hier wäre ein Zeitraum von mindestens einem Jahr und sechs Monaten notwendig gewesen. Er hatte auf verschiedenen Stellen überwiegend einfache Büro- und Verwaltungsarbeiten ausgeführt, die häufig nicht einmal eine kaufmännische Ausbildung voraussetzten.
Quelle | OVG NRW, Urteil vom 8.5.2023, 1 A 3340/20
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Auch ein Abweichen von dem direkten Arbeitsweg kann unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert sein. Dabei muss aber ein ausreichender Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt gesetzlich etwa für einen vom Arbeitsweg abweichenden Weg in Betracht, um ein Kind wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. In einem solchen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nun eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. |
Begleitung auf dem Schulweg
Die Klägerin hatte ihre Tochter im Grundschulalter zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet, an dem sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg traf. Dieser Sammelpunkt lag, von der Wohnung der Klägerin aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg von dem Sammelpunkt zu ihrer Arbeit, aber noch vor Erreichen des Wegstücks von ihrer Wohnung zur Arbeit, wurde die Klägerin – als sie trotz einer roten Fußgängerampel eine Straße überquerte – von einem PKW erfasst. Sie erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche.
Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, bekam die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart zunächst recht. Sie hatte insbesondere geltend gemacht, dass die Begleitung ihrer Tochter aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen sei.
Landessozialgericht: Kein Arbeitsweg
Auf die Berufung des Unfallversicherungsträgers hat das LSG Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall setze, wie der zuständige Senat klargestellt hat, u. a. voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Klägerin habe sich zwar im Unfallzeitpunkt objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Dies sei aber nicht hinreichend, denn das Überqueren der Straße am Unfallort zum Unfallzeitpunkt sei nicht auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit erfolgt, sodass der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit fehle.
Entscheidend: nicht Umweg, sondern Abweg
Bewege sich der Versicherte – wie vorliegend die Klägerin – nicht auf einem direkten Weg in Richtung seines Ziels, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem fort, handele es sich eben nicht um einen bloßen Umweg, sondern um einen Abweg. Werde der direkte Weg mehr als geringfügig unterbrochen und ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen, also nicht betrieblichen Gründen – ebenfalls wie vorliegend – zurückgelegt, bestehe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe auch bis zum Eintritt des Unfallereignisses die unmittelbare Wegstrecke zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht. Der Wegeunfallversicherungsschutz sei damit zum Unfallzeitpunkt noch nicht erneut begründet worden.
Keine Ausnahme gegeben
Es liege auch kein ausnahmsweise versicherter Abweg vor. Die Klägerin habe ihre Tochter nicht – wie für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz insoweit erforderlich – zum Sammelpunkt begleitet, um ihrer Beschäftigung nachzugehen, sondern allein und ausschließlich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter. Damit fehle vorliegend jeglicher sachlich-inhaltlich kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung der Klägerin und dem Begleiten der Tochter. Denn erfasst würden keine Fälle, in denen das Kind in fremde Obhut unabhängig davon verbracht werde, ob der Versicherte seine Beschäftigung alsbald aufnehmen wolle. Schließlich stelle auch die Begleitung der Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von wo aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg beschritten, schon kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne des Gesetzes dar.
Beachten Sie | Wenn ein Unfall – wie in dem dargestellten Fall – nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst ist, wird Versicherungsschutz typischerweise durch die – gesetzliche oder private – Krankenversicherung gewährleistet. Auch sind Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen während des Schulbesuchs sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022, L 10 U 3232/21, PM vom 19.3.2024
Verbraucherrecht
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass die Verpackung eines Produkts in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht („Mogelpackung“), wenn sie nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist. |
Verbraucherschutzverband klagte
Die Klägerin ist ein Verbraucherschutzverband. Die Beklagte vertreibt Kosmetik- und Körperpflegeprodukte. Die Beklagte bewarb auf ihrer Internetseite ein Herrenwaschgel in einer aus Kunststoff bestehenden Tube mit einer Füllmenge von 100 ml. In der Online-Werbung ist die Tube auf dem Verschlussdeckel stehend abgebildet. Sie ist im unteren Bereich des Verschlussdeckels transparent und gibt den Blick auf den orangefarbigen Inhalt frei. Der darüber befindliche, sich zum Falz der Tube stark verjüngende Bereich ist nicht durchsichtig, sondern silbern eingefärbt. Die Tube ist nur im durchsichtigen Bereich bis zum Beginn des oberen, nicht durchsichtigen Bereichs mit Waschgel befüllt.
Die Klägerin hält diese Werbung für unlauter, weil sie eine tatsächlich nicht gegebene nahezu vollständige Befüllung der Tube mit Waschgel suggeriere, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass die Verpackung zwar dann ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge als vorhanden vortäusche, wenn der Verbraucher sie im Rahmen des Erwerbs im Laden in Originalgröße wahrnehme. Im Fall des hier vorliegenden Online-Vertriebs fehle es jedoch an der Spürbarkeit eines Verstoßes, weil dem Verbraucher die konkrete Größe der Produktverpackung im Zeitpunkt der Beschäftigung mit dem Angebot und dem Erwerb des Produkts verborgen bleibe. Auch eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt der Täuschung über den Hohlraum in der Verpackung liege nicht vor.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH stellte klar: Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Insbesondere täuscht die beanstandete Produktgestaltung ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vor, als in ihr enthalten ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch eine spürbare Interessenbeeinträchtigung vor. Denn der Verkehr soll vor Fehlannahmen über die relative Füllmenge einer Fertigpackung („Mogelpackung“) geschützt werden. Dieser Schutzzweck ist unabhängig vom Vertriebsweg stets betroffen, wenn – wie im Streitfall – eine Fertigpackung ihrer Gestaltung und Befüllung nach in relevanter Weise über ihre relative Füllmenge täuscht.
Der Bundesgerichtshof hat die Beklagte daher zur Unterlassung verurteilt.
Die beanstandete Internetwerbung für das Waschgel verstößt gegen das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG). Eine wettbewerblich relevante Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung liegt unabhängig von dem konkret beanstandeten Werbemedium grundsätzlich vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht. Dies ist hier der Fall, da die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist und weder die Aufmachung der Verpackung das Vortäuschen einer größeren Füllmenge zuverlässig verhindert noch die gegebene Füllmenge auf technischen Erfordernissen beruht.
Quelle | BGH, Urteil vom 29.5.2024, I ZR 43/23, PM 119/24
| Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde mit Wirkung zum 1.1.2024 von 35 Euro auf 50 Euro erhöht. Diese Freigrenze gilt auch umsatzsteuerlich. Daher wurde der Umsatzsteuer-Anwendungserlass angepasst. |
Hintergrund: Für den Vorsteuerabzug kommt es (wie beim Betriebsausgabenabzug) auf die Höhe der Aufwendungen der Geschenke für jeden einzelnen Empfänger im Jahr an. Das bedeutet: Übersteigen die Aufwendungen 50 Euro nicht, ist der Vorsteuerabzug nach den Maßgaben des § 15 Umsatzsteuergesetz zulässig.
Beachten Sie | Sind Unternehmen zum Vorsteuerabzug berechtigt, ist die 50 Euro-Grenze eine Nettogrenze, ohne Vorsteuerabzugsberechtigung handelt es sich um eine Bruttogrenze.
Beispiel
Geschäftsfreund A erhält von der B-GmbH ein Geschenk im Wert von 55 Euro (inklusive 19 % Umsatzsteuer). Ein weiteres Geschenk an A ist für 2024 nicht vorgesehen. Da die B-GmbH zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, sind die Kosten unter den weiteren Voraussetzungen als Betriebsausgaben abzugsfähig (55 Euro/1,19 = 46,22 Euro).
Quelle | BMF-Schreiben vom 12.7.2024, III C 3 - S 7015/23/10002 :001 zur Anpassung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
| In der Versendung einer Gratisbeigabe (hier: Kopfhörer) liegt der Kaufvertragsabschluss über das Hauptprodukt (hier: Smartphone zu 92 Euro aufgrund eines Preisfehlers). So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. |
Im Onlinehandel liegt in der Übersendung einer Gratisbeigabe, deren Versendung einen Kaufvertrag über ein Hauptprodukt voraussetzt, auch die Annahme des Antrags auf Abschluss eines Kaufvertrags über das noch nicht versandte Hauptprodukt. Trotz eines sog. Preisfehlers kann der Kläger die Lieferung von neuen Smartphones zu 92 Euro statt 1.099 Euro laut unverbindlicher Preisempfehlung (UVP) verlangen, bestätigte das OLG.
Das war geschehen
Der Kläger nimmt die Beklagte auf die Lieferung und Übereignung von neun Smartphones in Anspruch. Die Beklagte betreibt den deutschen Onlineshop eines weltweit tätigen Elektronikkonzerns. Laut ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) liegt in einer Kundenbestellung über den Button „jetzt kaufen“ ein bindendes Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags. Die Auftragsbestätigung der Beklagten ist demnach noch keine Annahme dieses Angebots. Ein Kaufvertrag kommt laut AGB zustande, wenn die Beklagte das bestellte Produkt an den Käufer versendet und dies mit einer Versandbestätigung bestätigt. Dabei bezieht sich der Vertrag nur auf die in der Versandbestätigung bestätigten oder gelieferten Produkte.
Durch einen sogenannten Preisfehler bot die Beklagte online Smartphones für 92 Euro an. Der UVP für diese Produkte betrug 1.099 Euro. Zeitgleich bot die Beklagte bei Bestellungen bestimmte Kopfhörer als Gratisbeigabe an. Der Kläger bestellte im Rahmen von drei Bestellungen neun Smartphones sowie vier Gratis-Kopfhörer. Die Kaufpreise zahlte er umgehend. Noch im Laufe des Bestelltags änderte die Beklagte den Angebotspreis auf 928 Euro. Zwei Tage nach den Bestellungen versandte sie die vier Paar Kopfhörer an den Kläger und teilte dies jeweils per Mail mit. Knapp zwei Wochen später stornierte sie die Bestellung unter Verweis auf einen gravierenden Preisfehler. Der Kläger begehrt nun die Lieferung und Übereignung der Smartphones.
Gerichtliche Instanzen sind sich einig
Das Landgericht (LG) hatte der Klage stattgegeben. Diese Auffassung teilte das OLG im Rahmen seines Hinweisbeschlusses, der zur Rücknahme der Berufung führte: Zwischen den Parteien seien Kaufverträge über insgesamt neun Smartphones zustande gekommen. In den automatisiert erstellten Bestellbestätigungen liege zwar noch keine Annahmeerklärung, sondern allein die Bestätigung des Eingangs einer Bestellung.
Mit der Übersendung der Gratis-Kopfhörer habe die Beklagte jedoch den Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags auch in Bezug auf die in der jeweiligen Bestellung enthaltenen Smartphones angenommen: „Denn anders, als wenn in einer Bestellung mehrere kostenpflichtige Artikel zusammengefasst werden, war unbedingte Voraussetzung der kostenlosen Übersendung der Kopfhörer der Erwerb eines Smartphones. Zwischen dem Erwerb des Smartphones und der Übersendung der Kopfhörer bestand ein untrennbarer Zusammenhang dergestalt, dass die kostenlose Übersendung der Kopfhörer das wirksame Zustandekommen eines Kaufvertrags über das Hauptprodukt - das Smartphone – voraussetzt“, begründete das OLG.
Preisfehler ist dem Unternehmen zuzurechnen
Der Kläger habe die Mitteilung, dass sämtliche versprochenen Gratisbeigaben nun verschickt seien, nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte so verstehen dürfen, dass damit auch die Kaufverträge über die Smartphones bestätigt würden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass unstreitig der Preis für die Smartphones bereits am Bestelltag selbst auf 928 Euro korrigiert worden sei. Ab diesem Zeitpunkt sei daher von der Kenntnis von dem Preisfehler im Haus der Beklagten auszugehen. Dies sei ihr insgesamt zuzurechnen.
Quelle | OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 18.4.2024, 9 U 11/23, PM 38/24
| Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat Folgendes entschieden: Ist ein Geschäftsführer einer GmbH nicht am Gesellschaftskapital beteiligt, unterliegt er selbst dann der Sozialversicherungspflicht, wenn er die Geschäfte der Gesellschaft faktisch wie ein Alleininhaber führt. |
Hintergrund: Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Diese Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH.
Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei dem Geschäftsführer einer GmbH in erster Linie danach, ob er nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen.
Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der
- mindestens 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder
- bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag über eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt.
Beachten Sie | Hiervon kann auch bei besonderer Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen nicht abgesehen werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Betroffene faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führt, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hindern, er also „Kopf und Seele“ der Gesellschaft ist. So lautet die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Im Streitfall war der Ehemann als Fremd-Geschäftsführer am Stammkapital der GmbH nicht beteiligt. Alleinige Gesellschafterin war vielmehr seine Ehefrau, deren Weisungsrecht er unterlag. Diese Weisungsgebundenheit war weder aufgehoben noch eingeschränkt. Für das LSG Nordrhein-Westfalen war es unerheblich, dass der Ehemann die Möglichkeit hatte, als Vermieter der Betriebsstätte und wesentlicher Betriebsmittel sowie als Darlehensgeber wirtschaftlichen Druck auf die GmbH auszuüben. Denn dies eröffnet dem Fremd-Geschäftsführer keine erforderliche umfassende Einflussmöglichkeit, die der Stellung eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers entspricht.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.4.2024, L 8 BA 126/23, BSG, Urteil vom 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R
| Für Aussetzungszinsen gilt ein gesetzlicher Zinssatz von 6 % p. a. (0,5 % pro Monat). Diese Höhe hält der Bundesfinanzhof (BFH) fürverfassungswidrig und hat daher das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angerufen. |
Aussetzungszinsen
Ein Einspruch und eine Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: Der Steuerpflichtige muss die festgesetzte Steuer zunächst zahlen.
Beachten Sie | Auf Antrag soll aber eine Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese sogenannte Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist in der Abgabenordnung (§ 361 AO) geregelt.
Für den Steuerpflichtigen bedeutet das, dass er die Steuer zunächst nicht zahlen muss. Es droht aber eine Belastung mit Zinsen, wenn sein Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer „nachträglich“ zahlen muss. Er muss dann nämlich für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat (6 % p. a.) entrichten. Die Höhe dieser Aussetzungszinsen regelt § 237 i. V. mit 238 Abs. 1 S. 1 AO.
Nachzahlungs-/Erstattungszinsen
Es gibt allerdings auch andere Verzinsungstatbestände, z. B.für Steuererstattungen und Steuernachzahlungen. Hier war der Gesetzgeber wegeneines Beschlusses des BVerfG vom 8.7.2021 verpflichtet, den Zinssatz von 0,5 %pro Monat bzw. von 6 % p. a. anzupassen. Da sich der Beschluss des BVerfGallerdings nicht auf die Aussetzungszinsen und andereTeilverzinsungstatbestände erstreckte, wurde der Gesetzgeber nur bei denNachzahlungs- und Erstattungszinsen tätig. Hier beträgt der Zinssatz seit dem1.1.2019 nun lediglich 0,15 % pro Monat bzw. 1,8 % pro Jahr.
Bundesfinanzhof hält6 % AdV-Zinsen p. a. für verfassungswidrig
Nach Auffassung des BFH ist ein Zinssatz i. H. von 6 % p. a. für Aussetzungszinsen im Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist dieser Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen.
Zudem werden Steuerpflichtige, die AdV-Zinsen schulden und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, seit dem 1.1.2019 ungleich behandelt. Diese Zinssatzspreizung ist für den BFH verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Quelle | BFH, Beschluss vom 8.5.2024, VIII R 9/23, BFH, PM Nr. 34/24 vom 22.8.2024; BVerfG, Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17
| Für die Jahre 2022 bis 2026 gilt ab dem 21. Entfernungskilometer eine erhöhte Entfernungspauschale i. H. von 0,38 Euro. Für die ersten 20 Kilometer erfolgte indes keine Anpassung (weiterhin 0,30 Euro). Dagegen hatte ein Arbeitnehmer geklagt. Denn wegen seiner geringen Entfernung (acht Kilometer zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte) partizipierte er von der Erhöhung nicht. Die Klage hatte jedoch keinen Erfolg. Denn das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg hält die Neuregelung nicht fürverfassungswidrig. Das FG hatte jedoch die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Doch sie wurde nicht eingelegt, sodass das Urteil rechtskräftig ist. |
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.3.2024, 16 K 16092/23
| Aufwendungen für Handwerkerleistungen sind bei einer Vorauszahlung nicht steuerbegünstigt, wenn diese im Veranlagungszeitraum vor Ausführung der Handwerkerleistungen eigenmächtig erbracht wird. Dies hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf entschieden. |
Hintergrund: Für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen erhalten Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung in Höhe von 20 % der Aufwendungen (nur Lohnkosten) gemäß Einkommensteuergesetz (§ 35 a Abs. 3 EStG), höchstens jedoch 1.200 Euro im Jahr. Die Steuerermäßigung setzt voraus, dass der Steuerpflichtige eine Rechnung erhält und die Zahlung auf das Konto des Erbringers der Handwerkerleistung erfolgt.
Nach der Entscheidung des FG Düsseldorf genügt eine per E-Mail seitens des Auftraggebers mitgeteilte und eigenmächtig vorgenommene Vorauszahlung dem Rechnungserfordernis (gemäß § 35 a Abs. 5 S. 3 EStG) nicht. Im Streitfall hatte ein Ehepaar in den letzten Tagen des Jahres 2022 einen Abschlagsbetrag – ohne Aufforderung des Handwerksbetriebs – überwiesen, obwohl die Arbeiten erst im Jahr 2023 durchgeführt und auch dann erst in Rechnung gestellt werden sollten.
Vorauszahlungen können nur steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie marktüblich sind. Eine Anzahlung ohne jegliche Aufforderung des Leistungserbringers, mithin letztlich „ins Blaue hinein“, ist weder als marktüblich noch als sonst sachlich begründet anzusehen.
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 18.7.2024, 14 K 1966/23 E
| Der Betrieb eines Weinautomaten auf einem Privatgrundstück darf verboten werden. Das ergibt sich aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Koblenz. |
Verstoß gegen Jugendschutz?
Die Klägerin betreibt einen Automaten, in dem sie selbsterzeugten Wein und Sekt zum Verkauf anbietet. Der Automat steht seit Anfang 2023 auf einem Privatgrundstück; er ist an der Grenze zum öffentlichen Verkehrsraum aufgestellt und nur von der Straße aus zu bedienen. Ende April 2023 gab die Gemeinde der Klägerin gemäß Jugendschutzgesetz auf, den Weinautomaten außer Betrieb zu nehmen. Die Klägerin erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage.
Kein Verkauf in der Öffentlichkeit
Die Klage hatte keinen Erfolg. Die Klägerin, so das VG, dürfe den Weinautomaten aufgrund der Vorschriften des Jugendschutzgesetzes nicht betreiben. Denn danach dürften alkoholische Getränke in der Öffentlichkeit nicht in Automaten angeboten werden. Zwar sehe das Jugendschutzgesetz eine Ausnahme davon u. a. vor, wenn der Weinautomat in einem gewerblich genutzten Raum aufgestellt sei. An dieser Voraussetzung fehle es jedoch, da sich derAutomat auf dem Privatgrundstück der Klägerin befinde. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass Zigarettenautomaten – unabhängig von dem Belegenheitsort – bereits dann aufgestellt werden dürften, wenn eine jugendschutzkonforme Abgabe durch technische Vorrichtungen sichergestellt sei. Die unterschiedliche Behandlung von Zigaretten- und Alkoholautomaten sei aufgrund der verschiedenen Wirkweisen von Nikotin und Alkohol gerechtfertigt.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 27.5.2024, 3 K 972/23.KO, PM 14/24
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Sie erfasst Arbeitnehmer, teilweise sind aber auch Unternehmer versichert oder können sich freiwillig versichern lassen. Voraussetzung des Versicherungsschutzes bei einem Unfall ist dabei, dass dieser bei der versicherten betrieblichen Tätigkeit erfolgt und damit ein Arbeitsunfall ist. Was zur betrieblichen Tätigkeit und was zum privaten Bereich gehört, ist oft strittig und Kernfrage sozialgerichtlicher Verfahren. Einen solchen Fall hatte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zu klären. |
Fahrlehrer suchte passende Strecke
Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls war in einem Fall eines selbstständigen und gesetzlich unfallversicherten Motorrad-Fahrtrainers – dem Kläger – vor dem LSG zu klären. Der Kläger erlitt eine Luxation der linken Schulter, als er im April 2019 bei einer allein unternommenen Fahrt mit ca. 50 km/h in einer Kurve stürzte. Der Unfallort lag etwa 50 km von seinem Wohn- und Unternehmenssitz im Landkreis Tübingen entfernt. Seiner gesetzlichen Unfallversicherung – der Beklagten – teilte er mit, er habe am nächsten Tag einen Schüler mit speziellen Problemen bei Serpentinen gehabt und sei deswegen auf der Suche nach der passenden Strecke für die Schulung gewesen. Er könne sein Fahrtraining nur ordentlich durchführen, wenn er perfekte Orts- und Straßenkenntnisse habe. Umso wichtiger sei dies am Anfang der Saison, da sich über den Winter Straßen oft gravierend verändern würden.
Keine Anerkennung als Arbeitsunfall
Die Beklagte erkannte das Ereignis nicht als Arbeitsunfall an, da es sich um eine unversicherte Vorbereitungshandlung gehandelt habe. Vorbereitende Tätigkeiten wie z. B. eine „Erkundigungsfahrt“ zur Arbeit seien grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. Ausnahmsweise seien Vorbereitungshandlungen u. a. versichert, wenn der jeweilige Versicherungstatbestand nach seinem Schutzzweck auch Vor- und Nachbereitungshandlungen erfasse, die für die versicherte Hauptverrichtung im Einzelfall notwendig sind und in einem sehr engen sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Hier fehle es an einem engen Zusammenhang zwischen der behaupteten Vorbereitungshandlung und der erst am Folgetag vorgesehenen versicherten Tätigkeit.
Erfolg in der Berufung
Nachdem das Sozialgericht (SG) die Klage in erster Instanz abwies, hatte der Kläger mit seiner Berufung Erfolg. Das LSG Baden-Württemberg stellte fest, dass der fragliche Unfall ein Arbeitsunfall gewesen ist.
Landessozialgericht sah versicherte Tätigkeit
Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass die Unfallfahrt zu der versicherten Tätigkeit des Klägers gehört habe. Dieser sei zu seiner unfallbringenden Motorradfahrt allein aus dem Grund aufgebrochen, um für seine am nächsten Tag geplante Trainingsfahrt eine geeignete und sichere Strecke zu testen, was objektiv dem Ziel seines bei der Beklagten versicherten Unternehmens gedient und hierzu auch nicht in einem wirtschaftlichen Missverhältnis gestanden habe. Zwar könne es unwirtschaftlich erscheinen, für ein Fahrsicherheitstraining von ca. einem halben Tag Dauer eine so weit vom Wohnsitz des Klägers entfernte Strecke zu wählen, und diese dann auch noch am Vorabend auf eigene Kosten abzufahren. Insoweit sei aber wiederum der Hinweis des Klägers nachvollziehbar, dass bereits auf der Hinfahrt zu der Strecke der Fahrschüler professionell beobachtet werde. Zudem sei eine solche Erkundungsfahrt auch nach den Einlassungen des Klägers nicht die Regel und sei hier vorrangig dem Beginn der Motorradsaison und den hiermit verbundenen Unwägbarkeiten bezüglich geeigneter Straßenbeläge geschuldet gewesen.
Sofern – wie hier – festzustellen sei, dass eine Tätigkeit selbst als versicherte Tätigkeit anzusehen ist, könne diese nicht mehr als unversicherte Vorbereitungshandlung qualifiziert werden. Es habe zur seriösen Geschäftsausübung des Klägers gehört, dass er Fahrsicherheitstrainings nicht auf Strecken anbot, die nach der Winterpause ein unbekanntes Gefahrenpotential aufwiesen. Das Abfahren der Strecke sei daher objektiv sinnvoll und Teil der den Fahrschülern geschuldeten Hauptleistung als vertragliche Nebenpflicht, durch geeignete Maßnahmen eine Gefährdung der Fahrschüler so weit wie möglich und vertretbar zu reduzieren.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.4.2024, L 3 AS 101/24, PM vom 2.4.2024
| Kauft ein Pfandleihhaus ein Kraftfahrzeug an, um es anschließend an den Verkäufer wieder zu vermieten und beträgt der Marktwert des Fahrzeugs das Fünf- bis Sechsfache des vereinbarten Kaufpreises, sind Kauf- und Mietvertrag wegen Wucher nichtig. Der Verkäufer kann die gezahlten Mieten zurückverlangen, ohne sich den erhaltenen Kaufpreis anrechnen lassen zu müssen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Pfandhaus kauft Fahrzeuge an und vermietet sie wieder
Die Beklagte betreibt bundesweit ein staatlich zugelassenes Pfandleihhaus. Ihr Geschäftsmodell ist darauf gerichtet, Kraftfahrzeuge den Eigentümern abzukaufen und sie ihnen nachfolgend gegen monatliche Zahlungen zu vermieten. Nach Ende der Mietzeit erhält die Beklagte das Fahrzeug zurück und darf es öffentlich versteigern.
Die Klägerin verkaufte ihr Fahrzeug 2020 an die Beklagte für 3.000 Euro. Der Händlereinkaufspreis lag bei rund 15.000 Euro, der objektive Marktwert bei mehr als 18.000 Euro. Anschließend mietete die Klägerin das Fahrzeug für 297 Euro monatlich zurück und übernahm die Kosten für Steuern, Versicherung, Wartung und Reparaturen. Nach Kündigung des Vertrags durch die Beklagte gab die Klägerin das Fahrzeug nicht zurück. Der Beklagten gelang es nicht, das Fahrzeug sicherzustellen.
Klage erfolglos
Auf die Klage hin verurteilte das Landgericht (LG) die Beklagte, die geleistete Miete zurückzuzahlen und stellte fest, dass die Klägerin ihr Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren hat. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Sittenwidrigkeit: Kauf- und Mietvertrag nichtig
Sowohl der Kauf- als auch der Mietvertrag seien nichtig, begründete das OLG seine Entscheidung. Sie seien als wucherähnliche Geschäfte sittenwidrig. Es liege ein grobes und auffälliges Missverhältnis zwischen Marktwert und Kaufpreis vor, da gemäß den überzeugenden sachverständigen Ausführungen der Marktwert des Fahrzeugs über dem fünf- bis sechsfachen des Kaufpreises gelegen habe.
Auf die verwerfliche Gesinnung der Beklagten könne angesichts dieses Missverhältnisses ohne Weiteres geschlossen werden. Angesichts des Geschäftsmodells sei auch davon auszugehen, dass sich die Beklagte den mit Abschluss des Kaufvertrags erzielten Mehrwert endgültig habe einverleiben wollen, auch wenn im Fall der Versteigerung des Fahrzeugs nach Mietende ein etwaiger Mehrerlös dem Verkäufer hätte zugewandt werden müssen. Kauf- und Mietvertrag bildeten dabei ein einheitliches Rechtsgeschäft. Die Klägerin habe das Fahrzeug nur verkaufen wollen, wenn sie es zugleich weiternutzen könne. Der Mietvertrag sei damit ebenfalls nichtig und die gezahlte Miete zurückzuzahlen.
Keine Rückzahlung des Kaufpreises
Obwohl die Klägerin das Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren habe, müsse sie wegen der sittenwidrigen Übervorteilung auch nicht den Kaufpreis an die Beklagte zurückzahlen. Die Beklagte könne den Kaufpreis nicht zurückverlangen, da ihr objektiv ein Sittenverstoß anzulasten sei und sie sich angesichts des auffälligen Missverhältnisses der Rechtswidrigkeit ihres Handelns zumindest leichtfertig verschlossen habe.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.4.2024, 2 U 115/20, PM 26/24
| Das Dach eines Flachdachanbaus einer WEG-Anlage ist selbst dann Gemeinschaftseigentum, wenn alle darunterliegenden Räume zu einer Sondereigentumseinheit gehören. Für die Gültigkeit eines Grundlagenbeschlusses ist es daher nicht erforderlich, dass der Beschlussersetzungsantrag auch die inhaltliche Konkretisierung umfasst. Diese Konkretisierungen können den Eigentümern überlassen werden. So sieht es das Landgericht (LG) Karlsruhe. |
Das Dach sollte instand gesetzt werden
Gestritten wurde um die Instandsetzung des Dachs über einer Gaststättenküche in einer WEG-Anlage, die im Sondereigentum eines Eigentümers steht und ein eigenes Flachdach hat. In der Teilungserklärung ist das Sondereigentum als „Einrichtungen und Anlagen“ definiert, soweit diese nicht dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienen, sondern nur dem Sondereigentümer zu dienen bestimmt sind. Der Eigentümer begehrte durch Beschlussersetzung, dass die Instandsetzung des Dachs beschlossen wird. Die Wohnungseigentümergemeinschaft war der Ansicht, dass der Eigentümer die Instandsetzungskosten allein tragen müsse. Für die Beschlussersetzung fehle es an der sogenannten Ermessensreduzierung auf Null.
Beschluss war ungültig
Das Amtsgericht (AG) hatte der Klage zunächst stattgegeben. Die Berufung vor dem LG hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der Negativbeschluss sei ungültig, so das LG in zweiter Instanz. Die Ablehnung einer positiven Beschlussfassung widerspreche ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn der Anspruch offenkundig und ohne jeden vernünftigen Zweifel gegeben sei. Das habe schon der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.
Ein Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme, die die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums betreffe, bestehe nur, wenn sich das Ermessen der Gemeinschaft im Einzelfall auf Null reduziert habe, sich also jede andere Entscheidung als ermessensfehlerhaft darstellte. Die abgelehnte Sanierung sei dringend erforderlich und stelle eine notwendige Instandsetzungsmaßnahme dar.
Konstruktive Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig
Bei dem Dach handele es sich auch nicht um Sondereigentum.
Das LG hat klargestellt, dass die konstruktiven Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig sind, selbst wenn alle Räume des Gebäudes dem Sondereigentum eines Eigentümers unterliegen. Unerheblich ist eine mögliche widersprechende Regelung in der Teilungserklärung. Denn eine Regelung, die nicht sondereigentumsfähige Gebäudeteile zum Inhalt des Sondereigentums erklärt, ist nichtig.
Zulässig sei es, lediglich einen Grundlagenbeschluss zu treffen, also anzuordnen, dass eine Instandsetzung bestimmter Bauteile zu erfolgen habe, und den Wohnungseigentümern im Übrigen die weitere inhaltliche Konkretisierung (Auswahl des Fachunternehmens, Finanzierung der Maßnahme, etc.) zustehe. Es sei also nicht zu beanstanden, dass der Beschlussersetzungsantrag nur auf das „Ob“ der Instandsetzung, nicht jedoch bereits auf das „Wie“ ziele.
Quelle | LG Karlsruhe, Urteil vom 8.3.2024, 11 S 53/22
| Ein Vermieter muss nicht schon für jede mehr als unerhebliche Beeinträchtigung des bis zur Veränderung der äußeren Umstände gewohnten Nutzens der Mietsache einstehen. Er haftet nur für solche Umfeldveränderungen, die er selber nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 906 BGB) abwehren kann oder nur gegen Ausgleichszahlung hinnehmen muss. Die Freiheit von dahinter zurückbleibenden Einwirkungen auf das Grundstück, die ein Grundstückseigentümer ausgleichslos hinnehmen muss, sind danach gar nicht Gegenstand des vertraglichen Leistungsversprechens des Vermieters und der Gewährleistung. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Vorinstanz: Mieterin hat nicht genug vorgetragen
Die Wohnungsmieterin verlangte von der Vermieterin eine Mietminderung. Sie behauptete, die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung sei durch eine Baustelle auf dem Nachbargrundstück erheblich beeinträchtigt. Vor dem AG hatte sie damit keinen Erfolg. Sie habe nicht schlüssig dargetan, dass der Nutzen der Wohnung durch die Baustelle über das hinzunehmende Maß hinaus beeinträchtigt gewesen sei, so das AG. Darüber hinaus habe die Mieterin zur konkreten Beeinträchtigung des Wohnungsnutzens nicht ausreichend vorgetragen, sondern nur geltend gemacht, dass sie die Mieträume lediglich in Baupausen habe lüften können. Soweit sie die Unbenutzbarkeit des Balkons wegen Lärm und Staub behauptet habe, sei das unschlüssig, weil unklar bleibe, wo sich der Balkon im Verhältnis zur Baustelle auf dem Nachbargrundstück befinde.
Im Berufungsverfahren argumentierte die Mieterin, dass sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ausreichend zu den Auswirkungen der Baumaßnahmen vorgetragen habe; das Gericht müsse sich nun in einer Beweisaufnahme davon überzeugen, ob ein Mangel vorliege oder nicht.
So sah es das Landgericht
Das sah das LG anders und wies die Berufung zurück. Die Baumaßnahmen hätten nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung geführt, die die Vermieterin nicht gemäß § 906 Abs. 2 S. 1 BGB hätte unterbinden können oder gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB nur gegen eine angemessene Ausgleichszahlung hätte dulden müssen.
Beeinträchtigung war durch Dritte verursacht
Das Risiko einer nach Mietvertragsschluss – auch zufällig – eintretenden Verringerung des Nutzens der Mietsache sei nicht dem Vermieter zuzuordnen, da es sich bei einer durch Dritte verursachten Nutzungsbeeinträchtigung aus Sicht beider Vertragsparteien um ein unabwendbares Ereignis handeln könne, für das ein Vermieter erkennbar keine Haftung übernehmen wolle und billigerweise auch nicht übernehmen müsse.
An die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung sei der in der Rechtsprechung entwickelte strenge Maßstab anzulegen, der auch bei der unmittelbaren Anwendung des § 906 BGB im Nachbarschaftsrecht gelte. Andernfalls liefe das Kriterium nicht nur weitgehend leer, sondern der Vermieter wäre Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt, ohne erfolgreich gegen den Grundstücksnachbarn als Verursacher der Störungen vorgehen und diesen gegebenenfalls in Regress nehmen zu können.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 8.2.2024, 64 S 319/21
| Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte die Frage zu entscheiden, ob die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit gegeben ist. |
Der Erblasser, ein kinderloser deutscher Staatsangehöriger, ist im Jahr 2023 in einem Pflegeheim in Polen verstorben. Zuvor lebte er mit seiner (zweiten) Ehefrau sowie in verschiedenen Pflegeheimen in Deutschland. Anfang 2022 machte sich bei ihm eine zunehmende Demenz bemerkbar, die ihn zum Pflegefall machte. Seit April 2023 lebte er in einem Pflegeheim in Polen. Dort hatte er kein Vermögen, er sprach kein polnisch und hatte familiäre sowie soziale Verbindungen allein nach Deutschland. Er wurde gegen bzw. ohne seinen Willen in dem Pflegeheim in Polen untergebracht. Nach dem Tod des Erblassers stellte seine Ehefrau einen Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins beim Nachlassgericht des Amtsgerichts (AG) Singen. Dies hat den Antrag mangels internationaler Zuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.12 (Art. 4 EuErbVO) zurückgewiesen. Der dagegen gerichteten Beschwerde hat das AG nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
Das OLG Karlsruhe hat den Beschluss des Nachlassgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben sei, weil der Erblasser seinen (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe.
Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ sei unionsautonom (gem. Art 23 u. 24 EuErbVO) auszulegen. In objektiver Hinsicht müsse zumindest ein tatsächlicher Aufenthalt („körperliche Anwesenheit“) gegeben sein, auf eine konkrete Dauer oder die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts komme es hingegen nicht an. Unschädlich sei auch eine vorübergehende Abwesenheit, soweit ein Rückkehrwille bestand. In subjektiver Hinsicht sei das Vorliegen eines animus manendi (Bleibewille) erforderlich, also der nach außen manifestierte Wille, seinen Lebensmittelpunkt am Ort des tatsächlichen Aufenthalts auf Dauer zu begründen. Eines rechtsgeschäftlichen Willens bedürfe es insoweit nicht. Werden pflegebedürftige Personen in ausländischen Pflegeheimen untergebracht, komme es ebenfalls grundsätzlich auf deren Bleibewillen an. Könnten diese zum Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels keinen eigenen Willen mehr bilden oder erfolgt die Unterbringung gegen ihren Willen, fehle es an dem für die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts erforderlichen Bleibewillens. Dies sei hier der Fall.
Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.7.2024, 14 W 50/24 Wx
| Im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragte die Antragstellerin B., ungedeckte Heimkosten zu erstatten. B. bezieht verschiedene Renten; weiter hatte sie Mitte 2018 ihr hälftiges Grundstückseigentum sowie darüber hinaus ihren Anteil an der Erbengemeinschaft nach ihrem Mann unentgeltlich an ihre Kinder übertragen. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat den Antrag der B. zurückgewiesen. Sie verfüge sowohl über Einkommen als auch über Vermögen, das sie vorrangig zur Beseitigung ihrer Hilfsbedürftigkeit einsetzen muss. Erst nach dessen Verbrauch könne ein erneuter Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt werden. |
Das Einkommen der B. besteht aus Rentenansprüchen. Neben diesem Einkommen, das vollständig einzusetzen ist, kann (und muss) B. auch über ihr Vermögen verfügen. Dieses besteht in Form eines Schenkungsrückforderungsanspruchs gegenüber ihren Kindern. Denn der Schenker kann von den Beschenkten die Herausgabe des Geschenks verlangen, wenn er nach Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten.
Der Anspruch ist erst ausgeschlossen, wenn zehn Jahre seit der Schenkung vergangen sind. Diese Frist war hier noch nicht abgelaufen. Die Beschenkten können die Herausgabe allerdings durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags abwenden.
Quelle | SG Lüneburg, Beschluss vom 21.5.2024, S 38 SO 23/24 ER
| Der Eigentümer eines denkmalgeschützten Wohngebäudes hat Anspruch auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzaunes auf seinem Grundstück. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks mit einem Wohngebäude, das seit 1998 als Kulturdenkmal unter Schutz gestellt ist. Seinen Antrag auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzauns auf der bestehenden, zwischen einem und 1,60 Meter hohen Einfriedungsmauer entlang der Straße lehnte die beklagte Stadt ab. Seine entsprechende Klage wies das Verwaltungsgericht (VG) ab. Auf seine Berufung hob das OVG das Urteil des VG auf und verpflichtete die Beklagte, ihm die beantragte Genehmigung zu erteilen.
Es stehe außer Frage, dass der Solarzaun einer Genehmigung bedürfe. Diese werde nach dem rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetz (hier: § 13 Abs. 2 DSchG) nur erteilt, wenn entweder (1.) Belange des Denkmalschutzes nicht entgegenstünden oder wenn (2.) andere Erfordernisse des Gemeinwohls oder private Belange diejenigen des Denkmalschutzes überwiegen würden und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne. Zwar sei mit dem VG davon auszugehen, dass Belange des Denkmalschutzes im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 1 DSchG einer Genehmigung entgegen stünden. Das Vorhaben des Klägers erfülle aber die Anforderungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 DSchG, weil andere Erfordernisse des Gemeinwohls vorrangig seien und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne.
Das öffentliche Interesse an der Errichtung des Solarzauns sei vorliegend von solchem Gewicht, dass das Interesse an der unveränderten Erhaltung des Erscheinungsbildes des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes zurückzustehen habe und die Erteilung der Genehmigung geboten erscheine. Dies folge aus § 2 des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz) – EEG. Danach lägen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dienten der öffentlichen Sicherheit. Besondere atypische Umstände, die ein abweichendes Ergebnis der Abwägung nach sich zögen, seien nicht ersichtlich.
Den somit bestehenden überwiegenden Interessen des Gemeinwohls könne auch nicht auf sonstige Weise Rechnung getragen werden. Der Schutzzweck des § 2 EEG stehe einer Prüfung von alternativen Standorten für Anlagen der erneuerbaren Energien an anderen Stellen des klägerischen Grundstücks von vornherein entgegen. Unabhängig davon komme ein Alternativstandort für eine Solaranlage auf dem Grundstück des Klägers auch tatsächlich nicht in Betracht.
Quelle | OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.8.2024, 1 A 10604/23.OVG, PM 14/24
| Ein Landkreis hatte einem Ehepaar untersagt, im Garten ihres Wohngrundstücks Minischweine zu halten. Das Ehepaar klagte dagegen vor dem Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt a. M. – erfolglos. |
Anwohner beschwerten sich
Die Kläger sind Eigentümer eines Wohngrundstücks, das in einem durch Bebauungsplan festgesetzten allgemeinen Wohngebiet liegt. Sie halten im Garten ihres Grundstücks seit 2022 sogenannte Minischweine. Nach Anwohnerbeschwerden forderte der Beklagte die Kläger im November 2023 auf, die beiden Schweine von ihrem Grundstück zu entfernen, da das Halten von Schweinen in allgemeinen Wohngebieten unzulässig sei.
Klage der Eigentümer abgewiesen
Das VG hat die Klage abgewiesen. Das Halten von zwei Minischweinen im Garten ihres in einem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Wohnanwesens sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Der Bebauungsplan weise das Gebiet als allgemeines Wohngebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung (BauNVO) aus. Anlagen zur Tierhaltung gehörten nicht zu den in allgemeinen Wohngebieten zulässigen Anlagen. Allgemeine Wohngebiete dienten vorwiegend dem Wohnen.
Gebietsuntypische Störungen unzulässig
Die gebietstypische Schutzwürdigkeit und Störempfindlichkeit werde in allgemeinen Wohngebieten im Wesentlichen von der störempfindlichen Hauptnutzungsart bestimmt. Das Wohnen dürfe keinen gebietsunüblichen Störungen ausgesetzt werden.
Zwar seien nach der Baunutzungsverordnung (hier: § 14 BauNVO) in Wohngebieten untergeordnete Nebenanlagen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Grundstücke oder des Wohngebiets selbst dienten und die seiner Eigenart nicht widersprächen. Zu diesen untergeordneten Nebenanlagen gehörten auch solche für die Kleintierhaltung. Allerdings ermögliche § 14 BauNVO als Annex zum Wohnen eine Kleintierhaltung nur, wenn sie in dem betreffenden Baugebiet üblich und ungefährlich sei und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprenge.
Ziegen, Schweine, Schafe: Haltung in Wohngebieten heutzutage unüblich
Kleintiere seien Nutztiere ebenso wie Hobbytiere, die zum Schutz, zur Unterhaltung oder zur Ernährung gehalten würden. In den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten dürften nur solche Kleintiere gehalten werden, die der für eine Wohnnutzung charakteristischen Freizeitbeschäftigung entsprächen. Als Kleintiere würden im Allgemeinen etwa Katzen und Hunde angesehen. Dagegen sei in den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten die Haltung von Ziegen, Schafen und Schweinen in der heutigen Zeit nicht mehr üblich und unzulässig. Eine unterschiedliche Behandlung zwischen sogenannten Hausschweinen, Hängebauchschweinen und Minischweinen sei dabei nicht angezeigt. Minischweine könnten bis zu einem Meter lang werden und bis zu 100 kg wiegen.
Geräusch- und Geruchsbelästigungen
Das Halten von Schweinen in einem allgemeinen Wohngebiet führe typischerweise zu Geräusch- und Geruchsbelästigungen, die in Wohngebieten unüblich seien. Von Schweinen, die sich ganzjährig rund um die Uhr hauptsächlich im Freien aufhielten, gingen ungefilterte Gerüche und Geräusche aus, die unmittelbar die Umgebung belasteten. Aufgrund ihrer Größe und Anzahl komme es bei Schweinen zudem zu erheblichen Ausscheidungen, die gebietsuntypische Gerüche verbreiteten.
Ursprünglich dörflicher Charakter der Gemeinde unerheblich
Hieran ändere auch nichts, dass die betreffende Gemeinde ursprünglich einen dörflichen Charakter gehabt habe oder gar mit dem Spruch „Größtes Dorf der Welt“ werbe. Gegenwärtig zeichne sich die unmittelbare Umgebung des streitgegenständlichen Grundstücks - auf die es im vorliegenden Fall allein ankomme - durch weit überwiegende Wohnnutzung aus.
Zwar könne im Einzelfall die Üblichkeit der Kleintierhaltung abweichend von der typisierenden Betrachtung bejaht werden, wenn eine konkrete Betrachtung ergebe, dass in der Nachbarschaft vergleichbare Nutzungen vorhanden seien und sich die Bewohner des Baugebiets damit abgefunden hätten. Letzteres sei hier jedoch nicht der Fall.
Quelle | VG Neustadt a. M., Urteil vom 11.9.2024, 5 K427/24, PM 14/24
| Notdienste eines Kundendiensttechnikers, die dadurch gekennzeichnet sind, dass er sich an einem frei wählbaren Ort aufhalten kann, aber telefonisch erreichbar sein und zu einem Notdiensteinsatz binnen einer Stunde am Einsatzort eintreffen muss, wenn er angefordert wird, sind Rufbereitschaftsdienste und keine Bereitschaftsdienste. Voraussetzung: Unter Berücksichtigung der Anfahrtszeit verbleiben noch 30 Minuten Zeit, bis der Arbeitnehmer aufbrechen muss. Zu diesem Ergebnis kommt das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. |
Notdienst nur sehr selten
Außerdem erläuterte das Gericht, dass das oben Gesagte zumindest dann gelte, wenn eine tatsächliche Anforderung im Notdienst äußerst selten vorkomme – im vorliegenden Fall lediglich in einem Umfang von 0,67 % der Gesamt-Notdienstbereitschaftszeit.
Ruhezeit
Liege arbeitsschutzrechtlich Rufbereitschaft und kein Bereitschaftsdienst vor, handele es sich um Ruhezeit im Sinne desArbeitszeitgesetzes (hier: § 5 ArbZG). Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff folge hier dem arbeitsschutzrechtlichen, sodass – soweit keine gesonderte Regelung im Arbeitsvertrag, in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zur Anwendung gelange – keine Vergütungspflicht bestehe.
Ausgenommen hiervon seien die Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung im Rahmen der Aktivierung aus dem Notdienst heraus, die als Vollarbeit zu vergüten sind.
Mindestlohngesetz
Auch das Mindestlohngesetz knüpfe an geleistete Zeitstunden an und mithin an den vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff. Arbeitsschutzrechtliche Ruhezeit sei weder arbeitsschutz- noch vergütungsrechtlich Arbeitszeit und begründet daher auch keine Mindestlohnansprüche.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.4.2024, 3 SLa 10/24
| Ein Reitverein muss für von ihm angebotenen Reitunterricht Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wenn der Unterricht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung erbracht wird. Hierfür spricht, wenn die Reitlehrerin die vereinseigenen Pferde sowie die Reithalle unentgeltlich nutzen kann und sie kein unternehmerisches Risiko trägt. Dies entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG). |
Reitverein muss Sozialversicherungsbeiträge und -nachforderungen zahlen und klagt
Eine Reitlehrerin unterrichtete Mitglieder eines gemeinnützigen Reitvereins mit den vereinseigenen Schulpferden auf dem Vereinsgelände zwischen 12 und 20 Stunden wöchentlich. In den Jahren 2015 bis 2018 zahlte ihr der Verein pro Reitstunde 18 Euro. Die Deutsche Rentenversicherung prüfte den Betrieb des Reitvereins. Sie stellte fest, dass die Reitlehrerin abhängig beschäftigt ist und forderte von dem Verein Rentenversicherungsbeiträge nach. Der Reitverein wandte hiergegen ein, dass die Reitlehrerin selbstständig tätig sei.
Landessozialgericht bestätigt Beitragspflicht des Reitvereins
Das LSG gab der Rentenversicherung Recht. Die Beitragsnachforderung sei rechtmäßig. Eine abhängige Beschäftigung liege vor. Zwar könne ein nebenberuflicher Übungsleiter oder Trainer in Sportvereinen auch selbstständig tätig sein, wie das Vertragsmuster „Freier-Mitarbeiter-Vertrag Übungsleiter Sport“ der Rentenversicherung belege. Ein solcher Vertrag sei jedoch vorliegend zwischen dem Reitverein und der Reitlehrerin nicht geschlossen worden.
Zudem sprächen im konkreten Einzelfall mehr Anhaltspunkte für das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung. So habe die Reitlehrerin kein unternehmerisches Risiko getragen. Sie habe keine Rechnungen erstellt und ausschließlich die vereinseigenen Pferde einschließlich Sattel und Zaumzeug genutzt, wofür sie - wie auch für die Nutzung der Reithalle - kein Entgelt gezahlt habe. Die Hallenzeiten habe sie mit dem Reitverein abgestimmt. Der Reitverein habe die Stundenvergütung vorgegeben. Die Jahresvergütung von durchschnittlich über 6.500 Euro habe die steuerfreie Aufwandspauschale für Übungsleiter (bis 2020: 2.400 Euro jährlich) weit überschritten. Schließlich habe der Reitverein auf seiner Homepage mit „unsere Reitlehrerin“ geworben und selbst die Verträge über den Reitunterricht mit den Reitschülern geschlossen.
Da die Rentenversicherung nur die über der Aufwandspauschale für Übungsleiter liegenden Einkünfte bei der Beitragsberechnung berücksichtigt habe, sei auch die Höhe der Beitragsforderung zutreffend.
Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.
Quelle | Hessisches LSG, Urteil vom 18.6.2024, L 1 BA 22/23,PM 6/24
| Die gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 3 Nr. 11 c EStG) geregelte Steuerfreiheit der (freiwilligen) Inflationsausgleichsprämie sieht keine Regelung vor, dass die Prämie an alle Arbeitnehmer ausgezahlt werden muss. Somit ist der Arbeitgeber nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen grundsätzlich nicht daran gehindert, die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie an weitere Bedingungen zu knüpfen. |
Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt
Es verstößt nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein Arbeitgeber zur weiteren Bedingung der Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie macht, dass der Beschäftigte Teil seiner „active workforce“ ist, sodass z. B. Beschäftigte in der Passivphase der Altersteilzeit von der Prämie ausgeschlossen sind.
Steuerfreie Inflationsausgleichsprämie bis zu 3.000 Euro
Die freiwillige Inflationsausgleichsprämie kann vom 26.10.2022 bis Ende 2024 gewährt werden. Bei den 3.000 Euro handelt es sich um einen steuerlichen Freibetrag, der auch in mehreren Teilbeträgen ausgezahlt werden kann.
Begünstigt sind auch Zahlungen an Minijobber. Da die Zahlung steuer- und beitragsfrei ist, wird sie nicht auf die Minijobgrenze angerechnet.
Zusätzlich zum Arbeitslohn
Die Zahlungen müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erfolgen. Nach § 8 Abs. 4 EStG werden Leistungen nur dann zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, wenn
- die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
- der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
- die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
- bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.
Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 21.2.2024, 8 Sa 564/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Die Werbung mit einem mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff (hier: „klimaneutral“) ist regelmäßig nur zulässig, wenn in der Werbung selbst erläutert wird, welche konkrete Bedeutung diesem Begriff zukommt. |
Das war geschehen
Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte ist ein Unternehmen, das Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz herstellt. Die Produkte sind im Lebensmitteleinzelhandel, an Kiosken und an Tankstellen erhältlich. Die Beklagte warb in einer Fachzeitung der Lebensmittelbranche mit der Aussage: „Seit 2021 produziert [die Beklagte] alle Produkte klimaneutral“ und einem Logo, das den Begriff „klimaneutral“ zeigt und auf die Internetseite eines „ClimatePartner“ hinweist. Der Herstellungsprozess der Produkte der Beklagten läuft nicht CO2-neutral ab. Die Beklagte unterstützt indes über den „ClimatePartner“ Klimaschutzprojekte.
Irreführend: Herstellungsprozess selbst nicht klimaneutral
Die Klägerin hält die Werbeaussage für irreführend. Die angesprochenen Verkehrskreise verstünden diese so, dass der Herstellungsprozess selbst klimaneutral ablaufe. Zumindest müsse die Werbeaussage dahingehend ergänzt werden, dass die Klimaneutralität erst durch kompensatorische Maßnahmen hergestellt werde. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH hat die Beklagte zur Unterlassung der Werbung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten verurteilt. Die beanstandete Werbung ist irreführend im Sinne des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 UWG).
Die Werbung ist mehrdeutig, weil der Begriff „klimaneutral“ nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen von den Lesern der Fachzeitung – nicht anders als von Verbrauchern – sowohl im Sinne einer Reduktion von CO2 im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO2 verstanden werden kann. Im Bereich der umweltbezogenen Werbung ist – ebenso, wie bei gesundheitsbezogener Werbung – eine Irreführungsgefahr besonders groß und es besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen. Bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff, wie „klimaneutral“, verwendet, muss deshalb zur Vermeidung einer Irreführung regelmäßig bereits in der Werbung selbst erläutert werden, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist. Aufklärende Hinweise außerhalb der umweltbezogenen Werbung sind insoweit nicht ausreichend.
Irreführende Werbung relevant für Kaufentscheidung
Eine Erläuterung des Begriffs „klimaneutral“ war hier insbesondere erforderlich, weil die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität darstellen, sondern die Reduktion gegenüber der Kompensation unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes vorrangig ist. Die Irreführung ist auch wettbewerblich relevant, da die Bewerbung eines Produkts mit einer vermeintlichen Klimaneutralität für die Kaufentscheidung des Verbrauchers von erheblicher Bedeutung ist.
Quelle | BGH, Urteil vom 27.6.2024, I ZR 98/23, PM 138/24
| Die Aufzeichnungspflichten nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 4 Abs. 7 des EStG) für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind bei einem Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt, nur erfüllt, wenn sämtliche Aufwendungen einzeln fortlaufend in einem gesonderten Dokument oder Datensatz aufgezeichnet werden. Eine reine Belegsammlung mit Aufaddieren der Positionen nach Abschluss des Veranlagungszeitraums ist nicht ausreichend. Da der Bundesfinanzhof (BFH) gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Hessen kürzlich die Revision zugelassen hat, ist mit einer weiteren Präzisierung der Rechtsprechungsgrundsätze zu rechnen. |
Hintergrund: § 4 Abs. 5 EStG schränkt den Abzug für gewisse Betriebsausgaben ein. So wirken sich z. B. Aufwendungen für Geschenke an Geschäftspartner und Kunden nur steuermindernd aus, wenn eine Grenze von 50 Euro eingehalten wird. Und auch für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer besteht eine Abzugsbeschränkung.
Aufzeichnungspflichten
Darüber hinaus sind die Aufwendungen i. S. des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 4, 6 b und 7 EStG einzeln und getrennt von den sonstigen Betriebsausgaben aufzuzeichnen. Soweit diese Aufwendungen nicht bereits nach Abs. 5 vom Abzug ausgeschlossen sind, dürfen sie bei der Gewinnermittlung nur berücksichtigt werden, wenn sie besonders aufgezeichnet sind.
Beachten Sie | Bei den Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG handelt es sich um eine zusätzliche materiell-rechtliche Voraussetzung für den Betriebsausgabenabzug. Bei Verstößen droht das Abzugsverbot. Dieses Abzugsverbot wird auch bei einer Gewinnermittlung per Einnahmen-Überschussrechnung so umgesetzt, dass die betroffenen Aufwendungen dem Gewinn als Betriebseinnahmen hinzugerechnet werden.
Finanzierungs- und Energiekosten dürfen geschätzt werden
Nach Ansicht der Finanzverwaltung bestehen keine Bedenken, wenn die auf das Arbeitszimmer anteilig entfallenden Finanzierungskosten im Wege der Schätzung ermittelt werden und nach Ablauf des Wirtschafts- oder Kalenderjahrs eine Aufzeichnung aufgrund der Jahresabrechnung des Kreditinstituts erfolgt. Entsprechendes gilt für die verbrauchsabhängigen Kosten (z. B. Wasser- und Energiekosten). Es reicht aus, Abschreibungsbeträge einmal jährlich – zeitnah nach Ablauf des Kalender- oder Wirtschaftsjahrs – aufzuzeichnen.
Jahrespauschale ausgenommen
Beachten Sie | Beim Abzug der Jahrespauschale (1.260 Euro) bestehen die besonderen Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG nicht.
Quelle | FG Hessen, Urteil vom 13.10.2022, 10 K 1672/19, Rev. BFH: VIII R 6/24, BMF-Schreiben vom 15.8.2023, IV C 6 – S 2145/19/1006 :027, RZ. 25 f.
| Ermittelt ein Steuerpflichtiger seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung, ist die Art und Weise, in der er seine Aufzeichnungen geführt hat, eine Tatsache, die zur Korrektur eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids führen kann, wenn sie dem Finanzamt nachträglich bekannt wird. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. |
Hintergrund: Ist die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat abgelaufen, wird ein Steuerbescheid grundsätzlich bestandskräftig. Allerdings bestehen auch danach Berichtigungs- und Änderungsmöglichkeiten. Eine davon ist § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Hier heißt es: Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Das war geschehen
Ein Einzelhändler ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung. Das Finanzamt veranlagte ihn erklärungsgemäß (ohne Vorbehalt der Nachprüfung). Bei einer späteren Außenprüfung beurteilte das Finanzamt die Aufzeichnungen als formell mangelhaft und nahm eine Hinzuschätzung vor. Die bestandskräftigen Bescheide wurden nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert.
Bareinnahmen: Aufzeichnungen mangelhaft
Die Tatsache, ob und wie der Steuerpflichtige seine Bareinnahmen aufgezeichnet hat, ist rechtserheblich, wenn das Finanzamt bei deren vollständiger Kenntnis bereits im Zeitpunkt der Veranlagung zur Schätzung befugt gewesen wäre und deshalb eine höhere Steuer festgesetzt hätte.
Da eine Schätzungsbefugnis in bestimmten Fällen auch bei (nur) formellen Mängeln der Aufzeichnungen über Bareinnahmen besteht, muss das FG nun im zweiten Rechtsgang prüfen, ob die Unterlagen Mängel aufweisen, die zur Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen führen.
Quelle | BFH, Urteil vom 6.5.2024, III R 14/22, PM 30/24 vom 4.7.2024
| Wer neben dem Bau von Gewächshäusern Pflanzen züchtet und mit ihnen handelt, unterhält nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) Münster unterschiedliche Betriebe. Dies hat zur Folge, dass für Zwecke der Gewerbesteuer Verluste aus der Pflanzenzucht nicht mit Gewinnen aus dem Gewächshausbau verrechnet werden können. |
Unterschied: Betätigung gewerblich oder land- und forstwirtschaftlich
Beim Gewächshausbau handelt es sich nach der Wertung des FG um eine gewerbliche und bei der Pflanzenzucht um eine land- und forstwirtschaftliche Betätigung. Beide Tätigkeiten sind laut FG auch nicht derart miteinander planvoll wirtschaftlich verbunden, dass sie als ein einheitlicher Gewerbebetrieb betrachtet werden können.
Beachten Sie | Die Pflanzenzucht ist auch keine bloße Hilfsbetätigung zum Gewächshausbau und sie ist auch nicht notwendig für die gewerbliche Tätigkeit, da auch Konkurrenzbetriebe nicht stets zusätzlich eine Pflanzenzucht betreiben.
Sachlicher Zusammenhang erforderlich
Die Zusammenfassung mehrerer Betätigungen zu einem einheitlichen Gewerbebetrieb erfordert allgemein einen sachlichen Zusammenhang finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Art zwischen den Betätigungen.
Bei gleichartigen gewerblichen Betätigungen gilt die Vermutung eines einheitlichen Gewerbebetriebs, es sei denn, es sprechen ausnahmsweise besondere Umstände des konkreten Einzelfalls dagegen. Bei ungleichartigen gewerblichen Betätigungen liegt dagegen nur ausnahmsweise ein einheitlicher Gewerbebetrieb vor. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) im Jahr 2020 entschieden.
Dies gilt erst recht beim Zusammentreffen einer gewerblichen mit einer nicht gewerblichen Tätigkeit. Nur ganz ausnahmsweise – bei einem untrennbaren Sachzusammenhang – können auch solche Betätigungen zusammengefasst werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 29.11.2023, 13 K 986/21 G; BFH, Urteil vom 17.6.2020, X R 15/18
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (§ 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen.
Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest. Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R, PM Nr. 7/24
| Wer in der Dunkelheit mit dem Auto auf einen Betonpoller auffährt, muss nicht unbedingt für seinen Schaden selbst aufkommen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig entschieden. |
Das war geschehen
Ein Autofahrer forderte von einer Gemeinde Schadenersatz. Er war bei Dunkelheit mit seinem Fahrzeug in den mittleren von drei etwa 40 Zentimeter hohen Betonpollern hineingefahren. Die Poller hatte die Gemeinde hinter dem Einmündungsbereich einer mit einem Sackgassenschild ausgewiesenen Straße als Durchfahrtssperre aufgestellt. Nur die äußeren beiden Poller waren dabei mit jeweils drei Reflektoren versehen. Das Landgericht (LG) hatte die Gemeinde teilweise zum Schadenersatz verurteilt. Der Autofahrer müsse sich lediglich 25 Prozent Mitverschulden anrechnen lassen.
Verstoß gegen die Straßenverkehrssicherungspflicht
Dies hat das OLG nun bestätigt. Die Gemeinde habe gegen ihre Straßenverkehrssicherungspflicht verstoßen. Sie hätte die der Verkehrsberuhigung dienenden Poller so aufstellen müssen, dass die Benutzer der Straße diese gut sehen könnten, wenn sie entsprechend sorgfältig führen. Dies hätte durch gut sichtbare Markierungen und ausreichende Beleuchtung erfolgen müssen. Das gelte vor allem, weil die Poller nur eine geringe Höhe (ca. 40 cm) hatten. Solche Poller seien aus dem Sichtwinkel eines Autofahrers nur schwer zu erkennen.
Sachverständigengutachten: Poller waren nicht zu erkennen
Das OLG hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt. Danach kam es zu dem Ergebnis, dass jedenfalls der mittlere und der rechte Poller unabhängig von der Geschwindigkeit und selbst bei Tageslicht für einen von rechts in die Straße einbiegenden Kraftfahrzeugfahrer nicht erkennbar waren. Dies habe der Sachverständige anhand von Videosequenzen belegt. Auch dem Sackgassenschild habe ein Autofahrer nicht entnehmen können, dass die Straße durch Poller versperrt sein würde. Die beklagte Gemeinde habe damit in eklatanter Weise gegen ihre Verkehrssicherungspflichten verstoßen.
Quelle | OLG Braunschweig, Urteil vom 10.12.2018, 11 U 54/1
| Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat die Klage eines Nachbarn auf Durchsetzung des „Fensterrechts“ in der Berufungsinstanz abgewiesen. In erster Instanz hatte das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth den vom Kläger gegen die Grundstücksnachbarn geltend gemachten Anspruch zuerkannt, die auf der Grundstücksgrenze befindlichen Fenster großflächig blickdicht zu gestalten und geschlossen zu halten. Das OLG hat nun die Entscheidung geändert. |
Kläger beriefen sich auf Nachbarrecht
Der Kläger verlangte unter Berufung auf die bayerischen Nachbarrechtsvorschriften von den beklagten Nachbarn, die zu seinem Grundstück zugewandten Wohnraumfenster so umzubauen, dass ein Öffnen und ein Durchblicken bis zur Höhe von 1,80 m über dem Boden nicht möglich sind. Er ist Eigentümer eines im Jahr 2017 errichteten Einfamilienhauses, die Beklagten wohnen seit 2019 auf dem Nachbargrundstück. Beide Grundstücke waren zunächst Teil eines größeren Grundstücks. Infolge der Grundstücksteilung im Jahr 2000 wurde das Wohnhaus, in dem die Beklagten wohnen, zu einem Grenzbau. Die Wohnung der Beklagten hat mehrere Fenster sowie eine Balkonfenstertür, deren Abstand zur Grundstücksgrenze des Klägers weniger als 60 Zentimeter beträgt.
Oberlandesgericht machte sich ein eigenes Bild
Das OLG sah die auf das „Fensterrecht“ gestützten Anspruchsvoraussetzungen zwar grundsätzlich als gegeben, erachtete die Durchsetzung des Anspruchs im konkreten Einzelfall in der Gesamtwürdigung aber als unbillige Härte. Es hatte sich in einem Ortstermin ein eigenes Bild von den konkreten Wohnverhältnissen gemacht und die streitgegenständlichen Fenster, insbesondere die etwaig zu verschattenden Fensterflächen, die Lichtverhältnisse in sämtlichen betroffenen Räumen und die Fluchtwege der Wohnung in Augenschein genommen.
Unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten der Wohnung und in Abwägung der jeweiligen Interessen beider Seiten kam das OLG zu dem Ergebnis, dass dem Kläger ein Berufen auf das nachbarrechtliche „Fensterrecht“ im konkreten Einzelfall verwehrt ist. Maßgeblich war aus Sicht des Gerichts zum einen, dass bis zu 80 % der Fensterflächen von der blickdichten Gestaltung betroffen wären und eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr der Wohnung bei Durchsetzung des Anspruchs nicht mehr gewährleistet wäre. Zum anderen hat das Gericht berücksichtigt, dass bei einem dauerhaften Verschließen der Balkontür auch der notwendige zweite Fluchtweg nicht mehr gegeben wäre. In Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände erachtete das Gericht die Ausübung des Fensterrechts daher als unzulässig.
Quelle | OLG Nürnberg, Urteil vom 18.6.2024. 6 U 2481/22, PM 21/24
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit der Frage befasst, ob sich der Verkäufer eines fast 40 Jahre alten Fahrzeugs mit Erfolg auf einen vertraglich vereinbarten allgemeinen Gewährleistungsausschluss berufen kann, wenn er mit dem Käufer zugleich vereinbart hat, dass die in dem Fahrzeug befindliche Klimaanlage einwandfrei funktioniere, und der Käufer nunmehr Mängelrechte wegen eines Defekts der Klimaanlage geltend macht. |
Das war geschehen
Der Kläger erwarb im März 2021 im Rahmen eines Privatverkaufs von dem Beklagten zu einem Kaufpreis von 25.000 Euro einen erstmals im Juli 1981 zugelassenen Mercedes-Benz 380 SL mit einer Laufleistung von rund 150.000 km. In der Verkaufsanzeige des Beklagten auf einer Onlineplattform hieß es unter anderem: „Klimaanlage funktioniert einwandfrei. Der Verkauf erfolgt unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“.
Im Mai 2021 beanstandete der Kläger, dass die Klimaanlage defekt sei. Nachdem der Beklagte etwaige Ansprüche des Klägers zurückgewiesen hatte, ließ dieser die Klimaanlage – im Wesentlichen durch eine Erneuerung des Klimakompressors – instand setzen. Mit der Klage verlangt er von dem Beklagten den Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von rund 1.750 Euro.
So sah es der Bundesgerichtshof
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren erfolgreich weiter. Der BGH hat entschieden, dass der Beklagte sich gegenüber dem hier im Streit stehenden Schadenersatzanspruch des Klägers nicht auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen kann.
Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist in den Fällen einer (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbarten Beschaffenheit ein daneben vereinbarter allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel dahin auszulegen, dass er nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit, sondern nur für sonstige Mängel gelten soll. Eine von diesem Grundsatz abweichende Auslegung des Gewährleistungsausschlusses kommt nicht in Betracht.
Auf den Wortlaut der Internetanzeige kam es an
Der Umstand, dass der Beklagte nicht erst im schriftlichen Kaufvertrag, sondern bereits in seiner Internetanzeige – unmittelbar im Anschluss an die Angabe „Klimaanlage funktioniert einwandfrei“ – erklärt hat, dass der Verkauf „unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“ erfolge, erlaubt es nicht, den vereinbarten Gewährleistungsausschluss dahingehend zu verstehen, dass er sich auf die getroffene Beschaffenheitsvereinbarung über die (einwandfreie) Funktionsfähigkeit der Klimaanlage erstreckt. Denn gerade das – aus Sicht eines verständigen Käufers – gleichrangige Nebeneinanderstehen einer Beschaffenheitsvereinbarung einerseits und eines Ausschlusses der Sachmängelhaftung andererseits gebietet es nach der Rechtsprechung des BGH, den Gewährleistungsausschluss als beschränkt auf etwaige, hier nicht in Rede stehende Sachmängel aufzufassen, da die Beschaffenheitsvereinbarung für den Käufer andernfalls – außer im (hier nicht gegebenen) Fall der Arglist des Verkäufers – ohne Sinn und Wert wäre.
Vereinbarte Beschaffenheit kann nicht im Anschluss wieder ausgeschlossen werden
Insbesondere aber rechtfertigen in einem Fall, in dem – wie hier – die Funktionsfähigkeit eines bestimmten Fahrzeugbauteils den Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung bildet, weder das (hohe) Alter des Fahrzeugs beziehungsweise des betreffenden Bauteils, noch der Umstand, dass dieses Bauteil typischerweise dem Verschleiß unterliegt, die Annahme, dass ein zugleich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss auch für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit gelten soll. Diese Umstände (Alter des Fahrzeugs, Verschleißanfälligkeit eines Bauteils) können zwar für die übliche Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens von Bedeutung sein. Sie spielen jedoch weder für die Frage einer konkret vereinbarten Beschaffenheit noch für die hier maßgebliche Frage eine Rolle, welche Reichweite ein allgemeiner Gewährleistungsausschluss im Fall einer vereinbarten Beschaffenheit hat. Vielmehr findet der Grundsatz, dass ein vertraglich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss die Haftung des Verkäufers für einen auf dem Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit beruhenden Sachmangel unberührt lässt, auch dann uneingeschränkt Anwendung, wenn der Verkäufer die Funktionsfähigkeit eines Verschleißteils eines Gebrauchtwagens zugesagt hat.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.4.2024, VIII ZR 161/23, PM 82/2024
| Ein Hotel mit einem Fußweg von ca. 1,3 Kilometern befindet sich nicht „nur wenige Gehminuten“ von wunderschönen Stränden entfernt. So hat es das Amtsgericht (AG) München jetzt klargestellt. Es läge daher ein Reisemangel vor. |
Es ging um die Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz
Das AG verurteilte einen Reiseveranstalter zur Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit in Höhe von insgesamt 1.795 Euro. Die Klägerin hatte für sich und ihre neunjährige Tochter bei der Beklagten eine Rundreise durch Costa Rica gebucht. Die Rundreise sollte einen Aufenthalt von 4 Nächten in einem Boutique-Hotel an der Pazifikküste beinhalten.
Tatsächlich 25 Gehminuten zum Strand
Die Klägerin bemängelte, das Hotel sei mit den Worten „nur wenige Gehminuten von den besten Restaurants und wunderschönen Stränden [..] entfernt“ beschrieben worden. Dies habe nicht der Realität entsprochen. An der Rezeption sei ihr mitgeteilt worden, dass man ein Taxi nehmen müsse, um den Strand zu erreichen, da dieser 25 Gehminuten entfernt läge. Die Klägerin wandte sich daraufhin an die lokale Ansprechpartnerin der Reiseveranstalterin und buchte in Abstimmung mit dieser über eine Buchungsplattform auf eigene Kosten ein Ersatzhotel. Mit ihrer Klage machte die Klägerin Ersatz der verauslagten Kosten für die Buchung des Ersatzhotels in Höhe von 733 Euro sowie Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit wegen eines verlorenen Urlaubstages aufgrund des Hotelwechsels in Höhe von 1.062 Euro geltend.
Entfernung zugesichert?
Die Beklagte behauptete, es sei nie eine bestimmte Entfernung oder Gehzeit zum Strand zugesichert worden. Tatsächlich sei der Strand in ca. 15 Minuten zu erreichen.
Das AG gab der Klägerin in vollem Umfang Recht und führte in den Entscheidungsgründen aus, dass das Hotel aufgrund seiner Entfernung zum Strand mangelhaft sei. Zwischen den Parteien sei zwar umstritten, wie lange der Fußweg vom Hotel zum Strand dauerte. Es sei allerdings unstreitig, dass der nächstgelegene Strand des Hotels einen Fußweg von 1,3 km entfernt war. Im Rahmen der Auslegung dieses vertraglich vereinbarten Merkmals „wenige Gehminuten“ müsse auch berücksichtigt werden, dass es sich bei der gebuchten Reise um eine Reise im Hochpreissegment handelte, wurden doch für 12 Tage knapp 9.000 Euro ausgegeben – exklusive Flügen. Die Beklagte, die selbst damit wirbt, „unvergessbare Luxusreisen“ anzubieten, müsse sich insofern an ihren eigenen Ansprüchen messen lassen. Nach Überzeugung des Gerichts seien bei einer hochpreisigen Luxusreise „wenige Gehminuten“ eine Zeit, die bei normalem Gehtempo regelmäßig fünf Minuten nicht überschreite.
„Wenige Gehminuten“ = maximal 5 Minuten!
Die unstreitige Entfernung zum Strand von 1,3 km könne jedoch nur dann (noch) in fünf Minuten zurückgelegt werden, wenn eine Gehgeschwindigkeit von etwa 15,6 km/h eingehalten werden würde, was selbst für erfahrene Läufer ein ambitioniertes Tempo darstelle. Vor dem Hintergrund, dass der Beklagten bei der Reiseplanung bekannt war, dass die Klägerin mit einem neunjährigen Kind reiste – passte sie doch ihr Freizeitprogramm kindgerecht an – könne das Einhalten eines solchen Tempos nicht vorausgesetzt werden.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | AG München, Urteil vom 22.11.2023, 242 C 13523/23, PM 20/24
| Das Landgericht (LG) München I hat die Klage einer Kundin gegen einen Outlet-Betreiber auf Schmerzensgeld abgewiesen. Die Kundin hatte sich bei der Kleideranprobe durch ein Preisschild eine Augenverletzung zugezogen. |
Bei der Kleideranprobe am Preisschild verletzt
Im April 2023 probierte die klagende Kundin im Outlet-Store der Beklagten ein T-Shirt. Dabei verletzte sie sich durch ein an diesem T-Shirt angebrachtes Preisschild am rechten Auge.
Schmerzensgeld gefordert
Die Kundin hat gegen den Betreiber des Outlet-Stores deswegen Klage erhoben und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5.000 Euro gefordert. Der Betreiber des Outlet-Stores habe die ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt, da das Preisschild in seiner Ausgestaltung aufgrund fehlender Sicherung und Erkennbarkeit gefährlich gewesen sei. Das Preisschild habe ihr bei der Anprobe ins Auge geschlagen. Sie habe dadurch eine erhebliche Verletzung am rechten Auge erlitten. Es sei erforderlich gewesen, an dem verletzten Auge eine Hornhauttransplantation durchzuführen. Bis heute leide sie unter Schmerzen und sei weiterhin in ihrer Sicht eingeschränkt sowie besonders blendempfindlich.
Preisschilder vorgeschrieben
Der Betreiber des Outlet-Stores hat eingewandt, bei dem verwendeten Preisschild handle es sich um ein übliches Standardpreisschild in der Größe von ca. 9 cm x 5 cm mit abgerundeten Ecken und einer flexiblen Rebschnur. Die Preisschilder seien durch ihre Größe und das Gewicht des Bündels deutlich fühlbar gewesen. Vergleichbare Fälle von aufgetretenen Verletzungen seien ihm nicht bekannt. Zudem sei es gesetzlich vorgeschrieben, entsprechende Preisschilder an den Waren anzubringen.
Amtsgericht weist Klage ab
Das AG hat die Klage abgewiesen. Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt stehe der Kundin ein Anspruch auf Schmerzensgeld gegenüber dem Betreiber des Outlet-Stores zu. Wenn sich im Zuge einer Kleideranprobe in einem Outlet eine Kundin durch ein übliches Preisschild am Auge verletzt, hafte der Betreiber dafür nicht, so das AG.
Zur Begründung hat das AG ausgeführt, sichernde Maßnahmen seien nur in dem Maße geboten, in dem sie ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei müsse der Geschäftsbetreiber nicht für alle denkbar entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es komme vielmehr auch entscheidend darauf an, welche Möglichkeiten der Geschädigte hat, sich vor erkennbaren Gefahrquellen selbst zu schützen.
Im hier entschiedenen Einzelfall habe der Betreiber des Outlet-Stores den an ihn gerichteten Verkehrssicherungspflichten Genüge getan. Für die Kundin sei das Vorhandensein eines Preisschildes erwartbar und das Treffen eigener Sicherheitsvorkehrungen zumutbar gewesen.
Nach allgemeiner Lebenserfahrung werfe ein Kunde bereits vor der Anprobe einen Blick auf das Preisschild und könne daher ohne Weiteres selbst dafür sorgen, dass er sich bei der Anprobe nicht verletze. Die Forderung der Kundin, gesondert auf das Vorhandensein von Preisschildern an der Kleidung hinzuweisen, hielt das Gericht für lebensfremd und nicht zumutbar.
Quelle | LG München I, Urteil vom 28.5.2024, 29 O 13848/23, PM 5/24
| Das Landgericht (LG) Paderborn hat in einem Mietrechtsstreit über Feuchtigkeitserscheinungen in einer Altbauwohnung Klartext gesprochen. Es gab dem Mieter überwiegend recht. |
Baujahr ändert nichts an Mangel
Das LG: Erheblich durchfeuchtete Wände mit sichtbaren Salzausblühungen und feuchtigkeitsbedingt zerbröselndem Putz stellen auch in einer Altbauwohnung aus den 1920er Jahren einen Mietmangel dar. Dabei hat das LG berücksichtigt, dass die Wände teils erst ab einer Höhe von ca. einem Meter über dem Fußboden „normal“ trockene Messwerte zeigen und die Feuchtigkeit ausschließlich bauliche Ursachen hat.
Anspruch auf Beseitigung und Minderung
Der klagenden Mieterin sprach das LG deshalb einen Anspruch gegen ihren Vermieter auf Beseitigung der Feuchtigkeit in den Wohnungswänden zu. Es nahm aufgrund der feuchten Wände und den damit einhergehenden Nachteilen u. a. für Wohnklima und Optik – anders als das erstinstanzliche Gericht – zudem eine erhebliche Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs an und bejahte ein Mietminderungsrecht der Klägerin.
Keinen Mangel sah das LG hingegen im konkreten Fall in den ebenfalls durchfeuchteten Kellerwänden des Mietobjekts. Daher wies es die Berufung der Klägerin insofern zurück.
Quelle | LG Paderborn, Urteil vom 6.3.2024, 1 S 72/222, PM vom 6.3.2024
| Der Vermieter darf, um vom Mieter verursachte Blutlachen im Treppenhaus und Eingangsbereich zu beseitigen, eine – teure – Spezialfirma für die Reinigung eines Tatorts nach Suizid oder Unfall mit den Reinigungsarbeiten beauftragen. Er muss auch nicht zuvor den Mieter beauftragen, um die Kosten gering zu halten, wenn der Mieter nicht über die ausreichende Qualifikation verfügt, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. So hat es das Amtsgericht (AG) Frankfurt/Main entschieden. |
Mieter hatte Blutspuren versuracht
Der Wohnungsmieter stand unter Betreuung. Eines Tages trat er nach einer Verletzung stark blutend aus seiner Wohnung in das Treppenhaus und anschließend durch die Haustür nach draußen. Dabei hinterließ er massive Blutspuren. Daraufhin beauftragte die Vermieterin eine Spezialfirma mit der Reinigung und Desinfektion des Treppenhauses und des Eingangsbereichs. Die Vermieterin stellte dem Mieter über seinen Betreuer die Kosten in Höhe von rd. 1.930 Euro in Rechnung. Der Mieter zahlte nicht, daher klagte die Vermieterin.
Kostenerstattungsanspruch des Vermieters
Mit Erfolg: Die Vermieterin habe gegen den Mieter einen Kostenerstattungsanspruch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 280 Abs. 1 BGB) in Verbindung mit dem Mietvertrag, so das AG. Der Mieter habe dadurch, dass er nach einer Verletzung stark blutend durch das Treppenhaus und durch die Hauseingangstür ging und dabei größere Mengen Blut ungehindert auf den Boden laufen ließ, schuldhaft gegen den Mietvertrag verstoßen. Die Vermieterin war verpflichtet, unverzüglich die Blutspuren beseitigen zu lassen, zum einen, um die Gefahr von Stürzen infolge des Ausrutschens auf den Blutlachen zu vermeiden und zum anderen, um einer Infektionsgefahr bei Kontakt mit dem Blut entgegenzutreten.
Sie habe den Mieter nicht selbst beauftragen können, um die Kosten gering zu halten, da dieser nicht über die ausreichende Qualifikation verfügte, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. Zudem hätte die Entfernung nicht unverzüglich erfolgen können, da der Mieter offenkundig verletzt war. Die Vermieterin habe auch nicht gegen eine ihr obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen, indem sie ein Fachunternehmen für Tatortreinigung beauftragte. Sie war gehalten, sicherzustellen, dass keine Gefahr für Mitbewohner und Besucher bestehen bleibt, was nur durch ein spezialisiertes Reinigungsunternehmen gewährleistet war.
Vergleichsangebote nicht nötig
Es stellt auch keinen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar, dass die Vermieterin keine (drei) Vergleichsangebote eingeholt hat. Denn sie musste unverzüglich tätig werden, um die Gefahrenquelle zu beseitigen.
Qualität der Fachfirma nicht „kriegsentscheidend“
Auch kommt es nicht darauf an, ob die von der Vermieterin beauftragte Fachfirma möglicherweise unsachgemäß oder unwirtschaftlich gearbeitet hat und dadurch höhere Kosten entstanden sind. Denn ein Schädiger muss solche Kosten auch dann ersetzen, wenn den Geschädigten kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft.
Quelle | AG Frankfurt/Main, Urteil vom 10.8.2023, 33 C 1898/23
| Zur Errichtung eines wirksamen gemeinschaftlichen Testaments müssen beide Ehegatten testierfähig sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Das war geschehen
Die beiden Ehegatten hatten sich durch gemeinschaftliches Testament gegenseitig als Alleinerben eingesetzt. Dieses Testament wurde von der Ehefrau eigenhändig geschrieben und unterschrieben sowie vom Erblasser eigenhändig unterschrieben. Mit einer Ergänzung dieses Testaments, errichtet in gleicher Weise, ordneten die Ehegatten später eine Vor- und Nacherbschaft dergestalt an, dass der überlebende Ehegatte befreiter Vorerbe und ihre gemeinsame Tochter Nacherbin sein sollte. Bereits zwei Jahre vor dieser Ergänzung des Testaments wurde die Ehefrau wegen einer Demenzerkrankung in einem Pflegeheim untergebracht. Ein Jahr vor der Ergänzung des gemeinschaftlichen Testaments tötete der Erblasser seine Schwester und wurde in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht, in der er sich das Leben nehmen wollte.
Nach dessen Tod beantragte die überlebende Ehefrau, vertreten durch ihre Tochter, einen Erbschein des Inhalts, dass sie alleinige befreite Vorerbin des Erblassers geworden sei und die Nacherbfolge der Tochter nach ihrem Tod als Vorerbin eintrete. Sie hat sich zur Begründung ihres Antrags auf die beiden letzten gemeinschaftlichen Testamente gestützt. Der gemeinsame Sohn der Ehegatten ist dem Antrag entgegengetreten. Er begründete dies damit, sowohl der Erblasser als auch die Antragstellerin seien zum Zeitpunkt der Errichtung beider Testamente testierunfähig gewesen.
Nachlassgericht deutete Testamente um
Das Nachlassgericht ist nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Überzeugung gelangt, dass die Antragstellerin testierunfähig gewesen ist. Bezogen auf den Erblasser hat sich hingegen nicht die Überzeugung von einer Testierunfähigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung der vorgenannten Testamente gebildet. Die Testamente könnten jeweils in ein Einzeltestament des Erblassers umgedeutet werden, weshalb es die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet hat. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Sohn der Ehegatten mit der Beschwerde und begehrte die Zurückweisung des Erbscheinsantrages.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat den Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückgewiesen und ausgeführt, dass die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen nicht für festgestellt zu erachten seien.
Ein wirksames gemeinschaftliches Ehegattentestament setze voraus, dass beide Ehegatten bei der Testamentserrichtung testierfähig sind. Ein Testament könne nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Da ein gemeinschaftliches Testament vom Willen beider Eheleute getragen sei, erfordere eine wirksame Verfügung von Todes wegen die Testierfähigkeit eines jeden Ehegatten. Daran fehle es bei einem Ehegatten, weshalb der Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückzuweisen sei.
Eine Umdeutung des unwirksamen gemeinschaftlichen Testaments in ein Einzeltestament des Erblassers komme hier nicht in Betracht, weil der Erblasser die getroffenen Anordnungen nicht eigenhändig geschrieben, sondern den von der Antragstellerin geschriebenen Text nur unterschrieben habe. Die Umdeutung als Einzeltestament komme hier nur für den Teil in Betracht, der die Verfügung eigenhändig – hier also die Antragstellerin – niedergelegt habe.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 14.3.2024, 6 W 106/23
| Vertragsfristen können nicht nur bei Abschluss des Bauvertrags, sondern auch während der Bauausführung vereinbart werden. So kann einem gestörten Bauablauf dadurch Rechnung getragen werden, dass überholte oder nicht mehr einhaltbare Fristen durch eine Terminplanfortschreibung einvernehmlich angepasst werden, wobei diese Fortschreibung wiederum Vertragsfristen und unverbindliche Kontrollfristen beinhalten kann. Das hat das Kammergericht (KG) Berlin klargestellt. |
Beachten Sie | Die Entscheidung des KG gilt auch für Planungsterminpläne. Sie ist durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH rechtskräftig geworden.
Quelle | KG Berlin, Urteil vom 24.01.2023, 27 U 154/21, rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 25.10.2023, VII ZR 20/23
| Stichprobenartige Prüfungen von Wärmedämmarbeiten reichen nicht aus, um eine mangelfreie Objektüberwachung zu gewährleisten. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg. |
Im konkreten Fall hatte der Architekt nicht bemerkt, dass nur 8 cm PUR-Dämmung statt der vertraglich geschuldeten 9 cm eingebaut wurden. Das hätte aber sogar eine Stichprobe ergeben müssen, so das OLG. Es machte den Architekten daher für den Austausch der Dämmung haftbar.
Es sprach Klartext: Umfang und Intensität der geschuldeten Überwachung hängen von den Anforderungen der Baumaßnahme sowie den konkreten Umständen ab. Einfache Arbeiten bedürfen keiner Überwachung. Demgegenüber unterliegt die Überwachung von Wärmedämmarbeiten höheren Anforderungen.
Die Entscheidung ist jetzt rechtskräftig.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 8.11.2022, 2 U 10/22
| Die Regelverjährungsfrist beim Werkvertrag für Planung und Bauüberwachung beträgt fünf Jahre. Doch Achtung: Diese Frist kann durch eine sog. Hemmung verlängert werden. Die Folge: Planer und Architekten können länger in der Gewährleistung bleiben und unter Umständen in Anspruch genommen werden. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Ernsthafter Meinungsaustausch erforderlich
Voraussetzung: Die Verjährung hemmende Verhandlungen erfordern einen ernsthaften Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen.
Nicht ausreichend: bloße Erklärungen
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen nicht die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein. Ein solcher Meinungsaustausch hemmt die Verjährung nicht.
Quelle | OLG Köln, Beschluss vom 2.3.2023, 19 U 55/22, rechtskräftig durch BGH, Beschluss vom 8.11.2023, VII ZR 54/23
| Die unterlassene Aufnahme einer Arbeit ist kein sozialwidriges Verhalten, wenn das Jobcenter den Betroffenen „allein lässt“ und nicht die nötige Hilfe leistet. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen entschieden. |
Langzeitarbeitsloser bewarb sich jahrelang erfolglos
Zugrunde lag das Verfahren eines Langzeitarbeitslosen, der bis 2003 als Buchhalter gearbeitet hatte. Hiernach folgten Zeiten der Arbeitslosigkeit und verschiedene Hilfsarbeiten. Der Mann bewarb sich viele Jahre erfolglos als Buchhalter, bis das Jobcenter schließlich ab 2017 keine weiteren Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen übernahm. Es müsse ein Strategiewechsel stattfinden, insbesondere weil Bewerbungen als Buchhalter nach so langer Zeit nicht mehr erfolgversprechend seien. Überraschend erhielt der Mann dennoch 2019 einen Arbeitsvertrag als Buchhalter bei einer Behörde in Düsseldorf. Zur Arbeitsaufnahme kam es jedoch nicht, weil das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution für eine neue Wohnung ablehnte und er deshalb nicht umziehen konnte.
Kein Verschulden des Arbeitslosen
2020 machte das Jobcenter gegenüber dem Mann eine Erstattungsforderung wegen sozialwidrigen Verhaltens geltend, da er nicht zum Einstellungstermin erschienen sei. Er müsse daher Grundsicherungsleistungen von rd. 6.800 Euro erstatten. Hiergegen klagte der Mann. Den Mietvertrag in Düsseldorf habe er nicht unterschrieben, weil er kein Geld für die Kaution gehabt habe und noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen gewesen sei. Das LSG hat die Rechtsauffassung des Klägers bestätigt. Der Nichtantritt einer außerhalb des Tagespendelbereichs gelegenen Arbeitsstelle stelle kein sozialwidriges Verhalten im Sinne eines objektiven Unwerturteils dar, wenn der Arbeitsuchende am künftigen Beschäftigungsort keine Wohnung anmieten könne, weil ihm selbst die Mittel für eine Mietkaution fehlten und das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution abgelehnt habe.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.1.2023, L 11 AS 336/21
| Eine öffentliche Verwaltung kann das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, verbieten, um ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen. Eine solche Regel ist nicht diskriminierend, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf das gesamte Personal dieser Verwaltung angewandt wird und sich auf das absolut Notwendige beschränkt. So sieht es der Europäische Gerichtshof (EuGH). |
Verbot eines islamischen Kopftuchs
Eine belgische Gemeinde hatte einer Bediensteten, die als Büroleiterin ganz überwiegend ohne Publikumskontakt tätig ist, untersagt, am Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen. Anschließend änderte die Gemeinde ihre Arbeitsordnung und schrieb in der Folge ihren Arbeitnehmern strikte Neutralität vor: Das Tragen von auffälligen Zeichen ideologischer oder religiöser Zugehörigkeit verbot sie allen Arbeitnehmern, auch denen ohne Publikumskontakt. Die Büroleiterin fühlte sich diskriminiert und in ihrer Religionsfreiheit verletzt.
Lag Diskriminierung vor?
Dem mit dem Rechtsstreit befassten Arbeitsgericht (ArbG) Lüttich stellt sich die Frage, ob die von der Gemeinde aufgestellte Regel der strikten Neutralität eine gegen das Unionsrecht verstoßende Diskriminierung begründet. Der EuGH antwortete, dass die Politik der strikten Neutralität, die eine öffentliche Verwaltung ihren Arbeitnehmern gegenüber durchsetzen will, um bei sich ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen, als durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt angesehen werden kann.
Wertungsspielraum der Mitgliedsstaaten, wie „Neutralität“ ausgestaltet wird
Ebenso gerechtfertigt ist die Entscheidung einer anderen öffentlichen Verwaltung für eine Politik, die allgemein und undifferenziert das Tragen von sichtbaren Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen, auch bei Publikumskontakt, gestattet, oder ein Verbot des Tragens solcher Zeichen beschränkt auf Situationen, in denen es zu Publikumskontakt kommt. Die Mitgliedsstaaten und die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten verfügen über einen Wertungsspielraum bei der Ausgestaltung der Neutralität des öffentlichen Dienstes, die sie in dem für sie spezifischen Kontext am Arbeitsplatz fördern wollen. Dieses Ziel muss aber in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, und die zu seiner Erreichung getroffenen Maßnahmen müssen sich auf das absolut Notwendige beschränken. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob diese Anforderungen erfüllt sind.
Quelle | EuGH, Urteil vom 28.11.2023, C-148/22
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Aachen hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer Anspruch auf die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung gegenüber seiner Arbeitgeberin hat. Er darf diesen auch im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzen. |
Das war geschehen
Der schwerbehinderte Arbeitnehmer ist seit September 1988 bei der Arbeitgeberin – einem Unternehmen, das Bauelemente herstellt und vertreibt, – als Verkaufs- und Vertriebsleiter tätig. Er ist wegen eines Hirntumors seit April 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und war bis zum 10.4.2024 fahruntüchtig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird nach Erreichen der Regelaltersgrenze des Arbeitnehmers mit dem Ablauf des Monats Oktober 2024 enden. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrte der Arbeitnehmer, ihn ab Mitte März 2024 entsprechend einem ärztlichen Wiedereingliederungsplan nach dem sog. „Hamburger Modell“ zu beschäftigen, um zeitnah an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu können.
Fehlende Fahrtüchtigkeit steht Wiedereingliederung nicht im Weg
Das ArbG gab dem Antrag des schwerbehinderten Arbeitnehmers statt, da die Arbeitgeberin verpflichtet sei, an der stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken. Dem stehe die fehlende Fahrtüchtigkeit des Arbeitnehmers nicht entgegen. Der Arbeitnehmer könne während der Fahruntüchtigkeit zu Beginn der Wiedereingliederung zunächst seinem Aufgabenprofil entsprechende Büroarbeiten erledigen.
Sache ist eilbedürftig
Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung besondere Eilbedürftigkeit ergab sich nach Auffassung des Arbeitsgerichts daraus, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer auf die zeitnahe Wiedereingliederung angewiesen sei. Demgegenüber würde eine Versagung der Wiedereingliederung den Teilhabeanspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers am Erwerbsleben vereiteln oder jedenfalls erheblich erschweren. Auch der nahe Renteneintritt des Arbeitnehmers ändert nach Ansicht des ArbG nichts am Eilbedürfnis.
Quelle | ArbG Aachen, Urteil vom 12.3.2024, 2 Ga 6/24, PM 1/24
| Für Bühnenkünstler gewährt die Rechtsprechung pauschalierten Schadenersatz von bis zu sechs Monatsgagen pro Spielzeit, wenn der Arbeitgeber den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers verletzt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied nun: Dieser Anspruch kann nicht auf den Profimannschaftssport übertragen werden. |
Saisonabbruch in der Corona-Pandemie: Kläger durfte nicht spielen
Der Kläger ist Eishockeyspieler. Er stritt mit seinem Arbeitgeber über einen Schadenersatzanspruch. Sein Arbeitgeber, der Beklagte, hatte ihn in der Saison 2019/2020 nicht beschäftigt, da diese aufgrund der Corona-Pandemie abgebrochen wurde. Bis dahin fungierte er als Kapitän und Leistungsträger der Mannschaft.
Außerordentliche fristlose Kündigung
Die Beklagte sprach eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung aus und bot gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis mit einer verringerten Vergütung fortzusetzen. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen an und erhob eine Änderungsschutzklage. Daraufhin stellte die Beklagte den Kläger vom Mannschaftstraining frei. Durch einstweilige Verfügung erstritt der Kläger die Zulassung zum Trainingsbetrieb. Anschließend erfolgte eine außerordentliche fristlose Kündigung.
Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen und der fristlosen Kündigung fest. Die tatsächliche Teilnahme am Training wurde dem Kläger jedoch durchgängig verweigert. Er ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Schadenersatz aufgrund der Weigerung der Beklagten, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Ihm sei ein Schaden in seinem beruflichen Fortkommen entstanden, da er als Eishockeyprofi seine beruflichen Fertigkeiten nicht im Mannschaftstraining habe weiterentwickeln und verbessern können. Dadurch habe sein Marktwert gelitten, denn ein Profimannschaftssportler bedürfe der ständigen Trainingspraxis. Die Beklagte habe sich ihm gegenüber durchgängig unlauter verhalten. Die Vorinstanzen gaben der Klage in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern statt und wiesen die weitergehende Klageforderung ab.
Kläger blieb vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos
Vor dem BAG blieb der Kläger erfolglos. Er hat keinen Anspruch auf weiteren Schadenersatz wegen der Verletzung seines Beschäftigungsanspruchs. Zwar besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung und damit korrespondierend eine Pflicht des Arbeitgebers, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Die Beklagte hatte den Beschäftigungsanspruch auch schuldhaft verletzt, indem sie ihn vom Mannschaftstraining suspendiert hatte. Dies und die anschließende außerordentliche fristlose Kündigung seien zudem eine Maßregelung gewesen, da der Kläger lediglich in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hatte.
Der Kläger hat aber nicht ausreichend dargelegt, dass ihm infolge der Verletzung der Beschäftigungspflicht ein solcher Schaden entstanden sei. Zudem dürfen, so das BAG, Schadenersatzansprüche von Profimannschaftssportlern nicht in Anlehnung an die Rechtsprechung für andere Berufsgruppen, z. B. Bühnenkünstler, pauschalierend festgesetzt werden. Für die Schätzung des Schadens eines Profimannschaftssportlers bedürfe es greifbarer Tatsachen. Hieran fehlte es vorliegend. Mangels konkreter Anhaltspunkte könnte nur eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens erfolgen, die vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre.
Quelle | BAG, Urteil vom 29.2.2024, 8 AZR 359/22
| Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, sind diese Vorteile steuerfrei, soweit sie den Rabattfreibetrag von 1.080 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)). Das Landesozialgericht (LSG) Bayern musste nun in einem Konzernfall über die Beitragspflicht von Warengutscheinen entscheiden. Dabei hat es herausgestellt, dass hinsichtlich des Arbeitgeberbegriffs keine unterschiedliche Beurteilung nach Steuer- und nach Beitragsrecht veranlasst ist. |
Arbeitgeber kann nur derjenige sein, der die Arbeitsverträge mit den Beschäftigten abgeschlossen hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, den der Bundesfinanzhof (BFH) für das Steuerrecht aufgestellt hat.
Begriff des „Arbeitgebers“: keine Konzernklausel
Der BFH hat es abgelehnt, den Begriff des Arbeitgebers über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen. Im Vorfeld der gesetzlichen Neuregelung wurde eine Konzernklausel ausdrücklich diskutiert.
Da sie aber nicht aufgenommen worden ist, kann daraus geschlossen werden, dass sich die bereits in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Meinung durchgesetzt hat, nach der § 8 Abs. 3 EStG nicht für Waren und Dienstleistungen gelten soll, die nicht im Unternehmen des Arbeitgebers hergestellt, vertrieben oder erbracht werden. Es sollen weder Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften noch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel steuerlich begünstigt werden.
Warengutscheine = Sachbezüge
Nach Ansicht des LSG hat das Unternehmen im Streitfall auch keinen so gewichtigen Beitrag geleistet, als dass es unter Anwendung des „erweiterten Hersteller- bzw. Vertreiberbegriffs“ als Hersteller bzw. Vertreiber der Waren i. S. des § 8 Abs. 3 EStG angesehen werden kann. Deshalb handelt es sich bei den Warengutscheinen um Sachbezüge, für die Beiträge erhoben werden müssen.
Quelle | LSG Bayern, Urteil vom 6.6.2023, L 7 BA 80/22, Abruf-Nr. 240136; unter www.iww.de; BFH, Urteil vom 26.4.2018, VI R39/16
| Mit einem kuriosen Nachbarstreit zwischen einem Restaurantbetreiber und dem Anbieter von Parkraum hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Dem Restaurantbesitzer drohen nun 250.000 Euro Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft. |
Das war geschehen
Der Parkplatzbetreiber hatte die Parkgebühren angehoben und den bislang gewährten Rabatt für die Besucher des Restaurants abgeschafft. Daraufhin positionierte der Restaurantbesitzer gezielt eigene Mitarbeiter an der Parkschranke, um die Autofahrer von der Einfahrt in den Parkplatz abzuhalten und auf andere, kostenfreie Plätze in der Nähe zu verweisen. Dieses Verhalten stellt eine unzulässige Verletzungshandlung dar, die darauf angelegt ist, den Betrieb des Parkraumbewirtschafters zu schädigen, entschied das LG. Es untersagte in einem Eilverfahren entsprechende Aktionen.
Boykottaufruf unverhältnismäßig
Das Argument, über den Rabatt für Restaurantkunden gebe es eine Vereinbarung und die hohen Parkkosten hätten bereits Kunden abgeschreckt und vom Besuch abgehalten, überzeugte das LG nicht. Das Vorgehen des Restaurantbetreibers sei unverhältnismäßig.
Im Bereich der Einfahrt gezielt Parkplatzsuchende anzusprechen, um diese zum anderweitigen Parken zu bewegen, sei eine gegen das Geschäftsmodell des Parkraumanbieters gerichtete verbotene Eigenmacht. Es seien nicht nur Restaurantbesucher, sondern sämtliche Parkplatzsuchende angesprochen und zum Boykott des Parkplatzes aufgerufen worden. Der Restaurantbesitzer müsse seine Kunden auf andere Weise darüber informieren, dass die Parkgebühren nicht mehr übernommen werden und den Streit um den Parkrabatt, wenn nötig, gerichtlich austragen.
„Saftiges“ Ordnungsgeld droht
Für den Fall, dass der Restaurantbetreiber dem Urteil zuwiderhandelt, hat das LG ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro sowie Ordnungshaft angedroht.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 18.1.2024, 5 O46/23, PM vom 30.4.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. |
Der Hintergrund
Amazon ist weltweit u. a. im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27.12.2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd. USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd. USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd. USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio. Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit.
Das war geschehen
Das Bundeskartellamt hatte festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als sog. Torwächter benannt.
Das sagt der Bundesgerichtshof
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt hat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (hier: § 19 a Abs. 1 GWB) zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.
Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Stores) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen.
Das heißt „marktübergreifende Bedeutung“
Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotenzial durch die Vorschrift adressiert wird. § 19 a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen.
Bundeskartellamt: zutreffende Feststellungen
Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von Amazon Web Services, Inc. (AWS). Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.
Die jetzige Geltung der Regelungen des Digital Markets Acts (DMA) und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.
Quelle | BGH, Beschluss vom 23.4.2024, KVB 56/22, PM 97/24
| Durch die Unwetter mit Hochwasser in der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 2024 sind in weiten Teilen Baden-Württembergs beträchtliche Schäden entstanden. Die Beseitigung dieser Schäden wird bei vielen Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Daher möchte das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen entgegenkommen. |
Möglich sind u. a.:
- Anpassung steuerlicher Vorauszahlungen,
- Stundung fälliger Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuerbeträge und
- Aufschub von Vollstreckungen.
Beachten Sie | Auch in anderen Bundesländern sind im Mai und Juni 2024 durch die Unwetter mit Hochwasser Schäden entstanden. Daher wurden auch für Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland Katastrophenerlasse mit steuerlichen Erleichterungen veröffentlicht. Dabei ist zu beachten, dass einige Erlasse bereits aktualisiert wurden.
Quelle | FinMin Baden-Württemberg, Erlass vom 20.6.2024; Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft Saarland, Erlass vom 21.5.2024; Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Erlass vom 25.6.2024; Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, Erlass vom 24.6.2024
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen. Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest.
Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R; BSG, PM Nr. 7/24 vom 22.2.2024
| Der Bundesrat hat dem Postrechtsmodernisierungsgesetz (PostModG) Anfang Juli 2024 zugestimmt. Dadurch werden insbesondere die Laufzeitvorgaben für die Zustellung von Briefen verlängert. Folgerichtig erfolgte auch eine Anpassung der Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (z. B. Steuerbescheiden). |
Einspruchsfrist von einem Monat
Zum Hintergrund: Das Problem, „Recht zu haben, aber es nicht zu bekommen“, ergibt sich immer dann, wenn ein Steuerbescheid zu einer zu hohen Steuerfestsetzung führt, es jedoch versäumt wurde, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat Einspruch einzulegen. Für den fristgerechten Eingang beim Finanzamt kommt es darauf an, wann der Bescheid bekannt gegeben wurde und wann die Einspruchsfrist endet.
Gesetzliche Neuregelung: Vier- statt Dreitagesfiktion
Um die Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach der Abgabenordnung an die verlängerten Laufzeitvorgaben anzupassen, wird aus der bisherigen Dreitages- eine Viertagesfiktion. Damit gelten Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte künftig als am vierten Tag nach deren Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, statt wie bisher nach drei Tagen.
Was unverändert bleibt: Fällt der vierte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, erfolgt die Bekanntgabe am nächstfolgenden Werktag. Die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Samstagen wurde nicht umgesetzt.
Die Neuregelung gilt für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.2024 übermittelt werden.
Neuregelung ab dem Jahr 2025
Beispiel: Das Finanzamt versendet an den Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid. Er gibt den Brief am Dienstag, den 14.1.2025, zur Post. Bekanntgabezeitpunkt ist der 20.1.2025 (Montag), da der 18.1.2025 („vier Tage“) ein Samstag ist.
Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Einspruchsfrist endet somit am 20.2.2025 um 24:00 Uhr.
Beachten Sie | Auch ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt gilt am dritten (ab 2025: vierten) Tag nach der Absendung als bekannt gegeben.
Steuerbescheid später zugegangen oder nicht erhalten
Die Bekanntgabefiktion gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich später oder gar nicht zugegangen ist.
Hier ist wie folgt zu unterscheiden:
- Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang, ist das Finanzamt regelmäßig nicht in der Lage, den Zugang nachzuweisen. Daher ist eine erneute (ordnungsgemäße) Bekanntgabe erforderlich.
- Behauptet der Steuerpflichtige einen späteren Zugang, muss er dies substanziiert darlegen bzw. nachweisen. Dabei stellt eine Abwesenheit wegen Urlaubs regelmäßig keine spätere Bekanntgabe dar.
Quelle | PostModG, BR-Drs. 298/24 (B) vom 5.7.2024; DStV, Mitteilung vom 13.6.2024
| Bei der Erbschaftsteuer zählt ein Parkhaus zum nichtbegünstigten Verwaltungsvermögen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) aktuell entschieden. |
Das war geschehen
Der Steuerpflichtige war testamentarisch eingesetzter Alleinerbe seines im Jahr 2018 verstorbenen Vaters (= Erblasser). Zum Erbe gehörte ein mit einem Parkhaus bebautes Grundstück. Der Erblasser hatte das Parkhaus als Einzelunternehmen ursprünglich selbst betrieben und ab dem Jahr 2000 dann unbefristet an seinen Sohn verpachtet.
Finanzamt: Parkhaus ist Verwaltungsvermögen
Das Finanzamt stellte den Wert des Betriebsvermögens fest und behandelte das Parkhaus dabei als sogenanntes Verwaltungsvermögen, das bei der Erbschaftsteuer nicht begünstigt ist. Das Finanzgericht (FG) und der BFH schlossen sich dieser Auffassung an.
Grundsätzlich wird Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer privilegiert. Das gilt allerdings nicht für bestimmte Gegenstände des Verwaltungsvermögens. Darunter fallen dem Grunde nach auch Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke. Diese können im Rahmen der Erbschaftsteuer zwar auch begünstigt sein, etwa wenn (wie im Streitfall) der Erblasser seinen ursprünglich selbst betriebenen Gewerbebetrieb unbefristet verpachtet und den Pächter testamentarisch als Erben einsetzt.
Keine erbschaftsteuerliche Privilegierung
Eine Ausnahme besteht dabei jedoch für solche Betriebe, die schon vor der Verpachtung nicht die Voraussetzungen der erbschaftsteuerrechtlichen Privilegierung erfüllt haben. Dies ist bei einem Parkhaus der Fall. Denn die dort verfügbaren Parkplätze als Teile des Parkhausgrundstücks wurden schon durch den Erblasser als damaligem Betreiber an die Autofahrer – und somit an Dritte – zur Nutzung überlassen.
Beachten Sie | Zudem handelt es sich dabei auch nicht um die Überlassung von Wohnungen, die der Gesetzgeber wiederum aus Gründen des Gemeinwohls für die Erbschaftsteuer privilegiert hat.
Keine Rolle spielt auch, ob zu der Überlassung der Parkplätze weitere gewerbliche Leistungen (z. B. eine Ein- und Ausfahrtkontrolle und eine Entgeltzahlungsdienstleistung) hinzukommen. Darauf stellt das Erbschaftsteuergesetz nämlich nicht ab.
Der BFH sah auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Grundstücksüberlassungen, wie z. B. im Rahmen des Absatzes eigener Erzeugnisse durch einen Brauereibetrieb oder im Zusammenhang mit einer land- und forstwirtschaftlichen Betriebstätigkeit. Dass der Gesetzgeber solche Betriebe (wie auch die erwähnten Wohnungsunternehmen) als förderungswürdig ansah, ist von seinem weiten Entscheidungsspielraum gedeckt.
Quelle | BFH, Urteil vom 28.2.2024, II R 27/21
| Oft werden private Ausfahrten zugeparkt oder der private Parkplatz von anderen unberechtigt genutzt. Das störende Fahrzeug muss dann abgeschleppt werden und der Berechtigte muss zusehen, wie er etwaig verauslagte Kosten, z. B. Verwahrkosten, erstattet erhält. Hierzu hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) Wissenswertes entschieden. |
Parken trotz Parkverbots
Der auf den Kläger zugelassene Pkw wurde von dessen Schwester im Innenhof eines privaten Gebäudekomplexes abgestellt, der von einer Immobilienverwalterin verwaltet wird. An der Hofeinfahrt war ein Parkverbotsschild mit dem Zusatz „gilt im gesamten Innenhof“ angebracht. Die Verwalterin beauftragte die Beklagte, das Fahrzeug abzuschleppen, es anschließend zu verwahren und vor Wertminderung sowie unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern. Die Beklagte verbrachte das Fahrzeug noch am selben Tag auf ihr Firmengelände. Kurz darauf forderte der Kläger von der Beklagten schriftlich unter Fristsetzung, das Fahrzeug herauszugeben. Auf das Schreiben erfolgte keine Reaktion.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten zunächst die Herausgabe seines Fahrzeugs verlangt. Nach erfolgter Herausgabe während des Prozesses haben die Parteien die Herausgabeklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Gegenstand des Verfahrens war dann nur noch die Frage, wer die Standkosten tragen musste.
Herausgabeverlangen: Auf den Zeitpunkt kommt es an
Die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser entschied: Zu erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters.
Es kommt auch ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät.
Quelle | BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22
| Muss der Verkäufer einer Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze unaufgefordert über den Härtegrad der Matratze aufklären und beraten? Das Amtsgericht (AG) Hannover hat diese Frage verneint. Es hat entschieden, dass ein Verkäufer im Grundsatz nur dann über den Härtegrad einer Matratze aufklären und beraten muss, wenn der Käufer danach fragt. |
Matratze war Käuferin zu hart: Verkäuferin bot Rabatt an
Die Klägerin kaufte im November 2022 bei der Beklagten eine Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze für ihre Tochter, die zuvor für wenige Minuten zur Probe gelegen hatte. Im Kaufvertrag war für die Matratze der Härtegrad H5 angegeben. Nachdem die Möbel im Januar 2023 geliefert worden waren, empfanden die Klägerin und ihre Tochter die Matratze als zu hart. Dies reklamierte die Klägerin bei der Beklagten. Diese bot der Klägerin u. a. einen Rabatt auf zwei neue Matratzen an, verweigerte aber eine Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klägerin erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Rückabwicklung des Kaufvertrags?
Mit der Klage hatte die Käuferin eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Bettes nebst Matratze verlangt. Sie meinte, es sei für den Verkäufer klar erkennbar gewesen, dass das Schlafzimmer für ihre Tochter gewesen sei. Für das Gewicht ihrer Tochter sei aber ein Härtegrad von H2 angemessen.
Die Verkäuferin hatte vorgetragen, dass die Klägerin keine Beratung gewünscht habe. Sie habe es vielmehr sehr eilig gehabt, da sie einen Transporter angemietet habe. Sie habe sich lediglich nach einem Rabatt erkundigt, sonst aber keine Fragen gestellt.
So sah es das Amtsgericht
Das AG hat die Klage abgewiesen. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die erworbene Matratze nicht mangelhaft war. Denn die Klägerin habe genau das bekommen, was vertraglich vereinbart war, nämlich eine Matratze des Härtegrades H5. Zwar habe die Klägerin erwartet, dass der Verkäufer sie unaufgefordert berate. Der Verkäufer habe aber keinen Anlass gehabt, eingehend über den Härtegrad aufzuklären und zu beraten. Denn die Klägerin habe ihre Erwartung einer Beratung nicht geäußert.
Keine Verletzung der Aufklärungspflicht
Zudem sei der Verkäufer erst hinzugezogen worden, als die Klägerin bereits zum Kauf entschlossen gewesen sei. Im Verkaufsgespräch sei es lediglich darum gegangen, die Daten der Klägerin aufzunehmen und über den Preis zu verhandeln. Die Tochter der Klägerin habe sich nach dem Probeliegen auch nicht über den Härtegrad beschwert. Daher habe der Verkäufer auch keine Aufklärungspflicht verletzt, sodass die Klägerin den Vertrag weder anfechten könne noch vom Vertrag zurücktreten könne.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 30.1.2024, 510 C 7814/23, PM vom 4.4.2024
| Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren. Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde am Knöchel infolge eines Leitersturzes erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Schürfwunde anschließend infiziert und ein Geschwür (Ulkus) hervorruft. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entschieden. |
Das war geschehen
Das OLG musste über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe entscheiden. Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Frau des Klägers von der Leiter und zog sich hierbei u. a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Klägers sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Kläger hat dann die Reise storniert und bei der beklagten Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend gemacht.
Landgericht wies Klage ab
Das LG hatte die Klage abgewiesen, denn die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei – so das LG – auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau des Klägers hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat über die Frage der Behandlung der Ehefrau des Klägers am Knöchel vor Vertragsschluss die behandelnden Ärzte als Zeugen vernommen und die Versicherung dann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt.
Es hat die Kenntnis der Ehefrau des Klägers vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss abgelehnt. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.
Argumente der Versicherung ohne Erfolg
Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpfen die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung. Selbst, wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei.
Quelle | Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.3.2024, 16 U 74/23, PM 1/24
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat mit zwei Urteilen die Berufungen der Kläger in zwei Verfahren gegen Straßenreinigungsgebührenbescheide der Hansestadt Lüneburg für das Jahr 2018 zurückgewiesen. |
Die Hansestadt Lüneburg erhob bis Ende 2017 Straßenreinigungsgebühren nach dem sog. Frontmetermaßstab. Mit Wirkung zum 1.1.2018 stellte sie den Maßstab um und erhebt seitdem die Gebühren gemäß ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung nach dem sog. Quadratwurzelmaßstab. Bei diesem wird aus der Grundstücksfläche die Quadratwurzel gezogen. Damit wird gedanklich ein quadratisches Grundstück gebildet, von dem die Länge einer Seite der Gebührenberechnung zugrunde gelegt wird.
Das OVG hat entschieden, dass der Quadratwurzelmaßstab ein rechtmäßiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Bemessung der Straßenreinigungsgebühren ist. Der vormals von der Hansestadt Lüneburg angewandte Frontmetermaßstab sei gegenüber dem Quadratwurzelmaßstab nicht vorrangig anzuwenden.
Darüber hinaus hat das OVG auch die Bestimmungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung über die Heranziehung von mehrfach anliegenden Grundstücken und von Hinterliegergrundstücken als rechtmäßig erachtet. Diese verstießen weder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz oder den Gleichheitssatz noch gegen den Grundsatz der Vollständigkeit.
Quelle | OVG Lüneburg, Urteile vom 24.4.2024, 9 LC 117/20 und 9 LC 138/20, PM vom 25.4.2024
| Im Streit um Ansprüche auf Rückerstattung aus einem Reisevertrag wies das Amtsgericht (AG) München eine Klage auf Zahlung von rund 4.000 Euro ab. |
Reise online storniert
Der Kläger hatte bei der Beklagten zum Preis von über 4.500 Euro eine neuntägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Portugal gebucht. Im Anschluss stornierte der Kläger im Internet auf der Website der Beklagten die Reise. Die Beklagte buchte sodann vom Konto des Klägers Stornierungsgebühren in Höhe von rund 4.000 Euro ab. Der Kläger leitete daraufhin am selben Tag eine E-Mail an die Beklagte weiter, um die Stornierung rückgängig zu machen.
Der Kläger behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe unbeabsichtigt wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten.
Die Beklagte trug vor, der Kläger habe keine genauen Angaben über die besagte Baustelle getroffen. Im Übrigen sei die Buchung wirksam storniert worden. Für die endgültige Stornierung seien mehrere einzelne Schritte erforderlich gewesen. Eine unbeabsichtigte Kündigung sei im System unmöglich. Dem Reiseveranstalter sei durch den Rücktritt des Kunden hingegen ein Schaden entstanden.
So sieht es das Gericht
Das AG wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde vom Kläger wirksam storniert. Eine wirksame Anfechtung der Stornierung aufgrund eines Irrtums in der Erklärungshandlung ist nicht gegeben.
Ein Irrtum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 119 BGB) ist das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Es liegt (nach § 119 Abs. 1 2. Fall BGB) zudem ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist beispielsweise beim Versprechen, Verschreiben oder Vergreifen der Fall. Zwar gab der Kläger an, die Website der Beklagten sei für ihn unübersichtlich gewesen, da diverse Klicks erforderlich gewesen seien.
Fünfmaliges Verklicken unwahrscheinlich
Es kann grundsätzlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs – wie hier der Buchungsstornierung – mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein „Verklicken“, und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll.
Aus der vom Reiseveranstalter vorgelegten Anlage ergibt sich insoweit, dass der Reisende für eine endgültige Stornierung der Reise erst mehrere einzelne Schritte durchführen musste: Zur Auslösung des endgültigen Stornierungsvorgangs musste der Kläger insgesamt viermal aktiv per Mausklick bestätigen, dass er eine Stornierung wünsche.
Dabei musste er bei Schritt 1 zunächst angeben, aus welchem Grund er seine Reise stornieren wollte. Im Anschluss bei Schritt 2 musste der Kläger angeben, was genau er stornieren wollte. Bei dem darauffolgenden Schritt 3 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Auswählen „Buchung stornieren“, die Stornierung durchgeführt, und im Namen des Reisenden eine Rückerstattung beantragt werde. Erst durch Anklicken dieses Feldes gelangte der Kläger zum letzten und 4. Schritt, wo nochmals um Bestätigung gebeten wurde, dass tatsächlich mit der Stornierung fortzufahren sei. […]
Wirksame Stornierung und keine Umbuchung
Dass das Anklicken versehentlich geschah, und nicht dem Willen des Reisenden entsprach, war für das AG nicht nachvollziehbar. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung durch Vertippen sah das AG nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Reisenden bewusst gewesen sein muss, dass er bei Durchführung des gesamten Buchungsvorgangs eine endgültige Stornierung vornahm – und nicht bloß, wie von ihm vorgegeben – eine Umbuchung. Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde somit wirksam storniert.
Verlust von 4.000 Euro
Die Beklagte war zudem berechtigt, aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch den Kläger vor Reisebeginn einen Betrag in Höhe von rund 4.000 Euro als angemessene Entschädigung zu verlangen.
Das AG hob hervor: Die pauschale Behauptung des Reisenden, es habe neben dem Hotel eine Baustelle gegeben, führt nicht zu einer vertraglichen Pflicht des Reiseveranstalters, alternative Lösungen anbieten zu müssen.
Quelle | AG München, Urteil vom 18.4.2024, 275 C 20050/23, PM 15/24
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Einer Mieterin von Wohnraum darf fristlos gekündigt werden, wenn diese – gleich zweimal – die Vermieterin mit Wasser überschüttet. |
Die Vermieterin hatte die Mieterin auf Räumung der Wohnung verklagt, weil diese sie zwei Mal mit Wasser übergossen habe. Unstreitig zwischen den Parteien war zwar, dass die Mieterin jeweils einen Eimer Wasser aus dem Fenster in den Hof gegossen hatte, als sich die Vermieterin in diesem befand. Die Mieterin hatte allerdings bestritten, die Vermieterin getroffen zu haben oder überhaupt treffen zu wollen.
Das AG sah die Kündigung als wirksam an. Denn der vernommene Zeuge bestätigte, dass die Vermieterin beide Male tatsächlich mit dem Wasser aus dem Eimer vollständig übergossen wurde. Diese sei, so der Zeuge,„klitschnass“ gewesen, wie bei einer „Ice-Bucket-Challenge“. Das rechtfertige eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens, so das AG. Selbst, wenn die Mieterin keine direkte Absicht gehabt habe, die Vermieterin zu treffen, habe sie dies angesichts der Situation jedoch zumindest billigend in Kauf genommen. Denn ihr Ziel lag schon nach dem eigenen Vortrag darin, die Vermieterin davon abzuhalten, ihr Fahrrad umzustellen. Es habe auch keiner vorherigen Abmahnung bedurft, zumal die Mieterin, wie sich aus der Beweisaufnahme ergab, bereits weitere derartige Aktionen angekündigt habe.
Quelle | AG Hanau, Beschluss vom 19.2.2024, 34 C 92/23, PM vom 3.5.2024
| Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat sich mit dem Einwand der Testierunfähigkeit eines an Depressionen und Alkoholsucht leidenden Erblassers zu befassen, der sich das Leben nahm. |
Erblasser litt an Persönlichkeitsstörung
Der Erblasser litt an einer psychiatrisch relevanten Persönlichkeitsstörung in Form einer affektiven Störung mit sowohl depressiven als auch manischen Phasen (bipolare Störung) sowie einem Alkoholproblem. Mit eigenhändigem Testament verfügte er, dass seine Ziehtochter seinen gesamten Besitz erben solle. In zwei Abschiedsbriefen begründete er seine Entscheidung zu dem Suizid und tat im Übrigen kund, dass er alle Erbschaftsangelegenheiten regeln wolle.
Die Ziehtochter beantragte einen Erbschein, der ihre Stellung als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesem Antrag trat die Schwester des Erblassers mit der Begründung entgegen, der Erblasser sei aufgrund seiner psychischen Erkrankungen testierunfähig gewesen. Nach Einholen eines Sachverständigengutachtens zum Einwand der Testierunfähigkeit hat das Nachlassgericht einen Feststellungsbeschluss erlassen. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Schwester mit der Beschwerde, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat.
So entschied das Oberlandesgericht
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Eine Testierunfähigkeit habe das Sachverständigengutachten nicht bestätigen können. Zwar habe der Erblasser an den genannten Erkrankungen und an weiteren körperlichen Einschränkungen gelitten, die die Sachverständigen bestätigten. Diese genannten Gründe allerdings ließen für sich allein keinen zwingenden Schluss auf das Vorliegen der Testierunfähigkeit zu.
Nur dann, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursachen, die die freie Willensbestimmung ausschlössen oder zu einer solch starken Bewusstseinsstörung führten, liege auch eine Testierunfähigkeit vor. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Quelle | Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.3.2024, 3 W28/24
| Ein (fördermittelschädlicher) vorzeitiger Maßnahmenbeginn liegt vor, wenn die einschlägige Förderrichtlinie eine klare Linie bei der Leistungsphase 6 zieht und der Mittelempfänger darüber informiert wurde, dass er eingeschaltete Planer vor Erhalt der Förderzusage nur mit Planungs- und Vorbereitungsleistungen bis einschließlich Leistungsphase 6 beauftragen soll. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg entschieden. |
Bauherr verlor Förderung
Das Urteil war für den Bauherrn besonders „bitter“. Denn er verlor die gesamte Förderung in Höhe von 240.000 Euro, weil er den Planer entgegen den Förderbestimmungen schon mit kleinen Leistungen der Leistungsphase 7 beauftragt hatte.
Bauherren informieren!
Konsequenz aus dem Urteil ist u. a.: Planer sollten Bauherren stets darüber informieren, wie streng Fördermittelgeber darauf achten, dass Förderbestimmungen eingehalten werden.
Quelle | VG Magdeburg, Urteil vom 25.3.2024, 3 A 155/21
| Regelt der Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Erschwernisse, um von ihm eine Bauhandwerkersicherungshypothek zu verlangen, ist dies unwirksam. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Anspruch nur beiVerzug?
Der Auftraggeber hatte einen Planer für Technische Gebäudeausrüstung mit Leistungen über knapp 4,7 Mio. Euro beauftragt. In seinen AGB hieß es u. a.: „Einen Anspruch aus § 650 e BGB kann der Auftragnehmer nur geltend machen, wenn sich der Auftraggeber in Verzug befindet und die angemahnte Zahlung trotz Nachfristsetzung innerhalb von zwei Wochen nicht fristgemäß leistet. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 650 e BGB setzt ferner voraus, dass der Auftragnehmer bei Nachfristsetzung oder danach dies mit einer Frist von drei Wochen angekündigt hat.“
Nachdem mehrere Rechnungen nicht bezahlt worden waren, verlangte der Planer erst eine Sicherheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB, Bauhandwerkersicherung). Die brachte der Auftraggeber nicht bei. Daher beantragte der Planer ohne erneute Fristsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des Anspruchs nach § 650 e BGB (Sicherungshypothek an dem Baugrundstück) i. H. v. ca. 340.000 Euro. Der Auftraggeber berief sich auf seine o. g. AGB-Klausel und wollte nicht leisten.
Landgericht gab Planer Recht
Die Klausel im Vertrag war unwirksam, denn sie benachteiligte den Planer als Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie war mit den wesentlichen Grundgedanken des § 650 e BGB nicht vereinbar.
Der Anspruch auf Vormerkung einer Sicherungshypothek soll den vorleistungspflichtigen Unternehmer schützen und gewährt ihm hierzu einen im Eilverfahren zügig durchsetzbaren Anspruch. Diesen Grundgedanken stehen die mit den AGB aufgestellten Anforderungen, Verzug nach Fristsetzung und weitere Ankündigungsfrist, entgegen. Vor allem könnte der Auftraggeber ansonsten versuchen, bis zum Abschluss eines zuvor angekündigten einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Eigentumswechsel herbeizuführen. Das könnte den Anspruch des Unternehmens vereiteln.
Quelle | LG Berlin, Urteil vom 6.7.2023, 19 O 101/23
| Wer mit Verbrauchern einen Architektenvertrag schließt, muss zum einen vermeiden, dass diese ihr Widerrufsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 312 b BGB) ausüben. Zum anderen ist die neue Belehrungspflicht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (hier: § 7 Abs. 2 HOAI 2021) zu beachten. Sonst kann der Architekt maximal das Honorar nach den Basishonorarsätzen der HOAI abrechnen. Dies gilt, selbst wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Das sagt die HOAI zur Form und zum Fehlen einer Vereinbarung
§ 7 HOAI sagt, dass sich das (Architekten-)Honorar nach der Vereinbarung richtet, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart.
Das sagt die HOAI zur Aufklärungspflicht des Architekten
Außerdem schreibt die Norm vor, dass der Auftragnehmer, also der Architekt, den Auftraggeber, falls dieser Verbraucher ist, vor Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung in Textform darauf hinweisen muss, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Folge: Ohne diese (rechtzeitige) Belehrung gilt für die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Grundleistungen anstelle eines höheren Honorars ein Honorar in Höhe des jeweiligen Basishonorarsatzes als vereinbart.
Diese Konsequenzen zog das Oberlandesgericht
Im Fall des OLG gab es diese Aufklärung nicht. Das OLG: Die Aufklärungspflicht gilt auch, wenn ein Zeit- oder Pauschalhonorar vereinbart worden ist. Ohne Belehrung kann der Planer nur den Basishonorarsatz abrechnen.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 8.4.2024, 11 U 215/22
| Widerruft ein Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst seine Einstellungszusage aufgrund eines ärztlichen Attests, ist dies keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |
Einstellungszusage widerrufen
Der an Diabetes erkrankte, schwerbehinderte Kläger bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung im Januar 2023 auf eine von der beklagten Stadt ausgeschriebene Ausbildungsstelle als Straßenwärter. Er erhielt eine Einstellungszusage vorbehaltlich einer noch durchzuführenden ärztlichen Untersuchung. Der Arzt kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger wegen seiner Diabetes-Erkrankung nicht für die vorgesehene Ausbildungsstelle geeignet sei. Die Einstellungszusage wurde daraufhin zurückgenommen. Der Kläger erhob Klage auf Entschädigung wegen einer aus seiner Sicht erfolgten Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch.
Kein Verstoß gegen geltendes Recht
Das ArbG wies die Klage ab. Eine diskriminierende Handlung und ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien nicht erkennbar.
Der Kläger sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung nicht schlechter behandelt worden als vergleichbare nichtbehinderte Bewerber. Die Stadt habe bei der Entscheidung, den Kläger nicht einzustellen, nicht auf seine Behinderung abgestellt. Vielmehr habe man den Kläger ungeachtet seiner Behinderung gerade einstellen wollen und ihm demgemäß eine Einstellungszusage erteilt, diese jedoch vom Ergebnis einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung bzw. seiner Eignung abhängig gemacht.
Diese gesundheitliche Eignung sei dann von dem von ihr beauftragten Arzt verneint worden. Daraufhin habe die Beklagte unter Berufung auf den zum Ausdruck gekommenen Vorbehalt ihre Einstellungszusage zurückgezogen.
Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 20.3.2024, 3 Ca 1654/23, PM 1/24
| In einem Fall vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf ging es im Wesentlichen um angeblich unangemessene Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber Kollegen über Mitarbeitern. Die daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnung hatte keinen Bestand, weil sie zu unbestimmt war. |
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer hatte die Äußerungen bestritten. Auf seine Frage im Personalgespräch, weshalb keine Namen derjenigen Arbeitnehmer genannt würden, die die Vorwürfe an die Personalbetreuung herangetragen hätten, äußerte die Personalreferentin, dass die Arbeitnehmer eingeschüchtert seien und sich lediglich vertraulich an die Vorgesetzten sowie die Personalbetreuung gewandt hätten. Auch in der Abmahnung selbst erfolgte keine namentliche Nennung.
So sah es das Arbeitsgericht
Das ArbG stellte klar: Dieser Vorgang reicht nicht für eine Abmahnung. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich in der ihm vorgeworfenen Art und Weise verhalten habe. Die Abmahnung sei inhaltlich zu unbestimmt. Die „anderen Mitarbeiter“, gegenüber denen er die Äußerungen getätigt haben soll, würden in der Abmahnung nicht benannt, obwohl sie dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abmahnung unstreitig bekannt gewesen seien. Da sich die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientierten, was der Arbeitgeber wissen könne, sei die Abmahnung nicht hinreichend konkret.
Für den Arbeitnehmer als Adressat der Abmahnung diene die konkrete Nennung der Namen der Zeugen auch dazu, zu überprüfen, ob die Abmahnung inhaltlich richtig sei oder nicht; pauschale Vorwürfe ohne die Nennung der Zeugen würden diese Anforderung nicht erfüllen. Der Arbeitgeber sei auch nicht berechtigt, zum Schutz der Zeugen die Namen in der Abmahnung nicht zu nennen. Hierdurch könne zwar ein Konflikt zwischen dem Arbeitnehmer und den Zeugen im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe entstehen. Einen solchen Konflikt müsse ein Arbeitgeber, der den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf ein angebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers vertraue, allerdings hinnehmen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr den Zeugen durch ihre Nennung in der Abmahnung drohe.
Quelle | ArbG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2024, 7 Ca 1347/23
| Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (hier: § 3 Abs. 1 EFZG) dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Voraussetzung: Es muss dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sein, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |
Abzug vom Verdienst nach Covid-Erkrankung
Der Kläger ist als Produktionsmitarbeiter bei der Arbeitgeberin beschäftigt, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Er hatte sich keiner Schutzimpfung gegen das Coronavirus unterzogen und wurde am 26.12.2021 positiv auf das Virus getestet. Für die Zeit vom 27. bis zum 31.12.2021 wurde dem unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen leidenden Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt. Für diese Zeit leistete die Arbeitgeberin Entgeltfortzahlung. Am 29.12.2021 erließ die Gemeinde N. eine Verfügung, nach der für den Kläger bis zum 12.1.2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung angeordnet wurde. Für die Zeit vom 3. bis zum 12.1.2022 lehnte der Arzt die Ausstellung einer Folge-AU mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Mit der Verdienstabrechnung für Januar 2022 nahm die Arbeitgeberin für diese Zeit vom Lohn des Klägers einen Abzug in Höhe von ca. 1.000 Euro brutto vor. Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung des Arbeitnehmers das Urteil des ArbG geändert und die Arbeitgeberin verurteilt, zu zahlen.
Bundesarbeitsgericht gab Arbeitnehmer Recht
Die Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, ohne dass es darauf ankam, ob bei ihm durchgehend Symptome von COVID-19 vorlagen. Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Die Absonderungsanordnung ist keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruht das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion (Monokausalität). Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Absonderungsanordnung. Aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion war es dem Kläger rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
Es konnte auch nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der empfohlenen Corona-Schutzimpfung für die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich war. Das Berufungsgericht hat hierbei zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, dass die Nichtvornahme der Schutzimpfungen einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellte. Jedoch ließen die wöchentlichen Lageberichte des RKI und dessen Einschätzung der Impfeffektivität nicht den Schluss zu, dass Ende Dezember 2021 bzw. Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufgetretene Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte verhindert werden können.
Der Arbeitgeberin stand ein Leistungsverweigerungsrecht wegen nicht vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu. Das LAG hatte richtig erkannt, dass der Kläger der Beklagten durch Vorlage der Ordnungsverfügung der Gemeinde N. in anderer, geeigneter Weise nachgewiesen hat, infolge seiner Corona-Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.
Quelle | BAG, Urteil vom 20.3.2024, 5 AZ R 234/23, PM 8/24
| Eine Bank kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Bank wollte Originalurkunden nicht herausgeben
Ein Mann hatte geltend gemacht, seine – inzwischen getrenntlebende und in Scheidung befindliche – Ehefrau habe auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung unberechtigt seine Unterschriften angebracht. Er hat beantragt, ein Schriftsachverständigengutachten einzuholen. Das Kreditinstitut – eine Bausparkasse – hat die Herausgabe der zur Begutachtung erforderlichen Originalurkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert. Das machte der BGH nicht mit.
Hier gilt ein Zeugnisverweigerungsrecht
Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, sind zur Verweigerung des Zeugnisses der Tatsachen berechtigt, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Dies gilt dann auch für hierauf bezogene Urkunden. Im Fall des BGH hatten die Interessen des Mannes jedoch Vorrang.
Quelle | BGH, Beschluss vom 29.11.2023, XII ZB 141/22
| Unternehmen müssen den Inhalt der Bilanz und der Gewinn-und Verlustrechnung grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung übermitteln. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun das aktualisierte Datenschema der Taxonomien (Version 6.8) als amtlich vorgeschriebenen Datensatz veröffentlicht. Die aktualisierten Taxonomien stehen unter www.esteuer.de zur Ansicht und zum Abruf bereit. |
Beachten Sie | Die neuen Taxonomien sind grundsätzlich für die Bilanzen der Wirtschaftsjahre zu verwenden, die nach dem 31.12.2024 beginnen (Wirtschaftsjahr 2025 oder 2025/2026). Es wird aber nicht beanstandet, wenn diese auch für das Wirtschaftsjahr 2024 oder 2024/2025 verwendet werden.
Die Übermittlungsmöglichkeit mit diesen neuen Taxonomien wird für Testfälle voraussichtlich ab November 2024 gegeben sein, für Echtfälle ab Mai 2025.
Quelle | BMF-Schreiben vom 27.5.2024, IV C 6 - S 2133-b/24/10001 :002
| Nach den statistischen Aufzeichnungen der obersten Finanzbehörden der Länder haben die im Jahr 2023 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen bei der Umsatzsteuer zu einem Mehrergebnis von rund 1,52 Mrd. Euro geführt. Die Ergebnisse aus der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind in diesem Mehrergebnis nicht enthalten. |
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen werden unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im Jahr 2023 wurden 63.282 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt. Im Jahresdurchschnitt waren 1.604 Umsatzsteuer-Sonderprüfer eingesetzt. Jeder Prüfer führte im Durchschnitt 39 Sonderprüfungen durch. Dies bedeutet für jeden eingesetzten Prüfer ein durchschnittliches Mehrergebnis von rund 0,94 Mio. Euro.
Quelle | BMF, Mitteilung vom 25.4.2024
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Er möchte wissen, ob das gesetzliche Aufteilungsgebot für Beherbergungsleistungen rechtmäßig ist. Danach unterliegt die Übernachtungsleistung dem ermäßigten Umsatzsteuersatz i. H. von 7 %. Für Nebenleistungen, die nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, gilt dagegen der Regelsteuersatz (19 %). In den drei Streitfällen ging es um Parkplatzgestellungen, Frühstücksleistungen, die Gestellung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen sowie von W-LAN. |
Für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, greift die Umsatzsteuerermäßigung auf 7 %.
Beachten Sie | Dies gilt nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG) aber nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.
Bisher war der BFH der Ansicht, dass das Aufteilungsgebot in Einklang mit dem Unionsrecht steht und dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung vorgeht, wonach eine (unselbstständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt.
Ganz so sicher ist sich der BFH aber infolge der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht mehr. Deshalb hat er nun beim EuGH angefragt. Es ist zu hoffen, dass sich der EuGH zeitnah und eindeutig äußern wird, damit zu dieser Frage (endlich) Rechtssicherheit besteht.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 10.1.2024, XI R 11/23 (XI R 34/20), XI R 13/23 (XI R 7/21), XI R 14/23 (XI R 22/21)
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. |
Hintergrund: Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt (in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO) einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.
Finanzamt und Finanzgericht lehnten Auskunftsersuchen ab
Im Streitfall verlangte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt die Zurverfügungstellung (elektronischer) Kopien von Verwaltungsakten mit den ihn betreffenden personenbezogenen Daten, was sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (FG) ablehnten.
Bundesfinanzhof widersprach
Der BFH hat nun entschieden, dass ein Steuerpflichtiger vom Finanzamt grundsätzlich Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten verlangen kann – und zwar ungeachtet der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung.
Auskunftsanspruch unabhängig von Art der Steuer
Der Auskunftsanspruch ist auch nicht davon abhängig, für welche Steuerart die Datenverarbeitung erfolgt. Grundsätzlich ist der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch darauf beschränkt, dass der Steuerpflichtige darüber informiert wird, welche ihn betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet werden.
Der Auskunftsanspruch gewährt grundsätzlich aber kein Recht auf die (elektronische) Zurverfügungstellung von Kopien von ganzen Akten bzw. einzelnen Dokumenten mit personenbezogenen Daten. Nur ausnahmsweise, wenn der Steuerpflichtige diese zwingend benötigt, um seine Rechte nach der DS-GVO durchsetzen zu können, sind ihm auch Kopien von Dokumenten mit seinen personenbezogenen Daten (elektronisch) zur Verfügung zu stellen.
Grenzen: unbegründete oder exzessive Auskunftsersuchen
Zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs hat der BFH im Übrigen klargestellt, dass die Finanzverwaltung zwar einen gegen sie gerichteten Auskunftsanspruch nach der DS-GVO zurückweisen kann, falls dieser offenkundig unbegründet oder exzessiv ist. Hierfür muss sie jedoch die Umstände darlegen, die zu einer offenkundigen Unbegründetheit bzw. zu einem Exzess des Auskunftsersuchens führen. Dass der Steuerpflichtige mit seinem Auskunftsersuchen Ziele außerhalb der DS-GVO verfolgt, erlaubt der Finanzverwaltung nicht, die Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten zu verweigern.
Quelle | BFH, Urteil vom 12.3.2024, IX R 35/21, PM Nr. 27/24 vom 20.6.2024
| Die Auszahlung einer Direktversicherung nach Ausübung eines vertraglich eingeräumten Kapitalwahlrechts unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz. Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster ist allerdings die Revision anhängig. |
Das war geschehen
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in Beiträge zu einer Direktversicherung nach dem Betriebsrentengesetz vereinbart. Daraufhin schloss der Arbeitgeber für die Steuerpflichtige eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Es sollte eine lebenslange monatliche Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen.
Im Streitjahr 2019 übte die Steuerpflichtige das Kapitalwahlrecht aus und erhielt ca. 44.500 Euro. Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolglos.
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten können als außerordentliche Einkünfte in Betracht kommen, die ermäßigt zu besteuern sind (Fünftel-Regelung). Da es im Streitfall aber an dem Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit fehlte, kam keine ermäßigte Besteuerung in Betracht.
Höchstrichterliche Rechtsprechung
Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausschließlich auf die vertragliche Vereinbarung an (keine ermäßigte Besteuerung, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war). In späteren Entscheidungen hat es der BFH jedoch vielmehr für maßgeblich gehalten, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material ausgewertet werden muss.
Bundesfinanzhof ist erneut gefragt
Vor diesem Hintergrund hat das FG Münster nun die Revision mit folgendem Wortlaut zugelassen: „Dem Bundesfinanzhof ist Gelegenheit zu geben, über die Ausschärfung der Kriterien zur Bestimmung der Atypik bei Kapitalauszahlungen von Renten erneut zu entscheiden, da er bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist.“
Beachten Sie | Da die Steuerpflichtige die Revision eingelegt hat, können geeignete Fälle mit einem Einspruch bis zur Entscheidung des BFH offen gehalten werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 24.10.2023, 1 K 1990/22 E, Rev. BFH: X R 25/23
| Bei Lohnsteuer-Außenprüfungen stoßen Prüfer immer häufiger auf Sachverhalte, in denen der Arbeitgeber im Rahmen einer Gehaltsumwandlung den Grundlohn abgesenkt und einen nach § 3 Nr. 30 und Nr. 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreien Heimarbeiterzuschlag zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen (z. B. für Miete, Heizung und Beleuchtung der Arbeitsräume) bezahlt hat. Hier ist Vorsicht geboten: Denn in vielen Fällen sind die Voraussetzungen für den steuerfreien Heimarbeiterzuschlag nach dem Heimarbeitsgesetz (HAG) nicht erfüllt. |
Informationen zum Heimarbeiterzuschlag enthält vor allem die Lohnsteuerrichtlinie 9.13. Hier heißt es in Abs. 2: „Lohnzuschläge, die den Heimarbeitern zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen neben dem Grundlohn gezahlt werden, sind insgesamt aus Vereinfachungsgründen nach § 3 Nr. 30 und 50 EStG steuerfrei, soweit sie 10 % des Grundlohns nicht übersteigen.“
Beachten Sie | Die im Einkommensteuergesetz geregelte Steuerfreiheit gilt allerdings nur für Heimarbeiter i. S. des § 2 Abs. 1 HAG. Die steuerfreien Zuschläge können also nicht von Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden, die ihre Tätigkeit seit der Coronapandemie (teilweise) im Homeoffice ausüben.
Quelle | R 9.13 Abs. 2 Lohnsteuerrichtlinien; § 2 Heimarbeitsgesetz
| Schuldet der Vermieter von Wohnraum zum vertragsgemäßen Gebrauch auch die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, stehen Kosten des Vermieters für eine neue Heizungsanlage jedenfalls dann im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zur steuerfreien Vermietung, wenn es sich dabei nicht um Betriebskosten handelt, die der Mieter gesondert zu tragen hat. Die Quintessenz aus dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH): Der Vermieter kann für die Heizungsanlage keinen Vorsteuerabzug beanspruchen. |
Hintergrund: Nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG) ist der Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen ausgeschlossen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
Das Finanzgericht (FG) Münster hatte den Streitfall noch anders beurteilt und auf getrennte Leistungen abgestellt, nämlich einerseits steuerfreie Vermietungsleistungen und andererseits steuerpflichtige Energielieferungen.
Der BFH lehnte den vom Vermieter begehrten Vorsteuerabzug aus dem Heizungsaustausch aber bereits deshalb ab, weil der Vermieter dort entsprechend den mietrechtlichen Rahmenbedingungen die Gestellung einer Wohnung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch – d. h. einschließlich der Gestellung warmen Brauchwassers – schuldete und die diesbezüglichen Zahlungen nicht als dem Mieter gesondert berechenbare Betriebskosten i. S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 556 BGB) anzusehen waren.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.12.2023, V R 15/21
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden. Danach müssen Steuerpflichtige unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Weil deswegen bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt. |
Steuerpflichtige vor Finanzgericht erfolgreich
In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die Bescheide waren auf der Grundlage des neuen Bundesmodells ergangen, das in mehreren Bundesländern (z. B. in Nordrhein-Westfalen) Anwendung findet.
Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1.1.2022 als einheitlichem Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen Vorschriften enthalten nicht zuletzt wegen der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten zahlreiche Typisierungen und Pauschalierungen.
Bundesfinanzhof: Beschwerden des Finanzamts zurückgewiesen
Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die dagegen erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit in Bezug auf Grundsteuerwerte
Nach Ansicht des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Denn die Steuerpflichtigen müssen bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit haben, einen niedrigeren Wert nachzuweisen – auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich geregelt hat.
Übermaßverbot ist zu berücksichtigen
Der Gesetzgeber verfügt gerade in Massenverfahren über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot kann aber verletzt sein, wenn sich der Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt nach der Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt – und dies war infolge der Besonderheiten in den Streitfällen nicht auszuschließen.
Beachten Sie | Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden. Es handelt sich bisher lediglich um Beschlüsse im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV); PM Nr. 26/24 vom 13.6.2024
| Ist ein Fahrzeug mehr als fünf Jahre alt, stuft das Amtsgericht (AG) Aue-Bad Schlema die Nutzungsausfallentschädigung um eine und bei mehr als zehn Jahren um zwei Gruppen ab. |
So rechnete das Amtsgericht
Wenn ein ca. 15 Jahre alter Kleinwagen mit ca. 194.000 km Laufleistung, der ohne Altersabstufung in die Gruppe B gehört, betroffen ist, wird jedoch nur eine Gruppe abgestuft. Denn tiefer geht es nicht. So gab es im vom AG entschiedenen Fall einen Tagessatz von 23 Euro.
Der Versicherer hatte nur minimale Vorhaltekosten erstattet. Das lehnt das Gericht ab. Denn das komme nur in Betracht, wenn ein Fahrzeug nicht nur alt, sondern in einem so schlechten Zustand ist, dass seine Nutzbarkeit deutlich eingeschränkt ist.
Entgangene Fortbewegungsmöglichkeit
Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich hinter den Vorhaltekosten letztlich kaum mehr als die Fixkosten wie Steuern, Versicherung etc. verbergen, es sich hierbei also um einen weitaus geringeren Betrag handelt. Mit zunehmendem Fahrzeugalter spiele letztlich nur die entgangene Fortbewegungs- und Transportmöglichkeit eine Rolle. Allein aufgrund des Alters des Fahrzeugs könne daher nicht ohne Weiteres von einer weiteren Einschränkung des Nutzungswerts bis zum Betrag von Vorhaltekosten ausgegangen werden.
Quelle | AG Aue-Bad Schlema, Urteil vom 28.2.2024, 3 C 241/23
| Ist ein durch eine Verbraucherzentrale geltend gemachter Unterlassungsanspruch begründet, wenn eine Firma die online erklärte Kündigung eines Kunden von einem Bestätigungstelefonat abhängig macht? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz bejaht. |
Zusätzliches Telefonat nötig, damit Online-Kündigung wirksam wird?
Die Beklagte bietet, auch gegenüber Verbrauchern, den Abschluss von Dienstleistungsverträgen über Dauerschuldverhältnisse unter anderem zur Bereitstellung von Webspeicherplatz, E-Mail-Postfächern und Servern an.
Der Kläger, ein eingetragener Verein (Verbraucherzentrale), begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, dass sie auf eine online erklärte Kündigung gegenüber Verbrauchern behauptet, dass zur Wirksamkeit der Kündigung noch ein Telefonat erforderlich sei. Konkret hat ein Kunde seinen Vertrag bei der Beklagten per Internet gekündigt. Der Kunde hat daraufhin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, er möge seine Kündigung binnen 14 Tagen telefonisch bestätigen, ansonsten bleibe das Vertragsverhältnis unverändert bestehen.
Verbraucherzentrale: Telefonat dient zum Umstimmen der Verbraucher
Der Kläger hat daraufhin die Beklagte abgemahnt und erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Er behauptet, im Fall eines Anrufs nach der Kündigung werde seitens der Beklagten – mittels rhetorischer Kunstfertigkeit oder Anbieten anderer Vertragskonditionen – versucht, den Verbraucher zu überzeugen, von seinem Kündigungswillen Abstand zu nehmen. Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten gegenüber Verbrauchern, dass nach einer Kündigung eine Rückbestätigung erfolgen müsse, stelle eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Sie enthalte unwahre Angaben über Rechte des Verbrauchers.
Der Kläger beantragte u. a., der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro zu untersagen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern diesen nach einer der Beklagten zugegangenen Kündigungserklärung eines Dienstleistungsvertrags in Form eines Dauerschuldverhältnisses zu behaupten, die telefonische Bestätigung der erklärten Kündigung sei erforderlich. Die Beklagte meint, ohne telefonische Rückbestätigung der Kündigung bestünde das Risiko, dass unberechtigte Dritte den Vertrag eines Kunden kündigen könnten. Es sei deshalb erforderlich, sich davon zu überzeugen, dass die Kündigung vom Erklärenden stammt. Dabei biete ein Telefonat ein Mehr an Sicherheit verglichen mit einem Bestätigungslink innerhalb einer E-Mail. Es finde keine Irreführung des Verbrauchers statt. Außerdem werde eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst.
So sah es das Landgericht
Das LG hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch zu. Das Vorgehen der Beklagten, den Verbraucher aufzufordern, seine Kündigung innerhalb von 14 Tagen telefonisch zu bestätigen, stelle eine geschäftliche Handlung dar. Dazu gehörten auch Verhaltensweisen, die auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung oder das Verhindern einer Geschäftsbeendigung gerichtet sind. Diese geschäftliche Handlung der Beklagten sei unzulässig, da sie unlauter sei. Unlauter handele, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Bestätigungslink in E-Mail genügt
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch irreführend. Dies sei gegeben, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthalte. Erfasst seien auch irreführende Angaben über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung bestimmter Rechte, zu denen auch das Kündigungsrecht zähle. Auch, wenn die Beklagte nach Auffassung des LG ein grundsätzliches Interesse an einer Authentifizierung haben könne, wäre eine solche vorrangig durch eine Bestätigung über den von dem Verbraucher gewählten Kommunikationskanal zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein an den Verbraucher unter der von ihm hinterlegten E-Mail-Adresse gesendeter Bestätigungslink zur Identifizierung weniger geeignet wäre als ein Telefonat. Auch während eines Telefonats sei es der Beklagten nicht möglich, sich umfassende Gewissheit über die wahre Person ihres Gesprächspartners zu verschaffen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es einem unbefugten Dritten, der sich Zugang zu der Kundennummer, der Vertragsnummer und dem E-Mail-Konto des wahren Vertragspartners verschafft hat, auch gelänge, in einem Telefonat über seine Identität zu täuschen.
Zusätzliche Entscheidung
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beklagte stelle den Verbraucher nach Zugang seiner Kündigung vor die Wahl, seine Kündigung nicht telefonisch zu bestätigen, und in der Folge das Vertragsverhältnis fortzusetzen, oder innerhalb von 14 Tagen telefonisch Kontakt zu der Beklagten aufzunehmen. Es werde dadurch eine zusätzliche Entscheidung des Verbrauchers verlangt, ob er an der Ausübung seines Kündigungsrechts festhalten will. Ohne die irreführende Aufforderung der Beklagten würde der Verbraucher weder die eine noch die andere Entscheidung treffen. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Beklagte eingeräumt habe, dass die beanstandete Vorgehensweise der Beklagten deren übliche Vorgehensweise sei.
Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 27.2.2024, 11 O 12/23
| Das Landgericht (LG) Oldenburg hat den von einer Frau geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz zurückgewiesen. Sie hatte sich an einem Becher Tee verbrüht. |
Warnhinweis auf dem Pappbecher
Die Frau hatte in einem Restaurant einen Tee in einem Einwegbecher gekauft. Auf dem Becher war der Warnhinweis angebracht: „VORSICHT HEISS“. Außerdem enthielt er ein Piktogramm mit einer Tasse mit Dampfschwaden. Der Becher war der Frau mit einem von Hand zu öffnenden Deckel übergeben worden. Er wurde ihr in einer Pappschale ausgehändigt. Wenige Minuten nach dem Kauf hob die Frau den Becher am Deckel aus der Schale. Da passierte es: Der Deckel löste sich. Der Tee ergoss sich auf ihre Oberschenkel. Die Frau erlitt Verbrennungen 1. und 2. Grades. Sie musste sich später einer teuren Behandlung unterziehen.
So sah es die Frau
Die Frau argumentierte vor dem LG, der Tee sei zu heiß gewesen. Folglich seien von ihm unnötige Gesundheitsgefahren ausgegangen. Zudem sei der Deckel nicht fest verschlossen gewesen. Mit diesen beiden Umständen habe sie nicht rechnen müssen.
So sah es das Landgericht
Das LG lehnte den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ab. Es hob hervor: Dass frisch zubereiteter Tee heiß sei (zwischen 90 und 100 Grad), sei allgemein bekannt. Er müsse daher nicht in verzehrfertiger Temperatur übergeben werden. Die Frau sei zudem durch die o. g. Hinweise auf dem Becher ausdrücklich gewarnt worden. Vor einem eventuell losen Deckel habe die Restaurantbesitzerin ebenfalls nicht warnen müssen.
Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 15.3.2024, 16 O 2015/23
| Kosten für eine einem Hotel ähnliche Unterbringung im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung können auch die Aufwendungen für das Mieten eines Wohnmobils sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Haus unbewohnbar – Wohnmobil als Ersatz gemietet
Das Haus eines Versicherungsnehmers war unbewohnbar geworden. Er mietete sich daher für 260 Euro pro Tag ein Wohnmobil und verlangte den Betrag später vom Versicherer zurück. Dieser wollte die Kosten jedoch nicht übernehmen.
Wohnmobil mit Hotel vergleichbar
Das OLG Köln verurteilte den Versicherer schließlich, rund 86.000 Euro an Mietkosten zu übernehmen. Auch die Kosten für das Mieten des Wohnmobils seien Kosten einer einem Hotel ähnlichen Unterbringung i. S. d. Versicherungsbedingungen.
Für Versicherungsnehmer ist Wohnmobil eine dem Hotel ähnliche Unterkunft
Die Auslegung ergebe, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch die stationäre Unterbringung in einem Mietwohnwagen oder Mietwohnmobil als eine einer Hotelunterbringung ähnliche Unterkunft ansehen werde. Denn ebenso wie ein Hotel, eine Ferienwohnung, eine Pension oder Gaststätte mit „Fremdenzimmern“ zeichnet sich ein Wohnmobil bzw. ein Wohnwagen, der zeitweise vermietet wird, dadurch aus, dass wechselnde Gäste darin für eine befristete Zeit wohnen, sei es zu Arbeitsaufenthalten (bspw. Saisonarbeiter, Arbeiter auf Montage) oder zu touristischen Zwecken. Allein der Aspekt der Mobilität des Wohnmobils im Unterschied zur Hotelunterkunft – also der Umstand, dass ein Wohnwagen grundsätzlich mithilfe eines Pkw bzw. ein Wohnmobil aus eigener Motorkraft im Straßenverkehr zum Reisen benutzt und zu wechselnden Standorten bewegt werden kann – steht der Vergleichbarkeit zu einer Hotelunterbringung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht entgegen.
Motorisierung spielt keine Rolle
Das OLG sieht zwar, dass ein Wohnmobil gerade durch die Motorisierung deutlich teurer ist als ein Wohnwagen. Darauf kommt es im Rahmen der Erstattung der Unterbringungskosten aber nicht an.
Der Versicherungsnehmer muss keine dem Wohnungsstandard entsprechende Unterkunft finden. Er ist in der Wahl der Unterkunft grundsätzlich frei und darf sich dabei von persönlichen Bedürfnissen und privaten Befindlichkeiten leiten lassen. Bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Grenzen besteht der zugesagte Versicherungsschutz. Danach sind Kosten für das Mieten eines Wohnmobils als Kosten einer ähnlichen Unterbringung, wie Hotelkosten, grundsätzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung (nach Abschnitt A. § 8 Nr. 1 c VHB 2014) erstattungsfähig.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger das Wohnmobil nicht als Wohnraumersatz, sondern etwa zu Reisezwecken angemietet haben, hat der Versicherer nicht konkret vorgetragen. Sie ergaben sich für das OLG auch nicht aus dem Akteninhalt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 5.12.2023, 9 U 46/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden: Der Versicherer muss die Kosten für die Versorgung mit Medizinal-Cannabis nicht tragen, wenn der Versicherungsnehmer an der Glasknochenkrankheit leidet. |
Konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft?
Der Versicherungsnehmer meinte, dass konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien. Es liege zumindest eine schwere Erkrankung mit wesentlichen Funktionseinschränkungen vor. Daher müsse der Versicherer die medizinisch notwendige Heilbehandlung durch Medizinal-Cannabis übernehmen.
Der Versicherer entgegnete: Bei akut auftretenden Schüben sei Cannabis wegen seiner „Behandlungsträgheit“ nicht geeignet. Das Landgericht (LG) war dem gefolgt und hatte in erster Instanz die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen.
Oberlandesgericht sieht es wie der Versicherer
Das OLG hat dies bestätigt. Der Versicherungsnehmer habe nach dem Versicherungsvertrag einen Leistungsanspruch, wenn es sich bei der Behandlung seiner Beschwerden um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handelt, die entweder von der Schulmedizin überwiegend anerkannt ist oder es sich um eine Methode oder ein Arzneimittel handelt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor.
Zwar leide der Versicherungsnehmer unter einem schweren, multilokulären generalisierten Schmerzsyndrom bei Glasknochenkrankheit und bei entsprechender Symptomatik komme die Erstattung von Medizinal-Cannabis grundsätzlich in Betracht. Wesentliche gelenkarthrotische Veränderungen seien jedoch ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht feststellbar. Weitere Befunde, die den Vortrag zu seinen körperlichen Beschwerden – insbesondere der behaupteten Vielzahl von Brüchen – stützen könnten, habe der darlegungs- und beweisbelastete Versicherungsnehmer ebenfalls nicht vorgelegt.
Die Behandlung der beim Versicherungsnehmer feststellbaren Symptomatik mit Medizinal-Cannabis sei nach heutiger medizinischer Einschätzung und aktuellem Wissensstand nicht als von der Schulmedizin allgemein anerkannte Methode anzusehen. Auch sei sie keine Methode, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt habe wie die Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe ausgeführt, mangels ausreichender Datenlage könne nicht festgestellt werden, dass die Therapie mit Medizinal-Cannabis eine entsprechende Linderung der im Zusammenhang mit der Glasknochenkrankheit stehenden Schmerzsymptomatik verspreche. Schließlich seien schulmedizinisch sowohl nichtmedikamentöse als auch verschiedene medikamentöse Behandlungen verfügbar. Der Versicherungsnehmer habe nicht nachgewiesen, dass diese Behandlungsmethoden bei ihm nicht wirksam seien oder gravierende Nebenwirkungen verursachten.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2023, I-13 U 222/22
| Der Vermieter ist verpflichtet, dem Mieter auf dessen Verlangen Einsicht in die Abrechnungsbelege zu gewähren und diese in einer geordneten Form vorzulegen. Es ist nicht Aufgabe des Mieters, die Belege selbstständig zu ordnen. So entschied es das Amtsgericht (AG) Münster. |
Die Wohnungsmieter hatten Einsicht in die Belege zu den Betriebskostenabrechnungen von 2018 bis 2020 verlangt. Die Vermieterin legte die Unterlagen ungeordnet, weder thematisch noch chronologisch stringent sortiert, vor. Daher weigerten sich die Mieter, die Nachforderungen aus den Abrechnungen auszugleichen.
Die Zahlungsklage der Vermieterin hatte keinen Erfolg. Sie habe keinen Anspruch auf die Nachzahlungen, da den Mietern ein Zurückbehaltungsrecht zustehe. Die Vermieterin habe keine umfassende Belegeinsicht gewährt.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 259 Abs. 1 BGB) bedürfe es einer geordneten Zusammenstellung der Abrechnungsbelege, so das AG. Das umfasse eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung in Abrechnungsposten.
Dabei sei auf einen juristisch und betriebswirtschaftlich ungeschulten Mieter abzustellen. Anderenfalls könne der Mieter sein Prüfungsrecht nicht sinnvoll ausüben. Der Mieter sei nicht verpflichtet, die Belege selbstständig zu ordnen oder Zusammenhänge in den Rechnungen fortlaufender Verträge zu erkennen.
Quelle | AG Münster, Urteil vom 25.10.2023, 38 C 1947/22
| Das Landgericht (LG) Hanau hat entschieden, dass ein Vermieter in einem Gebäude mit nur zwei Wohnungen dem Mieter der zweiten Wohnung nicht ohne besonderen Grund kündigen kann, wenn er selbst die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr nutzt. |
Vermieterin wohnte überwiegend im Ausland
Zwischen der hauptsächlich im Ausland lebenden Vermieterin und den Mietern besteht ein Mietvertrag über eine Wohnung in einem Haus mit nur zwei Wohneinheiten. Sie selbst nutzt die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr. Die Vermieterin hat die Kündigung nach § 573 a BGB ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift kann der Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen jederzeit ohne Grund beenden. Die Mieter halten die Kündigung für unwirksam, weil die Vermieterin die andere Wohnung nicht im Sinne der Vorschrift bewohne. Das Amtsgericht (AG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat die Räumungsklage abgewiesen.
Lebensmittelpunkt erforderlich
Das LG hat die Berufung der Vermieterin zurückgewiesen. Für die erleichterte Kündigung nach § 573 a BGB reiche es nicht aus, dass der Vermieter die zweite Wohnung in dem Haus lediglich zusätzlich nutze, selbst, wenn das vereinzelt, wie für das Jahr 2021 behauptet, insgesamt 40 Wochen seien. Er müsse vielmehr seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung haben. Eine enge Auslegung der Vorschrift sei insbesondere deshalb geboten, weil diese es ermögliche, den Mietvertrag mit dem ansonsten von dem Gesetz erheblich geschützten Wohnraummieter zu beenden, ohne dass der Mieter eine Pflichtverletzung begangen oder der Vermieter sonst ein besonderes Interesse hieran habe.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Hanau, Urteil vom 15.11.2023, 2 S 107/22, PM vom 8.2.2024
| Dass ein Testament nicht zwingend auf einem weißen Blatt Papier entstehen muss, zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg. Es ging letztlich darum, ob jemand Erbe geworden war oder nicht. |
Gastwirt verstarb – Testament auf „Kneipenblock“
Verstorben war ein Gastwirt aus dem Landkreis Ammerland. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte, einen Erbschein zu erteilen. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname einer Person („X“) vermerkt. Auf dem Zettel hieß es lediglich „X bekommt alles“.
Amtsgericht: Testierwille fehlte
Das Amtsgericht (AG) sah die Partnerin nicht als Erbin an. Es war der Auffassung, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille.
Oberlandesgericht: Testament wirksam
Der auf das Erbrecht spezialisierte Senat des OLG gelangte zu einer anderen Bewertung. Der handschriftliche Text auf dem Zettel sei ein wirksames Testament.
Das OLG war aufgrund der Einzelheiten des Verfahrens überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück selbst verfasst hatte und dass er mit dem genannten Spitznamen allein seine Partnerin gemeint habe. Auch, dass der Erblasser mit der handschriftlichen Notiz seinen Nachlass verbindlich regeln wollte, stand für den Senat aufgrund von Zeugenangaben fest.
Dass sich die Notiz auf einer ungewöhnlichen Unterlage befinde, nicht als Testament bezeichnet und zudem hinter der Theke gelagert war, stehe der Einordnung als Testament nicht entgegen. Zum einen sei es eine Eigenart des Erblassers gewesen, für ihn wichtige Dokumente hinter dem Tresen zu lagern. Zum anderen reiche es für die Annahme eines Testaments aus, dass der Testierwille des Erblassers eindeutig zu ermitteln sei und die vom ihm erstellte Notiz seine Unterschrift trage. Das OLG stellte die Partnerin daher als rechtmäßige Erbin fest.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2023, 3 W 96/23, PM 10/24
| Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte der Klägerin eine Altersrente. Einen Grundrentenzuschlag nach dem Sozialgesetzbuch VI (hier: § 76 g SGB VI) für langjährige Versicherung berücksichtigte sie nicht, weil das anzurechnende Einkommen des Ehemannes höher als der Zuschlag war. Zu Recht, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun bestätigte. |
Klägerin rügte Grundrechtsverstoß
Die Klägerin rügte, dass die Einkommensanrechnung gemäß § 97 a Abs. 1 SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße. Verheiratete und unverheiratete Menschen würden ungleich behandelt und durch den Familienstand „verheiratet“ benachteiligt, weil das Gesetz eine Einkommensanrechnung bei unverheirateten Personen nicht vorsehe. Das SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid ab.
Landessozialgericht: kein Grundrechtsverstoß
Die dagegen gerichtete Berufung hat das LSG nun zurückgewiesen. Die von der Beklagten angewandte gesetzliche Regelung sei nicht verfassungswidrig. Der Nachteil der Einkommensanrechnung werde bei Gesamtbetrachtung aller an die Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft anknüpfenden Regelungen sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch in anderen Regelungsbereichen im Ergebnis ausgeglichen.
Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs
Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass das Ziel der Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers neben der Anerkennung der Lebensarbeitsleistung eine bessere finanzielle Versorgung von langjährig Versicherten sei. Dieses Ziel werde erreicht. Dem Grundrentenberechtigten verbleibe bei Einbeziehung des Einkommens des Ehegatten ein Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs. Er stehe besser da als jemand, der wenig oder gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend versichert gearbeitet habe und entsprechend wenig oder gar nicht in diese eingezahlt habe.
Das gelte zwar auch für jemanden, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit jemandem zusammenlebe, der entsprechende Einkünfte habe. Allerdings seien Ehepartner aufgrund der unterhaltsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung wirksamer als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft versorgt.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.1.2024, L 18R 707/22, PM vom 15.3.2024
| Allein mit der Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, kann der Auftraggeber das Architektenhonorar nicht wirksam mindern. Die Bezeichnung „im Allgemeinen erforderlich“ in § 3 Abs. 3 HOAI soll nämlich klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt notwendig sind, um die Vertragsziele zu erreichen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Maßgeblich sind die vertraglichen Vereinbarungen
Maßgeblich sind nach dem OLG nicht die in der HOAI genannten Leistungsbilder, sondern die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Was ein Planer vertraglich schuldet, ergibt sich aus dem Vertrag, in der Regel also aus dem Recht des Werkvertrags. Der Inhalt dieses Vertrags ist nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts zu ermitteln.
Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI geregelten „Leistungsbilder“ sind Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach.
Daraus folgt, dass es sich bei den Vorgaben des § 34 Abs. 3 und Anlage 10.1 HOAI nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe handelt.
Es müssen nicht stets alle Grundleistungen erbracht werden
Die in Anlage 10.1 aufgeführten Grundleistungen sind nicht alle zwingend für einen vollständigen Honoraranspruch zu erbringen, wenn dies für den vereinbarten Leistungsumfang nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 S. 1 HOAI, wonach die in den Leistungsbildern erfassten Grundleistungen im Allgemeinen zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags erforderlich sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht immer alle in der jeweiligen Leistungsphase aufgeführten Grundleistungen zur Lösung der jeweiligen konkreten Planungsaufgabe zwingend erbracht werden müssen. Sind bestimmte Grundleistungen nicht zur Lösung der konkreten Planungsaufgabe erforderlich, führt es nicht zu einer Honorarkürzung, wenn diese – nicht erforderlichen – Leistungen nicht erbracht wurden.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 7.2.2024, 14 U 12/23
| In letzter Zeit häufen sich die Entscheidungen dazu, dass es nicht zu den Aufgaben des Architekten gehört, Rechtsfragen zu bearbeiten. Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt eine neue Variante hinzugefügt und sich klar positioniert. |
Das OLG: Ob eine Nachtragsforderung des bauausführenden Unternehmers berechtigt ist, liegt außerhalb der Fragestellungen, für deren Richtigkeit der Architekt mit seiner Rechnungsprüfung im Verhältnis zum Auftraggeber einzustehen hat.
Quelle | OLG Frankfurt, Beschluss vom 2.3.2023, 21 U 69/21
| Ein Architekt, der bei der Gebäudesanierung seine Kunden nicht nur in technischer Hinsicht berät, sondern auch Ratschläge zum Erhalt von Fördermitteln erteilt, muss für Schäden einstehen, wenn er die Fördervoraussetzungen fehlerhaft einschätzt. So hat es das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Empfehlung des Architekten
Die Frau hatte sich zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann dazu entschlossen, ihr Mehrfamilienhaus energetisch sanieren zu lassen und wollte dafür möglichst auch Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Sie ließ sich dahingehend von einem Architekten beraten, der auch Leistungen im Bereich der Energieberatung anbietet. Dieser empfahl, das Objekt in Wohnungseigentum umzuwandeln, da dies eine Voraussetzung für die Gewährung von KfW-Fördermitteln im Rahmen des Programms „Energieeffizient Sanieren“ sei.
KfW verweigerte Fördermittel
Entsprechend der Beratung des Architekten stellte das Ehepaar den Antrag auf die Fördermittel, noch bevor die Umwandlung des Hauses in Wohnungseigentum vollzogen war. Nachdem die Sanierungsarbeiten durchgeführt und die Umwandlung in Wohnungseigentum abgeschlossen waren, rief das Ehepaar die Fördermittel ab. Die KfW verweigerte jedoch die Auszahlung, da nach den Förderbedingungen nur Eigentümer von bestehenden Eigentumswohnungen antragsberechtigt seien; eine Umwandlung in Wohnungseigentum erst nach Antragstellung genüge dagegen nicht. Die nun entgangenen Vorteile verlangten die Eigentümer von dem Architekten ersetzt.
Architekt erbrachte Rechtsdienstleistung
Das LG gab der Klage statt. Der Architekt habe nicht nur auf technischer Ebene zugearbeitet, sondern mit seiner beratenden Tätigkeit zu den Fördervoraussetzungen der geplanten Sanierungsmaßnahme eine sogenannte Rechtsdienstleistung erbracht. Da die Information über die Voraussetzungen für die KfW-Förderung der geplanten Maßnahme unzureichend gewesen sei, habe er seine Schutzpflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt. Hätten die Eheleute den Antrag erst nach der Umwandlung in Wohnungseigentum gestellt, hätten sie die Fördermittel erhalten. Den daraus entstandenen Schaden muss der Architekt nun erstatten.
Das LG: Der Architekt kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, er arbeite im Rahmen der Energieberatung nur auf technischer Ebene.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 25.1.2024, 7 O 13/23, PM vom 28.3.2024
| Ein ehemaliger Polizist hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit infolge früher wahrgenommener Tätigkeiten u. a. im Streifendienst. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Aachen entschieden. |
Der Kläger begründete, er sei während seiner nahezu 46-jährigen Dienstzeit zu erheblichen Teilen im Außendienst eingesetzt gewesen, ohne dass sein Dienstherr ihm Mittel zum UV-Schutz zur Verfügung gestellt oder auch auf die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen hingewiesen habe. Infolgedessen leide er unter Hautkrebs am Kopf, im Gesicht und an den Unterarmen.
Das VG hat die Ablehnung der Anerkennung als Berufskrankheit bestätigt, denn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall lägen hier nicht vor. Erforderlich ist im Fall von Hautkrebs durch UV-Strahlung, dass der Betroffene bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt ist, d. h. das Erkrankungsrisiko aufgrund der dienstlichen Tätigkeit in entscheidendem Maß höher als das der Allgemeinbevölkerung ist. Davon kann bei Polizeibeamten im Außendienst nicht die Rede sein. Polizisten bewegen sich in unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und nicht nur bei strahlendem Sonnenschein im Freien.
Quelle | VG Aachen, Urteil vom 15.4.2024, 1 K 2399/23, PM vom 15.4.2024
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat entschieden: Eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) scheidet aus, wenn der Bewerber eine klassische kaufmännische Ausbildung hat, die nicht mit der Laufbahn des mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Bundeswehrverwaltung) vergleichbar ist. Hat der Bewerber später nicht entsprechend seiner Qualifikation gearbeitet, sammelt er auch keine Zeiten „hauptberuflicher Tätigkeit“. |
Kläger erhielt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch
Der Kläger bewarb sich auf die o. g. Stelle und wurde nicht eingeladen. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) klagte er auf eine Entschädigung nach dem AGG (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 AGG) und unterlag. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG zurück. Zu Recht habe das VG ausnahmsweise eine Einladung eines schwerbehinderten Menschen durch einen öffentlichen Arbeitgeber als entbehrlich angesehen. Denn die fachliche Eignung fehlte offensichtlich.
Wesentliche Unterschiede in der Ausbildung
Der Kläger hatte eine Ausbildung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft absolviert. Deren Inhalte unterschieden sich wesentlich von denen, die im Vorbereitungsdienst für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst in der Bundeswehrverwaltung vermittelt würden und allein zur Laufbahnbefähigung für den mittleren Dienst führen könnten. Das VG verglich insoweit die Ausbildung des Klägers mit den Anforderungen des fachspezifischen Vorbereitungsdienstes. Er konnte auch nicht nachweisen, dass seine späteren hauptberuflichen Tätigkeiten seiner Qualifikation entsprachen bzw. anzuerkennen seien. Hier wäre ein Zeitraum von mindestens einem Jahr und sechs Monaten notwendig gewesen. Er hatte auf verschiedenen Stellen überwiegend einfache Büro- und Verwaltungsarbeiten ausgeführt, die häufig nicht einmal eine kaufmännische Ausbildung voraussetzten.
Quelle | OVG NRW, Urteil vom 8.5.2023, 1 A 3340/20
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Auch ein Abweichen von dem direkten Arbeitsweg kann unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert sein. Dabei muss aber ein ausreichender Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt gesetzlich etwa für einen vom Arbeitsweg abweichenden Weg in Betracht, um ein Kind wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. In einem solchen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nun eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. |
Begleitung auf dem Schulweg
Die Klägerin hatte ihre Tochter im Grundschulalter zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet, an dem sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg traf. Dieser Sammelpunkt lag, von der Wohnung der Klägerin aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg von dem Sammelpunkt zu ihrer Arbeit, aber noch vor Erreichen des Wegstücks von ihrer Wohnung zur Arbeit, wurde die Klägerin – als sie trotz einer roten Fußgängerampel eine Straße überquerte – von einem PKW erfasst. Sie erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche.
Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, bekam die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart zunächst recht. Sie hatte insbesondere geltend gemacht, dass die Begleitung ihrer Tochter aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen sei.
Landessozialgericht: Kein Arbeitsweg
Auf die Berufung des Unfallversicherungsträgers hat das LSG Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall setze, wie der zuständige Senat klargestellt hat, u. a. voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Klägerin habe sich zwar im Unfallzeitpunkt objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Dies sei aber nicht hinreichend, denn das Überqueren der Straße am Unfallort zum Unfallzeitpunkt sei nicht auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit erfolgt, sodass der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit fehle.
Entscheidend: nicht Umweg, sondern Abweg
Bewege sich der Versicherte – wie vorliegend die Klägerin – nicht auf einem direkten Weg in Richtung seines Ziels, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem fort, handele es sich eben nicht um einen bloßen Umweg, sondern um einen Abweg. Werde der direkte Weg mehr als geringfügig unterbrochen und ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen, also nicht betrieblichen Gründen – ebenfalls wie vorliegend – zurückgelegt, bestehe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe auch bis zum Eintritt des Unfallereignisses die unmittelbare Wegstrecke zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht. Der Wegeunfallversicherungsschutz sei damit zum Unfallzeitpunkt noch nicht erneut begründet worden.
Keine Ausnahme gegeben
Es liege auch kein ausnahmsweise versicherter Abweg vor. Die Klägerin habe ihre Tochter nicht – wie für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz insoweit erforderlich – zum Sammelpunkt begleitet, um ihrer Beschäftigung nachzugehen, sondern allein und ausschließlich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter. Damit fehle vorliegend jeglicher sachlich-inhaltlich kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung der Klägerin und dem Begleiten der Tochter. Denn erfasst würden keine Fälle, in denen das Kind in fremde Obhut unabhängig davon verbracht werde, ob der Versicherte seine Beschäftigung alsbald aufnehmen wolle. Schließlich stelle auch die Begleitung der Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von wo aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg beschritten, schon kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne des Gesetzes dar.
Beachten Sie | Wenn ein Unfall – wie in dem dargestellten Fall – nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst ist, wird Versicherungsschutz typischerweise durch die – gesetzliche oder private – Krankenversicherung gewährleistet. Auch sind Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen während des Schulbesuchs sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022, L 10 U 3232/21, PM vom 19.3.2024
Verkehrsrecht
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass die Verpackung eines Produkts in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht („Mogelpackung“), wenn sie nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist. |
Verbraucherschutzverband klagte
Die Klägerin ist ein Verbraucherschutzverband. Die Beklagte vertreibt Kosmetik- und Körperpflegeprodukte. Die Beklagte bewarb auf ihrer Internetseite ein Herrenwaschgel in einer aus Kunststoff bestehenden Tube mit einer Füllmenge von 100 ml. In der Online-Werbung ist die Tube auf dem Verschlussdeckel stehend abgebildet. Sie ist im unteren Bereich des Verschlussdeckels transparent und gibt den Blick auf den orangefarbigen Inhalt frei. Der darüber befindliche, sich zum Falz der Tube stark verjüngende Bereich ist nicht durchsichtig, sondern silbern eingefärbt. Die Tube ist nur im durchsichtigen Bereich bis zum Beginn des oberen, nicht durchsichtigen Bereichs mit Waschgel befüllt.
Die Klägerin hält diese Werbung für unlauter, weil sie eine tatsächlich nicht gegebene nahezu vollständige Befüllung der Tube mit Waschgel suggeriere, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass die Verpackung zwar dann ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge als vorhanden vortäusche, wenn der Verbraucher sie im Rahmen des Erwerbs im Laden in Originalgröße wahrnehme. Im Fall des hier vorliegenden Online-Vertriebs fehle es jedoch an der Spürbarkeit eines Verstoßes, weil dem Verbraucher die konkrete Größe der Produktverpackung im Zeitpunkt der Beschäftigung mit dem Angebot und dem Erwerb des Produkts verborgen bleibe. Auch eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt der Täuschung über den Hohlraum in der Verpackung liege nicht vor.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH stellte klar: Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Insbesondere täuscht die beanstandete Produktgestaltung ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vor, als in ihr enthalten ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch eine spürbare Interessenbeeinträchtigung vor. Denn der Verkehr soll vor Fehlannahmen über die relative Füllmenge einer Fertigpackung („Mogelpackung“) geschützt werden. Dieser Schutzzweck ist unabhängig vom Vertriebsweg stets betroffen, wenn – wie im Streitfall – eine Fertigpackung ihrer Gestaltung und Befüllung nach in relevanter Weise über ihre relative Füllmenge täuscht.
Der Bundesgerichtshof hat die Beklagte daher zur Unterlassung verurteilt.
Die beanstandete Internetwerbung für das Waschgel verstößt gegen das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG). Eine wettbewerblich relevante Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung liegt unabhängig von dem konkret beanstandeten Werbemedium grundsätzlich vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht. Dies ist hier der Fall, da die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist und weder die Aufmachung der Verpackung das Vortäuschen einer größeren Füllmenge zuverlässig verhindert noch die gegebene Füllmenge auf technischen Erfordernissen beruht.
Quelle | BGH, Urteil vom 29.5.2024, I ZR 43/23, PM 119/24
| Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde mit Wirkung zum 1.1.2024 von 35 Euro auf 50 Euro erhöht. Diese Freigrenze gilt auch umsatzsteuerlich. Daher wurde der Umsatzsteuer-Anwendungserlass angepasst. |
Hintergrund: Für den Vorsteuerabzug kommt es (wie beim Betriebsausgabenabzug) auf die Höhe der Aufwendungen der Geschenke für jeden einzelnen Empfänger im Jahr an. Das bedeutet: Übersteigen die Aufwendungen 50 Euro nicht, ist der Vorsteuerabzug nach den Maßgaben des § 15 Umsatzsteuergesetz zulässig.
Beachten Sie | Sind Unternehmen zum Vorsteuerabzug berechtigt, ist die 50 Euro-Grenze eine Nettogrenze, ohne Vorsteuerabzugsberechtigung handelt es sich um eine Bruttogrenze.
Beispiel
Geschäftsfreund A erhält von der B-GmbH ein Geschenk im Wert von 55 Euro (inklusive 19 % Umsatzsteuer). Ein weiteres Geschenk an A ist für 2024 nicht vorgesehen. Da die B-GmbH zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, sind die Kosten unter den weiteren Voraussetzungen als Betriebsausgaben abzugsfähig (55 Euro/1,19 = 46,22 Euro).
Quelle | BMF-Schreiben vom 12.7.2024, III C 3 - S 7015/23/10002 :001 zur Anpassung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
| In der Versendung einer Gratisbeigabe (hier: Kopfhörer) liegt der Kaufvertragsabschluss über das Hauptprodukt (hier: Smartphone zu 92 Euro aufgrund eines Preisfehlers). So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. |
Im Onlinehandel liegt in der Übersendung einer Gratisbeigabe, deren Versendung einen Kaufvertrag über ein Hauptprodukt voraussetzt, auch die Annahme des Antrags auf Abschluss eines Kaufvertrags über das noch nicht versandte Hauptprodukt. Trotz eines sog. Preisfehlers kann der Kläger die Lieferung von neuen Smartphones zu 92 Euro statt 1.099 Euro laut unverbindlicher Preisempfehlung (UVP) verlangen, bestätigte das OLG.
Das war geschehen
Der Kläger nimmt die Beklagte auf die Lieferung und Übereignung von neun Smartphones in Anspruch. Die Beklagte betreibt den deutschen Onlineshop eines weltweit tätigen Elektronikkonzerns. Laut ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) liegt in einer Kundenbestellung über den Button „jetzt kaufen“ ein bindendes Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags. Die Auftragsbestätigung der Beklagten ist demnach noch keine Annahme dieses Angebots. Ein Kaufvertrag kommt laut AGB zustande, wenn die Beklagte das bestellte Produkt an den Käufer versendet und dies mit einer Versandbestätigung bestätigt. Dabei bezieht sich der Vertrag nur auf die in der Versandbestätigung bestätigten oder gelieferten Produkte.
Durch einen sogenannten Preisfehler bot die Beklagte online Smartphones für 92 Euro an. Der UVP für diese Produkte betrug 1.099 Euro. Zeitgleich bot die Beklagte bei Bestellungen bestimmte Kopfhörer als Gratisbeigabe an. Der Kläger bestellte im Rahmen von drei Bestellungen neun Smartphones sowie vier Gratis-Kopfhörer. Die Kaufpreise zahlte er umgehend. Noch im Laufe des Bestelltags änderte die Beklagte den Angebotspreis auf 928 Euro. Zwei Tage nach den Bestellungen versandte sie die vier Paar Kopfhörer an den Kläger und teilte dies jeweils per Mail mit. Knapp zwei Wochen später stornierte sie die Bestellung unter Verweis auf einen gravierenden Preisfehler. Der Kläger begehrt nun die Lieferung und Übereignung der Smartphones.
Gerichtliche Instanzen sind sich einig
Das Landgericht (LG) hatte der Klage stattgegeben. Diese Auffassung teilte das OLG im Rahmen seines Hinweisbeschlusses, der zur Rücknahme der Berufung führte: Zwischen den Parteien seien Kaufverträge über insgesamt neun Smartphones zustande gekommen. In den automatisiert erstellten Bestellbestätigungen liege zwar noch keine Annahmeerklärung, sondern allein die Bestätigung des Eingangs einer Bestellung.
Mit der Übersendung der Gratis-Kopfhörer habe die Beklagte jedoch den Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags auch in Bezug auf die in der jeweiligen Bestellung enthaltenen Smartphones angenommen: „Denn anders, als wenn in einer Bestellung mehrere kostenpflichtige Artikel zusammengefasst werden, war unbedingte Voraussetzung der kostenlosen Übersendung der Kopfhörer der Erwerb eines Smartphones. Zwischen dem Erwerb des Smartphones und der Übersendung der Kopfhörer bestand ein untrennbarer Zusammenhang dergestalt, dass die kostenlose Übersendung der Kopfhörer das wirksame Zustandekommen eines Kaufvertrags über das Hauptprodukt - das Smartphone – voraussetzt“, begründete das OLG.
Preisfehler ist dem Unternehmen zuzurechnen
Der Kläger habe die Mitteilung, dass sämtliche versprochenen Gratisbeigaben nun verschickt seien, nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte so verstehen dürfen, dass damit auch die Kaufverträge über die Smartphones bestätigt würden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass unstreitig der Preis für die Smartphones bereits am Bestelltag selbst auf 928 Euro korrigiert worden sei. Ab diesem Zeitpunkt sei daher von der Kenntnis von dem Preisfehler im Haus der Beklagten auszugehen. Dies sei ihr insgesamt zuzurechnen.
Quelle | OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 18.4.2024, 9 U 11/23, PM 38/24
| Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat Folgendes entschieden: Ist ein Geschäftsführer einer GmbH nicht am Gesellschaftskapital beteiligt, unterliegt er selbst dann der Sozialversicherungspflicht, wenn er die Geschäfte der Gesellschaft faktisch wie ein Alleininhaber führt. |
Hintergrund: Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Diese Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH.
Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei dem Geschäftsführer einer GmbH in erster Linie danach, ob er nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen.
Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der
- mindestens 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder
- bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag über eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt.
Beachten Sie | Hiervon kann auch bei besonderer Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen nicht abgesehen werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Betroffene faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führt, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hindern, er also „Kopf und Seele“ der Gesellschaft ist. So lautet die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Im Streitfall war der Ehemann als Fremd-Geschäftsführer am Stammkapital der GmbH nicht beteiligt. Alleinige Gesellschafterin war vielmehr seine Ehefrau, deren Weisungsrecht er unterlag. Diese Weisungsgebundenheit war weder aufgehoben noch eingeschränkt. Für das LSG Nordrhein-Westfalen war es unerheblich, dass der Ehemann die Möglichkeit hatte, als Vermieter der Betriebsstätte und wesentlicher Betriebsmittel sowie als Darlehensgeber wirtschaftlichen Druck auf die GmbH auszuüben. Denn dies eröffnet dem Fremd-Geschäftsführer keine erforderliche umfassende Einflussmöglichkeit, die der Stellung eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers entspricht.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.4.2024, L 8 BA 126/23, BSG, Urteil vom 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R
| Für Aussetzungszinsen gilt ein gesetzlicher Zinssatz von 6 % p. a. (0,5 % pro Monat). Diese Höhe hält der Bundesfinanzhof (BFH) fürverfassungswidrig und hat daher das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angerufen. |
Aussetzungszinsen
Ein Einspruch und eine Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: Der Steuerpflichtige muss die festgesetzte Steuer zunächst zahlen.
Beachten Sie | Auf Antrag soll aber eine Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese sogenannte Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist in der Abgabenordnung (§ 361 AO) geregelt.
Für den Steuerpflichtigen bedeutet das, dass er die Steuer zunächst nicht zahlen muss. Es droht aber eine Belastung mit Zinsen, wenn sein Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer „nachträglich“ zahlen muss. Er muss dann nämlich für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat (6 % p. a.) entrichten. Die Höhe dieser Aussetzungszinsen regelt § 237 i. V. mit 238 Abs. 1 S. 1 AO.
Nachzahlungs-/Erstattungszinsen
Es gibt allerdings auch andere Verzinsungstatbestände, z. B.für Steuererstattungen und Steuernachzahlungen. Hier war der Gesetzgeber wegeneines Beschlusses des BVerfG vom 8.7.2021 verpflichtet, den Zinssatz von 0,5 %pro Monat bzw. von 6 % p. a. anzupassen. Da sich der Beschluss des BVerfGallerdings nicht auf die Aussetzungszinsen und andereTeilverzinsungstatbestände erstreckte, wurde der Gesetzgeber nur bei denNachzahlungs- und Erstattungszinsen tätig. Hier beträgt der Zinssatz seit dem1.1.2019 nun lediglich 0,15 % pro Monat bzw. 1,8 % pro Jahr.
Bundesfinanzhof hält6 % AdV-Zinsen p. a. für verfassungswidrig
Nach Auffassung des BFH ist ein Zinssatz i. H. von 6 % p. a. für Aussetzungszinsen im Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist dieser Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen.
Zudem werden Steuerpflichtige, die AdV-Zinsen schulden und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, seit dem 1.1.2019 ungleich behandelt. Diese Zinssatzspreizung ist für den BFH verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Quelle | BFH, Beschluss vom 8.5.2024, VIII R 9/23, BFH, PM Nr. 34/24 vom 22.8.2024; BVerfG, Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17
| Für die Jahre 2022 bis 2026 gilt ab dem 21. Entfernungskilometer eine erhöhte Entfernungspauschale i. H. von 0,38 Euro. Für die ersten 20 Kilometer erfolgte indes keine Anpassung (weiterhin 0,30 Euro). Dagegen hatte ein Arbeitnehmer geklagt. Denn wegen seiner geringen Entfernung (acht Kilometer zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte) partizipierte er von der Erhöhung nicht. Die Klage hatte jedoch keinen Erfolg. Denn das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg hält die Neuregelung nicht fürverfassungswidrig. Das FG hatte jedoch die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Doch sie wurde nicht eingelegt, sodass das Urteil rechtskräftig ist. |
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.3.2024, 16 K 16092/23
| Aufwendungen für Handwerkerleistungen sind bei einer Vorauszahlung nicht steuerbegünstigt, wenn diese im Veranlagungszeitraum vor Ausführung der Handwerkerleistungen eigenmächtig erbracht wird. Dies hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf entschieden. |
Hintergrund: Für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen erhalten Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung in Höhe von 20 % der Aufwendungen (nur Lohnkosten) gemäß Einkommensteuergesetz (§ 35 a Abs. 3 EStG), höchstens jedoch 1.200 Euro im Jahr. Die Steuerermäßigung setzt voraus, dass der Steuerpflichtige eine Rechnung erhält und die Zahlung auf das Konto des Erbringers der Handwerkerleistung erfolgt.
Nach der Entscheidung des FG Düsseldorf genügt eine per E-Mail seitens des Auftraggebers mitgeteilte und eigenmächtig vorgenommene Vorauszahlung dem Rechnungserfordernis (gemäß § 35 a Abs. 5 S. 3 EStG) nicht. Im Streitfall hatte ein Ehepaar in den letzten Tagen des Jahres 2022 einen Abschlagsbetrag – ohne Aufforderung des Handwerksbetriebs – überwiesen, obwohl die Arbeiten erst im Jahr 2023 durchgeführt und auch dann erst in Rechnung gestellt werden sollten.
Vorauszahlungen können nur steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie marktüblich sind. Eine Anzahlung ohne jegliche Aufforderung des Leistungserbringers, mithin letztlich „ins Blaue hinein“, ist weder als marktüblich noch als sonst sachlich begründet anzusehen.
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 18.7.2024, 14 K 1966/23 E
| Der Betrieb eines Weinautomaten auf einem Privatgrundstück darf verboten werden. Das ergibt sich aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Koblenz. |
Verstoß gegen Jugendschutz?
Die Klägerin betreibt einen Automaten, in dem sie selbsterzeugten Wein und Sekt zum Verkauf anbietet. Der Automat steht seit Anfang 2023 auf einem Privatgrundstück; er ist an der Grenze zum öffentlichen Verkehrsraum aufgestellt und nur von der Straße aus zu bedienen. Ende April 2023 gab die Gemeinde der Klägerin gemäß Jugendschutzgesetz auf, den Weinautomaten außer Betrieb zu nehmen. Die Klägerin erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage.
Kein Verkauf in der Öffentlichkeit
Die Klage hatte keinen Erfolg. Die Klägerin, so das VG, dürfe den Weinautomaten aufgrund der Vorschriften des Jugendschutzgesetzes nicht betreiben. Denn danach dürften alkoholische Getränke in der Öffentlichkeit nicht in Automaten angeboten werden. Zwar sehe das Jugendschutzgesetz eine Ausnahme davon u. a. vor, wenn der Weinautomat in einem gewerblich genutzten Raum aufgestellt sei. An dieser Voraussetzung fehle es jedoch, da sich derAutomat auf dem Privatgrundstück der Klägerin befinde. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass Zigarettenautomaten – unabhängig von dem Belegenheitsort – bereits dann aufgestellt werden dürften, wenn eine jugendschutzkonforme Abgabe durch technische Vorrichtungen sichergestellt sei. Die unterschiedliche Behandlung von Zigaretten- und Alkoholautomaten sei aufgrund der verschiedenen Wirkweisen von Nikotin und Alkohol gerechtfertigt.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 27.5.2024, 3 K 972/23.KO, PM 14/24
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Sie erfasst Arbeitnehmer, teilweise sind aber auch Unternehmer versichert oder können sich freiwillig versichern lassen. Voraussetzung des Versicherungsschutzes bei einem Unfall ist dabei, dass dieser bei der versicherten betrieblichen Tätigkeit erfolgt und damit ein Arbeitsunfall ist. Was zur betrieblichen Tätigkeit und was zum privaten Bereich gehört, ist oft strittig und Kernfrage sozialgerichtlicher Verfahren. Einen solchen Fall hatte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zu klären. |
Fahrlehrer suchte passende Strecke
Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls war in einem Fall eines selbstständigen und gesetzlich unfallversicherten Motorrad-Fahrtrainers – dem Kläger – vor dem LSG zu klären. Der Kläger erlitt eine Luxation der linken Schulter, als er im April 2019 bei einer allein unternommenen Fahrt mit ca. 50 km/h in einer Kurve stürzte. Der Unfallort lag etwa 50 km von seinem Wohn- und Unternehmenssitz im Landkreis Tübingen entfernt. Seiner gesetzlichen Unfallversicherung – der Beklagten – teilte er mit, er habe am nächsten Tag einen Schüler mit speziellen Problemen bei Serpentinen gehabt und sei deswegen auf der Suche nach der passenden Strecke für die Schulung gewesen. Er könne sein Fahrtraining nur ordentlich durchführen, wenn er perfekte Orts- und Straßenkenntnisse habe. Umso wichtiger sei dies am Anfang der Saison, da sich über den Winter Straßen oft gravierend verändern würden.
Keine Anerkennung als Arbeitsunfall
Die Beklagte erkannte das Ereignis nicht als Arbeitsunfall an, da es sich um eine unversicherte Vorbereitungshandlung gehandelt habe. Vorbereitende Tätigkeiten wie z. B. eine „Erkundigungsfahrt“ zur Arbeit seien grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. Ausnahmsweise seien Vorbereitungshandlungen u. a. versichert, wenn der jeweilige Versicherungstatbestand nach seinem Schutzzweck auch Vor- und Nachbereitungshandlungen erfasse, die für die versicherte Hauptverrichtung im Einzelfall notwendig sind und in einem sehr engen sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Hier fehle es an einem engen Zusammenhang zwischen der behaupteten Vorbereitungshandlung und der erst am Folgetag vorgesehenen versicherten Tätigkeit.
Erfolg in der Berufung
Nachdem das Sozialgericht (SG) die Klage in erster Instanz abwies, hatte der Kläger mit seiner Berufung Erfolg. Das LSG Baden-Württemberg stellte fest, dass der fragliche Unfall ein Arbeitsunfall gewesen ist.
Landessozialgericht sah versicherte Tätigkeit
Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass die Unfallfahrt zu der versicherten Tätigkeit des Klägers gehört habe. Dieser sei zu seiner unfallbringenden Motorradfahrt allein aus dem Grund aufgebrochen, um für seine am nächsten Tag geplante Trainingsfahrt eine geeignete und sichere Strecke zu testen, was objektiv dem Ziel seines bei der Beklagten versicherten Unternehmens gedient und hierzu auch nicht in einem wirtschaftlichen Missverhältnis gestanden habe. Zwar könne es unwirtschaftlich erscheinen, für ein Fahrsicherheitstraining von ca. einem halben Tag Dauer eine so weit vom Wohnsitz des Klägers entfernte Strecke zu wählen, und diese dann auch noch am Vorabend auf eigene Kosten abzufahren. Insoweit sei aber wiederum der Hinweis des Klägers nachvollziehbar, dass bereits auf der Hinfahrt zu der Strecke der Fahrschüler professionell beobachtet werde. Zudem sei eine solche Erkundungsfahrt auch nach den Einlassungen des Klägers nicht die Regel und sei hier vorrangig dem Beginn der Motorradsaison und den hiermit verbundenen Unwägbarkeiten bezüglich geeigneter Straßenbeläge geschuldet gewesen.
Sofern – wie hier – festzustellen sei, dass eine Tätigkeit selbst als versicherte Tätigkeit anzusehen ist, könne diese nicht mehr als unversicherte Vorbereitungshandlung qualifiziert werden. Es habe zur seriösen Geschäftsausübung des Klägers gehört, dass er Fahrsicherheitstrainings nicht auf Strecken anbot, die nach der Winterpause ein unbekanntes Gefahrenpotential aufwiesen. Das Abfahren der Strecke sei daher objektiv sinnvoll und Teil der den Fahrschülern geschuldeten Hauptleistung als vertragliche Nebenpflicht, durch geeignete Maßnahmen eine Gefährdung der Fahrschüler so weit wie möglich und vertretbar zu reduzieren.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.4.2024, L 3 AS 101/24, PM vom 2.4.2024
| Kauft ein Pfandleihhaus ein Kraftfahrzeug an, um es anschließend an den Verkäufer wieder zu vermieten und beträgt der Marktwert des Fahrzeugs das Fünf- bis Sechsfache des vereinbarten Kaufpreises, sind Kauf- und Mietvertrag wegen Wucher nichtig. Der Verkäufer kann die gezahlten Mieten zurückverlangen, ohne sich den erhaltenen Kaufpreis anrechnen lassen zu müssen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Pfandhaus kauft Fahrzeuge an und vermietet sie wieder
Die Beklagte betreibt bundesweit ein staatlich zugelassenes Pfandleihhaus. Ihr Geschäftsmodell ist darauf gerichtet, Kraftfahrzeuge den Eigentümern abzukaufen und sie ihnen nachfolgend gegen monatliche Zahlungen zu vermieten. Nach Ende der Mietzeit erhält die Beklagte das Fahrzeug zurück und darf es öffentlich versteigern.
Die Klägerin verkaufte ihr Fahrzeug 2020 an die Beklagte für 3.000 Euro. Der Händlereinkaufspreis lag bei rund 15.000 Euro, der objektive Marktwert bei mehr als 18.000 Euro. Anschließend mietete die Klägerin das Fahrzeug für 297 Euro monatlich zurück und übernahm die Kosten für Steuern, Versicherung, Wartung und Reparaturen. Nach Kündigung des Vertrags durch die Beklagte gab die Klägerin das Fahrzeug nicht zurück. Der Beklagten gelang es nicht, das Fahrzeug sicherzustellen.
Klage erfolglos
Auf die Klage hin verurteilte das Landgericht (LG) die Beklagte, die geleistete Miete zurückzuzahlen und stellte fest, dass die Klägerin ihr Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren hat. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Sittenwidrigkeit: Kauf- und Mietvertrag nichtig
Sowohl der Kauf- als auch der Mietvertrag seien nichtig, begründete das OLG seine Entscheidung. Sie seien als wucherähnliche Geschäfte sittenwidrig. Es liege ein grobes und auffälliges Missverhältnis zwischen Marktwert und Kaufpreis vor, da gemäß den überzeugenden sachverständigen Ausführungen der Marktwert des Fahrzeugs über dem fünf- bis sechsfachen des Kaufpreises gelegen habe.
Auf die verwerfliche Gesinnung der Beklagten könne angesichts dieses Missverhältnisses ohne Weiteres geschlossen werden. Angesichts des Geschäftsmodells sei auch davon auszugehen, dass sich die Beklagte den mit Abschluss des Kaufvertrags erzielten Mehrwert endgültig habe einverleiben wollen, auch wenn im Fall der Versteigerung des Fahrzeugs nach Mietende ein etwaiger Mehrerlös dem Verkäufer hätte zugewandt werden müssen. Kauf- und Mietvertrag bildeten dabei ein einheitliches Rechtsgeschäft. Die Klägerin habe das Fahrzeug nur verkaufen wollen, wenn sie es zugleich weiternutzen könne. Der Mietvertrag sei damit ebenfalls nichtig und die gezahlte Miete zurückzuzahlen.
Keine Rückzahlung des Kaufpreises
Obwohl die Klägerin das Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren habe, müsse sie wegen der sittenwidrigen Übervorteilung auch nicht den Kaufpreis an die Beklagte zurückzahlen. Die Beklagte könne den Kaufpreis nicht zurückverlangen, da ihr objektiv ein Sittenverstoß anzulasten sei und sie sich angesichts des auffälligen Missverhältnisses der Rechtswidrigkeit ihres Handelns zumindest leichtfertig verschlossen habe.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.4.2024, 2 U 115/20, PM 26/24
| Das Dach eines Flachdachanbaus einer WEG-Anlage ist selbst dann Gemeinschaftseigentum, wenn alle darunterliegenden Räume zu einer Sondereigentumseinheit gehören. Für die Gültigkeit eines Grundlagenbeschlusses ist es daher nicht erforderlich, dass der Beschlussersetzungsantrag auch die inhaltliche Konkretisierung umfasst. Diese Konkretisierungen können den Eigentümern überlassen werden. So sieht es das Landgericht (LG) Karlsruhe. |
Das Dach sollte instand gesetzt werden
Gestritten wurde um die Instandsetzung des Dachs über einer Gaststättenküche in einer WEG-Anlage, die im Sondereigentum eines Eigentümers steht und ein eigenes Flachdach hat. In der Teilungserklärung ist das Sondereigentum als „Einrichtungen und Anlagen“ definiert, soweit diese nicht dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienen, sondern nur dem Sondereigentümer zu dienen bestimmt sind. Der Eigentümer begehrte durch Beschlussersetzung, dass die Instandsetzung des Dachs beschlossen wird. Die Wohnungseigentümergemeinschaft war der Ansicht, dass der Eigentümer die Instandsetzungskosten allein tragen müsse. Für die Beschlussersetzung fehle es an der sogenannten Ermessensreduzierung auf Null.
Beschluss war ungültig
Das Amtsgericht (AG) hatte der Klage zunächst stattgegeben. Die Berufung vor dem LG hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der Negativbeschluss sei ungültig, so das LG in zweiter Instanz. Die Ablehnung einer positiven Beschlussfassung widerspreche ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn der Anspruch offenkundig und ohne jeden vernünftigen Zweifel gegeben sei. Das habe schon der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.
Ein Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme, die die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums betreffe, bestehe nur, wenn sich das Ermessen der Gemeinschaft im Einzelfall auf Null reduziert habe, sich also jede andere Entscheidung als ermessensfehlerhaft darstellte. Die abgelehnte Sanierung sei dringend erforderlich und stelle eine notwendige Instandsetzungsmaßnahme dar.
Konstruktive Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig
Bei dem Dach handele es sich auch nicht um Sondereigentum.
Das LG hat klargestellt, dass die konstruktiven Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig sind, selbst wenn alle Räume des Gebäudes dem Sondereigentum eines Eigentümers unterliegen. Unerheblich ist eine mögliche widersprechende Regelung in der Teilungserklärung. Denn eine Regelung, die nicht sondereigentumsfähige Gebäudeteile zum Inhalt des Sondereigentums erklärt, ist nichtig.
Zulässig sei es, lediglich einen Grundlagenbeschluss zu treffen, also anzuordnen, dass eine Instandsetzung bestimmter Bauteile zu erfolgen habe, und den Wohnungseigentümern im Übrigen die weitere inhaltliche Konkretisierung (Auswahl des Fachunternehmens, Finanzierung der Maßnahme, etc.) zustehe. Es sei also nicht zu beanstanden, dass der Beschlussersetzungsantrag nur auf das „Ob“ der Instandsetzung, nicht jedoch bereits auf das „Wie“ ziele.
Quelle | LG Karlsruhe, Urteil vom 8.3.2024, 11 S 53/22
| Ein Vermieter muss nicht schon für jede mehr als unerhebliche Beeinträchtigung des bis zur Veränderung der äußeren Umstände gewohnten Nutzens der Mietsache einstehen. Er haftet nur für solche Umfeldveränderungen, die er selber nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 906 BGB) abwehren kann oder nur gegen Ausgleichszahlung hinnehmen muss. Die Freiheit von dahinter zurückbleibenden Einwirkungen auf das Grundstück, die ein Grundstückseigentümer ausgleichslos hinnehmen muss, sind danach gar nicht Gegenstand des vertraglichen Leistungsversprechens des Vermieters und der Gewährleistung. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Vorinstanz: Mieterin hat nicht genug vorgetragen
Die Wohnungsmieterin verlangte von der Vermieterin eine Mietminderung. Sie behauptete, die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung sei durch eine Baustelle auf dem Nachbargrundstück erheblich beeinträchtigt. Vor dem AG hatte sie damit keinen Erfolg. Sie habe nicht schlüssig dargetan, dass der Nutzen der Wohnung durch die Baustelle über das hinzunehmende Maß hinaus beeinträchtigt gewesen sei, so das AG. Darüber hinaus habe die Mieterin zur konkreten Beeinträchtigung des Wohnungsnutzens nicht ausreichend vorgetragen, sondern nur geltend gemacht, dass sie die Mieträume lediglich in Baupausen habe lüften können. Soweit sie die Unbenutzbarkeit des Balkons wegen Lärm und Staub behauptet habe, sei das unschlüssig, weil unklar bleibe, wo sich der Balkon im Verhältnis zur Baustelle auf dem Nachbargrundstück befinde.
Im Berufungsverfahren argumentierte die Mieterin, dass sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ausreichend zu den Auswirkungen der Baumaßnahmen vorgetragen habe; das Gericht müsse sich nun in einer Beweisaufnahme davon überzeugen, ob ein Mangel vorliege oder nicht.
So sah es das Landgericht
Das sah das LG anders und wies die Berufung zurück. Die Baumaßnahmen hätten nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung geführt, die die Vermieterin nicht gemäß § 906 Abs. 2 S. 1 BGB hätte unterbinden können oder gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB nur gegen eine angemessene Ausgleichszahlung hätte dulden müssen.
Beeinträchtigung war durch Dritte verursacht
Das Risiko einer nach Mietvertragsschluss – auch zufällig – eintretenden Verringerung des Nutzens der Mietsache sei nicht dem Vermieter zuzuordnen, da es sich bei einer durch Dritte verursachten Nutzungsbeeinträchtigung aus Sicht beider Vertragsparteien um ein unabwendbares Ereignis handeln könne, für das ein Vermieter erkennbar keine Haftung übernehmen wolle und billigerweise auch nicht übernehmen müsse.
An die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung sei der in der Rechtsprechung entwickelte strenge Maßstab anzulegen, der auch bei der unmittelbaren Anwendung des § 906 BGB im Nachbarschaftsrecht gelte. Andernfalls liefe das Kriterium nicht nur weitgehend leer, sondern der Vermieter wäre Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt, ohne erfolgreich gegen den Grundstücksnachbarn als Verursacher der Störungen vorgehen und diesen gegebenenfalls in Regress nehmen zu können.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 8.2.2024, 64 S 319/21
| Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte die Frage zu entscheiden, ob die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit gegeben ist. |
Der Erblasser, ein kinderloser deutscher Staatsangehöriger, ist im Jahr 2023 in einem Pflegeheim in Polen verstorben. Zuvor lebte er mit seiner (zweiten) Ehefrau sowie in verschiedenen Pflegeheimen in Deutschland. Anfang 2022 machte sich bei ihm eine zunehmende Demenz bemerkbar, die ihn zum Pflegefall machte. Seit April 2023 lebte er in einem Pflegeheim in Polen. Dort hatte er kein Vermögen, er sprach kein polnisch und hatte familiäre sowie soziale Verbindungen allein nach Deutschland. Er wurde gegen bzw. ohne seinen Willen in dem Pflegeheim in Polen untergebracht. Nach dem Tod des Erblassers stellte seine Ehefrau einen Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins beim Nachlassgericht des Amtsgerichts (AG) Singen. Dies hat den Antrag mangels internationaler Zuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.12 (Art. 4 EuErbVO) zurückgewiesen. Der dagegen gerichteten Beschwerde hat das AG nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
Das OLG Karlsruhe hat den Beschluss des Nachlassgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben sei, weil der Erblasser seinen (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe.
Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ sei unionsautonom (gem. Art 23 u. 24 EuErbVO) auszulegen. In objektiver Hinsicht müsse zumindest ein tatsächlicher Aufenthalt („körperliche Anwesenheit“) gegeben sein, auf eine konkrete Dauer oder die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts komme es hingegen nicht an. Unschädlich sei auch eine vorübergehende Abwesenheit, soweit ein Rückkehrwille bestand. In subjektiver Hinsicht sei das Vorliegen eines animus manendi (Bleibewille) erforderlich, also der nach außen manifestierte Wille, seinen Lebensmittelpunkt am Ort des tatsächlichen Aufenthalts auf Dauer zu begründen. Eines rechtsgeschäftlichen Willens bedürfe es insoweit nicht. Werden pflegebedürftige Personen in ausländischen Pflegeheimen untergebracht, komme es ebenfalls grundsätzlich auf deren Bleibewillen an. Könnten diese zum Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels keinen eigenen Willen mehr bilden oder erfolgt die Unterbringung gegen ihren Willen, fehle es an dem für die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts erforderlichen Bleibewillens. Dies sei hier der Fall.
Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.7.2024, 14 W 50/24 Wx
| Im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragte die Antragstellerin B., ungedeckte Heimkosten zu erstatten. B. bezieht verschiedene Renten; weiter hatte sie Mitte 2018 ihr hälftiges Grundstückseigentum sowie darüber hinaus ihren Anteil an der Erbengemeinschaft nach ihrem Mann unentgeltlich an ihre Kinder übertragen. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat den Antrag der B. zurückgewiesen. Sie verfüge sowohl über Einkommen als auch über Vermögen, das sie vorrangig zur Beseitigung ihrer Hilfsbedürftigkeit einsetzen muss. Erst nach dessen Verbrauch könne ein erneuter Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt werden. |
Das Einkommen der B. besteht aus Rentenansprüchen. Neben diesem Einkommen, das vollständig einzusetzen ist, kann (und muss) B. auch über ihr Vermögen verfügen. Dieses besteht in Form eines Schenkungsrückforderungsanspruchs gegenüber ihren Kindern. Denn der Schenker kann von den Beschenkten die Herausgabe des Geschenks verlangen, wenn er nach Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten.
Der Anspruch ist erst ausgeschlossen, wenn zehn Jahre seit der Schenkung vergangen sind. Diese Frist war hier noch nicht abgelaufen. Die Beschenkten können die Herausgabe allerdings durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags abwenden.
Quelle | SG Lüneburg, Beschluss vom 21.5.2024, S 38 SO 23/24 ER
| Der Eigentümer eines denkmalgeschützten Wohngebäudes hat Anspruch auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzaunes auf seinem Grundstück. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks mit einem Wohngebäude, das seit 1998 als Kulturdenkmal unter Schutz gestellt ist. Seinen Antrag auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzauns auf der bestehenden, zwischen einem und 1,60 Meter hohen Einfriedungsmauer entlang der Straße lehnte die beklagte Stadt ab. Seine entsprechende Klage wies das Verwaltungsgericht (VG) ab. Auf seine Berufung hob das OVG das Urteil des VG auf und verpflichtete die Beklagte, ihm die beantragte Genehmigung zu erteilen.
Es stehe außer Frage, dass der Solarzaun einer Genehmigung bedürfe. Diese werde nach dem rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetz (hier: § 13 Abs. 2 DSchG) nur erteilt, wenn entweder (1.) Belange des Denkmalschutzes nicht entgegenstünden oder wenn (2.) andere Erfordernisse des Gemeinwohls oder private Belange diejenigen des Denkmalschutzes überwiegen würden und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne. Zwar sei mit dem VG davon auszugehen, dass Belange des Denkmalschutzes im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 1 DSchG einer Genehmigung entgegen stünden. Das Vorhaben des Klägers erfülle aber die Anforderungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 DSchG, weil andere Erfordernisse des Gemeinwohls vorrangig seien und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne.
Das öffentliche Interesse an der Errichtung des Solarzauns sei vorliegend von solchem Gewicht, dass das Interesse an der unveränderten Erhaltung des Erscheinungsbildes des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes zurückzustehen habe und die Erteilung der Genehmigung geboten erscheine. Dies folge aus § 2 des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz) – EEG. Danach lägen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dienten der öffentlichen Sicherheit. Besondere atypische Umstände, die ein abweichendes Ergebnis der Abwägung nach sich zögen, seien nicht ersichtlich.
Den somit bestehenden überwiegenden Interessen des Gemeinwohls könne auch nicht auf sonstige Weise Rechnung getragen werden. Der Schutzzweck des § 2 EEG stehe einer Prüfung von alternativen Standorten für Anlagen der erneuerbaren Energien an anderen Stellen des klägerischen Grundstücks von vornherein entgegen. Unabhängig davon komme ein Alternativstandort für eine Solaranlage auf dem Grundstück des Klägers auch tatsächlich nicht in Betracht.
Quelle | OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.8.2024, 1 A 10604/23.OVG, PM 14/24
| Ein Landkreis hatte einem Ehepaar untersagt, im Garten ihres Wohngrundstücks Minischweine zu halten. Das Ehepaar klagte dagegen vor dem Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt a. M. – erfolglos. |
Anwohner beschwerten sich
Die Kläger sind Eigentümer eines Wohngrundstücks, das in einem durch Bebauungsplan festgesetzten allgemeinen Wohngebiet liegt. Sie halten im Garten ihres Grundstücks seit 2022 sogenannte Minischweine. Nach Anwohnerbeschwerden forderte der Beklagte die Kläger im November 2023 auf, die beiden Schweine von ihrem Grundstück zu entfernen, da das Halten von Schweinen in allgemeinen Wohngebieten unzulässig sei.
Klage der Eigentümer abgewiesen
Das VG hat die Klage abgewiesen. Das Halten von zwei Minischweinen im Garten ihres in einem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Wohnanwesens sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Der Bebauungsplan weise das Gebiet als allgemeines Wohngebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung (BauNVO) aus. Anlagen zur Tierhaltung gehörten nicht zu den in allgemeinen Wohngebieten zulässigen Anlagen. Allgemeine Wohngebiete dienten vorwiegend dem Wohnen.
Gebietsuntypische Störungen unzulässig
Die gebietstypische Schutzwürdigkeit und Störempfindlichkeit werde in allgemeinen Wohngebieten im Wesentlichen von der störempfindlichen Hauptnutzungsart bestimmt. Das Wohnen dürfe keinen gebietsunüblichen Störungen ausgesetzt werden.
Zwar seien nach der Baunutzungsverordnung (hier: § 14 BauNVO) in Wohngebieten untergeordnete Nebenanlagen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Grundstücke oder des Wohngebiets selbst dienten und die seiner Eigenart nicht widersprächen. Zu diesen untergeordneten Nebenanlagen gehörten auch solche für die Kleintierhaltung. Allerdings ermögliche § 14 BauNVO als Annex zum Wohnen eine Kleintierhaltung nur, wenn sie in dem betreffenden Baugebiet üblich und ungefährlich sei und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprenge.
Ziegen, Schweine, Schafe: Haltung in Wohngebieten heutzutage unüblich
Kleintiere seien Nutztiere ebenso wie Hobbytiere, die zum Schutz, zur Unterhaltung oder zur Ernährung gehalten würden. In den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten dürften nur solche Kleintiere gehalten werden, die der für eine Wohnnutzung charakteristischen Freizeitbeschäftigung entsprächen. Als Kleintiere würden im Allgemeinen etwa Katzen und Hunde angesehen. Dagegen sei in den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten die Haltung von Ziegen, Schafen und Schweinen in der heutigen Zeit nicht mehr üblich und unzulässig. Eine unterschiedliche Behandlung zwischen sogenannten Hausschweinen, Hängebauchschweinen und Minischweinen sei dabei nicht angezeigt. Minischweine könnten bis zu einem Meter lang werden und bis zu 100 kg wiegen.
Geräusch- und Geruchsbelästigungen
Das Halten von Schweinen in einem allgemeinen Wohngebiet führe typischerweise zu Geräusch- und Geruchsbelästigungen, die in Wohngebieten unüblich seien. Von Schweinen, die sich ganzjährig rund um die Uhr hauptsächlich im Freien aufhielten, gingen ungefilterte Gerüche und Geräusche aus, die unmittelbar die Umgebung belasteten. Aufgrund ihrer Größe und Anzahl komme es bei Schweinen zudem zu erheblichen Ausscheidungen, die gebietsuntypische Gerüche verbreiteten.
Ursprünglich dörflicher Charakter der Gemeinde unerheblich
Hieran ändere auch nichts, dass die betreffende Gemeinde ursprünglich einen dörflichen Charakter gehabt habe oder gar mit dem Spruch „Größtes Dorf der Welt“ werbe. Gegenwärtig zeichne sich die unmittelbare Umgebung des streitgegenständlichen Grundstücks - auf die es im vorliegenden Fall allein ankomme - durch weit überwiegende Wohnnutzung aus.
Zwar könne im Einzelfall die Üblichkeit der Kleintierhaltung abweichend von der typisierenden Betrachtung bejaht werden, wenn eine konkrete Betrachtung ergebe, dass in der Nachbarschaft vergleichbare Nutzungen vorhanden seien und sich die Bewohner des Baugebiets damit abgefunden hätten. Letzteres sei hier jedoch nicht der Fall.
Quelle | VG Neustadt a. M., Urteil vom 11.9.2024, 5 K427/24, PM 14/24
| Notdienste eines Kundendiensttechnikers, die dadurch gekennzeichnet sind, dass er sich an einem frei wählbaren Ort aufhalten kann, aber telefonisch erreichbar sein und zu einem Notdiensteinsatz binnen einer Stunde am Einsatzort eintreffen muss, wenn er angefordert wird, sind Rufbereitschaftsdienste und keine Bereitschaftsdienste. Voraussetzung: Unter Berücksichtigung der Anfahrtszeit verbleiben noch 30 Minuten Zeit, bis der Arbeitnehmer aufbrechen muss. Zu diesem Ergebnis kommt das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. |
Notdienst nur sehr selten
Außerdem erläuterte das Gericht, dass das oben Gesagte zumindest dann gelte, wenn eine tatsächliche Anforderung im Notdienst äußerst selten vorkomme – im vorliegenden Fall lediglich in einem Umfang von 0,67 % der Gesamt-Notdienstbereitschaftszeit.
Ruhezeit
Liege arbeitsschutzrechtlich Rufbereitschaft und kein Bereitschaftsdienst vor, handele es sich um Ruhezeit im Sinne desArbeitszeitgesetzes (hier: § 5 ArbZG). Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff folge hier dem arbeitsschutzrechtlichen, sodass – soweit keine gesonderte Regelung im Arbeitsvertrag, in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zur Anwendung gelange – keine Vergütungspflicht bestehe.
Ausgenommen hiervon seien die Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung im Rahmen der Aktivierung aus dem Notdienst heraus, die als Vollarbeit zu vergüten sind.
Mindestlohngesetz
Auch das Mindestlohngesetz knüpfe an geleistete Zeitstunden an und mithin an den vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff. Arbeitsschutzrechtliche Ruhezeit sei weder arbeitsschutz- noch vergütungsrechtlich Arbeitszeit und begründet daher auch keine Mindestlohnansprüche.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.4.2024, 3 SLa 10/24
| Ein Reitverein muss für von ihm angebotenen Reitunterricht Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wenn der Unterricht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung erbracht wird. Hierfür spricht, wenn die Reitlehrerin die vereinseigenen Pferde sowie die Reithalle unentgeltlich nutzen kann und sie kein unternehmerisches Risiko trägt. Dies entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG). |
Reitverein muss Sozialversicherungsbeiträge und -nachforderungen zahlen und klagt
Eine Reitlehrerin unterrichtete Mitglieder eines gemeinnützigen Reitvereins mit den vereinseigenen Schulpferden auf dem Vereinsgelände zwischen 12 und 20 Stunden wöchentlich. In den Jahren 2015 bis 2018 zahlte ihr der Verein pro Reitstunde 18 Euro. Die Deutsche Rentenversicherung prüfte den Betrieb des Reitvereins. Sie stellte fest, dass die Reitlehrerin abhängig beschäftigt ist und forderte von dem Verein Rentenversicherungsbeiträge nach. Der Reitverein wandte hiergegen ein, dass die Reitlehrerin selbstständig tätig sei.
Landessozialgericht bestätigt Beitragspflicht des Reitvereins
Das LSG gab der Rentenversicherung Recht. Die Beitragsnachforderung sei rechtmäßig. Eine abhängige Beschäftigung liege vor. Zwar könne ein nebenberuflicher Übungsleiter oder Trainer in Sportvereinen auch selbstständig tätig sein, wie das Vertragsmuster „Freier-Mitarbeiter-Vertrag Übungsleiter Sport“ der Rentenversicherung belege. Ein solcher Vertrag sei jedoch vorliegend zwischen dem Reitverein und der Reitlehrerin nicht geschlossen worden.
Zudem sprächen im konkreten Einzelfall mehr Anhaltspunkte für das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung. So habe die Reitlehrerin kein unternehmerisches Risiko getragen. Sie habe keine Rechnungen erstellt und ausschließlich die vereinseigenen Pferde einschließlich Sattel und Zaumzeug genutzt, wofür sie - wie auch für die Nutzung der Reithalle - kein Entgelt gezahlt habe. Die Hallenzeiten habe sie mit dem Reitverein abgestimmt. Der Reitverein habe die Stundenvergütung vorgegeben. Die Jahresvergütung von durchschnittlich über 6.500 Euro habe die steuerfreie Aufwandspauschale für Übungsleiter (bis 2020: 2.400 Euro jährlich) weit überschritten. Schließlich habe der Reitverein auf seiner Homepage mit „unsere Reitlehrerin“ geworben und selbst die Verträge über den Reitunterricht mit den Reitschülern geschlossen.
Da die Rentenversicherung nur die über der Aufwandspauschale für Übungsleiter liegenden Einkünfte bei der Beitragsberechnung berücksichtigt habe, sei auch die Höhe der Beitragsforderung zutreffend.
Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.
Quelle | Hessisches LSG, Urteil vom 18.6.2024, L 1 BA 22/23,PM 6/24
| Die gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 3 Nr. 11 c EStG) geregelte Steuerfreiheit der (freiwilligen) Inflationsausgleichsprämie sieht keine Regelung vor, dass die Prämie an alle Arbeitnehmer ausgezahlt werden muss. Somit ist der Arbeitgeber nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen grundsätzlich nicht daran gehindert, die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie an weitere Bedingungen zu knüpfen. |
Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt
Es verstößt nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein Arbeitgeber zur weiteren Bedingung der Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie macht, dass der Beschäftigte Teil seiner „active workforce“ ist, sodass z. B. Beschäftigte in der Passivphase der Altersteilzeit von der Prämie ausgeschlossen sind.
Steuerfreie Inflationsausgleichsprämie bis zu 3.000 Euro
Die freiwillige Inflationsausgleichsprämie kann vom 26.10.2022 bis Ende 2024 gewährt werden. Bei den 3.000 Euro handelt es sich um einen steuerlichen Freibetrag, der auch in mehreren Teilbeträgen ausgezahlt werden kann.
Begünstigt sind auch Zahlungen an Minijobber. Da die Zahlung steuer- und beitragsfrei ist, wird sie nicht auf die Minijobgrenze angerechnet.
Zusätzlich zum Arbeitslohn
Die Zahlungen müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erfolgen. Nach § 8 Abs. 4 EStG werden Leistungen nur dann zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, wenn
- die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
- der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
- die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
- bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.
Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 21.2.2024, 8 Sa 564/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Die Werbung mit einem mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff (hier: „klimaneutral“) ist regelmäßig nur zulässig, wenn in der Werbung selbst erläutert wird, welche konkrete Bedeutung diesem Begriff zukommt. |
Das war geschehen
Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte ist ein Unternehmen, das Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz herstellt. Die Produkte sind im Lebensmitteleinzelhandel, an Kiosken und an Tankstellen erhältlich. Die Beklagte warb in einer Fachzeitung der Lebensmittelbranche mit der Aussage: „Seit 2021 produziert [die Beklagte] alle Produkte klimaneutral“ und einem Logo, das den Begriff „klimaneutral“ zeigt und auf die Internetseite eines „ClimatePartner“ hinweist. Der Herstellungsprozess der Produkte der Beklagten läuft nicht CO2-neutral ab. Die Beklagte unterstützt indes über den „ClimatePartner“ Klimaschutzprojekte.
Irreführend: Herstellungsprozess selbst nicht klimaneutral
Die Klägerin hält die Werbeaussage für irreführend. Die angesprochenen Verkehrskreise verstünden diese so, dass der Herstellungsprozess selbst klimaneutral ablaufe. Zumindest müsse die Werbeaussage dahingehend ergänzt werden, dass die Klimaneutralität erst durch kompensatorische Maßnahmen hergestellt werde. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH hat die Beklagte zur Unterlassung der Werbung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten verurteilt. Die beanstandete Werbung ist irreführend im Sinne des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 UWG).
Die Werbung ist mehrdeutig, weil der Begriff „klimaneutral“ nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen von den Lesern der Fachzeitung – nicht anders als von Verbrauchern – sowohl im Sinne einer Reduktion von CO2 im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO2 verstanden werden kann. Im Bereich der umweltbezogenen Werbung ist – ebenso, wie bei gesundheitsbezogener Werbung – eine Irreführungsgefahr besonders groß und es besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen. Bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff, wie „klimaneutral“, verwendet, muss deshalb zur Vermeidung einer Irreführung regelmäßig bereits in der Werbung selbst erläutert werden, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist. Aufklärende Hinweise außerhalb der umweltbezogenen Werbung sind insoweit nicht ausreichend.
Irreführende Werbung relevant für Kaufentscheidung
Eine Erläuterung des Begriffs „klimaneutral“ war hier insbesondere erforderlich, weil die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität darstellen, sondern die Reduktion gegenüber der Kompensation unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes vorrangig ist. Die Irreführung ist auch wettbewerblich relevant, da die Bewerbung eines Produkts mit einer vermeintlichen Klimaneutralität für die Kaufentscheidung des Verbrauchers von erheblicher Bedeutung ist.
Quelle | BGH, Urteil vom 27.6.2024, I ZR 98/23, PM 138/24
| Die Aufzeichnungspflichten nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 4 Abs. 7 des EStG) für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind bei einem Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt, nur erfüllt, wenn sämtliche Aufwendungen einzeln fortlaufend in einem gesonderten Dokument oder Datensatz aufgezeichnet werden. Eine reine Belegsammlung mit Aufaddieren der Positionen nach Abschluss des Veranlagungszeitraums ist nicht ausreichend. Da der Bundesfinanzhof (BFH) gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Hessen kürzlich die Revision zugelassen hat, ist mit einer weiteren Präzisierung der Rechtsprechungsgrundsätze zu rechnen. |
Hintergrund: § 4 Abs. 5 EStG schränkt den Abzug für gewisse Betriebsausgaben ein. So wirken sich z. B. Aufwendungen für Geschenke an Geschäftspartner und Kunden nur steuermindernd aus, wenn eine Grenze von 50 Euro eingehalten wird. Und auch für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer besteht eine Abzugsbeschränkung.
Aufzeichnungspflichten
Darüber hinaus sind die Aufwendungen i. S. des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 4, 6 b und 7 EStG einzeln und getrennt von den sonstigen Betriebsausgaben aufzuzeichnen. Soweit diese Aufwendungen nicht bereits nach Abs. 5 vom Abzug ausgeschlossen sind, dürfen sie bei der Gewinnermittlung nur berücksichtigt werden, wenn sie besonders aufgezeichnet sind.
Beachten Sie | Bei den Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG handelt es sich um eine zusätzliche materiell-rechtliche Voraussetzung für den Betriebsausgabenabzug. Bei Verstößen droht das Abzugsverbot. Dieses Abzugsverbot wird auch bei einer Gewinnermittlung per Einnahmen-Überschussrechnung so umgesetzt, dass die betroffenen Aufwendungen dem Gewinn als Betriebseinnahmen hinzugerechnet werden.
Finanzierungs- und Energiekosten dürfen geschätzt werden
Nach Ansicht der Finanzverwaltung bestehen keine Bedenken, wenn die auf das Arbeitszimmer anteilig entfallenden Finanzierungskosten im Wege der Schätzung ermittelt werden und nach Ablauf des Wirtschafts- oder Kalenderjahrs eine Aufzeichnung aufgrund der Jahresabrechnung des Kreditinstituts erfolgt. Entsprechendes gilt für die verbrauchsabhängigen Kosten (z. B. Wasser- und Energiekosten). Es reicht aus, Abschreibungsbeträge einmal jährlich – zeitnah nach Ablauf des Kalender- oder Wirtschaftsjahrs – aufzuzeichnen.
Jahrespauschale ausgenommen
Beachten Sie | Beim Abzug der Jahrespauschale (1.260 Euro) bestehen die besonderen Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG nicht.
Quelle | FG Hessen, Urteil vom 13.10.2022, 10 K 1672/19, Rev. BFH: VIII R 6/24, BMF-Schreiben vom 15.8.2023, IV C 6 – S 2145/19/1006 :027, RZ. 25 f.
| Ermittelt ein Steuerpflichtiger seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung, ist die Art und Weise, in der er seine Aufzeichnungen geführt hat, eine Tatsache, die zur Korrektur eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids führen kann, wenn sie dem Finanzamt nachträglich bekannt wird. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. |
Hintergrund: Ist die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat abgelaufen, wird ein Steuerbescheid grundsätzlich bestandskräftig. Allerdings bestehen auch danach Berichtigungs- und Änderungsmöglichkeiten. Eine davon ist § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Hier heißt es: Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Das war geschehen
Ein Einzelhändler ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung. Das Finanzamt veranlagte ihn erklärungsgemäß (ohne Vorbehalt der Nachprüfung). Bei einer späteren Außenprüfung beurteilte das Finanzamt die Aufzeichnungen als formell mangelhaft und nahm eine Hinzuschätzung vor. Die bestandskräftigen Bescheide wurden nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert.
Bareinnahmen: Aufzeichnungen mangelhaft
Die Tatsache, ob und wie der Steuerpflichtige seine Bareinnahmen aufgezeichnet hat, ist rechtserheblich, wenn das Finanzamt bei deren vollständiger Kenntnis bereits im Zeitpunkt der Veranlagung zur Schätzung befugt gewesen wäre und deshalb eine höhere Steuer festgesetzt hätte.
Da eine Schätzungsbefugnis in bestimmten Fällen auch bei (nur) formellen Mängeln der Aufzeichnungen über Bareinnahmen besteht, muss das FG nun im zweiten Rechtsgang prüfen, ob die Unterlagen Mängel aufweisen, die zur Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen führen.
Quelle | BFH, Urteil vom 6.5.2024, III R 14/22, PM 30/24 vom 4.7.2024
| Wer neben dem Bau von Gewächshäusern Pflanzen züchtet und mit ihnen handelt, unterhält nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) Münster unterschiedliche Betriebe. Dies hat zur Folge, dass für Zwecke der Gewerbesteuer Verluste aus der Pflanzenzucht nicht mit Gewinnen aus dem Gewächshausbau verrechnet werden können. |
Unterschied: Betätigung gewerblich oder land- und forstwirtschaftlich
Beim Gewächshausbau handelt es sich nach der Wertung des FG um eine gewerbliche und bei der Pflanzenzucht um eine land- und forstwirtschaftliche Betätigung. Beide Tätigkeiten sind laut FG auch nicht derart miteinander planvoll wirtschaftlich verbunden, dass sie als ein einheitlicher Gewerbebetrieb betrachtet werden können.
Beachten Sie | Die Pflanzenzucht ist auch keine bloße Hilfsbetätigung zum Gewächshausbau und sie ist auch nicht notwendig für die gewerbliche Tätigkeit, da auch Konkurrenzbetriebe nicht stets zusätzlich eine Pflanzenzucht betreiben.
Sachlicher Zusammenhang erforderlich
Die Zusammenfassung mehrerer Betätigungen zu einem einheitlichen Gewerbebetrieb erfordert allgemein einen sachlichen Zusammenhang finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Art zwischen den Betätigungen.
Bei gleichartigen gewerblichen Betätigungen gilt die Vermutung eines einheitlichen Gewerbebetriebs, es sei denn, es sprechen ausnahmsweise besondere Umstände des konkreten Einzelfalls dagegen. Bei ungleichartigen gewerblichen Betätigungen liegt dagegen nur ausnahmsweise ein einheitlicher Gewerbebetrieb vor. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) im Jahr 2020 entschieden.
Dies gilt erst recht beim Zusammentreffen einer gewerblichen mit einer nicht gewerblichen Tätigkeit. Nur ganz ausnahmsweise – bei einem untrennbaren Sachzusammenhang – können auch solche Betätigungen zusammengefasst werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 29.11.2023, 13 K 986/21 G; BFH, Urteil vom 17.6.2020, X R 15/18
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (§ 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen.
Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest. Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R, PM Nr. 7/24
| Wer in der Dunkelheit mit dem Auto auf einen Betonpoller auffährt, muss nicht unbedingt für seinen Schaden selbst aufkommen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig entschieden. |
Das war geschehen
Ein Autofahrer forderte von einer Gemeinde Schadenersatz. Er war bei Dunkelheit mit seinem Fahrzeug in den mittleren von drei etwa 40 Zentimeter hohen Betonpollern hineingefahren. Die Poller hatte die Gemeinde hinter dem Einmündungsbereich einer mit einem Sackgassenschild ausgewiesenen Straße als Durchfahrtssperre aufgestellt. Nur die äußeren beiden Poller waren dabei mit jeweils drei Reflektoren versehen. Das Landgericht (LG) hatte die Gemeinde teilweise zum Schadenersatz verurteilt. Der Autofahrer müsse sich lediglich 25 Prozent Mitverschulden anrechnen lassen.
Verstoß gegen die Straßenverkehrssicherungspflicht
Dies hat das OLG nun bestätigt. Die Gemeinde habe gegen ihre Straßenverkehrssicherungspflicht verstoßen. Sie hätte die der Verkehrsberuhigung dienenden Poller so aufstellen müssen, dass die Benutzer der Straße diese gut sehen könnten, wenn sie entsprechend sorgfältig führen. Dies hätte durch gut sichtbare Markierungen und ausreichende Beleuchtung erfolgen müssen. Das gelte vor allem, weil die Poller nur eine geringe Höhe (ca. 40 cm) hatten. Solche Poller seien aus dem Sichtwinkel eines Autofahrers nur schwer zu erkennen.
Sachverständigengutachten: Poller waren nicht zu erkennen
Das OLG hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt. Danach kam es zu dem Ergebnis, dass jedenfalls der mittlere und der rechte Poller unabhängig von der Geschwindigkeit und selbst bei Tageslicht für einen von rechts in die Straße einbiegenden Kraftfahrzeugfahrer nicht erkennbar waren. Dies habe der Sachverständige anhand von Videosequenzen belegt. Auch dem Sackgassenschild habe ein Autofahrer nicht entnehmen können, dass die Straße durch Poller versperrt sein würde. Die beklagte Gemeinde habe damit in eklatanter Weise gegen ihre Verkehrssicherungspflichten verstoßen.
Quelle | OLG Braunschweig, Urteil vom 10.12.2018, 11 U 54/1
| Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat die Klage eines Nachbarn auf Durchsetzung des „Fensterrechts“ in der Berufungsinstanz abgewiesen. In erster Instanz hatte das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth den vom Kläger gegen die Grundstücksnachbarn geltend gemachten Anspruch zuerkannt, die auf der Grundstücksgrenze befindlichen Fenster großflächig blickdicht zu gestalten und geschlossen zu halten. Das OLG hat nun die Entscheidung geändert. |
Kläger beriefen sich auf Nachbarrecht
Der Kläger verlangte unter Berufung auf die bayerischen Nachbarrechtsvorschriften von den beklagten Nachbarn, die zu seinem Grundstück zugewandten Wohnraumfenster so umzubauen, dass ein Öffnen und ein Durchblicken bis zur Höhe von 1,80 m über dem Boden nicht möglich sind. Er ist Eigentümer eines im Jahr 2017 errichteten Einfamilienhauses, die Beklagten wohnen seit 2019 auf dem Nachbargrundstück. Beide Grundstücke waren zunächst Teil eines größeren Grundstücks. Infolge der Grundstücksteilung im Jahr 2000 wurde das Wohnhaus, in dem die Beklagten wohnen, zu einem Grenzbau. Die Wohnung der Beklagten hat mehrere Fenster sowie eine Balkonfenstertür, deren Abstand zur Grundstücksgrenze des Klägers weniger als 60 Zentimeter beträgt.
Oberlandesgericht machte sich ein eigenes Bild
Das OLG sah die auf das „Fensterrecht“ gestützten Anspruchsvoraussetzungen zwar grundsätzlich als gegeben, erachtete die Durchsetzung des Anspruchs im konkreten Einzelfall in der Gesamtwürdigung aber als unbillige Härte. Es hatte sich in einem Ortstermin ein eigenes Bild von den konkreten Wohnverhältnissen gemacht und die streitgegenständlichen Fenster, insbesondere die etwaig zu verschattenden Fensterflächen, die Lichtverhältnisse in sämtlichen betroffenen Räumen und die Fluchtwege der Wohnung in Augenschein genommen.
Unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten der Wohnung und in Abwägung der jeweiligen Interessen beider Seiten kam das OLG zu dem Ergebnis, dass dem Kläger ein Berufen auf das nachbarrechtliche „Fensterrecht“ im konkreten Einzelfall verwehrt ist. Maßgeblich war aus Sicht des Gerichts zum einen, dass bis zu 80 % der Fensterflächen von der blickdichten Gestaltung betroffen wären und eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr der Wohnung bei Durchsetzung des Anspruchs nicht mehr gewährleistet wäre. Zum anderen hat das Gericht berücksichtigt, dass bei einem dauerhaften Verschließen der Balkontür auch der notwendige zweite Fluchtweg nicht mehr gegeben wäre. In Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände erachtete das Gericht die Ausübung des Fensterrechts daher als unzulässig.
Quelle | OLG Nürnberg, Urteil vom 18.6.2024. 6 U 2481/22, PM 21/24
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit der Frage befasst, ob sich der Verkäufer eines fast 40 Jahre alten Fahrzeugs mit Erfolg auf einen vertraglich vereinbarten allgemeinen Gewährleistungsausschluss berufen kann, wenn er mit dem Käufer zugleich vereinbart hat, dass die in dem Fahrzeug befindliche Klimaanlage einwandfrei funktioniere, und der Käufer nunmehr Mängelrechte wegen eines Defekts der Klimaanlage geltend macht. |
Das war geschehen
Der Kläger erwarb im März 2021 im Rahmen eines Privatverkaufs von dem Beklagten zu einem Kaufpreis von 25.000 Euro einen erstmals im Juli 1981 zugelassenen Mercedes-Benz 380 SL mit einer Laufleistung von rund 150.000 km. In der Verkaufsanzeige des Beklagten auf einer Onlineplattform hieß es unter anderem: „Klimaanlage funktioniert einwandfrei. Der Verkauf erfolgt unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“.
Im Mai 2021 beanstandete der Kläger, dass die Klimaanlage defekt sei. Nachdem der Beklagte etwaige Ansprüche des Klägers zurückgewiesen hatte, ließ dieser die Klimaanlage – im Wesentlichen durch eine Erneuerung des Klimakompressors – instand setzen. Mit der Klage verlangt er von dem Beklagten den Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von rund 1.750 Euro.
So sah es der Bundesgerichtshof
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren erfolgreich weiter. Der BGH hat entschieden, dass der Beklagte sich gegenüber dem hier im Streit stehenden Schadenersatzanspruch des Klägers nicht auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen kann.
Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist in den Fällen einer (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbarten Beschaffenheit ein daneben vereinbarter allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel dahin auszulegen, dass er nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit, sondern nur für sonstige Mängel gelten soll. Eine von diesem Grundsatz abweichende Auslegung des Gewährleistungsausschlusses kommt nicht in Betracht.
Auf den Wortlaut der Internetanzeige kam es an
Der Umstand, dass der Beklagte nicht erst im schriftlichen Kaufvertrag, sondern bereits in seiner Internetanzeige – unmittelbar im Anschluss an die Angabe „Klimaanlage funktioniert einwandfrei“ – erklärt hat, dass der Verkauf „unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“ erfolge, erlaubt es nicht, den vereinbarten Gewährleistungsausschluss dahingehend zu verstehen, dass er sich auf die getroffene Beschaffenheitsvereinbarung über die (einwandfreie) Funktionsfähigkeit der Klimaanlage erstreckt. Denn gerade das – aus Sicht eines verständigen Käufers – gleichrangige Nebeneinanderstehen einer Beschaffenheitsvereinbarung einerseits und eines Ausschlusses der Sachmängelhaftung andererseits gebietet es nach der Rechtsprechung des BGH, den Gewährleistungsausschluss als beschränkt auf etwaige, hier nicht in Rede stehende Sachmängel aufzufassen, da die Beschaffenheitsvereinbarung für den Käufer andernfalls – außer im (hier nicht gegebenen) Fall der Arglist des Verkäufers – ohne Sinn und Wert wäre.
Vereinbarte Beschaffenheit kann nicht im Anschluss wieder ausgeschlossen werden
Insbesondere aber rechtfertigen in einem Fall, in dem – wie hier – die Funktionsfähigkeit eines bestimmten Fahrzeugbauteils den Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung bildet, weder das (hohe) Alter des Fahrzeugs beziehungsweise des betreffenden Bauteils, noch der Umstand, dass dieses Bauteil typischerweise dem Verschleiß unterliegt, die Annahme, dass ein zugleich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss auch für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit gelten soll. Diese Umstände (Alter des Fahrzeugs, Verschleißanfälligkeit eines Bauteils) können zwar für die übliche Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens von Bedeutung sein. Sie spielen jedoch weder für die Frage einer konkret vereinbarten Beschaffenheit noch für die hier maßgebliche Frage eine Rolle, welche Reichweite ein allgemeiner Gewährleistungsausschluss im Fall einer vereinbarten Beschaffenheit hat. Vielmehr findet der Grundsatz, dass ein vertraglich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss die Haftung des Verkäufers für einen auf dem Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit beruhenden Sachmangel unberührt lässt, auch dann uneingeschränkt Anwendung, wenn der Verkäufer die Funktionsfähigkeit eines Verschleißteils eines Gebrauchtwagens zugesagt hat.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.4.2024, VIII ZR 161/23, PM 82/2024
| Ein Hotel mit einem Fußweg von ca. 1,3 Kilometern befindet sich nicht „nur wenige Gehminuten“ von wunderschönen Stränden entfernt. So hat es das Amtsgericht (AG) München jetzt klargestellt. Es läge daher ein Reisemangel vor. |
Es ging um die Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz
Das AG verurteilte einen Reiseveranstalter zur Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit in Höhe von insgesamt 1.795 Euro. Die Klägerin hatte für sich und ihre neunjährige Tochter bei der Beklagten eine Rundreise durch Costa Rica gebucht. Die Rundreise sollte einen Aufenthalt von 4 Nächten in einem Boutique-Hotel an der Pazifikküste beinhalten.
Tatsächlich 25 Gehminuten zum Strand
Die Klägerin bemängelte, das Hotel sei mit den Worten „nur wenige Gehminuten von den besten Restaurants und wunderschönen Stränden [..] entfernt“ beschrieben worden. Dies habe nicht der Realität entsprochen. An der Rezeption sei ihr mitgeteilt worden, dass man ein Taxi nehmen müsse, um den Strand zu erreichen, da dieser 25 Gehminuten entfernt läge. Die Klägerin wandte sich daraufhin an die lokale Ansprechpartnerin der Reiseveranstalterin und buchte in Abstimmung mit dieser über eine Buchungsplattform auf eigene Kosten ein Ersatzhotel. Mit ihrer Klage machte die Klägerin Ersatz der verauslagten Kosten für die Buchung des Ersatzhotels in Höhe von 733 Euro sowie Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit wegen eines verlorenen Urlaubstages aufgrund des Hotelwechsels in Höhe von 1.062 Euro geltend.
Entfernung zugesichert?
Die Beklagte behauptete, es sei nie eine bestimmte Entfernung oder Gehzeit zum Strand zugesichert worden. Tatsächlich sei der Strand in ca. 15 Minuten zu erreichen.
Das AG gab der Klägerin in vollem Umfang Recht und führte in den Entscheidungsgründen aus, dass das Hotel aufgrund seiner Entfernung zum Strand mangelhaft sei. Zwischen den Parteien sei zwar umstritten, wie lange der Fußweg vom Hotel zum Strand dauerte. Es sei allerdings unstreitig, dass der nächstgelegene Strand des Hotels einen Fußweg von 1,3 km entfernt war. Im Rahmen der Auslegung dieses vertraglich vereinbarten Merkmals „wenige Gehminuten“ müsse auch berücksichtigt werden, dass es sich bei der gebuchten Reise um eine Reise im Hochpreissegment handelte, wurden doch für 12 Tage knapp 9.000 Euro ausgegeben – exklusive Flügen. Die Beklagte, die selbst damit wirbt, „unvergessbare Luxusreisen“ anzubieten, müsse sich insofern an ihren eigenen Ansprüchen messen lassen. Nach Überzeugung des Gerichts seien bei einer hochpreisigen Luxusreise „wenige Gehminuten“ eine Zeit, die bei normalem Gehtempo regelmäßig fünf Minuten nicht überschreite.
„Wenige Gehminuten“ = maximal 5 Minuten!
Die unstreitige Entfernung zum Strand von 1,3 km könne jedoch nur dann (noch) in fünf Minuten zurückgelegt werden, wenn eine Gehgeschwindigkeit von etwa 15,6 km/h eingehalten werden würde, was selbst für erfahrene Läufer ein ambitioniertes Tempo darstelle. Vor dem Hintergrund, dass der Beklagten bei der Reiseplanung bekannt war, dass die Klägerin mit einem neunjährigen Kind reiste – passte sie doch ihr Freizeitprogramm kindgerecht an – könne das Einhalten eines solchen Tempos nicht vorausgesetzt werden.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | AG München, Urteil vom 22.11.2023, 242 C 13523/23, PM 20/24
| Das Landgericht (LG) München I hat die Klage einer Kundin gegen einen Outlet-Betreiber auf Schmerzensgeld abgewiesen. Die Kundin hatte sich bei der Kleideranprobe durch ein Preisschild eine Augenverletzung zugezogen. |
Bei der Kleideranprobe am Preisschild verletzt
Im April 2023 probierte die klagende Kundin im Outlet-Store der Beklagten ein T-Shirt. Dabei verletzte sie sich durch ein an diesem T-Shirt angebrachtes Preisschild am rechten Auge.
Schmerzensgeld gefordert
Die Kundin hat gegen den Betreiber des Outlet-Stores deswegen Klage erhoben und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5.000 Euro gefordert. Der Betreiber des Outlet-Stores habe die ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt, da das Preisschild in seiner Ausgestaltung aufgrund fehlender Sicherung und Erkennbarkeit gefährlich gewesen sei. Das Preisschild habe ihr bei der Anprobe ins Auge geschlagen. Sie habe dadurch eine erhebliche Verletzung am rechten Auge erlitten. Es sei erforderlich gewesen, an dem verletzten Auge eine Hornhauttransplantation durchzuführen. Bis heute leide sie unter Schmerzen und sei weiterhin in ihrer Sicht eingeschränkt sowie besonders blendempfindlich.
Preisschilder vorgeschrieben
Der Betreiber des Outlet-Stores hat eingewandt, bei dem verwendeten Preisschild handle es sich um ein übliches Standardpreisschild in der Größe von ca. 9 cm x 5 cm mit abgerundeten Ecken und einer flexiblen Rebschnur. Die Preisschilder seien durch ihre Größe und das Gewicht des Bündels deutlich fühlbar gewesen. Vergleichbare Fälle von aufgetretenen Verletzungen seien ihm nicht bekannt. Zudem sei es gesetzlich vorgeschrieben, entsprechende Preisschilder an den Waren anzubringen.
Amtsgericht weist Klage ab
Das AG hat die Klage abgewiesen. Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt stehe der Kundin ein Anspruch auf Schmerzensgeld gegenüber dem Betreiber des Outlet-Stores zu. Wenn sich im Zuge einer Kleideranprobe in einem Outlet eine Kundin durch ein übliches Preisschild am Auge verletzt, hafte der Betreiber dafür nicht, so das AG.
Zur Begründung hat das AG ausgeführt, sichernde Maßnahmen seien nur in dem Maße geboten, in dem sie ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei müsse der Geschäftsbetreiber nicht für alle denkbar entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es komme vielmehr auch entscheidend darauf an, welche Möglichkeiten der Geschädigte hat, sich vor erkennbaren Gefahrquellen selbst zu schützen.
Im hier entschiedenen Einzelfall habe der Betreiber des Outlet-Stores den an ihn gerichteten Verkehrssicherungspflichten Genüge getan. Für die Kundin sei das Vorhandensein eines Preisschildes erwartbar und das Treffen eigener Sicherheitsvorkehrungen zumutbar gewesen.
Nach allgemeiner Lebenserfahrung werfe ein Kunde bereits vor der Anprobe einen Blick auf das Preisschild und könne daher ohne Weiteres selbst dafür sorgen, dass er sich bei der Anprobe nicht verletze. Die Forderung der Kundin, gesondert auf das Vorhandensein von Preisschildern an der Kleidung hinzuweisen, hielt das Gericht für lebensfremd und nicht zumutbar.
Quelle | LG München I, Urteil vom 28.5.2024, 29 O 13848/23, PM 5/24
| Das Landgericht (LG) Paderborn hat in einem Mietrechtsstreit über Feuchtigkeitserscheinungen in einer Altbauwohnung Klartext gesprochen. Es gab dem Mieter überwiegend recht. |
Baujahr ändert nichts an Mangel
Das LG: Erheblich durchfeuchtete Wände mit sichtbaren Salzausblühungen und feuchtigkeitsbedingt zerbröselndem Putz stellen auch in einer Altbauwohnung aus den 1920er Jahren einen Mietmangel dar. Dabei hat das LG berücksichtigt, dass die Wände teils erst ab einer Höhe von ca. einem Meter über dem Fußboden „normal“ trockene Messwerte zeigen und die Feuchtigkeit ausschließlich bauliche Ursachen hat.
Anspruch auf Beseitigung und Minderung
Der klagenden Mieterin sprach das LG deshalb einen Anspruch gegen ihren Vermieter auf Beseitigung der Feuchtigkeit in den Wohnungswänden zu. Es nahm aufgrund der feuchten Wände und den damit einhergehenden Nachteilen u. a. für Wohnklima und Optik – anders als das erstinstanzliche Gericht – zudem eine erhebliche Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs an und bejahte ein Mietminderungsrecht der Klägerin.
Keinen Mangel sah das LG hingegen im konkreten Fall in den ebenfalls durchfeuchteten Kellerwänden des Mietobjekts. Daher wies es die Berufung der Klägerin insofern zurück.
Quelle | LG Paderborn, Urteil vom 6.3.2024, 1 S 72/222, PM vom 6.3.2024
| Der Vermieter darf, um vom Mieter verursachte Blutlachen im Treppenhaus und Eingangsbereich zu beseitigen, eine – teure – Spezialfirma für die Reinigung eines Tatorts nach Suizid oder Unfall mit den Reinigungsarbeiten beauftragen. Er muss auch nicht zuvor den Mieter beauftragen, um die Kosten gering zu halten, wenn der Mieter nicht über die ausreichende Qualifikation verfügt, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. So hat es das Amtsgericht (AG) Frankfurt/Main entschieden. |
Mieter hatte Blutspuren versuracht
Der Wohnungsmieter stand unter Betreuung. Eines Tages trat er nach einer Verletzung stark blutend aus seiner Wohnung in das Treppenhaus und anschließend durch die Haustür nach draußen. Dabei hinterließ er massive Blutspuren. Daraufhin beauftragte die Vermieterin eine Spezialfirma mit der Reinigung und Desinfektion des Treppenhauses und des Eingangsbereichs. Die Vermieterin stellte dem Mieter über seinen Betreuer die Kosten in Höhe von rd. 1.930 Euro in Rechnung. Der Mieter zahlte nicht, daher klagte die Vermieterin.
Kostenerstattungsanspruch des Vermieters
Mit Erfolg: Die Vermieterin habe gegen den Mieter einen Kostenerstattungsanspruch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 280 Abs. 1 BGB) in Verbindung mit dem Mietvertrag, so das AG. Der Mieter habe dadurch, dass er nach einer Verletzung stark blutend durch das Treppenhaus und durch die Hauseingangstür ging und dabei größere Mengen Blut ungehindert auf den Boden laufen ließ, schuldhaft gegen den Mietvertrag verstoßen. Die Vermieterin war verpflichtet, unverzüglich die Blutspuren beseitigen zu lassen, zum einen, um die Gefahr von Stürzen infolge des Ausrutschens auf den Blutlachen zu vermeiden und zum anderen, um einer Infektionsgefahr bei Kontakt mit dem Blut entgegenzutreten.
Sie habe den Mieter nicht selbst beauftragen können, um die Kosten gering zu halten, da dieser nicht über die ausreichende Qualifikation verfügte, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. Zudem hätte die Entfernung nicht unverzüglich erfolgen können, da der Mieter offenkundig verletzt war. Die Vermieterin habe auch nicht gegen eine ihr obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen, indem sie ein Fachunternehmen für Tatortreinigung beauftragte. Sie war gehalten, sicherzustellen, dass keine Gefahr für Mitbewohner und Besucher bestehen bleibt, was nur durch ein spezialisiertes Reinigungsunternehmen gewährleistet war.
Vergleichsangebote nicht nötig
Es stellt auch keinen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar, dass die Vermieterin keine (drei) Vergleichsangebote eingeholt hat. Denn sie musste unverzüglich tätig werden, um die Gefahrenquelle zu beseitigen.
Qualität der Fachfirma nicht „kriegsentscheidend“
Auch kommt es nicht darauf an, ob die von der Vermieterin beauftragte Fachfirma möglicherweise unsachgemäß oder unwirtschaftlich gearbeitet hat und dadurch höhere Kosten entstanden sind. Denn ein Schädiger muss solche Kosten auch dann ersetzen, wenn den Geschädigten kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft.
Quelle | AG Frankfurt/Main, Urteil vom 10.8.2023, 33 C 1898/23
| Zur Errichtung eines wirksamen gemeinschaftlichen Testaments müssen beide Ehegatten testierfähig sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Das war geschehen
Die beiden Ehegatten hatten sich durch gemeinschaftliches Testament gegenseitig als Alleinerben eingesetzt. Dieses Testament wurde von der Ehefrau eigenhändig geschrieben und unterschrieben sowie vom Erblasser eigenhändig unterschrieben. Mit einer Ergänzung dieses Testaments, errichtet in gleicher Weise, ordneten die Ehegatten später eine Vor- und Nacherbschaft dergestalt an, dass der überlebende Ehegatte befreiter Vorerbe und ihre gemeinsame Tochter Nacherbin sein sollte. Bereits zwei Jahre vor dieser Ergänzung des Testaments wurde die Ehefrau wegen einer Demenzerkrankung in einem Pflegeheim untergebracht. Ein Jahr vor der Ergänzung des gemeinschaftlichen Testaments tötete der Erblasser seine Schwester und wurde in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht, in der er sich das Leben nehmen wollte.
Nach dessen Tod beantragte die überlebende Ehefrau, vertreten durch ihre Tochter, einen Erbschein des Inhalts, dass sie alleinige befreite Vorerbin des Erblassers geworden sei und die Nacherbfolge der Tochter nach ihrem Tod als Vorerbin eintrete. Sie hat sich zur Begründung ihres Antrags auf die beiden letzten gemeinschaftlichen Testamente gestützt. Der gemeinsame Sohn der Ehegatten ist dem Antrag entgegengetreten. Er begründete dies damit, sowohl der Erblasser als auch die Antragstellerin seien zum Zeitpunkt der Errichtung beider Testamente testierunfähig gewesen.
Nachlassgericht deutete Testamente um
Das Nachlassgericht ist nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Überzeugung gelangt, dass die Antragstellerin testierunfähig gewesen ist. Bezogen auf den Erblasser hat sich hingegen nicht die Überzeugung von einer Testierunfähigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung der vorgenannten Testamente gebildet. Die Testamente könnten jeweils in ein Einzeltestament des Erblassers umgedeutet werden, weshalb es die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet hat. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Sohn der Ehegatten mit der Beschwerde und begehrte die Zurückweisung des Erbscheinsantrages.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat den Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückgewiesen und ausgeführt, dass die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen nicht für festgestellt zu erachten seien.
Ein wirksames gemeinschaftliches Ehegattentestament setze voraus, dass beide Ehegatten bei der Testamentserrichtung testierfähig sind. Ein Testament könne nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Da ein gemeinschaftliches Testament vom Willen beider Eheleute getragen sei, erfordere eine wirksame Verfügung von Todes wegen die Testierfähigkeit eines jeden Ehegatten. Daran fehle es bei einem Ehegatten, weshalb der Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückzuweisen sei.
Eine Umdeutung des unwirksamen gemeinschaftlichen Testaments in ein Einzeltestament des Erblassers komme hier nicht in Betracht, weil der Erblasser die getroffenen Anordnungen nicht eigenhändig geschrieben, sondern den von der Antragstellerin geschriebenen Text nur unterschrieben habe. Die Umdeutung als Einzeltestament komme hier nur für den Teil in Betracht, der die Verfügung eigenhändig – hier also die Antragstellerin – niedergelegt habe.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 14.3.2024, 6 W 106/23
| Vertragsfristen können nicht nur bei Abschluss des Bauvertrags, sondern auch während der Bauausführung vereinbart werden. So kann einem gestörten Bauablauf dadurch Rechnung getragen werden, dass überholte oder nicht mehr einhaltbare Fristen durch eine Terminplanfortschreibung einvernehmlich angepasst werden, wobei diese Fortschreibung wiederum Vertragsfristen und unverbindliche Kontrollfristen beinhalten kann. Das hat das Kammergericht (KG) Berlin klargestellt. |
Beachten Sie | Die Entscheidung des KG gilt auch für Planungsterminpläne. Sie ist durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH rechtskräftig geworden.
Quelle | KG Berlin, Urteil vom 24.01.2023, 27 U 154/21, rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 25.10.2023, VII ZR 20/23
| Stichprobenartige Prüfungen von Wärmedämmarbeiten reichen nicht aus, um eine mangelfreie Objektüberwachung zu gewährleisten. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg. |
Im konkreten Fall hatte der Architekt nicht bemerkt, dass nur 8 cm PUR-Dämmung statt der vertraglich geschuldeten 9 cm eingebaut wurden. Das hätte aber sogar eine Stichprobe ergeben müssen, so das OLG. Es machte den Architekten daher für den Austausch der Dämmung haftbar.
Es sprach Klartext: Umfang und Intensität der geschuldeten Überwachung hängen von den Anforderungen der Baumaßnahme sowie den konkreten Umständen ab. Einfache Arbeiten bedürfen keiner Überwachung. Demgegenüber unterliegt die Überwachung von Wärmedämmarbeiten höheren Anforderungen.
Die Entscheidung ist jetzt rechtskräftig.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 8.11.2022, 2 U 10/22
| Die Regelverjährungsfrist beim Werkvertrag für Planung und Bauüberwachung beträgt fünf Jahre. Doch Achtung: Diese Frist kann durch eine sog. Hemmung verlängert werden. Die Folge: Planer und Architekten können länger in der Gewährleistung bleiben und unter Umständen in Anspruch genommen werden. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Ernsthafter Meinungsaustausch erforderlich
Voraussetzung: Die Verjährung hemmende Verhandlungen erfordern einen ernsthaften Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen.
Nicht ausreichend: bloße Erklärungen
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen nicht die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein. Ein solcher Meinungsaustausch hemmt die Verjährung nicht.
Quelle | OLG Köln, Beschluss vom 2.3.2023, 19 U 55/22, rechtskräftig durch BGH, Beschluss vom 8.11.2023, VII ZR 54/23
| Die unterlassene Aufnahme einer Arbeit ist kein sozialwidriges Verhalten, wenn das Jobcenter den Betroffenen „allein lässt“ und nicht die nötige Hilfe leistet. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen entschieden. |
Langzeitarbeitsloser bewarb sich jahrelang erfolglos
Zugrunde lag das Verfahren eines Langzeitarbeitslosen, der bis 2003 als Buchhalter gearbeitet hatte. Hiernach folgten Zeiten der Arbeitslosigkeit und verschiedene Hilfsarbeiten. Der Mann bewarb sich viele Jahre erfolglos als Buchhalter, bis das Jobcenter schließlich ab 2017 keine weiteren Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen übernahm. Es müsse ein Strategiewechsel stattfinden, insbesondere weil Bewerbungen als Buchhalter nach so langer Zeit nicht mehr erfolgversprechend seien. Überraschend erhielt der Mann dennoch 2019 einen Arbeitsvertrag als Buchhalter bei einer Behörde in Düsseldorf. Zur Arbeitsaufnahme kam es jedoch nicht, weil das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution für eine neue Wohnung ablehnte und er deshalb nicht umziehen konnte.
Kein Verschulden des Arbeitslosen
2020 machte das Jobcenter gegenüber dem Mann eine Erstattungsforderung wegen sozialwidrigen Verhaltens geltend, da er nicht zum Einstellungstermin erschienen sei. Er müsse daher Grundsicherungsleistungen von rd. 6.800 Euro erstatten. Hiergegen klagte der Mann. Den Mietvertrag in Düsseldorf habe er nicht unterschrieben, weil er kein Geld für die Kaution gehabt habe und noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen gewesen sei. Das LSG hat die Rechtsauffassung des Klägers bestätigt. Der Nichtantritt einer außerhalb des Tagespendelbereichs gelegenen Arbeitsstelle stelle kein sozialwidriges Verhalten im Sinne eines objektiven Unwerturteils dar, wenn der Arbeitsuchende am künftigen Beschäftigungsort keine Wohnung anmieten könne, weil ihm selbst die Mittel für eine Mietkaution fehlten und das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution abgelehnt habe.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.1.2023, L 11 AS 336/21
| Eine öffentliche Verwaltung kann das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, verbieten, um ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen. Eine solche Regel ist nicht diskriminierend, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf das gesamte Personal dieser Verwaltung angewandt wird und sich auf das absolut Notwendige beschränkt. So sieht es der Europäische Gerichtshof (EuGH). |
Verbot eines islamischen Kopftuchs
Eine belgische Gemeinde hatte einer Bediensteten, die als Büroleiterin ganz überwiegend ohne Publikumskontakt tätig ist, untersagt, am Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen. Anschließend änderte die Gemeinde ihre Arbeitsordnung und schrieb in der Folge ihren Arbeitnehmern strikte Neutralität vor: Das Tragen von auffälligen Zeichen ideologischer oder religiöser Zugehörigkeit verbot sie allen Arbeitnehmern, auch denen ohne Publikumskontakt. Die Büroleiterin fühlte sich diskriminiert und in ihrer Religionsfreiheit verletzt.
Lag Diskriminierung vor?
Dem mit dem Rechtsstreit befassten Arbeitsgericht (ArbG) Lüttich stellt sich die Frage, ob die von der Gemeinde aufgestellte Regel der strikten Neutralität eine gegen das Unionsrecht verstoßende Diskriminierung begründet. Der EuGH antwortete, dass die Politik der strikten Neutralität, die eine öffentliche Verwaltung ihren Arbeitnehmern gegenüber durchsetzen will, um bei sich ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen, als durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt angesehen werden kann.
Wertungsspielraum der Mitgliedsstaaten, wie „Neutralität“ ausgestaltet wird
Ebenso gerechtfertigt ist die Entscheidung einer anderen öffentlichen Verwaltung für eine Politik, die allgemein und undifferenziert das Tragen von sichtbaren Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen, auch bei Publikumskontakt, gestattet, oder ein Verbot des Tragens solcher Zeichen beschränkt auf Situationen, in denen es zu Publikumskontakt kommt. Die Mitgliedsstaaten und die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten verfügen über einen Wertungsspielraum bei der Ausgestaltung der Neutralität des öffentlichen Dienstes, die sie in dem für sie spezifischen Kontext am Arbeitsplatz fördern wollen. Dieses Ziel muss aber in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, und die zu seiner Erreichung getroffenen Maßnahmen müssen sich auf das absolut Notwendige beschränken. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob diese Anforderungen erfüllt sind.
Quelle | EuGH, Urteil vom 28.11.2023, C-148/22
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Aachen hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer Anspruch auf die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung gegenüber seiner Arbeitgeberin hat. Er darf diesen auch im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzen. |
Das war geschehen
Der schwerbehinderte Arbeitnehmer ist seit September 1988 bei der Arbeitgeberin – einem Unternehmen, das Bauelemente herstellt und vertreibt, – als Verkaufs- und Vertriebsleiter tätig. Er ist wegen eines Hirntumors seit April 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und war bis zum 10.4.2024 fahruntüchtig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird nach Erreichen der Regelaltersgrenze des Arbeitnehmers mit dem Ablauf des Monats Oktober 2024 enden. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrte der Arbeitnehmer, ihn ab Mitte März 2024 entsprechend einem ärztlichen Wiedereingliederungsplan nach dem sog. „Hamburger Modell“ zu beschäftigen, um zeitnah an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu können.
Fehlende Fahrtüchtigkeit steht Wiedereingliederung nicht im Weg
Das ArbG gab dem Antrag des schwerbehinderten Arbeitnehmers statt, da die Arbeitgeberin verpflichtet sei, an der stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken. Dem stehe die fehlende Fahrtüchtigkeit des Arbeitnehmers nicht entgegen. Der Arbeitnehmer könne während der Fahruntüchtigkeit zu Beginn der Wiedereingliederung zunächst seinem Aufgabenprofil entsprechende Büroarbeiten erledigen.
Sache ist eilbedürftig
Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung besondere Eilbedürftigkeit ergab sich nach Auffassung des Arbeitsgerichts daraus, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer auf die zeitnahe Wiedereingliederung angewiesen sei. Demgegenüber würde eine Versagung der Wiedereingliederung den Teilhabeanspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers am Erwerbsleben vereiteln oder jedenfalls erheblich erschweren. Auch der nahe Renteneintritt des Arbeitnehmers ändert nach Ansicht des ArbG nichts am Eilbedürfnis.
Quelle | ArbG Aachen, Urteil vom 12.3.2024, 2 Ga 6/24, PM 1/24
| Für Bühnenkünstler gewährt die Rechtsprechung pauschalierten Schadenersatz von bis zu sechs Monatsgagen pro Spielzeit, wenn der Arbeitgeber den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers verletzt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied nun: Dieser Anspruch kann nicht auf den Profimannschaftssport übertragen werden. |
Saisonabbruch in der Corona-Pandemie: Kläger durfte nicht spielen
Der Kläger ist Eishockeyspieler. Er stritt mit seinem Arbeitgeber über einen Schadenersatzanspruch. Sein Arbeitgeber, der Beklagte, hatte ihn in der Saison 2019/2020 nicht beschäftigt, da diese aufgrund der Corona-Pandemie abgebrochen wurde. Bis dahin fungierte er als Kapitän und Leistungsträger der Mannschaft.
Außerordentliche fristlose Kündigung
Die Beklagte sprach eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung aus und bot gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis mit einer verringerten Vergütung fortzusetzen. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen an und erhob eine Änderungsschutzklage. Daraufhin stellte die Beklagte den Kläger vom Mannschaftstraining frei. Durch einstweilige Verfügung erstritt der Kläger die Zulassung zum Trainingsbetrieb. Anschließend erfolgte eine außerordentliche fristlose Kündigung.
Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen und der fristlosen Kündigung fest. Die tatsächliche Teilnahme am Training wurde dem Kläger jedoch durchgängig verweigert. Er ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Schadenersatz aufgrund der Weigerung der Beklagten, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Ihm sei ein Schaden in seinem beruflichen Fortkommen entstanden, da er als Eishockeyprofi seine beruflichen Fertigkeiten nicht im Mannschaftstraining habe weiterentwickeln und verbessern können. Dadurch habe sein Marktwert gelitten, denn ein Profimannschaftssportler bedürfe der ständigen Trainingspraxis. Die Beklagte habe sich ihm gegenüber durchgängig unlauter verhalten. Die Vorinstanzen gaben der Klage in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern statt und wiesen die weitergehende Klageforderung ab.
Kläger blieb vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos
Vor dem BAG blieb der Kläger erfolglos. Er hat keinen Anspruch auf weiteren Schadenersatz wegen der Verletzung seines Beschäftigungsanspruchs. Zwar besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung und damit korrespondierend eine Pflicht des Arbeitgebers, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Die Beklagte hatte den Beschäftigungsanspruch auch schuldhaft verletzt, indem sie ihn vom Mannschaftstraining suspendiert hatte. Dies und die anschließende außerordentliche fristlose Kündigung seien zudem eine Maßregelung gewesen, da der Kläger lediglich in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hatte.
Der Kläger hat aber nicht ausreichend dargelegt, dass ihm infolge der Verletzung der Beschäftigungspflicht ein solcher Schaden entstanden sei. Zudem dürfen, so das BAG, Schadenersatzansprüche von Profimannschaftssportlern nicht in Anlehnung an die Rechtsprechung für andere Berufsgruppen, z. B. Bühnenkünstler, pauschalierend festgesetzt werden. Für die Schätzung des Schadens eines Profimannschaftssportlers bedürfe es greifbarer Tatsachen. Hieran fehlte es vorliegend. Mangels konkreter Anhaltspunkte könnte nur eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens erfolgen, die vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre.
Quelle | BAG, Urteil vom 29.2.2024, 8 AZR 359/22
| Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, sind diese Vorteile steuerfrei, soweit sie den Rabattfreibetrag von 1.080 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)). Das Landesozialgericht (LSG) Bayern musste nun in einem Konzernfall über die Beitragspflicht von Warengutscheinen entscheiden. Dabei hat es herausgestellt, dass hinsichtlich des Arbeitgeberbegriffs keine unterschiedliche Beurteilung nach Steuer- und nach Beitragsrecht veranlasst ist. |
Arbeitgeber kann nur derjenige sein, der die Arbeitsverträge mit den Beschäftigten abgeschlossen hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, den der Bundesfinanzhof (BFH) für das Steuerrecht aufgestellt hat.
Begriff des „Arbeitgebers“: keine Konzernklausel
Der BFH hat es abgelehnt, den Begriff des Arbeitgebers über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen. Im Vorfeld der gesetzlichen Neuregelung wurde eine Konzernklausel ausdrücklich diskutiert.
Da sie aber nicht aufgenommen worden ist, kann daraus geschlossen werden, dass sich die bereits in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Meinung durchgesetzt hat, nach der § 8 Abs. 3 EStG nicht für Waren und Dienstleistungen gelten soll, die nicht im Unternehmen des Arbeitgebers hergestellt, vertrieben oder erbracht werden. Es sollen weder Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften noch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel steuerlich begünstigt werden.
Warengutscheine = Sachbezüge
Nach Ansicht des LSG hat das Unternehmen im Streitfall auch keinen so gewichtigen Beitrag geleistet, als dass es unter Anwendung des „erweiterten Hersteller- bzw. Vertreiberbegriffs“ als Hersteller bzw. Vertreiber der Waren i. S. des § 8 Abs. 3 EStG angesehen werden kann. Deshalb handelt es sich bei den Warengutscheinen um Sachbezüge, für die Beiträge erhoben werden müssen.
Quelle | LSG Bayern, Urteil vom 6.6.2023, L 7 BA 80/22, Abruf-Nr. 240136; unter www.iww.de; BFH, Urteil vom 26.4.2018, VI R39/16
| Mit einem kuriosen Nachbarstreit zwischen einem Restaurantbetreiber und dem Anbieter von Parkraum hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Dem Restaurantbesitzer drohen nun 250.000 Euro Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft. |
Das war geschehen
Der Parkplatzbetreiber hatte die Parkgebühren angehoben und den bislang gewährten Rabatt für die Besucher des Restaurants abgeschafft. Daraufhin positionierte der Restaurantbesitzer gezielt eigene Mitarbeiter an der Parkschranke, um die Autofahrer von der Einfahrt in den Parkplatz abzuhalten und auf andere, kostenfreie Plätze in der Nähe zu verweisen. Dieses Verhalten stellt eine unzulässige Verletzungshandlung dar, die darauf angelegt ist, den Betrieb des Parkraumbewirtschafters zu schädigen, entschied das LG. Es untersagte in einem Eilverfahren entsprechende Aktionen.
Boykottaufruf unverhältnismäßig
Das Argument, über den Rabatt für Restaurantkunden gebe es eine Vereinbarung und die hohen Parkkosten hätten bereits Kunden abgeschreckt und vom Besuch abgehalten, überzeugte das LG nicht. Das Vorgehen des Restaurantbetreibers sei unverhältnismäßig.
Im Bereich der Einfahrt gezielt Parkplatzsuchende anzusprechen, um diese zum anderweitigen Parken zu bewegen, sei eine gegen das Geschäftsmodell des Parkraumanbieters gerichtete verbotene Eigenmacht. Es seien nicht nur Restaurantbesucher, sondern sämtliche Parkplatzsuchende angesprochen und zum Boykott des Parkplatzes aufgerufen worden. Der Restaurantbesitzer müsse seine Kunden auf andere Weise darüber informieren, dass die Parkgebühren nicht mehr übernommen werden und den Streit um den Parkrabatt, wenn nötig, gerichtlich austragen.
„Saftiges“ Ordnungsgeld droht
Für den Fall, dass der Restaurantbetreiber dem Urteil zuwiderhandelt, hat das LG ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro sowie Ordnungshaft angedroht.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 18.1.2024, 5 O46/23, PM vom 30.4.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. |
Der Hintergrund
Amazon ist weltweit u. a. im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27.12.2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd. USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd. USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd. USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio. Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit.
Das war geschehen
Das Bundeskartellamt hatte festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als sog. Torwächter benannt.
Das sagt der Bundesgerichtshof
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt hat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (hier: § 19 a Abs. 1 GWB) zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.
Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Stores) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen.
Das heißt „marktübergreifende Bedeutung“
Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotenzial durch die Vorschrift adressiert wird. § 19 a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen.
Bundeskartellamt: zutreffende Feststellungen
Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von Amazon Web Services, Inc. (AWS). Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.
Die jetzige Geltung der Regelungen des Digital Markets Acts (DMA) und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.
Quelle | BGH, Beschluss vom 23.4.2024, KVB 56/22, PM 97/24
| Durch die Unwetter mit Hochwasser in der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 2024 sind in weiten Teilen Baden-Württembergs beträchtliche Schäden entstanden. Die Beseitigung dieser Schäden wird bei vielen Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Daher möchte das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen entgegenkommen. |
Möglich sind u. a.:
- Anpassung steuerlicher Vorauszahlungen,
- Stundung fälliger Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuerbeträge und
- Aufschub von Vollstreckungen.
Beachten Sie | Auch in anderen Bundesländern sind im Mai und Juni 2024 durch die Unwetter mit Hochwasser Schäden entstanden. Daher wurden auch für Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland Katastrophenerlasse mit steuerlichen Erleichterungen veröffentlicht. Dabei ist zu beachten, dass einige Erlasse bereits aktualisiert wurden.
Quelle | FinMin Baden-Württemberg, Erlass vom 20.6.2024; Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft Saarland, Erlass vom 21.5.2024; Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Erlass vom 25.6.2024; Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, Erlass vom 24.6.2024
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen. Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest.
Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R; BSG, PM Nr. 7/24 vom 22.2.2024
| Der Bundesrat hat dem Postrechtsmodernisierungsgesetz (PostModG) Anfang Juli 2024 zugestimmt. Dadurch werden insbesondere die Laufzeitvorgaben für die Zustellung von Briefen verlängert. Folgerichtig erfolgte auch eine Anpassung der Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (z. B. Steuerbescheiden). |
Einspruchsfrist von einem Monat
Zum Hintergrund: Das Problem, „Recht zu haben, aber es nicht zu bekommen“, ergibt sich immer dann, wenn ein Steuerbescheid zu einer zu hohen Steuerfestsetzung führt, es jedoch versäumt wurde, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat Einspruch einzulegen. Für den fristgerechten Eingang beim Finanzamt kommt es darauf an, wann der Bescheid bekannt gegeben wurde und wann die Einspruchsfrist endet.
Gesetzliche Neuregelung: Vier- statt Dreitagesfiktion
Um die Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach der Abgabenordnung an die verlängerten Laufzeitvorgaben anzupassen, wird aus der bisherigen Dreitages- eine Viertagesfiktion. Damit gelten Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte künftig als am vierten Tag nach deren Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, statt wie bisher nach drei Tagen.
Was unverändert bleibt: Fällt der vierte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, erfolgt die Bekanntgabe am nächstfolgenden Werktag. Die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Samstagen wurde nicht umgesetzt.
Die Neuregelung gilt für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.2024 übermittelt werden.
Neuregelung ab dem Jahr 2025
Beispiel: Das Finanzamt versendet an den Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid. Er gibt den Brief am Dienstag, den 14.1.2025, zur Post. Bekanntgabezeitpunkt ist der 20.1.2025 (Montag), da der 18.1.2025 („vier Tage“) ein Samstag ist.
Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Einspruchsfrist endet somit am 20.2.2025 um 24:00 Uhr.
Beachten Sie | Auch ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt gilt am dritten (ab 2025: vierten) Tag nach der Absendung als bekannt gegeben.
Steuerbescheid später zugegangen oder nicht erhalten
Die Bekanntgabefiktion gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich später oder gar nicht zugegangen ist.
Hier ist wie folgt zu unterscheiden:
- Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang, ist das Finanzamt regelmäßig nicht in der Lage, den Zugang nachzuweisen. Daher ist eine erneute (ordnungsgemäße) Bekanntgabe erforderlich.
- Behauptet der Steuerpflichtige einen späteren Zugang, muss er dies substanziiert darlegen bzw. nachweisen. Dabei stellt eine Abwesenheit wegen Urlaubs regelmäßig keine spätere Bekanntgabe dar.
Quelle | PostModG, BR-Drs. 298/24 (B) vom 5.7.2024; DStV, Mitteilung vom 13.6.2024
| Bei der Erbschaftsteuer zählt ein Parkhaus zum nichtbegünstigten Verwaltungsvermögen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) aktuell entschieden. |
Das war geschehen
Der Steuerpflichtige war testamentarisch eingesetzter Alleinerbe seines im Jahr 2018 verstorbenen Vaters (= Erblasser). Zum Erbe gehörte ein mit einem Parkhaus bebautes Grundstück. Der Erblasser hatte das Parkhaus als Einzelunternehmen ursprünglich selbst betrieben und ab dem Jahr 2000 dann unbefristet an seinen Sohn verpachtet.
Finanzamt: Parkhaus ist Verwaltungsvermögen
Das Finanzamt stellte den Wert des Betriebsvermögens fest und behandelte das Parkhaus dabei als sogenanntes Verwaltungsvermögen, das bei der Erbschaftsteuer nicht begünstigt ist. Das Finanzgericht (FG) und der BFH schlossen sich dieser Auffassung an.
Grundsätzlich wird Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer privilegiert. Das gilt allerdings nicht für bestimmte Gegenstände des Verwaltungsvermögens. Darunter fallen dem Grunde nach auch Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke. Diese können im Rahmen der Erbschaftsteuer zwar auch begünstigt sein, etwa wenn (wie im Streitfall) der Erblasser seinen ursprünglich selbst betriebenen Gewerbebetrieb unbefristet verpachtet und den Pächter testamentarisch als Erben einsetzt.
Keine erbschaftsteuerliche Privilegierung
Eine Ausnahme besteht dabei jedoch für solche Betriebe, die schon vor der Verpachtung nicht die Voraussetzungen der erbschaftsteuerrechtlichen Privilegierung erfüllt haben. Dies ist bei einem Parkhaus der Fall. Denn die dort verfügbaren Parkplätze als Teile des Parkhausgrundstücks wurden schon durch den Erblasser als damaligem Betreiber an die Autofahrer – und somit an Dritte – zur Nutzung überlassen.
Beachten Sie | Zudem handelt es sich dabei auch nicht um die Überlassung von Wohnungen, die der Gesetzgeber wiederum aus Gründen des Gemeinwohls für die Erbschaftsteuer privilegiert hat.
Keine Rolle spielt auch, ob zu der Überlassung der Parkplätze weitere gewerbliche Leistungen (z. B. eine Ein- und Ausfahrtkontrolle und eine Entgeltzahlungsdienstleistung) hinzukommen. Darauf stellt das Erbschaftsteuergesetz nämlich nicht ab.
Der BFH sah auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Grundstücksüberlassungen, wie z. B. im Rahmen des Absatzes eigener Erzeugnisse durch einen Brauereibetrieb oder im Zusammenhang mit einer land- und forstwirtschaftlichen Betriebstätigkeit. Dass der Gesetzgeber solche Betriebe (wie auch die erwähnten Wohnungsunternehmen) als förderungswürdig ansah, ist von seinem weiten Entscheidungsspielraum gedeckt.
Quelle | BFH, Urteil vom 28.2.2024, II R 27/21
| Oft werden private Ausfahrten zugeparkt oder der private Parkplatz von anderen unberechtigt genutzt. Das störende Fahrzeug muss dann abgeschleppt werden und der Berechtigte muss zusehen, wie er etwaig verauslagte Kosten, z. B. Verwahrkosten, erstattet erhält. Hierzu hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) Wissenswertes entschieden. |
Parken trotz Parkverbots
Der auf den Kläger zugelassene Pkw wurde von dessen Schwester im Innenhof eines privaten Gebäudekomplexes abgestellt, der von einer Immobilienverwalterin verwaltet wird. An der Hofeinfahrt war ein Parkverbotsschild mit dem Zusatz „gilt im gesamten Innenhof“ angebracht. Die Verwalterin beauftragte die Beklagte, das Fahrzeug abzuschleppen, es anschließend zu verwahren und vor Wertminderung sowie unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern. Die Beklagte verbrachte das Fahrzeug noch am selben Tag auf ihr Firmengelände. Kurz darauf forderte der Kläger von der Beklagten schriftlich unter Fristsetzung, das Fahrzeug herauszugeben. Auf das Schreiben erfolgte keine Reaktion.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten zunächst die Herausgabe seines Fahrzeugs verlangt. Nach erfolgter Herausgabe während des Prozesses haben die Parteien die Herausgabeklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Gegenstand des Verfahrens war dann nur noch die Frage, wer die Standkosten tragen musste.
Herausgabeverlangen: Auf den Zeitpunkt kommt es an
Die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser entschied: Zu erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters.
Es kommt auch ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät.
Quelle | BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22
| Muss der Verkäufer einer Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze unaufgefordert über den Härtegrad der Matratze aufklären und beraten? Das Amtsgericht (AG) Hannover hat diese Frage verneint. Es hat entschieden, dass ein Verkäufer im Grundsatz nur dann über den Härtegrad einer Matratze aufklären und beraten muss, wenn der Käufer danach fragt. |
Matratze war Käuferin zu hart: Verkäuferin bot Rabatt an
Die Klägerin kaufte im November 2022 bei der Beklagten eine Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze für ihre Tochter, die zuvor für wenige Minuten zur Probe gelegen hatte. Im Kaufvertrag war für die Matratze der Härtegrad H5 angegeben. Nachdem die Möbel im Januar 2023 geliefert worden waren, empfanden die Klägerin und ihre Tochter die Matratze als zu hart. Dies reklamierte die Klägerin bei der Beklagten. Diese bot der Klägerin u. a. einen Rabatt auf zwei neue Matratzen an, verweigerte aber eine Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klägerin erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Rückabwicklung des Kaufvertrags?
Mit der Klage hatte die Käuferin eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Bettes nebst Matratze verlangt. Sie meinte, es sei für den Verkäufer klar erkennbar gewesen, dass das Schlafzimmer für ihre Tochter gewesen sei. Für das Gewicht ihrer Tochter sei aber ein Härtegrad von H2 angemessen.
Die Verkäuferin hatte vorgetragen, dass die Klägerin keine Beratung gewünscht habe. Sie habe es vielmehr sehr eilig gehabt, da sie einen Transporter angemietet habe. Sie habe sich lediglich nach einem Rabatt erkundigt, sonst aber keine Fragen gestellt.
So sah es das Amtsgericht
Das AG hat die Klage abgewiesen. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die erworbene Matratze nicht mangelhaft war. Denn die Klägerin habe genau das bekommen, was vertraglich vereinbart war, nämlich eine Matratze des Härtegrades H5. Zwar habe die Klägerin erwartet, dass der Verkäufer sie unaufgefordert berate. Der Verkäufer habe aber keinen Anlass gehabt, eingehend über den Härtegrad aufzuklären und zu beraten. Denn die Klägerin habe ihre Erwartung einer Beratung nicht geäußert.
Keine Verletzung der Aufklärungspflicht
Zudem sei der Verkäufer erst hinzugezogen worden, als die Klägerin bereits zum Kauf entschlossen gewesen sei. Im Verkaufsgespräch sei es lediglich darum gegangen, die Daten der Klägerin aufzunehmen und über den Preis zu verhandeln. Die Tochter der Klägerin habe sich nach dem Probeliegen auch nicht über den Härtegrad beschwert. Daher habe der Verkäufer auch keine Aufklärungspflicht verletzt, sodass die Klägerin den Vertrag weder anfechten könne noch vom Vertrag zurücktreten könne.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 30.1.2024, 510 C 7814/23, PM vom 4.4.2024
| Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren. Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde am Knöchel infolge eines Leitersturzes erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Schürfwunde anschließend infiziert und ein Geschwür (Ulkus) hervorruft. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entschieden. |
Das war geschehen
Das OLG musste über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe entscheiden. Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Frau des Klägers von der Leiter und zog sich hierbei u. a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Klägers sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Kläger hat dann die Reise storniert und bei der beklagten Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend gemacht.
Landgericht wies Klage ab
Das LG hatte die Klage abgewiesen, denn die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei – so das LG – auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau des Klägers hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat über die Frage der Behandlung der Ehefrau des Klägers am Knöchel vor Vertragsschluss die behandelnden Ärzte als Zeugen vernommen und die Versicherung dann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt.
Es hat die Kenntnis der Ehefrau des Klägers vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss abgelehnt. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.
Argumente der Versicherung ohne Erfolg
Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpfen die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung. Selbst, wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei.
Quelle | Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.3.2024, 16 U 74/23, PM 1/24
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat mit zwei Urteilen die Berufungen der Kläger in zwei Verfahren gegen Straßenreinigungsgebührenbescheide der Hansestadt Lüneburg für das Jahr 2018 zurückgewiesen. |
Die Hansestadt Lüneburg erhob bis Ende 2017 Straßenreinigungsgebühren nach dem sog. Frontmetermaßstab. Mit Wirkung zum 1.1.2018 stellte sie den Maßstab um und erhebt seitdem die Gebühren gemäß ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung nach dem sog. Quadratwurzelmaßstab. Bei diesem wird aus der Grundstücksfläche die Quadratwurzel gezogen. Damit wird gedanklich ein quadratisches Grundstück gebildet, von dem die Länge einer Seite der Gebührenberechnung zugrunde gelegt wird.
Das OVG hat entschieden, dass der Quadratwurzelmaßstab ein rechtmäßiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Bemessung der Straßenreinigungsgebühren ist. Der vormals von der Hansestadt Lüneburg angewandte Frontmetermaßstab sei gegenüber dem Quadratwurzelmaßstab nicht vorrangig anzuwenden.
Darüber hinaus hat das OVG auch die Bestimmungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung über die Heranziehung von mehrfach anliegenden Grundstücken und von Hinterliegergrundstücken als rechtmäßig erachtet. Diese verstießen weder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz oder den Gleichheitssatz noch gegen den Grundsatz der Vollständigkeit.
Quelle | OVG Lüneburg, Urteile vom 24.4.2024, 9 LC 117/20 und 9 LC 138/20, PM vom 25.4.2024
| Im Streit um Ansprüche auf Rückerstattung aus einem Reisevertrag wies das Amtsgericht (AG) München eine Klage auf Zahlung von rund 4.000 Euro ab. |
Reise online storniert
Der Kläger hatte bei der Beklagten zum Preis von über 4.500 Euro eine neuntägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Portugal gebucht. Im Anschluss stornierte der Kläger im Internet auf der Website der Beklagten die Reise. Die Beklagte buchte sodann vom Konto des Klägers Stornierungsgebühren in Höhe von rund 4.000 Euro ab. Der Kläger leitete daraufhin am selben Tag eine E-Mail an die Beklagte weiter, um die Stornierung rückgängig zu machen.
Der Kläger behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe unbeabsichtigt wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten.
Die Beklagte trug vor, der Kläger habe keine genauen Angaben über die besagte Baustelle getroffen. Im Übrigen sei die Buchung wirksam storniert worden. Für die endgültige Stornierung seien mehrere einzelne Schritte erforderlich gewesen. Eine unbeabsichtigte Kündigung sei im System unmöglich. Dem Reiseveranstalter sei durch den Rücktritt des Kunden hingegen ein Schaden entstanden.
So sieht es das Gericht
Das AG wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde vom Kläger wirksam storniert. Eine wirksame Anfechtung der Stornierung aufgrund eines Irrtums in der Erklärungshandlung ist nicht gegeben.
Ein Irrtum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 119 BGB) ist das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Es liegt (nach § 119 Abs. 1 2. Fall BGB) zudem ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist beispielsweise beim Versprechen, Verschreiben oder Vergreifen der Fall. Zwar gab der Kläger an, die Website der Beklagten sei für ihn unübersichtlich gewesen, da diverse Klicks erforderlich gewesen seien.
Fünfmaliges Verklicken unwahrscheinlich
Es kann grundsätzlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs – wie hier der Buchungsstornierung – mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein „Verklicken“, und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll.
Aus der vom Reiseveranstalter vorgelegten Anlage ergibt sich insoweit, dass der Reisende für eine endgültige Stornierung der Reise erst mehrere einzelne Schritte durchführen musste: Zur Auslösung des endgültigen Stornierungsvorgangs musste der Kläger insgesamt viermal aktiv per Mausklick bestätigen, dass er eine Stornierung wünsche.
Dabei musste er bei Schritt 1 zunächst angeben, aus welchem Grund er seine Reise stornieren wollte. Im Anschluss bei Schritt 2 musste der Kläger angeben, was genau er stornieren wollte. Bei dem darauffolgenden Schritt 3 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Auswählen „Buchung stornieren“, die Stornierung durchgeführt, und im Namen des Reisenden eine Rückerstattung beantragt werde. Erst durch Anklicken dieses Feldes gelangte der Kläger zum letzten und 4. Schritt, wo nochmals um Bestätigung gebeten wurde, dass tatsächlich mit der Stornierung fortzufahren sei. […]
Wirksame Stornierung und keine Umbuchung
Dass das Anklicken versehentlich geschah, und nicht dem Willen des Reisenden entsprach, war für das AG nicht nachvollziehbar. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung durch Vertippen sah das AG nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Reisenden bewusst gewesen sein muss, dass er bei Durchführung des gesamten Buchungsvorgangs eine endgültige Stornierung vornahm – und nicht bloß, wie von ihm vorgegeben – eine Umbuchung. Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde somit wirksam storniert.
Verlust von 4.000 Euro
Die Beklagte war zudem berechtigt, aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch den Kläger vor Reisebeginn einen Betrag in Höhe von rund 4.000 Euro als angemessene Entschädigung zu verlangen.
Das AG hob hervor: Die pauschale Behauptung des Reisenden, es habe neben dem Hotel eine Baustelle gegeben, führt nicht zu einer vertraglichen Pflicht des Reiseveranstalters, alternative Lösungen anbieten zu müssen.
Quelle | AG München, Urteil vom 18.4.2024, 275 C 20050/23, PM 15/24
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Einer Mieterin von Wohnraum darf fristlos gekündigt werden, wenn diese – gleich zweimal – die Vermieterin mit Wasser überschüttet. |
Die Vermieterin hatte die Mieterin auf Räumung der Wohnung verklagt, weil diese sie zwei Mal mit Wasser übergossen habe. Unstreitig zwischen den Parteien war zwar, dass die Mieterin jeweils einen Eimer Wasser aus dem Fenster in den Hof gegossen hatte, als sich die Vermieterin in diesem befand. Die Mieterin hatte allerdings bestritten, die Vermieterin getroffen zu haben oder überhaupt treffen zu wollen.
Das AG sah die Kündigung als wirksam an. Denn der vernommene Zeuge bestätigte, dass die Vermieterin beide Male tatsächlich mit dem Wasser aus dem Eimer vollständig übergossen wurde. Diese sei, so der Zeuge,„klitschnass“ gewesen, wie bei einer „Ice-Bucket-Challenge“. Das rechtfertige eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens, so das AG. Selbst, wenn die Mieterin keine direkte Absicht gehabt habe, die Vermieterin zu treffen, habe sie dies angesichts der Situation jedoch zumindest billigend in Kauf genommen. Denn ihr Ziel lag schon nach dem eigenen Vortrag darin, die Vermieterin davon abzuhalten, ihr Fahrrad umzustellen. Es habe auch keiner vorherigen Abmahnung bedurft, zumal die Mieterin, wie sich aus der Beweisaufnahme ergab, bereits weitere derartige Aktionen angekündigt habe.
Quelle | AG Hanau, Beschluss vom 19.2.2024, 34 C 92/23, PM vom 3.5.2024
| Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat sich mit dem Einwand der Testierunfähigkeit eines an Depressionen und Alkoholsucht leidenden Erblassers zu befassen, der sich das Leben nahm. |
Erblasser litt an Persönlichkeitsstörung
Der Erblasser litt an einer psychiatrisch relevanten Persönlichkeitsstörung in Form einer affektiven Störung mit sowohl depressiven als auch manischen Phasen (bipolare Störung) sowie einem Alkoholproblem. Mit eigenhändigem Testament verfügte er, dass seine Ziehtochter seinen gesamten Besitz erben solle. In zwei Abschiedsbriefen begründete er seine Entscheidung zu dem Suizid und tat im Übrigen kund, dass er alle Erbschaftsangelegenheiten regeln wolle.
Die Ziehtochter beantragte einen Erbschein, der ihre Stellung als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesem Antrag trat die Schwester des Erblassers mit der Begründung entgegen, der Erblasser sei aufgrund seiner psychischen Erkrankungen testierunfähig gewesen. Nach Einholen eines Sachverständigengutachtens zum Einwand der Testierunfähigkeit hat das Nachlassgericht einen Feststellungsbeschluss erlassen. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Schwester mit der Beschwerde, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat.
So entschied das Oberlandesgericht
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Eine Testierunfähigkeit habe das Sachverständigengutachten nicht bestätigen können. Zwar habe der Erblasser an den genannten Erkrankungen und an weiteren körperlichen Einschränkungen gelitten, die die Sachverständigen bestätigten. Diese genannten Gründe allerdings ließen für sich allein keinen zwingenden Schluss auf das Vorliegen der Testierunfähigkeit zu.
Nur dann, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursachen, die die freie Willensbestimmung ausschlössen oder zu einer solch starken Bewusstseinsstörung führten, liege auch eine Testierunfähigkeit vor. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Quelle | Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.3.2024, 3 W28/24
| Ein (fördermittelschädlicher) vorzeitiger Maßnahmenbeginn liegt vor, wenn die einschlägige Förderrichtlinie eine klare Linie bei der Leistungsphase 6 zieht und der Mittelempfänger darüber informiert wurde, dass er eingeschaltete Planer vor Erhalt der Förderzusage nur mit Planungs- und Vorbereitungsleistungen bis einschließlich Leistungsphase 6 beauftragen soll. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg entschieden. |
Bauherr verlor Förderung
Das Urteil war für den Bauherrn besonders „bitter“. Denn er verlor die gesamte Förderung in Höhe von 240.000 Euro, weil er den Planer entgegen den Förderbestimmungen schon mit kleinen Leistungen der Leistungsphase 7 beauftragt hatte.
Bauherren informieren!
Konsequenz aus dem Urteil ist u. a.: Planer sollten Bauherren stets darüber informieren, wie streng Fördermittelgeber darauf achten, dass Förderbestimmungen eingehalten werden.
Quelle | VG Magdeburg, Urteil vom 25.3.2024, 3 A 155/21
| Regelt der Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Erschwernisse, um von ihm eine Bauhandwerkersicherungshypothek zu verlangen, ist dies unwirksam. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Anspruch nur beiVerzug?
Der Auftraggeber hatte einen Planer für Technische Gebäudeausrüstung mit Leistungen über knapp 4,7 Mio. Euro beauftragt. In seinen AGB hieß es u. a.: „Einen Anspruch aus § 650 e BGB kann der Auftragnehmer nur geltend machen, wenn sich der Auftraggeber in Verzug befindet und die angemahnte Zahlung trotz Nachfristsetzung innerhalb von zwei Wochen nicht fristgemäß leistet. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 650 e BGB setzt ferner voraus, dass der Auftragnehmer bei Nachfristsetzung oder danach dies mit einer Frist von drei Wochen angekündigt hat.“
Nachdem mehrere Rechnungen nicht bezahlt worden waren, verlangte der Planer erst eine Sicherheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB, Bauhandwerkersicherung). Die brachte der Auftraggeber nicht bei. Daher beantragte der Planer ohne erneute Fristsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des Anspruchs nach § 650 e BGB (Sicherungshypothek an dem Baugrundstück) i. H. v. ca. 340.000 Euro. Der Auftraggeber berief sich auf seine o. g. AGB-Klausel und wollte nicht leisten.
Landgericht gab Planer Recht
Die Klausel im Vertrag war unwirksam, denn sie benachteiligte den Planer als Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie war mit den wesentlichen Grundgedanken des § 650 e BGB nicht vereinbar.
Der Anspruch auf Vormerkung einer Sicherungshypothek soll den vorleistungspflichtigen Unternehmer schützen und gewährt ihm hierzu einen im Eilverfahren zügig durchsetzbaren Anspruch. Diesen Grundgedanken stehen die mit den AGB aufgestellten Anforderungen, Verzug nach Fristsetzung und weitere Ankündigungsfrist, entgegen. Vor allem könnte der Auftraggeber ansonsten versuchen, bis zum Abschluss eines zuvor angekündigten einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Eigentumswechsel herbeizuführen. Das könnte den Anspruch des Unternehmens vereiteln.
Quelle | LG Berlin, Urteil vom 6.7.2023, 19 O 101/23
| Wer mit Verbrauchern einen Architektenvertrag schließt, muss zum einen vermeiden, dass diese ihr Widerrufsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 312 b BGB) ausüben. Zum anderen ist die neue Belehrungspflicht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (hier: § 7 Abs. 2 HOAI 2021) zu beachten. Sonst kann der Architekt maximal das Honorar nach den Basishonorarsätzen der HOAI abrechnen. Dies gilt, selbst wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Das sagt die HOAI zur Form und zum Fehlen einer Vereinbarung
§ 7 HOAI sagt, dass sich das (Architekten-)Honorar nach der Vereinbarung richtet, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart.
Das sagt die HOAI zur Aufklärungspflicht des Architekten
Außerdem schreibt die Norm vor, dass der Auftragnehmer, also der Architekt, den Auftraggeber, falls dieser Verbraucher ist, vor Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung in Textform darauf hinweisen muss, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Folge: Ohne diese (rechtzeitige) Belehrung gilt für die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Grundleistungen anstelle eines höheren Honorars ein Honorar in Höhe des jeweiligen Basishonorarsatzes als vereinbart.
Diese Konsequenzen zog das Oberlandesgericht
Im Fall des OLG gab es diese Aufklärung nicht. Das OLG: Die Aufklärungspflicht gilt auch, wenn ein Zeit- oder Pauschalhonorar vereinbart worden ist. Ohne Belehrung kann der Planer nur den Basishonorarsatz abrechnen.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 8.4.2024, 11 U 215/22
| Widerruft ein Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst seine Einstellungszusage aufgrund eines ärztlichen Attests, ist dies keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |
Einstellungszusage widerrufen
Der an Diabetes erkrankte, schwerbehinderte Kläger bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung im Januar 2023 auf eine von der beklagten Stadt ausgeschriebene Ausbildungsstelle als Straßenwärter. Er erhielt eine Einstellungszusage vorbehaltlich einer noch durchzuführenden ärztlichen Untersuchung. Der Arzt kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger wegen seiner Diabetes-Erkrankung nicht für die vorgesehene Ausbildungsstelle geeignet sei. Die Einstellungszusage wurde daraufhin zurückgenommen. Der Kläger erhob Klage auf Entschädigung wegen einer aus seiner Sicht erfolgten Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch.
Kein Verstoß gegen geltendes Recht
Das ArbG wies die Klage ab. Eine diskriminierende Handlung und ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien nicht erkennbar.
Der Kläger sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung nicht schlechter behandelt worden als vergleichbare nichtbehinderte Bewerber. Die Stadt habe bei der Entscheidung, den Kläger nicht einzustellen, nicht auf seine Behinderung abgestellt. Vielmehr habe man den Kläger ungeachtet seiner Behinderung gerade einstellen wollen und ihm demgemäß eine Einstellungszusage erteilt, diese jedoch vom Ergebnis einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung bzw. seiner Eignung abhängig gemacht.
Diese gesundheitliche Eignung sei dann von dem von ihr beauftragten Arzt verneint worden. Daraufhin habe die Beklagte unter Berufung auf den zum Ausdruck gekommenen Vorbehalt ihre Einstellungszusage zurückgezogen.
Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 20.3.2024, 3 Ca 1654/23, PM 1/24
| In einem Fall vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf ging es im Wesentlichen um angeblich unangemessene Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber Kollegen über Mitarbeitern. Die daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnung hatte keinen Bestand, weil sie zu unbestimmt war. |
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer hatte die Äußerungen bestritten. Auf seine Frage im Personalgespräch, weshalb keine Namen derjenigen Arbeitnehmer genannt würden, die die Vorwürfe an die Personalbetreuung herangetragen hätten, äußerte die Personalreferentin, dass die Arbeitnehmer eingeschüchtert seien und sich lediglich vertraulich an die Vorgesetzten sowie die Personalbetreuung gewandt hätten. Auch in der Abmahnung selbst erfolgte keine namentliche Nennung.
So sah es das Arbeitsgericht
Das ArbG stellte klar: Dieser Vorgang reicht nicht für eine Abmahnung. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich in der ihm vorgeworfenen Art und Weise verhalten habe. Die Abmahnung sei inhaltlich zu unbestimmt. Die „anderen Mitarbeiter“, gegenüber denen er die Äußerungen getätigt haben soll, würden in der Abmahnung nicht benannt, obwohl sie dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abmahnung unstreitig bekannt gewesen seien. Da sich die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientierten, was der Arbeitgeber wissen könne, sei die Abmahnung nicht hinreichend konkret.
Für den Arbeitnehmer als Adressat der Abmahnung diene die konkrete Nennung der Namen der Zeugen auch dazu, zu überprüfen, ob die Abmahnung inhaltlich richtig sei oder nicht; pauschale Vorwürfe ohne die Nennung der Zeugen würden diese Anforderung nicht erfüllen. Der Arbeitgeber sei auch nicht berechtigt, zum Schutz der Zeugen die Namen in der Abmahnung nicht zu nennen. Hierdurch könne zwar ein Konflikt zwischen dem Arbeitnehmer und den Zeugen im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe entstehen. Einen solchen Konflikt müsse ein Arbeitgeber, der den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf ein angebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers vertraue, allerdings hinnehmen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr den Zeugen durch ihre Nennung in der Abmahnung drohe.
Quelle | ArbG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2024, 7 Ca 1347/23
| Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (hier: § 3 Abs. 1 EFZG) dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Voraussetzung: Es muss dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sein, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |
Abzug vom Verdienst nach Covid-Erkrankung
Der Kläger ist als Produktionsmitarbeiter bei der Arbeitgeberin beschäftigt, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Er hatte sich keiner Schutzimpfung gegen das Coronavirus unterzogen und wurde am 26.12.2021 positiv auf das Virus getestet. Für die Zeit vom 27. bis zum 31.12.2021 wurde dem unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen leidenden Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt. Für diese Zeit leistete die Arbeitgeberin Entgeltfortzahlung. Am 29.12.2021 erließ die Gemeinde N. eine Verfügung, nach der für den Kläger bis zum 12.1.2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung angeordnet wurde. Für die Zeit vom 3. bis zum 12.1.2022 lehnte der Arzt die Ausstellung einer Folge-AU mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Mit der Verdienstabrechnung für Januar 2022 nahm die Arbeitgeberin für diese Zeit vom Lohn des Klägers einen Abzug in Höhe von ca. 1.000 Euro brutto vor. Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung des Arbeitnehmers das Urteil des ArbG geändert und die Arbeitgeberin verurteilt, zu zahlen.
Bundesarbeitsgericht gab Arbeitnehmer Recht
Die Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, ohne dass es darauf ankam, ob bei ihm durchgehend Symptome von COVID-19 vorlagen. Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Die Absonderungsanordnung ist keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruht das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion (Monokausalität). Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Absonderungsanordnung. Aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion war es dem Kläger rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
Es konnte auch nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der empfohlenen Corona-Schutzimpfung für die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich war. Das Berufungsgericht hat hierbei zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, dass die Nichtvornahme der Schutzimpfungen einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellte. Jedoch ließen die wöchentlichen Lageberichte des RKI und dessen Einschätzung der Impfeffektivität nicht den Schluss zu, dass Ende Dezember 2021 bzw. Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufgetretene Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte verhindert werden können.
Der Arbeitgeberin stand ein Leistungsverweigerungsrecht wegen nicht vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu. Das LAG hatte richtig erkannt, dass der Kläger der Beklagten durch Vorlage der Ordnungsverfügung der Gemeinde N. in anderer, geeigneter Weise nachgewiesen hat, infolge seiner Corona-Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.
Quelle | BAG, Urteil vom 20.3.2024, 5 AZ R 234/23, PM 8/24
| Eine Bank kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Bank wollte Originalurkunden nicht herausgeben
Ein Mann hatte geltend gemacht, seine – inzwischen getrenntlebende und in Scheidung befindliche – Ehefrau habe auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung unberechtigt seine Unterschriften angebracht. Er hat beantragt, ein Schriftsachverständigengutachten einzuholen. Das Kreditinstitut – eine Bausparkasse – hat die Herausgabe der zur Begutachtung erforderlichen Originalurkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert. Das machte der BGH nicht mit.
Hier gilt ein Zeugnisverweigerungsrecht
Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, sind zur Verweigerung des Zeugnisses der Tatsachen berechtigt, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Dies gilt dann auch für hierauf bezogene Urkunden. Im Fall des BGH hatten die Interessen des Mannes jedoch Vorrang.
Quelle | BGH, Beschluss vom 29.11.2023, XII ZB 141/22
| Unternehmen müssen den Inhalt der Bilanz und der Gewinn-und Verlustrechnung grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung übermitteln. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun das aktualisierte Datenschema der Taxonomien (Version 6.8) als amtlich vorgeschriebenen Datensatz veröffentlicht. Die aktualisierten Taxonomien stehen unter www.esteuer.de zur Ansicht und zum Abruf bereit. |
Beachten Sie | Die neuen Taxonomien sind grundsätzlich für die Bilanzen der Wirtschaftsjahre zu verwenden, die nach dem 31.12.2024 beginnen (Wirtschaftsjahr 2025 oder 2025/2026). Es wird aber nicht beanstandet, wenn diese auch für das Wirtschaftsjahr 2024 oder 2024/2025 verwendet werden.
Die Übermittlungsmöglichkeit mit diesen neuen Taxonomien wird für Testfälle voraussichtlich ab November 2024 gegeben sein, für Echtfälle ab Mai 2025.
Quelle | BMF-Schreiben vom 27.5.2024, IV C 6 - S 2133-b/24/10001 :002
| Nach den statistischen Aufzeichnungen der obersten Finanzbehörden der Länder haben die im Jahr 2023 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen bei der Umsatzsteuer zu einem Mehrergebnis von rund 1,52 Mrd. Euro geführt. Die Ergebnisse aus der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind in diesem Mehrergebnis nicht enthalten. |
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen werden unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im Jahr 2023 wurden 63.282 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt. Im Jahresdurchschnitt waren 1.604 Umsatzsteuer-Sonderprüfer eingesetzt. Jeder Prüfer führte im Durchschnitt 39 Sonderprüfungen durch. Dies bedeutet für jeden eingesetzten Prüfer ein durchschnittliches Mehrergebnis von rund 0,94 Mio. Euro.
Quelle | BMF, Mitteilung vom 25.4.2024
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Er möchte wissen, ob das gesetzliche Aufteilungsgebot für Beherbergungsleistungen rechtmäßig ist. Danach unterliegt die Übernachtungsleistung dem ermäßigten Umsatzsteuersatz i. H. von 7 %. Für Nebenleistungen, die nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, gilt dagegen der Regelsteuersatz (19 %). In den drei Streitfällen ging es um Parkplatzgestellungen, Frühstücksleistungen, die Gestellung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen sowie von W-LAN. |
Für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, greift die Umsatzsteuerermäßigung auf 7 %.
Beachten Sie | Dies gilt nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG) aber nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.
Bisher war der BFH der Ansicht, dass das Aufteilungsgebot in Einklang mit dem Unionsrecht steht und dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung vorgeht, wonach eine (unselbstständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt.
Ganz so sicher ist sich der BFH aber infolge der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht mehr. Deshalb hat er nun beim EuGH angefragt. Es ist zu hoffen, dass sich der EuGH zeitnah und eindeutig äußern wird, damit zu dieser Frage (endlich) Rechtssicherheit besteht.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 10.1.2024, XI R 11/23 (XI R 34/20), XI R 13/23 (XI R 7/21), XI R 14/23 (XI R 22/21)
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. |
Hintergrund: Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt (in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO) einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.
Finanzamt und Finanzgericht lehnten Auskunftsersuchen ab
Im Streitfall verlangte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt die Zurverfügungstellung (elektronischer) Kopien von Verwaltungsakten mit den ihn betreffenden personenbezogenen Daten, was sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (FG) ablehnten.
Bundesfinanzhof widersprach
Der BFH hat nun entschieden, dass ein Steuerpflichtiger vom Finanzamt grundsätzlich Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten verlangen kann – und zwar ungeachtet der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung.
Auskunftsanspruch unabhängig von Art der Steuer
Der Auskunftsanspruch ist auch nicht davon abhängig, für welche Steuerart die Datenverarbeitung erfolgt. Grundsätzlich ist der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch darauf beschränkt, dass der Steuerpflichtige darüber informiert wird, welche ihn betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet werden.
Der Auskunftsanspruch gewährt grundsätzlich aber kein Recht auf die (elektronische) Zurverfügungstellung von Kopien von ganzen Akten bzw. einzelnen Dokumenten mit personenbezogenen Daten. Nur ausnahmsweise, wenn der Steuerpflichtige diese zwingend benötigt, um seine Rechte nach der DS-GVO durchsetzen zu können, sind ihm auch Kopien von Dokumenten mit seinen personenbezogenen Daten (elektronisch) zur Verfügung zu stellen.
Grenzen: unbegründete oder exzessive Auskunftsersuchen
Zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs hat der BFH im Übrigen klargestellt, dass die Finanzverwaltung zwar einen gegen sie gerichteten Auskunftsanspruch nach der DS-GVO zurückweisen kann, falls dieser offenkundig unbegründet oder exzessiv ist. Hierfür muss sie jedoch die Umstände darlegen, die zu einer offenkundigen Unbegründetheit bzw. zu einem Exzess des Auskunftsersuchens führen. Dass der Steuerpflichtige mit seinem Auskunftsersuchen Ziele außerhalb der DS-GVO verfolgt, erlaubt der Finanzverwaltung nicht, die Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten zu verweigern.
Quelle | BFH, Urteil vom 12.3.2024, IX R 35/21, PM Nr. 27/24 vom 20.6.2024
| Die Auszahlung einer Direktversicherung nach Ausübung eines vertraglich eingeräumten Kapitalwahlrechts unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz. Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster ist allerdings die Revision anhängig. |
Das war geschehen
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in Beiträge zu einer Direktversicherung nach dem Betriebsrentengesetz vereinbart. Daraufhin schloss der Arbeitgeber für die Steuerpflichtige eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Es sollte eine lebenslange monatliche Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen.
Im Streitjahr 2019 übte die Steuerpflichtige das Kapitalwahlrecht aus und erhielt ca. 44.500 Euro. Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolglos.
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten können als außerordentliche Einkünfte in Betracht kommen, die ermäßigt zu besteuern sind (Fünftel-Regelung). Da es im Streitfall aber an dem Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit fehlte, kam keine ermäßigte Besteuerung in Betracht.
Höchstrichterliche Rechtsprechung
Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausschließlich auf die vertragliche Vereinbarung an (keine ermäßigte Besteuerung, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war). In späteren Entscheidungen hat es der BFH jedoch vielmehr für maßgeblich gehalten, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material ausgewertet werden muss.
Bundesfinanzhof ist erneut gefragt
Vor diesem Hintergrund hat das FG Münster nun die Revision mit folgendem Wortlaut zugelassen: „Dem Bundesfinanzhof ist Gelegenheit zu geben, über die Ausschärfung der Kriterien zur Bestimmung der Atypik bei Kapitalauszahlungen von Renten erneut zu entscheiden, da er bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist.“
Beachten Sie | Da die Steuerpflichtige die Revision eingelegt hat, können geeignete Fälle mit einem Einspruch bis zur Entscheidung des BFH offen gehalten werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 24.10.2023, 1 K 1990/22 E, Rev. BFH: X R 25/23
| Bei Lohnsteuer-Außenprüfungen stoßen Prüfer immer häufiger auf Sachverhalte, in denen der Arbeitgeber im Rahmen einer Gehaltsumwandlung den Grundlohn abgesenkt und einen nach § 3 Nr. 30 und Nr. 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreien Heimarbeiterzuschlag zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen (z. B. für Miete, Heizung und Beleuchtung der Arbeitsräume) bezahlt hat. Hier ist Vorsicht geboten: Denn in vielen Fällen sind die Voraussetzungen für den steuerfreien Heimarbeiterzuschlag nach dem Heimarbeitsgesetz (HAG) nicht erfüllt. |
Informationen zum Heimarbeiterzuschlag enthält vor allem die Lohnsteuerrichtlinie 9.13. Hier heißt es in Abs. 2: „Lohnzuschläge, die den Heimarbeitern zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen neben dem Grundlohn gezahlt werden, sind insgesamt aus Vereinfachungsgründen nach § 3 Nr. 30 und 50 EStG steuerfrei, soweit sie 10 % des Grundlohns nicht übersteigen.“
Beachten Sie | Die im Einkommensteuergesetz geregelte Steuerfreiheit gilt allerdings nur für Heimarbeiter i. S. des § 2 Abs. 1 HAG. Die steuerfreien Zuschläge können also nicht von Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden, die ihre Tätigkeit seit der Coronapandemie (teilweise) im Homeoffice ausüben.
Quelle | R 9.13 Abs. 2 Lohnsteuerrichtlinien; § 2 Heimarbeitsgesetz
| Schuldet der Vermieter von Wohnraum zum vertragsgemäßen Gebrauch auch die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, stehen Kosten des Vermieters für eine neue Heizungsanlage jedenfalls dann im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zur steuerfreien Vermietung, wenn es sich dabei nicht um Betriebskosten handelt, die der Mieter gesondert zu tragen hat. Die Quintessenz aus dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH): Der Vermieter kann für die Heizungsanlage keinen Vorsteuerabzug beanspruchen. |
Hintergrund: Nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG) ist der Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen ausgeschlossen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
Das Finanzgericht (FG) Münster hatte den Streitfall noch anders beurteilt und auf getrennte Leistungen abgestellt, nämlich einerseits steuerfreie Vermietungsleistungen und andererseits steuerpflichtige Energielieferungen.
Der BFH lehnte den vom Vermieter begehrten Vorsteuerabzug aus dem Heizungsaustausch aber bereits deshalb ab, weil der Vermieter dort entsprechend den mietrechtlichen Rahmenbedingungen die Gestellung einer Wohnung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch – d. h. einschließlich der Gestellung warmen Brauchwassers – schuldete und die diesbezüglichen Zahlungen nicht als dem Mieter gesondert berechenbare Betriebskosten i. S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 556 BGB) anzusehen waren.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.12.2023, V R 15/21
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden. Danach müssen Steuerpflichtige unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Weil deswegen bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt. |
Steuerpflichtige vor Finanzgericht erfolgreich
In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die Bescheide waren auf der Grundlage des neuen Bundesmodells ergangen, das in mehreren Bundesländern (z. B. in Nordrhein-Westfalen) Anwendung findet.
Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1.1.2022 als einheitlichem Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen Vorschriften enthalten nicht zuletzt wegen der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten zahlreiche Typisierungen und Pauschalierungen.
Bundesfinanzhof: Beschwerden des Finanzamts zurückgewiesen
Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die dagegen erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit in Bezug auf Grundsteuerwerte
Nach Ansicht des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Denn die Steuerpflichtigen müssen bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit haben, einen niedrigeren Wert nachzuweisen – auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich geregelt hat.
Übermaßverbot ist zu berücksichtigen
Der Gesetzgeber verfügt gerade in Massenverfahren über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot kann aber verletzt sein, wenn sich der Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt nach der Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt – und dies war infolge der Besonderheiten in den Streitfällen nicht auszuschließen.
Beachten Sie | Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden. Es handelt sich bisher lediglich um Beschlüsse im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV); PM Nr. 26/24 vom 13.6.2024
| Ist ein Fahrzeug mehr als fünf Jahre alt, stuft das Amtsgericht (AG) Aue-Bad Schlema die Nutzungsausfallentschädigung um eine und bei mehr als zehn Jahren um zwei Gruppen ab. |
So rechnete das Amtsgericht
Wenn ein ca. 15 Jahre alter Kleinwagen mit ca. 194.000 km Laufleistung, der ohne Altersabstufung in die Gruppe B gehört, betroffen ist, wird jedoch nur eine Gruppe abgestuft. Denn tiefer geht es nicht. So gab es im vom AG entschiedenen Fall einen Tagessatz von 23 Euro.
Der Versicherer hatte nur minimale Vorhaltekosten erstattet. Das lehnt das Gericht ab. Denn das komme nur in Betracht, wenn ein Fahrzeug nicht nur alt, sondern in einem so schlechten Zustand ist, dass seine Nutzbarkeit deutlich eingeschränkt ist.
Entgangene Fortbewegungsmöglichkeit
Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich hinter den Vorhaltekosten letztlich kaum mehr als die Fixkosten wie Steuern, Versicherung etc. verbergen, es sich hierbei also um einen weitaus geringeren Betrag handelt. Mit zunehmendem Fahrzeugalter spiele letztlich nur die entgangene Fortbewegungs- und Transportmöglichkeit eine Rolle. Allein aufgrund des Alters des Fahrzeugs könne daher nicht ohne Weiteres von einer weiteren Einschränkung des Nutzungswerts bis zum Betrag von Vorhaltekosten ausgegangen werden.
Quelle | AG Aue-Bad Schlema, Urteil vom 28.2.2024, 3 C 241/23
| Ist ein durch eine Verbraucherzentrale geltend gemachter Unterlassungsanspruch begründet, wenn eine Firma die online erklärte Kündigung eines Kunden von einem Bestätigungstelefonat abhängig macht? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz bejaht. |
Zusätzliches Telefonat nötig, damit Online-Kündigung wirksam wird?
Die Beklagte bietet, auch gegenüber Verbrauchern, den Abschluss von Dienstleistungsverträgen über Dauerschuldverhältnisse unter anderem zur Bereitstellung von Webspeicherplatz, E-Mail-Postfächern und Servern an.
Der Kläger, ein eingetragener Verein (Verbraucherzentrale), begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, dass sie auf eine online erklärte Kündigung gegenüber Verbrauchern behauptet, dass zur Wirksamkeit der Kündigung noch ein Telefonat erforderlich sei. Konkret hat ein Kunde seinen Vertrag bei der Beklagten per Internet gekündigt. Der Kunde hat daraufhin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, er möge seine Kündigung binnen 14 Tagen telefonisch bestätigen, ansonsten bleibe das Vertragsverhältnis unverändert bestehen.
Verbraucherzentrale: Telefonat dient zum Umstimmen der Verbraucher
Der Kläger hat daraufhin die Beklagte abgemahnt und erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Er behauptet, im Fall eines Anrufs nach der Kündigung werde seitens der Beklagten – mittels rhetorischer Kunstfertigkeit oder Anbieten anderer Vertragskonditionen – versucht, den Verbraucher zu überzeugen, von seinem Kündigungswillen Abstand zu nehmen. Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten gegenüber Verbrauchern, dass nach einer Kündigung eine Rückbestätigung erfolgen müsse, stelle eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Sie enthalte unwahre Angaben über Rechte des Verbrauchers.
Der Kläger beantragte u. a., der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro zu untersagen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern diesen nach einer der Beklagten zugegangenen Kündigungserklärung eines Dienstleistungsvertrags in Form eines Dauerschuldverhältnisses zu behaupten, die telefonische Bestätigung der erklärten Kündigung sei erforderlich. Die Beklagte meint, ohne telefonische Rückbestätigung der Kündigung bestünde das Risiko, dass unberechtigte Dritte den Vertrag eines Kunden kündigen könnten. Es sei deshalb erforderlich, sich davon zu überzeugen, dass die Kündigung vom Erklärenden stammt. Dabei biete ein Telefonat ein Mehr an Sicherheit verglichen mit einem Bestätigungslink innerhalb einer E-Mail. Es finde keine Irreführung des Verbrauchers statt. Außerdem werde eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst.
So sah es das Landgericht
Das LG hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch zu. Das Vorgehen der Beklagten, den Verbraucher aufzufordern, seine Kündigung innerhalb von 14 Tagen telefonisch zu bestätigen, stelle eine geschäftliche Handlung dar. Dazu gehörten auch Verhaltensweisen, die auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung oder das Verhindern einer Geschäftsbeendigung gerichtet sind. Diese geschäftliche Handlung der Beklagten sei unzulässig, da sie unlauter sei. Unlauter handele, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Bestätigungslink in E-Mail genügt
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch irreführend. Dies sei gegeben, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthalte. Erfasst seien auch irreführende Angaben über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung bestimmter Rechte, zu denen auch das Kündigungsrecht zähle. Auch, wenn die Beklagte nach Auffassung des LG ein grundsätzliches Interesse an einer Authentifizierung haben könne, wäre eine solche vorrangig durch eine Bestätigung über den von dem Verbraucher gewählten Kommunikationskanal zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein an den Verbraucher unter der von ihm hinterlegten E-Mail-Adresse gesendeter Bestätigungslink zur Identifizierung weniger geeignet wäre als ein Telefonat. Auch während eines Telefonats sei es der Beklagten nicht möglich, sich umfassende Gewissheit über die wahre Person ihres Gesprächspartners zu verschaffen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es einem unbefugten Dritten, der sich Zugang zu der Kundennummer, der Vertragsnummer und dem E-Mail-Konto des wahren Vertragspartners verschafft hat, auch gelänge, in einem Telefonat über seine Identität zu täuschen.
Zusätzliche Entscheidung
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beklagte stelle den Verbraucher nach Zugang seiner Kündigung vor die Wahl, seine Kündigung nicht telefonisch zu bestätigen, und in der Folge das Vertragsverhältnis fortzusetzen, oder innerhalb von 14 Tagen telefonisch Kontakt zu der Beklagten aufzunehmen. Es werde dadurch eine zusätzliche Entscheidung des Verbrauchers verlangt, ob er an der Ausübung seines Kündigungsrechts festhalten will. Ohne die irreführende Aufforderung der Beklagten würde der Verbraucher weder die eine noch die andere Entscheidung treffen. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Beklagte eingeräumt habe, dass die beanstandete Vorgehensweise der Beklagten deren übliche Vorgehensweise sei.
Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 27.2.2024, 11 O 12/23
| Das Landgericht (LG) Oldenburg hat den von einer Frau geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz zurückgewiesen. Sie hatte sich an einem Becher Tee verbrüht. |
Warnhinweis auf dem Pappbecher
Die Frau hatte in einem Restaurant einen Tee in einem Einwegbecher gekauft. Auf dem Becher war der Warnhinweis angebracht: „VORSICHT HEISS“. Außerdem enthielt er ein Piktogramm mit einer Tasse mit Dampfschwaden. Der Becher war der Frau mit einem von Hand zu öffnenden Deckel übergeben worden. Er wurde ihr in einer Pappschale ausgehändigt. Wenige Minuten nach dem Kauf hob die Frau den Becher am Deckel aus der Schale. Da passierte es: Der Deckel löste sich. Der Tee ergoss sich auf ihre Oberschenkel. Die Frau erlitt Verbrennungen 1. und 2. Grades. Sie musste sich später einer teuren Behandlung unterziehen.
So sah es die Frau
Die Frau argumentierte vor dem LG, der Tee sei zu heiß gewesen. Folglich seien von ihm unnötige Gesundheitsgefahren ausgegangen. Zudem sei der Deckel nicht fest verschlossen gewesen. Mit diesen beiden Umständen habe sie nicht rechnen müssen.
So sah es das Landgericht
Das LG lehnte den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ab. Es hob hervor: Dass frisch zubereiteter Tee heiß sei (zwischen 90 und 100 Grad), sei allgemein bekannt. Er müsse daher nicht in verzehrfertiger Temperatur übergeben werden. Die Frau sei zudem durch die o. g. Hinweise auf dem Becher ausdrücklich gewarnt worden. Vor einem eventuell losen Deckel habe die Restaurantbesitzerin ebenfalls nicht warnen müssen.
Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 15.3.2024, 16 O 2015/23
| Kosten für eine einem Hotel ähnliche Unterbringung im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung können auch die Aufwendungen für das Mieten eines Wohnmobils sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Haus unbewohnbar – Wohnmobil als Ersatz gemietet
Das Haus eines Versicherungsnehmers war unbewohnbar geworden. Er mietete sich daher für 260 Euro pro Tag ein Wohnmobil und verlangte den Betrag später vom Versicherer zurück. Dieser wollte die Kosten jedoch nicht übernehmen.
Wohnmobil mit Hotel vergleichbar
Das OLG Köln verurteilte den Versicherer schließlich, rund 86.000 Euro an Mietkosten zu übernehmen. Auch die Kosten für das Mieten des Wohnmobils seien Kosten einer einem Hotel ähnlichen Unterbringung i. S. d. Versicherungsbedingungen.
Für Versicherungsnehmer ist Wohnmobil eine dem Hotel ähnliche Unterkunft
Die Auslegung ergebe, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch die stationäre Unterbringung in einem Mietwohnwagen oder Mietwohnmobil als eine einer Hotelunterbringung ähnliche Unterkunft ansehen werde. Denn ebenso wie ein Hotel, eine Ferienwohnung, eine Pension oder Gaststätte mit „Fremdenzimmern“ zeichnet sich ein Wohnmobil bzw. ein Wohnwagen, der zeitweise vermietet wird, dadurch aus, dass wechselnde Gäste darin für eine befristete Zeit wohnen, sei es zu Arbeitsaufenthalten (bspw. Saisonarbeiter, Arbeiter auf Montage) oder zu touristischen Zwecken. Allein der Aspekt der Mobilität des Wohnmobils im Unterschied zur Hotelunterkunft – also der Umstand, dass ein Wohnwagen grundsätzlich mithilfe eines Pkw bzw. ein Wohnmobil aus eigener Motorkraft im Straßenverkehr zum Reisen benutzt und zu wechselnden Standorten bewegt werden kann – steht der Vergleichbarkeit zu einer Hotelunterbringung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht entgegen.
Motorisierung spielt keine Rolle
Das OLG sieht zwar, dass ein Wohnmobil gerade durch die Motorisierung deutlich teurer ist als ein Wohnwagen. Darauf kommt es im Rahmen der Erstattung der Unterbringungskosten aber nicht an.
Der Versicherungsnehmer muss keine dem Wohnungsstandard entsprechende Unterkunft finden. Er ist in der Wahl der Unterkunft grundsätzlich frei und darf sich dabei von persönlichen Bedürfnissen und privaten Befindlichkeiten leiten lassen. Bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Grenzen besteht der zugesagte Versicherungsschutz. Danach sind Kosten für das Mieten eines Wohnmobils als Kosten einer ähnlichen Unterbringung, wie Hotelkosten, grundsätzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung (nach Abschnitt A. § 8 Nr. 1 c VHB 2014) erstattungsfähig.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger das Wohnmobil nicht als Wohnraumersatz, sondern etwa zu Reisezwecken angemietet haben, hat der Versicherer nicht konkret vorgetragen. Sie ergaben sich für das OLG auch nicht aus dem Akteninhalt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 5.12.2023, 9 U 46/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden: Der Versicherer muss die Kosten für die Versorgung mit Medizinal-Cannabis nicht tragen, wenn der Versicherungsnehmer an der Glasknochenkrankheit leidet. |
Konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft?
Der Versicherungsnehmer meinte, dass konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien. Es liege zumindest eine schwere Erkrankung mit wesentlichen Funktionseinschränkungen vor. Daher müsse der Versicherer die medizinisch notwendige Heilbehandlung durch Medizinal-Cannabis übernehmen.
Der Versicherer entgegnete: Bei akut auftretenden Schüben sei Cannabis wegen seiner „Behandlungsträgheit“ nicht geeignet. Das Landgericht (LG) war dem gefolgt und hatte in erster Instanz die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen.
Oberlandesgericht sieht es wie der Versicherer
Das OLG hat dies bestätigt. Der Versicherungsnehmer habe nach dem Versicherungsvertrag einen Leistungsanspruch, wenn es sich bei der Behandlung seiner Beschwerden um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handelt, die entweder von der Schulmedizin überwiegend anerkannt ist oder es sich um eine Methode oder ein Arzneimittel handelt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor.
Zwar leide der Versicherungsnehmer unter einem schweren, multilokulären generalisierten Schmerzsyndrom bei Glasknochenkrankheit und bei entsprechender Symptomatik komme die Erstattung von Medizinal-Cannabis grundsätzlich in Betracht. Wesentliche gelenkarthrotische Veränderungen seien jedoch ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht feststellbar. Weitere Befunde, die den Vortrag zu seinen körperlichen Beschwerden – insbesondere der behaupteten Vielzahl von Brüchen – stützen könnten, habe der darlegungs- und beweisbelastete Versicherungsnehmer ebenfalls nicht vorgelegt.
Die Behandlung der beim Versicherungsnehmer feststellbaren Symptomatik mit Medizinal-Cannabis sei nach heutiger medizinischer Einschätzung und aktuellem Wissensstand nicht als von der Schulmedizin allgemein anerkannte Methode anzusehen. Auch sei sie keine Methode, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt habe wie die Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe ausgeführt, mangels ausreichender Datenlage könne nicht festgestellt werden, dass die Therapie mit Medizinal-Cannabis eine entsprechende Linderung der im Zusammenhang mit der Glasknochenkrankheit stehenden Schmerzsymptomatik verspreche. Schließlich seien schulmedizinisch sowohl nichtmedikamentöse als auch verschiedene medikamentöse Behandlungen verfügbar. Der Versicherungsnehmer habe nicht nachgewiesen, dass diese Behandlungsmethoden bei ihm nicht wirksam seien oder gravierende Nebenwirkungen verursachten.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2023, I-13 U 222/22
| Der Vermieter ist verpflichtet, dem Mieter auf dessen Verlangen Einsicht in die Abrechnungsbelege zu gewähren und diese in einer geordneten Form vorzulegen. Es ist nicht Aufgabe des Mieters, die Belege selbstständig zu ordnen. So entschied es das Amtsgericht (AG) Münster. |
Die Wohnungsmieter hatten Einsicht in die Belege zu den Betriebskostenabrechnungen von 2018 bis 2020 verlangt. Die Vermieterin legte die Unterlagen ungeordnet, weder thematisch noch chronologisch stringent sortiert, vor. Daher weigerten sich die Mieter, die Nachforderungen aus den Abrechnungen auszugleichen.
Die Zahlungsklage der Vermieterin hatte keinen Erfolg. Sie habe keinen Anspruch auf die Nachzahlungen, da den Mietern ein Zurückbehaltungsrecht zustehe. Die Vermieterin habe keine umfassende Belegeinsicht gewährt.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 259 Abs. 1 BGB) bedürfe es einer geordneten Zusammenstellung der Abrechnungsbelege, so das AG. Das umfasse eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung in Abrechnungsposten.
Dabei sei auf einen juristisch und betriebswirtschaftlich ungeschulten Mieter abzustellen. Anderenfalls könne der Mieter sein Prüfungsrecht nicht sinnvoll ausüben. Der Mieter sei nicht verpflichtet, die Belege selbstständig zu ordnen oder Zusammenhänge in den Rechnungen fortlaufender Verträge zu erkennen.
Quelle | AG Münster, Urteil vom 25.10.2023, 38 C 1947/22
| Das Landgericht (LG) Hanau hat entschieden, dass ein Vermieter in einem Gebäude mit nur zwei Wohnungen dem Mieter der zweiten Wohnung nicht ohne besonderen Grund kündigen kann, wenn er selbst die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr nutzt. |
Vermieterin wohnte überwiegend im Ausland
Zwischen der hauptsächlich im Ausland lebenden Vermieterin und den Mietern besteht ein Mietvertrag über eine Wohnung in einem Haus mit nur zwei Wohneinheiten. Sie selbst nutzt die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr. Die Vermieterin hat die Kündigung nach § 573 a BGB ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift kann der Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen jederzeit ohne Grund beenden. Die Mieter halten die Kündigung für unwirksam, weil die Vermieterin die andere Wohnung nicht im Sinne der Vorschrift bewohne. Das Amtsgericht (AG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat die Räumungsklage abgewiesen.
Lebensmittelpunkt erforderlich
Das LG hat die Berufung der Vermieterin zurückgewiesen. Für die erleichterte Kündigung nach § 573 a BGB reiche es nicht aus, dass der Vermieter die zweite Wohnung in dem Haus lediglich zusätzlich nutze, selbst, wenn das vereinzelt, wie für das Jahr 2021 behauptet, insgesamt 40 Wochen seien. Er müsse vielmehr seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung haben. Eine enge Auslegung der Vorschrift sei insbesondere deshalb geboten, weil diese es ermögliche, den Mietvertrag mit dem ansonsten von dem Gesetz erheblich geschützten Wohnraummieter zu beenden, ohne dass der Mieter eine Pflichtverletzung begangen oder der Vermieter sonst ein besonderes Interesse hieran habe.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Hanau, Urteil vom 15.11.2023, 2 S 107/22, PM vom 8.2.2024
| Dass ein Testament nicht zwingend auf einem weißen Blatt Papier entstehen muss, zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg. Es ging letztlich darum, ob jemand Erbe geworden war oder nicht. |
Gastwirt verstarb – Testament auf „Kneipenblock“
Verstorben war ein Gastwirt aus dem Landkreis Ammerland. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte, einen Erbschein zu erteilen. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname einer Person („X“) vermerkt. Auf dem Zettel hieß es lediglich „X bekommt alles“.
Amtsgericht: Testierwille fehlte
Das Amtsgericht (AG) sah die Partnerin nicht als Erbin an. Es war der Auffassung, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille.
Oberlandesgericht: Testament wirksam
Der auf das Erbrecht spezialisierte Senat des OLG gelangte zu einer anderen Bewertung. Der handschriftliche Text auf dem Zettel sei ein wirksames Testament.
Das OLG war aufgrund der Einzelheiten des Verfahrens überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück selbst verfasst hatte und dass er mit dem genannten Spitznamen allein seine Partnerin gemeint habe. Auch, dass der Erblasser mit der handschriftlichen Notiz seinen Nachlass verbindlich regeln wollte, stand für den Senat aufgrund von Zeugenangaben fest.
Dass sich die Notiz auf einer ungewöhnlichen Unterlage befinde, nicht als Testament bezeichnet und zudem hinter der Theke gelagert war, stehe der Einordnung als Testament nicht entgegen. Zum einen sei es eine Eigenart des Erblassers gewesen, für ihn wichtige Dokumente hinter dem Tresen zu lagern. Zum anderen reiche es für die Annahme eines Testaments aus, dass der Testierwille des Erblassers eindeutig zu ermitteln sei und die vom ihm erstellte Notiz seine Unterschrift trage. Das OLG stellte die Partnerin daher als rechtmäßige Erbin fest.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2023, 3 W 96/23, PM 10/24
| Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte der Klägerin eine Altersrente. Einen Grundrentenzuschlag nach dem Sozialgesetzbuch VI (hier: § 76 g SGB VI) für langjährige Versicherung berücksichtigte sie nicht, weil das anzurechnende Einkommen des Ehemannes höher als der Zuschlag war. Zu Recht, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun bestätigte. |
Klägerin rügte Grundrechtsverstoß
Die Klägerin rügte, dass die Einkommensanrechnung gemäß § 97 a Abs. 1 SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße. Verheiratete und unverheiratete Menschen würden ungleich behandelt und durch den Familienstand „verheiratet“ benachteiligt, weil das Gesetz eine Einkommensanrechnung bei unverheirateten Personen nicht vorsehe. Das SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid ab.
Landessozialgericht: kein Grundrechtsverstoß
Die dagegen gerichtete Berufung hat das LSG nun zurückgewiesen. Die von der Beklagten angewandte gesetzliche Regelung sei nicht verfassungswidrig. Der Nachteil der Einkommensanrechnung werde bei Gesamtbetrachtung aller an die Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft anknüpfenden Regelungen sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch in anderen Regelungsbereichen im Ergebnis ausgeglichen.
Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs
Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass das Ziel der Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers neben der Anerkennung der Lebensarbeitsleistung eine bessere finanzielle Versorgung von langjährig Versicherten sei. Dieses Ziel werde erreicht. Dem Grundrentenberechtigten verbleibe bei Einbeziehung des Einkommens des Ehegatten ein Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs. Er stehe besser da als jemand, der wenig oder gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend versichert gearbeitet habe und entsprechend wenig oder gar nicht in diese eingezahlt habe.
Das gelte zwar auch für jemanden, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit jemandem zusammenlebe, der entsprechende Einkünfte habe. Allerdings seien Ehepartner aufgrund der unterhaltsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung wirksamer als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft versorgt.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.1.2024, L 18R 707/22, PM vom 15.3.2024
| Allein mit der Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, kann der Auftraggeber das Architektenhonorar nicht wirksam mindern. Die Bezeichnung „im Allgemeinen erforderlich“ in § 3 Abs. 3 HOAI soll nämlich klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt notwendig sind, um die Vertragsziele zu erreichen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Maßgeblich sind die vertraglichen Vereinbarungen
Maßgeblich sind nach dem OLG nicht die in der HOAI genannten Leistungsbilder, sondern die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Was ein Planer vertraglich schuldet, ergibt sich aus dem Vertrag, in der Regel also aus dem Recht des Werkvertrags. Der Inhalt dieses Vertrags ist nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts zu ermitteln.
Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI geregelten „Leistungsbilder“ sind Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach.
Daraus folgt, dass es sich bei den Vorgaben des § 34 Abs. 3 und Anlage 10.1 HOAI nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe handelt.
Es müssen nicht stets alle Grundleistungen erbracht werden
Die in Anlage 10.1 aufgeführten Grundleistungen sind nicht alle zwingend für einen vollständigen Honoraranspruch zu erbringen, wenn dies für den vereinbarten Leistungsumfang nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 S. 1 HOAI, wonach die in den Leistungsbildern erfassten Grundleistungen im Allgemeinen zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags erforderlich sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht immer alle in der jeweiligen Leistungsphase aufgeführten Grundleistungen zur Lösung der jeweiligen konkreten Planungsaufgabe zwingend erbracht werden müssen. Sind bestimmte Grundleistungen nicht zur Lösung der konkreten Planungsaufgabe erforderlich, führt es nicht zu einer Honorarkürzung, wenn diese – nicht erforderlichen – Leistungen nicht erbracht wurden.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 7.2.2024, 14 U 12/23
| In letzter Zeit häufen sich die Entscheidungen dazu, dass es nicht zu den Aufgaben des Architekten gehört, Rechtsfragen zu bearbeiten. Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt eine neue Variante hinzugefügt und sich klar positioniert. |
Das OLG: Ob eine Nachtragsforderung des bauausführenden Unternehmers berechtigt ist, liegt außerhalb der Fragestellungen, für deren Richtigkeit der Architekt mit seiner Rechnungsprüfung im Verhältnis zum Auftraggeber einzustehen hat.
Quelle | OLG Frankfurt, Beschluss vom 2.3.2023, 21 U 69/21
| Ein Architekt, der bei der Gebäudesanierung seine Kunden nicht nur in technischer Hinsicht berät, sondern auch Ratschläge zum Erhalt von Fördermitteln erteilt, muss für Schäden einstehen, wenn er die Fördervoraussetzungen fehlerhaft einschätzt. So hat es das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Empfehlung des Architekten
Die Frau hatte sich zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann dazu entschlossen, ihr Mehrfamilienhaus energetisch sanieren zu lassen und wollte dafür möglichst auch Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Sie ließ sich dahingehend von einem Architekten beraten, der auch Leistungen im Bereich der Energieberatung anbietet. Dieser empfahl, das Objekt in Wohnungseigentum umzuwandeln, da dies eine Voraussetzung für die Gewährung von KfW-Fördermitteln im Rahmen des Programms „Energieeffizient Sanieren“ sei.
KfW verweigerte Fördermittel
Entsprechend der Beratung des Architekten stellte das Ehepaar den Antrag auf die Fördermittel, noch bevor die Umwandlung des Hauses in Wohnungseigentum vollzogen war. Nachdem die Sanierungsarbeiten durchgeführt und die Umwandlung in Wohnungseigentum abgeschlossen waren, rief das Ehepaar die Fördermittel ab. Die KfW verweigerte jedoch die Auszahlung, da nach den Förderbedingungen nur Eigentümer von bestehenden Eigentumswohnungen antragsberechtigt seien; eine Umwandlung in Wohnungseigentum erst nach Antragstellung genüge dagegen nicht. Die nun entgangenen Vorteile verlangten die Eigentümer von dem Architekten ersetzt.
Architekt erbrachte Rechtsdienstleistung
Das LG gab der Klage statt. Der Architekt habe nicht nur auf technischer Ebene zugearbeitet, sondern mit seiner beratenden Tätigkeit zu den Fördervoraussetzungen der geplanten Sanierungsmaßnahme eine sogenannte Rechtsdienstleistung erbracht. Da die Information über die Voraussetzungen für die KfW-Förderung der geplanten Maßnahme unzureichend gewesen sei, habe er seine Schutzpflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt. Hätten die Eheleute den Antrag erst nach der Umwandlung in Wohnungseigentum gestellt, hätten sie die Fördermittel erhalten. Den daraus entstandenen Schaden muss der Architekt nun erstatten.
Das LG: Der Architekt kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, er arbeite im Rahmen der Energieberatung nur auf technischer Ebene.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 25.1.2024, 7 O 13/23, PM vom 28.3.2024
| Ein ehemaliger Polizist hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit infolge früher wahrgenommener Tätigkeiten u. a. im Streifendienst. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Aachen entschieden. |
Der Kläger begründete, er sei während seiner nahezu 46-jährigen Dienstzeit zu erheblichen Teilen im Außendienst eingesetzt gewesen, ohne dass sein Dienstherr ihm Mittel zum UV-Schutz zur Verfügung gestellt oder auch auf die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen hingewiesen habe. Infolgedessen leide er unter Hautkrebs am Kopf, im Gesicht und an den Unterarmen.
Das VG hat die Ablehnung der Anerkennung als Berufskrankheit bestätigt, denn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall lägen hier nicht vor. Erforderlich ist im Fall von Hautkrebs durch UV-Strahlung, dass der Betroffene bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt ist, d. h. das Erkrankungsrisiko aufgrund der dienstlichen Tätigkeit in entscheidendem Maß höher als das der Allgemeinbevölkerung ist. Davon kann bei Polizeibeamten im Außendienst nicht die Rede sein. Polizisten bewegen sich in unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und nicht nur bei strahlendem Sonnenschein im Freien.
Quelle | VG Aachen, Urteil vom 15.4.2024, 1 K 2399/23, PM vom 15.4.2024
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat entschieden: Eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) scheidet aus, wenn der Bewerber eine klassische kaufmännische Ausbildung hat, die nicht mit der Laufbahn des mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Bundeswehrverwaltung) vergleichbar ist. Hat der Bewerber später nicht entsprechend seiner Qualifikation gearbeitet, sammelt er auch keine Zeiten „hauptberuflicher Tätigkeit“. |
Kläger erhielt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch
Der Kläger bewarb sich auf die o. g. Stelle und wurde nicht eingeladen. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) klagte er auf eine Entschädigung nach dem AGG (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 AGG) und unterlag. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG zurück. Zu Recht habe das VG ausnahmsweise eine Einladung eines schwerbehinderten Menschen durch einen öffentlichen Arbeitgeber als entbehrlich angesehen. Denn die fachliche Eignung fehlte offensichtlich.
Wesentliche Unterschiede in der Ausbildung
Der Kläger hatte eine Ausbildung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft absolviert. Deren Inhalte unterschieden sich wesentlich von denen, die im Vorbereitungsdienst für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst in der Bundeswehrverwaltung vermittelt würden und allein zur Laufbahnbefähigung für den mittleren Dienst führen könnten. Das VG verglich insoweit die Ausbildung des Klägers mit den Anforderungen des fachspezifischen Vorbereitungsdienstes. Er konnte auch nicht nachweisen, dass seine späteren hauptberuflichen Tätigkeiten seiner Qualifikation entsprachen bzw. anzuerkennen seien. Hier wäre ein Zeitraum von mindestens einem Jahr und sechs Monaten notwendig gewesen. Er hatte auf verschiedenen Stellen überwiegend einfache Büro- und Verwaltungsarbeiten ausgeführt, die häufig nicht einmal eine kaufmännische Ausbildung voraussetzten.
Quelle | OVG NRW, Urteil vom 8.5.2023, 1 A 3340/20
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Auch ein Abweichen von dem direkten Arbeitsweg kann unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert sein. Dabei muss aber ein ausreichender Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt gesetzlich etwa für einen vom Arbeitsweg abweichenden Weg in Betracht, um ein Kind wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. In einem solchen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nun eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. |
Begleitung auf dem Schulweg
Die Klägerin hatte ihre Tochter im Grundschulalter zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet, an dem sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg traf. Dieser Sammelpunkt lag, von der Wohnung der Klägerin aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg von dem Sammelpunkt zu ihrer Arbeit, aber noch vor Erreichen des Wegstücks von ihrer Wohnung zur Arbeit, wurde die Klägerin – als sie trotz einer roten Fußgängerampel eine Straße überquerte – von einem PKW erfasst. Sie erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche.
Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, bekam die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart zunächst recht. Sie hatte insbesondere geltend gemacht, dass die Begleitung ihrer Tochter aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen sei.
Landessozialgericht: Kein Arbeitsweg
Auf die Berufung des Unfallversicherungsträgers hat das LSG Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall setze, wie der zuständige Senat klargestellt hat, u. a. voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Klägerin habe sich zwar im Unfallzeitpunkt objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Dies sei aber nicht hinreichend, denn das Überqueren der Straße am Unfallort zum Unfallzeitpunkt sei nicht auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit erfolgt, sodass der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit fehle.
Entscheidend: nicht Umweg, sondern Abweg
Bewege sich der Versicherte – wie vorliegend die Klägerin – nicht auf einem direkten Weg in Richtung seines Ziels, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem fort, handele es sich eben nicht um einen bloßen Umweg, sondern um einen Abweg. Werde der direkte Weg mehr als geringfügig unterbrochen und ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen, also nicht betrieblichen Gründen – ebenfalls wie vorliegend – zurückgelegt, bestehe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe auch bis zum Eintritt des Unfallereignisses die unmittelbare Wegstrecke zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht. Der Wegeunfallversicherungsschutz sei damit zum Unfallzeitpunkt noch nicht erneut begründet worden.
Keine Ausnahme gegeben
Es liege auch kein ausnahmsweise versicherter Abweg vor. Die Klägerin habe ihre Tochter nicht – wie für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz insoweit erforderlich – zum Sammelpunkt begleitet, um ihrer Beschäftigung nachzugehen, sondern allein und ausschließlich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter. Damit fehle vorliegend jeglicher sachlich-inhaltlich kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung der Klägerin und dem Begleiten der Tochter. Denn erfasst würden keine Fälle, in denen das Kind in fremde Obhut unabhängig davon verbracht werde, ob der Versicherte seine Beschäftigung alsbald aufnehmen wolle. Schließlich stelle auch die Begleitung der Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von wo aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg beschritten, schon kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne des Gesetzes dar.
Beachten Sie | Wenn ein Unfall – wie in dem dargestellten Fall – nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst ist, wird Versicherungsschutz typischerweise durch die – gesetzliche oder private – Krankenversicherung gewährleistet. Auch sind Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen während des Schulbesuchs sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022, L 10 U 3232/21, PM vom 19.3.2024
Steuerrecht
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass die Verpackung eines Produkts in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht („Mogelpackung“), wenn sie nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist. |
Verbraucherschutzverband klagte
Die Klägerin ist ein Verbraucherschutzverband. Die Beklagte vertreibt Kosmetik- und Körperpflegeprodukte. Die Beklagte bewarb auf ihrer Internetseite ein Herrenwaschgel in einer aus Kunststoff bestehenden Tube mit einer Füllmenge von 100 ml. In der Online-Werbung ist die Tube auf dem Verschlussdeckel stehend abgebildet. Sie ist im unteren Bereich des Verschlussdeckels transparent und gibt den Blick auf den orangefarbigen Inhalt frei. Der darüber befindliche, sich zum Falz der Tube stark verjüngende Bereich ist nicht durchsichtig, sondern silbern eingefärbt. Die Tube ist nur im durchsichtigen Bereich bis zum Beginn des oberen, nicht durchsichtigen Bereichs mit Waschgel befüllt.
Die Klägerin hält diese Werbung für unlauter, weil sie eine tatsächlich nicht gegebene nahezu vollständige Befüllung der Tube mit Waschgel suggeriere, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass die Verpackung zwar dann ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge als vorhanden vortäusche, wenn der Verbraucher sie im Rahmen des Erwerbs im Laden in Originalgröße wahrnehme. Im Fall des hier vorliegenden Online-Vertriebs fehle es jedoch an der Spürbarkeit eines Verstoßes, weil dem Verbraucher die konkrete Größe der Produktverpackung im Zeitpunkt der Beschäftigung mit dem Angebot und dem Erwerb des Produkts verborgen bleibe. Auch eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt der Täuschung über den Hohlraum in der Verpackung liege nicht vor.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH stellte klar: Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Insbesondere täuscht die beanstandete Produktgestaltung ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vor, als in ihr enthalten ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch eine spürbare Interessenbeeinträchtigung vor. Denn der Verkehr soll vor Fehlannahmen über die relative Füllmenge einer Fertigpackung („Mogelpackung“) geschützt werden. Dieser Schutzzweck ist unabhängig vom Vertriebsweg stets betroffen, wenn – wie im Streitfall – eine Fertigpackung ihrer Gestaltung und Befüllung nach in relevanter Weise über ihre relative Füllmenge täuscht.
Der Bundesgerichtshof hat die Beklagte daher zur Unterlassung verurteilt.
Die beanstandete Internetwerbung für das Waschgel verstößt gegen das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG). Eine wettbewerblich relevante Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung liegt unabhängig von dem konkret beanstandeten Werbemedium grundsätzlich vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht. Dies ist hier der Fall, da die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist und weder die Aufmachung der Verpackung das Vortäuschen einer größeren Füllmenge zuverlässig verhindert noch die gegebene Füllmenge auf technischen Erfordernissen beruht.
Quelle | BGH, Urteil vom 29.5.2024, I ZR 43/23, PM 119/24
| Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde mit Wirkung zum 1.1.2024 von 35 Euro auf 50 Euro erhöht. Diese Freigrenze gilt auch umsatzsteuerlich. Daher wurde der Umsatzsteuer-Anwendungserlass angepasst. |
Hintergrund: Für den Vorsteuerabzug kommt es (wie beim Betriebsausgabenabzug) auf die Höhe der Aufwendungen der Geschenke für jeden einzelnen Empfänger im Jahr an. Das bedeutet: Übersteigen die Aufwendungen 50 Euro nicht, ist der Vorsteuerabzug nach den Maßgaben des § 15 Umsatzsteuergesetz zulässig.
Beachten Sie | Sind Unternehmen zum Vorsteuerabzug berechtigt, ist die 50 Euro-Grenze eine Nettogrenze, ohne Vorsteuerabzugsberechtigung handelt es sich um eine Bruttogrenze.
Beispiel
Geschäftsfreund A erhält von der B-GmbH ein Geschenk im Wert von 55 Euro (inklusive 19 % Umsatzsteuer). Ein weiteres Geschenk an A ist für 2024 nicht vorgesehen. Da die B-GmbH zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, sind die Kosten unter den weiteren Voraussetzungen als Betriebsausgaben abzugsfähig (55 Euro/1,19 = 46,22 Euro).
Quelle | BMF-Schreiben vom 12.7.2024, III C 3 - S 7015/23/10002 :001 zur Anpassung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
| In der Versendung einer Gratisbeigabe (hier: Kopfhörer) liegt der Kaufvertragsabschluss über das Hauptprodukt (hier: Smartphone zu 92 Euro aufgrund eines Preisfehlers). So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. |
Im Onlinehandel liegt in der Übersendung einer Gratisbeigabe, deren Versendung einen Kaufvertrag über ein Hauptprodukt voraussetzt, auch die Annahme des Antrags auf Abschluss eines Kaufvertrags über das noch nicht versandte Hauptprodukt. Trotz eines sog. Preisfehlers kann der Kläger die Lieferung von neuen Smartphones zu 92 Euro statt 1.099 Euro laut unverbindlicher Preisempfehlung (UVP) verlangen, bestätigte das OLG.
Das war geschehen
Der Kläger nimmt die Beklagte auf die Lieferung und Übereignung von neun Smartphones in Anspruch. Die Beklagte betreibt den deutschen Onlineshop eines weltweit tätigen Elektronikkonzerns. Laut ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) liegt in einer Kundenbestellung über den Button „jetzt kaufen“ ein bindendes Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags. Die Auftragsbestätigung der Beklagten ist demnach noch keine Annahme dieses Angebots. Ein Kaufvertrag kommt laut AGB zustande, wenn die Beklagte das bestellte Produkt an den Käufer versendet und dies mit einer Versandbestätigung bestätigt. Dabei bezieht sich der Vertrag nur auf die in der Versandbestätigung bestätigten oder gelieferten Produkte.
Durch einen sogenannten Preisfehler bot die Beklagte online Smartphones für 92 Euro an. Der UVP für diese Produkte betrug 1.099 Euro. Zeitgleich bot die Beklagte bei Bestellungen bestimmte Kopfhörer als Gratisbeigabe an. Der Kläger bestellte im Rahmen von drei Bestellungen neun Smartphones sowie vier Gratis-Kopfhörer. Die Kaufpreise zahlte er umgehend. Noch im Laufe des Bestelltags änderte die Beklagte den Angebotspreis auf 928 Euro. Zwei Tage nach den Bestellungen versandte sie die vier Paar Kopfhörer an den Kläger und teilte dies jeweils per Mail mit. Knapp zwei Wochen später stornierte sie die Bestellung unter Verweis auf einen gravierenden Preisfehler. Der Kläger begehrt nun die Lieferung und Übereignung der Smartphones.
Gerichtliche Instanzen sind sich einig
Das Landgericht (LG) hatte der Klage stattgegeben. Diese Auffassung teilte das OLG im Rahmen seines Hinweisbeschlusses, der zur Rücknahme der Berufung führte: Zwischen den Parteien seien Kaufverträge über insgesamt neun Smartphones zustande gekommen. In den automatisiert erstellten Bestellbestätigungen liege zwar noch keine Annahmeerklärung, sondern allein die Bestätigung des Eingangs einer Bestellung.
Mit der Übersendung der Gratis-Kopfhörer habe die Beklagte jedoch den Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags auch in Bezug auf die in der jeweiligen Bestellung enthaltenen Smartphones angenommen: „Denn anders, als wenn in einer Bestellung mehrere kostenpflichtige Artikel zusammengefasst werden, war unbedingte Voraussetzung der kostenlosen Übersendung der Kopfhörer der Erwerb eines Smartphones. Zwischen dem Erwerb des Smartphones und der Übersendung der Kopfhörer bestand ein untrennbarer Zusammenhang dergestalt, dass die kostenlose Übersendung der Kopfhörer das wirksame Zustandekommen eines Kaufvertrags über das Hauptprodukt - das Smartphone – voraussetzt“, begründete das OLG.
Preisfehler ist dem Unternehmen zuzurechnen
Der Kläger habe die Mitteilung, dass sämtliche versprochenen Gratisbeigaben nun verschickt seien, nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte so verstehen dürfen, dass damit auch die Kaufverträge über die Smartphones bestätigt würden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass unstreitig der Preis für die Smartphones bereits am Bestelltag selbst auf 928 Euro korrigiert worden sei. Ab diesem Zeitpunkt sei daher von der Kenntnis von dem Preisfehler im Haus der Beklagten auszugehen. Dies sei ihr insgesamt zuzurechnen.
Quelle | OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 18.4.2024, 9 U 11/23, PM 38/24
| Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat Folgendes entschieden: Ist ein Geschäftsführer einer GmbH nicht am Gesellschaftskapital beteiligt, unterliegt er selbst dann der Sozialversicherungspflicht, wenn er die Geschäfte der Gesellschaft faktisch wie ein Alleininhaber führt. |
Hintergrund: Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Diese Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH.
Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei dem Geschäftsführer einer GmbH in erster Linie danach, ob er nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen.
Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der
- mindestens 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder
- bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag über eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt.
Beachten Sie | Hiervon kann auch bei besonderer Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen nicht abgesehen werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Betroffene faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führt, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hindern, er also „Kopf und Seele“ der Gesellschaft ist. So lautet die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Im Streitfall war der Ehemann als Fremd-Geschäftsführer am Stammkapital der GmbH nicht beteiligt. Alleinige Gesellschafterin war vielmehr seine Ehefrau, deren Weisungsrecht er unterlag. Diese Weisungsgebundenheit war weder aufgehoben noch eingeschränkt. Für das LSG Nordrhein-Westfalen war es unerheblich, dass der Ehemann die Möglichkeit hatte, als Vermieter der Betriebsstätte und wesentlicher Betriebsmittel sowie als Darlehensgeber wirtschaftlichen Druck auf die GmbH auszuüben. Denn dies eröffnet dem Fremd-Geschäftsführer keine erforderliche umfassende Einflussmöglichkeit, die der Stellung eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers entspricht.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.4.2024, L 8 BA 126/23, BSG, Urteil vom 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R
| Für Aussetzungszinsen gilt ein gesetzlicher Zinssatz von 6 % p. a. (0,5 % pro Monat). Diese Höhe hält der Bundesfinanzhof (BFH) fürverfassungswidrig und hat daher das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angerufen. |
Aussetzungszinsen
Ein Einspruch und eine Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: Der Steuerpflichtige muss die festgesetzte Steuer zunächst zahlen.
Beachten Sie | Auf Antrag soll aber eine Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese sogenannte Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist in der Abgabenordnung (§ 361 AO) geregelt.
Für den Steuerpflichtigen bedeutet das, dass er die Steuer zunächst nicht zahlen muss. Es droht aber eine Belastung mit Zinsen, wenn sein Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer „nachträglich“ zahlen muss. Er muss dann nämlich für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat (6 % p. a.) entrichten. Die Höhe dieser Aussetzungszinsen regelt § 237 i. V. mit 238 Abs. 1 S. 1 AO.
Nachzahlungs-/Erstattungszinsen
Es gibt allerdings auch andere Verzinsungstatbestände, z. B.für Steuererstattungen und Steuernachzahlungen. Hier war der Gesetzgeber wegeneines Beschlusses des BVerfG vom 8.7.2021 verpflichtet, den Zinssatz von 0,5 %pro Monat bzw. von 6 % p. a. anzupassen. Da sich der Beschluss des BVerfGallerdings nicht auf die Aussetzungszinsen und andereTeilverzinsungstatbestände erstreckte, wurde der Gesetzgeber nur bei denNachzahlungs- und Erstattungszinsen tätig. Hier beträgt der Zinssatz seit dem1.1.2019 nun lediglich 0,15 % pro Monat bzw. 1,8 % pro Jahr.
Bundesfinanzhof hält6 % AdV-Zinsen p. a. für verfassungswidrig
Nach Auffassung des BFH ist ein Zinssatz i. H. von 6 % p. a. für Aussetzungszinsen im Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist dieser Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen.
Zudem werden Steuerpflichtige, die AdV-Zinsen schulden und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, seit dem 1.1.2019 ungleich behandelt. Diese Zinssatzspreizung ist für den BFH verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Quelle | BFH, Beschluss vom 8.5.2024, VIII R 9/23, BFH, PM Nr. 34/24 vom 22.8.2024; BVerfG, Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17
| Für die Jahre 2022 bis 2026 gilt ab dem 21. Entfernungskilometer eine erhöhte Entfernungspauschale i. H. von 0,38 Euro. Für die ersten 20 Kilometer erfolgte indes keine Anpassung (weiterhin 0,30 Euro). Dagegen hatte ein Arbeitnehmer geklagt. Denn wegen seiner geringen Entfernung (acht Kilometer zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte) partizipierte er von der Erhöhung nicht. Die Klage hatte jedoch keinen Erfolg. Denn das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg hält die Neuregelung nicht fürverfassungswidrig. Das FG hatte jedoch die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Doch sie wurde nicht eingelegt, sodass das Urteil rechtskräftig ist. |
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.3.2024, 16 K 16092/23
| Aufwendungen für Handwerkerleistungen sind bei einer Vorauszahlung nicht steuerbegünstigt, wenn diese im Veranlagungszeitraum vor Ausführung der Handwerkerleistungen eigenmächtig erbracht wird. Dies hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf entschieden. |
Hintergrund: Für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen erhalten Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung in Höhe von 20 % der Aufwendungen (nur Lohnkosten) gemäß Einkommensteuergesetz (§ 35 a Abs. 3 EStG), höchstens jedoch 1.200 Euro im Jahr. Die Steuerermäßigung setzt voraus, dass der Steuerpflichtige eine Rechnung erhält und die Zahlung auf das Konto des Erbringers der Handwerkerleistung erfolgt.
Nach der Entscheidung des FG Düsseldorf genügt eine per E-Mail seitens des Auftraggebers mitgeteilte und eigenmächtig vorgenommene Vorauszahlung dem Rechnungserfordernis (gemäß § 35 a Abs. 5 S. 3 EStG) nicht. Im Streitfall hatte ein Ehepaar in den letzten Tagen des Jahres 2022 einen Abschlagsbetrag – ohne Aufforderung des Handwerksbetriebs – überwiesen, obwohl die Arbeiten erst im Jahr 2023 durchgeführt und auch dann erst in Rechnung gestellt werden sollten.
Vorauszahlungen können nur steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie marktüblich sind. Eine Anzahlung ohne jegliche Aufforderung des Leistungserbringers, mithin letztlich „ins Blaue hinein“, ist weder als marktüblich noch als sonst sachlich begründet anzusehen.
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 18.7.2024, 14 K 1966/23 E
| Der Betrieb eines Weinautomaten auf einem Privatgrundstück darf verboten werden. Das ergibt sich aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Koblenz. |
Verstoß gegen Jugendschutz?
Die Klägerin betreibt einen Automaten, in dem sie selbsterzeugten Wein und Sekt zum Verkauf anbietet. Der Automat steht seit Anfang 2023 auf einem Privatgrundstück; er ist an der Grenze zum öffentlichen Verkehrsraum aufgestellt und nur von der Straße aus zu bedienen. Ende April 2023 gab die Gemeinde der Klägerin gemäß Jugendschutzgesetz auf, den Weinautomaten außer Betrieb zu nehmen. Die Klägerin erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage.
Kein Verkauf in der Öffentlichkeit
Die Klage hatte keinen Erfolg. Die Klägerin, so das VG, dürfe den Weinautomaten aufgrund der Vorschriften des Jugendschutzgesetzes nicht betreiben. Denn danach dürften alkoholische Getränke in der Öffentlichkeit nicht in Automaten angeboten werden. Zwar sehe das Jugendschutzgesetz eine Ausnahme davon u. a. vor, wenn der Weinautomat in einem gewerblich genutzten Raum aufgestellt sei. An dieser Voraussetzung fehle es jedoch, da sich derAutomat auf dem Privatgrundstück der Klägerin befinde. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass Zigarettenautomaten – unabhängig von dem Belegenheitsort – bereits dann aufgestellt werden dürften, wenn eine jugendschutzkonforme Abgabe durch technische Vorrichtungen sichergestellt sei. Die unterschiedliche Behandlung von Zigaretten- und Alkoholautomaten sei aufgrund der verschiedenen Wirkweisen von Nikotin und Alkohol gerechtfertigt.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 27.5.2024, 3 K 972/23.KO, PM 14/24
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Sie erfasst Arbeitnehmer, teilweise sind aber auch Unternehmer versichert oder können sich freiwillig versichern lassen. Voraussetzung des Versicherungsschutzes bei einem Unfall ist dabei, dass dieser bei der versicherten betrieblichen Tätigkeit erfolgt und damit ein Arbeitsunfall ist. Was zur betrieblichen Tätigkeit und was zum privaten Bereich gehört, ist oft strittig und Kernfrage sozialgerichtlicher Verfahren. Einen solchen Fall hatte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zu klären. |
Fahrlehrer suchte passende Strecke
Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls war in einem Fall eines selbstständigen und gesetzlich unfallversicherten Motorrad-Fahrtrainers – dem Kläger – vor dem LSG zu klären. Der Kläger erlitt eine Luxation der linken Schulter, als er im April 2019 bei einer allein unternommenen Fahrt mit ca. 50 km/h in einer Kurve stürzte. Der Unfallort lag etwa 50 km von seinem Wohn- und Unternehmenssitz im Landkreis Tübingen entfernt. Seiner gesetzlichen Unfallversicherung – der Beklagten – teilte er mit, er habe am nächsten Tag einen Schüler mit speziellen Problemen bei Serpentinen gehabt und sei deswegen auf der Suche nach der passenden Strecke für die Schulung gewesen. Er könne sein Fahrtraining nur ordentlich durchführen, wenn er perfekte Orts- und Straßenkenntnisse habe. Umso wichtiger sei dies am Anfang der Saison, da sich über den Winter Straßen oft gravierend verändern würden.
Keine Anerkennung als Arbeitsunfall
Die Beklagte erkannte das Ereignis nicht als Arbeitsunfall an, da es sich um eine unversicherte Vorbereitungshandlung gehandelt habe. Vorbereitende Tätigkeiten wie z. B. eine „Erkundigungsfahrt“ zur Arbeit seien grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. Ausnahmsweise seien Vorbereitungshandlungen u. a. versichert, wenn der jeweilige Versicherungstatbestand nach seinem Schutzzweck auch Vor- und Nachbereitungshandlungen erfasse, die für die versicherte Hauptverrichtung im Einzelfall notwendig sind und in einem sehr engen sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Hier fehle es an einem engen Zusammenhang zwischen der behaupteten Vorbereitungshandlung und der erst am Folgetag vorgesehenen versicherten Tätigkeit.
Erfolg in der Berufung
Nachdem das Sozialgericht (SG) die Klage in erster Instanz abwies, hatte der Kläger mit seiner Berufung Erfolg. Das LSG Baden-Württemberg stellte fest, dass der fragliche Unfall ein Arbeitsunfall gewesen ist.
Landessozialgericht sah versicherte Tätigkeit
Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass die Unfallfahrt zu der versicherten Tätigkeit des Klägers gehört habe. Dieser sei zu seiner unfallbringenden Motorradfahrt allein aus dem Grund aufgebrochen, um für seine am nächsten Tag geplante Trainingsfahrt eine geeignete und sichere Strecke zu testen, was objektiv dem Ziel seines bei der Beklagten versicherten Unternehmens gedient und hierzu auch nicht in einem wirtschaftlichen Missverhältnis gestanden habe. Zwar könne es unwirtschaftlich erscheinen, für ein Fahrsicherheitstraining von ca. einem halben Tag Dauer eine so weit vom Wohnsitz des Klägers entfernte Strecke zu wählen, und diese dann auch noch am Vorabend auf eigene Kosten abzufahren. Insoweit sei aber wiederum der Hinweis des Klägers nachvollziehbar, dass bereits auf der Hinfahrt zu der Strecke der Fahrschüler professionell beobachtet werde. Zudem sei eine solche Erkundungsfahrt auch nach den Einlassungen des Klägers nicht die Regel und sei hier vorrangig dem Beginn der Motorradsaison und den hiermit verbundenen Unwägbarkeiten bezüglich geeigneter Straßenbeläge geschuldet gewesen.
Sofern – wie hier – festzustellen sei, dass eine Tätigkeit selbst als versicherte Tätigkeit anzusehen ist, könne diese nicht mehr als unversicherte Vorbereitungshandlung qualifiziert werden. Es habe zur seriösen Geschäftsausübung des Klägers gehört, dass er Fahrsicherheitstrainings nicht auf Strecken anbot, die nach der Winterpause ein unbekanntes Gefahrenpotential aufwiesen. Das Abfahren der Strecke sei daher objektiv sinnvoll und Teil der den Fahrschülern geschuldeten Hauptleistung als vertragliche Nebenpflicht, durch geeignete Maßnahmen eine Gefährdung der Fahrschüler so weit wie möglich und vertretbar zu reduzieren.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.4.2024, L 3 AS 101/24, PM vom 2.4.2024
| Kauft ein Pfandleihhaus ein Kraftfahrzeug an, um es anschließend an den Verkäufer wieder zu vermieten und beträgt der Marktwert des Fahrzeugs das Fünf- bis Sechsfache des vereinbarten Kaufpreises, sind Kauf- und Mietvertrag wegen Wucher nichtig. Der Verkäufer kann die gezahlten Mieten zurückverlangen, ohne sich den erhaltenen Kaufpreis anrechnen lassen zu müssen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Pfandhaus kauft Fahrzeuge an und vermietet sie wieder
Die Beklagte betreibt bundesweit ein staatlich zugelassenes Pfandleihhaus. Ihr Geschäftsmodell ist darauf gerichtet, Kraftfahrzeuge den Eigentümern abzukaufen und sie ihnen nachfolgend gegen monatliche Zahlungen zu vermieten. Nach Ende der Mietzeit erhält die Beklagte das Fahrzeug zurück und darf es öffentlich versteigern.
Die Klägerin verkaufte ihr Fahrzeug 2020 an die Beklagte für 3.000 Euro. Der Händlereinkaufspreis lag bei rund 15.000 Euro, der objektive Marktwert bei mehr als 18.000 Euro. Anschließend mietete die Klägerin das Fahrzeug für 297 Euro monatlich zurück und übernahm die Kosten für Steuern, Versicherung, Wartung und Reparaturen. Nach Kündigung des Vertrags durch die Beklagte gab die Klägerin das Fahrzeug nicht zurück. Der Beklagten gelang es nicht, das Fahrzeug sicherzustellen.
Klage erfolglos
Auf die Klage hin verurteilte das Landgericht (LG) die Beklagte, die geleistete Miete zurückzuzahlen und stellte fest, dass die Klägerin ihr Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren hat. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Sittenwidrigkeit: Kauf- und Mietvertrag nichtig
Sowohl der Kauf- als auch der Mietvertrag seien nichtig, begründete das OLG seine Entscheidung. Sie seien als wucherähnliche Geschäfte sittenwidrig. Es liege ein grobes und auffälliges Missverhältnis zwischen Marktwert und Kaufpreis vor, da gemäß den überzeugenden sachverständigen Ausführungen der Marktwert des Fahrzeugs über dem fünf- bis sechsfachen des Kaufpreises gelegen habe.
Auf die verwerfliche Gesinnung der Beklagten könne angesichts dieses Missverhältnisses ohne Weiteres geschlossen werden. Angesichts des Geschäftsmodells sei auch davon auszugehen, dass sich die Beklagte den mit Abschluss des Kaufvertrags erzielten Mehrwert endgültig habe einverleiben wollen, auch wenn im Fall der Versteigerung des Fahrzeugs nach Mietende ein etwaiger Mehrerlös dem Verkäufer hätte zugewandt werden müssen. Kauf- und Mietvertrag bildeten dabei ein einheitliches Rechtsgeschäft. Die Klägerin habe das Fahrzeug nur verkaufen wollen, wenn sie es zugleich weiternutzen könne. Der Mietvertrag sei damit ebenfalls nichtig und die gezahlte Miete zurückzuzahlen.
Keine Rückzahlung des Kaufpreises
Obwohl die Klägerin das Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren habe, müsse sie wegen der sittenwidrigen Übervorteilung auch nicht den Kaufpreis an die Beklagte zurückzahlen. Die Beklagte könne den Kaufpreis nicht zurückverlangen, da ihr objektiv ein Sittenverstoß anzulasten sei und sie sich angesichts des auffälligen Missverhältnisses der Rechtswidrigkeit ihres Handelns zumindest leichtfertig verschlossen habe.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.4.2024, 2 U 115/20, PM 26/24
| Das Dach eines Flachdachanbaus einer WEG-Anlage ist selbst dann Gemeinschaftseigentum, wenn alle darunterliegenden Räume zu einer Sondereigentumseinheit gehören. Für die Gültigkeit eines Grundlagenbeschlusses ist es daher nicht erforderlich, dass der Beschlussersetzungsantrag auch die inhaltliche Konkretisierung umfasst. Diese Konkretisierungen können den Eigentümern überlassen werden. So sieht es das Landgericht (LG) Karlsruhe. |
Das Dach sollte instand gesetzt werden
Gestritten wurde um die Instandsetzung des Dachs über einer Gaststättenküche in einer WEG-Anlage, die im Sondereigentum eines Eigentümers steht und ein eigenes Flachdach hat. In der Teilungserklärung ist das Sondereigentum als „Einrichtungen und Anlagen“ definiert, soweit diese nicht dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienen, sondern nur dem Sondereigentümer zu dienen bestimmt sind. Der Eigentümer begehrte durch Beschlussersetzung, dass die Instandsetzung des Dachs beschlossen wird. Die Wohnungseigentümergemeinschaft war der Ansicht, dass der Eigentümer die Instandsetzungskosten allein tragen müsse. Für die Beschlussersetzung fehle es an der sogenannten Ermessensreduzierung auf Null.
Beschluss war ungültig
Das Amtsgericht (AG) hatte der Klage zunächst stattgegeben. Die Berufung vor dem LG hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der Negativbeschluss sei ungültig, so das LG in zweiter Instanz. Die Ablehnung einer positiven Beschlussfassung widerspreche ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn der Anspruch offenkundig und ohne jeden vernünftigen Zweifel gegeben sei. Das habe schon der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.
Ein Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme, die die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums betreffe, bestehe nur, wenn sich das Ermessen der Gemeinschaft im Einzelfall auf Null reduziert habe, sich also jede andere Entscheidung als ermessensfehlerhaft darstellte. Die abgelehnte Sanierung sei dringend erforderlich und stelle eine notwendige Instandsetzungsmaßnahme dar.
Konstruktive Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig
Bei dem Dach handele es sich auch nicht um Sondereigentum.
Das LG hat klargestellt, dass die konstruktiven Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig sind, selbst wenn alle Räume des Gebäudes dem Sondereigentum eines Eigentümers unterliegen. Unerheblich ist eine mögliche widersprechende Regelung in der Teilungserklärung. Denn eine Regelung, die nicht sondereigentumsfähige Gebäudeteile zum Inhalt des Sondereigentums erklärt, ist nichtig.
Zulässig sei es, lediglich einen Grundlagenbeschluss zu treffen, also anzuordnen, dass eine Instandsetzung bestimmter Bauteile zu erfolgen habe, und den Wohnungseigentümern im Übrigen die weitere inhaltliche Konkretisierung (Auswahl des Fachunternehmens, Finanzierung der Maßnahme, etc.) zustehe. Es sei also nicht zu beanstanden, dass der Beschlussersetzungsantrag nur auf das „Ob“ der Instandsetzung, nicht jedoch bereits auf das „Wie“ ziele.
Quelle | LG Karlsruhe, Urteil vom 8.3.2024, 11 S 53/22
| Ein Vermieter muss nicht schon für jede mehr als unerhebliche Beeinträchtigung des bis zur Veränderung der äußeren Umstände gewohnten Nutzens der Mietsache einstehen. Er haftet nur für solche Umfeldveränderungen, die er selber nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 906 BGB) abwehren kann oder nur gegen Ausgleichszahlung hinnehmen muss. Die Freiheit von dahinter zurückbleibenden Einwirkungen auf das Grundstück, die ein Grundstückseigentümer ausgleichslos hinnehmen muss, sind danach gar nicht Gegenstand des vertraglichen Leistungsversprechens des Vermieters und der Gewährleistung. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Vorinstanz: Mieterin hat nicht genug vorgetragen
Die Wohnungsmieterin verlangte von der Vermieterin eine Mietminderung. Sie behauptete, die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung sei durch eine Baustelle auf dem Nachbargrundstück erheblich beeinträchtigt. Vor dem AG hatte sie damit keinen Erfolg. Sie habe nicht schlüssig dargetan, dass der Nutzen der Wohnung durch die Baustelle über das hinzunehmende Maß hinaus beeinträchtigt gewesen sei, so das AG. Darüber hinaus habe die Mieterin zur konkreten Beeinträchtigung des Wohnungsnutzens nicht ausreichend vorgetragen, sondern nur geltend gemacht, dass sie die Mieträume lediglich in Baupausen habe lüften können. Soweit sie die Unbenutzbarkeit des Balkons wegen Lärm und Staub behauptet habe, sei das unschlüssig, weil unklar bleibe, wo sich der Balkon im Verhältnis zur Baustelle auf dem Nachbargrundstück befinde.
Im Berufungsverfahren argumentierte die Mieterin, dass sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ausreichend zu den Auswirkungen der Baumaßnahmen vorgetragen habe; das Gericht müsse sich nun in einer Beweisaufnahme davon überzeugen, ob ein Mangel vorliege oder nicht.
So sah es das Landgericht
Das sah das LG anders und wies die Berufung zurück. Die Baumaßnahmen hätten nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung geführt, die die Vermieterin nicht gemäß § 906 Abs. 2 S. 1 BGB hätte unterbinden können oder gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB nur gegen eine angemessene Ausgleichszahlung hätte dulden müssen.
Beeinträchtigung war durch Dritte verursacht
Das Risiko einer nach Mietvertragsschluss – auch zufällig – eintretenden Verringerung des Nutzens der Mietsache sei nicht dem Vermieter zuzuordnen, da es sich bei einer durch Dritte verursachten Nutzungsbeeinträchtigung aus Sicht beider Vertragsparteien um ein unabwendbares Ereignis handeln könne, für das ein Vermieter erkennbar keine Haftung übernehmen wolle und billigerweise auch nicht übernehmen müsse.
An die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung sei der in der Rechtsprechung entwickelte strenge Maßstab anzulegen, der auch bei der unmittelbaren Anwendung des § 906 BGB im Nachbarschaftsrecht gelte. Andernfalls liefe das Kriterium nicht nur weitgehend leer, sondern der Vermieter wäre Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt, ohne erfolgreich gegen den Grundstücksnachbarn als Verursacher der Störungen vorgehen und diesen gegebenenfalls in Regress nehmen zu können.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 8.2.2024, 64 S 319/21
| Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte die Frage zu entscheiden, ob die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit gegeben ist. |
Der Erblasser, ein kinderloser deutscher Staatsangehöriger, ist im Jahr 2023 in einem Pflegeheim in Polen verstorben. Zuvor lebte er mit seiner (zweiten) Ehefrau sowie in verschiedenen Pflegeheimen in Deutschland. Anfang 2022 machte sich bei ihm eine zunehmende Demenz bemerkbar, die ihn zum Pflegefall machte. Seit April 2023 lebte er in einem Pflegeheim in Polen. Dort hatte er kein Vermögen, er sprach kein polnisch und hatte familiäre sowie soziale Verbindungen allein nach Deutschland. Er wurde gegen bzw. ohne seinen Willen in dem Pflegeheim in Polen untergebracht. Nach dem Tod des Erblassers stellte seine Ehefrau einen Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins beim Nachlassgericht des Amtsgerichts (AG) Singen. Dies hat den Antrag mangels internationaler Zuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.12 (Art. 4 EuErbVO) zurückgewiesen. Der dagegen gerichteten Beschwerde hat das AG nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
Das OLG Karlsruhe hat den Beschluss des Nachlassgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben sei, weil der Erblasser seinen (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe.
Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ sei unionsautonom (gem. Art 23 u. 24 EuErbVO) auszulegen. In objektiver Hinsicht müsse zumindest ein tatsächlicher Aufenthalt („körperliche Anwesenheit“) gegeben sein, auf eine konkrete Dauer oder die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts komme es hingegen nicht an. Unschädlich sei auch eine vorübergehende Abwesenheit, soweit ein Rückkehrwille bestand. In subjektiver Hinsicht sei das Vorliegen eines animus manendi (Bleibewille) erforderlich, also der nach außen manifestierte Wille, seinen Lebensmittelpunkt am Ort des tatsächlichen Aufenthalts auf Dauer zu begründen. Eines rechtsgeschäftlichen Willens bedürfe es insoweit nicht. Werden pflegebedürftige Personen in ausländischen Pflegeheimen untergebracht, komme es ebenfalls grundsätzlich auf deren Bleibewillen an. Könnten diese zum Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels keinen eigenen Willen mehr bilden oder erfolgt die Unterbringung gegen ihren Willen, fehle es an dem für die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts erforderlichen Bleibewillens. Dies sei hier der Fall.
Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.7.2024, 14 W 50/24 Wx
| Im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragte die Antragstellerin B., ungedeckte Heimkosten zu erstatten. B. bezieht verschiedene Renten; weiter hatte sie Mitte 2018 ihr hälftiges Grundstückseigentum sowie darüber hinaus ihren Anteil an der Erbengemeinschaft nach ihrem Mann unentgeltlich an ihre Kinder übertragen. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat den Antrag der B. zurückgewiesen. Sie verfüge sowohl über Einkommen als auch über Vermögen, das sie vorrangig zur Beseitigung ihrer Hilfsbedürftigkeit einsetzen muss. Erst nach dessen Verbrauch könne ein erneuter Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt werden. |
Das Einkommen der B. besteht aus Rentenansprüchen. Neben diesem Einkommen, das vollständig einzusetzen ist, kann (und muss) B. auch über ihr Vermögen verfügen. Dieses besteht in Form eines Schenkungsrückforderungsanspruchs gegenüber ihren Kindern. Denn der Schenker kann von den Beschenkten die Herausgabe des Geschenks verlangen, wenn er nach Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten.
Der Anspruch ist erst ausgeschlossen, wenn zehn Jahre seit der Schenkung vergangen sind. Diese Frist war hier noch nicht abgelaufen. Die Beschenkten können die Herausgabe allerdings durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags abwenden.
Quelle | SG Lüneburg, Beschluss vom 21.5.2024, S 38 SO 23/24 ER
| Der Eigentümer eines denkmalgeschützten Wohngebäudes hat Anspruch auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzaunes auf seinem Grundstück. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks mit einem Wohngebäude, das seit 1998 als Kulturdenkmal unter Schutz gestellt ist. Seinen Antrag auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzauns auf der bestehenden, zwischen einem und 1,60 Meter hohen Einfriedungsmauer entlang der Straße lehnte die beklagte Stadt ab. Seine entsprechende Klage wies das Verwaltungsgericht (VG) ab. Auf seine Berufung hob das OVG das Urteil des VG auf und verpflichtete die Beklagte, ihm die beantragte Genehmigung zu erteilen.
Es stehe außer Frage, dass der Solarzaun einer Genehmigung bedürfe. Diese werde nach dem rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetz (hier: § 13 Abs. 2 DSchG) nur erteilt, wenn entweder (1.) Belange des Denkmalschutzes nicht entgegenstünden oder wenn (2.) andere Erfordernisse des Gemeinwohls oder private Belange diejenigen des Denkmalschutzes überwiegen würden und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne. Zwar sei mit dem VG davon auszugehen, dass Belange des Denkmalschutzes im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 1 DSchG einer Genehmigung entgegen stünden. Das Vorhaben des Klägers erfülle aber die Anforderungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 DSchG, weil andere Erfordernisse des Gemeinwohls vorrangig seien und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne.
Das öffentliche Interesse an der Errichtung des Solarzauns sei vorliegend von solchem Gewicht, dass das Interesse an der unveränderten Erhaltung des Erscheinungsbildes des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes zurückzustehen habe und die Erteilung der Genehmigung geboten erscheine. Dies folge aus § 2 des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz) – EEG. Danach lägen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dienten der öffentlichen Sicherheit. Besondere atypische Umstände, die ein abweichendes Ergebnis der Abwägung nach sich zögen, seien nicht ersichtlich.
Den somit bestehenden überwiegenden Interessen des Gemeinwohls könne auch nicht auf sonstige Weise Rechnung getragen werden. Der Schutzzweck des § 2 EEG stehe einer Prüfung von alternativen Standorten für Anlagen der erneuerbaren Energien an anderen Stellen des klägerischen Grundstücks von vornherein entgegen. Unabhängig davon komme ein Alternativstandort für eine Solaranlage auf dem Grundstück des Klägers auch tatsächlich nicht in Betracht.
Quelle | OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.8.2024, 1 A 10604/23.OVG, PM 14/24
| Ein Landkreis hatte einem Ehepaar untersagt, im Garten ihres Wohngrundstücks Minischweine zu halten. Das Ehepaar klagte dagegen vor dem Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt a. M. – erfolglos. |
Anwohner beschwerten sich
Die Kläger sind Eigentümer eines Wohngrundstücks, das in einem durch Bebauungsplan festgesetzten allgemeinen Wohngebiet liegt. Sie halten im Garten ihres Grundstücks seit 2022 sogenannte Minischweine. Nach Anwohnerbeschwerden forderte der Beklagte die Kläger im November 2023 auf, die beiden Schweine von ihrem Grundstück zu entfernen, da das Halten von Schweinen in allgemeinen Wohngebieten unzulässig sei.
Klage der Eigentümer abgewiesen
Das VG hat die Klage abgewiesen. Das Halten von zwei Minischweinen im Garten ihres in einem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Wohnanwesens sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Der Bebauungsplan weise das Gebiet als allgemeines Wohngebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung (BauNVO) aus. Anlagen zur Tierhaltung gehörten nicht zu den in allgemeinen Wohngebieten zulässigen Anlagen. Allgemeine Wohngebiete dienten vorwiegend dem Wohnen.
Gebietsuntypische Störungen unzulässig
Die gebietstypische Schutzwürdigkeit und Störempfindlichkeit werde in allgemeinen Wohngebieten im Wesentlichen von der störempfindlichen Hauptnutzungsart bestimmt. Das Wohnen dürfe keinen gebietsunüblichen Störungen ausgesetzt werden.
Zwar seien nach der Baunutzungsverordnung (hier: § 14 BauNVO) in Wohngebieten untergeordnete Nebenanlagen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Grundstücke oder des Wohngebiets selbst dienten und die seiner Eigenart nicht widersprächen. Zu diesen untergeordneten Nebenanlagen gehörten auch solche für die Kleintierhaltung. Allerdings ermögliche § 14 BauNVO als Annex zum Wohnen eine Kleintierhaltung nur, wenn sie in dem betreffenden Baugebiet üblich und ungefährlich sei und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprenge.
Ziegen, Schweine, Schafe: Haltung in Wohngebieten heutzutage unüblich
Kleintiere seien Nutztiere ebenso wie Hobbytiere, die zum Schutz, zur Unterhaltung oder zur Ernährung gehalten würden. In den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten dürften nur solche Kleintiere gehalten werden, die der für eine Wohnnutzung charakteristischen Freizeitbeschäftigung entsprächen. Als Kleintiere würden im Allgemeinen etwa Katzen und Hunde angesehen. Dagegen sei in den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten die Haltung von Ziegen, Schafen und Schweinen in der heutigen Zeit nicht mehr üblich und unzulässig. Eine unterschiedliche Behandlung zwischen sogenannten Hausschweinen, Hängebauchschweinen und Minischweinen sei dabei nicht angezeigt. Minischweine könnten bis zu einem Meter lang werden und bis zu 100 kg wiegen.
Geräusch- und Geruchsbelästigungen
Das Halten von Schweinen in einem allgemeinen Wohngebiet führe typischerweise zu Geräusch- und Geruchsbelästigungen, die in Wohngebieten unüblich seien. Von Schweinen, die sich ganzjährig rund um die Uhr hauptsächlich im Freien aufhielten, gingen ungefilterte Gerüche und Geräusche aus, die unmittelbar die Umgebung belasteten. Aufgrund ihrer Größe und Anzahl komme es bei Schweinen zudem zu erheblichen Ausscheidungen, die gebietsuntypische Gerüche verbreiteten.
Ursprünglich dörflicher Charakter der Gemeinde unerheblich
Hieran ändere auch nichts, dass die betreffende Gemeinde ursprünglich einen dörflichen Charakter gehabt habe oder gar mit dem Spruch „Größtes Dorf der Welt“ werbe. Gegenwärtig zeichne sich die unmittelbare Umgebung des streitgegenständlichen Grundstücks - auf die es im vorliegenden Fall allein ankomme - durch weit überwiegende Wohnnutzung aus.
Zwar könne im Einzelfall die Üblichkeit der Kleintierhaltung abweichend von der typisierenden Betrachtung bejaht werden, wenn eine konkrete Betrachtung ergebe, dass in der Nachbarschaft vergleichbare Nutzungen vorhanden seien und sich die Bewohner des Baugebiets damit abgefunden hätten. Letzteres sei hier jedoch nicht der Fall.
Quelle | VG Neustadt a. M., Urteil vom 11.9.2024, 5 K427/24, PM 14/24
| Notdienste eines Kundendiensttechnikers, die dadurch gekennzeichnet sind, dass er sich an einem frei wählbaren Ort aufhalten kann, aber telefonisch erreichbar sein und zu einem Notdiensteinsatz binnen einer Stunde am Einsatzort eintreffen muss, wenn er angefordert wird, sind Rufbereitschaftsdienste und keine Bereitschaftsdienste. Voraussetzung: Unter Berücksichtigung der Anfahrtszeit verbleiben noch 30 Minuten Zeit, bis der Arbeitnehmer aufbrechen muss. Zu diesem Ergebnis kommt das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. |
Notdienst nur sehr selten
Außerdem erläuterte das Gericht, dass das oben Gesagte zumindest dann gelte, wenn eine tatsächliche Anforderung im Notdienst äußerst selten vorkomme – im vorliegenden Fall lediglich in einem Umfang von 0,67 % der Gesamt-Notdienstbereitschaftszeit.
Ruhezeit
Liege arbeitsschutzrechtlich Rufbereitschaft und kein Bereitschaftsdienst vor, handele es sich um Ruhezeit im Sinne desArbeitszeitgesetzes (hier: § 5 ArbZG). Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff folge hier dem arbeitsschutzrechtlichen, sodass – soweit keine gesonderte Regelung im Arbeitsvertrag, in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zur Anwendung gelange – keine Vergütungspflicht bestehe.
Ausgenommen hiervon seien die Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung im Rahmen der Aktivierung aus dem Notdienst heraus, die als Vollarbeit zu vergüten sind.
Mindestlohngesetz
Auch das Mindestlohngesetz knüpfe an geleistete Zeitstunden an und mithin an den vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff. Arbeitsschutzrechtliche Ruhezeit sei weder arbeitsschutz- noch vergütungsrechtlich Arbeitszeit und begründet daher auch keine Mindestlohnansprüche.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.4.2024, 3 SLa 10/24
| Ein Reitverein muss für von ihm angebotenen Reitunterricht Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wenn der Unterricht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung erbracht wird. Hierfür spricht, wenn die Reitlehrerin die vereinseigenen Pferde sowie die Reithalle unentgeltlich nutzen kann und sie kein unternehmerisches Risiko trägt. Dies entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG). |
Reitverein muss Sozialversicherungsbeiträge und -nachforderungen zahlen und klagt
Eine Reitlehrerin unterrichtete Mitglieder eines gemeinnützigen Reitvereins mit den vereinseigenen Schulpferden auf dem Vereinsgelände zwischen 12 und 20 Stunden wöchentlich. In den Jahren 2015 bis 2018 zahlte ihr der Verein pro Reitstunde 18 Euro. Die Deutsche Rentenversicherung prüfte den Betrieb des Reitvereins. Sie stellte fest, dass die Reitlehrerin abhängig beschäftigt ist und forderte von dem Verein Rentenversicherungsbeiträge nach. Der Reitverein wandte hiergegen ein, dass die Reitlehrerin selbstständig tätig sei.
Landessozialgericht bestätigt Beitragspflicht des Reitvereins
Das LSG gab der Rentenversicherung Recht. Die Beitragsnachforderung sei rechtmäßig. Eine abhängige Beschäftigung liege vor. Zwar könne ein nebenberuflicher Übungsleiter oder Trainer in Sportvereinen auch selbstständig tätig sein, wie das Vertragsmuster „Freier-Mitarbeiter-Vertrag Übungsleiter Sport“ der Rentenversicherung belege. Ein solcher Vertrag sei jedoch vorliegend zwischen dem Reitverein und der Reitlehrerin nicht geschlossen worden.
Zudem sprächen im konkreten Einzelfall mehr Anhaltspunkte für das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung. So habe die Reitlehrerin kein unternehmerisches Risiko getragen. Sie habe keine Rechnungen erstellt und ausschließlich die vereinseigenen Pferde einschließlich Sattel und Zaumzeug genutzt, wofür sie - wie auch für die Nutzung der Reithalle - kein Entgelt gezahlt habe. Die Hallenzeiten habe sie mit dem Reitverein abgestimmt. Der Reitverein habe die Stundenvergütung vorgegeben. Die Jahresvergütung von durchschnittlich über 6.500 Euro habe die steuerfreie Aufwandspauschale für Übungsleiter (bis 2020: 2.400 Euro jährlich) weit überschritten. Schließlich habe der Reitverein auf seiner Homepage mit „unsere Reitlehrerin“ geworben und selbst die Verträge über den Reitunterricht mit den Reitschülern geschlossen.
Da die Rentenversicherung nur die über der Aufwandspauschale für Übungsleiter liegenden Einkünfte bei der Beitragsberechnung berücksichtigt habe, sei auch die Höhe der Beitragsforderung zutreffend.
Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.
Quelle | Hessisches LSG, Urteil vom 18.6.2024, L 1 BA 22/23,PM 6/24
| Die gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 3 Nr. 11 c EStG) geregelte Steuerfreiheit der (freiwilligen) Inflationsausgleichsprämie sieht keine Regelung vor, dass die Prämie an alle Arbeitnehmer ausgezahlt werden muss. Somit ist der Arbeitgeber nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen grundsätzlich nicht daran gehindert, die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie an weitere Bedingungen zu knüpfen. |
Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt
Es verstößt nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein Arbeitgeber zur weiteren Bedingung der Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie macht, dass der Beschäftigte Teil seiner „active workforce“ ist, sodass z. B. Beschäftigte in der Passivphase der Altersteilzeit von der Prämie ausgeschlossen sind.
Steuerfreie Inflationsausgleichsprämie bis zu 3.000 Euro
Die freiwillige Inflationsausgleichsprämie kann vom 26.10.2022 bis Ende 2024 gewährt werden. Bei den 3.000 Euro handelt es sich um einen steuerlichen Freibetrag, der auch in mehreren Teilbeträgen ausgezahlt werden kann.
Begünstigt sind auch Zahlungen an Minijobber. Da die Zahlung steuer- und beitragsfrei ist, wird sie nicht auf die Minijobgrenze angerechnet.
Zusätzlich zum Arbeitslohn
Die Zahlungen müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erfolgen. Nach § 8 Abs. 4 EStG werden Leistungen nur dann zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, wenn
- die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
- der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
- die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
- bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.
Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 21.2.2024, 8 Sa 564/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Die Werbung mit einem mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff (hier: „klimaneutral“) ist regelmäßig nur zulässig, wenn in der Werbung selbst erläutert wird, welche konkrete Bedeutung diesem Begriff zukommt. |
Das war geschehen
Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte ist ein Unternehmen, das Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz herstellt. Die Produkte sind im Lebensmitteleinzelhandel, an Kiosken und an Tankstellen erhältlich. Die Beklagte warb in einer Fachzeitung der Lebensmittelbranche mit der Aussage: „Seit 2021 produziert [die Beklagte] alle Produkte klimaneutral“ und einem Logo, das den Begriff „klimaneutral“ zeigt und auf die Internetseite eines „ClimatePartner“ hinweist. Der Herstellungsprozess der Produkte der Beklagten läuft nicht CO2-neutral ab. Die Beklagte unterstützt indes über den „ClimatePartner“ Klimaschutzprojekte.
Irreführend: Herstellungsprozess selbst nicht klimaneutral
Die Klägerin hält die Werbeaussage für irreführend. Die angesprochenen Verkehrskreise verstünden diese so, dass der Herstellungsprozess selbst klimaneutral ablaufe. Zumindest müsse die Werbeaussage dahingehend ergänzt werden, dass die Klimaneutralität erst durch kompensatorische Maßnahmen hergestellt werde. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH hat die Beklagte zur Unterlassung der Werbung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten verurteilt. Die beanstandete Werbung ist irreführend im Sinne des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 UWG).
Die Werbung ist mehrdeutig, weil der Begriff „klimaneutral“ nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen von den Lesern der Fachzeitung – nicht anders als von Verbrauchern – sowohl im Sinne einer Reduktion von CO2 im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO2 verstanden werden kann. Im Bereich der umweltbezogenen Werbung ist – ebenso, wie bei gesundheitsbezogener Werbung – eine Irreführungsgefahr besonders groß und es besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen. Bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff, wie „klimaneutral“, verwendet, muss deshalb zur Vermeidung einer Irreführung regelmäßig bereits in der Werbung selbst erläutert werden, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist. Aufklärende Hinweise außerhalb der umweltbezogenen Werbung sind insoweit nicht ausreichend.
Irreführende Werbung relevant für Kaufentscheidung
Eine Erläuterung des Begriffs „klimaneutral“ war hier insbesondere erforderlich, weil die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität darstellen, sondern die Reduktion gegenüber der Kompensation unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes vorrangig ist. Die Irreführung ist auch wettbewerblich relevant, da die Bewerbung eines Produkts mit einer vermeintlichen Klimaneutralität für die Kaufentscheidung des Verbrauchers von erheblicher Bedeutung ist.
Quelle | BGH, Urteil vom 27.6.2024, I ZR 98/23, PM 138/24
| Die Aufzeichnungspflichten nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 4 Abs. 7 des EStG) für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind bei einem Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt, nur erfüllt, wenn sämtliche Aufwendungen einzeln fortlaufend in einem gesonderten Dokument oder Datensatz aufgezeichnet werden. Eine reine Belegsammlung mit Aufaddieren der Positionen nach Abschluss des Veranlagungszeitraums ist nicht ausreichend. Da der Bundesfinanzhof (BFH) gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Hessen kürzlich die Revision zugelassen hat, ist mit einer weiteren Präzisierung der Rechtsprechungsgrundsätze zu rechnen. |
Hintergrund: § 4 Abs. 5 EStG schränkt den Abzug für gewisse Betriebsausgaben ein. So wirken sich z. B. Aufwendungen für Geschenke an Geschäftspartner und Kunden nur steuermindernd aus, wenn eine Grenze von 50 Euro eingehalten wird. Und auch für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer besteht eine Abzugsbeschränkung.
Aufzeichnungspflichten
Darüber hinaus sind die Aufwendungen i. S. des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 4, 6 b und 7 EStG einzeln und getrennt von den sonstigen Betriebsausgaben aufzuzeichnen. Soweit diese Aufwendungen nicht bereits nach Abs. 5 vom Abzug ausgeschlossen sind, dürfen sie bei der Gewinnermittlung nur berücksichtigt werden, wenn sie besonders aufgezeichnet sind.
Beachten Sie | Bei den Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG handelt es sich um eine zusätzliche materiell-rechtliche Voraussetzung für den Betriebsausgabenabzug. Bei Verstößen droht das Abzugsverbot. Dieses Abzugsverbot wird auch bei einer Gewinnermittlung per Einnahmen-Überschussrechnung so umgesetzt, dass die betroffenen Aufwendungen dem Gewinn als Betriebseinnahmen hinzugerechnet werden.
Finanzierungs- und Energiekosten dürfen geschätzt werden
Nach Ansicht der Finanzverwaltung bestehen keine Bedenken, wenn die auf das Arbeitszimmer anteilig entfallenden Finanzierungskosten im Wege der Schätzung ermittelt werden und nach Ablauf des Wirtschafts- oder Kalenderjahrs eine Aufzeichnung aufgrund der Jahresabrechnung des Kreditinstituts erfolgt. Entsprechendes gilt für die verbrauchsabhängigen Kosten (z. B. Wasser- und Energiekosten). Es reicht aus, Abschreibungsbeträge einmal jährlich – zeitnah nach Ablauf des Kalender- oder Wirtschaftsjahrs – aufzuzeichnen.
Jahrespauschale ausgenommen
Beachten Sie | Beim Abzug der Jahrespauschale (1.260 Euro) bestehen die besonderen Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG nicht.
Quelle | FG Hessen, Urteil vom 13.10.2022, 10 K 1672/19, Rev. BFH: VIII R 6/24, BMF-Schreiben vom 15.8.2023, IV C 6 – S 2145/19/1006 :027, RZ. 25 f.
| Ermittelt ein Steuerpflichtiger seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung, ist die Art und Weise, in der er seine Aufzeichnungen geführt hat, eine Tatsache, die zur Korrektur eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids führen kann, wenn sie dem Finanzamt nachträglich bekannt wird. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. |
Hintergrund: Ist die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat abgelaufen, wird ein Steuerbescheid grundsätzlich bestandskräftig. Allerdings bestehen auch danach Berichtigungs- und Änderungsmöglichkeiten. Eine davon ist § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Hier heißt es: Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Das war geschehen
Ein Einzelhändler ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung. Das Finanzamt veranlagte ihn erklärungsgemäß (ohne Vorbehalt der Nachprüfung). Bei einer späteren Außenprüfung beurteilte das Finanzamt die Aufzeichnungen als formell mangelhaft und nahm eine Hinzuschätzung vor. Die bestandskräftigen Bescheide wurden nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert.
Bareinnahmen: Aufzeichnungen mangelhaft
Die Tatsache, ob und wie der Steuerpflichtige seine Bareinnahmen aufgezeichnet hat, ist rechtserheblich, wenn das Finanzamt bei deren vollständiger Kenntnis bereits im Zeitpunkt der Veranlagung zur Schätzung befugt gewesen wäre und deshalb eine höhere Steuer festgesetzt hätte.
Da eine Schätzungsbefugnis in bestimmten Fällen auch bei (nur) formellen Mängeln der Aufzeichnungen über Bareinnahmen besteht, muss das FG nun im zweiten Rechtsgang prüfen, ob die Unterlagen Mängel aufweisen, die zur Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen führen.
Quelle | BFH, Urteil vom 6.5.2024, III R 14/22, PM 30/24 vom 4.7.2024
| Wer neben dem Bau von Gewächshäusern Pflanzen züchtet und mit ihnen handelt, unterhält nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) Münster unterschiedliche Betriebe. Dies hat zur Folge, dass für Zwecke der Gewerbesteuer Verluste aus der Pflanzenzucht nicht mit Gewinnen aus dem Gewächshausbau verrechnet werden können. |
Unterschied: Betätigung gewerblich oder land- und forstwirtschaftlich
Beim Gewächshausbau handelt es sich nach der Wertung des FG um eine gewerbliche und bei der Pflanzenzucht um eine land- und forstwirtschaftliche Betätigung. Beide Tätigkeiten sind laut FG auch nicht derart miteinander planvoll wirtschaftlich verbunden, dass sie als ein einheitlicher Gewerbebetrieb betrachtet werden können.
Beachten Sie | Die Pflanzenzucht ist auch keine bloße Hilfsbetätigung zum Gewächshausbau und sie ist auch nicht notwendig für die gewerbliche Tätigkeit, da auch Konkurrenzbetriebe nicht stets zusätzlich eine Pflanzenzucht betreiben.
Sachlicher Zusammenhang erforderlich
Die Zusammenfassung mehrerer Betätigungen zu einem einheitlichen Gewerbebetrieb erfordert allgemein einen sachlichen Zusammenhang finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Art zwischen den Betätigungen.
Bei gleichartigen gewerblichen Betätigungen gilt die Vermutung eines einheitlichen Gewerbebetriebs, es sei denn, es sprechen ausnahmsweise besondere Umstände des konkreten Einzelfalls dagegen. Bei ungleichartigen gewerblichen Betätigungen liegt dagegen nur ausnahmsweise ein einheitlicher Gewerbebetrieb vor. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) im Jahr 2020 entschieden.
Dies gilt erst recht beim Zusammentreffen einer gewerblichen mit einer nicht gewerblichen Tätigkeit. Nur ganz ausnahmsweise – bei einem untrennbaren Sachzusammenhang – können auch solche Betätigungen zusammengefasst werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 29.11.2023, 13 K 986/21 G; BFH, Urteil vom 17.6.2020, X R 15/18
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (§ 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen.
Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest. Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R, PM Nr. 7/24
| Wer in der Dunkelheit mit dem Auto auf einen Betonpoller auffährt, muss nicht unbedingt für seinen Schaden selbst aufkommen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig entschieden. |
Das war geschehen
Ein Autofahrer forderte von einer Gemeinde Schadenersatz. Er war bei Dunkelheit mit seinem Fahrzeug in den mittleren von drei etwa 40 Zentimeter hohen Betonpollern hineingefahren. Die Poller hatte die Gemeinde hinter dem Einmündungsbereich einer mit einem Sackgassenschild ausgewiesenen Straße als Durchfahrtssperre aufgestellt. Nur die äußeren beiden Poller waren dabei mit jeweils drei Reflektoren versehen. Das Landgericht (LG) hatte die Gemeinde teilweise zum Schadenersatz verurteilt. Der Autofahrer müsse sich lediglich 25 Prozent Mitverschulden anrechnen lassen.
Verstoß gegen die Straßenverkehrssicherungspflicht
Dies hat das OLG nun bestätigt. Die Gemeinde habe gegen ihre Straßenverkehrssicherungspflicht verstoßen. Sie hätte die der Verkehrsberuhigung dienenden Poller so aufstellen müssen, dass die Benutzer der Straße diese gut sehen könnten, wenn sie entsprechend sorgfältig führen. Dies hätte durch gut sichtbare Markierungen und ausreichende Beleuchtung erfolgen müssen. Das gelte vor allem, weil die Poller nur eine geringe Höhe (ca. 40 cm) hatten. Solche Poller seien aus dem Sichtwinkel eines Autofahrers nur schwer zu erkennen.
Sachverständigengutachten: Poller waren nicht zu erkennen
Das OLG hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt. Danach kam es zu dem Ergebnis, dass jedenfalls der mittlere und der rechte Poller unabhängig von der Geschwindigkeit und selbst bei Tageslicht für einen von rechts in die Straße einbiegenden Kraftfahrzeugfahrer nicht erkennbar waren. Dies habe der Sachverständige anhand von Videosequenzen belegt. Auch dem Sackgassenschild habe ein Autofahrer nicht entnehmen können, dass die Straße durch Poller versperrt sein würde. Die beklagte Gemeinde habe damit in eklatanter Weise gegen ihre Verkehrssicherungspflichten verstoßen.
Quelle | OLG Braunschweig, Urteil vom 10.12.2018, 11 U 54/1
| Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat die Klage eines Nachbarn auf Durchsetzung des „Fensterrechts“ in der Berufungsinstanz abgewiesen. In erster Instanz hatte das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth den vom Kläger gegen die Grundstücksnachbarn geltend gemachten Anspruch zuerkannt, die auf der Grundstücksgrenze befindlichen Fenster großflächig blickdicht zu gestalten und geschlossen zu halten. Das OLG hat nun die Entscheidung geändert. |
Kläger beriefen sich auf Nachbarrecht
Der Kläger verlangte unter Berufung auf die bayerischen Nachbarrechtsvorschriften von den beklagten Nachbarn, die zu seinem Grundstück zugewandten Wohnraumfenster so umzubauen, dass ein Öffnen und ein Durchblicken bis zur Höhe von 1,80 m über dem Boden nicht möglich sind. Er ist Eigentümer eines im Jahr 2017 errichteten Einfamilienhauses, die Beklagten wohnen seit 2019 auf dem Nachbargrundstück. Beide Grundstücke waren zunächst Teil eines größeren Grundstücks. Infolge der Grundstücksteilung im Jahr 2000 wurde das Wohnhaus, in dem die Beklagten wohnen, zu einem Grenzbau. Die Wohnung der Beklagten hat mehrere Fenster sowie eine Balkonfenstertür, deren Abstand zur Grundstücksgrenze des Klägers weniger als 60 Zentimeter beträgt.
Oberlandesgericht machte sich ein eigenes Bild
Das OLG sah die auf das „Fensterrecht“ gestützten Anspruchsvoraussetzungen zwar grundsätzlich als gegeben, erachtete die Durchsetzung des Anspruchs im konkreten Einzelfall in der Gesamtwürdigung aber als unbillige Härte. Es hatte sich in einem Ortstermin ein eigenes Bild von den konkreten Wohnverhältnissen gemacht und die streitgegenständlichen Fenster, insbesondere die etwaig zu verschattenden Fensterflächen, die Lichtverhältnisse in sämtlichen betroffenen Räumen und die Fluchtwege der Wohnung in Augenschein genommen.
Unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten der Wohnung und in Abwägung der jeweiligen Interessen beider Seiten kam das OLG zu dem Ergebnis, dass dem Kläger ein Berufen auf das nachbarrechtliche „Fensterrecht“ im konkreten Einzelfall verwehrt ist. Maßgeblich war aus Sicht des Gerichts zum einen, dass bis zu 80 % der Fensterflächen von der blickdichten Gestaltung betroffen wären und eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr der Wohnung bei Durchsetzung des Anspruchs nicht mehr gewährleistet wäre. Zum anderen hat das Gericht berücksichtigt, dass bei einem dauerhaften Verschließen der Balkontür auch der notwendige zweite Fluchtweg nicht mehr gegeben wäre. In Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände erachtete das Gericht die Ausübung des Fensterrechts daher als unzulässig.
Quelle | OLG Nürnberg, Urteil vom 18.6.2024. 6 U 2481/22, PM 21/24
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit der Frage befasst, ob sich der Verkäufer eines fast 40 Jahre alten Fahrzeugs mit Erfolg auf einen vertraglich vereinbarten allgemeinen Gewährleistungsausschluss berufen kann, wenn er mit dem Käufer zugleich vereinbart hat, dass die in dem Fahrzeug befindliche Klimaanlage einwandfrei funktioniere, und der Käufer nunmehr Mängelrechte wegen eines Defekts der Klimaanlage geltend macht. |
Das war geschehen
Der Kläger erwarb im März 2021 im Rahmen eines Privatverkaufs von dem Beklagten zu einem Kaufpreis von 25.000 Euro einen erstmals im Juli 1981 zugelassenen Mercedes-Benz 380 SL mit einer Laufleistung von rund 150.000 km. In der Verkaufsanzeige des Beklagten auf einer Onlineplattform hieß es unter anderem: „Klimaanlage funktioniert einwandfrei. Der Verkauf erfolgt unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“.
Im Mai 2021 beanstandete der Kläger, dass die Klimaanlage defekt sei. Nachdem der Beklagte etwaige Ansprüche des Klägers zurückgewiesen hatte, ließ dieser die Klimaanlage – im Wesentlichen durch eine Erneuerung des Klimakompressors – instand setzen. Mit der Klage verlangt er von dem Beklagten den Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von rund 1.750 Euro.
So sah es der Bundesgerichtshof
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren erfolgreich weiter. Der BGH hat entschieden, dass der Beklagte sich gegenüber dem hier im Streit stehenden Schadenersatzanspruch des Klägers nicht auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen kann.
Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist in den Fällen einer (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbarten Beschaffenheit ein daneben vereinbarter allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel dahin auszulegen, dass er nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit, sondern nur für sonstige Mängel gelten soll. Eine von diesem Grundsatz abweichende Auslegung des Gewährleistungsausschlusses kommt nicht in Betracht.
Auf den Wortlaut der Internetanzeige kam es an
Der Umstand, dass der Beklagte nicht erst im schriftlichen Kaufvertrag, sondern bereits in seiner Internetanzeige – unmittelbar im Anschluss an die Angabe „Klimaanlage funktioniert einwandfrei“ – erklärt hat, dass der Verkauf „unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“ erfolge, erlaubt es nicht, den vereinbarten Gewährleistungsausschluss dahingehend zu verstehen, dass er sich auf die getroffene Beschaffenheitsvereinbarung über die (einwandfreie) Funktionsfähigkeit der Klimaanlage erstreckt. Denn gerade das – aus Sicht eines verständigen Käufers – gleichrangige Nebeneinanderstehen einer Beschaffenheitsvereinbarung einerseits und eines Ausschlusses der Sachmängelhaftung andererseits gebietet es nach der Rechtsprechung des BGH, den Gewährleistungsausschluss als beschränkt auf etwaige, hier nicht in Rede stehende Sachmängel aufzufassen, da die Beschaffenheitsvereinbarung für den Käufer andernfalls – außer im (hier nicht gegebenen) Fall der Arglist des Verkäufers – ohne Sinn und Wert wäre.
Vereinbarte Beschaffenheit kann nicht im Anschluss wieder ausgeschlossen werden
Insbesondere aber rechtfertigen in einem Fall, in dem – wie hier – die Funktionsfähigkeit eines bestimmten Fahrzeugbauteils den Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung bildet, weder das (hohe) Alter des Fahrzeugs beziehungsweise des betreffenden Bauteils, noch der Umstand, dass dieses Bauteil typischerweise dem Verschleiß unterliegt, die Annahme, dass ein zugleich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss auch für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit gelten soll. Diese Umstände (Alter des Fahrzeugs, Verschleißanfälligkeit eines Bauteils) können zwar für die übliche Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens von Bedeutung sein. Sie spielen jedoch weder für die Frage einer konkret vereinbarten Beschaffenheit noch für die hier maßgebliche Frage eine Rolle, welche Reichweite ein allgemeiner Gewährleistungsausschluss im Fall einer vereinbarten Beschaffenheit hat. Vielmehr findet der Grundsatz, dass ein vertraglich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss die Haftung des Verkäufers für einen auf dem Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit beruhenden Sachmangel unberührt lässt, auch dann uneingeschränkt Anwendung, wenn der Verkäufer die Funktionsfähigkeit eines Verschleißteils eines Gebrauchtwagens zugesagt hat.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.4.2024, VIII ZR 161/23, PM 82/2024
| Ein Hotel mit einem Fußweg von ca. 1,3 Kilometern befindet sich nicht „nur wenige Gehminuten“ von wunderschönen Stränden entfernt. So hat es das Amtsgericht (AG) München jetzt klargestellt. Es läge daher ein Reisemangel vor. |
Es ging um die Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz
Das AG verurteilte einen Reiseveranstalter zur Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit in Höhe von insgesamt 1.795 Euro. Die Klägerin hatte für sich und ihre neunjährige Tochter bei der Beklagten eine Rundreise durch Costa Rica gebucht. Die Rundreise sollte einen Aufenthalt von 4 Nächten in einem Boutique-Hotel an der Pazifikküste beinhalten.
Tatsächlich 25 Gehminuten zum Strand
Die Klägerin bemängelte, das Hotel sei mit den Worten „nur wenige Gehminuten von den besten Restaurants und wunderschönen Stränden [..] entfernt“ beschrieben worden. Dies habe nicht der Realität entsprochen. An der Rezeption sei ihr mitgeteilt worden, dass man ein Taxi nehmen müsse, um den Strand zu erreichen, da dieser 25 Gehminuten entfernt läge. Die Klägerin wandte sich daraufhin an die lokale Ansprechpartnerin der Reiseveranstalterin und buchte in Abstimmung mit dieser über eine Buchungsplattform auf eigene Kosten ein Ersatzhotel. Mit ihrer Klage machte die Klägerin Ersatz der verauslagten Kosten für die Buchung des Ersatzhotels in Höhe von 733 Euro sowie Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit wegen eines verlorenen Urlaubstages aufgrund des Hotelwechsels in Höhe von 1.062 Euro geltend.
Entfernung zugesichert?
Die Beklagte behauptete, es sei nie eine bestimmte Entfernung oder Gehzeit zum Strand zugesichert worden. Tatsächlich sei der Strand in ca. 15 Minuten zu erreichen.
Das AG gab der Klägerin in vollem Umfang Recht und führte in den Entscheidungsgründen aus, dass das Hotel aufgrund seiner Entfernung zum Strand mangelhaft sei. Zwischen den Parteien sei zwar umstritten, wie lange der Fußweg vom Hotel zum Strand dauerte. Es sei allerdings unstreitig, dass der nächstgelegene Strand des Hotels einen Fußweg von 1,3 km entfernt war. Im Rahmen der Auslegung dieses vertraglich vereinbarten Merkmals „wenige Gehminuten“ müsse auch berücksichtigt werden, dass es sich bei der gebuchten Reise um eine Reise im Hochpreissegment handelte, wurden doch für 12 Tage knapp 9.000 Euro ausgegeben – exklusive Flügen. Die Beklagte, die selbst damit wirbt, „unvergessbare Luxusreisen“ anzubieten, müsse sich insofern an ihren eigenen Ansprüchen messen lassen. Nach Überzeugung des Gerichts seien bei einer hochpreisigen Luxusreise „wenige Gehminuten“ eine Zeit, die bei normalem Gehtempo regelmäßig fünf Minuten nicht überschreite.
„Wenige Gehminuten“ = maximal 5 Minuten!
Die unstreitige Entfernung zum Strand von 1,3 km könne jedoch nur dann (noch) in fünf Minuten zurückgelegt werden, wenn eine Gehgeschwindigkeit von etwa 15,6 km/h eingehalten werden würde, was selbst für erfahrene Läufer ein ambitioniertes Tempo darstelle. Vor dem Hintergrund, dass der Beklagten bei der Reiseplanung bekannt war, dass die Klägerin mit einem neunjährigen Kind reiste – passte sie doch ihr Freizeitprogramm kindgerecht an – könne das Einhalten eines solchen Tempos nicht vorausgesetzt werden.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | AG München, Urteil vom 22.11.2023, 242 C 13523/23, PM 20/24
| Das Landgericht (LG) München I hat die Klage einer Kundin gegen einen Outlet-Betreiber auf Schmerzensgeld abgewiesen. Die Kundin hatte sich bei der Kleideranprobe durch ein Preisschild eine Augenverletzung zugezogen. |
Bei der Kleideranprobe am Preisschild verletzt
Im April 2023 probierte die klagende Kundin im Outlet-Store der Beklagten ein T-Shirt. Dabei verletzte sie sich durch ein an diesem T-Shirt angebrachtes Preisschild am rechten Auge.
Schmerzensgeld gefordert
Die Kundin hat gegen den Betreiber des Outlet-Stores deswegen Klage erhoben und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5.000 Euro gefordert. Der Betreiber des Outlet-Stores habe die ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt, da das Preisschild in seiner Ausgestaltung aufgrund fehlender Sicherung und Erkennbarkeit gefährlich gewesen sei. Das Preisschild habe ihr bei der Anprobe ins Auge geschlagen. Sie habe dadurch eine erhebliche Verletzung am rechten Auge erlitten. Es sei erforderlich gewesen, an dem verletzten Auge eine Hornhauttransplantation durchzuführen. Bis heute leide sie unter Schmerzen und sei weiterhin in ihrer Sicht eingeschränkt sowie besonders blendempfindlich.
Preisschilder vorgeschrieben
Der Betreiber des Outlet-Stores hat eingewandt, bei dem verwendeten Preisschild handle es sich um ein übliches Standardpreisschild in der Größe von ca. 9 cm x 5 cm mit abgerundeten Ecken und einer flexiblen Rebschnur. Die Preisschilder seien durch ihre Größe und das Gewicht des Bündels deutlich fühlbar gewesen. Vergleichbare Fälle von aufgetretenen Verletzungen seien ihm nicht bekannt. Zudem sei es gesetzlich vorgeschrieben, entsprechende Preisschilder an den Waren anzubringen.
Amtsgericht weist Klage ab
Das AG hat die Klage abgewiesen. Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt stehe der Kundin ein Anspruch auf Schmerzensgeld gegenüber dem Betreiber des Outlet-Stores zu. Wenn sich im Zuge einer Kleideranprobe in einem Outlet eine Kundin durch ein übliches Preisschild am Auge verletzt, hafte der Betreiber dafür nicht, so das AG.
Zur Begründung hat das AG ausgeführt, sichernde Maßnahmen seien nur in dem Maße geboten, in dem sie ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei müsse der Geschäftsbetreiber nicht für alle denkbar entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es komme vielmehr auch entscheidend darauf an, welche Möglichkeiten der Geschädigte hat, sich vor erkennbaren Gefahrquellen selbst zu schützen.
Im hier entschiedenen Einzelfall habe der Betreiber des Outlet-Stores den an ihn gerichteten Verkehrssicherungspflichten Genüge getan. Für die Kundin sei das Vorhandensein eines Preisschildes erwartbar und das Treffen eigener Sicherheitsvorkehrungen zumutbar gewesen.
Nach allgemeiner Lebenserfahrung werfe ein Kunde bereits vor der Anprobe einen Blick auf das Preisschild und könne daher ohne Weiteres selbst dafür sorgen, dass er sich bei der Anprobe nicht verletze. Die Forderung der Kundin, gesondert auf das Vorhandensein von Preisschildern an der Kleidung hinzuweisen, hielt das Gericht für lebensfremd und nicht zumutbar.
Quelle | LG München I, Urteil vom 28.5.2024, 29 O 13848/23, PM 5/24
| Das Landgericht (LG) Paderborn hat in einem Mietrechtsstreit über Feuchtigkeitserscheinungen in einer Altbauwohnung Klartext gesprochen. Es gab dem Mieter überwiegend recht. |
Baujahr ändert nichts an Mangel
Das LG: Erheblich durchfeuchtete Wände mit sichtbaren Salzausblühungen und feuchtigkeitsbedingt zerbröselndem Putz stellen auch in einer Altbauwohnung aus den 1920er Jahren einen Mietmangel dar. Dabei hat das LG berücksichtigt, dass die Wände teils erst ab einer Höhe von ca. einem Meter über dem Fußboden „normal“ trockene Messwerte zeigen und die Feuchtigkeit ausschließlich bauliche Ursachen hat.
Anspruch auf Beseitigung und Minderung
Der klagenden Mieterin sprach das LG deshalb einen Anspruch gegen ihren Vermieter auf Beseitigung der Feuchtigkeit in den Wohnungswänden zu. Es nahm aufgrund der feuchten Wände und den damit einhergehenden Nachteilen u. a. für Wohnklima und Optik – anders als das erstinstanzliche Gericht – zudem eine erhebliche Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs an und bejahte ein Mietminderungsrecht der Klägerin.
Keinen Mangel sah das LG hingegen im konkreten Fall in den ebenfalls durchfeuchteten Kellerwänden des Mietobjekts. Daher wies es die Berufung der Klägerin insofern zurück.
Quelle | LG Paderborn, Urteil vom 6.3.2024, 1 S 72/222, PM vom 6.3.2024
| Der Vermieter darf, um vom Mieter verursachte Blutlachen im Treppenhaus und Eingangsbereich zu beseitigen, eine – teure – Spezialfirma für die Reinigung eines Tatorts nach Suizid oder Unfall mit den Reinigungsarbeiten beauftragen. Er muss auch nicht zuvor den Mieter beauftragen, um die Kosten gering zu halten, wenn der Mieter nicht über die ausreichende Qualifikation verfügt, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. So hat es das Amtsgericht (AG) Frankfurt/Main entschieden. |
Mieter hatte Blutspuren versuracht
Der Wohnungsmieter stand unter Betreuung. Eines Tages trat er nach einer Verletzung stark blutend aus seiner Wohnung in das Treppenhaus und anschließend durch die Haustür nach draußen. Dabei hinterließ er massive Blutspuren. Daraufhin beauftragte die Vermieterin eine Spezialfirma mit der Reinigung und Desinfektion des Treppenhauses und des Eingangsbereichs. Die Vermieterin stellte dem Mieter über seinen Betreuer die Kosten in Höhe von rd. 1.930 Euro in Rechnung. Der Mieter zahlte nicht, daher klagte die Vermieterin.
Kostenerstattungsanspruch des Vermieters
Mit Erfolg: Die Vermieterin habe gegen den Mieter einen Kostenerstattungsanspruch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 280 Abs. 1 BGB) in Verbindung mit dem Mietvertrag, so das AG. Der Mieter habe dadurch, dass er nach einer Verletzung stark blutend durch das Treppenhaus und durch die Hauseingangstür ging und dabei größere Mengen Blut ungehindert auf den Boden laufen ließ, schuldhaft gegen den Mietvertrag verstoßen. Die Vermieterin war verpflichtet, unverzüglich die Blutspuren beseitigen zu lassen, zum einen, um die Gefahr von Stürzen infolge des Ausrutschens auf den Blutlachen zu vermeiden und zum anderen, um einer Infektionsgefahr bei Kontakt mit dem Blut entgegenzutreten.
Sie habe den Mieter nicht selbst beauftragen können, um die Kosten gering zu halten, da dieser nicht über die ausreichende Qualifikation verfügte, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. Zudem hätte die Entfernung nicht unverzüglich erfolgen können, da der Mieter offenkundig verletzt war. Die Vermieterin habe auch nicht gegen eine ihr obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen, indem sie ein Fachunternehmen für Tatortreinigung beauftragte. Sie war gehalten, sicherzustellen, dass keine Gefahr für Mitbewohner und Besucher bestehen bleibt, was nur durch ein spezialisiertes Reinigungsunternehmen gewährleistet war.
Vergleichsangebote nicht nötig
Es stellt auch keinen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar, dass die Vermieterin keine (drei) Vergleichsangebote eingeholt hat. Denn sie musste unverzüglich tätig werden, um die Gefahrenquelle zu beseitigen.
Qualität der Fachfirma nicht „kriegsentscheidend“
Auch kommt es nicht darauf an, ob die von der Vermieterin beauftragte Fachfirma möglicherweise unsachgemäß oder unwirtschaftlich gearbeitet hat und dadurch höhere Kosten entstanden sind. Denn ein Schädiger muss solche Kosten auch dann ersetzen, wenn den Geschädigten kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft.
Quelle | AG Frankfurt/Main, Urteil vom 10.8.2023, 33 C 1898/23
| Zur Errichtung eines wirksamen gemeinschaftlichen Testaments müssen beide Ehegatten testierfähig sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Das war geschehen
Die beiden Ehegatten hatten sich durch gemeinschaftliches Testament gegenseitig als Alleinerben eingesetzt. Dieses Testament wurde von der Ehefrau eigenhändig geschrieben und unterschrieben sowie vom Erblasser eigenhändig unterschrieben. Mit einer Ergänzung dieses Testaments, errichtet in gleicher Weise, ordneten die Ehegatten später eine Vor- und Nacherbschaft dergestalt an, dass der überlebende Ehegatte befreiter Vorerbe und ihre gemeinsame Tochter Nacherbin sein sollte. Bereits zwei Jahre vor dieser Ergänzung des Testaments wurde die Ehefrau wegen einer Demenzerkrankung in einem Pflegeheim untergebracht. Ein Jahr vor der Ergänzung des gemeinschaftlichen Testaments tötete der Erblasser seine Schwester und wurde in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht, in der er sich das Leben nehmen wollte.
Nach dessen Tod beantragte die überlebende Ehefrau, vertreten durch ihre Tochter, einen Erbschein des Inhalts, dass sie alleinige befreite Vorerbin des Erblassers geworden sei und die Nacherbfolge der Tochter nach ihrem Tod als Vorerbin eintrete. Sie hat sich zur Begründung ihres Antrags auf die beiden letzten gemeinschaftlichen Testamente gestützt. Der gemeinsame Sohn der Ehegatten ist dem Antrag entgegengetreten. Er begründete dies damit, sowohl der Erblasser als auch die Antragstellerin seien zum Zeitpunkt der Errichtung beider Testamente testierunfähig gewesen.
Nachlassgericht deutete Testamente um
Das Nachlassgericht ist nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Überzeugung gelangt, dass die Antragstellerin testierunfähig gewesen ist. Bezogen auf den Erblasser hat sich hingegen nicht die Überzeugung von einer Testierunfähigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung der vorgenannten Testamente gebildet. Die Testamente könnten jeweils in ein Einzeltestament des Erblassers umgedeutet werden, weshalb es die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet hat. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Sohn der Ehegatten mit der Beschwerde und begehrte die Zurückweisung des Erbscheinsantrages.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat den Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückgewiesen und ausgeführt, dass die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen nicht für festgestellt zu erachten seien.
Ein wirksames gemeinschaftliches Ehegattentestament setze voraus, dass beide Ehegatten bei der Testamentserrichtung testierfähig sind. Ein Testament könne nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Da ein gemeinschaftliches Testament vom Willen beider Eheleute getragen sei, erfordere eine wirksame Verfügung von Todes wegen die Testierfähigkeit eines jeden Ehegatten. Daran fehle es bei einem Ehegatten, weshalb der Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückzuweisen sei.
Eine Umdeutung des unwirksamen gemeinschaftlichen Testaments in ein Einzeltestament des Erblassers komme hier nicht in Betracht, weil der Erblasser die getroffenen Anordnungen nicht eigenhändig geschrieben, sondern den von der Antragstellerin geschriebenen Text nur unterschrieben habe. Die Umdeutung als Einzeltestament komme hier nur für den Teil in Betracht, der die Verfügung eigenhändig – hier also die Antragstellerin – niedergelegt habe.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 14.3.2024, 6 W 106/23
| Vertragsfristen können nicht nur bei Abschluss des Bauvertrags, sondern auch während der Bauausführung vereinbart werden. So kann einem gestörten Bauablauf dadurch Rechnung getragen werden, dass überholte oder nicht mehr einhaltbare Fristen durch eine Terminplanfortschreibung einvernehmlich angepasst werden, wobei diese Fortschreibung wiederum Vertragsfristen und unverbindliche Kontrollfristen beinhalten kann. Das hat das Kammergericht (KG) Berlin klargestellt. |
Beachten Sie | Die Entscheidung des KG gilt auch für Planungsterminpläne. Sie ist durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH rechtskräftig geworden.
Quelle | KG Berlin, Urteil vom 24.01.2023, 27 U 154/21, rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 25.10.2023, VII ZR 20/23
| Stichprobenartige Prüfungen von Wärmedämmarbeiten reichen nicht aus, um eine mangelfreie Objektüberwachung zu gewährleisten. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg. |
Im konkreten Fall hatte der Architekt nicht bemerkt, dass nur 8 cm PUR-Dämmung statt der vertraglich geschuldeten 9 cm eingebaut wurden. Das hätte aber sogar eine Stichprobe ergeben müssen, so das OLG. Es machte den Architekten daher für den Austausch der Dämmung haftbar.
Es sprach Klartext: Umfang und Intensität der geschuldeten Überwachung hängen von den Anforderungen der Baumaßnahme sowie den konkreten Umständen ab. Einfache Arbeiten bedürfen keiner Überwachung. Demgegenüber unterliegt die Überwachung von Wärmedämmarbeiten höheren Anforderungen.
Die Entscheidung ist jetzt rechtskräftig.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 8.11.2022, 2 U 10/22
| Die Regelverjährungsfrist beim Werkvertrag für Planung und Bauüberwachung beträgt fünf Jahre. Doch Achtung: Diese Frist kann durch eine sog. Hemmung verlängert werden. Die Folge: Planer und Architekten können länger in der Gewährleistung bleiben und unter Umständen in Anspruch genommen werden. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Ernsthafter Meinungsaustausch erforderlich
Voraussetzung: Die Verjährung hemmende Verhandlungen erfordern einen ernsthaften Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen.
Nicht ausreichend: bloße Erklärungen
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen nicht die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein. Ein solcher Meinungsaustausch hemmt die Verjährung nicht.
Quelle | OLG Köln, Beschluss vom 2.3.2023, 19 U 55/22, rechtskräftig durch BGH, Beschluss vom 8.11.2023, VII ZR 54/23
| Die unterlassene Aufnahme einer Arbeit ist kein sozialwidriges Verhalten, wenn das Jobcenter den Betroffenen „allein lässt“ und nicht die nötige Hilfe leistet. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen entschieden. |
Langzeitarbeitsloser bewarb sich jahrelang erfolglos
Zugrunde lag das Verfahren eines Langzeitarbeitslosen, der bis 2003 als Buchhalter gearbeitet hatte. Hiernach folgten Zeiten der Arbeitslosigkeit und verschiedene Hilfsarbeiten. Der Mann bewarb sich viele Jahre erfolglos als Buchhalter, bis das Jobcenter schließlich ab 2017 keine weiteren Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen übernahm. Es müsse ein Strategiewechsel stattfinden, insbesondere weil Bewerbungen als Buchhalter nach so langer Zeit nicht mehr erfolgversprechend seien. Überraschend erhielt der Mann dennoch 2019 einen Arbeitsvertrag als Buchhalter bei einer Behörde in Düsseldorf. Zur Arbeitsaufnahme kam es jedoch nicht, weil das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution für eine neue Wohnung ablehnte und er deshalb nicht umziehen konnte.
Kein Verschulden des Arbeitslosen
2020 machte das Jobcenter gegenüber dem Mann eine Erstattungsforderung wegen sozialwidrigen Verhaltens geltend, da er nicht zum Einstellungstermin erschienen sei. Er müsse daher Grundsicherungsleistungen von rd. 6.800 Euro erstatten. Hiergegen klagte der Mann. Den Mietvertrag in Düsseldorf habe er nicht unterschrieben, weil er kein Geld für die Kaution gehabt habe und noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen gewesen sei. Das LSG hat die Rechtsauffassung des Klägers bestätigt. Der Nichtantritt einer außerhalb des Tagespendelbereichs gelegenen Arbeitsstelle stelle kein sozialwidriges Verhalten im Sinne eines objektiven Unwerturteils dar, wenn der Arbeitsuchende am künftigen Beschäftigungsort keine Wohnung anmieten könne, weil ihm selbst die Mittel für eine Mietkaution fehlten und das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution abgelehnt habe.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.1.2023, L 11 AS 336/21
| Eine öffentliche Verwaltung kann das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, verbieten, um ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen. Eine solche Regel ist nicht diskriminierend, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf das gesamte Personal dieser Verwaltung angewandt wird und sich auf das absolut Notwendige beschränkt. So sieht es der Europäische Gerichtshof (EuGH). |
Verbot eines islamischen Kopftuchs
Eine belgische Gemeinde hatte einer Bediensteten, die als Büroleiterin ganz überwiegend ohne Publikumskontakt tätig ist, untersagt, am Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen. Anschließend änderte die Gemeinde ihre Arbeitsordnung und schrieb in der Folge ihren Arbeitnehmern strikte Neutralität vor: Das Tragen von auffälligen Zeichen ideologischer oder religiöser Zugehörigkeit verbot sie allen Arbeitnehmern, auch denen ohne Publikumskontakt. Die Büroleiterin fühlte sich diskriminiert und in ihrer Religionsfreiheit verletzt.
Lag Diskriminierung vor?
Dem mit dem Rechtsstreit befassten Arbeitsgericht (ArbG) Lüttich stellt sich die Frage, ob die von der Gemeinde aufgestellte Regel der strikten Neutralität eine gegen das Unionsrecht verstoßende Diskriminierung begründet. Der EuGH antwortete, dass die Politik der strikten Neutralität, die eine öffentliche Verwaltung ihren Arbeitnehmern gegenüber durchsetzen will, um bei sich ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen, als durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt angesehen werden kann.
Wertungsspielraum der Mitgliedsstaaten, wie „Neutralität“ ausgestaltet wird
Ebenso gerechtfertigt ist die Entscheidung einer anderen öffentlichen Verwaltung für eine Politik, die allgemein und undifferenziert das Tragen von sichtbaren Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen, auch bei Publikumskontakt, gestattet, oder ein Verbot des Tragens solcher Zeichen beschränkt auf Situationen, in denen es zu Publikumskontakt kommt. Die Mitgliedsstaaten und die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten verfügen über einen Wertungsspielraum bei der Ausgestaltung der Neutralität des öffentlichen Dienstes, die sie in dem für sie spezifischen Kontext am Arbeitsplatz fördern wollen. Dieses Ziel muss aber in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, und die zu seiner Erreichung getroffenen Maßnahmen müssen sich auf das absolut Notwendige beschränken. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob diese Anforderungen erfüllt sind.
Quelle | EuGH, Urteil vom 28.11.2023, C-148/22
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Aachen hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer Anspruch auf die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung gegenüber seiner Arbeitgeberin hat. Er darf diesen auch im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzen. |
Das war geschehen
Der schwerbehinderte Arbeitnehmer ist seit September 1988 bei der Arbeitgeberin – einem Unternehmen, das Bauelemente herstellt und vertreibt, – als Verkaufs- und Vertriebsleiter tätig. Er ist wegen eines Hirntumors seit April 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und war bis zum 10.4.2024 fahruntüchtig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird nach Erreichen der Regelaltersgrenze des Arbeitnehmers mit dem Ablauf des Monats Oktober 2024 enden. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrte der Arbeitnehmer, ihn ab Mitte März 2024 entsprechend einem ärztlichen Wiedereingliederungsplan nach dem sog. „Hamburger Modell“ zu beschäftigen, um zeitnah an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu können.
Fehlende Fahrtüchtigkeit steht Wiedereingliederung nicht im Weg
Das ArbG gab dem Antrag des schwerbehinderten Arbeitnehmers statt, da die Arbeitgeberin verpflichtet sei, an der stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken. Dem stehe die fehlende Fahrtüchtigkeit des Arbeitnehmers nicht entgegen. Der Arbeitnehmer könne während der Fahruntüchtigkeit zu Beginn der Wiedereingliederung zunächst seinem Aufgabenprofil entsprechende Büroarbeiten erledigen.
Sache ist eilbedürftig
Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung besondere Eilbedürftigkeit ergab sich nach Auffassung des Arbeitsgerichts daraus, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer auf die zeitnahe Wiedereingliederung angewiesen sei. Demgegenüber würde eine Versagung der Wiedereingliederung den Teilhabeanspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers am Erwerbsleben vereiteln oder jedenfalls erheblich erschweren. Auch der nahe Renteneintritt des Arbeitnehmers ändert nach Ansicht des ArbG nichts am Eilbedürfnis.
Quelle | ArbG Aachen, Urteil vom 12.3.2024, 2 Ga 6/24, PM 1/24
| Für Bühnenkünstler gewährt die Rechtsprechung pauschalierten Schadenersatz von bis zu sechs Monatsgagen pro Spielzeit, wenn der Arbeitgeber den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers verletzt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied nun: Dieser Anspruch kann nicht auf den Profimannschaftssport übertragen werden. |
Saisonabbruch in der Corona-Pandemie: Kläger durfte nicht spielen
Der Kläger ist Eishockeyspieler. Er stritt mit seinem Arbeitgeber über einen Schadenersatzanspruch. Sein Arbeitgeber, der Beklagte, hatte ihn in der Saison 2019/2020 nicht beschäftigt, da diese aufgrund der Corona-Pandemie abgebrochen wurde. Bis dahin fungierte er als Kapitän und Leistungsträger der Mannschaft.
Außerordentliche fristlose Kündigung
Die Beklagte sprach eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung aus und bot gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis mit einer verringerten Vergütung fortzusetzen. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen an und erhob eine Änderungsschutzklage. Daraufhin stellte die Beklagte den Kläger vom Mannschaftstraining frei. Durch einstweilige Verfügung erstritt der Kläger die Zulassung zum Trainingsbetrieb. Anschließend erfolgte eine außerordentliche fristlose Kündigung.
Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen und der fristlosen Kündigung fest. Die tatsächliche Teilnahme am Training wurde dem Kläger jedoch durchgängig verweigert. Er ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Schadenersatz aufgrund der Weigerung der Beklagten, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Ihm sei ein Schaden in seinem beruflichen Fortkommen entstanden, da er als Eishockeyprofi seine beruflichen Fertigkeiten nicht im Mannschaftstraining habe weiterentwickeln und verbessern können. Dadurch habe sein Marktwert gelitten, denn ein Profimannschaftssportler bedürfe der ständigen Trainingspraxis. Die Beklagte habe sich ihm gegenüber durchgängig unlauter verhalten. Die Vorinstanzen gaben der Klage in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern statt und wiesen die weitergehende Klageforderung ab.
Kläger blieb vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos
Vor dem BAG blieb der Kläger erfolglos. Er hat keinen Anspruch auf weiteren Schadenersatz wegen der Verletzung seines Beschäftigungsanspruchs. Zwar besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung und damit korrespondierend eine Pflicht des Arbeitgebers, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Die Beklagte hatte den Beschäftigungsanspruch auch schuldhaft verletzt, indem sie ihn vom Mannschaftstraining suspendiert hatte. Dies und die anschließende außerordentliche fristlose Kündigung seien zudem eine Maßregelung gewesen, da der Kläger lediglich in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hatte.
Der Kläger hat aber nicht ausreichend dargelegt, dass ihm infolge der Verletzung der Beschäftigungspflicht ein solcher Schaden entstanden sei. Zudem dürfen, so das BAG, Schadenersatzansprüche von Profimannschaftssportlern nicht in Anlehnung an die Rechtsprechung für andere Berufsgruppen, z. B. Bühnenkünstler, pauschalierend festgesetzt werden. Für die Schätzung des Schadens eines Profimannschaftssportlers bedürfe es greifbarer Tatsachen. Hieran fehlte es vorliegend. Mangels konkreter Anhaltspunkte könnte nur eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens erfolgen, die vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre.
Quelle | BAG, Urteil vom 29.2.2024, 8 AZR 359/22
| Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, sind diese Vorteile steuerfrei, soweit sie den Rabattfreibetrag von 1.080 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)). Das Landesozialgericht (LSG) Bayern musste nun in einem Konzernfall über die Beitragspflicht von Warengutscheinen entscheiden. Dabei hat es herausgestellt, dass hinsichtlich des Arbeitgeberbegriffs keine unterschiedliche Beurteilung nach Steuer- und nach Beitragsrecht veranlasst ist. |
Arbeitgeber kann nur derjenige sein, der die Arbeitsverträge mit den Beschäftigten abgeschlossen hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, den der Bundesfinanzhof (BFH) für das Steuerrecht aufgestellt hat.
Begriff des „Arbeitgebers“: keine Konzernklausel
Der BFH hat es abgelehnt, den Begriff des Arbeitgebers über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen. Im Vorfeld der gesetzlichen Neuregelung wurde eine Konzernklausel ausdrücklich diskutiert.
Da sie aber nicht aufgenommen worden ist, kann daraus geschlossen werden, dass sich die bereits in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Meinung durchgesetzt hat, nach der § 8 Abs. 3 EStG nicht für Waren und Dienstleistungen gelten soll, die nicht im Unternehmen des Arbeitgebers hergestellt, vertrieben oder erbracht werden. Es sollen weder Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften noch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel steuerlich begünstigt werden.
Warengutscheine = Sachbezüge
Nach Ansicht des LSG hat das Unternehmen im Streitfall auch keinen so gewichtigen Beitrag geleistet, als dass es unter Anwendung des „erweiterten Hersteller- bzw. Vertreiberbegriffs“ als Hersteller bzw. Vertreiber der Waren i. S. des § 8 Abs. 3 EStG angesehen werden kann. Deshalb handelt es sich bei den Warengutscheinen um Sachbezüge, für die Beiträge erhoben werden müssen.
Quelle | LSG Bayern, Urteil vom 6.6.2023, L 7 BA 80/22, Abruf-Nr. 240136; unter www.iww.de; BFH, Urteil vom 26.4.2018, VI R39/16
| Mit einem kuriosen Nachbarstreit zwischen einem Restaurantbetreiber und dem Anbieter von Parkraum hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Dem Restaurantbesitzer drohen nun 250.000 Euro Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft. |
Das war geschehen
Der Parkplatzbetreiber hatte die Parkgebühren angehoben und den bislang gewährten Rabatt für die Besucher des Restaurants abgeschafft. Daraufhin positionierte der Restaurantbesitzer gezielt eigene Mitarbeiter an der Parkschranke, um die Autofahrer von der Einfahrt in den Parkplatz abzuhalten und auf andere, kostenfreie Plätze in der Nähe zu verweisen. Dieses Verhalten stellt eine unzulässige Verletzungshandlung dar, die darauf angelegt ist, den Betrieb des Parkraumbewirtschafters zu schädigen, entschied das LG. Es untersagte in einem Eilverfahren entsprechende Aktionen.
Boykottaufruf unverhältnismäßig
Das Argument, über den Rabatt für Restaurantkunden gebe es eine Vereinbarung und die hohen Parkkosten hätten bereits Kunden abgeschreckt und vom Besuch abgehalten, überzeugte das LG nicht. Das Vorgehen des Restaurantbetreibers sei unverhältnismäßig.
Im Bereich der Einfahrt gezielt Parkplatzsuchende anzusprechen, um diese zum anderweitigen Parken zu bewegen, sei eine gegen das Geschäftsmodell des Parkraumanbieters gerichtete verbotene Eigenmacht. Es seien nicht nur Restaurantbesucher, sondern sämtliche Parkplatzsuchende angesprochen und zum Boykott des Parkplatzes aufgerufen worden. Der Restaurantbesitzer müsse seine Kunden auf andere Weise darüber informieren, dass die Parkgebühren nicht mehr übernommen werden und den Streit um den Parkrabatt, wenn nötig, gerichtlich austragen.
„Saftiges“ Ordnungsgeld droht
Für den Fall, dass der Restaurantbetreiber dem Urteil zuwiderhandelt, hat das LG ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro sowie Ordnungshaft angedroht.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 18.1.2024, 5 O46/23, PM vom 30.4.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. |
Der Hintergrund
Amazon ist weltweit u. a. im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27.12.2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd. USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd. USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd. USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio. Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit.
Das war geschehen
Das Bundeskartellamt hatte festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als sog. Torwächter benannt.
Das sagt der Bundesgerichtshof
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt hat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (hier: § 19 a Abs. 1 GWB) zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.
Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Stores) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen.
Das heißt „marktübergreifende Bedeutung“
Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotenzial durch die Vorschrift adressiert wird. § 19 a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen.
Bundeskartellamt: zutreffende Feststellungen
Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von Amazon Web Services, Inc. (AWS). Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.
Die jetzige Geltung der Regelungen des Digital Markets Acts (DMA) und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.
Quelle | BGH, Beschluss vom 23.4.2024, KVB 56/22, PM 97/24
| Durch die Unwetter mit Hochwasser in der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 2024 sind in weiten Teilen Baden-Württembergs beträchtliche Schäden entstanden. Die Beseitigung dieser Schäden wird bei vielen Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Daher möchte das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen entgegenkommen. |
Möglich sind u. a.:
- Anpassung steuerlicher Vorauszahlungen,
- Stundung fälliger Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuerbeträge und
- Aufschub von Vollstreckungen.
Beachten Sie | Auch in anderen Bundesländern sind im Mai und Juni 2024 durch die Unwetter mit Hochwasser Schäden entstanden. Daher wurden auch für Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland Katastrophenerlasse mit steuerlichen Erleichterungen veröffentlicht. Dabei ist zu beachten, dass einige Erlasse bereits aktualisiert wurden.
Quelle | FinMin Baden-Württemberg, Erlass vom 20.6.2024; Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft Saarland, Erlass vom 21.5.2024; Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Erlass vom 25.6.2024; Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, Erlass vom 24.6.2024
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen. Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest.
Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R; BSG, PM Nr. 7/24 vom 22.2.2024
| Der Bundesrat hat dem Postrechtsmodernisierungsgesetz (PostModG) Anfang Juli 2024 zugestimmt. Dadurch werden insbesondere die Laufzeitvorgaben für die Zustellung von Briefen verlängert. Folgerichtig erfolgte auch eine Anpassung der Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (z. B. Steuerbescheiden). |
Einspruchsfrist von einem Monat
Zum Hintergrund: Das Problem, „Recht zu haben, aber es nicht zu bekommen“, ergibt sich immer dann, wenn ein Steuerbescheid zu einer zu hohen Steuerfestsetzung führt, es jedoch versäumt wurde, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat Einspruch einzulegen. Für den fristgerechten Eingang beim Finanzamt kommt es darauf an, wann der Bescheid bekannt gegeben wurde und wann die Einspruchsfrist endet.
Gesetzliche Neuregelung: Vier- statt Dreitagesfiktion
Um die Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach der Abgabenordnung an die verlängerten Laufzeitvorgaben anzupassen, wird aus der bisherigen Dreitages- eine Viertagesfiktion. Damit gelten Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte künftig als am vierten Tag nach deren Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, statt wie bisher nach drei Tagen.
Was unverändert bleibt: Fällt der vierte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, erfolgt die Bekanntgabe am nächstfolgenden Werktag. Die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Samstagen wurde nicht umgesetzt.
Die Neuregelung gilt für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.2024 übermittelt werden.
Neuregelung ab dem Jahr 2025
Beispiel: Das Finanzamt versendet an den Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid. Er gibt den Brief am Dienstag, den 14.1.2025, zur Post. Bekanntgabezeitpunkt ist der 20.1.2025 (Montag), da der 18.1.2025 („vier Tage“) ein Samstag ist.
Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Einspruchsfrist endet somit am 20.2.2025 um 24:00 Uhr.
Beachten Sie | Auch ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt gilt am dritten (ab 2025: vierten) Tag nach der Absendung als bekannt gegeben.
Steuerbescheid später zugegangen oder nicht erhalten
Die Bekanntgabefiktion gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich später oder gar nicht zugegangen ist.
Hier ist wie folgt zu unterscheiden:
- Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang, ist das Finanzamt regelmäßig nicht in der Lage, den Zugang nachzuweisen. Daher ist eine erneute (ordnungsgemäße) Bekanntgabe erforderlich.
- Behauptet der Steuerpflichtige einen späteren Zugang, muss er dies substanziiert darlegen bzw. nachweisen. Dabei stellt eine Abwesenheit wegen Urlaubs regelmäßig keine spätere Bekanntgabe dar.
Quelle | PostModG, BR-Drs. 298/24 (B) vom 5.7.2024; DStV, Mitteilung vom 13.6.2024
| Bei der Erbschaftsteuer zählt ein Parkhaus zum nichtbegünstigten Verwaltungsvermögen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) aktuell entschieden. |
Das war geschehen
Der Steuerpflichtige war testamentarisch eingesetzter Alleinerbe seines im Jahr 2018 verstorbenen Vaters (= Erblasser). Zum Erbe gehörte ein mit einem Parkhaus bebautes Grundstück. Der Erblasser hatte das Parkhaus als Einzelunternehmen ursprünglich selbst betrieben und ab dem Jahr 2000 dann unbefristet an seinen Sohn verpachtet.
Finanzamt: Parkhaus ist Verwaltungsvermögen
Das Finanzamt stellte den Wert des Betriebsvermögens fest und behandelte das Parkhaus dabei als sogenanntes Verwaltungsvermögen, das bei der Erbschaftsteuer nicht begünstigt ist. Das Finanzgericht (FG) und der BFH schlossen sich dieser Auffassung an.
Grundsätzlich wird Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer privilegiert. Das gilt allerdings nicht für bestimmte Gegenstände des Verwaltungsvermögens. Darunter fallen dem Grunde nach auch Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke. Diese können im Rahmen der Erbschaftsteuer zwar auch begünstigt sein, etwa wenn (wie im Streitfall) der Erblasser seinen ursprünglich selbst betriebenen Gewerbebetrieb unbefristet verpachtet und den Pächter testamentarisch als Erben einsetzt.
Keine erbschaftsteuerliche Privilegierung
Eine Ausnahme besteht dabei jedoch für solche Betriebe, die schon vor der Verpachtung nicht die Voraussetzungen der erbschaftsteuerrechtlichen Privilegierung erfüllt haben. Dies ist bei einem Parkhaus der Fall. Denn die dort verfügbaren Parkplätze als Teile des Parkhausgrundstücks wurden schon durch den Erblasser als damaligem Betreiber an die Autofahrer – und somit an Dritte – zur Nutzung überlassen.
Beachten Sie | Zudem handelt es sich dabei auch nicht um die Überlassung von Wohnungen, die der Gesetzgeber wiederum aus Gründen des Gemeinwohls für die Erbschaftsteuer privilegiert hat.
Keine Rolle spielt auch, ob zu der Überlassung der Parkplätze weitere gewerbliche Leistungen (z. B. eine Ein- und Ausfahrtkontrolle und eine Entgeltzahlungsdienstleistung) hinzukommen. Darauf stellt das Erbschaftsteuergesetz nämlich nicht ab.
Der BFH sah auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Grundstücksüberlassungen, wie z. B. im Rahmen des Absatzes eigener Erzeugnisse durch einen Brauereibetrieb oder im Zusammenhang mit einer land- und forstwirtschaftlichen Betriebstätigkeit. Dass der Gesetzgeber solche Betriebe (wie auch die erwähnten Wohnungsunternehmen) als förderungswürdig ansah, ist von seinem weiten Entscheidungsspielraum gedeckt.
Quelle | BFH, Urteil vom 28.2.2024, II R 27/21
| Oft werden private Ausfahrten zugeparkt oder der private Parkplatz von anderen unberechtigt genutzt. Das störende Fahrzeug muss dann abgeschleppt werden und der Berechtigte muss zusehen, wie er etwaig verauslagte Kosten, z. B. Verwahrkosten, erstattet erhält. Hierzu hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) Wissenswertes entschieden. |
Parken trotz Parkverbots
Der auf den Kläger zugelassene Pkw wurde von dessen Schwester im Innenhof eines privaten Gebäudekomplexes abgestellt, der von einer Immobilienverwalterin verwaltet wird. An der Hofeinfahrt war ein Parkverbotsschild mit dem Zusatz „gilt im gesamten Innenhof“ angebracht. Die Verwalterin beauftragte die Beklagte, das Fahrzeug abzuschleppen, es anschließend zu verwahren und vor Wertminderung sowie unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern. Die Beklagte verbrachte das Fahrzeug noch am selben Tag auf ihr Firmengelände. Kurz darauf forderte der Kläger von der Beklagten schriftlich unter Fristsetzung, das Fahrzeug herauszugeben. Auf das Schreiben erfolgte keine Reaktion.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten zunächst die Herausgabe seines Fahrzeugs verlangt. Nach erfolgter Herausgabe während des Prozesses haben die Parteien die Herausgabeklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Gegenstand des Verfahrens war dann nur noch die Frage, wer die Standkosten tragen musste.
Herausgabeverlangen: Auf den Zeitpunkt kommt es an
Die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser entschied: Zu erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters.
Es kommt auch ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät.
Quelle | BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22
| Muss der Verkäufer einer Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze unaufgefordert über den Härtegrad der Matratze aufklären und beraten? Das Amtsgericht (AG) Hannover hat diese Frage verneint. Es hat entschieden, dass ein Verkäufer im Grundsatz nur dann über den Härtegrad einer Matratze aufklären und beraten muss, wenn der Käufer danach fragt. |
Matratze war Käuferin zu hart: Verkäuferin bot Rabatt an
Die Klägerin kaufte im November 2022 bei der Beklagten eine Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze für ihre Tochter, die zuvor für wenige Minuten zur Probe gelegen hatte. Im Kaufvertrag war für die Matratze der Härtegrad H5 angegeben. Nachdem die Möbel im Januar 2023 geliefert worden waren, empfanden die Klägerin und ihre Tochter die Matratze als zu hart. Dies reklamierte die Klägerin bei der Beklagten. Diese bot der Klägerin u. a. einen Rabatt auf zwei neue Matratzen an, verweigerte aber eine Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klägerin erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Rückabwicklung des Kaufvertrags?
Mit der Klage hatte die Käuferin eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Bettes nebst Matratze verlangt. Sie meinte, es sei für den Verkäufer klar erkennbar gewesen, dass das Schlafzimmer für ihre Tochter gewesen sei. Für das Gewicht ihrer Tochter sei aber ein Härtegrad von H2 angemessen.
Die Verkäuferin hatte vorgetragen, dass die Klägerin keine Beratung gewünscht habe. Sie habe es vielmehr sehr eilig gehabt, da sie einen Transporter angemietet habe. Sie habe sich lediglich nach einem Rabatt erkundigt, sonst aber keine Fragen gestellt.
So sah es das Amtsgericht
Das AG hat die Klage abgewiesen. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die erworbene Matratze nicht mangelhaft war. Denn die Klägerin habe genau das bekommen, was vertraglich vereinbart war, nämlich eine Matratze des Härtegrades H5. Zwar habe die Klägerin erwartet, dass der Verkäufer sie unaufgefordert berate. Der Verkäufer habe aber keinen Anlass gehabt, eingehend über den Härtegrad aufzuklären und zu beraten. Denn die Klägerin habe ihre Erwartung einer Beratung nicht geäußert.
Keine Verletzung der Aufklärungspflicht
Zudem sei der Verkäufer erst hinzugezogen worden, als die Klägerin bereits zum Kauf entschlossen gewesen sei. Im Verkaufsgespräch sei es lediglich darum gegangen, die Daten der Klägerin aufzunehmen und über den Preis zu verhandeln. Die Tochter der Klägerin habe sich nach dem Probeliegen auch nicht über den Härtegrad beschwert. Daher habe der Verkäufer auch keine Aufklärungspflicht verletzt, sodass die Klägerin den Vertrag weder anfechten könne noch vom Vertrag zurücktreten könne.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 30.1.2024, 510 C 7814/23, PM vom 4.4.2024
| Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren. Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde am Knöchel infolge eines Leitersturzes erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Schürfwunde anschließend infiziert und ein Geschwür (Ulkus) hervorruft. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entschieden. |
Das war geschehen
Das OLG musste über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe entscheiden. Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Frau des Klägers von der Leiter und zog sich hierbei u. a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Klägers sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Kläger hat dann die Reise storniert und bei der beklagten Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend gemacht.
Landgericht wies Klage ab
Das LG hatte die Klage abgewiesen, denn die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei – so das LG – auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau des Klägers hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat über die Frage der Behandlung der Ehefrau des Klägers am Knöchel vor Vertragsschluss die behandelnden Ärzte als Zeugen vernommen und die Versicherung dann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt.
Es hat die Kenntnis der Ehefrau des Klägers vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss abgelehnt. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.
Argumente der Versicherung ohne Erfolg
Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpfen die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung. Selbst, wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei.
Quelle | Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.3.2024, 16 U 74/23, PM 1/24
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat mit zwei Urteilen die Berufungen der Kläger in zwei Verfahren gegen Straßenreinigungsgebührenbescheide der Hansestadt Lüneburg für das Jahr 2018 zurückgewiesen. |
Die Hansestadt Lüneburg erhob bis Ende 2017 Straßenreinigungsgebühren nach dem sog. Frontmetermaßstab. Mit Wirkung zum 1.1.2018 stellte sie den Maßstab um und erhebt seitdem die Gebühren gemäß ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung nach dem sog. Quadratwurzelmaßstab. Bei diesem wird aus der Grundstücksfläche die Quadratwurzel gezogen. Damit wird gedanklich ein quadratisches Grundstück gebildet, von dem die Länge einer Seite der Gebührenberechnung zugrunde gelegt wird.
Das OVG hat entschieden, dass der Quadratwurzelmaßstab ein rechtmäßiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Bemessung der Straßenreinigungsgebühren ist. Der vormals von der Hansestadt Lüneburg angewandte Frontmetermaßstab sei gegenüber dem Quadratwurzelmaßstab nicht vorrangig anzuwenden.
Darüber hinaus hat das OVG auch die Bestimmungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung über die Heranziehung von mehrfach anliegenden Grundstücken und von Hinterliegergrundstücken als rechtmäßig erachtet. Diese verstießen weder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz oder den Gleichheitssatz noch gegen den Grundsatz der Vollständigkeit.
Quelle | OVG Lüneburg, Urteile vom 24.4.2024, 9 LC 117/20 und 9 LC 138/20, PM vom 25.4.2024
| Im Streit um Ansprüche auf Rückerstattung aus einem Reisevertrag wies das Amtsgericht (AG) München eine Klage auf Zahlung von rund 4.000 Euro ab. |
Reise online storniert
Der Kläger hatte bei der Beklagten zum Preis von über 4.500 Euro eine neuntägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Portugal gebucht. Im Anschluss stornierte der Kläger im Internet auf der Website der Beklagten die Reise. Die Beklagte buchte sodann vom Konto des Klägers Stornierungsgebühren in Höhe von rund 4.000 Euro ab. Der Kläger leitete daraufhin am selben Tag eine E-Mail an die Beklagte weiter, um die Stornierung rückgängig zu machen.
Der Kläger behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe unbeabsichtigt wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten.
Die Beklagte trug vor, der Kläger habe keine genauen Angaben über die besagte Baustelle getroffen. Im Übrigen sei die Buchung wirksam storniert worden. Für die endgültige Stornierung seien mehrere einzelne Schritte erforderlich gewesen. Eine unbeabsichtigte Kündigung sei im System unmöglich. Dem Reiseveranstalter sei durch den Rücktritt des Kunden hingegen ein Schaden entstanden.
So sieht es das Gericht
Das AG wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde vom Kläger wirksam storniert. Eine wirksame Anfechtung der Stornierung aufgrund eines Irrtums in der Erklärungshandlung ist nicht gegeben.
Ein Irrtum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 119 BGB) ist das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Es liegt (nach § 119 Abs. 1 2. Fall BGB) zudem ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist beispielsweise beim Versprechen, Verschreiben oder Vergreifen der Fall. Zwar gab der Kläger an, die Website der Beklagten sei für ihn unübersichtlich gewesen, da diverse Klicks erforderlich gewesen seien.
Fünfmaliges Verklicken unwahrscheinlich
Es kann grundsätzlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs – wie hier der Buchungsstornierung – mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein „Verklicken“, und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll.
Aus der vom Reiseveranstalter vorgelegten Anlage ergibt sich insoweit, dass der Reisende für eine endgültige Stornierung der Reise erst mehrere einzelne Schritte durchführen musste: Zur Auslösung des endgültigen Stornierungsvorgangs musste der Kläger insgesamt viermal aktiv per Mausklick bestätigen, dass er eine Stornierung wünsche.
Dabei musste er bei Schritt 1 zunächst angeben, aus welchem Grund er seine Reise stornieren wollte. Im Anschluss bei Schritt 2 musste der Kläger angeben, was genau er stornieren wollte. Bei dem darauffolgenden Schritt 3 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Auswählen „Buchung stornieren“, die Stornierung durchgeführt, und im Namen des Reisenden eine Rückerstattung beantragt werde. Erst durch Anklicken dieses Feldes gelangte der Kläger zum letzten und 4. Schritt, wo nochmals um Bestätigung gebeten wurde, dass tatsächlich mit der Stornierung fortzufahren sei. […]
Wirksame Stornierung und keine Umbuchung
Dass das Anklicken versehentlich geschah, und nicht dem Willen des Reisenden entsprach, war für das AG nicht nachvollziehbar. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung durch Vertippen sah das AG nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Reisenden bewusst gewesen sein muss, dass er bei Durchführung des gesamten Buchungsvorgangs eine endgültige Stornierung vornahm – und nicht bloß, wie von ihm vorgegeben – eine Umbuchung. Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde somit wirksam storniert.
Verlust von 4.000 Euro
Die Beklagte war zudem berechtigt, aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch den Kläger vor Reisebeginn einen Betrag in Höhe von rund 4.000 Euro als angemessene Entschädigung zu verlangen.
Das AG hob hervor: Die pauschale Behauptung des Reisenden, es habe neben dem Hotel eine Baustelle gegeben, führt nicht zu einer vertraglichen Pflicht des Reiseveranstalters, alternative Lösungen anbieten zu müssen.
Quelle | AG München, Urteil vom 18.4.2024, 275 C 20050/23, PM 15/24
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Einer Mieterin von Wohnraum darf fristlos gekündigt werden, wenn diese – gleich zweimal – die Vermieterin mit Wasser überschüttet. |
Die Vermieterin hatte die Mieterin auf Räumung der Wohnung verklagt, weil diese sie zwei Mal mit Wasser übergossen habe. Unstreitig zwischen den Parteien war zwar, dass die Mieterin jeweils einen Eimer Wasser aus dem Fenster in den Hof gegossen hatte, als sich die Vermieterin in diesem befand. Die Mieterin hatte allerdings bestritten, die Vermieterin getroffen zu haben oder überhaupt treffen zu wollen.
Das AG sah die Kündigung als wirksam an. Denn der vernommene Zeuge bestätigte, dass die Vermieterin beide Male tatsächlich mit dem Wasser aus dem Eimer vollständig übergossen wurde. Diese sei, so der Zeuge,„klitschnass“ gewesen, wie bei einer „Ice-Bucket-Challenge“. Das rechtfertige eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens, so das AG. Selbst, wenn die Mieterin keine direkte Absicht gehabt habe, die Vermieterin zu treffen, habe sie dies angesichts der Situation jedoch zumindest billigend in Kauf genommen. Denn ihr Ziel lag schon nach dem eigenen Vortrag darin, die Vermieterin davon abzuhalten, ihr Fahrrad umzustellen. Es habe auch keiner vorherigen Abmahnung bedurft, zumal die Mieterin, wie sich aus der Beweisaufnahme ergab, bereits weitere derartige Aktionen angekündigt habe.
Quelle | AG Hanau, Beschluss vom 19.2.2024, 34 C 92/23, PM vom 3.5.2024
| Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat sich mit dem Einwand der Testierunfähigkeit eines an Depressionen und Alkoholsucht leidenden Erblassers zu befassen, der sich das Leben nahm. |
Erblasser litt an Persönlichkeitsstörung
Der Erblasser litt an einer psychiatrisch relevanten Persönlichkeitsstörung in Form einer affektiven Störung mit sowohl depressiven als auch manischen Phasen (bipolare Störung) sowie einem Alkoholproblem. Mit eigenhändigem Testament verfügte er, dass seine Ziehtochter seinen gesamten Besitz erben solle. In zwei Abschiedsbriefen begründete er seine Entscheidung zu dem Suizid und tat im Übrigen kund, dass er alle Erbschaftsangelegenheiten regeln wolle.
Die Ziehtochter beantragte einen Erbschein, der ihre Stellung als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesem Antrag trat die Schwester des Erblassers mit der Begründung entgegen, der Erblasser sei aufgrund seiner psychischen Erkrankungen testierunfähig gewesen. Nach Einholen eines Sachverständigengutachtens zum Einwand der Testierunfähigkeit hat das Nachlassgericht einen Feststellungsbeschluss erlassen. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Schwester mit der Beschwerde, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat.
So entschied das Oberlandesgericht
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Eine Testierunfähigkeit habe das Sachverständigengutachten nicht bestätigen können. Zwar habe der Erblasser an den genannten Erkrankungen und an weiteren körperlichen Einschränkungen gelitten, die die Sachverständigen bestätigten. Diese genannten Gründe allerdings ließen für sich allein keinen zwingenden Schluss auf das Vorliegen der Testierunfähigkeit zu.
Nur dann, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursachen, die die freie Willensbestimmung ausschlössen oder zu einer solch starken Bewusstseinsstörung führten, liege auch eine Testierunfähigkeit vor. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Quelle | Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.3.2024, 3 W28/24
| Ein (fördermittelschädlicher) vorzeitiger Maßnahmenbeginn liegt vor, wenn die einschlägige Förderrichtlinie eine klare Linie bei der Leistungsphase 6 zieht und der Mittelempfänger darüber informiert wurde, dass er eingeschaltete Planer vor Erhalt der Förderzusage nur mit Planungs- und Vorbereitungsleistungen bis einschließlich Leistungsphase 6 beauftragen soll. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg entschieden. |
Bauherr verlor Förderung
Das Urteil war für den Bauherrn besonders „bitter“. Denn er verlor die gesamte Förderung in Höhe von 240.000 Euro, weil er den Planer entgegen den Förderbestimmungen schon mit kleinen Leistungen der Leistungsphase 7 beauftragt hatte.
Bauherren informieren!
Konsequenz aus dem Urteil ist u. a.: Planer sollten Bauherren stets darüber informieren, wie streng Fördermittelgeber darauf achten, dass Förderbestimmungen eingehalten werden.
Quelle | VG Magdeburg, Urteil vom 25.3.2024, 3 A 155/21
| Regelt der Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Erschwernisse, um von ihm eine Bauhandwerkersicherungshypothek zu verlangen, ist dies unwirksam. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Anspruch nur beiVerzug?
Der Auftraggeber hatte einen Planer für Technische Gebäudeausrüstung mit Leistungen über knapp 4,7 Mio. Euro beauftragt. In seinen AGB hieß es u. a.: „Einen Anspruch aus § 650 e BGB kann der Auftragnehmer nur geltend machen, wenn sich der Auftraggeber in Verzug befindet und die angemahnte Zahlung trotz Nachfristsetzung innerhalb von zwei Wochen nicht fristgemäß leistet. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 650 e BGB setzt ferner voraus, dass der Auftragnehmer bei Nachfristsetzung oder danach dies mit einer Frist von drei Wochen angekündigt hat.“
Nachdem mehrere Rechnungen nicht bezahlt worden waren, verlangte der Planer erst eine Sicherheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB, Bauhandwerkersicherung). Die brachte der Auftraggeber nicht bei. Daher beantragte der Planer ohne erneute Fristsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des Anspruchs nach § 650 e BGB (Sicherungshypothek an dem Baugrundstück) i. H. v. ca. 340.000 Euro. Der Auftraggeber berief sich auf seine o. g. AGB-Klausel und wollte nicht leisten.
Landgericht gab Planer Recht
Die Klausel im Vertrag war unwirksam, denn sie benachteiligte den Planer als Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie war mit den wesentlichen Grundgedanken des § 650 e BGB nicht vereinbar.
Der Anspruch auf Vormerkung einer Sicherungshypothek soll den vorleistungspflichtigen Unternehmer schützen und gewährt ihm hierzu einen im Eilverfahren zügig durchsetzbaren Anspruch. Diesen Grundgedanken stehen die mit den AGB aufgestellten Anforderungen, Verzug nach Fristsetzung und weitere Ankündigungsfrist, entgegen. Vor allem könnte der Auftraggeber ansonsten versuchen, bis zum Abschluss eines zuvor angekündigten einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Eigentumswechsel herbeizuführen. Das könnte den Anspruch des Unternehmens vereiteln.
Quelle | LG Berlin, Urteil vom 6.7.2023, 19 O 101/23
| Wer mit Verbrauchern einen Architektenvertrag schließt, muss zum einen vermeiden, dass diese ihr Widerrufsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 312 b BGB) ausüben. Zum anderen ist die neue Belehrungspflicht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (hier: § 7 Abs. 2 HOAI 2021) zu beachten. Sonst kann der Architekt maximal das Honorar nach den Basishonorarsätzen der HOAI abrechnen. Dies gilt, selbst wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Das sagt die HOAI zur Form und zum Fehlen einer Vereinbarung
§ 7 HOAI sagt, dass sich das (Architekten-)Honorar nach der Vereinbarung richtet, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart.
Das sagt die HOAI zur Aufklärungspflicht des Architekten
Außerdem schreibt die Norm vor, dass der Auftragnehmer, also der Architekt, den Auftraggeber, falls dieser Verbraucher ist, vor Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung in Textform darauf hinweisen muss, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Folge: Ohne diese (rechtzeitige) Belehrung gilt für die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Grundleistungen anstelle eines höheren Honorars ein Honorar in Höhe des jeweiligen Basishonorarsatzes als vereinbart.
Diese Konsequenzen zog das Oberlandesgericht
Im Fall des OLG gab es diese Aufklärung nicht. Das OLG: Die Aufklärungspflicht gilt auch, wenn ein Zeit- oder Pauschalhonorar vereinbart worden ist. Ohne Belehrung kann der Planer nur den Basishonorarsatz abrechnen.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 8.4.2024, 11 U 215/22
| Widerruft ein Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst seine Einstellungszusage aufgrund eines ärztlichen Attests, ist dies keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |
Einstellungszusage widerrufen
Der an Diabetes erkrankte, schwerbehinderte Kläger bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung im Januar 2023 auf eine von der beklagten Stadt ausgeschriebene Ausbildungsstelle als Straßenwärter. Er erhielt eine Einstellungszusage vorbehaltlich einer noch durchzuführenden ärztlichen Untersuchung. Der Arzt kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger wegen seiner Diabetes-Erkrankung nicht für die vorgesehene Ausbildungsstelle geeignet sei. Die Einstellungszusage wurde daraufhin zurückgenommen. Der Kläger erhob Klage auf Entschädigung wegen einer aus seiner Sicht erfolgten Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch.
Kein Verstoß gegen geltendes Recht
Das ArbG wies die Klage ab. Eine diskriminierende Handlung und ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien nicht erkennbar.
Der Kläger sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung nicht schlechter behandelt worden als vergleichbare nichtbehinderte Bewerber. Die Stadt habe bei der Entscheidung, den Kläger nicht einzustellen, nicht auf seine Behinderung abgestellt. Vielmehr habe man den Kläger ungeachtet seiner Behinderung gerade einstellen wollen und ihm demgemäß eine Einstellungszusage erteilt, diese jedoch vom Ergebnis einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung bzw. seiner Eignung abhängig gemacht.
Diese gesundheitliche Eignung sei dann von dem von ihr beauftragten Arzt verneint worden. Daraufhin habe die Beklagte unter Berufung auf den zum Ausdruck gekommenen Vorbehalt ihre Einstellungszusage zurückgezogen.
Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 20.3.2024, 3 Ca 1654/23, PM 1/24
| In einem Fall vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf ging es im Wesentlichen um angeblich unangemessene Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber Kollegen über Mitarbeitern. Die daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnung hatte keinen Bestand, weil sie zu unbestimmt war. |
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer hatte die Äußerungen bestritten. Auf seine Frage im Personalgespräch, weshalb keine Namen derjenigen Arbeitnehmer genannt würden, die die Vorwürfe an die Personalbetreuung herangetragen hätten, äußerte die Personalreferentin, dass die Arbeitnehmer eingeschüchtert seien und sich lediglich vertraulich an die Vorgesetzten sowie die Personalbetreuung gewandt hätten. Auch in der Abmahnung selbst erfolgte keine namentliche Nennung.
So sah es das Arbeitsgericht
Das ArbG stellte klar: Dieser Vorgang reicht nicht für eine Abmahnung. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich in der ihm vorgeworfenen Art und Weise verhalten habe. Die Abmahnung sei inhaltlich zu unbestimmt. Die „anderen Mitarbeiter“, gegenüber denen er die Äußerungen getätigt haben soll, würden in der Abmahnung nicht benannt, obwohl sie dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abmahnung unstreitig bekannt gewesen seien. Da sich die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientierten, was der Arbeitgeber wissen könne, sei die Abmahnung nicht hinreichend konkret.
Für den Arbeitnehmer als Adressat der Abmahnung diene die konkrete Nennung der Namen der Zeugen auch dazu, zu überprüfen, ob die Abmahnung inhaltlich richtig sei oder nicht; pauschale Vorwürfe ohne die Nennung der Zeugen würden diese Anforderung nicht erfüllen. Der Arbeitgeber sei auch nicht berechtigt, zum Schutz der Zeugen die Namen in der Abmahnung nicht zu nennen. Hierdurch könne zwar ein Konflikt zwischen dem Arbeitnehmer und den Zeugen im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe entstehen. Einen solchen Konflikt müsse ein Arbeitgeber, der den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf ein angebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers vertraue, allerdings hinnehmen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr den Zeugen durch ihre Nennung in der Abmahnung drohe.
Quelle | ArbG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2024, 7 Ca 1347/23
| Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (hier: § 3 Abs. 1 EFZG) dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Voraussetzung: Es muss dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sein, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |
Abzug vom Verdienst nach Covid-Erkrankung
Der Kläger ist als Produktionsmitarbeiter bei der Arbeitgeberin beschäftigt, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Er hatte sich keiner Schutzimpfung gegen das Coronavirus unterzogen und wurde am 26.12.2021 positiv auf das Virus getestet. Für die Zeit vom 27. bis zum 31.12.2021 wurde dem unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen leidenden Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt. Für diese Zeit leistete die Arbeitgeberin Entgeltfortzahlung. Am 29.12.2021 erließ die Gemeinde N. eine Verfügung, nach der für den Kläger bis zum 12.1.2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung angeordnet wurde. Für die Zeit vom 3. bis zum 12.1.2022 lehnte der Arzt die Ausstellung einer Folge-AU mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Mit der Verdienstabrechnung für Januar 2022 nahm die Arbeitgeberin für diese Zeit vom Lohn des Klägers einen Abzug in Höhe von ca. 1.000 Euro brutto vor. Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung des Arbeitnehmers das Urteil des ArbG geändert und die Arbeitgeberin verurteilt, zu zahlen.
Bundesarbeitsgericht gab Arbeitnehmer Recht
Die Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, ohne dass es darauf ankam, ob bei ihm durchgehend Symptome von COVID-19 vorlagen. Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Die Absonderungsanordnung ist keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruht das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion (Monokausalität). Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Absonderungsanordnung. Aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion war es dem Kläger rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
Es konnte auch nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der empfohlenen Corona-Schutzimpfung für die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich war. Das Berufungsgericht hat hierbei zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, dass die Nichtvornahme der Schutzimpfungen einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellte. Jedoch ließen die wöchentlichen Lageberichte des RKI und dessen Einschätzung der Impfeffektivität nicht den Schluss zu, dass Ende Dezember 2021 bzw. Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufgetretene Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte verhindert werden können.
Der Arbeitgeberin stand ein Leistungsverweigerungsrecht wegen nicht vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu. Das LAG hatte richtig erkannt, dass der Kläger der Beklagten durch Vorlage der Ordnungsverfügung der Gemeinde N. in anderer, geeigneter Weise nachgewiesen hat, infolge seiner Corona-Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.
Quelle | BAG, Urteil vom 20.3.2024, 5 AZ R 234/23, PM 8/24
| Eine Bank kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Bank wollte Originalurkunden nicht herausgeben
Ein Mann hatte geltend gemacht, seine – inzwischen getrenntlebende und in Scheidung befindliche – Ehefrau habe auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung unberechtigt seine Unterschriften angebracht. Er hat beantragt, ein Schriftsachverständigengutachten einzuholen. Das Kreditinstitut – eine Bausparkasse – hat die Herausgabe der zur Begutachtung erforderlichen Originalurkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert. Das machte der BGH nicht mit.
Hier gilt ein Zeugnisverweigerungsrecht
Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, sind zur Verweigerung des Zeugnisses der Tatsachen berechtigt, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Dies gilt dann auch für hierauf bezogene Urkunden. Im Fall des BGH hatten die Interessen des Mannes jedoch Vorrang.
Quelle | BGH, Beschluss vom 29.11.2023, XII ZB 141/22
| Unternehmen müssen den Inhalt der Bilanz und der Gewinn-und Verlustrechnung grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung übermitteln. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun das aktualisierte Datenschema der Taxonomien (Version 6.8) als amtlich vorgeschriebenen Datensatz veröffentlicht. Die aktualisierten Taxonomien stehen unter www.esteuer.de zur Ansicht und zum Abruf bereit. |
Beachten Sie | Die neuen Taxonomien sind grundsätzlich für die Bilanzen der Wirtschaftsjahre zu verwenden, die nach dem 31.12.2024 beginnen (Wirtschaftsjahr 2025 oder 2025/2026). Es wird aber nicht beanstandet, wenn diese auch für das Wirtschaftsjahr 2024 oder 2024/2025 verwendet werden.
Die Übermittlungsmöglichkeit mit diesen neuen Taxonomien wird für Testfälle voraussichtlich ab November 2024 gegeben sein, für Echtfälle ab Mai 2025.
Quelle | BMF-Schreiben vom 27.5.2024, IV C 6 - S 2133-b/24/10001 :002
| Nach den statistischen Aufzeichnungen der obersten Finanzbehörden der Länder haben die im Jahr 2023 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen bei der Umsatzsteuer zu einem Mehrergebnis von rund 1,52 Mrd. Euro geführt. Die Ergebnisse aus der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind in diesem Mehrergebnis nicht enthalten. |
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen werden unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im Jahr 2023 wurden 63.282 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt. Im Jahresdurchschnitt waren 1.604 Umsatzsteuer-Sonderprüfer eingesetzt. Jeder Prüfer führte im Durchschnitt 39 Sonderprüfungen durch. Dies bedeutet für jeden eingesetzten Prüfer ein durchschnittliches Mehrergebnis von rund 0,94 Mio. Euro.
Quelle | BMF, Mitteilung vom 25.4.2024
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Er möchte wissen, ob das gesetzliche Aufteilungsgebot für Beherbergungsleistungen rechtmäßig ist. Danach unterliegt die Übernachtungsleistung dem ermäßigten Umsatzsteuersatz i. H. von 7 %. Für Nebenleistungen, die nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, gilt dagegen der Regelsteuersatz (19 %). In den drei Streitfällen ging es um Parkplatzgestellungen, Frühstücksleistungen, die Gestellung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen sowie von W-LAN. |
Für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, greift die Umsatzsteuerermäßigung auf 7 %.
Beachten Sie | Dies gilt nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG) aber nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.
Bisher war der BFH der Ansicht, dass das Aufteilungsgebot in Einklang mit dem Unionsrecht steht und dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung vorgeht, wonach eine (unselbstständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt.
Ganz so sicher ist sich der BFH aber infolge der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht mehr. Deshalb hat er nun beim EuGH angefragt. Es ist zu hoffen, dass sich der EuGH zeitnah und eindeutig äußern wird, damit zu dieser Frage (endlich) Rechtssicherheit besteht.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 10.1.2024, XI R 11/23 (XI R 34/20), XI R 13/23 (XI R 7/21), XI R 14/23 (XI R 22/21)
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. |
Hintergrund: Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt (in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO) einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.
Finanzamt und Finanzgericht lehnten Auskunftsersuchen ab
Im Streitfall verlangte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt die Zurverfügungstellung (elektronischer) Kopien von Verwaltungsakten mit den ihn betreffenden personenbezogenen Daten, was sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (FG) ablehnten.
Bundesfinanzhof widersprach
Der BFH hat nun entschieden, dass ein Steuerpflichtiger vom Finanzamt grundsätzlich Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten verlangen kann – und zwar ungeachtet der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung.
Auskunftsanspruch unabhängig von Art der Steuer
Der Auskunftsanspruch ist auch nicht davon abhängig, für welche Steuerart die Datenverarbeitung erfolgt. Grundsätzlich ist der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch darauf beschränkt, dass der Steuerpflichtige darüber informiert wird, welche ihn betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet werden.
Der Auskunftsanspruch gewährt grundsätzlich aber kein Recht auf die (elektronische) Zurverfügungstellung von Kopien von ganzen Akten bzw. einzelnen Dokumenten mit personenbezogenen Daten. Nur ausnahmsweise, wenn der Steuerpflichtige diese zwingend benötigt, um seine Rechte nach der DS-GVO durchsetzen zu können, sind ihm auch Kopien von Dokumenten mit seinen personenbezogenen Daten (elektronisch) zur Verfügung zu stellen.
Grenzen: unbegründete oder exzessive Auskunftsersuchen
Zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs hat der BFH im Übrigen klargestellt, dass die Finanzverwaltung zwar einen gegen sie gerichteten Auskunftsanspruch nach der DS-GVO zurückweisen kann, falls dieser offenkundig unbegründet oder exzessiv ist. Hierfür muss sie jedoch die Umstände darlegen, die zu einer offenkundigen Unbegründetheit bzw. zu einem Exzess des Auskunftsersuchens führen. Dass der Steuerpflichtige mit seinem Auskunftsersuchen Ziele außerhalb der DS-GVO verfolgt, erlaubt der Finanzverwaltung nicht, die Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten zu verweigern.
Quelle | BFH, Urteil vom 12.3.2024, IX R 35/21, PM Nr. 27/24 vom 20.6.2024
| Die Auszahlung einer Direktversicherung nach Ausübung eines vertraglich eingeräumten Kapitalwahlrechts unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz. Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster ist allerdings die Revision anhängig. |
Das war geschehen
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in Beiträge zu einer Direktversicherung nach dem Betriebsrentengesetz vereinbart. Daraufhin schloss der Arbeitgeber für die Steuerpflichtige eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Es sollte eine lebenslange monatliche Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen.
Im Streitjahr 2019 übte die Steuerpflichtige das Kapitalwahlrecht aus und erhielt ca. 44.500 Euro. Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolglos.
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten können als außerordentliche Einkünfte in Betracht kommen, die ermäßigt zu besteuern sind (Fünftel-Regelung). Da es im Streitfall aber an dem Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit fehlte, kam keine ermäßigte Besteuerung in Betracht.
Höchstrichterliche Rechtsprechung
Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausschließlich auf die vertragliche Vereinbarung an (keine ermäßigte Besteuerung, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war). In späteren Entscheidungen hat es der BFH jedoch vielmehr für maßgeblich gehalten, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material ausgewertet werden muss.
Bundesfinanzhof ist erneut gefragt
Vor diesem Hintergrund hat das FG Münster nun die Revision mit folgendem Wortlaut zugelassen: „Dem Bundesfinanzhof ist Gelegenheit zu geben, über die Ausschärfung der Kriterien zur Bestimmung der Atypik bei Kapitalauszahlungen von Renten erneut zu entscheiden, da er bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist.“
Beachten Sie | Da die Steuerpflichtige die Revision eingelegt hat, können geeignete Fälle mit einem Einspruch bis zur Entscheidung des BFH offen gehalten werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 24.10.2023, 1 K 1990/22 E, Rev. BFH: X R 25/23
| Bei Lohnsteuer-Außenprüfungen stoßen Prüfer immer häufiger auf Sachverhalte, in denen der Arbeitgeber im Rahmen einer Gehaltsumwandlung den Grundlohn abgesenkt und einen nach § 3 Nr. 30 und Nr. 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreien Heimarbeiterzuschlag zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen (z. B. für Miete, Heizung und Beleuchtung der Arbeitsräume) bezahlt hat. Hier ist Vorsicht geboten: Denn in vielen Fällen sind die Voraussetzungen für den steuerfreien Heimarbeiterzuschlag nach dem Heimarbeitsgesetz (HAG) nicht erfüllt. |
Informationen zum Heimarbeiterzuschlag enthält vor allem die Lohnsteuerrichtlinie 9.13. Hier heißt es in Abs. 2: „Lohnzuschläge, die den Heimarbeitern zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen neben dem Grundlohn gezahlt werden, sind insgesamt aus Vereinfachungsgründen nach § 3 Nr. 30 und 50 EStG steuerfrei, soweit sie 10 % des Grundlohns nicht übersteigen.“
Beachten Sie | Die im Einkommensteuergesetz geregelte Steuerfreiheit gilt allerdings nur für Heimarbeiter i. S. des § 2 Abs. 1 HAG. Die steuerfreien Zuschläge können also nicht von Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden, die ihre Tätigkeit seit der Coronapandemie (teilweise) im Homeoffice ausüben.
Quelle | R 9.13 Abs. 2 Lohnsteuerrichtlinien; § 2 Heimarbeitsgesetz
| Schuldet der Vermieter von Wohnraum zum vertragsgemäßen Gebrauch auch die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, stehen Kosten des Vermieters für eine neue Heizungsanlage jedenfalls dann im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zur steuerfreien Vermietung, wenn es sich dabei nicht um Betriebskosten handelt, die der Mieter gesondert zu tragen hat. Die Quintessenz aus dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH): Der Vermieter kann für die Heizungsanlage keinen Vorsteuerabzug beanspruchen. |
Hintergrund: Nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG) ist der Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen ausgeschlossen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
Das Finanzgericht (FG) Münster hatte den Streitfall noch anders beurteilt und auf getrennte Leistungen abgestellt, nämlich einerseits steuerfreie Vermietungsleistungen und andererseits steuerpflichtige Energielieferungen.
Der BFH lehnte den vom Vermieter begehrten Vorsteuerabzug aus dem Heizungsaustausch aber bereits deshalb ab, weil der Vermieter dort entsprechend den mietrechtlichen Rahmenbedingungen die Gestellung einer Wohnung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch – d. h. einschließlich der Gestellung warmen Brauchwassers – schuldete und die diesbezüglichen Zahlungen nicht als dem Mieter gesondert berechenbare Betriebskosten i. S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 556 BGB) anzusehen waren.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.12.2023, V R 15/21
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden. Danach müssen Steuerpflichtige unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Weil deswegen bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt. |
Steuerpflichtige vor Finanzgericht erfolgreich
In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die Bescheide waren auf der Grundlage des neuen Bundesmodells ergangen, das in mehreren Bundesländern (z. B. in Nordrhein-Westfalen) Anwendung findet.
Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1.1.2022 als einheitlichem Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen Vorschriften enthalten nicht zuletzt wegen der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten zahlreiche Typisierungen und Pauschalierungen.
Bundesfinanzhof: Beschwerden des Finanzamts zurückgewiesen
Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die dagegen erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit in Bezug auf Grundsteuerwerte
Nach Ansicht des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Denn die Steuerpflichtigen müssen bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit haben, einen niedrigeren Wert nachzuweisen – auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich geregelt hat.
Übermaßverbot ist zu berücksichtigen
Der Gesetzgeber verfügt gerade in Massenverfahren über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot kann aber verletzt sein, wenn sich der Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt nach der Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt – und dies war infolge der Besonderheiten in den Streitfällen nicht auszuschließen.
Beachten Sie | Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden. Es handelt sich bisher lediglich um Beschlüsse im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV); PM Nr. 26/24 vom 13.6.2024
| Ist ein Fahrzeug mehr als fünf Jahre alt, stuft das Amtsgericht (AG) Aue-Bad Schlema die Nutzungsausfallentschädigung um eine und bei mehr als zehn Jahren um zwei Gruppen ab. |
So rechnete das Amtsgericht
Wenn ein ca. 15 Jahre alter Kleinwagen mit ca. 194.000 km Laufleistung, der ohne Altersabstufung in die Gruppe B gehört, betroffen ist, wird jedoch nur eine Gruppe abgestuft. Denn tiefer geht es nicht. So gab es im vom AG entschiedenen Fall einen Tagessatz von 23 Euro.
Der Versicherer hatte nur minimale Vorhaltekosten erstattet. Das lehnt das Gericht ab. Denn das komme nur in Betracht, wenn ein Fahrzeug nicht nur alt, sondern in einem so schlechten Zustand ist, dass seine Nutzbarkeit deutlich eingeschränkt ist.
Entgangene Fortbewegungsmöglichkeit
Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich hinter den Vorhaltekosten letztlich kaum mehr als die Fixkosten wie Steuern, Versicherung etc. verbergen, es sich hierbei also um einen weitaus geringeren Betrag handelt. Mit zunehmendem Fahrzeugalter spiele letztlich nur die entgangene Fortbewegungs- und Transportmöglichkeit eine Rolle. Allein aufgrund des Alters des Fahrzeugs könne daher nicht ohne Weiteres von einer weiteren Einschränkung des Nutzungswerts bis zum Betrag von Vorhaltekosten ausgegangen werden.
Quelle | AG Aue-Bad Schlema, Urteil vom 28.2.2024, 3 C 241/23
| Ist ein durch eine Verbraucherzentrale geltend gemachter Unterlassungsanspruch begründet, wenn eine Firma die online erklärte Kündigung eines Kunden von einem Bestätigungstelefonat abhängig macht? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz bejaht. |
Zusätzliches Telefonat nötig, damit Online-Kündigung wirksam wird?
Die Beklagte bietet, auch gegenüber Verbrauchern, den Abschluss von Dienstleistungsverträgen über Dauerschuldverhältnisse unter anderem zur Bereitstellung von Webspeicherplatz, E-Mail-Postfächern und Servern an.
Der Kläger, ein eingetragener Verein (Verbraucherzentrale), begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, dass sie auf eine online erklärte Kündigung gegenüber Verbrauchern behauptet, dass zur Wirksamkeit der Kündigung noch ein Telefonat erforderlich sei. Konkret hat ein Kunde seinen Vertrag bei der Beklagten per Internet gekündigt. Der Kunde hat daraufhin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, er möge seine Kündigung binnen 14 Tagen telefonisch bestätigen, ansonsten bleibe das Vertragsverhältnis unverändert bestehen.
Verbraucherzentrale: Telefonat dient zum Umstimmen der Verbraucher
Der Kläger hat daraufhin die Beklagte abgemahnt und erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Er behauptet, im Fall eines Anrufs nach der Kündigung werde seitens der Beklagten – mittels rhetorischer Kunstfertigkeit oder Anbieten anderer Vertragskonditionen – versucht, den Verbraucher zu überzeugen, von seinem Kündigungswillen Abstand zu nehmen. Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten gegenüber Verbrauchern, dass nach einer Kündigung eine Rückbestätigung erfolgen müsse, stelle eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Sie enthalte unwahre Angaben über Rechte des Verbrauchers.
Der Kläger beantragte u. a., der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro zu untersagen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern diesen nach einer der Beklagten zugegangenen Kündigungserklärung eines Dienstleistungsvertrags in Form eines Dauerschuldverhältnisses zu behaupten, die telefonische Bestätigung der erklärten Kündigung sei erforderlich. Die Beklagte meint, ohne telefonische Rückbestätigung der Kündigung bestünde das Risiko, dass unberechtigte Dritte den Vertrag eines Kunden kündigen könnten. Es sei deshalb erforderlich, sich davon zu überzeugen, dass die Kündigung vom Erklärenden stammt. Dabei biete ein Telefonat ein Mehr an Sicherheit verglichen mit einem Bestätigungslink innerhalb einer E-Mail. Es finde keine Irreführung des Verbrauchers statt. Außerdem werde eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst.
So sah es das Landgericht
Das LG hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch zu. Das Vorgehen der Beklagten, den Verbraucher aufzufordern, seine Kündigung innerhalb von 14 Tagen telefonisch zu bestätigen, stelle eine geschäftliche Handlung dar. Dazu gehörten auch Verhaltensweisen, die auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung oder das Verhindern einer Geschäftsbeendigung gerichtet sind. Diese geschäftliche Handlung der Beklagten sei unzulässig, da sie unlauter sei. Unlauter handele, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Bestätigungslink in E-Mail genügt
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch irreführend. Dies sei gegeben, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthalte. Erfasst seien auch irreführende Angaben über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung bestimmter Rechte, zu denen auch das Kündigungsrecht zähle. Auch, wenn die Beklagte nach Auffassung des LG ein grundsätzliches Interesse an einer Authentifizierung haben könne, wäre eine solche vorrangig durch eine Bestätigung über den von dem Verbraucher gewählten Kommunikationskanal zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein an den Verbraucher unter der von ihm hinterlegten E-Mail-Adresse gesendeter Bestätigungslink zur Identifizierung weniger geeignet wäre als ein Telefonat. Auch während eines Telefonats sei es der Beklagten nicht möglich, sich umfassende Gewissheit über die wahre Person ihres Gesprächspartners zu verschaffen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es einem unbefugten Dritten, der sich Zugang zu der Kundennummer, der Vertragsnummer und dem E-Mail-Konto des wahren Vertragspartners verschafft hat, auch gelänge, in einem Telefonat über seine Identität zu täuschen.
Zusätzliche Entscheidung
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beklagte stelle den Verbraucher nach Zugang seiner Kündigung vor die Wahl, seine Kündigung nicht telefonisch zu bestätigen, und in der Folge das Vertragsverhältnis fortzusetzen, oder innerhalb von 14 Tagen telefonisch Kontakt zu der Beklagten aufzunehmen. Es werde dadurch eine zusätzliche Entscheidung des Verbrauchers verlangt, ob er an der Ausübung seines Kündigungsrechts festhalten will. Ohne die irreführende Aufforderung der Beklagten würde der Verbraucher weder die eine noch die andere Entscheidung treffen. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Beklagte eingeräumt habe, dass die beanstandete Vorgehensweise der Beklagten deren übliche Vorgehensweise sei.
Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 27.2.2024, 11 O 12/23
| Das Landgericht (LG) Oldenburg hat den von einer Frau geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz zurückgewiesen. Sie hatte sich an einem Becher Tee verbrüht. |
Warnhinweis auf dem Pappbecher
Die Frau hatte in einem Restaurant einen Tee in einem Einwegbecher gekauft. Auf dem Becher war der Warnhinweis angebracht: „VORSICHT HEISS“. Außerdem enthielt er ein Piktogramm mit einer Tasse mit Dampfschwaden. Der Becher war der Frau mit einem von Hand zu öffnenden Deckel übergeben worden. Er wurde ihr in einer Pappschale ausgehändigt. Wenige Minuten nach dem Kauf hob die Frau den Becher am Deckel aus der Schale. Da passierte es: Der Deckel löste sich. Der Tee ergoss sich auf ihre Oberschenkel. Die Frau erlitt Verbrennungen 1. und 2. Grades. Sie musste sich später einer teuren Behandlung unterziehen.
So sah es die Frau
Die Frau argumentierte vor dem LG, der Tee sei zu heiß gewesen. Folglich seien von ihm unnötige Gesundheitsgefahren ausgegangen. Zudem sei der Deckel nicht fest verschlossen gewesen. Mit diesen beiden Umständen habe sie nicht rechnen müssen.
So sah es das Landgericht
Das LG lehnte den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ab. Es hob hervor: Dass frisch zubereiteter Tee heiß sei (zwischen 90 und 100 Grad), sei allgemein bekannt. Er müsse daher nicht in verzehrfertiger Temperatur übergeben werden. Die Frau sei zudem durch die o. g. Hinweise auf dem Becher ausdrücklich gewarnt worden. Vor einem eventuell losen Deckel habe die Restaurantbesitzerin ebenfalls nicht warnen müssen.
Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 15.3.2024, 16 O 2015/23
| Kosten für eine einem Hotel ähnliche Unterbringung im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung können auch die Aufwendungen für das Mieten eines Wohnmobils sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Haus unbewohnbar – Wohnmobil als Ersatz gemietet
Das Haus eines Versicherungsnehmers war unbewohnbar geworden. Er mietete sich daher für 260 Euro pro Tag ein Wohnmobil und verlangte den Betrag später vom Versicherer zurück. Dieser wollte die Kosten jedoch nicht übernehmen.
Wohnmobil mit Hotel vergleichbar
Das OLG Köln verurteilte den Versicherer schließlich, rund 86.000 Euro an Mietkosten zu übernehmen. Auch die Kosten für das Mieten des Wohnmobils seien Kosten einer einem Hotel ähnlichen Unterbringung i. S. d. Versicherungsbedingungen.
Für Versicherungsnehmer ist Wohnmobil eine dem Hotel ähnliche Unterkunft
Die Auslegung ergebe, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch die stationäre Unterbringung in einem Mietwohnwagen oder Mietwohnmobil als eine einer Hotelunterbringung ähnliche Unterkunft ansehen werde. Denn ebenso wie ein Hotel, eine Ferienwohnung, eine Pension oder Gaststätte mit „Fremdenzimmern“ zeichnet sich ein Wohnmobil bzw. ein Wohnwagen, der zeitweise vermietet wird, dadurch aus, dass wechselnde Gäste darin für eine befristete Zeit wohnen, sei es zu Arbeitsaufenthalten (bspw. Saisonarbeiter, Arbeiter auf Montage) oder zu touristischen Zwecken. Allein der Aspekt der Mobilität des Wohnmobils im Unterschied zur Hotelunterkunft – also der Umstand, dass ein Wohnwagen grundsätzlich mithilfe eines Pkw bzw. ein Wohnmobil aus eigener Motorkraft im Straßenverkehr zum Reisen benutzt und zu wechselnden Standorten bewegt werden kann – steht der Vergleichbarkeit zu einer Hotelunterbringung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht entgegen.
Motorisierung spielt keine Rolle
Das OLG sieht zwar, dass ein Wohnmobil gerade durch die Motorisierung deutlich teurer ist als ein Wohnwagen. Darauf kommt es im Rahmen der Erstattung der Unterbringungskosten aber nicht an.
Der Versicherungsnehmer muss keine dem Wohnungsstandard entsprechende Unterkunft finden. Er ist in der Wahl der Unterkunft grundsätzlich frei und darf sich dabei von persönlichen Bedürfnissen und privaten Befindlichkeiten leiten lassen. Bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Grenzen besteht der zugesagte Versicherungsschutz. Danach sind Kosten für das Mieten eines Wohnmobils als Kosten einer ähnlichen Unterbringung, wie Hotelkosten, grundsätzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung (nach Abschnitt A. § 8 Nr. 1 c VHB 2014) erstattungsfähig.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger das Wohnmobil nicht als Wohnraumersatz, sondern etwa zu Reisezwecken angemietet haben, hat der Versicherer nicht konkret vorgetragen. Sie ergaben sich für das OLG auch nicht aus dem Akteninhalt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 5.12.2023, 9 U 46/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden: Der Versicherer muss die Kosten für die Versorgung mit Medizinal-Cannabis nicht tragen, wenn der Versicherungsnehmer an der Glasknochenkrankheit leidet. |
Konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft?
Der Versicherungsnehmer meinte, dass konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien. Es liege zumindest eine schwere Erkrankung mit wesentlichen Funktionseinschränkungen vor. Daher müsse der Versicherer die medizinisch notwendige Heilbehandlung durch Medizinal-Cannabis übernehmen.
Der Versicherer entgegnete: Bei akut auftretenden Schüben sei Cannabis wegen seiner „Behandlungsträgheit“ nicht geeignet. Das Landgericht (LG) war dem gefolgt und hatte in erster Instanz die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen.
Oberlandesgericht sieht es wie der Versicherer
Das OLG hat dies bestätigt. Der Versicherungsnehmer habe nach dem Versicherungsvertrag einen Leistungsanspruch, wenn es sich bei der Behandlung seiner Beschwerden um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handelt, die entweder von der Schulmedizin überwiegend anerkannt ist oder es sich um eine Methode oder ein Arzneimittel handelt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor.
Zwar leide der Versicherungsnehmer unter einem schweren, multilokulären generalisierten Schmerzsyndrom bei Glasknochenkrankheit und bei entsprechender Symptomatik komme die Erstattung von Medizinal-Cannabis grundsätzlich in Betracht. Wesentliche gelenkarthrotische Veränderungen seien jedoch ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht feststellbar. Weitere Befunde, die den Vortrag zu seinen körperlichen Beschwerden – insbesondere der behaupteten Vielzahl von Brüchen – stützen könnten, habe der darlegungs- und beweisbelastete Versicherungsnehmer ebenfalls nicht vorgelegt.
Die Behandlung der beim Versicherungsnehmer feststellbaren Symptomatik mit Medizinal-Cannabis sei nach heutiger medizinischer Einschätzung und aktuellem Wissensstand nicht als von der Schulmedizin allgemein anerkannte Methode anzusehen. Auch sei sie keine Methode, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt habe wie die Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe ausgeführt, mangels ausreichender Datenlage könne nicht festgestellt werden, dass die Therapie mit Medizinal-Cannabis eine entsprechende Linderung der im Zusammenhang mit der Glasknochenkrankheit stehenden Schmerzsymptomatik verspreche. Schließlich seien schulmedizinisch sowohl nichtmedikamentöse als auch verschiedene medikamentöse Behandlungen verfügbar. Der Versicherungsnehmer habe nicht nachgewiesen, dass diese Behandlungsmethoden bei ihm nicht wirksam seien oder gravierende Nebenwirkungen verursachten.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2023, I-13 U 222/22
| Der Vermieter ist verpflichtet, dem Mieter auf dessen Verlangen Einsicht in die Abrechnungsbelege zu gewähren und diese in einer geordneten Form vorzulegen. Es ist nicht Aufgabe des Mieters, die Belege selbstständig zu ordnen. So entschied es das Amtsgericht (AG) Münster. |
Die Wohnungsmieter hatten Einsicht in die Belege zu den Betriebskostenabrechnungen von 2018 bis 2020 verlangt. Die Vermieterin legte die Unterlagen ungeordnet, weder thematisch noch chronologisch stringent sortiert, vor. Daher weigerten sich die Mieter, die Nachforderungen aus den Abrechnungen auszugleichen.
Die Zahlungsklage der Vermieterin hatte keinen Erfolg. Sie habe keinen Anspruch auf die Nachzahlungen, da den Mietern ein Zurückbehaltungsrecht zustehe. Die Vermieterin habe keine umfassende Belegeinsicht gewährt.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 259 Abs. 1 BGB) bedürfe es einer geordneten Zusammenstellung der Abrechnungsbelege, so das AG. Das umfasse eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung in Abrechnungsposten.
Dabei sei auf einen juristisch und betriebswirtschaftlich ungeschulten Mieter abzustellen. Anderenfalls könne der Mieter sein Prüfungsrecht nicht sinnvoll ausüben. Der Mieter sei nicht verpflichtet, die Belege selbstständig zu ordnen oder Zusammenhänge in den Rechnungen fortlaufender Verträge zu erkennen.
Quelle | AG Münster, Urteil vom 25.10.2023, 38 C 1947/22
| Das Landgericht (LG) Hanau hat entschieden, dass ein Vermieter in einem Gebäude mit nur zwei Wohnungen dem Mieter der zweiten Wohnung nicht ohne besonderen Grund kündigen kann, wenn er selbst die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr nutzt. |
Vermieterin wohnte überwiegend im Ausland
Zwischen der hauptsächlich im Ausland lebenden Vermieterin und den Mietern besteht ein Mietvertrag über eine Wohnung in einem Haus mit nur zwei Wohneinheiten. Sie selbst nutzt die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr. Die Vermieterin hat die Kündigung nach § 573 a BGB ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift kann der Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen jederzeit ohne Grund beenden. Die Mieter halten die Kündigung für unwirksam, weil die Vermieterin die andere Wohnung nicht im Sinne der Vorschrift bewohne. Das Amtsgericht (AG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat die Räumungsklage abgewiesen.
Lebensmittelpunkt erforderlich
Das LG hat die Berufung der Vermieterin zurückgewiesen. Für die erleichterte Kündigung nach § 573 a BGB reiche es nicht aus, dass der Vermieter die zweite Wohnung in dem Haus lediglich zusätzlich nutze, selbst, wenn das vereinzelt, wie für das Jahr 2021 behauptet, insgesamt 40 Wochen seien. Er müsse vielmehr seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung haben. Eine enge Auslegung der Vorschrift sei insbesondere deshalb geboten, weil diese es ermögliche, den Mietvertrag mit dem ansonsten von dem Gesetz erheblich geschützten Wohnraummieter zu beenden, ohne dass der Mieter eine Pflichtverletzung begangen oder der Vermieter sonst ein besonderes Interesse hieran habe.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Hanau, Urteil vom 15.11.2023, 2 S 107/22, PM vom 8.2.2024
| Dass ein Testament nicht zwingend auf einem weißen Blatt Papier entstehen muss, zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg. Es ging letztlich darum, ob jemand Erbe geworden war oder nicht. |
Gastwirt verstarb – Testament auf „Kneipenblock“
Verstorben war ein Gastwirt aus dem Landkreis Ammerland. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte, einen Erbschein zu erteilen. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname einer Person („X“) vermerkt. Auf dem Zettel hieß es lediglich „X bekommt alles“.
Amtsgericht: Testierwille fehlte
Das Amtsgericht (AG) sah die Partnerin nicht als Erbin an. Es war der Auffassung, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille.
Oberlandesgericht: Testament wirksam
Der auf das Erbrecht spezialisierte Senat des OLG gelangte zu einer anderen Bewertung. Der handschriftliche Text auf dem Zettel sei ein wirksames Testament.
Das OLG war aufgrund der Einzelheiten des Verfahrens überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück selbst verfasst hatte und dass er mit dem genannten Spitznamen allein seine Partnerin gemeint habe. Auch, dass der Erblasser mit der handschriftlichen Notiz seinen Nachlass verbindlich regeln wollte, stand für den Senat aufgrund von Zeugenangaben fest.
Dass sich die Notiz auf einer ungewöhnlichen Unterlage befinde, nicht als Testament bezeichnet und zudem hinter der Theke gelagert war, stehe der Einordnung als Testament nicht entgegen. Zum einen sei es eine Eigenart des Erblassers gewesen, für ihn wichtige Dokumente hinter dem Tresen zu lagern. Zum anderen reiche es für die Annahme eines Testaments aus, dass der Testierwille des Erblassers eindeutig zu ermitteln sei und die vom ihm erstellte Notiz seine Unterschrift trage. Das OLG stellte die Partnerin daher als rechtmäßige Erbin fest.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2023, 3 W 96/23, PM 10/24
| Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte der Klägerin eine Altersrente. Einen Grundrentenzuschlag nach dem Sozialgesetzbuch VI (hier: § 76 g SGB VI) für langjährige Versicherung berücksichtigte sie nicht, weil das anzurechnende Einkommen des Ehemannes höher als der Zuschlag war. Zu Recht, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun bestätigte. |
Klägerin rügte Grundrechtsverstoß
Die Klägerin rügte, dass die Einkommensanrechnung gemäß § 97 a Abs. 1 SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße. Verheiratete und unverheiratete Menschen würden ungleich behandelt und durch den Familienstand „verheiratet“ benachteiligt, weil das Gesetz eine Einkommensanrechnung bei unverheirateten Personen nicht vorsehe. Das SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid ab.
Landessozialgericht: kein Grundrechtsverstoß
Die dagegen gerichtete Berufung hat das LSG nun zurückgewiesen. Die von der Beklagten angewandte gesetzliche Regelung sei nicht verfassungswidrig. Der Nachteil der Einkommensanrechnung werde bei Gesamtbetrachtung aller an die Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft anknüpfenden Regelungen sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch in anderen Regelungsbereichen im Ergebnis ausgeglichen.
Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs
Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass das Ziel der Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers neben der Anerkennung der Lebensarbeitsleistung eine bessere finanzielle Versorgung von langjährig Versicherten sei. Dieses Ziel werde erreicht. Dem Grundrentenberechtigten verbleibe bei Einbeziehung des Einkommens des Ehegatten ein Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs. Er stehe besser da als jemand, der wenig oder gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend versichert gearbeitet habe und entsprechend wenig oder gar nicht in diese eingezahlt habe.
Das gelte zwar auch für jemanden, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit jemandem zusammenlebe, der entsprechende Einkünfte habe. Allerdings seien Ehepartner aufgrund der unterhaltsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung wirksamer als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft versorgt.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.1.2024, L 18R 707/22, PM vom 15.3.2024
| Allein mit der Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, kann der Auftraggeber das Architektenhonorar nicht wirksam mindern. Die Bezeichnung „im Allgemeinen erforderlich“ in § 3 Abs. 3 HOAI soll nämlich klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt notwendig sind, um die Vertragsziele zu erreichen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Maßgeblich sind die vertraglichen Vereinbarungen
Maßgeblich sind nach dem OLG nicht die in der HOAI genannten Leistungsbilder, sondern die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Was ein Planer vertraglich schuldet, ergibt sich aus dem Vertrag, in der Regel also aus dem Recht des Werkvertrags. Der Inhalt dieses Vertrags ist nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts zu ermitteln.
Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI geregelten „Leistungsbilder“ sind Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach.
Daraus folgt, dass es sich bei den Vorgaben des § 34 Abs. 3 und Anlage 10.1 HOAI nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe handelt.
Es müssen nicht stets alle Grundleistungen erbracht werden
Die in Anlage 10.1 aufgeführten Grundleistungen sind nicht alle zwingend für einen vollständigen Honoraranspruch zu erbringen, wenn dies für den vereinbarten Leistungsumfang nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 S. 1 HOAI, wonach die in den Leistungsbildern erfassten Grundleistungen im Allgemeinen zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags erforderlich sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht immer alle in der jeweiligen Leistungsphase aufgeführten Grundleistungen zur Lösung der jeweiligen konkreten Planungsaufgabe zwingend erbracht werden müssen. Sind bestimmte Grundleistungen nicht zur Lösung der konkreten Planungsaufgabe erforderlich, führt es nicht zu einer Honorarkürzung, wenn diese – nicht erforderlichen – Leistungen nicht erbracht wurden.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 7.2.2024, 14 U 12/23
| In letzter Zeit häufen sich die Entscheidungen dazu, dass es nicht zu den Aufgaben des Architekten gehört, Rechtsfragen zu bearbeiten. Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt eine neue Variante hinzugefügt und sich klar positioniert. |
Das OLG: Ob eine Nachtragsforderung des bauausführenden Unternehmers berechtigt ist, liegt außerhalb der Fragestellungen, für deren Richtigkeit der Architekt mit seiner Rechnungsprüfung im Verhältnis zum Auftraggeber einzustehen hat.
Quelle | OLG Frankfurt, Beschluss vom 2.3.2023, 21 U 69/21
| Ein Architekt, der bei der Gebäudesanierung seine Kunden nicht nur in technischer Hinsicht berät, sondern auch Ratschläge zum Erhalt von Fördermitteln erteilt, muss für Schäden einstehen, wenn er die Fördervoraussetzungen fehlerhaft einschätzt. So hat es das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Empfehlung des Architekten
Die Frau hatte sich zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann dazu entschlossen, ihr Mehrfamilienhaus energetisch sanieren zu lassen und wollte dafür möglichst auch Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Sie ließ sich dahingehend von einem Architekten beraten, der auch Leistungen im Bereich der Energieberatung anbietet. Dieser empfahl, das Objekt in Wohnungseigentum umzuwandeln, da dies eine Voraussetzung für die Gewährung von KfW-Fördermitteln im Rahmen des Programms „Energieeffizient Sanieren“ sei.
KfW verweigerte Fördermittel
Entsprechend der Beratung des Architekten stellte das Ehepaar den Antrag auf die Fördermittel, noch bevor die Umwandlung des Hauses in Wohnungseigentum vollzogen war. Nachdem die Sanierungsarbeiten durchgeführt und die Umwandlung in Wohnungseigentum abgeschlossen waren, rief das Ehepaar die Fördermittel ab. Die KfW verweigerte jedoch die Auszahlung, da nach den Förderbedingungen nur Eigentümer von bestehenden Eigentumswohnungen antragsberechtigt seien; eine Umwandlung in Wohnungseigentum erst nach Antragstellung genüge dagegen nicht. Die nun entgangenen Vorteile verlangten die Eigentümer von dem Architekten ersetzt.
Architekt erbrachte Rechtsdienstleistung
Das LG gab der Klage statt. Der Architekt habe nicht nur auf technischer Ebene zugearbeitet, sondern mit seiner beratenden Tätigkeit zu den Fördervoraussetzungen der geplanten Sanierungsmaßnahme eine sogenannte Rechtsdienstleistung erbracht. Da die Information über die Voraussetzungen für die KfW-Förderung der geplanten Maßnahme unzureichend gewesen sei, habe er seine Schutzpflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt. Hätten die Eheleute den Antrag erst nach der Umwandlung in Wohnungseigentum gestellt, hätten sie die Fördermittel erhalten. Den daraus entstandenen Schaden muss der Architekt nun erstatten.
Das LG: Der Architekt kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, er arbeite im Rahmen der Energieberatung nur auf technischer Ebene.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 25.1.2024, 7 O 13/23, PM vom 28.3.2024
| Ein ehemaliger Polizist hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit infolge früher wahrgenommener Tätigkeiten u. a. im Streifendienst. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Aachen entschieden. |
Der Kläger begründete, er sei während seiner nahezu 46-jährigen Dienstzeit zu erheblichen Teilen im Außendienst eingesetzt gewesen, ohne dass sein Dienstherr ihm Mittel zum UV-Schutz zur Verfügung gestellt oder auch auf die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen hingewiesen habe. Infolgedessen leide er unter Hautkrebs am Kopf, im Gesicht und an den Unterarmen.
Das VG hat die Ablehnung der Anerkennung als Berufskrankheit bestätigt, denn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall lägen hier nicht vor. Erforderlich ist im Fall von Hautkrebs durch UV-Strahlung, dass der Betroffene bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt ist, d. h. das Erkrankungsrisiko aufgrund der dienstlichen Tätigkeit in entscheidendem Maß höher als das der Allgemeinbevölkerung ist. Davon kann bei Polizeibeamten im Außendienst nicht die Rede sein. Polizisten bewegen sich in unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und nicht nur bei strahlendem Sonnenschein im Freien.
Quelle | VG Aachen, Urteil vom 15.4.2024, 1 K 2399/23, PM vom 15.4.2024
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat entschieden: Eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) scheidet aus, wenn der Bewerber eine klassische kaufmännische Ausbildung hat, die nicht mit der Laufbahn des mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Bundeswehrverwaltung) vergleichbar ist. Hat der Bewerber später nicht entsprechend seiner Qualifikation gearbeitet, sammelt er auch keine Zeiten „hauptberuflicher Tätigkeit“. |
Kläger erhielt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch
Der Kläger bewarb sich auf die o. g. Stelle und wurde nicht eingeladen. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) klagte er auf eine Entschädigung nach dem AGG (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 AGG) und unterlag. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG zurück. Zu Recht habe das VG ausnahmsweise eine Einladung eines schwerbehinderten Menschen durch einen öffentlichen Arbeitgeber als entbehrlich angesehen. Denn die fachliche Eignung fehlte offensichtlich.
Wesentliche Unterschiede in der Ausbildung
Der Kläger hatte eine Ausbildung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft absolviert. Deren Inhalte unterschieden sich wesentlich von denen, die im Vorbereitungsdienst für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst in der Bundeswehrverwaltung vermittelt würden und allein zur Laufbahnbefähigung für den mittleren Dienst führen könnten. Das VG verglich insoweit die Ausbildung des Klägers mit den Anforderungen des fachspezifischen Vorbereitungsdienstes. Er konnte auch nicht nachweisen, dass seine späteren hauptberuflichen Tätigkeiten seiner Qualifikation entsprachen bzw. anzuerkennen seien. Hier wäre ein Zeitraum von mindestens einem Jahr und sechs Monaten notwendig gewesen. Er hatte auf verschiedenen Stellen überwiegend einfache Büro- und Verwaltungsarbeiten ausgeführt, die häufig nicht einmal eine kaufmännische Ausbildung voraussetzten.
Quelle | OVG NRW, Urteil vom 8.5.2023, 1 A 3340/20
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Auch ein Abweichen von dem direkten Arbeitsweg kann unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert sein. Dabei muss aber ein ausreichender Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt gesetzlich etwa für einen vom Arbeitsweg abweichenden Weg in Betracht, um ein Kind wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. In einem solchen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nun eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. |
Begleitung auf dem Schulweg
Die Klägerin hatte ihre Tochter im Grundschulalter zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet, an dem sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg traf. Dieser Sammelpunkt lag, von der Wohnung der Klägerin aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg von dem Sammelpunkt zu ihrer Arbeit, aber noch vor Erreichen des Wegstücks von ihrer Wohnung zur Arbeit, wurde die Klägerin – als sie trotz einer roten Fußgängerampel eine Straße überquerte – von einem PKW erfasst. Sie erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche.
Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, bekam die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart zunächst recht. Sie hatte insbesondere geltend gemacht, dass die Begleitung ihrer Tochter aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen sei.
Landessozialgericht: Kein Arbeitsweg
Auf die Berufung des Unfallversicherungsträgers hat das LSG Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall setze, wie der zuständige Senat klargestellt hat, u. a. voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Klägerin habe sich zwar im Unfallzeitpunkt objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Dies sei aber nicht hinreichend, denn das Überqueren der Straße am Unfallort zum Unfallzeitpunkt sei nicht auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit erfolgt, sodass der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit fehle.
Entscheidend: nicht Umweg, sondern Abweg
Bewege sich der Versicherte – wie vorliegend die Klägerin – nicht auf einem direkten Weg in Richtung seines Ziels, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem fort, handele es sich eben nicht um einen bloßen Umweg, sondern um einen Abweg. Werde der direkte Weg mehr als geringfügig unterbrochen und ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen, also nicht betrieblichen Gründen – ebenfalls wie vorliegend – zurückgelegt, bestehe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe auch bis zum Eintritt des Unfallereignisses die unmittelbare Wegstrecke zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht. Der Wegeunfallversicherungsschutz sei damit zum Unfallzeitpunkt noch nicht erneut begründet worden.
Keine Ausnahme gegeben
Es liege auch kein ausnahmsweise versicherter Abweg vor. Die Klägerin habe ihre Tochter nicht – wie für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz insoweit erforderlich – zum Sammelpunkt begleitet, um ihrer Beschäftigung nachzugehen, sondern allein und ausschließlich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter. Damit fehle vorliegend jeglicher sachlich-inhaltlich kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung der Klägerin und dem Begleiten der Tochter. Denn erfasst würden keine Fälle, in denen das Kind in fremde Obhut unabhängig davon verbracht werde, ob der Versicherte seine Beschäftigung alsbald aufnehmen wolle. Schließlich stelle auch die Begleitung der Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von wo aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg beschritten, schon kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne des Gesetzes dar.
Beachten Sie | Wenn ein Unfall – wie in dem dargestellten Fall – nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst ist, wird Versicherungsschutz typischerweise durch die – gesetzliche oder private – Krankenversicherung gewährleistet. Auch sind Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen während des Schulbesuchs sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022, L 10 U 3232/21, PM vom 19.3.2024
Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass die Verpackung eines Produkts in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht („Mogelpackung“), wenn sie nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist. |
Verbraucherschutzverband klagte
Die Klägerin ist ein Verbraucherschutzverband. Die Beklagte vertreibt Kosmetik- und Körperpflegeprodukte. Die Beklagte bewarb auf ihrer Internetseite ein Herrenwaschgel in einer aus Kunststoff bestehenden Tube mit einer Füllmenge von 100 ml. In der Online-Werbung ist die Tube auf dem Verschlussdeckel stehend abgebildet. Sie ist im unteren Bereich des Verschlussdeckels transparent und gibt den Blick auf den orangefarbigen Inhalt frei. Der darüber befindliche, sich zum Falz der Tube stark verjüngende Bereich ist nicht durchsichtig, sondern silbern eingefärbt. Die Tube ist nur im durchsichtigen Bereich bis zum Beginn des oberen, nicht durchsichtigen Bereichs mit Waschgel befüllt.
Die Klägerin hält diese Werbung für unlauter, weil sie eine tatsächlich nicht gegebene nahezu vollständige Befüllung der Tube mit Waschgel suggeriere, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass die Verpackung zwar dann ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge als vorhanden vortäusche, wenn der Verbraucher sie im Rahmen des Erwerbs im Laden in Originalgröße wahrnehme. Im Fall des hier vorliegenden Online-Vertriebs fehle es jedoch an der Spürbarkeit eines Verstoßes, weil dem Verbraucher die konkrete Größe der Produktverpackung im Zeitpunkt der Beschäftigung mit dem Angebot und dem Erwerb des Produkts verborgen bleibe. Auch eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt der Täuschung über den Hohlraum in der Verpackung liege nicht vor.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH stellte klar: Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Insbesondere täuscht die beanstandete Produktgestaltung ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vor, als in ihr enthalten ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch eine spürbare Interessenbeeinträchtigung vor. Denn der Verkehr soll vor Fehlannahmen über die relative Füllmenge einer Fertigpackung („Mogelpackung“) geschützt werden. Dieser Schutzzweck ist unabhängig vom Vertriebsweg stets betroffen, wenn – wie im Streitfall – eine Fertigpackung ihrer Gestaltung und Befüllung nach in relevanter Weise über ihre relative Füllmenge täuscht.
Der Bundesgerichtshof hat die Beklagte daher zur Unterlassung verurteilt.
Die beanstandete Internetwerbung für das Waschgel verstößt gegen das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG). Eine wettbewerblich relevante Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung liegt unabhängig von dem konkret beanstandeten Werbemedium grundsätzlich vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht. Dies ist hier der Fall, da die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist und weder die Aufmachung der Verpackung das Vortäuschen einer größeren Füllmenge zuverlässig verhindert noch die gegebene Füllmenge auf technischen Erfordernissen beruht.
Quelle | BGH, Urteil vom 29.5.2024, I ZR 43/23, PM 119/24
| Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde mit Wirkung zum 1.1.2024 von 35 Euro auf 50 Euro erhöht. Diese Freigrenze gilt auch umsatzsteuerlich. Daher wurde der Umsatzsteuer-Anwendungserlass angepasst. |
Hintergrund: Für den Vorsteuerabzug kommt es (wie beim Betriebsausgabenabzug) auf die Höhe der Aufwendungen der Geschenke für jeden einzelnen Empfänger im Jahr an. Das bedeutet: Übersteigen die Aufwendungen 50 Euro nicht, ist der Vorsteuerabzug nach den Maßgaben des § 15 Umsatzsteuergesetz zulässig.
Beachten Sie | Sind Unternehmen zum Vorsteuerabzug berechtigt, ist die 50 Euro-Grenze eine Nettogrenze, ohne Vorsteuerabzugsberechtigung handelt es sich um eine Bruttogrenze.
Beispiel
Geschäftsfreund A erhält von der B-GmbH ein Geschenk im Wert von 55 Euro (inklusive 19 % Umsatzsteuer). Ein weiteres Geschenk an A ist für 2024 nicht vorgesehen. Da die B-GmbH zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, sind die Kosten unter den weiteren Voraussetzungen als Betriebsausgaben abzugsfähig (55 Euro/1,19 = 46,22 Euro).
Quelle | BMF-Schreiben vom 12.7.2024, III C 3 - S 7015/23/10002 :001 zur Anpassung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
| In der Versendung einer Gratisbeigabe (hier: Kopfhörer) liegt der Kaufvertragsabschluss über das Hauptprodukt (hier: Smartphone zu 92 Euro aufgrund eines Preisfehlers). So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. |
Im Onlinehandel liegt in der Übersendung einer Gratisbeigabe, deren Versendung einen Kaufvertrag über ein Hauptprodukt voraussetzt, auch die Annahme des Antrags auf Abschluss eines Kaufvertrags über das noch nicht versandte Hauptprodukt. Trotz eines sog. Preisfehlers kann der Kläger die Lieferung von neuen Smartphones zu 92 Euro statt 1.099 Euro laut unverbindlicher Preisempfehlung (UVP) verlangen, bestätigte das OLG.
Das war geschehen
Der Kläger nimmt die Beklagte auf die Lieferung und Übereignung von neun Smartphones in Anspruch. Die Beklagte betreibt den deutschen Onlineshop eines weltweit tätigen Elektronikkonzerns. Laut ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) liegt in einer Kundenbestellung über den Button „jetzt kaufen“ ein bindendes Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags. Die Auftragsbestätigung der Beklagten ist demnach noch keine Annahme dieses Angebots. Ein Kaufvertrag kommt laut AGB zustande, wenn die Beklagte das bestellte Produkt an den Käufer versendet und dies mit einer Versandbestätigung bestätigt. Dabei bezieht sich der Vertrag nur auf die in der Versandbestätigung bestätigten oder gelieferten Produkte.
Durch einen sogenannten Preisfehler bot die Beklagte online Smartphones für 92 Euro an. Der UVP für diese Produkte betrug 1.099 Euro. Zeitgleich bot die Beklagte bei Bestellungen bestimmte Kopfhörer als Gratisbeigabe an. Der Kläger bestellte im Rahmen von drei Bestellungen neun Smartphones sowie vier Gratis-Kopfhörer. Die Kaufpreise zahlte er umgehend. Noch im Laufe des Bestelltags änderte die Beklagte den Angebotspreis auf 928 Euro. Zwei Tage nach den Bestellungen versandte sie die vier Paar Kopfhörer an den Kläger und teilte dies jeweils per Mail mit. Knapp zwei Wochen später stornierte sie die Bestellung unter Verweis auf einen gravierenden Preisfehler. Der Kläger begehrt nun die Lieferung und Übereignung der Smartphones.
Gerichtliche Instanzen sind sich einig
Das Landgericht (LG) hatte der Klage stattgegeben. Diese Auffassung teilte das OLG im Rahmen seines Hinweisbeschlusses, der zur Rücknahme der Berufung führte: Zwischen den Parteien seien Kaufverträge über insgesamt neun Smartphones zustande gekommen. In den automatisiert erstellten Bestellbestätigungen liege zwar noch keine Annahmeerklärung, sondern allein die Bestätigung des Eingangs einer Bestellung.
Mit der Übersendung der Gratis-Kopfhörer habe die Beklagte jedoch den Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags auch in Bezug auf die in der jeweiligen Bestellung enthaltenen Smartphones angenommen: „Denn anders, als wenn in einer Bestellung mehrere kostenpflichtige Artikel zusammengefasst werden, war unbedingte Voraussetzung der kostenlosen Übersendung der Kopfhörer der Erwerb eines Smartphones. Zwischen dem Erwerb des Smartphones und der Übersendung der Kopfhörer bestand ein untrennbarer Zusammenhang dergestalt, dass die kostenlose Übersendung der Kopfhörer das wirksame Zustandekommen eines Kaufvertrags über das Hauptprodukt - das Smartphone – voraussetzt“, begründete das OLG.
Preisfehler ist dem Unternehmen zuzurechnen
Der Kläger habe die Mitteilung, dass sämtliche versprochenen Gratisbeigaben nun verschickt seien, nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte so verstehen dürfen, dass damit auch die Kaufverträge über die Smartphones bestätigt würden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass unstreitig der Preis für die Smartphones bereits am Bestelltag selbst auf 928 Euro korrigiert worden sei. Ab diesem Zeitpunkt sei daher von der Kenntnis von dem Preisfehler im Haus der Beklagten auszugehen. Dies sei ihr insgesamt zuzurechnen.
Quelle | OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 18.4.2024, 9 U 11/23, PM 38/24
| Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat Folgendes entschieden: Ist ein Geschäftsführer einer GmbH nicht am Gesellschaftskapital beteiligt, unterliegt er selbst dann der Sozialversicherungspflicht, wenn er die Geschäfte der Gesellschaft faktisch wie ein Alleininhaber führt. |
Hintergrund: Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Diese Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH.
Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei dem Geschäftsführer einer GmbH in erster Linie danach, ob er nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen.
Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der
- mindestens 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder
- bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag über eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt.
Beachten Sie | Hiervon kann auch bei besonderer Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen nicht abgesehen werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Betroffene faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führt, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hindern, er also „Kopf und Seele“ der Gesellschaft ist. So lautet die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Im Streitfall war der Ehemann als Fremd-Geschäftsführer am Stammkapital der GmbH nicht beteiligt. Alleinige Gesellschafterin war vielmehr seine Ehefrau, deren Weisungsrecht er unterlag. Diese Weisungsgebundenheit war weder aufgehoben noch eingeschränkt. Für das LSG Nordrhein-Westfalen war es unerheblich, dass der Ehemann die Möglichkeit hatte, als Vermieter der Betriebsstätte und wesentlicher Betriebsmittel sowie als Darlehensgeber wirtschaftlichen Druck auf die GmbH auszuüben. Denn dies eröffnet dem Fremd-Geschäftsführer keine erforderliche umfassende Einflussmöglichkeit, die der Stellung eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers entspricht.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.4.2024, L 8 BA 126/23, BSG, Urteil vom 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R
| Für Aussetzungszinsen gilt ein gesetzlicher Zinssatz von 6 % p. a. (0,5 % pro Monat). Diese Höhe hält der Bundesfinanzhof (BFH) fürverfassungswidrig und hat daher das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angerufen. |
Aussetzungszinsen
Ein Einspruch und eine Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: Der Steuerpflichtige muss die festgesetzte Steuer zunächst zahlen.
Beachten Sie | Auf Antrag soll aber eine Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese sogenannte Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist in der Abgabenordnung (§ 361 AO) geregelt.
Für den Steuerpflichtigen bedeutet das, dass er die Steuer zunächst nicht zahlen muss. Es droht aber eine Belastung mit Zinsen, wenn sein Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer „nachträglich“ zahlen muss. Er muss dann nämlich für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat (6 % p. a.) entrichten. Die Höhe dieser Aussetzungszinsen regelt § 237 i. V. mit 238 Abs. 1 S. 1 AO.
Nachzahlungs-/Erstattungszinsen
Es gibt allerdings auch andere Verzinsungstatbestände, z. B.für Steuererstattungen und Steuernachzahlungen. Hier war der Gesetzgeber wegeneines Beschlusses des BVerfG vom 8.7.2021 verpflichtet, den Zinssatz von 0,5 %pro Monat bzw. von 6 % p. a. anzupassen. Da sich der Beschluss des BVerfGallerdings nicht auf die Aussetzungszinsen und andereTeilverzinsungstatbestände erstreckte, wurde der Gesetzgeber nur bei denNachzahlungs- und Erstattungszinsen tätig. Hier beträgt der Zinssatz seit dem1.1.2019 nun lediglich 0,15 % pro Monat bzw. 1,8 % pro Jahr.
Bundesfinanzhof hält6 % AdV-Zinsen p. a. für verfassungswidrig
Nach Auffassung des BFH ist ein Zinssatz i. H. von 6 % p. a. für Aussetzungszinsen im Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist dieser Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen.
Zudem werden Steuerpflichtige, die AdV-Zinsen schulden und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, seit dem 1.1.2019 ungleich behandelt. Diese Zinssatzspreizung ist für den BFH verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Quelle | BFH, Beschluss vom 8.5.2024, VIII R 9/23, BFH, PM Nr. 34/24 vom 22.8.2024; BVerfG, Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17
| Für die Jahre 2022 bis 2026 gilt ab dem 21. Entfernungskilometer eine erhöhte Entfernungspauschale i. H. von 0,38 Euro. Für die ersten 20 Kilometer erfolgte indes keine Anpassung (weiterhin 0,30 Euro). Dagegen hatte ein Arbeitnehmer geklagt. Denn wegen seiner geringen Entfernung (acht Kilometer zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte) partizipierte er von der Erhöhung nicht. Die Klage hatte jedoch keinen Erfolg. Denn das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg hält die Neuregelung nicht fürverfassungswidrig. Das FG hatte jedoch die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Doch sie wurde nicht eingelegt, sodass das Urteil rechtskräftig ist. |
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.3.2024, 16 K 16092/23
| Aufwendungen für Handwerkerleistungen sind bei einer Vorauszahlung nicht steuerbegünstigt, wenn diese im Veranlagungszeitraum vor Ausführung der Handwerkerleistungen eigenmächtig erbracht wird. Dies hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf entschieden. |
Hintergrund: Für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen erhalten Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung in Höhe von 20 % der Aufwendungen (nur Lohnkosten) gemäß Einkommensteuergesetz (§ 35 a Abs. 3 EStG), höchstens jedoch 1.200 Euro im Jahr. Die Steuerermäßigung setzt voraus, dass der Steuerpflichtige eine Rechnung erhält und die Zahlung auf das Konto des Erbringers der Handwerkerleistung erfolgt.
Nach der Entscheidung des FG Düsseldorf genügt eine per E-Mail seitens des Auftraggebers mitgeteilte und eigenmächtig vorgenommene Vorauszahlung dem Rechnungserfordernis (gemäß § 35 a Abs. 5 S. 3 EStG) nicht. Im Streitfall hatte ein Ehepaar in den letzten Tagen des Jahres 2022 einen Abschlagsbetrag – ohne Aufforderung des Handwerksbetriebs – überwiesen, obwohl die Arbeiten erst im Jahr 2023 durchgeführt und auch dann erst in Rechnung gestellt werden sollten.
Vorauszahlungen können nur steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie marktüblich sind. Eine Anzahlung ohne jegliche Aufforderung des Leistungserbringers, mithin letztlich „ins Blaue hinein“, ist weder als marktüblich noch als sonst sachlich begründet anzusehen.
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 18.7.2024, 14 K 1966/23 E
| Der Betrieb eines Weinautomaten auf einem Privatgrundstück darf verboten werden. Das ergibt sich aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Koblenz. |
Verstoß gegen Jugendschutz?
Die Klägerin betreibt einen Automaten, in dem sie selbsterzeugten Wein und Sekt zum Verkauf anbietet. Der Automat steht seit Anfang 2023 auf einem Privatgrundstück; er ist an der Grenze zum öffentlichen Verkehrsraum aufgestellt und nur von der Straße aus zu bedienen. Ende April 2023 gab die Gemeinde der Klägerin gemäß Jugendschutzgesetz auf, den Weinautomaten außer Betrieb zu nehmen. Die Klägerin erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage.
Kein Verkauf in der Öffentlichkeit
Die Klage hatte keinen Erfolg. Die Klägerin, so das VG, dürfe den Weinautomaten aufgrund der Vorschriften des Jugendschutzgesetzes nicht betreiben. Denn danach dürften alkoholische Getränke in der Öffentlichkeit nicht in Automaten angeboten werden. Zwar sehe das Jugendschutzgesetz eine Ausnahme davon u. a. vor, wenn der Weinautomat in einem gewerblich genutzten Raum aufgestellt sei. An dieser Voraussetzung fehle es jedoch, da sich derAutomat auf dem Privatgrundstück der Klägerin befinde. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass Zigarettenautomaten – unabhängig von dem Belegenheitsort – bereits dann aufgestellt werden dürften, wenn eine jugendschutzkonforme Abgabe durch technische Vorrichtungen sichergestellt sei. Die unterschiedliche Behandlung von Zigaretten- und Alkoholautomaten sei aufgrund der verschiedenen Wirkweisen von Nikotin und Alkohol gerechtfertigt.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 27.5.2024, 3 K 972/23.KO, PM 14/24
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Sie erfasst Arbeitnehmer, teilweise sind aber auch Unternehmer versichert oder können sich freiwillig versichern lassen. Voraussetzung des Versicherungsschutzes bei einem Unfall ist dabei, dass dieser bei der versicherten betrieblichen Tätigkeit erfolgt und damit ein Arbeitsunfall ist. Was zur betrieblichen Tätigkeit und was zum privaten Bereich gehört, ist oft strittig und Kernfrage sozialgerichtlicher Verfahren. Einen solchen Fall hatte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zu klären. |
Fahrlehrer suchte passende Strecke
Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls war in einem Fall eines selbstständigen und gesetzlich unfallversicherten Motorrad-Fahrtrainers – dem Kläger – vor dem LSG zu klären. Der Kläger erlitt eine Luxation der linken Schulter, als er im April 2019 bei einer allein unternommenen Fahrt mit ca. 50 km/h in einer Kurve stürzte. Der Unfallort lag etwa 50 km von seinem Wohn- und Unternehmenssitz im Landkreis Tübingen entfernt. Seiner gesetzlichen Unfallversicherung – der Beklagten – teilte er mit, er habe am nächsten Tag einen Schüler mit speziellen Problemen bei Serpentinen gehabt und sei deswegen auf der Suche nach der passenden Strecke für die Schulung gewesen. Er könne sein Fahrtraining nur ordentlich durchführen, wenn er perfekte Orts- und Straßenkenntnisse habe. Umso wichtiger sei dies am Anfang der Saison, da sich über den Winter Straßen oft gravierend verändern würden.
Keine Anerkennung als Arbeitsunfall
Die Beklagte erkannte das Ereignis nicht als Arbeitsunfall an, da es sich um eine unversicherte Vorbereitungshandlung gehandelt habe. Vorbereitende Tätigkeiten wie z. B. eine „Erkundigungsfahrt“ zur Arbeit seien grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. Ausnahmsweise seien Vorbereitungshandlungen u. a. versichert, wenn der jeweilige Versicherungstatbestand nach seinem Schutzzweck auch Vor- und Nachbereitungshandlungen erfasse, die für die versicherte Hauptverrichtung im Einzelfall notwendig sind und in einem sehr engen sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Hier fehle es an einem engen Zusammenhang zwischen der behaupteten Vorbereitungshandlung und der erst am Folgetag vorgesehenen versicherten Tätigkeit.
Erfolg in der Berufung
Nachdem das Sozialgericht (SG) die Klage in erster Instanz abwies, hatte der Kläger mit seiner Berufung Erfolg. Das LSG Baden-Württemberg stellte fest, dass der fragliche Unfall ein Arbeitsunfall gewesen ist.
Landessozialgericht sah versicherte Tätigkeit
Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass die Unfallfahrt zu der versicherten Tätigkeit des Klägers gehört habe. Dieser sei zu seiner unfallbringenden Motorradfahrt allein aus dem Grund aufgebrochen, um für seine am nächsten Tag geplante Trainingsfahrt eine geeignete und sichere Strecke zu testen, was objektiv dem Ziel seines bei der Beklagten versicherten Unternehmens gedient und hierzu auch nicht in einem wirtschaftlichen Missverhältnis gestanden habe. Zwar könne es unwirtschaftlich erscheinen, für ein Fahrsicherheitstraining von ca. einem halben Tag Dauer eine so weit vom Wohnsitz des Klägers entfernte Strecke zu wählen, und diese dann auch noch am Vorabend auf eigene Kosten abzufahren. Insoweit sei aber wiederum der Hinweis des Klägers nachvollziehbar, dass bereits auf der Hinfahrt zu der Strecke der Fahrschüler professionell beobachtet werde. Zudem sei eine solche Erkundungsfahrt auch nach den Einlassungen des Klägers nicht die Regel und sei hier vorrangig dem Beginn der Motorradsaison und den hiermit verbundenen Unwägbarkeiten bezüglich geeigneter Straßenbeläge geschuldet gewesen.
Sofern – wie hier – festzustellen sei, dass eine Tätigkeit selbst als versicherte Tätigkeit anzusehen ist, könne diese nicht mehr als unversicherte Vorbereitungshandlung qualifiziert werden. Es habe zur seriösen Geschäftsausübung des Klägers gehört, dass er Fahrsicherheitstrainings nicht auf Strecken anbot, die nach der Winterpause ein unbekanntes Gefahrenpotential aufwiesen. Das Abfahren der Strecke sei daher objektiv sinnvoll und Teil der den Fahrschülern geschuldeten Hauptleistung als vertragliche Nebenpflicht, durch geeignete Maßnahmen eine Gefährdung der Fahrschüler so weit wie möglich und vertretbar zu reduzieren.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.4.2024, L 3 AS 101/24, PM vom 2.4.2024
| Kauft ein Pfandleihhaus ein Kraftfahrzeug an, um es anschließend an den Verkäufer wieder zu vermieten und beträgt der Marktwert des Fahrzeugs das Fünf- bis Sechsfache des vereinbarten Kaufpreises, sind Kauf- und Mietvertrag wegen Wucher nichtig. Der Verkäufer kann die gezahlten Mieten zurückverlangen, ohne sich den erhaltenen Kaufpreis anrechnen lassen zu müssen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Pfandhaus kauft Fahrzeuge an und vermietet sie wieder
Die Beklagte betreibt bundesweit ein staatlich zugelassenes Pfandleihhaus. Ihr Geschäftsmodell ist darauf gerichtet, Kraftfahrzeuge den Eigentümern abzukaufen und sie ihnen nachfolgend gegen monatliche Zahlungen zu vermieten. Nach Ende der Mietzeit erhält die Beklagte das Fahrzeug zurück und darf es öffentlich versteigern.
Die Klägerin verkaufte ihr Fahrzeug 2020 an die Beklagte für 3.000 Euro. Der Händlereinkaufspreis lag bei rund 15.000 Euro, der objektive Marktwert bei mehr als 18.000 Euro. Anschließend mietete die Klägerin das Fahrzeug für 297 Euro monatlich zurück und übernahm die Kosten für Steuern, Versicherung, Wartung und Reparaturen. Nach Kündigung des Vertrags durch die Beklagte gab die Klägerin das Fahrzeug nicht zurück. Der Beklagten gelang es nicht, das Fahrzeug sicherzustellen.
Klage erfolglos
Auf die Klage hin verurteilte das Landgericht (LG) die Beklagte, die geleistete Miete zurückzuzahlen und stellte fest, dass die Klägerin ihr Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren hat. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Sittenwidrigkeit: Kauf- und Mietvertrag nichtig
Sowohl der Kauf- als auch der Mietvertrag seien nichtig, begründete das OLG seine Entscheidung. Sie seien als wucherähnliche Geschäfte sittenwidrig. Es liege ein grobes und auffälliges Missverhältnis zwischen Marktwert und Kaufpreis vor, da gemäß den überzeugenden sachverständigen Ausführungen der Marktwert des Fahrzeugs über dem fünf- bis sechsfachen des Kaufpreises gelegen habe.
Auf die verwerfliche Gesinnung der Beklagten könne angesichts dieses Missverhältnisses ohne Weiteres geschlossen werden. Angesichts des Geschäftsmodells sei auch davon auszugehen, dass sich die Beklagte den mit Abschluss des Kaufvertrags erzielten Mehrwert endgültig habe einverleiben wollen, auch wenn im Fall der Versteigerung des Fahrzeugs nach Mietende ein etwaiger Mehrerlös dem Verkäufer hätte zugewandt werden müssen. Kauf- und Mietvertrag bildeten dabei ein einheitliches Rechtsgeschäft. Die Klägerin habe das Fahrzeug nur verkaufen wollen, wenn sie es zugleich weiternutzen könne. Der Mietvertrag sei damit ebenfalls nichtig und die gezahlte Miete zurückzuzahlen.
Keine Rückzahlung des Kaufpreises
Obwohl die Klägerin das Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren habe, müsse sie wegen der sittenwidrigen Übervorteilung auch nicht den Kaufpreis an die Beklagte zurückzahlen. Die Beklagte könne den Kaufpreis nicht zurückverlangen, da ihr objektiv ein Sittenverstoß anzulasten sei und sie sich angesichts des auffälligen Missverhältnisses der Rechtswidrigkeit ihres Handelns zumindest leichtfertig verschlossen habe.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.4.2024, 2 U 115/20, PM 26/24
| Das Dach eines Flachdachanbaus einer WEG-Anlage ist selbst dann Gemeinschaftseigentum, wenn alle darunterliegenden Räume zu einer Sondereigentumseinheit gehören. Für die Gültigkeit eines Grundlagenbeschlusses ist es daher nicht erforderlich, dass der Beschlussersetzungsantrag auch die inhaltliche Konkretisierung umfasst. Diese Konkretisierungen können den Eigentümern überlassen werden. So sieht es das Landgericht (LG) Karlsruhe. |
Das Dach sollte instand gesetzt werden
Gestritten wurde um die Instandsetzung des Dachs über einer Gaststättenküche in einer WEG-Anlage, die im Sondereigentum eines Eigentümers steht und ein eigenes Flachdach hat. In der Teilungserklärung ist das Sondereigentum als „Einrichtungen und Anlagen“ definiert, soweit diese nicht dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienen, sondern nur dem Sondereigentümer zu dienen bestimmt sind. Der Eigentümer begehrte durch Beschlussersetzung, dass die Instandsetzung des Dachs beschlossen wird. Die Wohnungseigentümergemeinschaft war der Ansicht, dass der Eigentümer die Instandsetzungskosten allein tragen müsse. Für die Beschlussersetzung fehle es an der sogenannten Ermessensreduzierung auf Null.
Beschluss war ungültig
Das Amtsgericht (AG) hatte der Klage zunächst stattgegeben. Die Berufung vor dem LG hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der Negativbeschluss sei ungültig, so das LG in zweiter Instanz. Die Ablehnung einer positiven Beschlussfassung widerspreche ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn der Anspruch offenkundig und ohne jeden vernünftigen Zweifel gegeben sei. Das habe schon der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.
Ein Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme, die die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums betreffe, bestehe nur, wenn sich das Ermessen der Gemeinschaft im Einzelfall auf Null reduziert habe, sich also jede andere Entscheidung als ermessensfehlerhaft darstellte. Die abgelehnte Sanierung sei dringend erforderlich und stelle eine notwendige Instandsetzungsmaßnahme dar.
Konstruktive Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig
Bei dem Dach handele es sich auch nicht um Sondereigentum.
Das LG hat klargestellt, dass die konstruktiven Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig sind, selbst wenn alle Räume des Gebäudes dem Sondereigentum eines Eigentümers unterliegen. Unerheblich ist eine mögliche widersprechende Regelung in der Teilungserklärung. Denn eine Regelung, die nicht sondereigentumsfähige Gebäudeteile zum Inhalt des Sondereigentums erklärt, ist nichtig.
Zulässig sei es, lediglich einen Grundlagenbeschluss zu treffen, also anzuordnen, dass eine Instandsetzung bestimmter Bauteile zu erfolgen habe, und den Wohnungseigentümern im Übrigen die weitere inhaltliche Konkretisierung (Auswahl des Fachunternehmens, Finanzierung der Maßnahme, etc.) zustehe. Es sei also nicht zu beanstanden, dass der Beschlussersetzungsantrag nur auf das „Ob“ der Instandsetzung, nicht jedoch bereits auf das „Wie“ ziele.
Quelle | LG Karlsruhe, Urteil vom 8.3.2024, 11 S 53/22
| Ein Vermieter muss nicht schon für jede mehr als unerhebliche Beeinträchtigung des bis zur Veränderung der äußeren Umstände gewohnten Nutzens der Mietsache einstehen. Er haftet nur für solche Umfeldveränderungen, die er selber nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 906 BGB) abwehren kann oder nur gegen Ausgleichszahlung hinnehmen muss. Die Freiheit von dahinter zurückbleibenden Einwirkungen auf das Grundstück, die ein Grundstückseigentümer ausgleichslos hinnehmen muss, sind danach gar nicht Gegenstand des vertraglichen Leistungsversprechens des Vermieters und der Gewährleistung. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Vorinstanz: Mieterin hat nicht genug vorgetragen
Die Wohnungsmieterin verlangte von der Vermieterin eine Mietminderung. Sie behauptete, die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung sei durch eine Baustelle auf dem Nachbargrundstück erheblich beeinträchtigt. Vor dem AG hatte sie damit keinen Erfolg. Sie habe nicht schlüssig dargetan, dass der Nutzen der Wohnung durch die Baustelle über das hinzunehmende Maß hinaus beeinträchtigt gewesen sei, so das AG. Darüber hinaus habe die Mieterin zur konkreten Beeinträchtigung des Wohnungsnutzens nicht ausreichend vorgetragen, sondern nur geltend gemacht, dass sie die Mieträume lediglich in Baupausen habe lüften können. Soweit sie die Unbenutzbarkeit des Balkons wegen Lärm und Staub behauptet habe, sei das unschlüssig, weil unklar bleibe, wo sich der Balkon im Verhältnis zur Baustelle auf dem Nachbargrundstück befinde.
Im Berufungsverfahren argumentierte die Mieterin, dass sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ausreichend zu den Auswirkungen der Baumaßnahmen vorgetragen habe; das Gericht müsse sich nun in einer Beweisaufnahme davon überzeugen, ob ein Mangel vorliege oder nicht.
So sah es das Landgericht
Das sah das LG anders und wies die Berufung zurück. Die Baumaßnahmen hätten nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung geführt, die die Vermieterin nicht gemäß § 906 Abs. 2 S. 1 BGB hätte unterbinden können oder gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB nur gegen eine angemessene Ausgleichszahlung hätte dulden müssen.
Beeinträchtigung war durch Dritte verursacht
Das Risiko einer nach Mietvertragsschluss – auch zufällig – eintretenden Verringerung des Nutzens der Mietsache sei nicht dem Vermieter zuzuordnen, da es sich bei einer durch Dritte verursachten Nutzungsbeeinträchtigung aus Sicht beider Vertragsparteien um ein unabwendbares Ereignis handeln könne, für das ein Vermieter erkennbar keine Haftung übernehmen wolle und billigerweise auch nicht übernehmen müsse.
An die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung sei der in der Rechtsprechung entwickelte strenge Maßstab anzulegen, der auch bei der unmittelbaren Anwendung des § 906 BGB im Nachbarschaftsrecht gelte. Andernfalls liefe das Kriterium nicht nur weitgehend leer, sondern der Vermieter wäre Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt, ohne erfolgreich gegen den Grundstücksnachbarn als Verursacher der Störungen vorgehen und diesen gegebenenfalls in Regress nehmen zu können.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 8.2.2024, 64 S 319/21
| Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte die Frage zu entscheiden, ob die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit gegeben ist. |
Der Erblasser, ein kinderloser deutscher Staatsangehöriger, ist im Jahr 2023 in einem Pflegeheim in Polen verstorben. Zuvor lebte er mit seiner (zweiten) Ehefrau sowie in verschiedenen Pflegeheimen in Deutschland. Anfang 2022 machte sich bei ihm eine zunehmende Demenz bemerkbar, die ihn zum Pflegefall machte. Seit April 2023 lebte er in einem Pflegeheim in Polen. Dort hatte er kein Vermögen, er sprach kein polnisch und hatte familiäre sowie soziale Verbindungen allein nach Deutschland. Er wurde gegen bzw. ohne seinen Willen in dem Pflegeheim in Polen untergebracht. Nach dem Tod des Erblassers stellte seine Ehefrau einen Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins beim Nachlassgericht des Amtsgerichts (AG) Singen. Dies hat den Antrag mangels internationaler Zuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.12 (Art. 4 EuErbVO) zurückgewiesen. Der dagegen gerichteten Beschwerde hat das AG nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
Das OLG Karlsruhe hat den Beschluss des Nachlassgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben sei, weil der Erblasser seinen (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe.
Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ sei unionsautonom (gem. Art 23 u. 24 EuErbVO) auszulegen. In objektiver Hinsicht müsse zumindest ein tatsächlicher Aufenthalt („körperliche Anwesenheit“) gegeben sein, auf eine konkrete Dauer oder die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts komme es hingegen nicht an. Unschädlich sei auch eine vorübergehende Abwesenheit, soweit ein Rückkehrwille bestand. In subjektiver Hinsicht sei das Vorliegen eines animus manendi (Bleibewille) erforderlich, also der nach außen manifestierte Wille, seinen Lebensmittelpunkt am Ort des tatsächlichen Aufenthalts auf Dauer zu begründen. Eines rechtsgeschäftlichen Willens bedürfe es insoweit nicht. Werden pflegebedürftige Personen in ausländischen Pflegeheimen untergebracht, komme es ebenfalls grundsätzlich auf deren Bleibewillen an. Könnten diese zum Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels keinen eigenen Willen mehr bilden oder erfolgt die Unterbringung gegen ihren Willen, fehle es an dem für die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts erforderlichen Bleibewillens. Dies sei hier der Fall.
Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.7.2024, 14 W 50/24 Wx
| Im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragte die Antragstellerin B., ungedeckte Heimkosten zu erstatten. B. bezieht verschiedene Renten; weiter hatte sie Mitte 2018 ihr hälftiges Grundstückseigentum sowie darüber hinaus ihren Anteil an der Erbengemeinschaft nach ihrem Mann unentgeltlich an ihre Kinder übertragen. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat den Antrag der B. zurückgewiesen. Sie verfüge sowohl über Einkommen als auch über Vermögen, das sie vorrangig zur Beseitigung ihrer Hilfsbedürftigkeit einsetzen muss. Erst nach dessen Verbrauch könne ein erneuter Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt werden. |
Das Einkommen der B. besteht aus Rentenansprüchen. Neben diesem Einkommen, das vollständig einzusetzen ist, kann (und muss) B. auch über ihr Vermögen verfügen. Dieses besteht in Form eines Schenkungsrückforderungsanspruchs gegenüber ihren Kindern. Denn der Schenker kann von den Beschenkten die Herausgabe des Geschenks verlangen, wenn er nach Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten.
Der Anspruch ist erst ausgeschlossen, wenn zehn Jahre seit der Schenkung vergangen sind. Diese Frist war hier noch nicht abgelaufen. Die Beschenkten können die Herausgabe allerdings durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags abwenden.
Quelle | SG Lüneburg, Beschluss vom 21.5.2024, S 38 SO 23/24 ER
| Der Eigentümer eines denkmalgeschützten Wohngebäudes hat Anspruch auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzaunes auf seinem Grundstück. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks mit einem Wohngebäude, das seit 1998 als Kulturdenkmal unter Schutz gestellt ist. Seinen Antrag auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzauns auf der bestehenden, zwischen einem und 1,60 Meter hohen Einfriedungsmauer entlang der Straße lehnte die beklagte Stadt ab. Seine entsprechende Klage wies das Verwaltungsgericht (VG) ab. Auf seine Berufung hob das OVG das Urteil des VG auf und verpflichtete die Beklagte, ihm die beantragte Genehmigung zu erteilen.
Es stehe außer Frage, dass der Solarzaun einer Genehmigung bedürfe. Diese werde nach dem rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetz (hier: § 13 Abs. 2 DSchG) nur erteilt, wenn entweder (1.) Belange des Denkmalschutzes nicht entgegenstünden oder wenn (2.) andere Erfordernisse des Gemeinwohls oder private Belange diejenigen des Denkmalschutzes überwiegen würden und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne. Zwar sei mit dem VG davon auszugehen, dass Belange des Denkmalschutzes im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 1 DSchG einer Genehmigung entgegen stünden. Das Vorhaben des Klägers erfülle aber die Anforderungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 DSchG, weil andere Erfordernisse des Gemeinwohls vorrangig seien und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne.
Das öffentliche Interesse an der Errichtung des Solarzauns sei vorliegend von solchem Gewicht, dass das Interesse an der unveränderten Erhaltung des Erscheinungsbildes des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes zurückzustehen habe und die Erteilung der Genehmigung geboten erscheine. Dies folge aus § 2 des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz) – EEG. Danach lägen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dienten der öffentlichen Sicherheit. Besondere atypische Umstände, die ein abweichendes Ergebnis der Abwägung nach sich zögen, seien nicht ersichtlich.
Den somit bestehenden überwiegenden Interessen des Gemeinwohls könne auch nicht auf sonstige Weise Rechnung getragen werden. Der Schutzzweck des § 2 EEG stehe einer Prüfung von alternativen Standorten für Anlagen der erneuerbaren Energien an anderen Stellen des klägerischen Grundstücks von vornherein entgegen. Unabhängig davon komme ein Alternativstandort für eine Solaranlage auf dem Grundstück des Klägers auch tatsächlich nicht in Betracht.
Quelle | OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.8.2024, 1 A 10604/23.OVG, PM 14/24
| Ein Landkreis hatte einem Ehepaar untersagt, im Garten ihres Wohngrundstücks Minischweine zu halten. Das Ehepaar klagte dagegen vor dem Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt a. M. – erfolglos. |
Anwohner beschwerten sich
Die Kläger sind Eigentümer eines Wohngrundstücks, das in einem durch Bebauungsplan festgesetzten allgemeinen Wohngebiet liegt. Sie halten im Garten ihres Grundstücks seit 2022 sogenannte Minischweine. Nach Anwohnerbeschwerden forderte der Beklagte die Kläger im November 2023 auf, die beiden Schweine von ihrem Grundstück zu entfernen, da das Halten von Schweinen in allgemeinen Wohngebieten unzulässig sei.
Klage der Eigentümer abgewiesen
Das VG hat die Klage abgewiesen. Das Halten von zwei Minischweinen im Garten ihres in einem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Wohnanwesens sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Der Bebauungsplan weise das Gebiet als allgemeines Wohngebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung (BauNVO) aus. Anlagen zur Tierhaltung gehörten nicht zu den in allgemeinen Wohngebieten zulässigen Anlagen. Allgemeine Wohngebiete dienten vorwiegend dem Wohnen.
Gebietsuntypische Störungen unzulässig
Die gebietstypische Schutzwürdigkeit und Störempfindlichkeit werde in allgemeinen Wohngebieten im Wesentlichen von der störempfindlichen Hauptnutzungsart bestimmt. Das Wohnen dürfe keinen gebietsunüblichen Störungen ausgesetzt werden.
Zwar seien nach der Baunutzungsverordnung (hier: § 14 BauNVO) in Wohngebieten untergeordnete Nebenanlagen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Grundstücke oder des Wohngebiets selbst dienten und die seiner Eigenart nicht widersprächen. Zu diesen untergeordneten Nebenanlagen gehörten auch solche für die Kleintierhaltung. Allerdings ermögliche § 14 BauNVO als Annex zum Wohnen eine Kleintierhaltung nur, wenn sie in dem betreffenden Baugebiet üblich und ungefährlich sei und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprenge.
Ziegen, Schweine, Schafe: Haltung in Wohngebieten heutzutage unüblich
Kleintiere seien Nutztiere ebenso wie Hobbytiere, die zum Schutz, zur Unterhaltung oder zur Ernährung gehalten würden. In den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten dürften nur solche Kleintiere gehalten werden, die der für eine Wohnnutzung charakteristischen Freizeitbeschäftigung entsprächen. Als Kleintiere würden im Allgemeinen etwa Katzen und Hunde angesehen. Dagegen sei in den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten die Haltung von Ziegen, Schafen und Schweinen in der heutigen Zeit nicht mehr üblich und unzulässig. Eine unterschiedliche Behandlung zwischen sogenannten Hausschweinen, Hängebauchschweinen und Minischweinen sei dabei nicht angezeigt. Minischweine könnten bis zu einem Meter lang werden und bis zu 100 kg wiegen.
Geräusch- und Geruchsbelästigungen
Das Halten von Schweinen in einem allgemeinen Wohngebiet führe typischerweise zu Geräusch- und Geruchsbelästigungen, die in Wohngebieten unüblich seien. Von Schweinen, die sich ganzjährig rund um die Uhr hauptsächlich im Freien aufhielten, gingen ungefilterte Gerüche und Geräusche aus, die unmittelbar die Umgebung belasteten. Aufgrund ihrer Größe und Anzahl komme es bei Schweinen zudem zu erheblichen Ausscheidungen, die gebietsuntypische Gerüche verbreiteten.
Ursprünglich dörflicher Charakter der Gemeinde unerheblich
Hieran ändere auch nichts, dass die betreffende Gemeinde ursprünglich einen dörflichen Charakter gehabt habe oder gar mit dem Spruch „Größtes Dorf der Welt“ werbe. Gegenwärtig zeichne sich die unmittelbare Umgebung des streitgegenständlichen Grundstücks - auf die es im vorliegenden Fall allein ankomme - durch weit überwiegende Wohnnutzung aus.
Zwar könne im Einzelfall die Üblichkeit der Kleintierhaltung abweichend von der typisierenden Betrachtung bejaht werden, wenn eine konkrete Betrachtung ergebe, dass in der Nachbarschaft vergleichbare Nutzungen vorhanden seien und sich die Bewohner des Baugebiets damit abgefunden hätten. Letzteres sei hier jedoch nicht der Fall.
Quelle | VG Neustadt a. M., Urteil vom 11.9.2024, 5 K427/24, PM 14/24
| Notdienste eines Kundendiensttechnikers, die dadurch gekennzeichnet sind, dass er sich an einem frei wählbaren Ort aufhalten kann, aber telefonisch erreichbar sein und zu einem Notdiensteinsatz binnen einer Stunde am Einsatzort eintreffen muss, wenn er angefordert wird, sind Rufbereitschaftsdienste und keine Bereitschaftsdienste. Voraussetzung: Unter Berücksichtigung der Anfahrtszeit verbleiben noch 30 Minuten Zeit, bis der Arbeitnehmer aufbrechen muss. Zu diesem Ergebnis kommt das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. |
Notdienst nur sehr selten
Außerdem erläuterte das Gericht, dass das oben Gesagte zumindest dann gelte, wenn eine tatsächliche Anforderung im Notdienst äußerst selten vorkomme – im vorliegenden Fall lediglich in einem Umfang von 0,67 % der Gesamt-Notdienstbereitschaftszeit.
Ruhezeit
Liege arbeitsschutzrechtlich Rufbereitschaft und kein Bereitschaftsdienst vor, handele es sich um Ruhezeit im Sinne desArbeitszeitgesetzes (hier: § 5 ArbZG). Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff folge hier dem arbeitsschutzrechtlichen, sodass – soweit keine gesonderte Regelung im Arbeitsvertrag, in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zur Anwendung gelange – keine Vergütungspflicht bestehe.
Ausgenommen hiervon seien die Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung im Rahmen der Aktivierung aus dem Notdienst heraus, die als Vollarbeit zu vergüten sind.
Mindestlohngesetz
Auch das Mindestlohngesetz knüpfe an geleistete Zeitstunden an und mithin an den vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff. Arbeitsschutzrechtliche Ruhezeit sei weder arbeitsschutz- noch vergütungsrechtlich Arbeitszeit und begründet daher auch keine Mindestlohnansprüche.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.4.2024, 3 SLa 10/24
| Ein Reitverein muss für von ihm angebotenen Reitunterricht Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wenn der Unterricht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung erbracht wird. Hierfür spricht, wenn die Reitlehrerin die vereinseigenen Pferde sowie die Reithalle unentgeltlich nutzen kann und sie kein unternehmerisches Risiko trägt. Dies entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG). |
Reitverein muss Sozialversicherungsbeiträge und -nachforderungen zahlen und klagt
Eine Reitlehrerin unterrichtete Mitglieder eines gemeinnützigen Reitvereins mit den vereinseigenen Schulpferden auf dem Vereinsgelände zwischen 12 und 20 Stunden wöchentlich. In den Jahren 2015 bis 2018 zahlte ihr der Verein pro Reitstunde 18 Euro. Die Deutsche Rentenversicherung prüfte den Betrieb des Reitvereins. Sie stellte fest, dass die Reitlehrerin abhängig beschäftigt ist und forderte von dem Verein Rentenversicherungsbeiträge nach. Der Reitverein wandte hiergegen ein, dass die Reitlehrerin selbstständig tätig sei.
Landessozialgericht bestätigt Beitragspflicht des Reitvereins
Das LSG gab der Rentenversicherung Recht. Die Beitragsnachforderung sei rechtmäßig. Eine abhängige Beschäftigung liege vor. Zwar könne ein nebenberuflicher Übungsleiter oder Trainer in Sportvereinen auch selbstständig tätig sein, wie das Vertragsmuster „Freier-Mitarbeiter-Vertrag Übungsleiter Sport“ der Rentenversicherung belege. Ein solcher Vertrag sei jedoch vorliegend zwischen dem Reitverein und der Reitlehrerin nicht geschlossen worden.
Zudem sprächen im konkreten Einzelfall mehr Anhaltspunkte für das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung. So habe die Reitlehrerin kein unternehmerisches Risiko getragen. Sie habe keine Rechnungen erstellt und ausschließlich die vereinseigenen Pferde einschließlich Sattel und Zaumzeug genutzt, wofür sie - wie auch für die Nutzung der Reithalle - kein Entgelt gezahlt habe. Die Hallenzeiten habe sie mit dem Reitverein abgestimmt. Der Reitverein habe die Stundenvergütung vorgegeben. Die Jahresvergütung von durchschnittlich über 6.500 Euro habe die steuerfreie Aufwandspauschale für Übungsleiter (bis 2020: 2.400 Euro jährlich) weit überschritten. Schließlich habe der Reitverein auf seiner Homepage mit „unsere Reitlehrerin“ geworben und selbst die Verträge über den Reitunterricht mit den Reitschülern geschlossen.
Da die Rentenversicherung nur die über der Aufwandspauschale für Übungsleiter liegenden Einkünfte bei der Beitragsberechnung berücksichtigt habe, sei auch die Höhe der Beitragsforderung zutreffend.
Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.
Quelle | Hessisches LSG, Urteil vom 18.6.2024, L 1 BA 22/23,PM 6/24
| Die gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 3 Nr. 11 c EStG) geregelte Steuerfreiheit der (freiwilligen) Inflationsausgleichsprämie sieht keine Regelung vor, dass die Prämie an alle Arbeitnehmer ausgezahlt werden muss. Somit ist der Arbeitgeber nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen grundsätzlich nicht daran gehindert, die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie an weitere Bedingungen zu knüpfen. |
Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt
Es verstößt nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein Arbeitgeber zur weiteren Bedingung der Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie macht, dass der Beschäftigte Teil seiner „active workforce“ ist, sodass z. B. Beschäftigte in der Passivphase der Altersteilzeit von der Prämie ausgeschlossen sind.
Steuerfreie Inflationsausgleichsprämie bis zu 3.000 Euro
Die freiwillige Inflationsausgleichsprämie kann vom 26.10.2022 bis Ende 2024 gewährt werden. Bei den 3.000 Euro handelt es sich um einen steuerlichen Freibetrag, der auch in mehreren Teilbeträgen ausgezahlt werden kann.
Begünstigt sind auch Zahlungen an Minijobber. Da die Zahlung steuer- und beitragsfrei ist, wird sie nicht auf die Minijobgrenze angerechnet.
Zusätzlich zum Arbeitslohn
Die Zahlungen müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erfolgen. Nach § 8 Abs. 4 EStG werden Leistungen nur dann zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, wenn
- die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
- der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
- die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
- bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.
Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 21.2.2024, 8 Sa 564/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Die Werbung mit einem mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff (hier: „klimaneutral“) ist regelmäßig nur zulässig, wenn in der Werbung selbst erläutert wird, welche konkrete Bedeutung diesem Begriff zukommt. |
Das war geschehen
Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte ist ein Unternehmen, das Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz herstellt. Die Produkte sind im Lebensmitteleinzelhandel, an Kiosken und an Tankstellen erhältlich. Die Beklagte warb in einer Fachzeitung der Lebensmittelbranche mit der Aussage: „Seit 2021 produziert [die Beklagte] alle Produkte klimaneutral“ und einem Logo, das den Begriff „klimaneutral“ zeigt und auf die Internetseite eines „ClimatePartner“ hinweist. Der Herstellungsprozess der Produkte der Beklagten läuft nicht CO2-neutral ab. Die Beklagte unterstützt indes über den „ClimatePartner“ Klimaschutzprojekte.
Irreführend: Herstellungsprozess selbst nicht klimaneutral
Die Klägerin hält die Werbeaussage für irreführend. Die angesprochenen Verkehrskreise verstünden diese so, dass der Herstellungsprozess selbst klimaneutral ablaufe. Zumindest müsse die Werbeaussage dahingehend ergänzt werden, dass die Klimaneutralität erst durch kompensatorische Maßnahmen hergestellt werde. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH hat die Beklagte zur Unterlassung der Werbung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten verurteilt. Die beanstandete Werbung ist irreführend im Sinne des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 UWG).
Die Werbung ist mehrdeutig, weil der Begriff „klimaneutral“ nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen von den Lesern der Fachzeitung – nicht anders als von Verbrauchern – sowohl im Sinne einer Reduktion von CO2 im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO2 verstanden werden kann. Im Bereich der umweltbezogenen Werbung ist – ebenso, wie bei gesundheitsbezogener Werbung – eine Irreführungsgefahr besonders groß und es besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen. Bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff, wie „klimaneutral“, verwendet, muss deshalb zur Vermeidung einer Irreführung regelmäßig bereits in der Werbung selbst erläutert werden, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist. Aufklärende Hinweise außerhalb der umweltbezogenen Werbung sind insoweit nicht ausreichend.
Irreführende Werbung relevant für Kaufentscheidung
Eine Erläuterung des Begriffs „klimaneutral“ war hier insbesondere erforderlich, weil die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität darstellen, sondern die Reduktion gegenüber der Kompensation unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes vorrangig ist. Die Irreführung ist auch wettbewerblich relevant, da die Bewerbung eines Produkts mit einer vermeintlichen Klimaneutralität für die Kaufentscheidung des Verbrauchers von erheblicher Bedeutung ist.
Quelle | BGH, Urteil vom 27.6.2024, I ZR 98/23, PM 138/24
| Die Aufzeichnungspflichten nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 4 Abs. 7 des EStG) für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind bei einem Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt, nur erfüllt, wenn sämtliche Aufwendungen einzeln fortlaufend in einem gesonderten Dokument oder Datensatz aufgezeichnet werden. Eine reine Belegsammlung mit Aufaddieren der Positionen nach Abschluss des Veranlagungszeitraums ist nicht ausreichend. Da der Bundesfinanzhof (BFH) gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Hessen kürzlich die Revision zugelassen hat, ist mit einer weiteren Präzisierung der Rechtsprechungsgrundsätze zu rechnen. |
Hintergrund: § 4 Abs. 5 EStG schränkt den Abzug für gewisse Betriebsausgaben ein. So wirken sich z. B. Aufwendungen für Geschenke an Geschäftspartner und Kunden nur steuermindernd aus, wenn eine Grenze von 50 Euro eingehalten wird. Und auch für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer besteht eine Abzugsbeschränkung.
Aufzeichnungspflichten
Darüber hinaus sind die Aufwendungen i. S. des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 4, 6 b und 7 EStG einzeln und getrennt von den sonstigen Betriebsausgaben aufzuzeichnen. Soweit diese Aufwendungen nicht bereits nach Abs. 5 vom Abzug ausgeschlossen sind, dürfen sie bei der Gewinnermittlung nur berücksichtigt werden, wenn sie besonders aufgezeichnet sind.
Beachten Sie | Bei den Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG handelt es sich um eine zusätzliche materiell-rechtliche Voraussetzung für den Betriebsausgabenabzug. Bei Verstößen droht das Abzugsverbot. Dieses Abzugsverbot wird auch bei einer Gewinnermittlung per Einnahmen-Überschussrechnung so umgesetzt, dass die betroffenen Aufwendungen dem Gewinn als Betriebseinnahmen hinzugerechnet werden.
Finanzierungs- und Energiekosten dürfen geschätzt werden
Nach Ansicht der Finanzverwaltung bestehen keine Bedenken, wenn die auf das Arbeitszimmer anteilig entfallenden Finanzierungskosten im Wege der Schätzung ermittelt werden und nach Ablauf des Wirtschafts- oder Kalenderjahrs eine Aufzeichnung aufgrund der Jahresabrechnung des Kreditinstituts erfolgt. Entsprechendes gilt für die verbrauchsabhängigen Kosten (z. B. Wasser- und Energiekosten). Es reicht aus, Abschreibungsbeträge einmal jährlich – zeitnah nach Ablauf des Kalender- oder Wirtschaftsjahrs – aufzuzeichnen.
Jahrespauschale ausgenommen
Beachten Sie | Beim Abzug der Jahrespauschale (1.260 Euro) bestehen die besonderen Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG nicht.
Quelle | FG Hessen, Urteil vom 13.10.2022, 10 K 1672/19, Rev. BFH: VIII R 6/24, BMF-Schreiben vom 15.8.2023, IV C 6 – S 2145/19/1006 :027, RZ. 25 f.
| Ermittelt ein Steuerpflichtiger seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung, ist die Art und Weise, in der er seine Aufzeichnungen geführt hat, eine Tatsache, die zur Korrektur eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids führen kann, wenn sie dem Finanzamt nachträglich bekannt wird. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. |
Hintergrund: Ist die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat abgelaufen, wird ein Steuerbescheid grundsätzlich bestandskräftig. Allerdings bestehen auch danach Berichtigungs- und Änderungsmöglichkeiten. Eine davon ist § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Hier heißt es: Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Das war geschehen
Ein Einzelhändler ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung. Das Finanzamt veranlagte ihn erklärungsgemäß (ohne Vorbehalt der Nachprüfung). Bei einer späteren Außenprüfung beurteilte das Finanzamt die Aufzeichnungen als formell mangelhaft und nahm eine Hinzuschätzung vor. Die bestandskräftigen Bescheide wurden nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert.
Bareinnahmen: Aufzeichnungen mangelhaft
Die Tatsache, ob und wie der Steuerpflichtige seine Bareinnahmen aufgezeichnet hat, ist rechtserheblich, wenn das Finanzamt bei deren vollständiger Kenntnis bereits im Zeitpunkt der Veranlagung zur Schätzung befugt gewesen wäre und deshalb eine höhere Steuer festgesetzt hätte.
Da eine Schätzungsbefugnis in bestimmten Fällen auch bei (nur) formellen Mängeln der Aufzeichnungen über Bareinnahmen besteht, muss das FG nun im zweiten Rechtsgang prüfen, ob die Unterlagen Mängel aufweisen, die zur Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen führen.
Quelle | BFH, Urteil vom 6.5.2024, III R 14/22, PM 30/24 vom 4.7.2024
| Wer neben dem Bau von Gewächshäusern Pflanzen züchtet und mit ihnen handelt, unterhält nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) Münster unterschiedliche Betriebe. Dies hat zur Folge, dass für Zwecke der Gewerbesteuer Verluste aus der Pflanzenzucht nicht mit Gewinnen aus dem Gewächshausbau verrechnet werden können. |
Unterschied: Betätigung gewerblich oder land- und forstwirtschaftlich
Beim Gewächshausbau handelt es sich nach der Wertung des FG um eine gewerbliche und bei der Pflanzenzucht um eine land- und forstwirtschaftliche Betätigung. Beide Tätigkeiten sind laut FG auch nicht derart miteinander planvoll wirtschaftlich verbunden, dass sie als ein einheitlicher Gewerbebetrieb betrachtet werden können.
Beachten Sie | Die Pflanzenzucht ist auch keine bloße Hilfsbetätigung zum Gewächshausbau und sie ist auch nicht notwendig für die gewerbliche Tätigkeit, da auch Konkurrenzbetriebe nicht stets zusätzlich eine Pflanzenzucht betreiben.
Sachlicher Zusammenhang erforderlich
Die Zusammenfassung mehrerer Betätigungen zu einem einheitlichen Gewerbebetrieb erfordert allgemein einen sachlichen Zusammenhang finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Art zwischen den Betätigungen.
Bei gleichartigen gewerblichen Betätigungen gilt die Vermutung eines einheitlichen Gewerbebetriebs, es sei denn, es sprechen ausnahmsweise besondere Umstände des konkreten Einzelfalls dagegen. Bei ungleichartigen gewerblichen Betätigungen liegt dagegen nur ausnahmsweise ein einheitlicher Gewerbebetrieb vor. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) im Jahr 2020 entschieden.
Dies gilt erst recht beim Zusammentreffen einer gewerblichen mit einer nicht gewerblichen Tätigkeit. Nur ganz ausnahmsweise – bei einem untrennbaren Sachzusammenhang – können auch solche Betätigungen zusammengefasst werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 29.11.2023, 13 K 986/21 G; BFH, Urteil vom 17.6.2020, X R 15/18
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (§ 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen.
Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest. Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R, PM Nr. 7/24
| Wer in der Dunkelheit mit dem Auto auf einen Betonpoller auffährt, muss nicht unbedingt für seinen Schaden selbst aufkommen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig entschieden. |
Das war geschehen
Ein Autofahrer forderte von einer Gemeinde Schadenersatz. Er war bei Dunkelheit mit seinem Fahrzeug in den mittleren von drei etwa 40 Zentimeter hohen Betonpollern hineingefahren. Die Poller hatte die Gemeinde hinter dem Einmündungsbereich einer mit einem Sackgassenschild ausgewiesenen Straße als Durchfahrtssperre aufgestellt. Nur die äußeren beiden Poller waren dabei mit jeweils drei Reflektoren versehen. Das Landgericht (LG) hatte die Gemeinde teilweise zum Schadenersatz verurteilt. Der Autofahrer müsse sich lediglich 25 Prozent Mitverschulden anrechnen lassen.
Verstoß gegen die Straßenverkehrssicherungspflicht
Dies hat das OLG nun bestätigt. Die Gemeinde habe gegen ihre Straßenverkehrssicherungspflicht verstoßen. Sie hätte die der Verkehrsberuhigung dienenden Poller so aufstellen müssen, dass die Benutzer der Straße diese gut sehen könnten, wenn sie entsprechend sorgfältig führen. Dies hätte durch gut sichtbare Markierungen und ausreichende Beleuchtung erfolgen müssen. Das gelte vor allem, weil die Poller nur eine geringe Höhe (ca. 40 cm) hatten. Solche Poller seien aus dem Sichtwinkel eines Autofahrers nur schwer zu erkennen.
Sachverständigengutachten: Poller waren nicht zu erkennen
Das OLG hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt. Danach kam es zu dem Ergebnis, dass jedenfalls der mittlere und der rechte Poller unabhängig von der Geschwindigkeit und selbst bei Tageslicht für einen von rechts in die Straße einbiegenden Kraftfahrzeugfahrer nicht erkennbar waren. Dies habe der Sachverständige anhand von Videosequenzen belegt. Auch dem Sackgassenschild habe ein Autofahrer nicht entnehmen können, dass die Straße durch Poller versperrt sein würde. Die beklagte Gemeinde habe damit in eklatanter Weise gegen ihre Verkehrssicherungspflichten verstoßen.
Quelle | OLG Braunschweig, Urteil vom 10.12.2018, 11 U 54/1
| Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat die Klage eines Nachbarn auf Durchsetzung des „Fensterrechts“ in der Berufungsinstanz abgewiesen. In erster Instanz hatte das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth den vom Kläger gegen die Grundstücksnachbarn geltend gemachten Anspruch zuerkannt, die auf der Grundstücksgrenze befindlichen Fenster großflächig blickdicht zu gestalten und geschlossen zu halten. Das OLG hat nun die Entscheidung geändert. |
Kläger beriefen sich auf Nachbarrecht
Der Kläger verlangte unter Berufung auf die bayerischen Nachbarrechtsvorschriften von den beklagten Nachbarn, die zu seinem Grundstück zugewandten Wohnraumfenster so umzubauen, dass ein Öffnen und ein Durchblicken bis zur Höhe von 1,80 m über dem Boden nicht möglich sind. Er ist Eigentümer eines im Jahr 2017 errichteten Einfamilienhauses, die Beklagten wohnen seit 2019 auf dem Nachbargrundstück. Beide Grundstücke waren zunächst Teil eines größeren Grundstücks. Infolge der Grundstücksteilung im Jahr 2000 wurde das Wohnhaus, in dem die Beklagten wohnen, zu einem Grenzbau. Die Wohnung der Beklagten hat mehrere Fenster sowie eine Balkonfenstertür, deren Abstand zur Grundstücksgrenze des Klägers weniger als 60 Zentimeter beträgt.
Oberlandesgericht machte sich ein eigenes Bild
Das OLG sah die auf das „Fensterrecht“ gestützten Anspruchsvoraussetzungen zwar grundsätzlich als gegeben, erachtete die Durchsetzung des Anspruchs im konkreten Einzelfall in der Gesamtwürdigung aber als unbillige Härte. Es hatte sich in einem Ortstermin ein eigenes Bild von den konkreten Wohnverhältnissen gemacht und die streitgegenständlichen Fenster, insbesondere die etwaig zu verschattenden Fensterflächen, die Lichtverhältnisse in sämtlichen betroffenen Räumen und die Fluchtwege der Wohnung in Augenschein genommen.
Unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten der Wohnung und in Abwägung der jeweiligen Interessen beider Seiten kam das OLG zu dem Ergebnis, dass dem Kläger ein Berufen auf das nachbarrechtliche „Fensterrecht“ im konkreten Einzelfall verwehrt ist. Maßgeblich war aus Sicht des Gerichts zum einen, dass bis zu 80 % der Fensterflächen von der blickdichten Gestaltung betroffen wären und eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr der Wohnung bei Durchsetzung des Anspruchs nicht mehr gewährleistet wäre. Zum anderen hat das Gericht berücksichtigt, dass bei einem dauerhaften Verschließen der Balkontür auch der notwendige zweite Fluchtweg nicht mehr gegeben wäre. In Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände erachtete das Gericht die Ausübung des Fensterrechts daher als unzulässig.
Quelle | OLG Nürnberg, Urteil vom 18.6.2024. 6 U 2481/22, PM 21/24
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit der Frage befasst, ob sich der Verkäufer eines fast 40 Jahre alten Fahrzeugs mit Erfolg auf einen vertraglich vereinbarten allgemeinen Gewährleistungsausschluss berufen kann, wenn er mit dem Käufer zugleich vereinbart hat, dass die in dem Fahrzeug befindliche Klimaanlage einwandfrei funktioniere, und der Käufer nunmehr Mängelrechte wegen eines Defekts der Klimaanlage geltend macht. |
Das war geschehen
Der Kläger erwarb im März 2021 im Rahmen eines Privatverkaufs von dem Beklagten zu einem Kaufpreis von 25.000 Euro einen erstmals im Juli 1981 zugelassenen Mercedes-Benz 380 SL mit einer Laufleistung von rund 150.000 km. In der Verkaufsanzeige des Beklagten auf einer Onlineplattform hieß es unter anderem: „Klimaanlage funktioniert einwandfrei. Der Verkauf erfolgt unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“.
Im Mai 2021 beanstandete der Kläger, dass die Klimaanlage defekt sei. Nachdem der Beklagte etwaige Ansprüche des Klägers zurückgewiesen hatte, ließ dieser die Klimaanlage – im Wesentlichen durch eine Erneuerung des Klimakompressors – instand setzen. Mit der Klage verlangt er von dem Beklagten den Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von rund 1.750 Euro.
So sah es der Bundesgerichtshof
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren erfolgreich weiter. Der BGH hat entschieden, dass der Beklagte sich gegenüber dem hier im Streit stehenden Schadenersatzanspruch des Klägers nicht auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen kann.
Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist in den Fällen einer (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbarten Beschaffenheit ein daneben vereinbarter allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel dahin auszulegen, dass er nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit, sondern nur für sonstige Mängel gelten soll. Eine von diesem Grundsatz abweichende Auslegung des Gewährleistungsausschlusses kommt nicht in Betracht.
Auf den Wortlaut der Internetanzeige kam es an
Der Umstand, dass der Beklagte nicht erst im schriftlichen Kaufvertrag, sondern bereits in seiner Internetanzeige – unmittelbar im Anschluss an die Angabe „Klimaanlage funktioniert einwandfrei“ – erklärt hat, dass der Verkauf „unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“ erfolge, erlaubt es nicht, den vereinbarten Gewährleistungsausschluss dahingehend zu verstehen, dass er sich auf die getroffene Beschaffenheitsvereinbarung über die (einwandfreie) Funktionsfähigkeit der Klimaanlage erstreckt. Denn gerade das – aus Sicht eines verständigen Käufers – gleichrangige Nebeneinanderstehen einer Beschaffenheitsvereinbarung einerseits und eines Ausschlusses der Sachmängelhaftung andererseits gebietet es nach der Rechtsprechung des BGH, den Gewährleistungsausschluss als beschränkt auf etwaige, hier nicht in Rede stehende Sachmängel aufzufassen, da die Beschaffenheitsvereinbarung für den Käufer andernfalls – außer im (hier nicht gegebenen) Fall der Arglist des Verkäufers – ohne Sinn und Wert wäre.
Vereinbarte Beschaffenheit kann nicht im Anschluss wieder ausgeschlossen werden
Insbesondere aber rechtfertigen in einem Fall, in dem – wie hier – die Funktionsfähigkeit eines bestimmten Fahrzeugbauteils den Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung bildet, weder das (hohe) Alter des Fahrzeugs beziehungsweise des betreffenden Bauteils, noch der Umstand, dass dieses Bauteil typischerweise dem Verschleiß unterliegt, die Annahme, dass ein zugleich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss auch für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit gelten soll. Diese Umstände (Alter des Fahrzeugs, Verschleißanfälligkeit eines Bauteils) können zwar für die übliche Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens von Bedeutung sein. Sie spielen jedoch weder für die Frage einer konkret vereinbarten Beschaffenheit noch für die hier maßgebliche Frage eine Rolle, welche Reichweite ein allgemeiner Gewährleistungsausschluss im Fall einer vereinbarten Beschaffenheit hat. Vielmehr findet der Grundsatz, dass ein vertraglich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss die Haftung des Verkäufers für einen auf dem Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit beruhenden Sachmangel unberührt lässt, auch dann uneingeschränkt Anwendung, wenn der Verkäufer die Funktionsfähigkeit eines Verschleißteils eines Gebrauchtwagens zugesagt hat.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.4.2024, VIII ZR 161/23, PM 82/2024
| Ein Hotel mit einem Fußweg von ca. 1,3 Kilometern befindet sich nicht „nur wenige Gehminuten“ von wunderschönen Stränden entfernt. So hat es das Amtsgericht (AG) München jetzt klargestellt. Es läge daher ein Reisemangel vor. |
Es ging um die Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz
Das AG verurteilte einen Reiseveranstalter zur Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit in Höhe von insgesamt 1.795 Euro. Die Klägerin hatte für sich und ihre neunjährige Tochter bei der Beklagten eine Rundreise durch Costa Rica gebucht. Die Rundreise sollte einen Aufenthalt von 4 Nächten in einem Boutique-Hotel an der Pazifikküste beinhalten.
Tatsächlich 25 Gehminuten zum Strand
Die Klägerin bemängelte, das Hotel sei mit den Worten „nur wenige Gehminuten von den besten Restaurants und wunderschönen Stränden [..] entfernt“ beschrieben worden. Dies habe nicht der Realität entsprochen. An der Rezeption sei ihr mitgeteilt worden, dass man ein Taxi nehmen müsse, um den Strand zu erreichen, da dieser 25 Gehminuten entfernt läge. Die Klägerin wandte sich daraufhin an die lokale Ansprechpartnerin der Reiseveranstalterin und buchte in Abstimmung mit dieser über eine Buchungsplattform auf eigene Kosten ein Ersatzhotel. Mit ihrer Klage machte die Klägerin Ersatz der verauslagten Kosten für die Buchung des Ersatzhotels in Höhe von 733 Euro sowie Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit wegen eines verlorenen Urlaubstages aufgrund des Hotelwechsels in Höhe von 1.062 Euro geltend.
Entfernung zugesichert?
Die Beklagte behauptete, es sei nie eine bestimmte Entfernung oder Gehzeit zum Strand zugesichert worden. Tatsächlich sei der Strand in ca. 15 Minuten zu erreichen.
Das AG gab der Klägerin in vollem Umfang Recht und führte in den Entscheidungsgründen aus, dass das Hotel aufgrund seiner Entfernung zum Strand mangelhaft sei. Zwischen den Parteien sei zwar umstritten, wie lange der Fußweg vom Hotel zum Strand dauerte. Es sei allerdings unstreitig, dass der nächstgelegene Strand des Hotels einen Fußweg von 1,3 km entfernt war. Im Rahmen der Auslegung dieses vertraglich vereinbarten Merkmals „wenige Gehminuten“ müsse auch berücksichtigt werden, dass es sich bei der gebuchten Reise um eine Reise im Hochpreissegment handelte, wurden doch für 12 Tage knapp 9.000 Euro ausgegeben – exklusive Flügen. Die Beklagte, die selbst damit wirbt, „unvergessbare Luxusreisen“ anzubieten, müsse sich insofern an ihren eigenen Ansprüchen messen lassen. Nach Überzeugung des Gerichts seien bei einer hochpreisigen Luxusreise „wenige Gehminuten“ eine Zeit, die bei normalem Gehtempo regelmäßig fünf Minuten nicht überschreite.
„Wenige Gehminuten“ = maximal 5 Minuten!
Die unstreitige Entfernung zum Strand von 1,3 km könne jedoch nur dann (noch) in fünf Minuten zurückgelegt werden, wenn eine Gehgeschwindigkeit von etwa 15,6 km/h eingehalten werden würde, was selbst für erfahrene Läufer ein ambitioniertes Tempo darstelle. Vor dem Hintergrund, dass der Beklagten bei der Reiseplanung bekannt war, dass die Klägerin mit einem neunjährigen Kind reiste – passte sie doch ihr Freizeitprogramm kindgerecht an – könne das Einhalten eines solchen Tempos nicht vorausgesetzt werden.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | AG München, Urteil vom 22.11.2023, 242 C 13523/23, PM 20/24
| Das Landgericht (LG) München I hat die Klage einer Kundin gegen einen Outlet-Betreiber auf Schmerzensgeld abgewiesen. Die Kundin hatte sich bei der Kleideranprobe durch ein Preisschild eine Augenverletzung zugezogen. |
Bei der Kleideranprobe am Preisschild verletzt
Im April 2023 probierte die klagende Kundin im Outlet-Store der Beklagten ein T-Shirt. Dabei verletzte sie sich durch ein an diesem T-Shirt angebrachtes Preisschild am rechten Auge.
Schmerzensgeld gefordert
Die Kundin hat gegen den Betreiber des Outlet-Stores deswegen Klage erhoben und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5.000 Euro gefordert. Der Betreiber des Outlet-Stores habe die ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt, da das Preisschild in seiner Ausgestaltung aufgrund fehlender Sicherung und Erkennbarkeit gefährlich gewesen sei. Das Preisschild habe ihr bei der Anprobe ins Auge geschlagen. Sie habe dadurch eine erhebliche Verletzung am rechten Auge erlitten. Es sei erforderlich gewesen, an dem verletzten Auge eine Hornhauttransplantation durchzuführen. Bis heute leide sie unter Schmerzen und sei weiterhin in ihrer Sicht eingeschränkt sowie besonders blendempfindlich.
Preisschilder vorgeschrieben
Der Betreiber des Outlet-Stores hat eingewandt, bei dem verwendeten Preisschild handle es sich um ein übliches Standardpreisschild in der Größe von ca. 9 cm x 5 cm mit abgerundeten Ecken und einer flexiblen Rebschnur. Die Preisschilder seien durch ihre Größe und das Gewicht des Bündels deutlich fühlbar gewesen. Vergleichbare Fälle von aufgetretenen Verletzungen seien ihm nicht bekannt. Zudem sei es gesetzlich vorgeschrieben, entsprechende Preisschilder an den Waren anzubringen.
Amtsgericht weist Klage ab
Das AG hat die Klage abgewiesen. Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt stehe der Kundin ein Anspruch auf Schmerzensgeld gegenüber dem Betreiber des Outlet-Stores zu. Wenn sich im Zuge einer Kleideranprobe in einem Outlet eine Kundin durch ein übliches Preisschild am Auge verletzt, hafte der Betreiber dafür nicht, so das AG.
Zur Begründung hat das AG ausgeführt, sichernde Maßnahmen seien nur in dem Maße geboten, in dem sie ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei müsse der Geschäftsbetreiber nicht für alle denkbar entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es komme vielmehr auch entscheidend darauf an, welche Möglichkeiten der Geschädigte hat, sich vor erkennbaren Gefahrquellen selbst zu schützen.
Im hier entschiedenen Einzelfall habe der Betreiber des Outlet-Stores den an ihn gerichteten Verkehrssicherungspflichten Genüge getan. Für die Kundin sei das Vorhandensein eines Preisschildes erwartbar und das Treffen eigener Sicherheitsvorkehrungen zumutbar gewesen.
Nach allgemeiner Lebenserfahrung werfe ein Kunde bereits vor der Anprobe einen Blick auf das Preisschild und könne daher ohne Weiteres selbst dafür sorgen, dass er sich bei der Anprobe nicht verletze. Die Forderung der Kundin, gesondert auf das Vorhandensein von Preisschildern an der Kleidung hinzuweisen, hielt das Gericht für lebensfremd und nicht zumutbar.
Quelle | LG München I, Urteil vom 28.5.2024, 29 O 13848/23, PM 5/24
| Das Landgericht (LG) Paderborn hat in einem Mietrechtsstreit über Feuchtigkeitserscheinungen in einer Altbauwohnung Klartext gesprochen. Es gab dem Mieter überwiegend recht. |
Baujahr ändert nichts an Mangel
Das LG: Erheblich durchfeuchtete Wände mit sichtbaren Salzausblühungen und feuchtigkeitsbedingt zerbröselndem Putz stellen auch in einer Altbauwohnung aus den 1920er Jahren einen Mietmangel dar. Dabei hat das LG berücksichtigt, dass die Wände teils erst ab einer Höhe von ca. einem Meter über dem Fußboden „normal“ trockene Messwerte zeigen und die Feuchtigkeit ausschließlich bauliche Ursachen hat.
Anspruch auf Beseitigung und Minderung
Der klagenden Mieterin sprach das LG deshalb einen Anspruch gegen ihren Vermieter auf Beseitigung der Feuchtigkeit in den Wohnungswänden zu. Es nahm aufgrund der feuchten Wände und den damit einhergehenden Nachteilen u. a. für Wohnklima und Optik – anders als das erstinstanzliche Gericht – zudem eine erhebliche Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs an und bejahte ein Mietminderungsrecht der Klägerin.
Keinen Mangel sah das LG hingegen im konkreten Fall in den ebenfalls durchfeuchteten Kellerwänden des Mietobjekts. Daher wies es die Berufung der Klägerin insofern zurück.
Quelle | LG Paderborn, Urteil vom 6.3.2024, 1 S 72/222, PM vom 6.3.2024
| Der Vermieter darf, um vom Mieter verursachte Blutlachen im Treppenhaus und Eingangsbereich zu beseitigen, eine – teure – Spezialfirma für die Reinigung eines Tatorts nach Suizid oder Unfall mit den Reinigungsarbeiten beauftragen. Er muss auch nicht zuvor den Mieter beauftragen, um die Kosten gering zu halten, wenn der Mieter nicht über die ausreichende Qualifikation verfügt, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. So hat es das Amtsgericht (AG) Frankfurt/Main entschieden. |
Mieter hatte Blutspuren versuracht
Der Wohnungsmieter stand unter Betreuung. Eines Tages trat er nach einer Verletzung stark blutend aus seiner Wohnung in das Treppenhaus und anschließend durch die Haustür nach draußen. Dabei hinterließ er massive Blutspuren. Daraufhin beauftragte die Vermieterin eine Spezialfirma mit der Reinigung und Desinfektion des Treppenhauses und des Eingangsbereichs. Die Vermieterin stellte dem Mieter über seinen Betreuer die Kosten in Höhe von rd. 1.930 Euro in Rechnung. Der Mieter zahlte nicht, daher klagte die Vermieterin.
Kostenerstattungsanspruch des Vermieters
Mit Erfolg: Die Vermieterin habe gegen den Mieter einen Kostenerstattungsanspruch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 280 Abs. 1 BGB) in Verbindung mit dem Mietvertrag, so das AG. Der Mieter habe dadurch, dass er nach einer Verletzung stark blutend durch das Treppenhaus und durch die Hauseingangstür ging und dabei größere Mengen Blut ungehindert auf den Boden laufen ließ, schuldhaft gegen den Mietvertrag verstoßen. Die Vermieterin war verpflichtet, unverzüglich die Blutspuren beseitigen zu lassen, zum einen, um die Gefahr von Stürzen infolge des Ausrutschens auf den Blutlachen zu vermeiden und zum anderen, um einer Infektionsgefahr bei Kontakt mit dem Blut entgegenzutreten.
Sie habe den Mieter nicht selbst beauftragen können, um die Kosten gering zu halten, da dieser nicht über die ausreichende Qualifikation verfügte, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. Zudem hätte die Entfernung nicht unverzüglich erfolgen können, da der Mieter offenkundig verletzt war. Die Vermieterin habe auch nicht gegen eine ihr obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen, indem sie ein Fachunternehmen für Tatortreinigung beauftragte. Sie war gehalten, sicherzustellen, dass keine Gefahr für Mitbewohner und Besucher bestehen bleibt, was nur durch ein spezialisiertes Reinigungsunternehmen gewährleistet war.
Vergleichsangebote nicht nötig
Es stellt auch keinen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar, dass die Vermieterin keine (drei) Vergleichsangebote eingeholt hat. Denn sie musste unverzüglich tätig werden, um die Gefahrenquelle zu beseitigen.
Qualität der Fachfirma nicht „kriegsentscheidend“
Auch kommt es nicht darauf an, ob die von der Vermieterin beauftragte Fachfirma möglicherweise unsachgemäß oder unwirtschaftlich gearbeitet hat und dadurch höhere Kosten entstanden sind. Denn ein Schädiger muss solche Kosten auch dann ersetzen, wenn den Geschädigten kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft.
Quelle | AG Frankfurt/Main, Urteil vom 10.8.2023, 33 C 1898/23
| Zur Errichtung eines wirksamen gemeinschaftlichen Testaments müssen beide Ehegatten testierfähig sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Das war geschehen
Die beiden Ehegatten hatten sich durch gemeinschaftliches Testament gegenseitig als Alleinerben eingesetzt. Dieses Testament wurde von der Ehefrau eigenhändig geschrieben und unterschrieben sowie vom Erblasser eigenhändig unterschrieben. Mit einer Ergänzung dieses Testaments, errichtet in gleicher Weise, ordneten die Ehegatten später eine Vor- und Nacherbschaft dergestalt an, dass der überlebende Ehegatte befreiter Vorerbe und ihre gemeinsame Tochter Nacherbin sein sollte. Bereits zwei Jahre vor dieser Ergänzung des Testaments wurde die Ehefrau wegen einer Demenzerkrankung in einem Pflegeheim untergebracht. Ein Jahr vor der Ergänzung des gemeinschaftlichen Testaments tötete der Erblasser seine Schwester und wurde in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht, in der er sich das Leben nehmen wollte.
Nach dessen Tod beantragte die überlebende Ehefrau, vertreten durch ihre Tochter, einen Erbschein des Inhalts, dass sie alleinige befreite Vorerbin des Erblassers geworden sei und die Nacherbfolge der Tochter nach ihrem Tod als Vorerbin eintrete. Sie hat sich zur Begründung ihres Antrags auf die beiden letzten gemeinschaftlichen Testamente gestützt. Der gemeinsame Sohn der Ehegatten ist dem Antrag entgegengetreten. Er begründete dies damit, sowohl der Erblasser als auch die Antragstellerin seien zum Zeitpunkt der Errichtung beider Testamente testierunfähig gewesen.
Nachlassgericht deutete Testamente um
Das Nachlassgericht ist nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Überzeugung gelangt, dass die Antragstellerin testierunfähig gewesen ist. Bezogen auf den Erblasser hat sich hingegen nicht die Überzeugung von einer Testierunfähigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung der vorgenannten Testamente gebildet. Die Testamente könnten jeweils in ein Einzeltestament des Erblassers umgedeutet werden, weshalb es die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet hat. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Sohn der Ehegatten mit der Beschwerde und begehrte die Zurückweisung des Erbscheinsantrages.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat den Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückgewiesen und ausgeführt, dass die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen nicht für festgestellt zu erachten seien.
Ein wirksames gemeinschaftliches Ehegattentestament setze voraus, dass beide Ehegatten bei der Testamentserrichtung testierfähig sind. Ein Testament könne nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Da ein gemeinschaftliches Testament vom Willen beider Eheleute getragen sei, erfordere eine wirksame Verfügung von Todes wegen die Testierfähigkeit eines jeden Ehegatten. Daran fehle es bei einem Ehegatten, weshalb der Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückzuweisen sei.
Eine Umdeutung des unwirksamen gemeinschaftlichen Testaments in ein Einzeltestament des Erblassers komme hier nicht in Betracht, weil der Erblasser die getroffenen Anordnungen nicht eigenhändig geschrieben, sondern den von der Antragstellerin geschriebenen Text nur unterschrieben habe. Die Umdeutung als Einzeltestament komme hier nur für den Teil in Betracht, der die Verfügung eigenhändig – hier also die Antragstellerin – niedergelegt habe.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 14.3.2024, 6 W 106/23
| Vertragsfristen können nicht nur bei Abschluss des Bauvertrags, sondern auch während der Bauausführung vereinbart werden. So kann einem gestörten Bauablauf dadurch Rechnung getragen werden, dass überholte oder nicht mehr einhaltbare Fristen durch eine Terminplanfortschreibung einvernehmlich angepasst werden, wobei diese Fortschreibung wiederum Vertragsfristen und unverbindliche Kontrollfristen beinhalten kann. Das hat das Kammergericht (KG) Berlin klargestellt. |
Beachten Sie | Die Entscheidung des KG gilt auch für Planungsterminpläne. Sie ist durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH rechtskräftig geworden.
Quelle | KG Berlin, Urteil vom 24.01.2023, 27 U 154/21, rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 25.10.2023, VII ZR 20/23
| Stichprobenartige Prüfungen von Wärmedämmarbeiten reichen nicht aus, um eine mangelfreie Objektüberwachung zu gewährleisten. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg. |
Im konkreten Fall hatte der Architekt nicht bemerkt, dass nur 8 cm PUR-Dämmung statt der vertraglich geschuldeten 9 cm eingebaut wurden. Das hätte aber sogar eine Stichprobe ergeben müssen, so das OLG. Es machte den Architekten daher für den Austausch der Dämmung haftbar.
Es sprach Klartext: Umfang und Intensität der geschuldeten Überwachung hängen von den Anforderungen der Baumaßnahme sowie den konkreten Umständen ab. Einfache Arbeiten bedürfen keiner Überwachung. Demgegenüber unterliegt die Überwachung von Wärmedämmarbeiten höheren Anforderungen.
Die Entscheidung ist jetzt rechtskräftig.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 8.11.2022, 2 U 10/22
| Die Regelverjährungsfrist beim Werkvertrag für Planung und Bauüberwachung beträgt fünf Jahre. Doch Achtung: Diese Frist kann durch eine sog. Hemmung verlängert werden. Die Folge: Planer und Architekten können länger in der Gewährleistung bleiben und unter Umständen in Anspruch genommen werden. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Ernsthafter Meinungsaustausch erforderlich
Voraussetzung: Die Verjährung hemmende Verhandlungen erfordern einen ernsthaften Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen.
Nicht ausreichend: bloße Erklärungen
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen nicht die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein. Ein solcher Meinungsaustausch hemmt die Verjährung nicht.
Quelle | OLG Köln, Beschluss vom 2.3.2023, 19 U 55/22, rechtskräftig durch BGH, Beschluss vom 8.11.2023, VII ZR 54/23
| Die unterlassene Aufnahme einer Arbeit ist kein sozialwidriges Verhalten, wenn das Jobcenter den Betroffenen „allein lässt“ und nicht die nötige Hilfe leistet. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen entschieden. |
Langzeitarbeitsloser bewarb sich jahrelang erfolglos
Zugrunde lag das Verfahren eines Langzeitarbeitslosen, der bis 2003 als Buchhalter gearbeitet hatte. Hiernach folgten Zeiten der Arbeitslosigkeit und verschiedene Hilfsarbeiten. Der Mann bewarb sich viele Jahre erfolglos als Buchhalter, bis das Jobcenter schließlich ab 2017 keine weiteren Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen übernahm. Es müsse ein Strategiewechsel stattfinden, insbesondere weil Bewerbungen als Buchhalter nach so langer Zeit nicht mehr erfolgversprechend seien. Überraschend erhielt der Mann dennoch 2019 einen Arbeitsvertrag als Buchhalter bei einer Behörde in Düsseldorf. Zur Arbeitsaufnahme kam es jedoch nicht, weil das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution für eine neue Wohnung ablehnte und er deshalb nicht umziehen konnte.
Kein Verschulden des Arbeitslosen
2020 machte das Jobcenter gegenüber dem Mann eine Erstattungsforderung wegen sozialwidrigen Verhaltens geltend, da er nicht zum Einstellungstermin erschienen sei. Er müsse daher Grundsicherungsleistungen von rd. 6.800 Euro erstatten. Hiergegen klagte der Mann. Den Mietvertrag in Düsseldorf habe er nicht unterschrieben, weil er kein Geld für die Kaution gehabt habe und noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen gewesen sei. Das LSG hat die Rechtsauffassung des Klägers bestätigt. Der Nichtantritt einer außerhalb des Tagespendelbereichs gelegenen Arbeitsstelle stelle kein sozialwidriges Verhalten im Sinne eines objektiven Unwerturteils dar, wenn der Arbeitsuchende am künftigen Beschäftigungsort keine Wohnung anmieten könne, weil ihm selbst die Mittel für eine Mietkaution fehlten und das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution abgelehnt habe.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.1.2023, L 11 AS 336/21
| Eine öffentliche Verwaltung kann das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, verbieten, um ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen. Eine solche Regel ist nicht diskriminierend, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf das gesamte Personal dieser Verwaltung angewandt wird und sich auf das absolut Notwendige beschränkt. So sieht es der Europäische Gerichtshof (EuGH). |
Verbot eines islamischen Kopftuchs
Eine belgische Gemeinde hatte einer Bediensteten, die als Büroleiterin ganz überwiegend ohne Publikumskontakt tätig ist, untersagt, am Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen. Anschließend änderte die Gemeinde ihre Arbeitsordnung und schrieb in der Folge ihren Arbeitnehmern strikte Neutralität vor: Das Tragen von auffälligen Zeichen ideologischer oder religiöser Zugehörigkeit verbot sie allen Arbeitnehmern, auch denen ohne Publikumskontakt. Die Büroleiterin fühlte sich diskriminiert und in ihrer Religionsfreiheit verletzt.
Lag Diskriminierung vor?
Dem mit dem Rechtsstreit befassten Arbeitsgericht (ArbG) Lüttich stellt sich die Frage, ob die von der Gemeinde aufgestellte Regel der strikten Neutralität eine gegen das Unionsrecht verstoßende Diskriminierung begründet. Der EuGH antwortete, dass die Politik der strikten Neutralität, die eine öffentliche Verwaltung ihren Arbeitnehmern gegenüber durchsetzen will, um bei sich ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen, als durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt angesehen werden kann.
Wertungsspielraum der Mitgliedsstaaten, wie „Neutralität“ ausgestaltet wird
Ebenso gerechtfertigt ist die Entscheidung einer anderen öffentlichen Verwaltung für eine Politik, die allgemein und undifferenziert das Tragen von sichtbaren Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen, auch bei Publikumskontakt, gestattet, oder ein Verbot des Tragens solcher Zeichen beschränkt auf Situationen, in denen es zu Publikumskontakt kommt. Die Mitgliedsstaaten und die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten verfügen über einen Wertungsspielraum bei der Ausgestaltung der Neutralität des öffentlichen Dienstes, die sie in dem für sie spezifischen Kontext am Arbeitsplatz fördern wollen. Dieses Ziel muss aber in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, und die zu seiner Erreichung getroffenen Maßnahmen müssen sich auf das absolut Notwendige beschränken. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob diese Anforderungen erfüllt sind.
Quelle | EuGH, Urteil vom 28.11.2023, C-148/22
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Aachen hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer Anspruch auf die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung gegenüber seiner Arbeitgeberin hat. Er darf diesen auch im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzen. |
Das war geschehen
Der schwerbehinderte Arbeitnehmer ist seit September 1988 bei der Arbeitgeberin – einem Unternehmen, das Bauelemente herstellt und vertreibt, – als Verkaufs- und Vertriebsleiter tätig. Er ist wegen eines Hirntumors seit April 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und war bis zum 10.4.2024 fahruntüchtig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird nach Erreichen der Regelaltersgrenze des Arbeitnehmers mit dem Ablauf des Monats Oktober 2024 enden. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrte der Arbeitnehmer, ihn ab Mitte März 2024 entsprechend einem ärztlichen Wiedereingliederungsplan nach dem sog. „Hamburger Modell“ zu beschäftigen, um zeitnah an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu können.
Fehlende Fahrtüchtigkeit steht Wiedereingliederung nicht im Weg
Das ArbG gab dem Antrag des schwerbehinderten Arbeitnehmers statt, da die Arbeitgeberin verpflichtet sei, an der stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken. Dem stehe die fehlende Fahrtüchtigkeit des Arbeitnehmers nicht entgegen. Der Arbeitnehmer könne während der Fahruntüchtigkeit zu Beginn der Wiedereingliederung zunächst seinem Aufgabenprofil entsprechende Büroarbeiten erledigen.
Sache ist eilbedürftig
Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung besondere Eilbedürftigkeit ergab sich nach Auffassung des Arbeitsgerichts daraus, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer auf die zeitnahe Wiedereingliederung angewiesen sei. Demgegenüber würde eine Versagung der Wiedereingliederung den Teilhabeanspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers am Erwerbsleben vereiteln oder jedenfalls erheblich erschweren. Auch der nahe Renteneintritt des Arbeitnehmers ändert nach Ansicht des ArbG nichts am Eilbedürfnis.
Quelle | ArbG Aachen, Urteil vom 12.3.2024, 2 Ga 6/24, PM 1/24
| Für Bühnenkünstler gewährt die Rechtsprechung pauschalierten Schadenersatz von bis zu sechs Monatsgagen pro Spielzeit, wenn der Arbeitgeber den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers verletzt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied nun: Dieser Anspruch kann nicht auf den Profimannschaftssport übertragen werden. |
Saisonabbruch in der Corona-Pandemie: Kläger durfte nicht spielen
Der Kläger ist Eishockeyspieler. Er stritt mit seinem Arbeitgeber über einen Schadenersatzanspruch. Sein Arbeitgeber, der Beklagte, hatte ihn in der Saison 2019/2020 nicht beschäftigt, da diese aufgrund der Corona-Pandemie abgebrochen wurde. Bis dahin fungierte er als Kapitän und Leistungsträger der Mannschaft.
Außerordentliche fristlose Kündigung
Die Beklagte sprach eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung aus und bot gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis mit einer verringerten Vergütung fortzusetzen. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen an und erhob eine Änderungsschutzklage. Daraufhin stellte die Beklagte den Kläger vom Mannschaftstraining frei. Durch einstweilige Verfügung erstritt der Kläger die Zulassung zum Trainingsbetrieb. Anschließend erfolgte eine außerordentliche fristlose Kündigung.
Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen und der fristlosen Kündigung fest. Die tatsächliche Teilnahme am Training wurde dem Kläger jedoch durchgängig verweigert. Er ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Schadenersatz aufgrund der Weigerung der Beklagten, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Ihm sei ein Schaden in seinem beruflichen Fortkommen entstanden, da er als Eishockeyprofi seine beruflichen Fertigkeiten nicht im Mannschaftstraining habe weiterentwickeln und verbessern können. Dadurch habe sein Marktwert gelitten, denn ein Profimannschaftssportler bedürfe der ständigen Trainingspraxis. Die Beklagte habe sich ihm gegenüber durchgängig unlauter verhalten. Die Vorinstanzen gaben der Klage in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern statt und wiesen die weitergehende Klageforderung ab.
Kläger blieb vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos
Vor dem BAG blieb der Kläger erfolglos. Er hat keinen Anspruch auf weiteren Schadenersatz wegen der Verletzung seines Beschäftigungsanspruchs. Zwar besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung und damit korrespondierend eine Pflicht des Arbeitgebers, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Die Beklagte hatte den Beschäftigungsanspruch auch schuldhaft verletzt, indem sie ihn vom Mannschaftstraining suspendiert hatte. Dies und die anschließende außerordentliche fristlose Kündigung seien zudem eine Maßregelung gewesen, da der Kläger lediglich in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hatte.
Der Kläger hat aber nicht ausreichend dargelegt, dass ihm infolge der Verletzung der Beschäftigungspflicht ein solcher Schaden entstanden sei. Zudem dürfen, so das BAG, Schadenersatzansprüche von Profimannschaftssportlern nicht in Anlehnung an die Rechtsprechung für andere Berufsgruppen, z. B. Bühnenkünstler, pauschalierend festgesetzt werden. Für die Schätzung des Schadens eines Profimannschaftssportlers bedürfe es greifbarer Tatsachen. Hieran fehlte es vorliegend. Mangels konkreter Anhaltspunkte könnte nur eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens erfolgen, die vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre.
Quelle | BAG, Urteil vom 29.2.2024, 8 AZR 359/22
| Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, sind diese Vorteile steuerfrei, soweit sie den Rabattfreibetrag von 1.080 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)). Das Landesozialgericht (LSG) Bayern musste nun in einem Konzernfall über die Beitragspflicht von Warengutscheinen entscheiden. Dabei hat es herausgestellt, dass hinsichtlich des Arbeitgeberbegriffs keine unterschiedliche Beurteilung nach Steuer- und nach Beitragsrecht veranlasst ist. |
Arbeitgeber kann nur derjenige sein, der die Arbeitsverträge mit den Beschäftigten abgeschlossen hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, den der Bundesfinanzhof (BFH) für das Steuerrecht aufgestellt hat.
Begriff des „Arbeitgebers“: keine Konzernklausel
Der BFH hat es abgelehnt, den Begriff des Arbeitgebers über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen. Im Vorfeld der gesetzlichen Neuregelung wurde eine Konzernklausel ausdrücklich diskutiert.
Da sie aber nicht aufgenommen worden ist, kann daraus geschlossen werden, dass sich die bereits in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Meinung durchgesetzt hat, nach der § 8 Abs. 3 EStG nicht für Waren und Dienstleistungen gelten soll, die nicht im Unternehmen des Arbeitgebers hergestellt, vertrieben oder erbracht werden. Es sollen weder Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften noch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel steuerlich begünstigt werden.
Warengutscheine = Sachbezüge
Nach Ansicht des LSG hat das Unternehmen im Streitfall auch keinen so gewichtigen Beitrag geleistet, als dass es unter Anwendung des „erweiterten Hersteller- bzw. Vertreiberbegriffs“ als Hersteller bzw. Vertreiber der Waren i. S. des § 8 Abs. 3 EStG angesehen werden kann. Deshalb handelt es sich bei den Warengutscheinen um Sachbezüge, für die Beiträge erhoben werden müssen.
Quelle | LSG Bayern, Urteil vom 6.6.2023, L 7 BA 80/22, Abruf-Nr. 240136; unter www.iww.de; BFH, Urteil vom 26.4.2018, VI R39/16
| Mit einem kuriosen Nachbarstreit zwischen einem Restaurantbetreiber und dem Anbieter von Parkraum hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Dem Restaurantbesitzer drohen nun 250.000 Euro Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft. |
Das war geschehen
Der Parkplatzbetreiber hatte die Parkgebühren angehoben und den bislang gewährten Rabatt für die Besucher des Restaurants abgeschafft. Daraufhin positionierte der Restaurantbesitzer gezielt eigene Mitarbeiter an der Parkschranke, um die Autofahrer von der Einfahrt in den Parkplatz abzuhalten und auf andere, kostenfreie Plätze in der Nähe zu verweisen. Dieses Verhalten stellt eine unzulässige Verletzungshandlung dar, die darauf angelegt ist, den Betrieb des Parkraumbewirtschafters zu schädigen, entschied das LG. Es untersagte in einem Eilverfahren entsprechende Aktionen.
Boykottaufruf unverhältnismäßig
Das Argument, über den Rabatt für Restaurantkunden gebe es eine Vereinbarung und die hohen Parkkosten hätten bereits Kunden abgeschreckt und vom Besuch abgehalten, überzeugte das LG nicht. Das Vorgehen des Restaurantbetreibers sei unverhältnismäßig.
Im Bereich der Einfahrt gezielt Parkplatzsuchende anzusprechen, um diese zum anderweitigen Parken zu bewegen, sei eine gegen das Geschäftsmodell des Parkraumanbieters gerichtete verbotene Eigenmacht. Es seien nicht nur Restaurantbesucher, sondern sämtliche Parkplatzsuchende angesprochen und zum Boykott des Parkplatzes aufgerufen worden. Der Restaurantbesitzer müsse seine Kunden auf andere Weise darüber informieren, dass die Parkgebühren nicht mehr übernommen werden und den Streit um den Parkrabatt, wenn nötig, gerichtlich austragen.
„Saftiges“ Ordnungsgeld droht
Für den Fall, dass der Restaurantbetreiber dem Urteil zuwiderhandelt, hat das LG ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro sowie Ordnungshaft angedroht.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 18.1.2024, 5 O46/23, PM vom 30.4.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. |
Der Hintergrund
Amazon ist weltweit u. a. im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27.12.2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd. USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd. USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd. USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio. Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit.
Das war geschehen
Das Bundeskartellamt hatte festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als sog. Torwächter benannt.
Das sagt der Bundesgerichtshof
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt hat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (hier: § 19 a Abs. 1 GWB) zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.
Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Stores) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen.
Das heißt „marktübergreifende Bedeutung“
Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotenzial durch die Vorschrift adressiert wird. § 19 a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen.
Bundeskartellamt: zutreffende Feststellungen
Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von Amazon Web Services, Inc. (AWS). Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.
Die jetzige Geltung der Regelungen des Digital Markets Acts (DMA) und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.
Quelle | BGH, Beschluss vom 23.4.2024, KVB 56/22, PM 97/24
| Durch die Unwetter mit Hochwasser in der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 2024 sind in weiten Teilen Baden-Württembergs beträchtliche Schäden entstanden. Die Beseitigung dieser Schäden wird bei vielen Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Daher möchte das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen entgegenkommen. |
Möglich sind u. a.:
- Anpassung steuerlicher Vorauszahlungen,
- Stundung fälliger Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuerbeträge und
- Aufschub von Vollstreckungen.
Beachten Sie | Auch in anderen Bundesländern sind im Mai und Juni 2024 durch die Unwetter mit Hochwasser Schäden entstanden. Daher wurden auch für Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland Katastrophenerlasse mit steuerlichen Erleichterungen veröffentlicht. Dabei ist zu beachten, dass einige Erlasse bereits aktualisiert wurden.
Quelle | FinMin Baden-Württemberg, Erlass vom 20.6.2024; Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft Saarland, Erlass vom 21.5.2024; Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Erlass vom 25.6.2024; Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, Erlass vom 24.6.2024
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen. Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest.
Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R; BSG, PM Nr. 7/24 vom 22.2.2024
| Der Bundesrat hat dem Postrechtsmodernisierungsgesetz (PostModG) Anfang Juli 2024 zugestimmt. Dadurch werden insbesondere die Laufzeitvorgaben für die Zustellung von Briefen verlängert. Folgerichtig erfolgte auch eine Anpassung der Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (z. B. Steuerbescheiden). |
Einspruchsfrist von einem Monat
Zum Hintergrund: Das Problem, „Recht zu haben, aber es nicht zu bekommen“, ergibt sich immer dann, wenn ein Steuerbescheid zu einer zu hohen Steuerfestsetzung führt, es jedoch versäumt wurde, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat Einspruch einzulegen. Für den fristgerechten Eingang beim Finanzamt kommt es darauf an, wann der Bescheid bekannt gegeben wurde und wann die Einspruchsfrist endet.
Gesetzliche Neuregelung: Vier- statt Dreitagesfiktion
Um die Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach der Abgabenordnung an die verlängerten Laufzeitvorgaben anzupassen, wird aus der bisherigen Dreitages- eine Viertagesfiktion. Damit gelten Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte künftig als am vierten Tag nach deren Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, statt wie bisher nach drei Tagen.
Was unverändert bleibt: Fällt der vierte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, erfolgt die Bekanntgabe am nächstfolgenden Werktag. Die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Samstagen wurde nicht umgesetzt.
Die Neuregelung gilt für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.2024 übermittelt werden.
Neuregelung ab dem Jahr 2025
Beispiel: Das Finanzamt versendet an den Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid. Er gibt den Brief am Dienstag, den 14.1.2025, zur Post. Bekanntgabezeitpunkt ist der 20.1.2025 (Montag), da der 18.1.2025 („vier Tage“) ein Samstag ist.
Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Einspruchsfrist endet somit am 20.2.2025 um 24:00 Uhr.
Beachten Sie | Auch ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt gilt am dritten (ab 2025: vierten) Tag nach der Absendung als bekannt gegeben.
Steuerbescheid später zugegangen oder nicht erhalten
Die Bekanntgabefiktion gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich später oder gar nicht zugegangen ist.
Hier ist wie folgt zu unterscheiden:
- Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang, ist das Finanzamt regelmäßig nicht in der Lage, den Zugang nachzuweisen. Daher ist eine erneute (ordnungsgemäße) Bekanntgabe erforderlich.
- Behauptet der Steuerpflichtige einen späteren Zugang, muss er dies substanziiert darlegen bzw. nachweisen. Dabei stellt eine Abwesenheit wegen Urlaubs regelmäßig keine spätere Bekanntgabe dar.
Quelle | PostModG, BR-Drs. 298/24 (B) vom 5.7.2024; DStV, Mitteilung vom 13.6.2024
| Bei der Erbschaftsteuer zählt ein Parkhaus zum nichtbegünstigten Verwaltungsvermögen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) aktuell entschieden. |
Das war geschehen
Der Steuerpflichtige war testamentarisch eingesetzter Alleinerbe seines im Jahr 2018 verstorbenen Vaters (= Erblasser). Zum Erbe gehörte ein mit einem Parkhaus bebautes Grundstück. Der Erblasser hatte das Parkhaus als Einzelunternehmen ursprünglich selbst betrieben und ab dem Jahr 2000 dann unbefristet an seinen Sohn verpachtet.
Finanzamt: Parkhaus ist Verwaltungsvermögen
Das Finanzamt stellte den Wert des Betriebsvermögens fest und behandelte das Parkhaus dabei als sogenanntes Verwaltungsvermögen, das bei der Erbschaftsteuer nicht begünstigt ist. Das Finanzgericht (FG) und der BFH schlossen sich dieser Auffassung an.
Grundsätzlich wird Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer privilegiert. Das gilt allerdings nicht für bestimmte Gegenstände des Verwaltungsvermögens. Darunter fallen dem Grunde nach auch Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke. Diese können im Rahmen der Erbschaftsteuer zwar auch begünstigt sein, etwa wenn (wie im Streitfall) der Erblasser seinen ursprünglich selbst betriebenen Gewerbebetrieb unbefristet verpachtet und den Pächter testamentarisch als Erben einsetzt.
Keine erbschaftsteuerliche Privilegierung
Eine Ausnahme besteht dabei jedoch für solche Betriebe, die schon vor der Verpachtung nicht die Voraussetzungen der erbschaftsteuerrechtlichen Privilegierung erfüllt haben. Dies ist bei einem Parkhaus der Fall. Denn die dort verfügbaren Parkplätze als Teile des Parkhausgrundstücks wurden schon durch den Erblasser als damaligem Betreiber an die Autofahrer – und somit an Dritte – zur Nutzung überlassen.
Beachten Sie | Zudem handelt es sich dabei auch nicht um die Überlassung von Wohnungen, die der Gesetzgeber wiederum aus Gründen des Gemeinwohls für die Erbschaftsteuer privilegiert hat.
Keine Rolle spielt auch, ob zu der Überlassung der Parkplätze weitere gewerbliche Leistungen (z. B. eine Ein- und Ausfahrtkontrolle und eine Entgeltzahlungsdienstleistung) hinzukommen. Darauf stellt das Erbschaftsteuergesetz nämlich nicht ab.
Der BFH sah auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Grundstücksüberlassungen, wie z. B. im Rahmen des Absatzes eigener Erzeugnisse durch einen Brauereibetrieb oder im Zusammenhang mit einer land- und forstwirtschaftlichen Betriebstätigkeit. Dass der Gesetzgeber solche Betriebe (wie auch die erwähnten Wohnungsunternehmen) als förderungswürdig ansah, ist von seinem weiten Entscheidungsspielraum gedeckt.
Quelle | BFH, Urteil vom 28.2.2024, II R 27/21
| Oft werden private Ausfahrten zugeparkt oder der private Parkplatz von anderen unberechtigt genutzt. Das störende Fahrzeug muss dann abgeschleppt werden und der Berechtigte muss zusehen, wie er etwaig verauslagte Kosten, z. B. Verwahrkosten, erstattet erhält. Hierzu hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) Wissenswertes entschieden. |
Parken trotz Parkverbots
Der auf den Kläger zugelassene Pkw wurde von dessen Schwester im Innenhof eines privaten Gebäudekomplexes abgestellt, der von einer Immobilienverwalterin verwaltet wird. An der Hofeinfahrt war ein Parkverbotsschild mit dem Zusatz „gilt im gesamten Innenhof“ angebracht. Die Verwalterin beauftragte die Beklagte, das Fahrzeug abzuschleppen, es anschließend zu verwahren und vor Wertminderung sowie unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern. Die Beklagte verbrachte das Fahrzeug noch am selben Tag auf ihr Firmengelände. Kurz darauf forderte der Kläger von der Beklagten schriftlich unter Fristsetzung, das Fahrzeug herauszugeben. Auf das Schreiben erfolgte keine Reaktion.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten zunächst die Herausgabe seines Fahrzeugs verlangt. Nach erfolgter Herausgabe während des Prozesses haben die Parteien die Herausgabeklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Gegenstand des Verfahrens war dann nur noch die Frage, wer die Standkosten tragen musste.
Herausgabeverlangen: Auf den Zeitpunkt kommt es an
Die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser entschied: Zu erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters.
Es kommt auch ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät.
Quelle | BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22
| Muss der Verkäufer einer Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze unaufgefordert über den Härtegrad der Matratze aufklären und beraten? Das Amtsgericht (AG) Hannover hat diese Frage verneint. Es hat entschieden, dass ein Verkäufer im Grundsatz nur dann über den Härtegrad einer Matratze aufklären und beraten muss, wenn der Käufer danach fragt. |
Matratze war Käuferin zu hart: Verkäuferin bot Rabatt an
Die Klägerin kaufte im November 2022 bei der Beklagten eine Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze für ihre Tochter, die zuvor für wenige Minuten zur Probe gelegen hatte. Im Kaufvertrag war für die Matratze der Härtegrad H5 angegeben. Nachdem die Möbel im Januar 2023 geliefert worden waren, empfanden die Klägerin und ihre Tochter die Matratze als zu hart. Dies reklamierte die Klägerin bei der Beklagten. Diese bot der Klägerin u. a. einen Rabatt auf zwei neue Matratzen an, verweigerte aber eine Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klägerin erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Rückabwicklung des Kaufvertrags?
Mit der Klage hatte die Käuferin eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Bettes nebst Matratze verlangt. Sie meinte, es sei für den Verkäufer klar erkennbar gewesen, dass das Schlafzimmer für ihre Tochter gewesen sei. Für das Gewicht ihrer Tochter sei aber ein Härtegrad von H2 angemessen.
Die Verkäuferin hatte vorgetragen, dass die Klägerin keine Beratung gewünscht habe. Sie habe es vielmehr sehr eilig gehabt, da sie einen Transporter angemietet habe. Sie habe sich lediglich nach einem Rabatt erkundigt, sonst aber keine Fragen gestellt.
So sah es das Amtsgericht
Das AG hat die Klage abgewiesen. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die erworbene Matratze nicht mangelhaft war. Denn die Klägerin habe genau das bekommen, was vertraglich vereinbart war, nämlich eine Matratze des Härtegrades H5. Zwar habe die Klägerin erwartet, dass der Verkäufer sie unaufgefordert berate. Der Verkäufer habe aber keinen Anlass gehabt, eingehend über den Härtegrad aufzuklären und zu beraten. Denn die Klägerin habe ihre Erwartung einer Beratung nicht geäußert.
Keine Verletzung der Aufklärungspflicht
Zudem sei der Verkäufer erst hinzugezogen worden, als die Klägerin bereits zum Kauf entschlossen gewesen sei. Im Verkaufsgespräch sei es lediglich darum gegangen, die Daten der Klägerin aufzunehmen und über den Preis zu verhandeln. Die Tochter der Klägerin habe sich nach dem Probeliegen auch nicht über den Härtegrad beschwert. Daher habe der Verkäufer auch keine Aufklärungspflicht verletzt, sodass die Klägerin den Vertrag weder anfechten könne noch vom Vertrag zurücktreten könne.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 30.1.2024, 510 C 7814/23, PM vom 4.4.2024
| Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren. Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde am Knöchel infolge eines Leitersturzes erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Schürfwunde anschließend infiziert und ein Geschwür (Ulkus) hervorruft. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entschieden. |
Das war geschehen
Das OLG musste über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe entscheiden. Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Frau des Klägers von der Leiter und zog sich hierbei u. a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Klägers sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Kläger hat dann die Reise storniert und bei der beklagten Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend gemacht.
Landgericht wies Klage ab
Das LG hatte die Klage abgewiesen, denn die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei – so das LG – auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau des Klägers hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat über die Frage der Behandlung der Ehefrau des Klägers am Knöchel vor Vertragsschluss die behandelnden Ärzte als Zeugen vernommen und die Versicherung dann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt.
Es hat die Kenntnis der Ehefrau des Klägers vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss abgelehnt. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.
Argumente der Versicherung ohne Erfolg
Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpfen die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung. Selbst, wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei.
Quelle | Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.3.2024, 16 U 74/23, PM 1/24
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat mit zwei Urteilen die Berufungen der Kläger in zwei Verfahren gegen Straßenreinigungsgebührenbescheide der Hansestadt Lüneburg für das Jahr 2018 zurückgewiesen. |
Die Hansestadt Lüneburg erhob bis Ende 2017 Straßenreinigungsgebühren nach dem sog. Frontmetermaßstab. Mit Wirkung zum 1.1.2018 stellte sie den Maßstab um und erhebt seitdem die Gebühren gemäß ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung nach dem sog. Quadratwurzelmaßstab. Bei diesem wird aus der Grundstücksfläche die Quadratwurzel gezogen. Damit wird gedanklich ein quadratisches Grundstück gebildet, von dem die Länge einer Seite der Gebührenberechnung zugrunde gelegt wird.
Das OVG hat entschieden, dass der Quadratwurzelmaßstab ein rechtmäßiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Bemessung der Straßenreinigungsgebühren ist. Der vormals von der Hansestadt Lüneburg angewandte Frontmetermaßstab sei gegenüber dem Quadratwurzelmaßstab nicht vorrangig anzuwenden.
Darüber hinaus hat das OVG auch die Bestimmungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung über die Heranziehung von mehrfach anliegenden Grundstücken und von Hinterliegergrundstücken als rechtmäßig erachtet. Diese verstießen weder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz oder den Gleichheitssatz noch gegen den Grundsatz der Vollständigkeit.
Quelle | OVG Lüneburg, Urteile vom 24.4.2024, 9 LC 117/20 und 9 LC 138/20, PM vom 25.4.2024
| Im Streit um Ansprüche auf Rückerstattung aus einem Reisevertrag wies das Amtsgericht (AG) München eine Klage auf Zahlung von rund 4.000 Euro ab. |
Reise online storniert
Der Kläger hatte bei der Beklagten zum Preis von über 4.500 Euro eine neuntägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Portugal gebucht. Im Anschluss stornierte der Kläger im Internet auf der Website der Beklagten die Reise. Die Beklagte buchte sodann vom Konto des Klägers Stornierungsgebühren in Höhe von rund 4.000 Euro ab. Der Kläger leitete daraufhin am selben Tag eine E-Mail an die Beklagte weiter, um die Stornierung rückgängig zu machen.
Der Kläger behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe unbeabsichtigt wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten.
Die Beklagte trug vor, der Kläger habe keine genauen Angaben über die besagte Baustelle getroffen. Im Übrigen sei die Buchung wirksam storniert worden. Für die endgültige Stornierung seien mehrere einzelne Schritte erforderlich gewesen. Eine unbeabsichtigte Kündigung sei im System unmöglich. Dem Reiseveranstalter sei durch den Rücktritt des Kunden hingegen ein Schaden entstanden.
So sieht es das Gericht
Das AG wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde vom Kläger wirksam storniert. Eine wirksame Anfechtung der Stornierung aufgrund eines Irrtums in der Erklärungshandlung ist nicht gegeben.
Ein Irrtum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 119 BGB) ist das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Es liegt (nach § 119 Abs. 1 2. Fall BGB) zudem ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist beispielsweise beim Versprechen, Verschreiben oder Vergreifen der Fall. Zwar gab der Kläger an, die Website der Beklagten sei für ihn unübersichtlich gewesen, da diverse Klicks erforderlich gewesen seien.
Fünfmaliges Verklicken unwahrscheinlich
Es kann grundsätzlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs – wie hier der Buchungsstornierung – mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein „Verklicken“, und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll.
Aus der vom Reiseveranstalter vorgelegten Anlage ergibt sich insoweit, dass der Reisende für eine endgültige Stornierung der Reise erst mehrere einzelne Schritte durchführen musste: Zur Auslösung des endgültigen Stornierungsvorgangs musste der Kläger insgesamt viermal aktiv per Mausklick bestätigen, dass er eine Stornierung wünsche.
Dabei musste er bei Schritt 1 zunächst angeben, aus welchem Grund er seine Reise stornieren wollte. Im Anschluss bei Schritt 2 musste der Kläger angeben, was genau er stornieren wollte. Bei dem darauffolgenden Schritt 3 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Auswählen „Buchung stornieren“, die Stornierung durchgeführt, und im Namen des Reisenden eine Rückerstattung beantragt werde. Erst durch Anklicken dieses Feldes gelangte der Kläger zum letzten und 4. Schritt, wo nochmals um Bestätigung gebeten wurde, dass tatsächlich mit der Stornierung fortzufahren sei. […]
Wirksame Stornierung und keine Umbuchung
Dass das Anklicken versehentlich geschah, und nicht dem Willen des Reisenden entsprach, war für das AG nicht nachvollziehbar. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung durch Vertippen sah das AG nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Reisenden bewusst gewesen sein muss, dass er bei Durchführung des gesamten Buchungsvorgangs eine endgültige Stornierung vornahm – und nicht bloß, wie von ihm vorgegeben – eine Umbuchung. Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde somit wirksam storniert.
Verlust von 4.000 Euro
Die Beklagte war zudem berechtigt, aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch den Kläger vor Reisebeginn einen Betrag in Höhe von rund 4.000 Euro als angemessene Entschädigung zu verlangen.
Das AG hob hervor: Die pauschale Behauptung des Reisenden, es habe neben dem Hotel eine Baustelle gegeben, führt nicht zu einer vertraglichen Pflicht des Reiseveranstalters, alternative Lösungen anbieten zu müssen.
Quelle | AG München, Urteil vom 18.4.2024, 275 C 20050/23, PM 15/24
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Einer Mieterin von Wohnraum darf fristlos gekündigt werden, wenn diese – gleich zweimal – die Vermieterin mit Wasser überschüttet. |
Die Vermieterin hatte die Mieterin auf Räumung der Wohnung verklagt, weil diese sie zwei Mal mit Wasser übergossen habe. Unstreitig zwischen den Parteien war zwar, dass die Mieterin jeweils einen Eimer Wasser aus dem Fenster in den Hof gegossen hatte, als sich die Vermieterin in diesem befand. Die Mieterin hatte allerdings bestritten, die Vermieterin getroffen zu haben oder überhaupt treffen zu wollen.
Das AG sah die Kündigung als wirksam an. Denn der vernommene Zeuge bestätigte, dass die Vermieterin beide Male tatsächlich mit dem Wasser aus dem Eimer vollständig übergossen wurde. Diese sei, so der Zeuge,„klitschnass“ gewesen, wie bei einer „Ice-Bucket-Challenge“. Das rechtfertige eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens, so das AG. Selbst, wenn die Mieterin keine direkte Absicht gehabt habe, die Vermieterin zu treffen, habe sie dies angesichts der Situation jedoch zumindest billigend in Kauf genommen. Denn ihr Ziel lag schon nach dem eigenen Vortrag darin, die Vermieterin davon abzuhalten, ihr Fahrrad umzustellen. Es habe auch keiner vorherigen Abmahnung bedurft, zumal die Mieterin, wie sich aus der Beweisaufnahme ergab, bereits weitere derartige Aktionen angekündigt habe.
Quelle | AG Hanau, Beschluss vom 19.2.2024, 34 C 92/23, PM vom 3.5.2024
| Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat sich mit dem Einwand der Testierunfähigkeit eines an Depressionen und Alkoholsucht leidenden Erblassers zu befassen, der sich das Leben nahm. |
Erblasser litt an Persönlichkeitsstörung
Der Erblasser litt an einer psychiatrisch relevanten Persönlichkeitsstörung in Form einer affektiven Störung mit sowohl depressiven als auch manischen Phasen (bipolare Störung) sowie einem Alkoholproblem. Mit eigenhändigem Testament verfügte er, dass seine Ziehtochter seinen gesamten Besitz erben solle. In zwei Abschiedsbriefen begründete er seine Entscheidung zu dem Suizid und tat im Übrigen kund, dass er alle Erbschaftsangelegenheiten regeln wolle.
Die Ziehtochter beantragte einen Erbschein, der ihre Stellung als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesem Antrag trat die Schwester des Erblassers mit der Begründung entgegen, der Erblasser sei aufgrund seiner psychischen Erkrankungen testierunfähig gewesen. Nach Einholen eines Sachverständigengutachtens zum Einwand der Testierunfähigkeit hat das Nachlassgericht einen Feststellungsbeschluss erlassen. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Schwester mit der Beschwerde, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat.
So entschied das Oberlandesgericht
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Eine Testierunfähigkeit habe das Sachverständigengutachten nicht bestätigen können. Zwar habe der Erblasser an den genannten Erkrankungen und an weiteren körperlichen Einschränkungen gelitten, die die Sachverständigen bestätigten. Diese genannten Gründe allerdings ließen für sich allein keinen zwingenden Schluss auf das Vorliegen der Testierunfähigkeit zu.
Nur dann, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursachen, die die freie Willensbestimmung ausschlössen oder zu einer solch starken Bewusstseinsstörung führten, liege auch eine Testierunfähigkeit vor. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Quelle | Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.3.2024, 3 W28/24
| Ein (fördermittelschädlicher) vorzeitiger Maßnahmenbeginn liegt vor, wenn die einschlägige Förderrichtlinie eine klare Linie bei der Leistungsphase 6 zieht und der Mittelempfänger darüber informiert wurde, dass er eingeschaltete Planer vor Erhalt der Förderzusage nur mit Planungs- und Vorbereitungsleistungen bis einschließlich Leistungsphase 6 beauftragen soll. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg entschieden. |
Bauherr verlor Förderung
Das Urteil war für den Bauherrn besonders „bitter“. Denn er verlor die gesamte Förderung in Höhe von 240.000 Euro, weil er den Planer entgegen den Förderbestimmungen schon mit kleinen Leistungen der Leistungsphase 7 beauftragt hatte.
Bauherren informieren!
Konsequenz aus dem Urteil ist u. a.: Planer sollten Bauherren stets darüber informieren, wie streng Fördermittelgeber darauf achten, dass Förderbestimmungen eingehalten werden.
Quelle | VG Magdeburg, Urteil vom 25.3.2024, 3 A 155/21
| Regelt der Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Erschwernisse, um von ihm eine Bauhandwerkersicherungshypothek zu verlangen, ist dies unwirksam. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Anspruch nur beiVerzug?
Der Auftraggeber hatte einen Planer für Technische Gebäudeausrüstung mit Leistungen über knapp 4,7 Mio. Euro beauftragt. In seinen AGB hieß es u. a.: „Einen Anspruch aus § 650 e BGB kann der Auftragnehmer nur geltend machen, wenn sich der Auftraggeber in Verzug befindet und die angemahnte Zahlung trotz Nachfristsetzung innerhalb von zwei Wochen nicht fristgemäß leistet. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 650 e BGB setzt ferner voraus, dass der Auftragnehmer bei Nachfristsetzung oder danach dies mit einer Frist von drei Wochen angekündigt hat.“
Nachdem mehrere Rechnungen nicht bezahlt worden waren, verlangte der Planer erst eine Sicherheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB, Bauhandwerkersicherung). Die brachte der Auftraggeber nicht bei. Daher beantragte der Planer ohne erneute Fristsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des Anspruchs nach § 650 e BGB (Sicherungshypothek an dem Baugrundstück) i. H. v. ca. 340.000 Euro. Der Auftraggeber berief sich auf seine o. g. AGB-Klausel und wollte nicht leisten.
Landgericht gab Planer Recht
Die Klausel im Vertrag war unwirksam, denn sie benachteiligte den Planer als Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie war mit den wesentlichen Grundgedanken des § 650 e BGB nicht vereinbar.
Der Anspruch auf Vormerkung einer Sicherungshypothek soll den vorleistungspflichtigen Unternehmer schützen und gewährt ihm hierzu einen im Eilverfahren zügig durchsetzbaren Anspruch. Diesen Grundgedanken stehen die mit den AGB aufgestellten Anforderungen, Verzug nach Fristsetzung und weitere Ankündigungsfrist, entgegen. Vor allem könnte der Auftraggeber ansonsten versuchen, bis zum Abschluss eines zuvor angekündigten einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Eigentumswechsel herbeizuführen. Das könnte den Anspruch des Unternehmens vereiteln.
Quelle | LG Berlin, Urteil vom 6.7.2023, 19 O 101/23
| Wer mit Verbrauchern einen Architektenvertrag schließt, muss zum einen vermeiden, dass diese ihr Widerrufsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 312 b BGB) ausüben. Zum anderen ist die neue Belehrungspflicht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (hier: § 7 Abs. 2 HOAI 2021) zu beachten. Sonst kann der Architekt maximal das Honorar nach den Basishonorarsätzen der HOAI abrechnen. Dies gilt, selbst wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Das sagt die HOAI zur Form und zum Fehlen einer Vereinbarung
§ 7 HOAI sagt, dass sich das (Architekten-)Honorar nach der Vereinbarung richtet, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart.
Das sagt die HOAI zur Aufklärungspflicht des Architekten
Außerdem schreibt die Norm vor, dass der Auftragnehmer, also der Architekt, den Auftraggeber, falls dieser Verbraucher ist, vor Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung in Textform darauf hinweisen muss, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Folge: Ohne diese (rechtzeitige) Belehrung gilt für die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Grundleistungen anstelle eines höheren Honorars ein Honorar in Höhe des jeweiligen Basishonorarsatzes als vereinbart.
Diese Konsequenzen zog das Oberlandesgericht
Im Fall des OLG gab es diese Aufklärung nicht. Das OLG: Die Aufklärungspflicht gilt auch, wenn ein Zeit- oder Pauschalhonorar vereinbart worden ist. Ohne Belehrung kann der Planer nur den Basishonorarsatz abrechnen.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 8.4.2024, 11 U 215/22
| Widerruft ein Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst seine Einstellungszusage aufgrund eines ärztlichen Attests, ist dies keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |
Einstellungszusage widerrufen
Der an Diabetes erkrankte, schwerbehinderte Kläger bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung im Januar 2023 auf eine von der beklagten Stadt ausgeschriebene Ausbildungsstelle als Straßenwärter. Er erhielt eine Einstellungszusage vorbehaltlich einer noch durchzuführenden ärztlichen Untersuchung. Der Arzt kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger wegen seiner Diabetes-Erkrankung nicht für die vorgesehene Ausbildungsstelle geeignet sei. Die Einstellungszusage wurde daraufhin zurückgenommen. Der Kläger erhob Klage auf Entschädigung wegen einer aus seiner Sicht erfolgten Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch.
Kein Verstoß gegen geltendes Recht
Das ArbG wies die Klage ab. Eine diskriminierende Handlung und ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien nicht erkennbar.
Der Kläger sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung nicht schlechter behandelt worden als vergleichbare nichtbehinderte Bewerber. Die Stadt habe bei der Entscheidung, den Kläger nicht einzustellen, nicht auf seine Behinderung abgestellt. Vielmehr habe man den Kläger ungeachtet seiner Behinderung gerade einstellen wollen und ihm demgemäß eine Einstellungszusage erteilt, diese jedoch vom Ergebnis einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung bzw. seiner Eignung abhängig gemacht.
Diese gesundheitliche Eignung sei dann von dem von ihr beauftragten Arzt verneint worden. Daraufhin habe die Beklagte unter Berufung auf den zum Ausdruck gekommenen Vorbehalt ihre Einstellungszusage zurückgezogen.
Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 20.3.2024, 3 Ca 1654/23, PM 1/24
| In einem Fall vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf ging es im Wesentlichen um angeblich unangemessene Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber Kollegen über Mitarbeitern. Die daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnung hatte keinen Bestand, weil sie zu unbestimmt war. |
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer hatte die Äußerungen bestritten. Auf seine Frage im Personalgespräch, weshalb keine Namen derjenigen Arbeitnehmer genannt würden, die die Vorwürfe an die Personalbetreuung herangetragen hätten, äußerte die Personalreferentin, dass die Arbeitnehmer eingeschüchtert seien und sich lediglich vertraulich an die Vorgesetzten sowie die Personalbetreuung gewandt hätten. Auch in der Abmahnung selbst erfolgte keine namentliche Nennung.
So sah es das Arbeitsgericht
Das ArbG stellte klar: Dieser Vorgang reicht nicht für eine Abmahnung. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich in der ihm vorgeworfenen Art und Weise verhalten habe. Die Abmahnung sei inhaltlich zu unbestimmt. Die „anderen Mitarbeiter“, gegenüber denen er die Äußerungen getätigt haben soll, würden in der Abmahnung nicht benannt, obwohl sie dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abmahnung unstreitig bekannt gewesen seien. Da sich die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientierten, was der Arbeitgeber wissen könne, sei die Abmahnung nicht hinreichend konkret.
Für den Arbeitnehmer als Adressat der Abmahnung diene die konkrete Nennung der Namen der Zeugen auch dazu, zu überprüfen, ob die Abmahnung inhaltlich richtig sei oder nicht; pauschale Vorwürfe ohne die Nennung der Zeugen würden diese Anforderung nicht erfüllen. Der Arbeitgeber sei auch nicht berechtigt, zum Schutz der Zeugen die Namen in der Abmahnung nicht zu nennen. Hierdurch könne zwar ein Konflikt zwischen dem Arbeitnehmer und den Zeugen im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe entstehen. Einen solchen Konflikt müsse ein Arbeitgeber, der den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf ein angebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers vertraue, allerdings hinnehmen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr den Zeugen durch ihre Nennung in der Abmahnung drohe.
Quelle | ArbG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2024, 7 Ca 1347/23
| Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (hier: § 3 Abs. 1 EFZG) dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Voraussetzung: Es muss dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sein, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |
Abzug vom Verdienst nach Covid-Erkrankung
Der Kläger ist als Produktionsmitarbeiter bei der Arbeitgeberin beschäftigt, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Er hatte sich keiner Schutzimpfung gegen das Coronavirus unterzogen und wurde am 26.12.2021 positiv auf das Virus getestet. Für die Zeit vom 27. bis zum 31.12.2021 wurde dem unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen leidenden Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt. Für diese Zeit leistete die Arbeitgeberin Entgeltfortzahlung. Am 29.12.2021 erließ die Gemeinde N. eine Verfügung, nach der für den Kläger bis zum 12.1.2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung angeordnet wurde. Für die Zeit vom 3. bis zum 12.1.2022 lehnte der Arzt die Ausstellung einer Folge-AU mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Mit der Verdienstabrechnung für Januar 2022 nahm die Arbeitgeberin für diese Zeit vom Lohn des Klägers einen Abzug in Höhe von ca. 1.000 Euro brutto vor. Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung des Arbeitnehmers das Urteil des ArbG geändert und die Arbeitgeberin verurteilt, zu zahlen.
Bundesarbeitsgericht gab Arbeitnehmer Recht
Die Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, ohne dass es darauf ankam, ob bei ihm durchgehend Symptome von COVID-19 vorlagen. Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Die Absonderungsanordnung ist keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruht das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion (Monokausalität). Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Absonderungsanordnung. Aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion war es dem Kläger rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
Es konnte auch nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der empfohlenen Corona-Schutzimpfung für die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich war. Das Berufungsgericht hat hierbei zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, dass die Nichtvornahme der Schutzimpfungen einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellte. Jedoch ließen die wöchentlichen Lageberichte des RKI und dessen Einschätzung der Impfeffektivität nicht den Schluss zu, dass Ende Dezember 2021 bzw. Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufgetretene Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte verhindert werden können.
Der Arbeitgeberin stand ein Leistungsverweigerungsrecht wegen nicht vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu. Das LAG hatte richtig erkannt, dass der Kläger der Beklagten durch Vorlage der Ordnungsverfügung der Gemeinde N. in anderer, geeigneter Weise nachgewiesen hat, infolge seiner Corona-Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.
Quelle | BAG, Urteil vom 20.3.2024, 5 AZ R 234/23, PM 8/24
| Eine Bank kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Bank wollte Originalurkunden nicht herausgeben
Ein Mann hatte geltend gemacht, seine – inzwischen getrenntlebende und in Scheidung befindliche – Ehefrau habe auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung unberechtigt seine Unterschriften angebracht. Er hat beantragt, ein Schriftsachverständigengutachten einzuholen. Das Kreditinstitut – eine Bausparkasse – hat die Herausgabe der zur Begutachtung erforderlichen Originalurkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert. Das machte der BGH nicht mit.
Hier gilt ein Zeugnisverweigerungsrecht
Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, sind zur Verweigerung des Zeugnisses der Tatsachen berechtigt, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Dies gilt dann auch für hierauf bezogene Urkunden. Im Fall des BGH hatten die Interessen des Mannes jedoch Vorrang.
Quelle | BGH, Beschluss vom 29.11.2023, XII ZB 141/22
| Unternehmen müssen den Inhalt der Bilanz und der Gewinn-und Verlustrechnung grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung übermitteln. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun das aktualisierte Datenschema der Taxonomien (Version 6.8) als amtlich vorgeschriebenen Datensatz veröffentlicht. Die aktualisierten Taxonomien stehen unter www.esteuer.de zur Ansicht und zum Abruf bereit. |
Beachten Sie | Die neuen Taxonomien sind grundsätzlich für die Bilanzen der Wirtschaftsjahre zu verwenden, die nach dem 31.12.2024 beginnen (Wirtschaftsjahr 2025 oder 2025/2026). Es wird aber nicht beanstandet, wenn diese auch für das Wirtschaftsjahr 2024 oder 2024/2025 verwendet werden.
Die Übermittlungsmöglichkeit mit diesen neuen Taxonomien wird für Testfälle voraussichtlich ab November 2024 gegeben sein, für Echtfälle ab Mai 2025.
Quelle | BMF-Schreiben vom 27.5.2024, IV C 6 - S 2133-b/24/10001 :002
| Nach den statistischen Aufzeichnungen der obersten Finanzbehörden der Länder haben die im Jahr 2023 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen bei der Umsatzsteuer zu einem Mehrergebnis von rund 1,52 Mrd. Euro geführt. Die Ergebnisse aus der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind in diesem Mehrergebnis nicht enthalten. |
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen werden unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im Jahr 2023 wurden 63.282 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt. Im Jahresdurchschnitt waren 1.604 Umsatzsteuer-Sonderprüfer eingesetzt. Jeder Prüfer führte im Durchschnitt 39 Sonderprüfungen durch. Dies bedeutet für jeden eingesetzten Prüfer ein durchschnittliches Mehrergebnis von rund 0,94 Mio. Euro.
Quelle | BMF, Mitteilung vom 25.4.2024
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Er möchte wissen, ob das gesetzliche Aufteilungsgebot für Beherbergungsleistungen rechtmäßig ist. Danach unterliegt die Übernachtungsleistung dem ermäßigten Umsatzsteuersatz i. H. von 7 %. Für Nebenleistungen, die nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, gilt dagegen der Regelsteuersatz (19 %). In den drei Streitfällen ging es um Parkplatzgestellungen, Frühstücksleistungen, die Gestellung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen sowie von W-LAN. |
Für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, greift die Umsatzsteuerermäßigung auf 7 %.
Beachten Sie | Dies gilt nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG) aber nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.
Bisher war der BFH der Ansicht, dass das Aufteilungsgebot in Einklang mit dem Unionsrecht steht und dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung vorgeht, wonach eine (unselbstständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt.
Ganz so sicher ist sich der BFH aber infolge der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht mehr. Deshalb hat er nun beim EuGH angefragt. Es ist zu hoffen, dass sich der EuGH zeitnah und eindeutig äußern wird, damit zu dieser Frage (endlich) Rechtssicherheit besteht.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 10.1.2024, XI R 11/23 (XI R 34/20), XI R 13/23 (XI R 7/21), XI R 14/23 (XI R 22/21)
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. |
Hintergrund: Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt (in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO) einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.
Finanzamt und Finanzgericht lehnten Auskunftsersuchen ab
Im Streitfall verlangte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt die Zurverfügungstellung (elektronischer) Kopien von Verwaltungsakten mit den ihn betreffenden personenbezogenen Daten, was sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (FG) ablehnten.
Bundesfinanzhof widersprach
Der BFH hat nun entschieden, dass ein Steuerpflichtiger vom Finanzamt grundsätzlich Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten verlangen kann – und zwar ungeachtet der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung.
Auskunftsanspruch unabhängig von Art der Steuer
Der Auskunftsanspruch ist auch nicht davon abhängig, für welche Steuerart die Datenverarbeitung erfolgt. Grundsätzlich ist der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch darauf beschränkt, dass der Steuerpflichtige darüber informiert wird, welche ihn betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet werden.
Der Auskunftsanspruch gewährt grundsätzlich aber kein Recht auf die (elektronische) Zurverfügungstellung von Kopien von ganzen Akten bzw. einzelnen Dokumenten mit personenbezogenen Daten. Nur ausnahmsweise, wenn der Steuerpflichtige diese zwingend benötigt, um seine Rechte nach der DS-GVO durchsetzen zu können, sind ihm auch Kopien von Dokumenten mit seinen personenbezogenen Daten (elektronisch) zur Verfügung zu stellen.
Grenzen: unbegründete oder exzessive Auskunftsersuchen
Zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs hat der BFH im Übrigen klargestellt, dass die Finanzverwaltung zwar einen gegen sie gerichteten Auskunftsanspruch nach der DS-GVO zurückweisen kann, falls dieser offenkundig unbegründet oder exzessiv ist. Hierfür muss sie jedoch die Umstände darlegen, die zu einer offenkundigen Unbegründetheit bzw. zu einem Exzess des Auskunftsersuchens führen. Dass der Steuerpflichtige mit seinem Auskunftsersuchen Ziele außerhalb der DS-GVO verfolgt, erlaubt der Finanzverwaltung nicht, die Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten zu verweigern.
Quelle | BFH, Urteil vom 12.3.2024, IX R 35/21, PM Nr. 27/24 vom 20.6.2024
| Die Auszahlung einer Direktversicherung nach Ausübung eines vertraglich eingeräumten Kapitalwahlrechts unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz. Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster ist allerdings die Revision anhängig. |
Das war geschehen
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in Beiträge zu einer Direktversicherung nach dem Betriebsrentengesetz vereinbart. Daraufhin schloss der Arbeitgeber für die Steuerpflichtige eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Es sollte eine lebenslange monatliche Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen.
Im Streitjahr 2019 übte die Steuerpflichtige das Kapitalwahlrecht aus und erhielt ca. 44.500 Euro. Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolglos.
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten können als außerordentliche Einkünfte in Betracht kommen, die ermäßigt zu besteuern sind (Fünftel-Regelung). Da es im Streitfall aber an dem Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit fehlte, kam keine ermäßigte Besteuerung in Betracht.
Höchstrichterliche Rechtsprechung
Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausschließlich auf die vertragliche Vereinbarung an (keine ermäßigte Besteuerung, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war). In späteren Entscheidungen hat es der BFH jedoch vielmehr für maßgeblich gehalten, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material ausgewertet werden muss.
Bundesfinanzhof ist erneut gefragt
Vor diesem Hintergrund hat das FG Münster nun die Revision mit folgendem Wortlaut zugelassen: „Dem Bundesfinanzhof ist Gelegenheit zu geben, über die Ausschärfung der Kriterien zur Bestimmung der Atypik bei Kapitalauszahlungen von Renten erneut zu entscheiden, da er bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist.“
Beachten Sie | Da die Steuerpflichtige die Revision eingelegt hat, können geeignete Fälle mit einem Einspruch bis zur Entscheidung des BFH offen gehalten werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 24.10.2023, 1 K 1990/22 E, Rev. BFH: X R 25/23
| Bei Lohnsteuer-Außenprüfungen stoßen Prüfer immer häufiger auf Sachverhalte, in denen der Arbeitgeber im Rahmen einer Gehaltsumwandlung den Grundlohn abgesenkt und einen nach § 3 Nr. 30 und Nr. 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreien Heimarbeiterzuschlag zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen (z. B. für Miete, Heizung und Beleuchtung der Arbeitsräume) bezahlt hat. Hier ist Vorsicht geboten: Denn in vielen Fällen sind die Voraussetzungen für den steuerfreien Heimarbeiterzuschlag nach dem Heimarbeitsgesetz (HAG) nicht erfüllt. |
Informationen zum Heimarbeiterzuschlag enthält vor allem die Lohnsteuerrichtlinie 9.13. Hier heißt es in Abs. 2: „Lohnzuschläge, die den Heimarbeitern zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen neben dem Grundlohn gezahlt werden, sind insgesamt aus Vereinfachungsgründen nach § 3 Nr. 30 und 50 EStG steuerfrei, soweit sie 10 % des Grundlohns nicht übersteigen.“
Beachten Sie | Die im Einkommensteuergesetz geregelte Steuerfreiheit gilt allerdings nur für Heimarbeiter i. S. des § 2 Abs. 1 HAG. Die steuerfreien Zuschläge können also nicht von Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden, die ihre Tätigkeit seit der Coronapandemie (teilweise) im Homeoffice ausüben.
Quelle | R 9.13 Abs. 2 Lohnsteuerrichtlinien; § 2 Heimarbeitsgesetz
| Schuldet der Vermieter von Wohnraum zum vertragsgemäßen Gebrauch auch die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, stehen Kosten des Vermieters für eine neue Heizungsanlage jedenfalls dann im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zur steuerfreien Vermietung, wenn es sich dabei nicht um Betriebskosten handelt, die der Mieter gesondert zu tragen hat. Die Quintessenz aus dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH): Der Vermieter kann für die Heizungsanlage keinen Vorsteuerabzug beanspruchen. |
Hintergrund: Nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG) ist der Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen ausgeschlossen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
Das Finanzgericht (FG) Münster hatte den Streitfall noch anders beurteilt und auf getrennte Leistungen abgestellt, nämlich einerseits steuerfreie Vermietungsleistungen und andererseits steuerpflichtige Energielieferungen.
Der BFH lehnte den vom Vermieter begehrten Vorsteuerabzug aus dem Heizungsaustausch aber bereits deshalb ab, weil der Vermieter dort entsprechend den mietrechtlichen Rahmenbedingungen die Gestellung einer Wohnung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch – d. h. einschließlich der Gestellung warmen Brauchwassers – schuldete und die diesbezüglichen Zahlungen nicht als dem Mieter gesondert berechenbare Betriebskosten i. S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 556 BGB) anzusehen waren.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.12.2023, V R 15/21
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden. Danach müssen Steuerpflichtige unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Weil deswegen bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt. |
Steuerpflichtige vor Finanzgericht erfolgreich
In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die Bescheide waren auf der Grundlage des neuen Bundesmodells ergangen, das in mehreren Bundesländern (z. B. in Nordrhein-Westfalen) Anwendung findet.
Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1.1.2022 als einheitlichem Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen Vorschriften enthalten nicht zuletzt wegen der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten zahlreiche Typisierungen und Pauschalierungen.
Bundesfinanzhof: Beschwerden des Finanzamts zurückgewiesen
Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die dagegen erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit in Bezug auf Grundsteuerwerte
Nach Ansicht des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Denn die Steuerpflichtigen müssen bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit haben, einen niedrigeren Wert nachzuweisen – auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich geregelt hat.
Übermaßverbot ist zu berücksichtigen
Der Gesetzgeber verfügt gerade in Massenverfahren über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot kann aber verletzt sein, wenn sich der Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt nach der Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt – und dies war infolge der Besonderheiten in den Streitfällen nicht auszuschließen.
Beachten Sie | Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden. Es handelt sich bisher lediglich um Beschlüsse im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV); PM Nr. 26/24 vom 13.6.2024
| Ist ein Fahrzeug mehr als fünf Jahre alt, stuft das Amtsgericht (AG) Aue-Bad Schlema die Nutzungsausfallentschädigung um eine und bei mehr als zehn Jahren um zwei Gruppen ab. |
So rechnete das Amtsgericht
Wenn ein ca. 15 Jahre alter Kleinwagen mit ca. 194.000 km Laufleistung, der ohne Altersabstufung in die Gruppe B gehört, betroffen ist, wird jedoch nur eine Gruppe abgestuft. Denn tiefer geht es nicht. So gab es im vom AG entschiedenen Fall einen Tagessatz von 23 Euro.
Der Versicherer hatte nur minimale Vorhaltekosten erstattet. Das lehnt das Gericht ab. Denn das komme nur in Betracht, wenn ein Fahrzeug nicht nur alt, sondern in einem so schlechten Zustand ist, dass seine Nutzbarkeit deutlich eingeschränkt ist.
Entgangene Fortbewegungsmöglichkeit
Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich hinter den Vorhaltekosten letztlich kaum mehr als die Fixkosten wie Steuern, Versicherung etc. verbergen, es sich hierbei also um einen weitaus geringeren Betrag handelt. Mit zunehmendem Fahrzeugalter spiele letztlich nur die entgangene Fortbewegungs- und Transportmöglichkeit eine Rolle. Allein aufgrund des Alters des Fahrzeugs könne daher nicht ohne Weiteres von einer weiteren Einschränkung des Nutzungswerts bis zum Betrag von Vorhaltekosten ausgegangen werden.
Quelle | AG Aue-Bad Schlema, Urteil vom 28.2.2024, 3 C 241/23
| Ist ein durch eine Verbraucherzentrale geltend gemachter Unterlassungsanspruch begründet, wenn eine Firma die online erklärte Kündigung eines Kunden von einem Bestätigungstelefonat abhängig macht? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz bejaht. |
Zusätzliches Telefonat nötig, damit Online-Kündigung wirksam wird?
Die Beklagte bietet, auch gegenüber Verbrauchern, den Abschluss von Dienstleistungsverträgen über Dauerschuldverhältnisse unter anderem zur Bereitstellung von Webspeicherplatz, E-Mail-Postfächern und Servern an.
Der Kläger, ein eingetragener Verein (Verbraucherzentrale), begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, dass sie auf eine online erklärte Kündigung gegenüber Verbrauchern behauptet, dass zur Wirksamkeit der Kündigung noch ein Telefonat erforderlich sei. Konkret hat ein Kunde seinen Vertrag bei der Beklagten per Internet gekündigt. Der Kunde hat daraufhin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, er möge seine Kündigung binnen 14 Tagen telefonisch bestätigen, ansonsten bleibe das Vertragsverhältnis unverändert bestehen.
Verbraucherzentrale: Telefonat dient zum Umstimmen der Verbraucher
Der Kläger hat daraufhin die Beklagte abgemahnt und erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Er behauptet, im Fall eines Anrufs nach der Kündigung werde seitens der Beklagten – mittels rhetorischer Kunstfertigkeit oder Anbieten anderer Vertragskonditionen – versucht, den Verbraucher zu überzeugen, von seinem Kündigungswillen Abstand zu nehmen. Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten gegenüber Verbrauchern, dass nach einer Kündigung eine Rückbestätigung erfolgen müsse, stelle eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Sie enthalte unwahre Angaben über Rechte des Verbrauchers.
Der Kläger beantragte u. a., der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro zu untersagen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern diesen nach einer der Beklagten zugegangenen Kündigungserklärung eines Dienstleistungsvertrags in Form eines Dauerschuldverhältnisses zu behaupten, die telefonische Bestätigung der erklärten Kündigung sei erforderlich. Die Beklagte meint, ohne telefonische Rückbestätigung der Kündigung bestünde das Risiko, dass unberechtigte Dritte den Vertrag eines Kunden kündigen könnten. Es sei deshalb erforderlich, sich davon zu überzeugen, dass die Kündigung vom Erklärenden stammt. Dabei biete ein Telefonat ein Mehr an Sicherheit verglichen mit einem Bestätigungslink innerhalb einer E-Mail. Es finde keine Irreführung des Verbrauchers statt. Außerdem werde eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst.
So sah es das Landgericht
Das LG hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch zu. Das Vorgehen der Beklagten, den Verbraucher aufzufordern, seine Kündigung innerhalb von 14 Tagen telefonisch zu bestätigen, stelle eine geschäftliche Handlung dar. Dazu gehörten auch Verhaltensweisen, die auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung oder das Verhindern einer Geschäftsbeendigung gerichtet sind. Diese geschäftliche Handlung der Beklagten sei unzulässig, da sie unlauter sei. Unlauter handele, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Bestätigungslink in E-Mail genügt
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch irreführend. Dies sei gegeben, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthalte. Erfasst seien auch irreführende Angaben über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung bestimmter Rechte, zu denen auch das Kündigungsrecht zähle. Auch, wenn die Beklagte nach Auffassung des LG ein grundsätzliches Interesse an einer Authentifizierung haben könne, wäre eine solche vorrangig durch eine Bestätigung über den von dem Verbraucher gewählten Kommunikationskanal zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein an den Verbraucher unter der von ihm hinterlegten E-Mail-Adresse gesendeter Bestätigungslink zur Identifizierung weniger geeignet wäre als ein Telefonat. Auch während eines Telefonats sei es der Beklagten nicht möglich, sich umfassende Gewissheit über die wahre Person ihres Gesprächspartners zu verschaffen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es einem unbefugten Dritten, der sich Zugang zu der Kundennummer, der Vertragsnummer und dem E-Mail-Konto des wahren Vertragspartners verschafft hat, auch gelänge, in einem Telefonat über seine Identität zu täuschen.
Zusätzliche Entscheidung
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beklagte stelle den Verbraucher nach Zugang seiner Kündigung vor die Wahl, seine Kündigung nicht telefonisch zu bestätigen, und in der Folge das Vertragsverhältnis fortzusetzen, oder innerhalb von 14 Tagen telefonisch Kontakt zu der Beklagten aufzunehmen. Es werde dadurch eine zusätzliche Entscheidung des Verbrauchers verlangt, ob er an der Ausübung seines Kündigungsrechts festhalten will. Ohne die irreführende Aufforderung der Beklagten würde der Verbraucher weder die eine noch die andere Entscheidung treffen. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Beklagte eingeräumt habe, dass die beanstandete Vorgehensweise der Beklagten deren übliche Vorgehensweise sei.
Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 27.2.2024, 11 O 12/23
| Das Landgericht (LG) Oldenburg hat den von einer Frau geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz zurückgewiesen. Sie hatte sich an einem Becher Tee verbrüht. |
Warnhinweis auf dem Pappbecher
Die Frau hatte in einem Restaurant einen Tee in einem Einwegbecher gekauft. Auf dem Becher war der Warnhinweis angebracht: „VORSICHT HEISS“. Außerdem enthielt er ein Piktogramm mit einer Tasse mit Dampfschwaden. Der Becher war der Frau mit einem von Hand zu öffnenden Deckel übergeben worden. Er wurde ihr in einer Pappschale ausgehändigt. Wenige Minuten nach dem Kauf hob die Frau den Becher am Deckel aus der Schale. Da passierte es: Der Deckel löste sich. Der Tee ergoss sich auf ihre Oberschenkel. Die Frau erlitt Verbrennungen 1. und 2. Grades. Sie musste sich später einer teuren Behandlung unterziehen.
So sah es die Frau
Die Frau argumentierte vor dem LG, der Tee sei zu heiß gewesen. Folglich seien von ihm unnötige Gesundheitsgefahren ausgegangen. Zudem sei der Deckel nicht fest verschlossen gewesen. Mit diesen beiden Umständen habe sie nicht rechnen müssen.
So sah es das Landgericht
Das LG lehnte den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ab. Es hob hervor: Dass frisch zubereiteter Tee heiß sei (zwischen 90 und 100 Grad), sei allgemein bekannt. Er müsse daher nicht in verzehrfertiger Temperatur übergeben werden. Die Frau sei zudem durch die o. g. Hinweise auf dem Becher ausdrücklich gewarnt worden. Vor einem eventuell losen Deckel habe die Restaurantbesitzerin ebenfalls nicht warnen müssen.
Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 15.3.2024, 16 O 2015/23
| Kosten für eine einem Hotel ähnliche Unterbringung im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung können auch die Aufwendungen für das Mieten eines Wohnmobils sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Haus unbewohnbar – Wohnmobil als Ersatz gemietet
Das Haus eines Versicherungsnehmers war unbewohnbar geworden. Er mietete sich daher für 260 Euro pro Tag ein Wohnmobil und verlangte den Betrag später vom Versicherer zurück. Dieser wollte die Kosten jedoch nicht übernehmen.
Wohnmobil mit Hotel vergleichbar
Das OLG Köln verurteilte den Versicherer schließlich, rund 86.000 Euro an Mietkosten zu übernehmen. Auch die Kosten für das Mieten des Wohnmobils seien Kosten einer einem Hotel ähnlichen Unterbringung i. S. d. Versicherungsbedingungen.
Für Versicherungsnehmer ist Wohnmobil eine dem Hotel ähnliche Unterkunft
Die Auslegung ergebe, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch die stationäre Unterbringung in einem Mietwohnwagen oder Mietwohnmobil als eine einer Hotelunterbringung ähnliche Unterkunft ansehen werde. Denn ebenso wie ein Hotel, eine Ferienwohnung, eine Pension oder Gaststätte mit „Fremdenzimmern“ zeichnet sich ein Wohnmobil bzw. ein Wohnwagen, der zeitweise vermietet wird, dadurch aus, dass wechselnde Gäste darin für eine befristete Zeit wohnen, sei es zu Arbeitsaufenthalten (bspw. Saisonarbeiter, Arbeiter auf Montage) oder zu touristischen Zwecken. Allein der Aspekt der Mobilität des Wohnmobils im Unterschied zur Hotelunterkunft – also der Umstand, dass ein Wohnwagen grundsätzlich mithilfe eines Pkw bzw. ein Wohnmobil aus eigener Motorkraft im Straßenverkehr zum Reisen benutzt und zu wechselnden Standorten bewegt werden kann – steht der Vergleichbarkeit zu einer Hotelunterbringung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht entgegen.
Motorisierung spielt keine Rolle
Das OLG sieht zwar, dass ein Wohnmobil gerade durch die Motorisierung deutlich teurer ist als ein Wohnwagen. Darauf kommt es im Rahmen der Erstattung der Unterbringungskosten aber nicht an.
Der Versicherungsnehmer muss keine dem Wohnungsstandard entsprechende Unterkunft finden. Er ist in der Wahl der Unterkunft grundsätzlich frei und darf sich dabei von persönlichen Bedürfnissen und privaten Befindlichkeiten leiten lassen. Bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Grenzen besteht der zugesagte Versicherungsschutz. Danach sind Kosten für das Mieten eines Wohnmobils als Kosten einer ähnlichen Unterbringung, wie Hotelkosten, grundsätzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung (nach Abschnitt A. § 8 Nr. 1 c VHB 2014) erstattungsfähig.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger das Wohnmobil nicht als Wohnraumersatz, sondern etwa zu Reisezwecken angemietet haben, hat der Versicherer nicht konkret vorgetragen. Sie ergaben sich für das OLG auch nicht aus dem Akteninhalt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 5.12.2023, 9 U 46/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden: Der Versicherer muss die Kosten für die Versorgung mit Medizinal-Cannabis nicht tragen, wenn der Versicherungsnehmer an der Glasknochenkrankheit leidet. |
Konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft?
Der Versicherungsnehmer meinte, dass konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien. Es liege zumindest eine schwere Erkrankung mit wesentlichen Funktionseinschränkungen vor. Daher müsse der Versicherer die medizinisch notwendige Heilbehandlung durch Medizinal-Cannabis übernehmen.
Der Versicherer entgegnete: Bei akut auftretenden Schüben sei Cannabis wegen seiner „Behandlungsträgheit“ nicht geeignet. Das Landgericht (LG) war dem gefolgt und hatte in erster Instanz die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen.
Oberlandesgericht sieht es wie der Versicherer
Das OLG hat dies bestätigt. Der Versicherungsnehmer habe nach dem Versicherungsvertrag einen Leistungsanspruch, wenn es sich bei der Behandlung seiner Beschwerden um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handelt, die entweder von der Schulmedizin überwiegend anerkannt ist oder es sich um eine Methode oder ein Arzneimittel handelt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor.
Zwar leide der Versicherungsnehmer unter einem schweren, multilokulären generalisierten Schmerzsyndrom bei Glasknochenkrankheit und bei entsprechender Symptomatik komme die Erstattung von Medizinal-Cannabis grundsätzlich in Betracht. Wesentliche gelenkarthrotische Veränderungen seien jedoch ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht feststellbar. Weitere Befunde, die den Vortrag zu seinen körperlichen Beschwerden – insbesondere der behaupteten Vielzahl von Brüchen – stützen könnten, habe der darlegungs- und beweisbelastete Versicherungsnehmer ebenfalls nicht vorgelegt.
Die Behandlung der beim Versicherungsnehmer feststellbaren Symptomatik mit Medizinal-Cannabis sei nach heutiger medizinischer Einschätzung und aktuellem Wissensstand nicht als von der Schulmedizin allgemein anerkannte Methode anzusehen. Auch sei sie keine Methode, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt habe wie die Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe ausgeführt, mangels ausreichender Datenlage könne nicht festgestellt werden, dass die Therapie mit Medizinal-Cannabis eine entsprechende Linderung der im Zusammenhang mit der Glasknochenkrankheit stehenden Schmerzsymptomatik verspreche. Schließlich seien schulmedizinisch sowohl nichtmedikamentöse als auch verschiedene medikamentöse Behandlungen verfügbar. Der Versicherungsnehmer habe nicht nachgewiesen, dass diese Behandlungsmethoden bei ihm nicht wirksam seien oder gravierende Nebenwirkungen verursachten.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2023, I-13 U 222/22
| Der Vermieter ist verpflichtet, dem Mieter auf dessen Verlangen Einsicht in die Abrechnungsbelege zu gewähren und diese in einer geordneten Form vorzulegen. Es ist nicht Aufgabe des Mieters, die Belege selbstständig zu ordnen. So entschied es das Amtsgericht (AG) Münster. |
Die Wohnungsmieter hatten Einsicht in die Belege zu den Betriebskostenabrechnungen von 2018 bis 2020 verlangt. Die Vermieterin legte die Unterlagen ungeordnet, weder thematisch noch chronologisch stringent sortiert, vor. Daher weigerten sich die Mieter, die Nachforderungen aus den Abrechnungen auszugleichen.
Die Zahlungsklage der Vermieterin hatte keinen Erfolg. Sie habe keinen Anspruch auf die Nachzahlungen, da den Mietern ein Zurückbehaltungsrecht zustehe. Die Vermieterin habe keine umfassende Belegeinsicht gewährt.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 259 Abs. 1 BGB) bedürfe es einer geordneten Zusammenstellung der Abrechnungsbelege, so das AG. Das umfasse eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung in Abrechnungsposten.
Dabei sei auf einen juristisch und betriebswirtschaftlich ungeschulten Mieter abzustellen. Anderenfalls könne der Mieter sein Prüfungsrecht nicht sinnvoll ausüben. Der Mieter sei nicht verpflichtet, die Belege selbstständig zu ordnen oder Zusammenhänge in den Rechnungen fortlaufender Verträge zu erkennen.
Quelle | AG Münster, Urteil vom 25.10.2023, 38 C 1947/22
| Das Landgericht (LG) Hanau hat entschieden, dass ein Vermieter in einem Gebäude mit nur zwei Wohnungen dem Mieter der zweiten Wohnung nicht ohne besonderen Grund kündigen kann, wenn er selbst die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr nutzt. |
Vermieterin wohnte überwiegend im Ausland
Zwischen der hauptsächlich im Ausland lebenden Vermieterin und den Mietern besteht ein Mietvertrag über eine Wohnung in einem Haus mit nur zwei Wohneinheiten. Sie selbst nutzt die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr. Die Vermieterin hat die Kündigung nach § 573 a BGB ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift kann der Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen jederzeit ohne Grund beenden. Die Mieter halten die Kündigung für unwirksam, weil die Vermieterin die andere Wohnung nicht im Sinne der Vorschrift bewohne. Das Amtsgericht (AG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat die Räumungsklage abgewiesen.
Lebensmittelpunkt erforderlich
Das LG hat die Berufung der Vermieterin zurückgewiesen. Für die erleichterte Kündigung nach § 573 a BGB reiche es nicht aus, dass der Vermieter die zweite Wohnung in dem Haus lediglich zusätzlich nutze, selbst, wenn das vereinzelt, wie für das Jahr 2021 behauptet, insgesamt 40 Wochen seien. Er müsse vielmehr seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung haben. Eine enge Auslegung der Vorschrift sei insbesondere deshalb geboten, weil diese es ermögliche, den Mietvertrag mit dem ansonsten von dem Gesetz erheblich geschützten Wohnraummieter zu beenden, ohne dass der Mieter eine Pflichtverletzung begangen oder der Vermieter sonst ein besonderes Interesse hieran habe.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Hanau, Urteil vom 15.11.2023, 2 S 107/22, PM vom 8.2.2024
| Dass ein Testament nicht zwingend auf einem weißen Blatt Papier entstehen muss, zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg. Es ging letztlich darum, ob jemand Erbe geworden war oder nicht. |
Gastwirt verstarb – Testament auf „Kneipenblock“
Verstorben war ein Gastwirt aus dem Landkreis Ammerland. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte, einen Erbschein zu erteilen. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname einer Person („X“) vermerkt. Auf dem Zettel hieß es lediglich „X bekommt alles“.
Amtsgericht: Testierwille fehlte
Das Amtsgericht (AG) sah die Partnerin nicht als Erbin an. Es war der Auffassung, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille.
Oberlandesgericht: Testament wirksam
Der auf das Erbrecht spezialisierte Senat des OLG gelangte zu einer anderen Bewertung. Der handschriftliche Text auf dem Zettel sei ein wirksames Testament.
Das OLG war aufgrund der Einzelheiten des Verfahrens überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück selbst verfasst hatte und dass er mit dem genannten Spitznamen allein seine Partnerin gemeint habe. Auch, dass der Erblasser mit der handschriftlichen Notiz seinen Nachlass verbindlich regeln wollte, stand für den Senat aufgrund von Zeugenangaben fest.
Dass sich die Notiz auf einer ungewöhnlichen Unterlage befinde, nicht als Testament bezeichnet und zudem hinter der Theke gelagert war, stehe der Einordnung als Testament nicht entgegen. Zum einen sei es eine Eigenart des Erblassers gewesen, für ihn wichtige Dokumente hinter dem Tresen zu lagern. Zum anderen reiche es für die Annahme eines Testaments aus, dass der Testierwille des Erblassers eindeutig zu ermitteln sei und die vom ihm erstellte Notiz seine Unterschrift trage. Das OLG stellte die Partnerin daher als rechtmäßige Erbin fest.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2023, 3 W 96/23, PM 10/24
| Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte der Klägerin eine Altersrente. Einen Grundrentenzuschlag nach dem Sozialgesetzbuch VI (hier: § 76 g SGB VI) für langjährige Versicherung berücksichtigte sie nicht, weil das anzurechnende Einkommen des Ehemannes höher als der Zuschlag war. Zu Recht, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun bestätigte. |
Klägerin rügte Grundrechtsverstoß
Die Klägerin rügte, dass die Einkommensanrechnung gemäß § 97 a Abs. 1 SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße. Verheiratete und unverheiratete Menschen würden ungleich behandelt und durch den Familienstand „verheiratet“ benachteiligt, weil das Gesetz eine Einkommensanrechnung bei unverheirateten Personen nicht vorsehe. Das SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid ab.
Landessozialgericht: kein Grundrechtsverstoß
Die dagegen gerichtete Berufung hat das LSG nun zurückgewiesen. Die von der Beklagten angewandte gesetzliche Regelung sei nicht verfassungswidrig. Der Nachteil der Einkommensanrechnung werde bei Gesamtbetrachtung aller an die Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft anknüpfenden Regelungen sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch in anderen Regelungsbereichen im Ergebnis ausgeglichen.
Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs
Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass das Ziel der Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers neben der Anerkennung der Lebensarbeitsleistung eine bessere finanzielle Versorgung von langjährig Versicherten sei. Dieses Ziel werde erreicht. Dem Grundrentenberechtigten verbleibe bei Einbeziehung des Einkommens des Ehegatten ein Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs. Er stehe besser da als jemand, der wenig oder gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend versichert gearbeitet habe und entsprechend wenig oder gar nicht in diese eingezahlt habe.
Das gelte zwar auch für jemanden, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit jemandem zusammenlebe, der entsprechende Einkünfte habe. Allerdings seien Ehepartner aufgrund der unterhaltsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung wirksamer als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft versorgt.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.1.2024, L 18R 707/22, PM vom 15.3.2024
| Allein mit der Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, kann der Auftraggeber das Architektenhonorar nicht wirksam mindern. Die Bezeichnung „im Allgemeinen erforderlich“ in § 3 Abs. 3 HOAI soll nämlich klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt notwendig sind, um die Vertragsziele zu erreichen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Maßgeblich sind die vertraglichen Vereinbarungen
Maßgeblich sind nach dem OLG nicht die in der HOAI genannten Leistungsbilder, sondern die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Was ein Planer vertraglich schuldet, ergibt sich aus dem Vertrag, in der Regel also aus dem Recht des Werkvertrags. Der Inhalt dieses Vertrags ist nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts zu ermitteln.
Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI geregelten „Leistungsbilder“ sind Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach.
Daraus folgt, dass es sich bei den Vorgaben des § 34 Abs. 3 und Anlage 10.1 HOAI nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe handelt.
Es müssen nicht stets alle Grundleistungen erbracht werden
Die in Anlage 10.1 aufgeführten Grundleistungen sind nicht alle zwingend für einen vollständigen Honoraranspruch zu erbringen, wenn dies für den vereinbarten Leistungsumfang nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 S. 1 HOAI, wonach die in den Leistungsbildern erfassten Grundleistungen im Allgemeinen zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags erforderlich sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht immer alle in der jeweiligen Leistungsphase aufgeführten Grundleistungen zur Lösung der jeweiligen konkreten Planungsaufgabe zwingend erbracht werden müssen. Sind bestimmte Grundleistungen nicht zur Lösung der konkreten Planungsaufgabe erforderlich, führt es nicht zu einer Honorarkürzung, wenn diese – nicht erforderlichen – Leistungen nicht erbracht wurden.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 7.2.2024, 14 U 12/23
| In letzter Zeit häufen sich die Entscheidungen dazu, dass es nicht zu den Aufgaben des Architekten gehört, Rechtsfragen zu bearbeiten. Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt eine neue Variante hinzugefügt und sich klar positioniert. |
Das OLG: Ob eine Nachtragsforderung des bauausführenden Unternehmers berechtigt ist, liegt außerhalb der Fragestellungen, für deren Richtigkeit der Architekt mit seiner Rechnungsprüfung im Verhältnis zum Auftraggeber einzustehen hat.
Quelle | OLG Frankfurt, Beschluss vom 2.3.2023, 21 U 69/21
| Ein Architekt, der bei der Gebäudesanierung seine Kunden nicht nur in technischer Hinsicht berät, sondern auch Ratschläge zum Erhalt von Fördermitteln erteilt, muss für Schäden einstehen, wenn er die Fördervoraussetzungen fehlerhaft einschätzt. So hat es das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Empfehlung des Architekten
Die Frau hatte sich zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann dazu entschlossen, ihr Mehrfamilienhaus energetisch sanieren zu lassen und wollte dafür möglichst auch Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Sie ließ sich dahingehend von einem Architekten beraten, der auch Leistungen im Bereich der Energieberatung anbietet. Dieser empfahl, das Objekt in Wohnungseigentum umzuwandeln, da dies eine Voraussetzung für die Gewährung von KfW-Fördermitteln im Rahmen des Programms „Energieeffizient Sanieren“ sei.
KfW verweigerte Fördermittel
Entsprechend der Beratung des Architekten stellte das Ehepaar den Antrag auf die Fördermittel, noch bevor die Umwandlung des Hauses in Wohnungseigentum vollzogen war. Nachdem die Sanierungsarbeiten durchgeführt und die Umwandlung in Wohnungseigentum abgeschlossen waren, rief das Ehepaar die Fördermittel ab. Die KfW verweigerte jedoch die Auszahlung, da nach den Förderbedingungen nur Eigentümer von bestehenden Eigentumswohnungen antragsberechtigt seien; eine Umwandlung in Wohnungseigentum erst nach Antragstellung genüge dagegen nicht. Die nun entgangenen Vorteile verlangten die Eigentümer von dem Architekten ersetzt.
Architekt erbrachte Rechtsdienstleistung
Das LG gab der Klage statt. Der Architekt habe nicht nur auf technischer Ebene zugearbeitet, sondern mit seiner beratenden Tätigkeit zu den Fördervoraussetzungen der geplanten Sanierungsmaßnahme eine sogenannte Rechtsdienstleistung erbracht. Da die Information über die Voraussetzungen für die KfW-Förderung der geplanten Maßnahme unzureichend gewesen sei, habe er seine Schutzpflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt. Hätten die Eheleute den Antrag erst nach der Umwandlung in Wohnungseigentum gestellt, hätten sie die Fördermittel erhalten. Den daraus entstandenen Schaden muss der Architekt nun erstatten.
Das LG: Der Architekt kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, er arbeite im Rahmen der Energieberatung nur auf technischer Ebene.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 25.1.2024, 7 O 13/23, PM vom 28.3.2024
| Ein ehemaliger Polizist hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit infolge früher wahrgenommener Tätigkeiten u. a. im Streifendienst. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Aachen entschieden. |
Der Kläger begründete, er sei während seiner nahezu 46-jährigen Dienstzeit zu erheblichen Teilen im Außendienst eingesetzt gewesen, ohne dass sein Dienstherr ihm Mittel zum UV-Schutz zur Verfügung gestellt oder auch auf die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen hingewiesen habe. Infolgedessen leide er unter Hautkrebs am Kopf, im Gesicht und an den Unterarmen.
Das VG hat die Ablehnung der Anerkennung als Berufskrankheit bestätigt, denn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall lägen hier nicht vor. Erforderlich ist im Fall von Hautkrebs durch UV-Strahlung, dass der Betroffene bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt ist, d. h. das Erkrankungsrisiko aufgrund der dienstlichen Tätigkeit in entscheidendem Maß höher als das der Allgemeinbevölkerung ist. Davon kann bei Polizeibeamten im Außendienst nicht die Rede sein. Polizisten bewegen sich in unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und nicht nur bei strahlendem Sonnenschein im Freien.
Quelle | VG Aachen, Urteil vom 15.4.2024, 1 K 2399/23, PM vom 15.4.2024
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat entschieden: Eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) scheidet aus, wenn der Bewerber eine klassische kaufmännische Ausbildung hat, die nicht mit der Laufbahn des mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Bundeswehrverwaltung) vergleichbar ist. Hat der Bewerber später nicht entsprechend seiner Qualifikation gearbeitet, sammelt er auch keine Zeiten „hauptberuflicher Tätigkeit“. |
Kläger erhielt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch
Der Kläger bewarb sich auf die o. g. Stelle und wurde nicht eingeladen. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) klagte er auf eine Entschädigung nach dem AGG (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 AGG) und unterlag. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG zurück. Zu Recht habe das VG ausnahmsweise eine Einladung eines schwerbehinderten Menschen durch einen öffentlichen Arbeitgeber als entbehrlich angesehen. Denn die fachliche Eignung fehlte offensichtlich.
Wesentliche Unterschiede in der Ausbildung
Der Kläger hatte eine Ausbildung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft absolviert. Deren Inhalte unterschieden sich wesentlich von denen, die im Vorbereitungsdienst für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst in der Bundeswehrverwaltung vermittelt würden und allein zur Laufbahnbefähigung für den mittleren Dienst führen könnten. Das VG verglich insoweit die Ausbildung des Klägers mit den Anforderungen des fachspezifischen Vorbereitungsdienstes. Er konnte auch nicht nachweisen, dass seine späteren hauptberuflichen Tätigkeiten seiner Qualifikation entsprachen bzw. anzuerkennen seien. Hier wäre ein Zeitraum von mindestens einem Jahr und sechs Monaten notwendig gewesen. Er hatte auf verschiedenen Stellen überwiegend einfache Büro- und Verwaltungsarbeiten ausgeführt, die häufig nicht einmal eine kaufmännische Ausbildung voraussetzten.
Quelle | OVG NRW, Urteil vom 8.5.2023, 1 A 3340/20
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Auch ein Abweichen von dem direkten Arbeitsweg kann unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert sein. Dabei muss aber ein ausreichender Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt gesetzlich etwa für einen vom Arbeitsweg abweichenden Weg in Betracht, um ein Kind wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. In einem solchen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nun eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. |
Begleitung auf dem Schulweg
Die Klägerin hatte ihre Tochter im Grundschulalter zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet, an dem sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg traf. Dieser Sammelpunkt lag, von der Wohnung der Klägerin aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg von dem Sammelpunkt zu ihrer Arbeit, aber noch vor Erreichen des Wegstücks von ihrer Wohnung zur Arbeit, wurde die Klägerin – als sie trotz einer roten Fußgängerampel eine Straße überquerte – von einem PKW erfasst. Sie erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche.
Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, bekam die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart zunächst recht. Sie hatte insbesondere geltend gemacht, dass die Begleitung ihrer Tochter aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen sei.
Landessozialgericht: Kein Arbeitsweg
Auf die Berufung des Unfallversicherungsträgers hat das LSG Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall setze, wie der zuständige Senat klargestellt hat, u. a. voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Klägerin habe sich zwar im Unfallzeitpunkt objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Dies sei aber nicht hinreichend, denn das Überqueren der Straße am Unfallort zum Unfallzeitpunkt sei nicht auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit erfolgt, sodass der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit fehle.
Entscheidend: nicht Umweg, sondern Abweg
Bewege sich der Versicherte – wie vorliegend die Klägerin – nicht auf einem direkten Weg in Richtung seines Ziels, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem fort, handele es sich eben nicht um einen bloßen Umweg, sondern um einen Abweg. Werde der direkte Weg mehr als geringfügig unterbrochen und ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen, also nicht betrieblichen Gründen – ebenfalls wie vorliegend – zurückgelegt, bestehe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe auch bis zum Eintritt des Unfallereignisses die unmittelbare Wegstrecke zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht. Der Wegeunfallversicherungsschutz sei damit zum Unfallzeitpunkt noch nicht erneut begründet worden.
Keine Ausnahme gegeben
Es liege auch kein ausnahmsweise versicherter Abweg vor. Die Klägerin habe ihre Tochter nicht – wie für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz insoweit erforderlich – zum Sammelpunkt begleitet, um ihrer Beschäftigung nachzugehen, sondern allein und ausschließlich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter. Damit fehle vorliegend jeglicher sachlich-inhaltlich kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung der Klägerin und dem Begleiten der Tochter. Denn erfasst würden keine Fälle, in denen das Kind in fremde Obhut unabhängig davon verbracht werde, ob der Versicherte seine Beschäftigung alsbald aufnehmen wolle. Schließlich stelle auch die Begleitung der Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von wo aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg beschritten, schon kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne des Gesetzes dar.
Beachten Sie | Wenn ein Unfall – wie in dem dargestellten Fall – nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst ist, wird Versicherungsschutz typischerweise durch die – gesetzliche oder private – Krankenversicherung gewährleistet. Auch sind Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen während des Schulbesuchs sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022, L 10 U 3232/21, PM vom 19.3.2024
Abschließende Hinweise
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass die Verpackung eines Produkts in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht („Mogelpackung“), wenn sie nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist. |
Verbraucherschutzverband klagte
Die Klägerin ist ein Verbraucherschutzverband. Die Beklagte vertreibt Kosmetik- und Körperpflegeprodukte. Die Beklagte bewarb auf ihrer Internetseite ein Herrenwaschgel in einer aus Kunststoff bestehenden Tube mit einer Füllmenge von 100 ml. In der Online-Werbung ist die Tube auf dem Verschlussdeckel stehend abgebildet. Sie ist im unteren Bereich des Verschlussdeckels transparent und gibt den Blick auf den orangefarbigen Inhalt frei. Der darüber befindliche, sich zum Falz der Tube stark verjüngende Bereich ist nicht durchsichtig, sondern silbern eingefärbt. Die Tube ist nur im durchsichtigen Bereich bis zum Beginn des oberen, nicht durchsichtigen Bereichs mit Waschgel befüllt.
Die Klägerin hält diese Werbung für unlauter, weil sie eine tatsächlich nicht gegebene nahezu vollständige Befüllung der Tube mit Waschgel suggeriere, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass die Verpackung zwar dann ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge als vorhanden vortäusche, wenn der Verbraucher sie im Rahmen des Erwerbs im Laden in Originalgröße wahrnehme. Im Fall des hier vorliegenden Online-Vertriebs fehle es jedoch an der Spürbarkeit eines Verstoßes, weil dem Verbraucher die konkrete Größe der Produktverpackung im Zeitpunkt der Beschäftigung mit dem Angebot und dem Erwerb des Produkts verborgen bleibe. Auch eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt der Täuschung über den Hohlraum in der Verpackung liege nicht vor.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH stellte klar: Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Insbesondere täuscht die beanstandete Produktgestaltung ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vor, als in ihr enthalten ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch eine spürbare Interessenbeeinträchtigung vor. Denn der Verkehr soll vor Fehlannahmen über die relative Füllmenge einer Fertigpackung („Mogelpackung“) geschützt werden. Dieser Schutzzweck ist unabhängig vom Vertriebsweg stets betroffen, wenn – wie im Streitfall – eine Fertigpackung ihrer Gestaltung und Befüllung nach in relevanter Weise über ihre relative Füllmenge täuscht.
Der Bundesgerichtshof hat die Beklagte daher zur Unterlassung verurteilt.
Die beanstandete Internetwerbung für das Waschgel verstößt gegen das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG). Eine wettbewerblich relevante Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung liegt unabhängig von dem konkret beanstandeten Werbemedium grundsätzlich vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht. Dies ist hier der Fall, da die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist und weder die Aufmachung der Verpackung das Vortäuschen einer größeren Füllmenge zuverlässig verhindert noch die gegebene Füllmenge auf technischen Erfordernissen beruht.
Quelle | BGH, Urteil vom 29.5.2024, I ZR 43/23, PM 119/24
| Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde mit Wirkung zum 1.1.2024 von 35 Euro auf 50 Euro erhöht. Diese Freigrenze gilt auch umsatzsteuerlich. Daher wurde der Umsatzsteuer-Anwendungserlass angepasst. |
Hintergrund: Für den Vorsteuerabzug kommt es (wie beim Betriebsausgabenabzug) auf die Höhe der Aufwendungen der Geschenke für jeden einzelnen Empfänger im Jahr an. Das bedeutet: Übersteigen die Aufwendungen 50 Euro nicht, ist der Vorsteuerabzug nach den Maßgaben des § 15 Umsatzsteuergesetz zulässig.
Beachten Sie | Sind Unternehmen zum Vorsteuerabzug berechtigt, ist die 50 Euro-Grenze eine Nettogrenze, ohne Vorsteuerabzugsberechtigung handelt es sich um eine Bruttogrenze.
Beispiel
Geschäftsfreund A erhält von der B-GmbH ein Geschenk im Wert von 55 Euro (inklusive 19 % Umsatzsteuer). Ein weiteres Geschenk an A ist für 2024 nicht vorgesehen. Da die B-GmbH zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, sind die Kosten unter den weiteren Voraussetzungen als Betriebsausgaben abzugsfähig (55 Euro/1,19 = 46,22 Euro).
Quelle | BMF-Schreiben vom 12.7.2024, III C 3 - S 7015/23/10002 :001 zur Anpassung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
| In der Versendung einer Gratisbeigabe (hier: Kopfhörer) liegt der Kaufvertragsabschluss über das Hauptprodukt (hier: Smartphone zu 92 Euro aufgrund eines Preisfehlers). So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. |
Im Onlinehandel liegt in der Übersendung einer Gratisbeigabe, deren Versendung einen Kaufvertrag über ein Hauptprodukt voraussetzt, auch die Annahme des Antrags auf Abschluss eines Kaufvertrags über das noch nicht versandte Hauptprodukt. Trotz eines sog. Preisfehlers kann der Kläger die Lieferung von neuen Smartphones zu 92 Euro statt 1.099 Euro laut unverbindlicher Preisempfehlung (UVP) verlangen, bestätigte das OLG.
Das war geschehen
Der Kläger nimmt die Beklagte auf die Lieferung und Übereignung von neun Smartphones in Anspruch. Die Beklagte betreibt den deutschen Onlineshop eines weltweit tätigen Elektronikkonzerns. Laut ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) liegt in einer Kundenbestellung über den Button „jetzt kaufen“ ein bindendes Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags. Die Auftragsbestätigung der Beklagten ist demnach noch keine Annahme dieses Angebots. Ein Kaufvertrag kommt laut AGB zustande, wenn die Beklagte das bestellte Produkt an den Käufer versendet und dies mit einer Versandbestätigung bestätigt. Dabei bezieht sich der Vertrag nur auf die in der Versandbestätigung bestätigten oder gelieferten Produkte.
Durch einen sogenannten Preisfehler bot die Beklagte online Smartphones für 92 Euro an. Der UVP für diese Produkte betrug 1.099 Euro. Zeitgleich bot die Beklagte bei Bestellungen bestimmte Kopfhörer als Gratisbeigabe an. Der Kläger bestellte im Rahmen von drei Bestellungen neun Smartphones sowie vier Gratis-Kopfhörer. Die Kaufpreise zahlte er umgehend. Noch im Laufe des Bestelltags änderte die Beklagte den Angebotspreis auf 928 Euro. Zwei Tage nach den Bestellungen versandte sie die vier Paar Kopfhörer an den Kläger und teilte dies jeweils per Mail mit. Knapp zwei Wochen später stornierte sie die Bestellung unter Verweis auf einen gravierenden Preisfehler. Der Kläger begehrt nun die Lieferung und Übereignung der Smartphones.
Gerichtliche Instanzen sind sich einig
Das Landgericht (LG) hatte der Klage stattgegeben. Diese Auffassung teilte das OLG im Rahmen seines Hinweisbeschlusses, der zur Rücknahme der Berufung führte: Zwischen den Parteien seien Kaufverträge über insgesamt neun Smartphones zustande gekommen. In den automatisiert erstellten Bestellbestätigungen liege zwar noch keine Annahmeerklärung, sondern allein die Bestätigung des Eingangs einer Bestellung.
Mit der Übersendung der Gratis-Kopfhörer habe die Beklagte jedoch den Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags auch in Bezug auf die in der jeweiligen Bestellung enthaltenen Smartphones angenommen: „Denn anders, als wenn in einer Bestellung mehrere kostenpflichtige Artikel zusammengefasst werden, war unbedingte Voraussetzung der kostenlosen Übersendung der Kopfhörer der Erwerb eines Smartphones. Zwischen dem Erwerb des Smartphones und der Übersendung der Kopfhörer bestand ein untrennbarer Zusammenhang dergestalt, dass die kostenlose Übersendung der Kopfhörer das wirksame Zustandekommen eines Kaufvertrags über das Hauptprodukt - das Smartphone – voraussetzt“, begründete das OLG.
Preisfehler ist dem Unternehmen zuzurechnen
Der Kläger habe die Mitteilung, dass sämtliche versprochenen Gratisbeigaben nun verschickt seien, nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte so verstehen dürfen, dass damit auch die Kaufverträge über die Smartphones bestätigt würden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass unstreitig der Preis für die Smartphones bereits am Bestelltag selbst auf 928 Euro korrigiert worden sei. Ab diesem Zeitpunkt sei daher von der Kenntnis von dem Preisfehler im Haus der Beklagten auszugehen. Dies sei ihr insgesamt zuzurechnen.
Quelle | OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 18.4.2024, 9 U 11/23, PM 38/24
| Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat Folgendes entschieden: Ist ein Geschäftsführer einer GmbH nicht am Gesellschaftskapital beteiligt, unterliegt er selbst dann der Sozialversicherungspflicht, wenn er die Geschäfte der Gesellschaft faktisch wie ein Alleininhaber führt. |
Hintergrund: Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Diese Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH.
Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei dem Geschäftsführer einer GmbH in erster Linie danach, ob er nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen.
Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der
- mindestens 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder
- bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag über eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt.
Beachten Sie | Hiervon kann auch bei besonderer Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen nicht abgesehen werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Betroffene faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führt, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hindern, er also „Kopf und Seele“ der Gesellschaft ist. So lautet die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Im Streitfall war der Ehemann als Fremd-Geschäftsführer am Stammkapital der GmbH nicht beteiligt. Alleinige Gesellschafterin war vielmehr seine Ehefrau, deren Weisungsrecht er unterlag. Diese Weisungsgebundenheit war weder aufgehoben noch eingeschränkt. Für das LSG Nordrhein-Westfalen war es unerheblich, dass der Ehemann die Möglichkeit hatte, als Vermieter der Betriebsstätte und wesentlicher Betriebsmittel sowie als Darlehensgeber wirtschaftlichen Druck auf die GmbH auszuüben. Denn dies eröffnet dem Fremd-Geschäftsführer keine erforderliche umfassende Einflussmöglichkeit, die der Stellung eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers entspricht.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.4.2024, L 8 BA 126/23, BSG, Urteil vom 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R
| Für Aussetzungszinsen gilt ein gesetzlicher Zinssatz von 6 % p. a. (0,5 % pro Monat). Diese Höhe hält der Bundesfinanzhof (BFH) fürverfassungswidrig und hat daher das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angerufen. |
Aussetzungszinsen
Ein Einspruch und eine Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: Der Steuerpflichtige muss die festgesetzte Steuer zunächst zahlen.
Beachten Sie | Auf Antrag soll aber eine Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese sogenannte Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist in der Abgabenordnung (§ 361 AO) geregelt.
Für den Steuerpflichtigen bedeutet das, dass er die Steuer zunächst nicht zahlen muss. Es droht aber eine Belastung mit Zinsen, wenn sein Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer „nachträglich“ zahlen muss. Er muss dann nämlich für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat (6 % p. a.) entrichten. Die Höhe dieser Aussetzungszinsen regelt § 237 i. V. mit 238 Abs. 1 S. 1 AO.
Nachzahlungs-/Erstattungszinsen
Es gibt allerdings auch andere Verzinsungstatbestände, z. B.für Steuererstattungen und Steuernachzahlungen. Hier war der Gesetzgeber wegeneines Beschlusses des BVerfG vom 8.7.2021 verpflichtet, den Zinssatz von 0,5 %pro Monat bzw. von 6 % p. a. anzupassen. Da sich der Beschluss des BVerfGallerdings nicht auf die Aussetzungszinsen und andereTeilverzinsungstatbestände erstreckte, wurde der Gesetzgeber nur bei denNachzahlungs- und Erstattungszinsen tätig. Hier beträgt der Zinssatz seit dem1.1.2019 nun lediglich 0,15 % pro Monat bzw. 1,8 % pro Jahr.
Bundesfinanzhof hält6 % AdV-Zinsen p. a. für verfassungswidrig
Nach Auffassung des BFH ist ein Zinssatz i. H. von 6 % p. a. für Aussetzungszinsen im Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist dieser Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen.
Zudem werden Steuerpflichtige, die AdV-Zinsen schulden und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, seit dem 1.1.2019 ungleich behandelt. Diese Zinssatzspreizung ist für den BFH verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Quelle | BFH, Beschluss vom 8.5.2024, VIII R 9/23, BFH, PM Nr. 34/24 vom 22.8.2024; BVerfG, Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17
| Für die Jahre 2022 bis 2026 gilt ab dem 21. Entfernungskilometer eine erhöhte Entfernungspauschale i. H. von 0,38 Euro. Für die ersten 20 Kilometer erfolgte indes keine Anpassung (weiterhin 0,30 Euro). Dagegen hatte ein Arbeitnehmer geklagt. Denn wegen seiner geringen Entfernung (acht Kilometer zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte) partizipierte er von der Erhöhung nicht. Die Klage hatte jedoch keinen Erfolg. Denn das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg hält die Neuregelung nicht fürverfassungswidrig. Das FG hatte jedoch die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Doch sie wurde nicht eingelegt, sodass das Urteil rechtskräftig ist. |
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.3.2024, 16 K 16092/23
| Aufwendungen für Handwerkerleistungen sind bei einer Vorauszahlung nicht steuerbegünstigt, wenn diese im Veranlagungszeitraum vor Ausführung der Handwerkerleistungen eigenmächtig erbracht wird. Dies hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf entschieden. |
Hintergrund: Für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen erhalten Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung in Höhe von 20 % der Aufwendungen (nur Lohnkosten) gemäß Einkommensteuergesetz (§ 35 a Abs. 3 EStG), höchstens jedoch 1.200 Euro im Jahr. Die Steuerermäßigung setzt voraus, dass der Steuerpflichtige eine Rechnung erhält und die Zahlung auf das Konto des Erbringers der Handwerkerleistung erfolgt.
Nach der Entscheidung des FG Düsseldorf genügt eine per E-Mail seitens des Auftraggebers mitgeteilte und eigenmächtig vorgenommene Vorauszahlung dem Rechnungserfordernis (gemäß § 35 a Abs. 5 S. 3 EStG) nicht. Im Streitfall hatte ein Ehepaar in den letzten Tagen des Jahres 2022 einen Abschlagsbetrag – ohne Aufforderung des Handwerksbetriebs – überwiesen, obwohl die Arbeiten erst im Jahr 2023 durchgeführt und auch dann erst in Rechnung gestellt werden sollten.
Vorauszahlungen können nur steuerlich berücksichtigt werden, wenn sie marktüblich sind. Eine Anzahlung ohne jegliche Aufforderung des Leistungserbringers, mithin letztlich „ins Blaue hinein“, ist weder als marktüblich noch als sonst sachlich begründet anzusehen.
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 18.7.2024, 14 K 1966/23 E
| Der Betrieb eines Weinautomaten auf einem Privatgrundstück darf verboten werden. Das ergibt sich aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Koblenz. |
Verstoß gegen Jugendschutz?
Die Klägerin betreibt einen Automaten, in dem sie selbsterzeugten Wein und Sekt zum Verkauf anbietet. Der Automat steht seit Anfang 2023 auf einem Privatgrundstück; er ist an der Grenze zum öffentlichen Verkehrsraum aufgestellt und nur von der Straße aus zu bedienen. Ende April 2023 gab die Gemeinde der Klägerin gemäß Jugendschutzgesetz auf, den Weinautomaten außer Betrieb zu nehmen. Die Klägerin erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage.
Kein Verkauf in der Öffentlichkeit
Die Klage hatte keinen Erfolg. Die Klägerin, so das VG, dürfe den Weinautomaten aufgrund der Vorschriften des Jugendschutzgesetzes nicht betreiben. Denn danach dürften alkoholische Getränke in der Öffentlichkeit nicht in Automaten angeboten werden. Zwar sehe das Jugendschutzgesetz eine Ausnahme davon u. a. vor, wenn der Weinautomat in einem gewerblich genutzten Raum aufgestellt sei. An dieser Voraussetzung fehle es jedoch, da sich derAutomat auf dem Privatgrundstück der Klägerin befinde. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass Zigarettenautomaten – unabhängig von dem Belegenheitsort – bereits dann aufgestellt werden dürften, wenn eine jugendschutzkonforme Abgabe durch technische Vorrichtungen sichergestellt sei. Die unterschiedliche Behandlung von Zigaretten- und Alkoholautomaten sei aufgrund der verschiedenen Wirkweisen von Nikotin und Alkohol gerechtfertigt.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 27.5.2024, 3 K 972/23.KO, PM 14/24
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Sie erfasst Arbeitnehmer, teilweise sind aber auch Unternehmer versichert oder können sich freiwillig versichern lassen. Voraussetzung des Versicherungsschutzes bei einem Unfall ist dabei, dass dieser bei der versicherten betrieblichen Tätigkeit erfolgt und damit ein Arbeitsunfall ist. Was zur betrieblichen Tätigkeit und was zum privaten Bereich gehört, ist oft strittig und Kernfrage sozialgerichtlicher Verfahren. Einen solchen Fall hatte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zu klären. |
Fahrlehrer suchte passende Strecke
Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls war in einem Fall eines selbstständigen und gesetzlich unfallversicherten Motorrad-Fahrtrainers – dem Kläger – vor dem LSG zu klären. Der Kläger erlitt eine Luxation der linken Schulter, als er im April 2019 bei einer allein unternommenen Fahrt mit ca. 50 km/h in einer Kurve stürzte. Der Unfallort lag etwa 50 km von seinem Wohn- und Unternehmenssitz im Landkreis Tübingen entfernt. Seiner gesetzlichen Unfallversicherung – der Beklagten – teilte er mit, er habe am nächsten Tag einen Schüler mit speziellen Problemen bei Serpentinen gehabt und sei deswegen auf der Suche nach der passenden Strecke für die Schulung gewesen. Er könne sein Fahrtraining nur ordentlich durchführen, wenn er perfekte Orts- und Straßenkenntnisse habe. Umso wichtiger sei dies am Anfang der Saison, da sich über den Winter Straßen oft gravierend verändern würden.
Keine Anerkennung als Arbeitsunfall
Die Beklagte erkannte das Ereignis nicht als Arbeitsunfall an, da es sich um eine unversicherte Vorbereitungshandlung gehandelt habe. Vorbereitende Tätigkeiten wie z. B. eine „Erkundigungsfahrt“ zur Arbeit seien grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. Ausnahmsweise seien Vorbereitungshandlungen u. a. versichert, wenn der jeweilige Versicherungstatbestand nach seinem Schutzzweck auch Vor- und Nachbereitungshandlungen erfasse, die für die versicherte Hauptverrichtung im Einzelfall notwendig sind und in einem sehr engen sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Hier fehle es an einem engen Zusammenhang zwischen der behaupteten Vorbereitungshandlung und der erst am Folgetag vorgesehenen versicherten Tätigkeit.
Erfolg in der Berufung
Nachdem das Sozialgericht (SG) die Klage in erster Instanz abwies, hatte der Kläger mit seiner Berufung Erfolg. Das LSG Baden-Württemberg stellte fest, dass der fragliche Unfall ein Arbeitsunfall gewesen ist.
Landessozialgericht sah versicherte Tätigkeit
Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass die Unfallfahrt zu der versicherten Tätigkeit des Klägers gehört habe. Dieser sei zu seiner unfallbringenden Motorradfahrt allein aus dem Grund aufgebrochen, um für seine am nächsten Tag geplante Trainingsfahrt eine geeignete und sichere Strecke zu testen, was objektiv dem Ziel seines bei der Beklagten versicherten Unternehmens gedient und hierzu auch nicht in einem wirtschaftlichen Missverhältnis gestanden habe. Zwar könne es unwirtschaftlich erscheinen, für ein Fahrsicherheitstraining von ca. einem halben Tag Dauer eine so weit vom Wohnsitz des Klägers entfernte Strecke zu wählen, und diese dann auch noch am Vorabend auf eigene Kosten abzufahren. Insoweit sei aber wiederum der Hinweis des Klägers nachvollziehbar, dass bereits auf der Hinfahrt zu der Strecke der Fahrschüler professionell beobachtet werde. Zudem sei eine solche Erkundungsfahrt auch nach den Einlassungen des Klägers nicht die Regel und sei hier vorrangig dem Beginn der Motorradsaison und den hiermit verbundenen Unwägbarkeiten bezüglich geeigneter Straßenbeläge geschuldet gewesen.
Sofern – wie hier – festzustellen sei, dass eine Tätigkeit selbst als versicherte Tätigkeit anzusehen ist, könne diese nicht mehr als unversicherte Vorbereitungshandlung qualifiziert werden. Es habe zur seriösen Geschäftsausübung des Klägers gehört, dass er Fahrsicherheitstrainings nicht auf Strecken anbot, die nach der Winterpause ein unbekanntes Gefahrenpotential aufwiesen. Das Abfahren der Strecke sei daher objektiv sinnvoll und Teil der den Fahrschülern geschuldeten Hauptleistung als vertragliche Nebenpflicht, durch geeignete Maßnahmen eine Gefährdung der Fahrschüler so weit wie möglich und vertretbar zu reduzieren.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.4.2024, L 3 AS 101/24, PM vom 2.4.2024
| Kauft ein Pfandleihhaus ein Kraftfahrzeug an, um es anschließend an den Verkäufer wieder zu vermieten und beträgt der Marktwert des Fahrzeugs das Fünf- bis Sechsfache des vereinbarten Kaufpreises, sind Kauf- und Mietvertrag wegen Wucher nichtig. Der Verkäufer kann die gezahlten Mieten zurückverlangen, ohne sich den erhaltenen Kaufpreis anrechnen lassen zu müssen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Pfandhaus kauft Fahrzeuge an und vermietet sie wieder
Die Beklagte betreibt bundesweit ein staatlich zugelassenes Pfandleihhaus. Ihr Geschäftsmodell ist darauf gerichtet, Kraftfahrzeuge den Eigentümern abzukaufen und sie ihnen nachfolgend gegen monatliche Zahlungen zu vermieten. Nach Ende der Mietzeit erhält die Beklagte das Fahrzeug zurück und darf es öffentlich versteigern.
Die Klägerin verkaufte ihr Fahrzeug 2020 an die Beklagte für 3.000 Euro. Der Händlereinkaufspreis lag bei rund 15.000 Euro, der objektive Marktwert bei mehr als 18.000 Euro. Anschließend mietete die Klägerin das Fahrzeug für 297 Euro monatlich zurück und übernahm die Kosten für Steuern, Versicherung, Wartung und Reparaturen. Nach Kündigung des Vertrags durch die Beklagte gab die Klägerin das Fahrzeug nicht zurück. Der Beklagten gelang es nicht, das Fahrzeug sicherzustellen.
Klage erfolglos
Auf die Klage hin verurteilte das Landgericht (LG) die Beklagte, die geleistete Miete zurückzuzahlen und stellte fest, dass die Klägerin ihr Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren hat. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Sittenwidrigkeit: Kauf- und Mietvertrag nichtig
Sowohl der Kauf- als auch der Mietvertrag seien nichtig, begründete das OLG seine Entscheidung. Sie seien als wucherähnliche Geschäfte sittenwidrig. Es liege ein grobes und auffälliges Missverhältnis zwischen Marktwert und Kaufpreis vor, da gemäß den überzeugenden sachverständigen Ausführungen der Marktwert des Fahrzeugs über dem fünf- bis sechsfachen des Kaufpreises gelegen habe.
Auf die verwerfliche Gesinnung der Beklagten könne angesichts dieses Missverhältnisses ohne Weiteres geschlossen werden. Angesichts des Geschäftsmodells sei auch davon auszugehen, dass sich die Beklagte den mit Abschluss des Kaufvertrags erzielten Mehrwert endgültig habe einverleiben wollen, auch wenn im Fall der Versteigerung des Fahrzeugs nach Mietende ein etwaiger Mehrerlös dem Verkäufer hätte zugewandt werden müssen. Kauf- und Mietvertrag bildeten dabei ein einheitliches Rechtsgeschäft. Die Klägerin habe das Fahrzeug nur verkaufen wollen, wenn sie es zugleich weiternutzen könne. Der Mietvertrag sei damit ebenfalls nichtig und die gezahlte Miete zurückzuzahlen.
Keine Rückzahlung des Kaufpreises
Obwohl die Klägerin das Eigentum an dem Fahrzeug nicht verloren habe, müsse sie wegen der sittenwidrigen Übervorteilung auch nicht den Kaufpreis an die Beklagte zurückzahlen. Die Beklagte könne den Kaufpreis nicht zurückverlangen, da ihr objektiv ein Sittenverstoß anzulasten sei und sie sich angesichts des auffälligen Missverhältnisses der Rechtswidrigkeit ihres Handelns zumindest leichtfertig verschlossen habe.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.4.2024, 2 U 115/20, PM 26/24
| Das Dach eines Flachdachanbaus einer WEG-Anlage ist selbst dann Gemeinschaftseigentum, wenn alle darunterliegenden Räume zu einer Sondereigentumseinheit gehören. Für die Gültigkeit eines Grundlagenbeschlusses ist es daher nicht erforderlich, dass der Beschlussersetzungsantrag auch die inhaltliche Konkretisierung umfasst. Diese Konkretisierungen können den Eigentümern überlassen werden. So sieht es das Landgericht (LG) Karlsruhe. |
Das Dach sollte instand gesetzt werden
Gestritten wurde um die Instandsetzung des Dachs über einer Gaststättenküche in einer WEG-Anlage, die im Sondereigentum eines Eigentümers steht und ein eigenes Flachdach hat. In der Teilungserklärung ist das Sondereigentum als „Einrichtungen und Anlagen“ definiert, soweit diese nicht dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienen, sondern nur dem Sondereigentümer zu dienen bestimmt sind. Der Eigentümer begehrte durch Beschlussersetzung, dass die Instandsetzung des Dachs beschlossen wird. Die Wohnungseigentümergemeinschaft war der Ansicht, dass der Eigentümer die Instandsetzungskosten allein tragen müsse. Für die Beschlussersetzung fehle es an der sogenannten Ermessensreduzierung auf Null.
Beschluss war ungültig
Das Amtsgericht (AG) hatte der Klage zunächst stattgegeben. Die Berufung vor dem LG hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der Negativbeschluss sei ungültig, so das LG in zweiter Instanz. Die Ablehnung einer positiven Beschlussfassung widerspreche ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn der Anspruch offenkundig und ohne jeden vernünftigen Zweifel gegeben sei. Das habe schon der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.
Ein Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme, die die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums betreffe, bestehe nur, wenn sich das Ermessen der Gemeinschaft im Einzelfall auf Null reduziert habe, sich also jede andere Entscheidung als ermessensfehlerhaft darstellte. Die abgelehnte Sanierung sei dringend erforderlich und stelle eine notwendige Instandsetzungsmaßnahme dar.
Konstruktive Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig
Bei dem Dach handele es sich auch nicht um Sondereigentum.
Das LG hat klargestellt, dass die konstruktiven Bestandteile des Gebäudes nicht sondereigentumsfähig sind, selbst wenn alle Räume des Gebäudes dem Sondereigentum eines Eigentümers unterliegen. Unerheblich ist eine mögliche widersprechende Regelung in der Teilungserklärung. Denn eine Regelung, die nicht sondereigentumsfähige Gebäudeteile zum Inhalt des Sondereigentums erklärt, ist nichtig.
Zulässig sei es, lediglich einen Grundlagenbeschluss zu treffen, also anzuordnen, dass eine Instandsetzung bestimmter Bauteile zu erfolgen habe, und den Wohnungseigentümern im Übrigen die weitere inhaltliche Konkretisierung (Auswahl des Fachunternehmens, Finanzierung der Maßnahme, etc.) zustehe. Es sei also nicht zu beanstanden, dass der Beschlussersetzungsantrag nur auf das „Ob“ der Instandsetzung, nicht jedoch bereits auf das „Wie“ ziele.
Quelle | LG Karlsruhe, Urteil vom 8.3.2024, 11 S 53/22
| Ein Vermieter muss nicht schon für jede mehr als unerhebliche Beeinträchtigung des bis zur Veränderung der äußeren Umstände gewohnten Nutzens der Mietsache einstehen. Er haftet nur für solche Umfeldveränderungen, die er selber nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 906 BGB) abwehren kann oder nur gegen Ausgleichszahlung hinnehmen muss. Die Freiheit von dahinter zurückbleibenden Einwirkungen auf das Grundstück, die ein Grundstückseigentümer ausgleichslos hinnehmen muss, sind danach gar nicht Gegenstand des vertraglichen Leistungsversprechens des Vermieters und der Gewährleistung. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Vorinstanz: Mieterin hat nicht genug vorgetragen
Die Wohnungsmieterin verlangte von der Vermieterin eine Mietminderung. Sie behauptete, die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung sei durch eine Baustelle auf dem Nachbargrundstück erheblich beeinträchtigt. Vor dem AG hatte sie damit keinen Erfolg. Sie habe nicht schlüssig dargetan, dass der Nutzen der Wohnung durch die Baustelle über das hinzunehmende Maß hinaus beeinträchtigt gewesen sei, so das AG. Darüber hinaus habe die Mieterin zur konkreten Beeinträchtigung des Wohnungsnutzens nicht ausreichend vorgetragen, sondern nur geltend gemacht, dass sie die Mieträume lediglich in Baupausen habe lüften können. Soweit sie die Unbenutzbarkeit des Balkons wegen Lärm und Staub behauptet habe, sei das unschlüssig, weil unklar bleibe, wo sich der Balkon im Verhältnis zur Baustelle auf dem Nachbargrundstück befinde.
Im Berufungsverfahren argumentierte die Mieterin, dass sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ausreichend zu den Auswirkungen der Baumaßnahmen vorgetragen habe; das Gericht müsse sich nun in einer Beweisaufnahme davon überzeugen, ob ein Mangel vorliege oder nicht.
So sah es das Landgericht
Das sah das LG anders und wies die Berufung zurück. Die Baumaßnahmen hätten nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung geführt, die die Vermieterin nicht gemäß § 906 Abs. 2 S. 1 BGB hätte unterbinden können oder gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB nur gegen eine angemessene Ausgleichszahlung hätte dulden müssen.
Beeinträchtigung war durch Dritte verursacht
Das Risiko einer nach Mietvertragsschluss – auch zufällig – eintretenden Verringerung des Nutzens der Mietsache sei nicht dem Vermieter zuzuordnen, da es sich bei einer durch Dritte verursachten Nutzungsbeeinträchtigung aus Sicht beider Vertragsparteien um ein unabwendbares Ereignis handeln könne, für das ein Vermieter erkennbar keine Haftung übernehmen wolle und billigerweise auch nicht übernehmen müsse.
An die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung sei der in der Rechtsprechung entwickelte strenge Maßstab anzulegen, der auch bei der unmittelbaren Anwendung des § 906 BGB im Nachbarschaftsrecht gelte. Andernfalls liefe das Kriterium nicht nur weitgehend leer, sondern der Vermieter wäre Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt, ohne erfolgreich gegen den Grundstücksnachbarn als Verursacher der Störungen vorgehen und diesen gegebenenfalls in Regress nehmen zu können.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 8.2.2024, 64 S 319/21
| Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hatte die Frage zu entscheiden, ob die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit gegeben ist. |
Der Erblasser, ein kinderloser deutscher Staatsangehöriger, ist im Jahr 2023 in einem Pflegeheim in Polen verstorben. Zuvor lebte er mit seiner (zweiten) Ehefrau sowie in verschiedenen Pflegeheimen in Deutschland. Anfang 2022 machte sich bei ihm eine zunehmende Demenz bemerkbar, die ihn zum Pflegefall machte. Seit April 2023 lebte er in einem Pflegeheim in Polen. Dort hatte er kein Vermögen, er sprach kein polnisch und hatte familiäre sowie soziale Verbindungen allein nach Deutschland. Er wurde gegen bzw. ohne seinen Willen in dem Pflegeheim in Polen untergebracht. Nach dem Tod des Erblassers stellte seine Ehefrau einen Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins beim Nachlassgericht des Amtsgerichts (AG) Singen. Dies hat den Antrag mangels internationaler Zuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.12 (Art. 4 EuErbVO) zurückgewiesen. Der dagegen gerichteten Beschwerde hat das AG nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
Das OLG Karlsruhe hat den Beschluss des Nachlassgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben sei, weil der Erblasser seinen (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe.
Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ sei unionsautonom (gem. Art 23 u. 24 EuErbVO) auszulegen. In objektiver Hinsicht müsse zumindest ein tatsächlicher Aufenthalt („körperliche Anwesenheit“) gegeben sein, auf eine konkrete Dauer oder die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts komme es hingegen nicht an. Unschädlich sei auch eine vorübergehende Abwesenheit, soweit ein Rückkehrwille bestand. In subjektiver Hinsicht sei das Vorliegen eines animus manendi (Bleibewille) erforderlich, also der nach außen manifestierte Wille, seinen Lebensmittelpunkt am Ort des tatsächlichen Aufenthalts auf Dauer zu begründen. Eines rechtsgeschäftlichen Willens bedürfe es insoweit nicht. Werden pflegebedürftige Personen in ausländischen Pflegeheimen untergebracht, komme es ebenfalls grundsätzlich auf deren Bleibewillen an. Könnten diese zum Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels keinen eigenen Willen mehr bilden oder erfolgt die Unterbringung gegen ihren Willen, fehle es an dem für die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts erforderlichen Bleibewillens. Dies sei hier der Fall.
Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.7.2024, 14 W 50/24 Wx
| Im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragte die Antragstellerin B., ungedeckte Heimkosten zu erstatten. B. bezieht verschiedene Renten; weiter hatte sie Mitte 2018 ihr hälftiges Grundstückseigentum sowie darüber hinaus ihren Anteil an der Erbengemeinschaft nach ihrem Mann unentgeltlich an ihre Kinder übertragen. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat den Antrag der B. zurückgewiesen. Sie verfüge sowohl über Einkommen als auch über Vermögen, das sie vorrangig zur Beseitigung ihrer Hilfsbedürftigkeit einsetzen muss. Erst nach dessen Verbrauch könne ein erneuter Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt werden. |
Das Einkommen der B. besteht aus Rentenansprüchen. Neben diesem Einkommen, das vollständig einzusetzen ist, kann (und muss) B. auch über ihr Vermögen verfügen. Dieses besteht in Form eines Schenkungsrückforderungsanspruchs gegenüber ihren Kindern. Denn der Schenker kann von den Beschenkten die Herausgabe des Geschenks verlangen, wenn er nach Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten.
Der Anspruch ist erst ausgeschlossen, wenn zehn Jahre seit der Schenkung vergangen sind. Diese Frist war hier noch nicht abgelaufen. Die Beschenkten können die Herausgabe allerdings durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags abwenden.
Quelle | SG Lüneburg, Beschluss vom 21.5.2024, S 38 SO 23/24 ER
| Der Eigentümer eines denkmalgeschützten Wohngebäudes hat Anspruch auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzaunes auf seinem Grundstück. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks mit einem Wohngebäude, das seit 1998 als Kulturdenkmal unter Schutz gestellt ist. Seinen Antrag auf Erteilung einer denkmalrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Solarzauns auf der bestehenden, zwischen einem und 1,60 Meter hohen Einfriedungsmauer entlang der Straße lehnte die beklagte Stadt ab. Seine entsprechende Klage wies das Verwaltungsgericht (VG) ab. Auf seine Berufung hob das OVG das Urteil des VG auf und verpflichtete die Beklagte, ihm die beantragte Genehmigung zu erteilen.
Es stehe außer Frage, dass der Solarzaun einer Genehmigung bedürfe. Diese werde nach dem rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetz (hier: § 13 Abs. 2 DSchG) nur erteilt, wenn entweder (1.) Belange des Denkmalschutzes nicht entgegenstünden oder wenn (2.) andere Erfordernisse des Gemeinwohls oder private Belange diejenigen des Denkmalschutzes überwiegen würden und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne. Zwar sei mit dem VG davon auszugehen, dass Belange des Denkmalschutzes im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 1 DSchG einer Genehmigung entgegen stünden. Das Vorhaben des Klägers erfülle aber die Anforderungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 DSchG, weil andere Erfordernisse des Gemeinwohls vorrangig seien und diesen überwiegenden Interessen nicht anders Rechnung getragen werden könne.
Das öffentliche Interesse an der Errichtung des Solarzauns sei vorliegend von solchem Gewicht, dass das Interesse an der unveränderten Erhaltung des Erscheinungsbildes des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes zurückzustehen habe und die Erteilung der Genehmigung geboten erscheine. Dies folge aus § 2 des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz) – EEG. Danach lägen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dienten der öffentlichen Sicherheit. Besondere atypische Umstände, die ein abweichendes Ergebnis der Abwägung nach sich zögen, seien nicht ersichtlich.
Den somit bestehenden überwiegenden Interessen des Gemeinwohls könne auch nicht auf sonstige Weise Rechnung getragen werden. Der Schutzzweck des § 2 EEG stehe einer Prüfung von alternativen Standorten für Anlagen der erneuerbaren Energien an anderen Stellen des klägerischen Grundstücks von vornherein entgegen. Unabhängig davon komme ein Alternativstandort für eine Solaranlage auf dem Grundstück des Klägers auch tatsächlich nicht in Betracht.
Quelle | OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.8.2024, 1 A 10604/23.OVG, PM 14/24
| Ein Landkreis hatte einem Ehepaar untersagt, im Garten ihres Wohngrundstücks Minischweine zu halten. Das Ehepaar klagte dagegen vor dem Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt a. M. – erfolglos. |
Anwohner beschwerten sich
Die Kläger sind Eigentümer eines Wohngrundstücks, das in einem durch Bebauungsplan festgesetzten allgemeinen Wohngebiet liegt. Sie halten im Garten ihres Grundstücks seit 2022 sogenannte Minischweine. Nach Anwohnerbeschwerden forderte der Beklagte die Kläger im November 2023 auf, die beiden Schweine von ihrem Grundstück zu entfernen, da das Halten von Schweinen in allgemeinen Wohngebieten unzulässig sei.
Klage der Eigentümer abgewiesen
Das VG hat die Klage abgewiesen. Das Halten von zwei Minischweinen im Garten ihres in einem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Wohnanwesens sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Der Bebauungsplan weise das Gebiet als allgemeines Wohngebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung (BauNVO) aus. Anlagen zur Tierhaltung gehörten nicht zu den in allgemeinen Wohngebieten zulässigen Anlagen. Allgemeine Wohngebiete dienten vorwiegend dem Wohnen.
Gebietsuntypische Störungen unzulässig
Die gebietstypische Schutzwürdigkeit und Störempfindlichkeit werde in allgemeinen Wohngebieten im Wesentlichen von der störempfindlichen Hauptnutzungsart bestimmt. Das Wohnen dürfe keinen gebietsunüblichen Störungen ausgesetzt werden.
Zwar seien nach der Baunutzungsverordnung (hier: § 14 BauNVO) in Wohngebieten untergeordnete Nebenanlagen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Grundstücke oder des Wohngebiets selbst dienten und die seiner Eigenart nicht widersprächen. Zu diesen untergeordneten Nebenanlagen gehörten auch solche für die Kleintierhaltung. Allerdings ermögliche § 14 BauNVO als Annex zum Wohnen eine Kleintierhaltung nur, wenn sie in dem betreffenden Baugebiet üblich und ungefährlich sei und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprenge.
Ziegen, Schweine, Schafe: Haltung in Wohngebieten heutzutage unüblich
Kleintiere seien Nutztiere ebenso wie Hobbytiere, die zum Schutz, zur Unterhaltung oder zur Ernährung gehalten würden. In den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten dürften nur solche Kleintiere gehalten werden, die der für eine Wohnnutzung charakteristischen Freizeitbeschäftigung entsprächen. Als Kleintiere würden im Allgemeinen etwa Katzen und Hunde angesehen. Dagegen sei in den durch Wohnnutzung geprägten Baugebieten die Haltung von Ziegen, Schafen und Schweinen in der heutigen Zeit nicht mehr üblich und unzulässig. Eine unterschiedliche Behandlung zwischen sogenannten Hausschweinen, Hängebauchschweinen und Minischweinen sei dabei nicht angezeigt. Minischweine könnten bis zu einem Meter lang werden und bis zu 100 kg wiegen.
Geräusch- und Geruchsbelästigungen
Das Halten von Schweinen in einem allgemeinen Wohngebiet führe typischerweise zu Geräusch- und Geruchsbelästigungen, die in Wohngebieten unüblich seien. Von Schweinen, die sich ganzjährig rund um die Uhr hauptsächlich im Freien aufhielten, gingen ungefilterte Gerüche und Geräusche aus, die unmittelbar die Umgebung belasteten. Aufgrund ihrer Größe und Anzahl komme es bei Schweinen zudem zu erheblichen Ausscheidungen, die gebietsuntypische Gerüche verbreiteten.
Ursprünglich dörflicher Charakter der Gemeinde unerheblich
Hieran ändere auch nichts, dass die betreffende Gemeinde ursprünglich einen dörflichen Charakter gehabt habe oder gar mit dem Spruch „Größtes Dorf der Welt“ werbe. Gegenwärtig zeichne sich die unmittelbare Umgebung des streitgegenständlichen Grundstücks - auf die es im vorliegenden Fall allein ankomme - durch weit überwiegende Wohnnutzung aus.
Zwar könne im Einzelfall die Üblichkeit der Kleintierhaltung abweichend von der typisierenden Betrachtung bejaht werden, wenn eine konkrete Betrachtung ergebe, dass in der Nachbarschaft vergleichbare Nutzungen vorhanden seien und sich die Bewohner des Baugebiets damit abgefunden hätten. Letzteres sei hier jedoch nicht der Fall.
Quelle | VG Neustadt a. M., Urteil vom 11.9.2024, 5 K427/24, PM 14/24
| Notdienste eines Kundendiensttechnikers, die dadurch gekennzeichnet sind, dass er sich an einem frei wählbaren Ort aufhalten kann, aber telefonisch erreichbar sein und zu einem Notdiensteinsatz binnen einer Stunde am Einsatzort eintreffen muss, wenn er angefordert wird, sind Rufbereitschaftsdienste und keine Bereitschaftsdienste. Voraussetzung: Unter Berücksichtigung der Anfahrtszeit verbleiben noch 30 Minuten Zeit, bis der Arbeitnehmer aufbrechen muss. Zu diesem Ergebnis kommt das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. |
Notdienst nur sehr selten
Außerdem erläuterte das Gericht, dass das oben Gesagte zumindest dann gelte, wenn eine tatsächliche Anforderung im Notdienst äußerst selten vorkomme – im vorliegenden Fall lediglich in einem Umfang von 0,67 % der Gesamt-Notdienstbereitschaftszeit.
Ruhezeit
Liege arbeitsschutzrechtlich Rufbereitschaft und kein Bereitschaftsdienst vor, handele es sich um Ruhezeit im Sinne desArbeitszeitgesetzes (hier: § 5 ArbZG). Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff folge hier dem arbeitsschutzrechtlichen, sodass – soweit keine gesonderte Regelung im Arbeitsvertrag, in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zur Anwendung gelange – keine Vergütungspflicht bestehe.
Ausgenommen hiervon seien die Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung im Rahmen der Aktivierung aus dem Notdienst heraus, die als Vollarbeit zu vergüten sind.
Mindestlohngesetz
Auch das Mindestlohngesetz knüpfe an geleistete Zeitstunden an und mithin an den vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff. Arbeitsschutzrechtliche Ruhezeit sei weder arbeitsschutz- noch vergütungsrechtlich Arbeitszeit und begründet daher auch keine Mindestlohnansprüche.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.4.2024, 3 SLa 10/24
| Ein Reitverein muss für von ihm angebotenen Reitunterricht Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wenn der Unterricht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung erbracht wird. Hierfür spricht, wenn die Reitlehrerin die vereinseigenen Pferde sowie die Reithalle unentgeltlich nutzen kann und sie kein unternehmerisches Risiko trägt. Dies entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG). |
Reitverein muss Sozialversicherungsbeiträge und -nachforderungen zahlen und klagt
Eine Reitlehrerin unterrichtete Mitglieder eines gemeinnützigen Reitvereins mit den vereinseigenen Schulpferden auf dem Vereinsgelände zwischen 12 und 20 Stunden wöchentlich. In den Jahren 2015 bis 2018 zahlte ihr der Verein pro Reitstunde 18 Euro. Die Deutsche Rentenversicherung prüfte den Betrieb des Reitvereins. Sie stellte fest, dass die Reitlehrerin abhängig beschäftigt ist und forderte von dem Verein Rentenversicherungsbeiträge nach. Der Reitverein wandte hiergegen ein, dass die Reitlehrerin selbstständig tätig sei.
Landessozialgericht bestätigt Beitragspflicht des Reitvereins
Das LSG gab der Rentenversicherung Recht. Die Beitragsnachforderung sei rechtmäßig. Eine abhängige Beschäftigung liege vor. Zwar könne ein nebenberuflicher Übungsleiter oder Trainer in Sportvereinen auch selbstständig tätig sein, wie das Vertragsmuster „Freier-Mitarbeiter-Vertrag Übungsleiter Sport“ der Rentenversicherung belege. Ein solcher Vertrag sei jedoch vorliegend zwischen dem Reitverein und der Reitlehrerin nicht geschlossen worden.
Zudem sprächen im konkreten Einzelfall mehr Anhaltspunkte für das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung. So habe die Reitlehrerin kein unternehmerisches Risiko getragen. Sie habe keine Rechnungen erstellt und ausschließlich die vereinseigenen Pferde einschließlich Sattel und Zaumzeug genutzt, wofür sie - wie auch für die Nutzung der Reithalle - kein Entgelt gezahlt habe. Die Hallenzeiten habe sie mit dem Reitverein abgestimmt. Der Reitverein habe die Stundenvergütung vorgegeben. Die Jahresvergütung von durchschnittlich über 6.500 Euro habe die steuerfreie Aufwandspauschale für Übungsleiter (bis 2020: 2.400 Euro jährlich) weit überschritten. Schließlich habe der Reitverein auf seiner Homepage mit „unsere Reitlehrerin“ geworben und selbst die Verträge über den Reitunterricht mit den Reitschülern geschlossen.
Da die Rentenversicherung nur die über der Aufwandspauschale für Übungsleiter liegenden Einkünfte bei der Beitragsberechnung berücksichtigt habe, sei auch die Höhe der Beitragsforderung zutreffend.
Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.
Quelle | Hessisches LSG, Urteil vom 18.6.2024, L 1 BA 22/23,PM 6/24
| Die gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 3 Nr. 11 c EStG) geregelte Steuerfreiheit der (freiwilligen) Inflationsausgleichsprämie sieht keine Regelung vor, dass die Prämie an alle Arbeitnehmer ausgezahlt werden muss. Somit ist der Arbeitgeber nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen grundsätzlich nicht daran gehindert, die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie an weitere Bedingungen zu knüpfen. |
Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt
Es verstößt nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein Arbeitgeber zur weiteren Bedingung der Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie macht, dass der Beschäftigte Teil seiner „active workforce“ ist, sodass z. B. Beschäftigte in der Passivphase der Altersteilzeit von der Prämie ausgeschlossen sind.
Steuerfreie Inflationsausgleichsprämie bis zu 3.000 Euro
Die freiwillige Inflationsausgleichsprämie kann vom 26.10.2022 bis Ende 2024 gewährt werden. Bei den 3.000 Euro handelt es sich um einen steuerlichen Freibetrag, der auch in mehreren Teilbeträgen ausgezahlt werden kann.
Begünstigt sind auch Zahlungen an Minijobber. Da die Zahlung steuer- und beitragsfrei ist, wird sie nicht auf die Minijobgrenze angerechnet.
Zusätzlich zum Arbeitslohn
Die Zahlungen müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erfolgen. Nach § 8 Abs. 4 EStG werden Leistungen nur dann zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, wenn
- die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
- der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
- die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
- bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.
Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 21.2.2024, 8 Sa 564/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Die Werbung mit einem mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff (hier: „klimaneutral“) ist regelmäßig nur zulässig, wenn in der Werbung selbst erläutert wird, welche konkrete Bedeutung diesem Begriff zukommt. |
Das war geschehen
Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte ist ein Unternehmen, das Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz herstellt. Die Produkte sind im Lebensmitteleinzelhandel, an Kiosken und an Tankstellen erhältlich. Die Beklagte warb in einer Fachzeitung der Lebensmittelbranche mit der Aussage: „Seit 2021 produziert [die Beklagte] alle Produkte klimaneutral“ und einem Logo, das den Begriff „klimaneutral“ zeigt und auf die Internetseite eines „ClimatePartner“ hinweist. Der Herstellungsprozess der Produkte der Beklagten läuft nicht CO2-neutral ab. Die Beklagte unterstützt indes über den „ClimatePartner“ Klimaschutzprojekte.
Irreführend: Herstellungsprozess selbst nicht klimaneutral
Die Klägerin hält die Werbeaussage für irreführend. Die angesprochenen Verkehrskreise verstünden diese so, dass der Herstellungsprozess selbst klimaneutral ablaufe. Zumindest müsse die Werbeaussage dahingehend ergänzt werden, dass die Klimaneutralität erst durch kompensatorische Maßnahmen hergestellt werde. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch.
So entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH hat die Beklagte zur Unterlassung der Werbung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten verurteilt. Die beanstandete Werbung ist irreführend im Sinne des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 UWG).
Die Werbung ist mehrdeutig, weil der Begriff „klimaneutral“ nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen von den Lesern der Fachzeitung – nicht anders als von Verbrauchern – sowohl im Sinne einer Reduktion von CO2 im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO2 verstanden werden kann. Im Bereich der umweltbezogenen Werbung ist – ebenso, wie bei gesundheitsbezogener Werbung – eine Irreführungsgefahr besonders groß und es besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen. Bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff, wie „klimaneutral“, verwendet, muss deshalb zur Vermeidung einer Irreführung regelmäßig bereits in der Werbung selbst erläutert werden, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist. Aufklärende Hinweise außerhalb der umweltbezogenen Werbung sind insoweit nicht ausreichend.
Irreführende Werbung relevant für Kaufentscheidung
Eine Erläuterung des Begriffs „klimaneutral“ war hier insbesondere erforderlich, weil die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität darstellen, sondern die Reduktion gegenüber der Kompensation unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes vorrangig ist. Die Irreführung ist auch wettbewerblich relevant, da die Bewerbung eines Produkts mit einer vermeintlichen Klimaneutralität für die Kaufentscheidung des Verbrauchers von erheblicher Bedeutung ist.
Quelle | BGH, Urteil vom 27.6.2024, I ZR 98/23, PM 138/24
| Die Aufzeichnungspflichten nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 4 Abs. 7 des EStG) für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind bei einem Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt, nur erfüllt, wenn sämtliche Aufwendungen einzeln fortlaufend in einem gesonderten Dokument oder Datensatz aufgezeichnet werden. Eine reine Belegsammlung mit Aufaddieren der Positionen nach Abschluss des Veranlagungszeitraums ist nicht ausreichend. Da der Bundesfinanzhof (BFH) gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Hessen kürzlich die Revision zugelassen hat, ist mit einer weiteren Präzisierung der Rechtsprechungsgrundsätze zu rechnen. |
Hintergrund: § 4 Abs. 5 EStG schränkt den Abzug für gewisse Betriebsausgaben ein. So wirken sich z. B. Aufwendungen für Geschenke an Geschäftspartner und Kunden nur steuermindernd aus, wenn eine Grenze von 50 Euro eingehalten wird. Und auch für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer besteht eine Abzugsbeschränkung.
Aufzeichnungspflichten
Darüber hinaus sind die Aufwendungen i. S. des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 4, 6 b und 7 EStG einzeln und getrennt von den sonstigen Betriebsausgaben aufzuzeichnen. Soweit diese Aufwendungen nicht bereits nach Abs. 5 vom Abzug ausgeschlossen sind, dürfen sie bei der Gewinnermittlung nur berücksichtigt werden, wenn sie besonders aufgezeichnet sind.
Beachten Sie | Bei den Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG handelt es sich um eine zusätzliche materiell-rechtliche Voraussetzung für den Betriebsausgabenabzug. Bei Verstößen droht das Abzugsverbot. Dieses Abzugsverbot wird auch bei einer Gewinnermittlung per Einnahmen-Überschussrechnung so umgesetzt, dass die betroffenen Aufwendungen dem Gewinn als Betriebseinnahmen hinzugerechnet werden.
Finanzierungs- und Energiekosten dürfen geschätzt werden
Nach Ansicht der Finanzverwaltung bestehen keine Bedenken, wenn die auf das Arbeitszimmer anteilig entfallenden Finanzierungskosten im Wege der Schätzung ermittelt werden und nach Ablauf des Wirtschafts- oder Kalenderjahrs eine Aufzeichnung aufgrund der Jahresabrechnung des Kreditinstituts erfolgt. Entsprechendes gilt für die verbrauchsabhängigen Kosten (z. B. Wasser- und Energiekosten). Es reicht aus, Abschreibungsbeträge einmal jährlich – zeitnah nach Ablauf des Kalender- oder Wirtschaftsjahrs – aufzuzeichnen.
Jahrespauschale ausgenommen
Beachten Sie | Beim Abzug der Jahrespauschale (1.260 Euro) bestehen die besonderen Aufzeichnungspflichten nach § 4 Abs. 7 EStG nicht.
Quelle | FG Hessen, Urteil vom 13.10.2022, 10 K 1672/19, Rev. BFH: VIII R 6/24, BMF-Schreiben vom 15.8.2023, IV C 6 – S 2145/19/1006 :027, RZ. 25 f.
| Ermittelt ein Steuerpflichtiger seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung, ist die Art und Weise, in der er seine Aufzeichnungen geführt hat, eine Tatsache, die zur Korrektur eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids führen kann, wenn sie dem Finanzamt nachträglich bekannt wird. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. |
Hintergrund: Ist die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat abgelaufen, wird ein Steuerbescheid grundsätzlich bestandskräftig. Allerdings bestehen auch danach Berichtigungs- und Änderungsmöglichkeiten. Eine davon ist § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Hier heißt es: Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Das war geschehen
Ein Einzelhändler ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung. Das Finanzamt veranlagte ihn erklärungsgemäß (ohne Vorbehalt der Nachprüfung). Bei einer späteren Außenprüfung beurteilte das Finanzamt die Aufzeichnungen als formell mangelhaft und nahm eine Hinzuschätzung vor. Die bestandskräftigen Bescheide wurden nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert.
Bareinnahmen: Aufzeichnungen mangelhaft
Die Tatsache, ob und wie der Steuerpflichtige seine Bareinnahmen aufgezeichnet hat, ist rechtserheblich, wenn das Finanzamt bei deren vollständiger Kenntnis bereits im Zeitpunkt der Veranlagung zur Schätzung befugt gewesen wäre und deshalb eine höhere Steuer festgesetzt hätte.
Da eine Schätzungsbefugnis in bestimmten Fällen auch bei (nur) formellen Mängeln der Aufzeichnungen über Bareinnahmen besteht, muss das FG nun im zweiten Rechtsgang prüfen, ob die Unterlagen Mängel aufweisen, die zur Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen führen.
Quelle | BFH, Urteil vom 6.5.2024, III R 14/22, PM 30/24 vom 4.7.2024
| Wer neben dem Bau von Gewächshäusern Pflanzen züchtet und mit ihnen handelt, unterhält nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) Münster unterschiedliche Betriebe. Dies hat zur Folge, dass für Zwecke der Gewerbesteuer Verluste aus der Pflanzenzucht nicht mit Gewinnen aus dem Gewächshausbau verrechnet werden können. |
Unterschied: Betätigung gewerblich oder land- und forstwirtschaftlich
Beim Gewächshausbau handelt es sich nach der Wertung des FG um eine gewerbliche und bei der Pflanzenzucht um eine land- und forstwirtschaftliche Betätigung. Beide Tätigkeiten sind laut FG auch nicht derart miteinander planvoll wirtschaftlich verbunden, dass sie als ein einheitlicher Gewerbebetrieb betrachtet werden können.
Beachten Sie | Die Pflanzenzucht ist auch keine bloße Hilfsbetätigung zum Gewächshausbau und sie ist auch nicht notwendig für die gewerbliche Tätigkeit, da auch Konkurrenzbetriebe nicht stets zusätzlich eine Pflanzenzucht betreiben.
Sachlicher Zusammenhang erforderlich
Die Zusammenfassung mehrerer Betätigungen zu einem einheitlichen Gewerbebetrieb erfordert allgemein einen sachlichen Zusammenhang finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Art zwischen den Betätigungen.
Bei gleichartigen gewerblichen Betätigungen gilt die Vermutung eines einheitlichen Gewerbebetriebs, es sei denn, es sprechen ausnahmsweise besondere Umstände des konkreten Einzelfalls dagegen. Bei ungleichartigen gewerblichen Betätigungen liegt dagegen nur ausnahmsweise ein einheitlicher Gewerbebetrieb vor. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) im Jahr 2020 entschieden.
Dies gilt erst recht beim Zusammentreffen einer gewerblichen mit einer nicht gewerblichen Tätigkeit. Nur ganz ausnahmsweise – bei einem untrennbaren Sachzusammenhang – können auch solche Betätigungen zusammengefasst werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 29.11.2023, 13 K 986/21 G; BFH, Urteil vom 17.6.2020, X R 15/18
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (§ 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen.
Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest. Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R, PM Nr. 7/24
| Wer in der Dunkelheit mit dem Auto auf einen Betonpoller auffährt, muss nicht unbedingt für seinen Schaden selbst aufkommen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig entschieden. |
Das war geschehen
Ein Autofahrer forderte von einer Gemeinde Schadenersatz. Er war bei Dunkelheit mit seinem Fahrzeug in den mittleren von drei etwa 40 Zentimeter hohen Betonpollern hineingefahren. Die Poller hatte die Gemeinde hinter dem Einmündungsbereich einer mit einem Sackgassenschild ausgewiesenen Straße als Durchfahrtssperre aufgestellt. Nur die äußeren beiden Poller waren dabei mit jeweils drei Reflektoren versehen. Das Landgericht (LG) hatte die Gemeinde teilweise zum Schadenersatz verurteilt. Der Autofahrer müsse sich lediglich 25 Prozent Mitverschulden anrechnen lassen.
Verstoß gegen die Straßenverkehrssicherungspflicht
Dies hat das OLG nun bestätigt. Die Gemeinde habe gegen ihre Straßenverkehrssicherungspflicht verstoßen. Sie hätte die der Verkehrsberuhigung dienenden Poller so aufstellen müssen, dass die Benutzer der Straße diese gut sehen könnten, wenn sie entsprechend sorgfältig führen. Dies hätte durch gut sichtbare Markierungen und ausreichende Beleuchtung erfolgen müssen. Das gelte vor allem, weil die Poller nur eine geringe Höhe (ca. 40 cm) hatten. Solche Poller seien aus dem Sichtwinkel eines Autofahrers nur schwer zu erkennen.
Sachverständigengutachten: Poller waren nicht zu erkennen
Das OLG hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt. Danach kam es zu dem Ergebnis, dass jedenfalls der mittlere und der rechte Poller unabhängig von der Geschwindigkeit und selbst bei Tageslicht für einen von rechts in die Straße einbiegenden Kraftfahrzeugfahrer nicht erkennbar waren. Dies habe der Sachverständige anhand von Videosequenzen belegt. Auch dem Sackgassenschild habe ein Autofahrer nicht entnehmen können, dass die Straße durch Poller versperrt sein würde. Die beklagte Gemeinde habe damit in eklatanter Weise gegen ihre Verkehrssicherungspflichten verstoßen.
Quelle | OLG Braunschweig, Urteil vom 10.12.2018, 11 U 54/1
| Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat die Klage eines Nachbarn auf Durchsetzung des „Fensterrechts“ in der Berufungsinstanz abgewiesen. In erster Instanz hatte das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth den vom Kläger gegen die Grundstücksnachbarn geltend gemachten Anspruch zuerkannt, die auf der Grundstücksgrenze befindlichen Fenster großflächig blickdicht zu gestalten und geschlossen zu halten. Das OLG hat nun die Entscheidung geändert. |
Kläger beriefen sich auf Nachbarrecht
Der Kläger verlangte unter Berufung auf die bayerischen Nachbarrechtsvorschriften von den beklagten Nachbarn, die zu seinem Grundstück zugewandten Wohnraumfenster so umzubauen, dass ein Öffnen und ein Durchblicken bis zur Höhe von 1,80 m über dem Boden nicht möglich sind. Er ist Eigentümer eines im Jahr 2017 errichteten Einfamilienhauses, die Beklagten wohnen seit 2019 auf dem Nachbargrundstück. Beide Grundstücke waren zunächst Teil eines größeren Grundstücks. Infolge der Grundstücksteilung im Jahr 2000 wurde das Wohnhaus, in dem die Beklagten wohnen, zu einem Grenzbau. Die Wohnung der Beklagten hat mehrere Fenster sowie eine Balkonfenstertür, deren Abstand zur Grundstücksgrenze des Klägers weniger als 60 Zentimeter beträgt.
Oberlandesgericht machte sich ein eigenes Bild
Das OLG sah die auf das „Fensterrecht“ gestützten Anspruchsvoraussetzungen zwar grundsätzlich als gegeben, erachtete die Durchsetzung des Anspruchs im konkreten Einzelfall in der Gesamtwürdigung aber als unbillige Härte. Es hatte sich in einem Ortstermin ein eigenes Bild von den konkreten Wohnverhältnissen gemacht und die streitgegenständlichen Fenster, insbesondere die etwaig zu verschattenden Fensterflächen, die Lichtverhältnisse in sämtlichen betroffenen Räumen und die Fluchtwege der Wohnung in Augenschein genommen.
Unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten der Wohnung und in Abwägung der jeweiligen Interessen beider Seiten kam das OLG zu dem Ergebnis, dass dem Kläger ein Berufen auf das nachbarrechtliche „Fensterrecht“ im konkreten Einzelfall verwehrt ist. Maßgeblich war aus Sicht des Gerichts zum einen, dass bis zu 80 % der Fensterflächen von der blickdichten Gestaltung betroffen wären und eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr der Wohnung bei Durchsetzung des Anspruchs nicht mehr gewährleistet wäre. Zum anderen hat das Gericht berücksichtigt, dass bei einem dauerhaften Verschließen der Balkontür auch der notwendige zweite Fluchtweg nicht mehr gegeben wäre. In Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände erachtete das Gericht die Ausübung des Fensterrechts daher als unzulässig.
Quelle | OLG Nürnberg, Urteil vom 18.6.2024. 6 U 2481/22, PM 21/24
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit der Frage befasst, ob sich der Verkäufer eines fast 40 Jahre alten Fahrzeugs mit Erfolg auf einen vertraglich vereinbarten allgemeinen Gewährleistungsausschluss berufen kann, wenn er mit dem Käufer zugleich vereinbart hat, dass die in dem Fahrzeug befindliche Klimaanlage einwandfrei funktioniere, und der Käufer nunmehr Mängelrechte wegen eines Defekts der Klimaanlage geltend macht. |
Das war geschehen
Der Kläger erwarb im März 2021 im Rahmen eines Privatverkaufs von dem Beklagten zu einem Kaufpreis von 25.000 Euro einen erstmals im Juli 1981 zugelassenen Mercedes-Benz 380 SL mit einer Laufleistung von rund 150.000 km. In der Verkaufsanzeige des Beklagten auf einer Onlineplattform hieß es unter anderem: „Klimaanlage funktioniert einwandfrei. Der Verkauf erfolgt unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“.
Im Mai 2021 beanstandete der Kläger, dass die Klimaanlage defekt sei. Nachdem der Beklagte etwaige Ansprüche des Klägers zurückgewiesen hatte, ließ dieser die Klimaanlage – im Wesentlichen durch eine Erneuerung des Klimakompressors – instand setzen. Mit der Klage verlangt er von dem Beklagten den Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von rund 1.750 Euro.
So sah es der Bundesgerichtshof
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren erfolgreich weiter. Der BGH hat entschieden, dass der Beklagte sich gegenüber dem hier im Streit stehenden Schadenersatzanspruch des Klägers nicht auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen kann.
Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist in den Fällen einer (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbarten Beschaffenheit ein daneben vereinbarter allgemeiner Haftungsausschluss für Sachmängel dahin auszulegen, dass er nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit, sondern nur für sonstige Mängel gelten soll. Eine von diesem Grundsatz abweichende Auslegung des Gewährleistungsausschlusses kommt nicht in Betracht.
Auf den Wortlaut der Internetanzeige kam es an
Der Umstand, dass der Beklagte nicht erst im schriftlichen Kaufvertrag, sondern bereits in seiner Internetanzeige – unmittelbar im Anschluss an die Angabe „Klimaanlage funktioniert einwandfrei“ – erklärt hat, dass der Verkauf „unter Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung“ erfolge, erlaubt es nicht, den vereinbarten Gewährleistungsausschluss dahingehend zu verstehen, dass er sich auf die getroffene Beschaffenheitsvereinbarung über die (einwandfreie) Funktionsfähigkeit der Klimaanlage erstreckt. Denn gerade das – aus Sicht eines verständigen Käufers – gleichrangige Nebeneinanderstehen einer Beschaffenheitsvereinbarung einerseits und eines Ausschlusses der Sachmängelhaftung andererseits gebietet es nach der Rechtsprechung des BGH, den Gewährleistungsausschluss als beschränkt auf etwaige, hier nicht in Rede stehende Sachmängel aufzufassen, da die Beschaffenheitsvereinbarung für den Käufer andernfalls – außer im (hier nicht gegebenen) Fall der Arglist des Verkäufers – ohne Sinn und Wert wäre.
Vereinbarte Beschaffenheit kann nicht im Anschluss wieder ausgeschlossen werden
Insbesondere aber rechtfertigen in einem Fall, in dem – wie hier – die Funktionsfähigkeit eines bestimmten Fahrzeugbauteils den Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung bildet, weder das (hohe) Alter des Fahrzeugs beziehungsweise des betreffenden Bauteils, noch der Umstand, dass dieses Bauteil typischerweise dem Verschleiß unterliegt, die Annahme, dass ein zugleich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss auch für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit gelten soll. Diese Umstände (Alter des Fahrzeugs, Verschleißanfälligkeit eines Bauteils) können zwar für die übliche Beschaffenheit eines Gebrauchtwagens von Bedeutung sein. Sie spielen jedoch weder für die Frage einer konkret vereinbarten Beschaffenheit noch für die hier maßgebliche Frage eine Rolle, welche Reichweite ein allgemeiner Gewährleistungsausschluss im Fall einer vereinbarten Beschaffenheit hat. Vielmehr findet der Grundsatz, dass ein vertraglich vereinbarter allgemeiner Gewährleistungsausschluss die Haftung des Verkäufers für einen auf dem Fehlen einer vereinbarten Beschaffenheit beruhenden Sachmangel unberührt lässt, auch dann uneingeschränkt Anwendung, wenn der Verkäufer die Funktionsfähigkeit eines Verschleißteils eines Gebrauchtwagens zugesagt hat.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.4.2024, VIII ZR 161/23, PM 82/2024
| Ein Hotel mit einem Fußweg von ca. 1,3 Kilometern befindet sich nicht „nur wenige Gehminuten“ von wunderschönen Stränden entfernt. So hat es das Amtsgericht (AG) München jetzt klargestellt. Es läge daher ein Reisemangel vor. |
Es ging um die Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz
Das AG verurteilte einen Reiseveranstalter zur Erstattung von Kosten eines Ersatzhotels und Schadenersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit in Höhe von insgesamt 1.795 Euro. Die Klägerin hatte für sich und ihre neunjährige Tochter bei der Beklagten eine Rundreise durch Costa Rica gebucht. Die Rundreise sollte einen Aufenthalt von 4 Nächten in einem Boutique-Hotel an der Pazifikküste beinhalten.
Tatsächlich 25 Gehminuten zum Strand
Die Klägerin bemängelte, das Hotel sei mit den Worten „nur wenige Gehminuten von den besten Restaurants und wunderschönen Stränden [..] entfernt“ beschrieben worden. Dies habe nicht der Realität entsprochen. An der Rezeption sei ihr mitgeteilt worden, dass man ein Taxi nehmen müsse, um den Strand zu erreichen, da dieser 25 Gehminuten entfernt läge. Die Klägerin wandte sich daraufhin an die lokale Ansprechpartnerin der Reiseveranstalterin und buchte in Abstimmung mit dieser über eine Buchungsplattform auf eigene Kosten ein Ersatzhotel. Mit ihrer Klage machte die Klägerin Ersatz der verauslagten Kosten für die Buchung des Ersatzhotels in Höhe von 733 Euro sowie Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit wegen eines verlorenen Urlaubstages aufgrund des Hotelwechsels in Höhe von 1.062 Euro geltend.
Entfernung zugesichert?
Die Beklagte behauptete, es sei nie eine bestimmte Entfernung oder Gehzeit zum Strand zugesichert worden. Tatsächlich sei der Strand in ca. 15 Minuten zu erreichen.
Das AG gab der Klägerin in vollem Umfang Recht und führte in den Entscheidungsgründen aus, dass das Hotel aufgrund seiner Entfernung zum Strand mangelhaft sei. Zwischen den Parteien sei zwar umstritten, wie lange der Fußweg vom Hotel zum Strand dauerte. Es sei allerdings unstreitig, dass der nächstgelegene Strand des Hotels einen Fußweg von 1,3 km entfernt war. Im Rahmen der Auslegung dieses vertraglich vereinbarten Merkmals „wenige Gehminuten“ müsse auch berücksichtigt werden, dass es sich bei der gebuchten Reise um eine Reise im Hochpreissegment handelte, wurden doch für 12 Tage knapp 9.000 Euro ausgegeben – exklusive Flügen. Die Beklagte, die selbst damit wirbt, „unvergessbare Luxusreisen“ anzubieten, müsse sich insofern an ihren eigenen Ansprüchen messen lassen. Nach Überzeugung des Gerichts seien bei einer hochpreisigen Luxusreise „wenige Gehminuten“ eine Zeit, die bei normalem Gehtempo regelmäßig fünf Minuten nicht überschreite.
„Wenige Gehminuten“ = maximal 5 Minuten!
Die unstreitige Entfernung zum Strand von 1,3 km könne jedoch nur dann (noch) in fünf Minuten zurückgelegt werden, wenn eine Gehgeschwindigkeit von etwa 15,6 km/h eingehalten werden würde, was selbst für erfahrene Läufer ein ambitioniertes Tempo darstelle. Vor dem Hintergrund, dass der Beklagten bei der Reiseplanung bekannt war, dass die Klägerin mit einem neunjährigen Kind reiste – passte sie doch ihr Freizeitprogramm kindgerecht an – könne das Einhalten eines solchen Tempos nicht vorausgesetzt werden.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | AG München, Urteil vom 22.11.2023, 242 C 13523/23, PM 20/24
| Das Landgericht (LG) München I hat die Klage einer Kundin gegen einen Outlet-Betreiber auf Schmerzensgeld abgewiesen. Die Kundin hatte sich bei der Kleideranprobe durch ein Preisschild eine Augenverletzung zugezogen. |
Bei der Kleideranprobe am Preisschild verletzt
Im April 2023 probierte die klagende Kundin im Outlet-Store der Beklagten ein T-Shirt. Dabei verletzte sie sich durch ein an diesem T-Shirt angebrachtes Preisschild am rechten Auge.
Schmerzensgeld gefordert
Die Kundin hat gegen den Betreiber des Outlet-Stores deswegen Klage erhoben und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5.000 Euro gefordert. Der Betreiber des Outlet-Stores habe die ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt, da das Preisschild in seiner Ausgestaltung aufgrund fehlender Sicherung und Erkennbarkeit gefährlich gewesen sei. Das Preisschild habe ihr bei der Anprobe ins Auge geschlagen. Sie habe dadurch eine erhebliche Verletzung am rechten Auge erlitten. Es sei erforderlich gewesen, an dem verletzten Auge eine Hornhauttransplantation durchzuführen. Bis heute leide sie unter Schmerzen und sei weiterhin in ihrer Sicht eingeschränkt sowie besonders blendempfindlich.
Preisschilder vorgeschrieben
Der Betreiber des Outlet-Stores hat eingewandt, bei dem verwendeten Preisschild handle es sich um ein übliches Standardpreisschild in der Größe von ca. 9 cm x 5 cm mit abgerundeten Ecken und einer flexiblen Rebschnur. Die Preisschilder seien durch ihre Größe und das Gewicht des Bündels deutlich fühlbar gewesen. Vergleichbare Fälle von aufgetretenen Verletzungen seien ihm nicht bekannt. Zudem sei es gesetzlich vorgeschrieben, entsprechende Preisschilder an den Waren anzubringen.
Amtsgericht weist Klage ab
Das AG hat die Klage abgewiesen. Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt stehe der Kundin ein Anspruch auf Schmerzensgeld gegenüber dem Betreiber des Outlet-Stores zu. Wenn sich im Zuge einer Kleideranprobe in einem Outlet eine Kundin durch ein übliches Preisschild am Auge verletzt, hafte der Betreiber dafür nicht, so das AG.
Zur Begründung hat das AG ausgeführt, sichernde Maßnahmen seien nur in dem Maße geboten, in dem sie ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei müsse der Geschäftsbetreiber nicht für alle denkbar entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es komme vielmehr auch entscheidend darauf an, welche Möglichkeiten der Geschädigte hat, sich vor erkennbaren Gefahrquellen selbst zu schützen.
Im hier entschiedenen Einzelfall habe der Betreiber des Outlet-Stores den an ihn gerichteten Verkehrssicherungspflichten Genüge getan. Für die Kundin sei das Vorhandensein eines Preisschildes erwartbar und das Treffen eigener Sicherheitsvorkehrungen zumutbar gewesen.
Nach allgemeiner Lebenserfahrung werfe ein Kunde bereits vor der Anprobe einen Blick auf das Preisschild und könne daher ohne Weiteres selbst dafür sorgen, dass er sich bei der Anprobe nicht verletze. Die Forderung der Kundin, gesondert auf das Vorhandensein von Preisschildern an der Kleidung hinzuweisen, hielt das Gericht für lebensfremd und nicht zumutbar.
Quelle | LG München I, Urteil vom 28.5.2024, 29 O 13848/23, PM 5/24
| Das Landgericht (LG) Paderborn hat in einem Mietrechtsstreit über Feuchtigkeitserscheinungen in einer Altbauwohnung Klartext gesprochen. Es gab dem Mieter überwiegend recht. |
Baujahr ändert nichts an Mangel
Das LG: Erheblich durchfeuchtete Wände mit sichtbaren Salzausblühungen und feuchtigkeitsbedingt zerbröselndem Putz stellen auch in einer Altbauwohnung aus den 1920er Jahren einen Mietmangel dar. Dabei hat das LG berücksichtigt, dass die Wände teils erst ab einer Höhe von ca. einem Meter über dem Fußboden „normal“ trockene Messwerte zeigen und die Feuchtigkeit ausschließlich bauliche Ursachen hat.
Anspruch auf Beseitigung und Minderung
Der klagenden Mieterin sprach das LG deshalb einen Anspruch gegen ihren Vermieter auf Beseitigung der Feuchtigkeit in den Wohnungswänden zu. Es nahm aufgrund der feuchten Wände und den damit einhergehenden Nachteilen u. a. für Wohnklima und Optik – anders als das erstinstanzliche Gericht – zudem eine erhebliche Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs an und bejahte ein Mietminderungsrecht der Klägerin.
Keinen Mangel sah das LG hingegen im konkreten Fall in den ebenfalls durchfeuchteten Kellerwänden des Mietobjekts. Daher wies es die Berufung der Klägerin insofern zurück.
Quelle | LG Paderborn, Urteil vom 6.3.2024, 1 S 72/222, PM vom 6.3.2024
| Der Vermieter darf, um vom Mieter verursachte Blutlachen im Treppenhaus und Eingangsbereich zu beseitigen, eine – teure – Spezialfirma für die Reinigung eines Tatorts nach Suizid oder Unfall mit den Reinigungsarbeiten beauftragen. Er muss auch nicht zuvor den Mieter beauftragen, um die Kosten gering zu halten, wenn der Mieter nicht über die ausreichende Qualifikation verfügt, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. So hat es das Amtsgericht (AG) Frankfurt/Main entschieden. |
Mieter hatte Blutspuren versuracht
Der Wohnungsmieter stand unter Betreuung. Eines Tages trat er nach einer Verletzung stark blutend aus seiner Wohnung in das Treppenhaus und anschließend durch die Haustür nach draußen. Dabei hinterließ er massive Blutspuren. Daraufhin beauftragte die Vermieterin eine Spezialfirma mit der Reinigung und Desinfektion des Treppenhauses und des Eingangsbereichs. Die Vermieterin stellte dem Mieter über seinen Betreuer die Kosten in Höhe von rd. 1.930 Euro in Rechnung. Der Mieter zahlte nicht, daher klagte die Vermieterin.
Kostenerstattungsanspruch des Vermieters
Mit Erfolg: Die Vermieterin habe gegen den Mieter einen Kostenerstattungsanspruch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 280 Abs. 1 BGB) in Verbindung mit dem Mietvertrag, so das AG. Der Mieter habe dadurch, dass er nach einer Verletzung stark blutend durch das Treppenhaus und durch die Hauseingangstür ging und dabei größere Mengen Blut ungehindert auf den Boden laufen ließ, schuldhaft gegen den Mietvertrag verstoßen. Die Vermieterin war verpflichtet, unverzüglich die Blutspuren beseitigen zu lassen, zum einen, um die Gefahr von Stürzen infolge des Ausrutschens auf den Blutlachen zu vermeiden und zum anderen, um einer Infektionsgefahr bei Kontakt mit dem Blut entgegenzutreten.
Sie habe den Mieter nicht selbst beauftragen können, um die Kosten gering zu halten, da dieser nicht über die ausreichende Qualifikation verfügte, das möglicherweise infektiöse Blut ausreichend gründlich zu entfernen. Zudem hätte die Entfernung nicht unverzüglich erfolgen können, da der Mieter offenkundig verletzt war. Die Vermieterin habe auch nicht gegen eine ihr obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen, indem sie ein Fachunternehmen für Tatortreinigung beauftragte. Sie war gehalten, sicherzustellen, dass keine Gefahr für Mitbewohner und Besucher bestehen bleibt, was nur durch ein spezialisiertes Reinigungsunternehmen gewährleistet war.
Vergleichsangebote nicht nötig
Es stellt auch keinen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar, dass die Vermieterin keine (drei) Vergleichsangebote eingeholt hat. Denn sie musste unverzüglich tätig werden, um die Gefahrenquelle zu beseitigen.
Qualität der Fachfirma nicht „kriegsentscheidend“
Auch kommt es nicht darauf an, ob die von der Vermieterin beauftragte Fachfirma möglicherweise unsachgemäß oder unwirtschaftlich gearbeitet hat und dadurch höhere Kosten entstanden sind. Denn ein Schädiger muss solche Kosten auch dann ersetzen, wenn den Geschädigten kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft.
Quelle | AG Frankfurt/Main, Urteil vom 10.8.2023, 33 C 1898/23
| Zur Errichtung eines wirksamen gemeinschaftlichen Testaments müssen beide Ehegatten testierfähig sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Das war geschehen
Die beiden Ehegatten hatten sich durch gemeinschaftliches Testament gegenseitig als Alleinerben eingesetzt. Dieses Testament wurde von der Ehefrau eigenhändig geschrieben und unterschrieben sowie vom Erblasser eigenhändig unterschrieben. Mit einer Ergänzung dieses Testaments, errichtet in gleicher Weise, ordneten die Ehegatten später eine Vor- und Nacherbschaft dergestalt an, dass der überlebende Ehegatte befreiter Vorerbe und ihre gemeinsame Tochter Nacherbin sein sollte. Bereits zwei Jahre vor dieser Ergänzung des Testaments wurde die Ehefrau wegen einer Demenzerkrankung in einem Pflegeheim untergebracht. Ein Jahr vor der Ergänzung des gemeinschaftlichen Testaments tötete der Erblasser seine Schwester und wurde in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht, in der er sich das Leben nehmen wollte.
Nach dessen Tod beantragte die überlebende Ehefrau, vertreten durch ihre Tochter, einen Erbschein des Inhalts, dass sie alleinige befreite Vorerbin des Erblassers geworden sei und die Nacherbfolge der Tochter nach ihrem Tod als Vorerbin eintrete. Sie hat sich zur Begründung ihres Antrags auf die beiden letzten gemeinschaftlichen Testamente gestützt. Der gemeinsame Sohn der Ehegatten ist dem Antrag entgegengetreten. Er begründete dies damit, sowohl der Erblasser als auch die Antragstellerin seien zum Zeitpunkt der Errichtung beider Testamente testierunfähig gewesen.
Nachlassgericht deutete Testamente um
Das Nachlassgericht ist nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Überzeugung gelangt, dass die Antragstellerin testierunfähig gewesen ist. Bezogen auf den Erblasser hat sich hingegen nicht die Überzeugung von einer Testierunfähigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung der vorgenannten Testamente gebildet. Die Testamente könnten jeweils in ein Einzeltestament des Erblassers umgedeutet werden, weshalb es die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet hat. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Sohn der Ehegatten mit der Beschwerde und begehrte die Zurückweisung des Erbscheinsantrages.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat den Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückgewiesen und ausgeführt, dass die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen nicht für festgestellt zu erachten seien.
Ein wirksames gemeinschaftliches Ehegattentestament setze voraus, dass beide Ehegatten bei der Testamentserrichtung testierfähig sind. Ein Testament könne nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Da ein gemeinschaftliches Testament vom Willen beider Eheleute getragen sei, erfordere eine wirksame Verfügung von Todes wegen die Testierfähigkeit eines jeden Ehegatten. Daran fehle es bei einem Ehegatten, weshalb der Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückzuweisen sei.
Eine Umdeutung des unwirksamen gemeinschaftlichen Testaments in ein Einzeltestament des Erblassers komme hier nicht in Betracht, weil der Erblasser die getroffenen Anordnungen nicht eigenhändig geschrieben, sondern den von der Antragstellerin geschriebenen Text nur unterschrieben habe. Die Umdeutung als Einzeltestament komme hier nur für den Teil in Betracht, der die Verfügung eigenhändig – hier also die Antragstellerin – niedergelegt habe.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 14.3.2024, 6 W 106/23
| Vertragsfristen können nicht nur bei Abschluss des Bauvertrags, sondern auch während der Bauausführung vereinbart werden. So kann einem gestörten Bauablauf dadurch Rechnung getragen werden, dass überholte oder nicht mehr einhaltbare Fristen durch eine Terminplanfortschreibung einvernehmlich angepasst werden, wobei diese Fortschreibung wiederum Vertragsfristen und unverbindliche Kontrollfristen beinhalten kann. Das hat das Kammergericht (KG) Berlin klargestellt. |
Beachten Sie | Die Entscheidung des KG gilt auch für Planungsterminpläne. Sie ist durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH rechtskräftig geworden.
Quelle | KG Berlin, Urteil vom 24.01.2023, 27 U 154/21, rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 25.10.2023, VII ZR 20/23
| Stichprobenartige Prüfungen von Wärmedämmarbeiten reichen nicht aus, um eine mangelfreie Objektüberwachung zu gewährleisten. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg. |
Im konkreten Fall hatte der Architekt nicht bemerkt, dass nur 8 cm PUR-Dämmung statt der vertraglich geschuldeten 9 cm eingebaut wurden. Das hätte aber sogar eine Stichprobe ergeben müssen, so das OLG. Es machte den Architekten daher für den Austausch der Dämmung haftbar.
Es sprach Klartext: Umfang und Intensität der geschuldeten Überwachung hängen von den Anforderungen der Baumaßnahme sowie den konkreten Umständen ab. Einfache Arbeiten bedürfen keiner Überwachung. Demgegenüber unterliegt die Überwachung von Wärmedämmarbeiten höheren Anforderungen.
Die Entscheidung ist jetzt rechtskräftig.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 8.11.2022, 2 U 10/22
| Die Regelverjährungsfrist beim Werkvertrag für Planung und Bauüberwachung beträgt fünf Jahre. Doch Achtung: Diese Frist kann durch eine sog. Hemmung verlängert werden. Die Folge: Planer und Architekten können länger in der Gewährleistung bleiben und unter Umständen in Anspruch genommen werden. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Ernsthafter Meinungsaustausch erforderlich
Voraussetzung: Die Verjährung hemmende Verhandlungen erfordern einen ernsthaften Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen.
Nicht ausreichend: bloße Erklärungen
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen nicht die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein. Ein solcher Meinungsaustausch hemmt die Verjährung nicht.
Quelle | OLG Köln, Beschluss vom 2.3.2023, 19 U 55/22, rechtskräftig durch BGH, Beschluss vom 8.11.2023, VII ZR 54/23
| Die unterlassene Aufnahme einer Arbeit ist kein sozialwidriges Verhalten, wenn das Jobcenter den Betroffenen „allein lässt“ und nicht die nötige Hilfe leistet. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen entschieden. |
Langzeitarbeitsloser bewarb sich jahrelang erfolglos
Zugrunde lag das Verfahren eines Langzeitarbeitslosen, der bis 2003 als Buchhalter gearbeitet hatte. Hiernach folgten Zeiten der Arbeitslosigkeit und verschiedene Hilfsarbeiten. Der Mann bewarb sich viele Jahre erfolglos als Buchhalter, bis das Jobcenter schließlich ab 2017 keine weiteren Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen übernahm. Es müsse ein Strategiewechsel stattfinden, insbesondere weil Bewerbungen als Buchhalter nach so langer Zeit nicht mehr erfolgversprechend seien. Überraschend erhielt der Mann dennoch 2019 einen Arbeitsvertrag als Buchhalter bei einer Behörde in Düsseldorf. Zur Arbeitsaufnahme kam es jedoch nicht, weil das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution für eine neue Wohnung ablehnte und er deshalb nicht umziehen konnte.
Kein Verschulden des Arbeitslosen
2020 machte das Jobcenter gegenüber dem Mann eine Erstattungsforderung wegen sozialwidrigen Verhaltens geltend, da er nicht zum Einstellungstermin erschienen sei. Er müsse daher Grundsicherungsleistungen von rd. 6.800 Euro erstatten. Hiergegen klagte der Mann. Den Mietvertrag in Düsseldorf habe er nicht unterschrieben, weil er kein Geld für die Kaution gehabt habe und noch nicht aus seinem alten Mietvertrag entlassen gewesen sei. Das LSG hat die Rechtsauffassung des Klägers bestätigt. Der Nichtantritt einer außerhalb des Tagespendelbereichs gelegenen Arbeitsstelle stelle kein sozialwidriges Verhalten im Sinne eines objektiven Unwerturteils dar, wenn der Arbeitsuchende am künftigen Beschäftigungsort keine Wohnung anmieten könne, weil ihm selbst die Mittel für eine Mietkaution fehlten und das Jobcenter die Übernahme der Mietkaution abgelehnt habe.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.1.2023, L 11 AS 336/21
| Eine öffentliche Verwaltung kann das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, verbieten, um ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen. Eine solche Regel ist nicht diskriminierend, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf das gesamte Personal dieser Verwaltung angewandt wird und sich auf das absolut Notwendige beschränkt. So sieht es der Europäische Gerichtshof (EuGH). |
Verbot eines islamischen Kopftuchs
Eine belgische Gemeinde hatte einer Bediensteten, die als Büroleiterin ganz überwiegend ohne Publikumskontakt tätig ist, untersagt, am Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen. Anschließend änderte die Gemeinde ihre Arbeitsordnung und schrieb in der Folge ihren Arbeitnehmern strikte Neutralität vor: Das Tragen von auffälligen Zeichen ideologischer oder religiöser Zugehörigkeit verbot sie allen Arbeitnehmern, auch denen ohne Publikumskontakt. Die Büroleiterin fühlte sich diskriminiert und in ihrer Religionsfreiheit verletzt.
Lag Diskriminierung vor?
Dem mit dem Rechtsstreit befassten Arbeitsgericht (ArbG) Lüttich stellt sich die Frage, ob die von der Gemeinde aufgestellte Regel der strikten Neutralität eine gegen das Unionsrecht verstoßende Diskriminierung begründet. Der EuGH antwortete, dass die Politik der strikten Neutralität, die eine öffentliche Verwaltung ihren Arbeitnehmern gegenüber durchsetzen will, um bei sich ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen, als durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt angesehen werden kann.
Wertungsspielraum der Mitgliedsstaaten, wie „Neutralität“ ausgestaltet wird
Ebenso gerechtfertigt ist die Entscheidung einer anderen öffentlichen Verwaltung für eine Politik, die allgemein und undifferenziert das Tragen von sichtbaren Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen, auch bei Publikumskontakt, gestattet, oder ein Verbot des Tragens solcher Zeichen beschränkt auf Situationen, in denen es zu Publikumskontakt kommt. Die Mitgliedsstaaten und die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten verfügen über einen Wertungsspielraum bei der Ausgestaltung der Neutralität des öffentlichen Dienstes, die sie in dem für sie spezifischen Kontext am Arbeitsplatz fördern wollen. Dieses Ziel muss aber in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, und die zu seiner Erreichung getroffenen Maßnahmen müssen sich auf das absolut Notwendige beschränken. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob diese Anforderungen erfüllt sind.
Quelle | EuGH, Urteil vom 28.11.2023, C-148/22
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Aachen hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer Anspruch auf die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung gegenüber seiner Arbeitgeberin hat. Er darf diesen auch im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzen. |
Das war geschehen
Der schwerbehinderte Arbeitnehmer ist seit September 1988 bei der Arbeitgeberin – einem Unternehmen, das Bauelemente herstellt und vertreibt, – als Verkaufs- und Vertriebsleiter tätig. Er ist wegen eines Hirntumors seit April 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und war bis zum 10.4.2024 fahruntüchtig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird nach Erreichen der Regelaltersgrenze des Arbeitnehmers mit dem Ablauf des Monats Oktober 2024 enden. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrte der Arbeitnehmer, ihn ab Mitte März 2024 entsprechend einem ärztlichen Wiedereingliederungsplan nach dem sog. „Hamburger Modell“ zu beschäftigen, um zeitnah an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu können.
Fehlende Fahrtüchtigkeit steht Wiedereingliederung nicht im Weg
Das ArbG gab dem Antrag des schwerbehinderten Arbeitnehmers statt, da die Arbeitgeberin verpflichtet sei, an der stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken. Dem stehe die fehlende Fahrtüchtigkeit des Arbeitnehmers nicht entgegen. Der Arbeitnehmer könne während der Fahruntüchtigkeit zu Beginn der Wiedereingliederung zunächst seinem Aufgabenprofil entsprechende Büroarbeiten erledigen.
Sache ist eilbedürftig
Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung besondere Eilbedürftigkeit ergab sich nach Auffassung des Arbeitsgerichts daraus, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer auf die zeitnahe Wiedereingliederung angewiesen sei. Demgegenüber würde eine Versagung der Wiedereingliederung den Teilhabeanspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers am Erwerbsleben vereiteln oder jedenfalls erheblich erschweren. Auch der nahe Renteneintritt des Arbeitnehmers ändert nach Ansicht des ArbG nichts am Eilbedürfnis.
Quelle | ArbG Aachen, Urteil vom 12.3.2024, 2 Ga 6/24, PM 1/24
| Für Bühnenkünstler gewährt die Rechtsprechung pauschalierten Schadenersatz von bis zu sechs Monatsgagen pro Spielzeit, wenn der Arbeitgeber den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers verletzt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied nun: Dieser Anspruch kann nicht auf den Profimannschaftssport übertragen werden. |
Saisonabbruch in der Corona-Pandemie: Kläger durfte nicht spielen
Der Kläger ist Eishockeyspieler. Er stritt mit seinem Arbeitgeber über einen Schadenersatzanspruch. Sein Arbeitgeber, der Beklagte, hatte ihn in der Saison 2019/2020 nicht beschäftigt, da diese aufgrund der Corona-Pandemie abgebrochen wurde. Bis dahin fungierte er als Kapitän und Leistungsträger der Mannschaft.
Außerordentliche fristlose Kündigung
Die Beklagte sprach eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung aus und bot gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis mit einer verringerten Vergütung fortzusetzen. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen an und erhob eine Änderungsschutzklage. Daraufhin stellte die Beklagte den Kläger vom Mannschaftstraining frei. Durch einstweilige Verfügung erstritt der Kläger die Zulassung zum Trainingsbetrieb. Anschließend erfolgte eine außerordentliche fristlose Kündigung.
Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen und der fristlosen Kündigung fest. Die tatsächliche Teilnahme am Training wurde dem Kläger jedoch durchgängig verweigert. Er ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Schadenersatz aufgrund der Weigerung der Beklagten, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Ihm sei ein Schaden in seinem beruflichen Fortkommen entstanden, da er als Eishockeyprofi seine beruflichen Fertigkeiten nicht im Mannschaftstraining habe weiterentwickeln und verbessern können. Dadurch habe sein Marktwert gelitten, denn ein Profimannschaftssportler bedürfe der ständigen Trainingspraxis. Die Beklagte habe sich ihm gegenüber durchgängig unlauter verhalten. Die Vorinstanzen gaben der Klage in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern statt und wiesen die weitergehende Klageforderung ab.
Kläger blieb vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos
Vor dem BAG blieb der Kläger erfolglos. Er hat keinen Anspruch auf weiteren Schadenersatz wegen der Verletzung seines Beschäftigungsanspruchs. Zwar besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung und damit korrespondierend eine Pflicht des Arbeitgebers, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen. Die Beklagte hatte den Beschäftigungsanspruch auch schuldhaft verletzt, indem sie ihn vom Mannschaftstraining suspendiert hatte. Dies und die anschließende außerordentliche fristlose Kündigung seien zudem eine Maßregelung gewesen, da der Kläger lediglich in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hatte.
Der Kläger hat aber nicht ausreichend dargelegt, dass ihm infolge der Verletzung der Beschäftigungspflicht ein solcher Schaden entstanden sei. Zudem dürfen, so das BAG, Schadenersatzansprüche von Profimannschaftssportlern nicht in Anlehnung an die Rechtsprechung für andere Berufsgruppen, z. B. Bühnenkünstler, pauschalierend festgesetzt werden. Für die Schätzung des Schadens eines Profimannschaftssportlers bedürfe es greifbarer Tatsachen. Hieran fehlte es vorliegend. Mangels konkreter Anhaltspunkte könnte nur eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens erfolgen, die vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre.
Quelle | BAG, Urteil vom 29.2.2024, 8 AZR 359/22
| Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, sind diese Vorteile steuerfrei, soweit sie den Rabattfreibetrag von 1.080 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)). Das Landesozialgericht (LSG) Bayern musste nun in einem Konzernfall über die Beitragspflicht von Warengutscheinen entscheiden. Dabei hat es herausgestellt, dass hinsichtlich des Arbeitgeberbegriffs keine unterschiedliche Beurteilung nach Steuer- und nach Beitragsrecht veranlasst ist. |
Arbeitgeber kann nur derjenige sein, der die Arbeitsverträge mit den Beschäftigten abgeschlossen hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, den der Bundesfinanzhof (BFH) für das Steuerrecht aufgestellt hat.
Begriff des „Arbeitgebers“: keine Konzernklausel
Der BFH hat es abgelehnt, den Begriff des Arbeitgebers über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen. Im Vorfeld der gesetzlichen Neuregelung wurde eine Konzernklausel ausdrücklich diskutiert.
Da sie aber nicht aufgenommen worden ist, kann daraus geschlossen werden, dass sich die bereits in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Meinung durchgesetzt hat, nach der § 8 Abs. 3 EStG nicht für Waren und Dienstleistungen gelten soll, die nicht im Unternehmen des Arbeitgebers hergestellt, vertrieben oder erbracht werden. Es sollen weder Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften noch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel steuerlich begünstigt werden.
Warengutscheine = Sachbezüge
Nach Ansicht des LSG hat das Unternehmen im Streitfall auch keinen so gewichtigen Beitrag geleistet, als dass es unter Anwendung des „erweiterten Hersteller- bzw. Vertreiberbegriffs“ als Hersteller bzw. Vertreiber der Waren i. S. des § 8 Abs. 3 EStG angesehen werden kann. Deshalb handelt es sich bei den Warengutscheinen um Sachbezüge, für die Beiträge erhoben werden müssen.
Quelle | LSG Bayern, Urteil vom 6.6.2023, L 7 BA 80/22, Abruf-Nr. 240136; unter www.iww.de; BFH, Urteil vom 26.4.2018, VI R39/16
| Mit einem kuriosen Nachbarstreit zwischen einem Restaurantbetreiber und dem Anbieter von Parkraum hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Dem Restaurantbesitzer drohen nun 250.000 Euro Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft. |
Das war geschehen
Der Parkplatzbetreiber hatte die Parkgebühren angehoben und den bislang gewährten Rabatt für die Besucher des Restaurants abgeschafft. Daraufhin positionierte der Restaurantbesitzer gezielt eigene Mitarbeiter an der Parkschranke, um die Autofahrer von der Einfahrt in den Parkplatz abzuhalten und auf andere, kostenfreie Plätze in der Nähe zu verweisen. Dieses Verhalten stellt eine unzulässige Verletzungshandlung dar, die darauf angelegt ist, den Betrieb des Parkraumbewirtschafters zu schädigen, entschied das LG. Es untersagte in einem Eilverfahren entsprechende Aktionen.
Boykottaufruf unverhältnismäßig
Das Argument, über den Rabatt für Restaurantkunden gebe es eine Vereinbarung und die hohen Parkkosten hätten bereits Kunden abgeschreckt und vom Besuch abgehalten, überzeugte das LG nicht. Das Vorgehen des Restaurantbetreibers sei unverhältnismäßig.
Im Bereich der Einfahrt gezielt Parkplatzsuchende anzusprechen, um diese zum anderweitigen Parken zu bewegen, sei eine gegen das Geschäftsmodell des Parkraumanbieters gerichtete verbotene Eigenmacht. Es seien nicht nur Restaurantbesucher, sondern sämtliche Parkplatzsuchende angesprochen und zum Boykott des Parkplatzes aufgerufen worden. Der Restaurantbesitzer müsse seine Kunden auf andere Weise darüber informieren, dass die Parkgebühren nicht mehr übernommen werden und den Streit um den Parkrabatt, wenn nötig, gerichtlich austragen.
„Saftiges“ Ordnungsgeld droht
Für den Fall, dass der Restaurantbetreiber dem Urteil zuwiderhandelt, hat das LG ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro sowie Ordnungshaft angedroht.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 18.1.2024, 5 O46/23, PM vom 30.4.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. |
Der Hintergrund
Amazon ist weltweit u. a. im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27.12.2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd. USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd. USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd. USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio. Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit.
Das war geschehen
Das Bundeskartellamt hatte festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als sog. Torwächter benannt.
Das sagt der Bundesgerichtshof
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt hat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (hier: § 19 a Abs. 1 GWB) zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.
Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Stores) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen.
Das heißt „marktübergreifende Bedeutung“
Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotenzial durch die Vorschrift adressiert wird. § 19 a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen.
Bundeskartellamt: zutreffende Feststellungen
Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von Amazon Web Services, Inc. (AWS). Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.
Die jetzige Geltung der Regelungen des Digital Markets Acts (DMA) und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.
Quelle | BGH, Beschluss vom 23.4.2024, KVB 56/22, PM 97/24
| Durch die Unwetter mit Hochwasser in der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 2024 sind in weiten Teilen Baden-Württembergs beträchtliche Schäden entstanden. Die Beseitigung dieser Schäden wird bei vielen Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Daher möchte das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen entgegenkommen. |
Möglich sind u. a.:
- Anpassung steuerlicher Vorauszahlungen,
- Stundung fälliger Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuerbeträge und
- Aufschub von Vollstreckungen.
Beachten Sie | Auch in anderen Bundesländern sind im Mai und Juni 2024 durch die Unwetter mit Hochwasser Schäden entstanden. Daher wurden auch für Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland Katastrophenerlasse mit steuerlichen Erleichterungen veröffentlicht. Dabei ist zu beachten, dass einige Erlasse bereits aktualisiert wurden.
Quelle | FinMin Baden-Württemberg, Erlass vom 20.6.2024; Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft Saarland, Erlass vom 21.5.2024; Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Erlass vom 25.6.2024; Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, Erlass vom 24.6.2024
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen. Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest.
Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R; BSG, PM Nr. 7/24 vom 22.2.2024
| Der Bundesrat hat dem Postrechtsmodernisierungsgesetz (PostModG) Anfang Juli 2024 zugestimmt. Dadurch werden insbesondere die Laufzeitvorgaben für die Zustellung von Briefen verlängert. Folgerichtig erfolgte auch eine Anpassung der Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (z. B. Steuerbescheiden). |
Einspruchsfrist von einem Monat
Zum Hintergrund: Das Problem, „Recht zu haben, aber es nicht zu bekommen“, ergibt sich immer dann, wenn ein Steuerbescheid zu einer zu hohen Steuerfestsetzung führt, es jedoch versäumt wurde, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat Einspruch einzulegen. Für den fristgerechten Eingang beim Finanzamt kommt es darauf an, wann der Bescheid bekannt gegeben wurde und wann die Einspruchsfrist endet.
Gesetzliche Neuregelung: Vier- statt Dreitagesfiktion
Um die Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach der Abgabenordnung an die verlängerten Laufzeitvorgaben anzupassen, wird aus der bisherigen Dreitages- eine Viertagesfiktion. Damit gelten Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte künftig als am vierten Tag nach deren Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, statt wie bisher nach drei Tagen.
Was unverändert bleibt: Fällt der vierte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, erfolgt die Bekanntgabe am nächstfolgenden Werktag. Die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Samstagen wurde nicht umgesetzt.
Die Neuregelung gilt für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.2024 übermittelt werden.
Neuregelung ab dem Jahr 2025
Beispiel: Das Finanzamt versendet an den Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid. Er gibt den Brief am Dienstag, den 14.1.2025, zur Post. Bekanntgabezeitpunkt ist der 20.1.2025 (Montag), da der 18.1.2025 („vier Tage“) ein Samstag ist.
Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Einspruchsfrist endet somit am 20.2.2025 um 24:00 Uhr.
Beachten Sie | Auch ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt gilt am dritten (ab 2025: vierten) Tag nach der Absendung als bekannt gegeben.
Steuerbescheid später zugegangen oder nicht erhalten
Die Bekanntgabefiktion gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich später oder gar nicht zugegangen ist.
Hier ist wie folgt zu unterscheiden:
- Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang, ist das Finanzamt regelmäßig nicht in der Lage, den Zugang nachzuweisen. Daher ist eine erneute (ordnungsgemäße) Bekanntgabe erforderlich.
- Behauptet der Steuerpflichtige einen späteren Zugang, muss er dies substanziiert darlegen bzw. nachweisen. Dabei stellt eine Abwesenheit wegen Urlaubs regelmäßig keine spätere Bekanntgabe dar.
Quelle | PostModG, BR-Drs. 298/24 (B) vom 5.7.2024; DStV, Mitteilung vom 13.6.2024
| Bei der Erbschaftsteuer zählt ein Parkhaus zum nichtbegünstigten Verwaltungsvermögen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) aktuell entschieden. |
Das war geschehen
Der Steuerpflichtige war testamentarisch eingesetzter Alleinerbe seines im Jahr 2018 verstorbenen Vaters (= Erblasser). Zum Erbe gehörte ein mit einem Parkhaus bebautes Grundstück. Der Erblasser hatte das Parkhaus als Einzelunternehmen ursprünglich selbst betrieben und ab dem Jahr 2000 dann unbefristet an seinen Sohn verpachtet.
Finanzamt: Parkhaus ist Verwaltungsvermögen
Das Finanzamt stellte den Wert des Betriebsvermögens fest und behandelte das Parkhaus dabei als sogenanntes Verwaltungsvermögen, das bei der Erbschaftsteuer nicht begünstigt ist. Das Finanzgericht (FG) und der BFH schlossen sich dieser Auffassung an.
Grundsätzlich wird Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer privilegiert. Das gilt allerdings nicht für bestimmte Gegenstände des Verwaltungsvermögens. Darunter fallen dem Grunde nach auch Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke. Diese können im Rahmen der Erbschaftsteuer zwar auch begünstigt sein, etwa wenn (wie im Streitfall) der Erblasser seinen ursprünglich selbst betriebenen Gewerbebetrieb unbefristet verpachtet und den Pächter testamentarisch als Erben einsetzt.
Keine erbschaftsteuerliche Privilegierung
Eine Ausnahme besteht dabei jedoch für solche Betriebe, die schon vor der Verpachtung nicht die Voraussetzungen der erbschaftsteuerrechtlichen Privilegierung erfüllt haben. Dies ist bei einem Parkhaus der Fall. Denn die dort verfügbaren Parkplätze als Teile des Parkhausgrundstücks wurden schon durch den Erblasser als damaligem Betreiber an die Autofahrer – und somit an Dritte – zur Nutzung überlassen.
Beachten Sie | Zudem handelt es sich dabei auch nicht um die Überlassung von Wohnungen, die der Gesetzgeber wiederum aus Gründen des Gemeinwohls für die Erbschaftsteuer privilegiert hat.
Keine Rolle spielt auch, ob zu der Überlassung der Parkplätze weitere gewerbliche Leistungen (z. B. eine Ein- und Ausfahrtkontrolle und eine Entgeltzahlungsdienstleistung) hinzukommen. Darauf stellt das Erbschaftsteuergesetz nämlich nicht ab.
Der BFH sah auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Grundstücksüberlassungen, wie z. B. im Rahmen des Absatzes eigener Erzeugnisse durch einen Brauereibetrieb oder im Zusammenhang mit einer land- und forstwirtschaftlichen Betriebstätigkeit. Dass der Gesetzgeber solche Betriebe (wie auch die erwähnten Wohnungsunternehmen) als förderungswürdig ansah, ist von seinem weiten Entscheidungsspielraum gedeckt.
Quelle | BFH, Urteil vom 28.2.2024, II R 27/21
| Oft werden private Ausfahrten zugeparkt oder der private Parkplatz von anderen unberechtigt genutzt. Das störende Fahrzeug muss dann abgeschleppt werden und der Berechtigte muss zusehen, wie er etwaig verauslagte Kosten, z. B. Verwahrkosten, erstattet erhält. Hierzu hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) Wissenswertes entschieden. |
Parken trotz Parkverbots
Der auf den Kläger zugelassene Pkw wurde von dessen Schwester im Innenhof eines privaten Gebäudekomplexes abgestellt, der von einer Immobilienverwalterin verwaltet wird. An der Hofeinfahrt war ein Parkverbotsschild mit dem Zusatz „gilt im gesamten Innenhof“ angebracht. Die Verwalterin beauftragte die Beklagte, das Fahrzeug abzuschleppen, es anschließend zu verwahren und vor Wertminderung sowie unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern. Die Beklagte verbrachte das Fahrzeug noch am selben Tag auf ihr Firmengelände. Kurz darauf forderte der Kläger von der Beklagten schriftlich unter Fristsetzung, das Fahrzeug herauszugeben. Auf das Schreiben erfolgte keine Reaktion.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten zunächst die Herausgabe seines Fahrzeugs verlangt. Nach erfolgter Herausgabe während des Prozesses haben die Parteien die Herausgabeklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Gegenstand des Verfahrens war dann nur noch die Frage, wer die Standkosten tragen musste.
Herausgabeverlangen: Auf den Zeitpunkt kommt es an
Die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser entschied: Zu erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters.
Es kommt auch ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät.
Quelle | BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22
| Muss der Verkäufer einer Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze unaufgefordert über den Härtegrad der Matratze aufklären und beraten? Das Amtsgericht (AG) Hannover hat diese Frage verneint. Es hat entschieden, dass ein Verkäufer im Grundsatz nur dann über den Härtegrad einer Matratze aufklären und beraten muss, wenn der Käufer danach fragt. |
Matratze war Käuferin zu hart: Verkäuferin bot Rabatt an
Die Klägerin kaufte im November 2022 bei der Beklagten eine Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze für ihre Tochter, die zuvor für wenige Minuten zur Probe gelegen hatte. Im Kaufvertrag war für die Matratze der Härtegrad H5 angegeben. Nachdem die Möbel im Januar 2023 geliefert worden waren, empfanden die Klägerin und ihre Tochter die Matratze als zu hart. Dies reklamierte die Klägerin bei der Beklagten. Diese bot der Klägerin u. a. einen Rabatt auf zwei neue Matratzen an, verweigerte aber eine Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klägerin erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Rückabwicklung des Kaufvertrags?
Mit der Klage hatte die Käuferin eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Bettes nebst Matratze verlangt. Sie meinte, es sei für den Verkäufer klar erkennbar gewesen, dass das Schlafzimmer für ihre Tochter gewesen sei. Für das Gewicht ihrer Tochter sei aber ein Härtegrad von H2 angemessen.
Die Verkäuferin hatte vorgetragen, dass die Klägerin keine Beratung gewünscht habe. Sie habe es vielmehr sehr eilig gehabt, da sie einen Transporter angemietet habe. Sie habe sich lediglich nach einem Rabatt erkundigt, sonst aber keine Fragen gestellt.
So sah es das Amtsgericht
Das AG hat die Klage abgewiesen. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die erworbene Matratze nicht mangelhaft war. Denn die Klägerin habe genau das bekommen, was vertraglich vereinbart war, nämlich eine Matratze des Härtegrades H5. Zwar habe die Klägerin erwartet, dass der Verkäufer sie unaufgefordert berate. Der Verkäufer habe aber keinen Anlass gehabt, eingehend über den Härtegrad aufzuklären und zu beraten. Denn die Klägerin habe ihre Erwartung einer Beratung nicht geäußert.
Keine Verletzung der Aufklärungspflicht
Zudem sei der Verkäufer erst hinzugezogen worden, als die Klägerin bereits zum Kauf entschlossen gewesen sei. Im Verkaufsgespräch sei es lediglich darum gegangen, die Daten der Klägerin aufzunehmen und über den Preis zu verhandeln. Die Tochter der Klägerin habe sich nach dem Probeliegen auch nicht über den Härtegrad beschwert. Daher habe der Verkäufer auch keine Aufklärungspflicht verletzt, sodass die Klägerin den Vertrag weder anfechten könne noch vom Vertrag zurücktreten könne.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 30.1.2024, 510 C 7814/23, PM vom 4.4.2024
| Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren. Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde am Knöchel infolge eines Leitersturzes erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Schürfwunde anschließend infiziert und ein Geschwür (Ulkus) hervorruft. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entschieden. |
Das war geschehen
Das OLG musste über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe entscheiden. Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Frau des Klägers von der Leiter und zog sich hierbei u. a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Klägers sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Kläger hat dann die Reise storniert und bei der beklagten Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend gemacht.
Landgericht wies Klage ab
Das LG hatte die Klage abgewiesen, denn die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei – so das LG – auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau des Klägers hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat über die Frage der Behandlung der Ehefrau des Klägers am Knöchel vor Vertragsschluss die behandelnden Ärzte als Zeugen vernommen und die Versicherung dann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt.
Es hat die Kenntnis der Ehefrau des Klägers vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss abgelehnt. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.
Argumente der Versicherung ohne Erfolg
Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpfen die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung. Selbst, wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei.
Quelle | Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.3.2024, 16 U 74/23, PM 1/24
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat mit zwei Urteilen die Berufungen der Kläger in zwei Verfahren gegen Straßenreinigungsgebührenbescheide der Hansestadt Lüneburg für das Jahr 2018 zurückgewiesen. |
Die Hansestadt Lüneburg erhob bis Ende 2017 Straßenreinigungsgebühren nach dem sog. Frontmetermaßstab. Mit Wirkung zum 1.1.2018 stellte sie den Maßstab um und erhebt seitdem die Gebühren gemäß ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung nach dem sog. Quadratwurzelmaßstab. Bei diesem wird aus der Grundstücksfläche die Quadratwurzel gezogen. Damit wird gedanklich ein quadratisches Grundstück gebildet, von dem die Länge einer Seite der Gebührenberechnung zugrunde gelegt wird.
Das OVG hat entschieden, dass der Quadratwurzelmaßstab ein rechtmäßiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Bemessung der Straßenreinigungsgebühren ist. Der vormals von der Hansestadt Lüneburg angewandte Frontmetermaßstab sei gegenüber dem Quadratwurzelmaßstab nicht vorrangig anzuwenden.
Darüber hinaus hat das OVG auch die Bestimmungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung über die Heranziehung von mehrfach anliegenden Grundstücken und von Hinterliegergrundstücken als rechtmäßig erachtet. Diese verstießen weder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz oder den Gleichheitssatz noch gegen den Grundsatz der Vollständigkeit.
Quelle | OVG Lüneburg, Urteile vom 24.4.2024, 9 LC 117/20 und 9 LC 138/20, PM vom 25.4.2024
| Im Streit um Ansprüche auf Rückerstattung aus einem Reisevertrag wies das Amtsgericht (AG) München eine Klage auf Zahlung von rund 4.000 Euro ab. |
Reise online storniert
Der Kläger hatte bei der Beklagten zum Preis von über 4.500 Euro eine neuntägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Portugal gebucht. Im Anschluss stornierte der Kläger im Internet auf der Website der Beklagten die Reise. Die Beklagte buchte sodann vom Konto des Klägers Stornierungsgebühren in Höhe von rund 4.000 Euro ab. Der Kläger leitete daraufhin am selben Tag eine E-Mail an die Beklagte weiter, um die Stornierung rückgängig zu machen.
Der Kläger behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe unbeabsichtigt wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten.
Die Beklagte trug vor, der Kläger habe keine genauen Angaben über die besagte Baustelle getroffen. Im Übrigen sei die Buchung wirksam storniert worden. Für die endgültige Stornierung seien mehrere einzelne Schritte erforderlich gewesen. Eine unbeabsichtigte Kündigung sei im System unmöglich. Dem Reiseveranstalter sei durch den Rücktritt des Kunden hingegen ein Schaden entstanden.
So sieht es das Gericht
Das AG wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde vom Kläger wirksam storniert. Eine wirksame Anfechtung der Stornierung aufgrund eines Irrtums in der Erklärungshandlung ist nicht gegeben.
Ein Irrtum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 119 BGB) ist das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Es liegt (nach § 119 Abs. 1 2. Fall BGB) zudem ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist beispielsweise beim Versprechen, Verschreiben oder Vergreifen der Fall. Zwar gab der Kläger an, die Website der Beklagten sei für ihn unübersichtlich gewesen, da diverse Klicks erforderlich gewesen seien.
Fünfmaliges Verklicken unwahrscheinlich
Es kann grundsätzlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs – wie hier der Buchungsstornierung – mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein „Verklicken“, und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll.
Aus der vom Reiseveranstalter vorgelegten Anlage ergibt sich insoweit, dass der Reisende für eine endgültige Stornierung der Reise erst mehrere einzelne Schritte durchführen musste: Zur Auslösung des endgültigen Stornierungsvorgangs musste der Kläger insgesamt viermal aktiv per Mausklick bestätigen, dass er eine Stornierung wünsche.
Dabei musste er bei Schritt 1 zunächst angeben, aus welchem Grund er seine Reise stornieren wollte. Im Anschluss bei Schritt 2 musste der Kläger angeben, was genau er stornieren wollte. Bei dem darauffolgenden Schritt 3 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Auswählen „Buchung stornieren“, die Stornierung durchgeführt, und im Namen des Reisenden eine Rückerstattung beantragt werde. Erst durch Anklicken dieses Feldes gelangte der Kläger zum letzten und 4. Schritt, wo nochmals um Bestätigung gebeten wurde, dass tatsächlich mit der Stornierung fortzufahren sei. […]
Wirksame Stornierung und keine Umbuchung
Dass das Anklicken versehentlich geschah, und nicht dem Willen des Reisenden entsprach, war für das AG nicht nachvollziehbar. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung durch Vertippen sah das AG nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Reisenden bewusst gewesen sein muss, dass er bei Durchführung des gesamten Buchungsvorgangs eine endgültige Stornierung vornahm – und nicht bloß, wie von ihm vorgegeben – eine Umbuchung. Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde somit wirksam storniert.
Verlust von 4.000 Euro
Die Beklagte war zudem berechtigt, aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch den Kläger vor Reisebeginn einen Betrag in Höhe von rund 4.000 Euro als angemessene Entschädigung zu verlangen.
Das AG hob hervor: Die pauschale Behauptung des Reisenden, es habe neben dem Hotel eine Baustelle gegeben, führt nicht zu einer vertraglichen Pflicht des Reiseveranstalters, alternative Lösungen anbieten zu müssen.
Quelle | AG München, Urteil vom 18.4.2024, 275 C 20050/23, PM 15/24
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Einer Mieterin von Wohnraum darf fristlos gekündigt werden, wenn diese – gleich zweimal – die Vermieterin mit Wasser überschüttet. |
Die Vermieterin hatte die Mieterin auf Räumung der Wohnung verklagt, weil diese sie zwei Mal mit Wasser übergossen habe. Unstreitig zwischen den Parteien war zwar, dass die Mieterin jeweils einen Eimer Wasser aus dem Fenster in den Hof gegossen hatte, als sich die Vermieterin in diesem befand. Die Mieterin hatte allerdings bestritten, die Vermieterin getroffen zu haben oder überhaupt treffen zu wollen.
Das AG sah die Kündigung als wirksam an. Denn der vernommene Zeuge bestätigte, dass die Vermieterin beide Male tatsächlich mit dem Wasser aus dem Eimer vollständig übergossen wurde. Diese sei, so der Zeuge,„klitschnass“ gewesen, wie bei einer „Ice-Bucket-Challenge“. Das rechtfertige eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens, so das AG. Selbst, wenn die Mieterin keine direkte Absicht gehabt habe, die Vermieterin zu treffen, habe sie dies angesichts der Situation jedoch zumindest billigend in Kauf genommen. Denn ihr Ziel lag schon nach dem eigenen Vortrag darin, die Vermieterin davon abzuhalten, ihr Fahrrad umzustellen. Es habe auch keiner vorherigen Abmahnung bedurft, zumal die Mieterin, wie sich aus der Beweisaufnahme ergab, bereits weitere derartige Aktionen angekündigt habe.
Quelle | AG Hanau, Beschluss vom 19.2.2024, 34 C 92/23, PM vom 3.5.2024
| Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat sich mit dem Einwand der Testierunfähigkeit eines an Depressionen und Alkoholsucht leidenden Erblassers zu befassen, der sich das Leben nahm. |
Erblasser litt an Persönlichkeitsstörung
Der Erblasser litt an einer psychiatrisch relevanten Persönlichkeitsstörung in Form einer affektiven Störung mit sowohl depressiven als auch manischen Phasen (bipolare Störung) sowie einem Alkoholproblem. Mit eigenhändigem Testament verfügte er, dass seine Ziehtochter seinen gesamten Besitz erben solle. In zwei Abschiedsbriefen begründete er seine Entscheidung zu dem Suizid und tat im Übrigen kund, dass er alle Erbschaftsangelegenheiten regeln wolle.
Die Ziehtochter beantragte einen Erbschein, der ihre Stellung als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesem Antrag trat die Schwester des Erblassers mit der Begründung entgegen, der Erblasser sei aufgrund seiner psychischen Erkrankungen testierunfähig gewesen. Nach Einholen eines Sachverständigengutachtens zum Einwand der Testierunfähigkeit hat das Nachlassgericht einen Feststellungsbeschluss erlassen. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Schwester mit der Beschwerde, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat.
So entschied das Oberlandesgericht
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Eine Testierunfähigkeit habe das Sachverständigengutachten nicht bestätigen können. Zwar habe der Erblasser an den genannten Erkrankungen und an weiteren körperlichen Einschränkungen gelitten, die die Sachverständigen bestätigten. Diese genannten Gründe allerdings ließen für sich allein keinen zwingenden Schluss auf das Vorliegen der Testierunfähigkeit zu.
Nur dann, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursachen, die die freie Willensbestimmung ausschlössen oder zu einer solch starken Bewusstseinsstörung führten, liege auch eine Testierunfähigkeit vor. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Quelle | Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.3.2024, 3 W28/24
| Ein (fördermittelschädlicher) vorzeitiger Maßnahmenbeginn liegt vor, wenn die einschlägige Förderrichtlinie eine klare Linie bei der Leistungsphase 6 zieht und der Mittelempfänger darüber informiert wurde, dass er eingeschaltete Planer vor Erhalt der Förderzusage nur mit Planungs- und Vorbereitungsleistungen bis einschließlich Leistungsphase 6 beauftragen soll. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg entschieden. |
Bauherr verlor Förderung
Das Urteil war für den Bauherrn besonders „bitter“. Denn er verlor die gesamte Förderung in Höhe von 240.000 Euro, weil er den Planer entgegen den Förderbestimmungen schon mit kleinen Leistungen der Leistungsphase 7 beauftragt hatte.
Bauherren informieren!
Konsequenz aus dem Urteil ist u. a.: Planer sollten Bauherren stets darüber informieren, wie streng Fördermittelgeber darauf achten, dass Förderbestimmungen eingehalten werden.
Quelle | VG Magdeburg, Urteil vom 25.3.2024, 3 A 155/21
| Regelt der Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Erschwernisse, um von ihm eine Bauhandwerkersicherungshypothek zu verlangen, ist dies unwirksam. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Anspruch nur beiVerzug?
Der Auftraggeber hatte einen Planer für Technische Gebäudeausrüstung mit Leistungen über knapp 4,7 Mio. Euro beauftragt. In seinen AGB hieß es u. a.: „Einen Anspruch aus § 650 e BGB kann der Auftragnehmer nur geltend machen, wenn sich der Auftraggeber in Verzug befindet und die angemahnte Zahlung trotz Nachfristsetzung innerhalb von zwei Wochen nicht fristgemäß leistet. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 650 e BGB setzt ferner voraus, dass der Auftragnehmer bei Nachfristsetzung oder danach dies mit einer Frist von drei Wochen angekündigt hat.“
Nachdem mehrere Rechnungen nicht bezahlt worden waren, verlangte der Planer erst eine Sicherheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB, Bauhandwerkersicherung). Die brachte der Auftraggeber nicht bei. Daher beantragte der Planer ohne erneute Fristsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des Anspruchs nach § 650 e BGB (Sicherungshypothek an dem Baugrundstück) i. H. v. ca. 340.000 Euro. Der Auftraggeber berief sich auf seine o. g. AGB-Klausel und wollte nicht leisten.
Landgericht gab Planer Recht
Die Klausel im Vertrag war unwirksam, denn sie benachteiligte den Planer als Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie war mit den wesentlichen Grundgedanken des § 650 e BGB nicht vereinbar.
Der Anspruch auf Vormerkung einer Sicherungshypothek soll den vorleistungspflichtigen Unternehmer schützen und gewährt ihm hierzu einen im Eilverfahren zügig durchsetzbaren Anspruch. Diesen Grundgedanken stehen die mit den AGB aufgestellten Anforderungen, Verzug nach Fristsetzung und weitere Ankündigungsfrist, entgegen. Vor allem könnte der Auftraggeber ansonsten versuchen, bis zum Abschluss eines zuvor angekündigten einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Eigentumswechsel herbeizuführen. Das könnte den Anspruch des Unternehmens vereiteln.
Quelle | LG Berlin, Urteil vom 6.7.2023, 19 O 101/23
| Wer mit Verbrauchern einen Architektenvertrag schließt, muss zum einen vermeiden, dass diese ihr Widerrufsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 312 b BGB) ausüben. Zum anderen ist die neue Belehrungspflicht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (hier: § 7 Abs. 2 HOAI 2021) zu beachten. Sonst kann der Architekt maximal das Honorar nach den Basishonorarsätzen der HOAI abrechnen. Dies gilt, selbst wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Das sagt die HOAI zur Form und zum Fehlen einer Vereinbarung
§ 7 HOAI sagt, dass sich das (Architekten-)Honorar nach der Vereinbarung richtet, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart.
Das sagt die HOAI zur Aufklärungspflicht des Architekten
Außerdem schreibt die Norm vor, dass der Auftragnehmer, also der Architekt, den Auftraggeber, falls dieser Verbraucher ist, vor Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung in Textform darauf hinweisen muss, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Folge: Ohne diese (rechtzeitige) Belehrung gilt für die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Grundleistungen anstelle eines höheren Honorars ein Honorar in Höhe des jeweiligen Basishonorarsatzes als vereinbart.
Diese Konsequenzen zog das Oberlandesgericht
Im Fall des OLG gab es diese Aufklärung nicht. Das OLG: Die Aufklärungspflicht gilt auch, wenn ein Zeit- oder Pauschalhonorar vereinbart worden ist. Ohne Belehrung kann der Planer nur den Basishonorarsatz abrechnen.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 8.4.2024, 11 U 215/22
| Widerruft ein Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst seine Einstellungszusage aufgrund eines ärztlichen Attests, ist dies keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |
Einstellungszusage widerrufen
Der an Diabetes erkrankte, schwerbehinderte Kläger bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung im Januar 2023 auf eine von der beklagten Stadt ausgeschriebene Ausbildungsstelle als Straßenwärter. Er erhielt eine Einstellungszusage vorbehaltlich einer noch durchzuführenden ärztlichen Untersuchung. Der Arzt kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger wegen seiner Diabetes-Erkrankung nicht für die vorgesehene Ausbildungsstelle geeignet sei. Die Einstellungszusage wurde daraufhin zurückgenommen. Der Kläger erhob Klage auf Entschädigung wegen einer aus seiner Sicht erfolgten Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch.
Kein Verstoß gegen geltendes Recht
Das ArbG wies die Klage ab. Eine diskriminierende Handlung und ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien nicht erkennbar.
Der Kläger sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung nicht schlechter behandelt worden als vergleichbare nichtbehinderte Bewerber. Die Stadt habe bei der Entscheidung, den Kläger nicht einzustellen, nicht auf seine Behinderung abgestellt. Vielmehr habe man den Kläger ungeachtet seiner Behinderung gerade einstellen wollen und ihm demgemäß eine Einstellungszusage erteilt, diese jedoch vom Ergebnis einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung bzw. seiner Eignung abhängig gemacht.
Diese gesundheitliche Eignung sei dann von dem von ihr beauftragten Arzt verneint worden. Daraufhin habe die Beklagte unter Berufung auf den zum Ausdruck gekommenen Vorbehalt ihre Einstellungszusage zurückgezogen.
Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 20.3.2024, 3 Ca 1654/23, PM 1/24
| In einem Fall vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf ging es im Wesentlichen um angeblich unangemessene Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber Kollegen über Mitarbeitern. Die daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnung hatte keinen Bestand, weil sie zu unbestimmt war. |
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer hatte die Äußerungen bestritten. Auf seine Frage im Personalgespräch, weshalb keine Namen derjenigen Arbeitnehmer genannt würden, die die Vorwürfe an die Personalbetreuung herangetragen hätten, äußerte die Personalreferentin, dass die Arbeitnehmer eingeschüchtert seien und sich lediglich vertraulich an die Vorgesetzten sowie die Personalbetreuung gewandt hätten. Auch in der Abmahnung selbst erfolgte keine namentliche Nennung.
So sah es das Arbeitsgericht
Das ArbG stellte klar: Dieser Vorgang reicht nicht für eine Abmahnung. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich in der ihm vorgeworfenen Art und Weise verhalten habe. Die Abmahnung sei inhaltlich zu unbestimmt. Die „anderen Mitarbeiter“, gegenüber denen er die Äußerungen getätigt haben soll, würden in der Abmahnung nicht benannt, obwohl sie dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abmahnung unstreitig bekannt gewesen seien. Da sich die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientierten, was der Arbeitgeber wissen könne, sei die Abmahnung nicht hinreichend konkret.
Für den Arbeitnehmer als Adressat der Abmahnung diene die konkrete Nennung der Namen der Zeugen auch dazu, zu überprüfen, ob die Abmahnung inhaltlich richtig sei oder nicht; pauschale Vorwürfe ohne die Nennung der Zeugen würden diese Anforderung nicht erfüllen. Der Arbeitgeber sei auch nicht berechtigt, zum Schutz der Zeugen die Namen in der Abmahnung nicht zu nennen. Hierdurch könne zwar ein Konflikt zwischen dem Arbeitnehmer und den Zeugen im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe entstehen. Einen solchen Konflikt müsse ein Arbeitgeber, der den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf ein angebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers vertraue, allerdings hinnehmen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr den Zeugen durch ihre Nennung in der Abmahnung drohe.
Quelle | ArbG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2024, 7 Ca 1347/23
| Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (hier: § 3 Abs. 1 EFZG) dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Voraussetzung: Es muss dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sein, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |
Abzug vom Verdienst nach Covid-Erkrankung
Der Kläger ist als Produktionsmitarbeiter bei der Arbeitgeberin beschäftigt, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Er hatte sich keiner Schutzimpfung gegen das Coronavirus unterzogen und wurde am 26.12.2021 positiv auf das Virus getestet. Für die Zeit vom 27. bis zum 31.12.2021 wurde dem unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen leidenden Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt. Für diese Zeit leistete die Arbeitgeberin Entgeltfortzahlung. Am 29.12.2021 erließ die Gemeinde N. eine Verfügung, nach der für den Kläger bis zum 12.1.2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung angeordnet wurde. Für die Zeit vom 3. bis zum 12.1.2022 lehnte der Arzt die Ausstellung einer Folge-AU mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Mit der Verdienstabrechnung für Januar 2022 nahm die Arbeitgeberin für diese Zeit vom Lohn des Klägers einen Abzug in Höhe von ca. 1.000 Euro brutto vor. Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung des Arbeitnehmers das Urteil des ArbG geändert und die Arbeitgeberin verurteilt, zu zahlen.
Bundesarbeitsgericht gab Arbeitnehmer Recht
Die Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, ohne dass es darauf ankam, ob bei ihm durchgehend Symptome von COVID-19 vorlagen. Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Die Absonderungsanordnung ist keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruht das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion (Monokausalität). Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Absonderungsanordnung. Aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion war es dem Kläger rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
Es konnte auch nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der empfohlenen Corona-Schutzimpfung für die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich war. Das Berufungsgericht hat hierbei zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, dass die Nichtvornahme der Schutzimpfungen einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellte. Jedoch ließen die wöchentlichen Lageberichte des RKI und dessen Einschätzung der Impfeffektivität nicht den Schluss zu, dass Ende Dezember 2021 bzw. Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufgetretene Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte verhindert werden können.
Der Arbeitgeberin stand ein Leistungsverweigerungsrecht wegen nicht vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu. Das LAG hatte richtig erkannt, dass der Kläger der Beklagten durch Vorlage der Ordnungsverfügung der Gemeinde N. in anderer, geeigneter Weise nachgewiesen hat, infolge seiner Corona-Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.
Quelle | BAG, Urteil vom 20.3.2024, 5 AZ R 234/23, PM 8/24
| Eine Bank kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Bank wollte Originalurkunden nicht herausgeben
Ein Mann hatte geltend gemacht, seine – inzwischen getrenntlebende und in Scheidung befindliche – Ehefrau habe auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung unberechtigt seine Unterschriften angebracht. Er hat beantragt, ein Schriftsachverständigengutachten einzuholen. Das Kreditinstitut – eine Bausparkasse – hat die Herausgabe der zur Begutachtung erforderlichen Originalurkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert. Das machte der BGH nicht mit.
Hier gilt ein Zeugnisverweigerungsrecht
Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, sind zur Verweigerung des Zeugnisses der Tatsachen berechtigt, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Dies gilt dann auch für hierauf bezogene Urkunden. Im Fall des BGH hatten die Interessen des Mannes jedoch Vorrang.
Quelle | BGH, Beschluss vom 29.11.2023, XII ZB 141/22
| Unternehmen müssen den Inhalt der Bilanz und der Gewinn-und Verlustrechnung grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung übermitteln. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun das aktualisierte Datenschema der Taxonomien (Version 6.8) als amtlich vorgeschriebenen Datensatz veröffentlicht. Die aktualisierten Taxonomien stehen unter www.esteuer.de zur Ansicht und zum Abruf bereit. |
Beachten Sie | Die neuen Taxonomien sind grundsätzlich für die Bilanzen der Wirtschaftsjahre zu verwenden, die nach dem 31.12.2024 beginnen (Wirtschaftsjahr 2025 oder 2025/2026). Es wird aber nicht beanstandet, wenn diese auch für das Wirtschaftsjahr 2024 oder 2024/2025 verwendet werden.
Die Übermittlungsmöglichkeit mit diesen neuen Taxonomien wird für Testfälle voraussichtlich ab November 2024 gegeben sein, für Echtfälle ab Mai 2025.
Quelle | BMF-Schreiben vom 27.5.2024, IV C 6 - S 2133-b/24/10001 :002
| Nach den statistischen Aufzeichnungen der obersten Finanzbehörden der Länder haben die im Jahr 2023 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen bei der Umsatzsteuer zu einem Mehrergebnis von rund 1,52 Mrd. Euro geführt. Die Ergebnisse aus der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind in diesem Mehrergebnis nicht enthalten. |
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen werden unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im Jahr 2023 wurden 63.282 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt. Im Jahresdurchschnitt waren 1.604 Umsatzsteuer-Sonderprüfer eingesetzt. Jeder Prüfer führte im Durchschnitt 39 Sonderprüfungen durch. Dies bedeutet für jeden eingesetzten Prüfer ein durchschnittliches Mehrergebnis von rund 0,94 Mio. Euro.
Quelle | BMF, Mitteilung vom 25.4.2024
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Er möchte wissen, ob das gesetzliche Aufteilungsgebot für Beherbergungsleistungen rechtmäßig ist. Danach unterliegt die Übernachtungsleistung dem ermäßigten Umsatzsteuersatz i. H. von 7 %. Für Nebenleistungen, die nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, gilt dagegen der Regelsteuersatz (19 %). In den drei Streitfällen ging es um Parkplatzgestellungen, Frühstücksleistungen, die Gestellung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen sowie von W-LAN. |
Für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, greift die Umsatzsteuerermäßigung auf 7 %.
Beachten Sie | Dies gilt nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG) aber nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.
Bisher war der BFH der Ansicht, dass das Aufteilungsgebot in Einklang mit dem Unionsrecht steht und dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung vorgeht, wonach eine (unselbstständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt.
Ganz so sicher ist sich der BFH aber infolge der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht mehr. Deshalb hat er nun beim EuGH angefragt. Es ist zu hoffen, dass sich der EuGH zeitnah und eindeutig äußern wird, damit zu dieser Frage (endlich) Rechtssicherheit besteht.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 10.1.2024, XI R 11/23 (XI R 34/20), XI R 13/23 (XI R 7/21), XI R 14/23 (XI R 22/21)
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. |
Hintergrund: Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt (in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO) einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.
Finanzamt und Finanzgericht lehnten Auskunftsersuchen ab
Im Streitfall verlangte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt die Zurverfügungstellung (elektronischer) Kopien von Verwaltungsakten mit den ihn betreffenden personenbezogenen Daten, was sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (FG) ablehnten.
Bundesfinanzhof widersprach
Der BFH hat nun entschieden, dass ein Steuerpflichtiger vom Finanzamt grundsätzlich Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten verlangen kann – und zwar ungeachtet der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung.
Auskunftsanspruch unabhängig von Art der Steuer
Der Auskunftsanspruch ist auch nicht davon abhängig, für welche Steuerart die Datenverarbeitung erfolgt. Grundsätzlich ist der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch darauf beschränkt, dass der Steuerpflichtige darüber informiert wird, welche ihn betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet werden.
Der Auskunftsanspruch gewährt grundsätzlich aber kein Recht auf die (elektronische) Zurverfügungstellung von Kopien von ganzen Akten bzw. einzelnen Dokumenten mit personenbezogenen Daten. Nur ausnahmsweise, wenn der Steuerpflichtige diese zwingend benötigt, um seine Rechte nach der DS-GVO durchsetzen zu können, sind ihm auch Kopien von Dokumenten mit seinen personenbezogenen Daten (elektronisch) zur Verfügung zu stellen.
Grenzen: unbegründete oder exzessive Auskunftsersuchen
Zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs hat der BFH im Übrigen klargestellt, dass die Finanzverwaltung zwar einen gegen sie gerichteten Auskunftsanspruch nach der DS-GVO zurückweisen kann, falls dieser offenkundig unbegründet oder exzessiv ist. Hierfür muss sie jedoch die Umstände darlegen, die zu einer offenkundigen Unbegründetheit bzw. zu einem Exzess des Auskunftsersuchens führen. Dass der Steuerpflichtige mit seinem Auskunftsersuchen Ziele außerhalb der DS-GVO verfolgt, erlaubt der Finanzverwaltung nicht, die Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten zu verweigern.
Quelle | BFH, Urteil vom 12.3.2024, IX R 35/21, PM Nr. 27/24 vom 20.6.2024
| Die Auszahlung einer Direktversicherung nach Ausübung eines vertraglich eingeräumten Kapitalwahlrechts unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz. Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster ist allerdings die Revision anhängig. |
Das war geschehen
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in Beiträge zu einer Direktversicherung nach dem Betriebsrentengesetz vereinbart. Daraufhin schloss der Arbeitgeber für die Steuerpflichtige eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Es sollte eine lebenslange monatliche Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen.
Im Streitjahr 2019 übte die Steuerpflichtige das Kapitalwahlrecht aus und erhielt ca. 44.500 Euro. Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolglos.
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten können als außerordentliche Einkünfte in Betracht kommen, die ermäßigt zu besteuern sind (Fünftel-Regelung). Da es im Streitfall aber an dem Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit fehlte, kam keine ermäßigte Besteuerung in Betracht.
Höchstrichterliche Rechtsprechung
Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausschließlich auf die vertragliche Vereinbarung an (keine ermäßigte Besteuerung, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war). In späteren Entscheidungen hat es der BFH jedoch vielmehr für maßgeblich gehalten, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material ausgewertet werden muss.
Bundesfinanzhof ist erneut gefragt
Vor diesem Hintergrund hat das FG Münster nun die Revision mit folgendem Wortlaut zugelassen: „Dem Bundesfinanzhof ist Gelegenheit zu geben, über die Ausschärfung der Kriterien zur Bestimmung der Atypik bei Kapitalauszahlungen von Renten erneut zu entscheiden, da er bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist.“
Beachten Sie | Da die Steuerpflichtige die Revision eingelegt hat, können geeignete Fälle mit einem Einspruch bis zur Entscheidung des BFH offen gehalten werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 24.10.2023, 1 K 1990/22 E, Rev. BFH: X R 25/23
| Bei Lohnsteuer-Außenprüfungen stoßen Prüfer immer häufiger auf Sachverhalte, in denen der Arbeitgeber im Rahmen einer Gehaltsumwandlung den Grundlohn abgesenkt und einen nach § 3 Nr. 30 und Nr. 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreien Heimarbeiterzuschlag zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen (z. B. für Miete, Heizung und Beleuchtung der Arbeitsräume) bezahlt hat. Hier ist Vorsicht geboten: Denn in vielen Fällen sind die Voraussetzungen für den steuerfreien Heimarbeiterzuschlag nach dem Heimarbeitsgesetz (HAG) nicht erfüllt. |
Informationen zum Heimarbeiterzuschlag enthält vor allem die Lohnsteuerrichtlinie 9.13. Hier heißt es in Abs. 2: „Lohnzuschläge, die den Heimarbeitern zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen neben dem Grundlohn gezahlt werden, sind insgesamt aus Vereinfachungsgründen nach § 3 Nr. 30 und 50 EStG steuerfrei, soweit sie 10 % des Grundlohns nicht übersteigen.“
Beachten Sie | Die im Einkommensteuergesetz geregelte Steuerfreiheit gilt allerdings nur für Heimarbeiter i. S. des § 2 Abs. 1 HAG. Die steuerfreien Zuschläge können also nicht von Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden, die ihre Tätigkeit seit der Coronapandemie (teilweise) im Homeoffice ausüben.
Quelle | R 9.13 Abs. 2 Lohnsteuerrichtlinien; § 2 Heimarbeitsgesetz
| Schuldet der Vermieter von Wohnraum zum vertragsgemäßen Gebrauch auch die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, stehen Kosten des Vermieters für eine neue Heizungsanlage jedenfalls dann im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zur steuerfreien Vermietung, wenn es sich dabei nicht um Betriebskosten handelt, die der Mieter gesondert zu tragen hat. Die Quintessenz aus dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH): Der Vermieter kann für die Heizungsanlage keinen Vorsteuerabzug beanspruchen. |
Hintergrund: Nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG) ist der Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen ausgeschlossen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
Das Finanzgericht (FG) Münster hatte den Streitfall noch anders beurteilt und auf getrennte Leistungen abgestellt, nämlich einerseits steuerfreie Vermietungsleistungen und andererseits steuerpflichtige Energielieferungen.
Der BFH lehnte den vom Vermieter begehrten Vorsteuerabzug aus dem Heizungsaustausch aber bereits deshalb ab, weil der Vermieter dort entsprechend den mietrechtlichen Rahmenbedingungen die Gestellung einer Wohnung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch – d. h. einschließlich der Gestellung warmen Brauchwassers – schuldete und die diesbezüglichen Zahlungen nicht als dem Mieter gesondert berechenbare Betriebskosten i. S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 556 BGB) anzusehen waren.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.12.2023, V R 15/21
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden. Danach müssen Steuerpflichtige unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Weil deswegen bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt. |
Steuerpflichtige vor Finanzgericht erfolgreich
In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die Bescheide waren auf der Grundlage des neuen Bundesmodells ergangen, das in mehreren Bundesländern (z. B. in Nordrhein-Westfalen) Anwendung findet.
Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1.1.2022 als einheitlichem Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen Vorschriften enthalten nicht zuletzt wegen der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten zahlreiche Typisierungen und Pauschalierungen.
Bundesfinanzhof: Beschwerden des Finanzamts zurückgewiesen
Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die dagegen erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit in Bezug auf Grundsteuerwerte
Nach Ansicht des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Denn die Steuerpflichtigen müssen bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit haben, einen niedrigeren Wert nachzuweisen – auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich geregelt hat.
Übermaßverbot ist zu berücksichtigen
Der Gesetzgeber verfügt gerade in Massenverfahren über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot kann aber verletzt sein, wenn sich der Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt nach der Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt – und dies war infolge der Besonderheiten in den Streitfällen nicht auszuschließen.
Beachten Sie | Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden. Es handelt sich bisher lediglich um Beschlüsse im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV); PM Nr. 26/24 vom 13.6.2024
| Ist ein Fahrzeug mehr als fünf Jahre alt, stuft das Amtsgericht (AG) Aue-Bad Schlema die Nutzungsausfallentschädigung um eine und bei mehr als zehn Jahren um zwei Gruppen ab. |
So rechnete das Amtsgericht
Wenn ein ca. 15 Jahre alter Kleinwagen mit ca. 194.000 km Laufleistung, der ohne Altersabstufung in die Gruppe B gehört, betroffen ist, wird jedoch nur eine Gruppe abgestuft. Denn tiefer geht es nicht. So gab es im vom AG entschiedenen Fall einen Tagessatz von 23 Euro.
Der Versicherer hatte nur minimale Vorhaltekosten erstattet. Das lehnt das Gericht ab. Denn das komme nur in Betracht, wenn ein Fahrzeug nicht nur alt, sondern in einem so schlechten Zustand ist, dass seine Nutzbarkeit deutlich eingeschränkt ist.
Entgangene Fortbewegungsmöglichkeit
Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich hinter den Vorhaltekosten letztlich kaum mehr als die Fixkosten wie Steuern, Versicherung etc. verbergen, es sich hierbei also um einen weitaus geringeren Betrag handelt. Mit zunehmendem Fahrzeugalter spiele letztlich nur die entgangene Fortbewegungs- und Transportmöglichkeit eine Rolle. Allein aufgrund des Alters des Fahrzeugs könne daher nicht ohne Weiteres von einer weiteren Einschränkung des Nutzungswerts bis zum Betrag von Vorhaltekosten ausgegangen werden.
Quelle | AG Aue-Bad Schlema, Urteil vom 28.2.2024, 3 C 241/23
| Ist ein durch eine Verbraucherzentrale geltend gemachter Unterlassungsanspruch begründet, wenn eine Firma die online erklärte Kündigung eines Kunden von einem Bestätigungstelefonat abhängig macht? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz bejaht. |
Zusätzliches Telefonat nötig, damit Online-Kündigung wirksam wird?
Die Beklagte bietet, auch gegenüber Verbrauchern, den Abschluss von Dienstleistungsverträgen über Dauerschuldverhältnisse unter anderem zur Bereitstellung von Webspeicherplatz, E-Mail-Postfächern und Servern an.
Der Kläger, ein eingetragener Verein (Verbraucherzentrale), begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, dass sie auf eine online erklärte Kündigung gegenüber Verbrauchern behauptet, dass zur Wirksamkeit der Kündigung noch ein Telefonat erforderlich sei. Konkret hat ein Kunde seinen Vertrag bei der Beklagten per Internet gekündigt. Der Kunde hat daraufhin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, er möge seine Kündigung binnen 14 Tagen telefonisch bestätigen, ansonsten bleibe das Vertragsverhältnis unverändert bestehen.
Verbraucherzentrale: Telefonat dient zum Umstimmen der Verbraucher
Der Kläger hat daraufhin die Beklagte abgemahnt und erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Er behauptet, im Fall eines Anrufs nach der Kündigung werde seitens der Beklagten – mittels rhetorischer Kunstfertigkeit oder Anbieten anderer Vertragskonditionen – versucht, den Verbraucher zu überzeugen, von seinem Kündigungswillen Abstand zu nehmen. Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten gegenüber Verbrauchern, dass nach einer Kündigung eine Rückbestätigung erfolgen müsse, stelle eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Sie enthalte unwahre Angaben über Rechte des Verbrauchers.
Der Kläger beantragte u. a., der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro zu untersagen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern diesen nach einer der Beklagten zugegangenen Kündigungserklärung eines Dienstleistungsvertrags in Form eines Dauerschuldverhältnisses zu behaupten, die telefonische Bestätigung der erklärten Kündigung sei erforderlich. Die Beklagte meint, ohne telefonische Rückbestätigung der Kündigung bestünde das Risiko, dass unberechtigte Dritte den Vertrag eines Kunden kündigen könnten. Es sei deshalb erforderlich, sich davon zu überzeugen, dass die Kündigung vom Erklärenden stammt. Dabei biete ein Telefonat ein Mehr an Sicherheit verglichen mit einem Bestätigungslink innerhalb einer E-Mail. Es finde keine Irreführung des Verbrauchers statt. Außerdem werde eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst.
So sah es das Landgericht
Das LG hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch zu. Das Vorgehen der Beklagten, den Verbraucher aufzufordern, seine Kündigung innerhalb von 14 Tagen telefonisch zu bestätigen, stelle eine geschäftliche Handlung dar. Dazu gehörten auch Verhaltensweisen, die auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung oder das Verhindern einer Geschäftsbeendigung gerichtet sind. Diese geschäftliche Handlung der Beklagten sei unzulässig, da sie unlauter sei. Unlauter handele, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Bestätigungslink in E-Mail genügt
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch irreführend. Dies sei gegeben, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthalte. Erfasst seien auch irreführende Angaben über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung bestimmter Rechte, zu denen auch das Kündigungsrecht zähle. Auch, wenn die Beklagte nach Auffassung des LG ein grundsätzliches Interesse an einer Authentifizierung haben könne, wäre eine solche vorrangig durch eine Bestätigung über den von dem Verbraucher gewählten Kommunikationskanal zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein an den Verbraucher unter der von ihm hinterlegten E-Mail-Adresse gesendeter Bestätigungslink zur Identifizierung weniger geeignet wäre als ein Telefonat. Auch während eines Telefonats sei es der Beklagten nicht möglich, sich umfassende Gewissheit über die wahre Person ihres Gesprächspartners zu verschaffen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es einem unbefugten Dritten, der sich Zugang zu der Kundennummer, der Vertragsnummer und dem E-Mail-Konto des wahren Vertragspartners verschafft hat, auch gelänge, in einem Telefonat über seine Identität zu täuschen.
Zusätzliche Entscheidung
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beklagte stelle den Verbraucher nach Zugang seiner Kündigung vor die Wahl, seine Kündigung nicht telefonisch zu bestätigen, und in der Folge das Vertragsverhältnis fortzusetzen, oder innerhalb von 14 Tagen telefonisch Kontakt zu der Beklagten aufzunehmen. Es werde dadurch eine zusätzliche Entscheidung des Verbrauchers verlangt, ob er an der Ausübung seines Kündigungsrechts festhalten will. Ohne die irreführende Aufforderung der Beklagten würde der Verbraucher weder die eine noch die andere Entscheidung treffen. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Beklagte eingeräumt habe, dass die beanstandete Vorgehensweise der Beklagten deren übliche Vorgehensweise sei.
Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 27.2.2024, 11 O 12/23
| Das Landgericht (LG) Oldenburg hat den von einer Frau geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz zurückgewiesen. Sie hatte sich an einem Becher Tee verbrüht. |
Warnhinweis auf dem Pappbecher
Die Frau hatte in einem Restaurant einen Tee in einem Einwegbecher gekauft. Auf dem Becher war der Warnhinweis angebracht: „VORSICHT HEISS“. Außerdem enthielt er ein Piktogramm mit einer Tasse mit Dampfschwaden. Der Becher war der Frau mit einem von Hand zu öffnenden Deckel übergeben worden. Er wurde ihr in einer Pappschale ausgehändigt. Wenige Minuten nach dem Kauf hob die Frau den Becher am Deckel aus der Schale. Da passierte es: Der Deckel löste sich. Der Tee ergoss sich auf ihre Oberschenkel. Die Frau erlitt Verbrennungen 1. und 2. Grades. Sie musste sich später einer teuren Behandlung unterziehen.
So sah es die Frau
Die Frau argumentierte vor dem LG, der Tee sei zu heiß gewesen. Folglich seien von ihm unnötige Gesundheitsgefahren ausgegangen. Zudem sei der Deckel nicht fest verschlossen gewesen. Mit diesen beiden Umständen habe sie nicht rechnen müssen.
So sah es das Landgericht
Das LG lehnte den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ab. Es hob hervor: Dass frisch zubereiteter Tee heiß sei (zwischen 90 und 100 Grad), sei allgemein bekannt. Er müsse daher nicht in verzehrfertiger Temperatur übergeben werden. Die Frau sei zudem durch die o. g. Hinweise auf dem Becher ausdrücklich gewarnt worden. Vor einem eventuell losen Deckel habe die Restaurantbesitzerin ebenfalls nicht warnen müssen.
Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 15.3.2024, 16 O 2015/23
| Kosten für eine einem Hotel ähnliche Unterbringung im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung können auch die Aufwendungen für das Mieten eines Wohnmobils sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Haus unbewohnbar – Wohnmobil als Ersatz gemietet
Das Haus eines Versicherungsnehmers war unbewohnbar geworden. Er mietete sich daher für 260 Euro pro Tag ein Wohnmobil und verlangte den Betrag später vom Versicherer zurück. Dieser wollte die Kosten jedoch nicht übernehmen.
Wohnmobil mit Hotel vergleichbar
Das OLG Köln verurteilte den Versicherer schließlich, rund 86.000 Euro an Mietkosten zu übernehmen. Auch die Kosten für das Mieten des Wohnmobils seien Kosten einer einem Hotel ähnlichen Unterbringung i. S. d. Versicherungsbedingungen.
Für Versicherungsnehmer ist Wohnmobil eine dem Hotel ähnliche Unterkunft
Die Auslegung ergebe, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch die stationäre Unterbringung in einem Mietwohnwagen oder Mietwohnmobil als eine einer Hotelunterbringung ähnliche Unterkunft ansehen werde. Denn ebenso wie ein Hotel, eine Ferienwohnung, eine Pension oder Gaststätte mit „Fremdenzimmern“ zeichnet sich ein Wohnmobil bzw. ein Wohnwagen, der zeitweise vermietet wird, dadurch aus, dass wechselnde Gäste darin für eine befristete Zeit wohnen, sei es zu Arbeitsaufenthalten (bspw. Saisonarbeiter, Arbeiter auf Montage) oder zu touristischen Zwecken. Allein der Aspekt der Mobilität des Wohnmobils im Unterschied zur Hotelunterkunft – also der Umstand, dass ein Wohnwagen grundsätzlich mithilfe eines Pkw bzw. ein Wohnmobil aus eigener Motorkraft im Straßenverkehr zum Reisen benutzt und zu wechselnden Standorten bewegt werden kann – steht der Vergleichbarkeit zu einer Hotelunterbringung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht entgegen.
Motorisierung spielt keine Rolle
Das OLG sieht zwar, dass ein Wohnmobil gerade durch die Motorisierung deutlich teurer ist als ein Wohnwagen. Darauf kommt es im Rahmen der Erstattung der Unterbringungskosten aber nicht an.
Der Versicherungsnehmer muss keine dem Wohnungsstandard entsprechende Unterkunft finden. Er ist in der Wahl der Unterkunft grundsätzlich frei und darf sich dabei von persönlichen Bedürfnissen und privaten Befindlichkeiten leiten lassen. Bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Grenzen besteht der zugesagte Versicherungsschutz. Danach sind Kosten für das Mieten eines Wohnmobils als Kosten einer ähnlichen Unterbringung, wie Hotelkosten, grundsätzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung (nach Abschnitt A. § 8 Nr. 1 c VHB 2014) erstattungsfähig.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger das Wohnmobil nicht als Wohnraumersatz, sondern etwa zu Reisezwecken angemietet haben, hat der Versicherer nicht konkret vorgetragen. Sie ergaben sich für das OLG auch nicht aus dem Akteninhalt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 5.12.2023, 9 U 46/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden: Der Versicherer muss die Kosten für die Versorgung mit Medizinal-Cannabis nicht tragen, wenn der Versicherungsnehmer an der Glasknochenkrankheit leidet. |
Konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft?
Der Versicherungsnehmer meinte, dass konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien. Es liege zumindest eine schwere Erkrankung mit wesentlichen Funktionseinschränkungen vor. Daher müsse der Versicherer die medizinisch notwendige Heilbehandlung durch Medizinal-Cannabis übernehmen.
Der Versicherer entgegnete: Bei akut auftretenden Schüben sei Cannabis wegen seiner „Behandlungsträgheit“ nicht geeignet. Das Landgericht (LG) war dem gefolgt und hatte in erster Instanz die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen.
Oberlandesgericht sieht es wie der Versicherer
Das OLG hat dies bestätigt. Der Versicherungsnehmer habe nach dem Versicherungsvertrag einen Leistungsanspruch, wenn es sich bei der Behandlung seiner Beschwerden um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handelt, die entweder von der Schulmedizin überwiegend anerkannt ist oder es sich um eine Methode oder ein Arzneimittel handelt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor.
Zwar leide der Versicherungsnehmer unter einem schweren, multilokulären generalisierten Schmerzsyndrom bei Glasknochenkrankheit und bei entsprechender Symptomatik komme die Erstattung von Medizinal-Cannabis grundsätzlich in Betracht. Wesentliche gelenkarthrotische Veränderungen seien jedoch ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht feststellbar. Weitere Befunde, die den Vortrag zu seinen körperlichen Beschwerden – insbesondere der behaupteten Vielzahl von Brüchen – stützen könnten, habe der darlegungs- und beweisbelastete Versicherungsnehmer ebenfalls nicht vorgelegt.
Die Behandlung der beim Versicherungsnehmer feststellbaren Symptomatik mit Medizinal-Cannabis sei nach heutiger medizinischer Einschätzung und aktuellem Wissensstand nicht als von der Schulmedizin allgemein anerkannte Methode anzusehen. Auch sei sie keine Methode, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt habe wie die Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe ausgeführt, mangels ausreichender Datenlage könne nicht festgestellt werden, dass die Therapie mit Medizinal-Cannabis eine entsprechende Linderung der im Zusammenhang mit der Glasknochenkrankheit stehenden Schmerzsymptomatik verspreche. Schließlich seien schulmedizinisch sowohl nichtmedikamentöse als auch verschiedene medikamentöse Behandlungen verfügbar. Der Versicherungsnehmer habe nicht nachgewiesen, dass diese Behandlungsmethoden bei ihm nicht wirksam seien oder gravierende Nebenwirkungen verursachten.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2023, I-13 U 222/22
| Der Vermieter ist verpflichtet, dem Mieter auf dessen Verlangen Einsicht in die Abrechnungsbelege zu gewähren und diese in einer geordneten Form vorzulegen. Es ist nicht Aufgabe des Mieters, die Belege selbstständig zu ordnen. So entschied es das Amtsgericht (AG) Münster. |
Die Wohnungsmieter hatten Einsicht in die Belege zu den Betriebskostenabrechnungen von 2018 bis 2020 verlangt. Die Vermieterin legte die Unterlagen ungeordnet, weder thematisch noch chronologisch stringent sortiert, vor. Daher weigerten sich die Mieter, die Nachforderungen aus den Abrechnungen auszugleichen.
Die Zahlungsklage der Vermieterin hatte keinen Erfolg. Sie habe keinen Anspruch auf die Nachzahlungen, da den Mietern ein Zurückbehaltungsrecht zustehe. Die Vermieterin habe keine umfassende Belegeinsicht gewährt.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 259 Abs. 1 BGB) bedürfe es einer geordneten Zusammenstellung der Abrechnungsbelege, so das AG. Das umfasse eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung in Abrechnungsposten.
Dabei sei auf einen juristisch und betriebswirtschaftlich ungeschulten Mieter abzustellen. Anderenfalls könne der Mieter sein Prüfungsrecht nicht sinnvoll ausüben. Der Mieter sei nicht verpflichtet, die Belege selbstständig zu ordnen oder Zusammenhänge in den Rechnungen fortlaufender Verträge zu erkennen.
Quelle | AG Münster, Urteil vom 25.10.2023, 38 C 1947/22
| Das Landgericht (LG) Hanau hat entschieden, dass ein Vermieter in einem Gebäude mit nur zwei Wohnungen dem Mieter der zweiten Wohnung nicht ohne besonderen Grund kündigen kann, wenn er selbst die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr nutzt. |
Vermieterin wohnte überwiegend im Ausland
Zwischen der hauptsächlich im Ausland lebenden Vermieterin und den Mietern besteht ein Mietvertrag über eine Wohnung in einem Haus mit nur zwei Wohneinheiten. Sie selbst nutzt die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr. Die Vermieterin hat die Kündigung nach § 573 a BGB ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift kann der Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen jederzeit ohne Grund beenden. Die Mieter halten die Kündigung für unwirksam, weil die Vermieterin die andere Wohnung nicht im Sinne der Vorschrift bewohne. Das Amtsgericht (AG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat die Räumungsklage abgewiesen.
Lebensmittelpunkt erforderlich
Das LG hat die Berufung der Vermieterin zurückgewiesen. Für die erleichterte Kündigung nach § 573 a BGB reiche es nicht aus, dass der Vermieter die zweite Wohnung in dem Haus lediglich zusätzlich nutze, selbst, wenn das vereinzelt, wie für das Jahr 2021 behauptet, insgesamt 40 Wochen seien. Er müsse vielmehr seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung haben. Eine enge Auslegung der Vorschrift sei insbesondere deshalb geboten, weil diese es ermögliche, den Mietvertrag mit dem ansonsten von dem Gesetz erheblich geschützten Wohnraummieter zu beenden, ohne dass der Mieter eine Pflichtverletzung begangen oder der Vermieter sonst ein besonderes Interesse hieran habe.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Hanau, Urteil vom 15.11.2023, 2 S 107/22, PM vom 8.2.2024
| Dass ein Testament nicht zwingend auf einem weißen Blatt Papier entstehen muss, zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg. Es ging letztlich darum, ob jemand Erbe geworden war oder nicht. |
Gastwirt verstarb – Testament auf „Kneipenblock“
Verstorben war ein Gastwirt aus dem Landkreis Ammerland. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte, einen Erbschein zu erteilen. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname einer Person („X“) vermerkt. Auf dem Zettel hieß es lediglich „X bekommt alles“.
Amtsgericht: Testierwille fehlte
Das Amtsgericht (AG) sah die Partnerin nicht als Erbin an. Es war der Auffassung, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille.
Oberlandesgericht: Testament wirksam
Der auf das Erbrecht spezialisierte Senat des OLG gelangte zu einer anderen Bewertung. Der handschriftliche Text auf dem Zettel sei ein wirksames Testament.
Das OLG war aufgrund der Einzelheiten des Verfahrens überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück selbst verfasst hatte und dass er mit dem genannten Spitznamen allein seine Partnerin gemeint habe. Auch, dass der Erblasser mit der handschriftlichen Notiz seinen Nachlass verbindlich regeln wollte, stand für den Senat aufgrund von Zeugenangaben fest.
Dass sich die Notiz auf einer ungewöhnlichen Unterlage befinde, nicht als Testament bezeichnet und zudem hinter der Theke gelagert war, stehe der Einordnung als Testament nicht entgegen. Zum einen sei es eine Eigenart des Erblassers gewesen, für ihn wichtige Dokumente hinter dem Tresen zu lagern. Zum anderen reiche es für die Annahme eines Testaments aus, dass der Testierwille des Erblassers eindeutig zu ermitteln sei und die vom ihm erstellte Notiz seine Unterschrift trage. Das OLG stellte die Partnerin daher als rechtmäßige Erbin fest.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2023, 3 W 96/23, PM 10/24
| Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte der Klägerin eine Altersrente. Einen Grundrentenzuschlag nach dem Sozialgesetzbuch VI (hier: § 76 g SGB VI) für langjährige Versicherung berücksichtigte sie nicht, weil das anzurechnende Einkommen des Ehemannes höher als der Zuschlag war. Zu Recht, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun bestätigte. |
Klägerin rügte Grundrechtsverstoß
Die Klägerin rügte, dass die Einkommensanrechnung gemäß § 97 a Abs. 1 SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße. Verheiratete und unverheiratete Menschen würden ungleich behandelt und durch den Familienstand „verheiratet“ benachteiligt, weil das Gesetz eine Einkommensanrechnung bei unverheirateten Personen nicht vorsehe. Das SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid ab.
Landessozialgericht: kein Grundrechtsverstoß
Die dagegen gerichtete Berufung hat das LSG nun zurückgewiesen. Die von der Beklagten angewandte gesetzliche Regelung sei nicht verfassungswidrig. Der Nachteil der Einkommensanrechnung werde bei Gesamtbetrachtung aller an die Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft anknüpfenden Regelungen sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch in anderen Regelungsbereichen im Ergebnis ausgeglichen.
Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs
Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass das Ziel der Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers neben der Anerkennung der Lebensarbeitsleistung eine bessere finanzielle Versorgung von langjährig Versicherten sei. Dieses Ziel werde erreicht. Dem Grundrentenberechtigten verbleibe bei Einbeziehung des Einkommens des Ehegatten ein Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs. Er stehe besser da als jemand, der wenig oder gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend versichert gearbeitet habe und entsprechend wenig oder gar nicht in diese eingezahlt habe.
Das gelte zwar auch für jemanden, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit jemandem zusammenlebe, der entsprechende Einkünfte habe. Allerdings seien Ehepartner aufgrund der unterhaltsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung wirksamer als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft versorgt.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.1.2024, L 18R 707/22, PM vom 15.3.2024
| Allein mit der Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, kann der Auftraggeber das Architektenhonorar nicht wirksam mindern. Die Bezeichnung „im Allgemeinen erforderlich“ in § 3 Abs. 3 HOAI soll nämlich klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt notwendig sind, um die Vertragsziele zu erreichen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Maßgeblich sind die vertraglichen Vereinbarungen
Maßgeblich sind nach dem OLG nicht die in der HOAI genannten Leistungsbilder, sondern die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Was ein Planer vertraglich schuldet, ergibt sich aus dem Vertrag, in der Regel also aus dem Recht des Werkvertrags. Der Inhalt dieses Vertrags ist nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts zu ermitteln.
Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI geregelten „Leistungsbilder“ sind Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach.
Daraus folgt, dass es sich bei den Vorgaben des § 34 Abs. 3 und Anlage 10.1 HOAI nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe handelt.
Es müssen nicht stets alle Grundleistungen erbracht werden
Die in Anlage 10.1 aufgeführten Grundleistungen sind nicht alle zwingend für einen vollständigen Honoraranspruch zu erbringen, wenn dies für den vereinbarten Leistungsumfang nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 S. 1 HOAI, wonach die in den Leistungsbildern erfassten Grundleistungen im Allgemeinen zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags erforderlich sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht immer alle in der jeweiligen Leistungsphase aufgeführten Grundleistungen zur Lösung der jeweiligen konkreten Planungsaufgabe zwingend erbracht werden müssen. Sind bestimmte Grundleistungen nicht zur Lösung der konkreten Planungsaufgabe erforderlich, führt es nicht zu einer Honorarkürzung, wenn diese – nicht erforderlichen – Leistungen nicht erbracht wurden.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 7.2.2024, 14 U 12/23
| In letzter Zeit häufen sich die Entscheidungen dazu, dass es nicht zu den Aufgaben des Architekten gehört, Rechtsfragen zu bearbeiten. Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt eine neue Variante hinzugefügt und sich klar positioniert. |
Das OLG: Ob eine Nachtragsforderung des bauausführenden Unternehmers berechtigt ist, liegt außerhalb der Fragestellungen, für deren Richtigkeit der Architekt mit seiner Rechnungsprüfung im Verhältnis zum Auftraggeber einzustehen hat.
Quelle | OLG Frankfurt, Beschluss vom 2.3.2023, 21 U 69/21
| Ein Architekt, der bei der Gebäudesanierung seine Kunden nicht nur in technischer Hinsicht berät, sondern auch Ratschläge zum Erhalt von Fördermitteln erteilt, muss für Schäden einstehen, wenn er die Fördervoraussetzungen fehlerhaft einschätzt. So hat es das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Empfehlung des Architekten
Die Frau hatte sich zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann dazu entschlossen, ihr Mehrfamilienhaus energetisch sanieren zu lassen und wollte dafür möglichst auch Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Sie ließ sich dahingehend von einem Architekten beraten, der auch Leistungen im Bereich der Energieberatung anbietet. Dieser empfahl, das Objekt in Wohnungseigentum umzuwandeln, da dies eine Voraussetzung für die Gewährung von KfW-Fördermitteln im Rahmen des Programms „Energieeffizient Sanieren“ sei.
KfW verweigerte Fördermittel
Entsprechend der Beratung des Architekten stellte das Ehepaar den Antrag auf die Fördermittel, noch bevor die Umwandlung des Hauses in Wohnungseigentum vollzogen war. Nachdem die Sanierungsarbeiten durchgeführt und die Umwandlung in Wohnungseigentum abgeschlossen waren, rief das Ehepaar die Fördermittel ab. Die KfW verweigerte jedoch die Auszahlung, da nach den Förderbedingungen nur Eigentümer von bestehenden Eigentumswohnungen antragsberechtigt seien; eine Umwandlung in Wohnungseigentum erst nach Antragstellung genüge dagegen nicht. Die nun entgangenen Vorteile verlangten die Eigentümer von dem Architekten ersetzt.
Architekt erbrachte Rechtsdienstleistung
Das LG gab der Klage statt. Der Architekt habe nicht nur auf technischer Ebene zugearbeitet, sondern mit seiner beratenden Tätigkeit zu den Fördervoraussetzungen der geplanten Sanierungsmaßnahme eine sogenannte Rechtsdienstleistung erbracht. Da die Information über die Voraussetzungen für die KfW-Förderung der geplanten Maßnahme unzureichend gewesen sei, habe er seine Schutzpflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt. Hätten die Eheleute den Antrag erst nach der Umwandlung in Wohnungseigentum gestellt, hätten sie die Fördermittel erhalten. Den daraus entstandenen Schaden muss der Architekt nun erstatten.
Das LG: Der Architekt kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, er arbeite im Rahmen der Energieberatung nur auf technischer Ebene.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 25.1.2024, 7 O 13/23, PM vom 28.3.2024
| Ein ehemaliger Polizist hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit infolge früher wahrgenommener Tätigkeiten u. a. im Streifendienst. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Aachen entschieden. |
Der Kläger begründete, er sei während seiner nahezu 46-jährigen Dienstzeit zu erheblichen Teilen im Außendienst eingesetzt gewesen, ohne dass sein Dienstherr ihm Mittel zum UV-Schutz zur Verfügung gestellt oder auch auf die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen hingewiesen habe. Infolgedessen leide er unter Hautkrebs am Kopf, im Gesicht und an den Unterarmen.
Das VG hat die Ablehnung der Anerkennung als Berufskrankheit bestätigt, denn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall lägen hier nicht vor. Erforderlich ist im Fall von Hautkrebs durch UV-Strahlung, dass der Betroffene bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt ist, d. h. das Erkrankungsrisiko aufgrund der dienstlichen Tätigkeit in entscheidendem Maß höher als das der Allgemeinbevölkerung ist. Davon kann bei Polizeibeamten im Außendienst nicht die Rede sein. Polizisten bewegen sich in unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und nicht nur bei strahlendem Sonnenschein im Freien.
Quelle | VG Aachen, Urteil vom 15.4.2024, 1 K 2399/23, PM vom 15.4.2024
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat entschieden: Eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) scheidet aus, wenn der Bewerber eine klassische kaufmännische Ausbildung hat, die nicht mit der Laufbahn des mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Bundeswehrverwaltung) vergleichbar ist. Hat der Bewerber später nicht entsprechend seiner Qualifikation gearbeitet, sammelt er auch keine Zeiten „hauptberuflicher Tätigkeit“. |
Kläger erhielt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch
Der Kläger bewarb sich auf die o. g. Stelle und wurde nicht eingeladen. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) klagte er auf eine Entschädigung nach dem AGG (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 AGG) und unterlag. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG zurück. Zu Recht habe das VG ausnahmsweise eine Einladung eines schwerbehinderten Menschen durch einen öffentlichen Arbeitgeber als entbehrlich angesehen. Denn die fachliche Eignung fehlte offensichtlich.
Wesentliche Unterschiede in der Ausbildung
Der Kläger hatte eine Ausbildung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft absolviert. Deren Inhalte unterschieden sich wesentlich von denen, die im Vorbereitungsdienst für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst in der Bundeswehrverwaltung vermittelt würden und allein zur Laufbahnbefähigung für den mittleren Dienst führen könnten. Das VG verglich insoweit die Ausbildung des Klägers mit den Anforderungen des fachspezifischen Vorbereitungsdienstes. Er konnte auch nicht nachweisen, dass seine späteren hauptberuflichen Tätigkeiten seiner Qualifikation entsprachen bzw. anzuerkennen seien. Hier wäre ein Zeitraum von mindestens einem Jahr und sechs Monaten notwendig gewesen. Er hatte auf verschiedenen Stellen überwiegend einfache Büro- und Verwaltungsarbeiten ausgeführt, die häufig nicht einmal eine kaufmännische Ausbildung voraussetzten.
Quelle | OVG NRW, Urteil vom 8.5.2023, 1 A 3340/20
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Auch ein Abweichen von dem direkten Arbeitsweg kann unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert sein. Dabei muss aber ein ausreichender Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt gesetzlich etwa für einen vom Arbeitsweg abweichenden Weg in Betracht, um ein Kind wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. In einem solchen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nun eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. |
Begleitung auf dem Schulweg
Die Klägerin hatte ihre Tochter im Grundschulalter zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet, an dem sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg traf. Dieser Sammelpunkt lag, von der Wohnung der Klägerin aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg von dem Sammelpunkt zu ihrer Arbeit, aber noch vor Erreichen des Wegstücks von ihrer Wohnung zur Arbeit, wurde die Klägerin – als sie trotz einer roten Fußgängerampel eine Straße überquerte – von einem PKW erfasst. Sie erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche.
Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, bekam die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart zunächst recht. Sie hatte insbesondere geltend gemacht, dass die Begleitung ihrer Tochter aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen sei.
Landessozialgericht: Kein Arbeitsweg
Auf die Berufung des Unfallversicherungsträgers hat das LSG Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall setze, wie der zuständige Senat klargestellt hat, u. a. voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Klägerin habe sich zwar im Unfallzeitpunkt objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Dies sei aber nicht hinreichend, denn das Überqueren der Straße am Unfallort zum Unfallzeitpunkt sei nicht auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit erfolgt, sodass der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit fehle.
Entscheidend: nicht Umweg, sondern Abweg
Bewege sich der Versicherte – wie vorliegend die Klägerin – nicht auf einem direkten Weg in Richtung seines Ziels, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem fort, handele es sich eben nicht um einen bloßen Umweg, sondern um einen Abweg. Werde der direkte Weg mehr als geringfügig unterbrochen und ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen, also nicht betrieblichen Gründen – ebenfalls wie vorliegend – zurückgelegt, bestehe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe auch bis zum Eintritt des Unfallereignisses die unmittelbare Wegstrecke zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht. Der Wegeunfallversicherungsschutz sei damit zum Unfallzeitpunkt noch nicht erneut begründet worden.
Keine Ausnahme gegeben
Es liege auch kein ausnahmsweise versicherter Abweg vor. Die Klägerin habe ihre Tochter nicht – wie für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz insoweit erforderlich – zum Sammelpunkt begleitet, um ihrer Beschäftigung nachzugehen, sondern allein und ausschließlich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter. Damit fehle vorliegend jeglicher sachlich-inhaltlich kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung der Klägerin und dem Begleiten der Tochter. Denn erfasst würden keine Fälle, in denen das Kind in fremde Obhut unabhängig davon verbracht werde, ob der Versicherte seine Beschäftigung alsbald aufnehmen wolle. Schließlich stelle auch die Begleitung der Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von wo aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg beschritten, schon kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne des Gesetzes dar.
Beachten Sie | Wenn ein Unfall – wie in dem dargestellten Fall – nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst ist, wird Versicherungsschutz typischerweise durch die – gesetzliche oder private – Krankenversicherung gewährleistet. Auch sind Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen während des Schulbesuchs sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022, L 10 U 3232/21, PM vom 19.3.2024